Schreiborte: wo Literatur entsteht
Von Monika Böss (Editor), Winfried Anslinger, Ute Bales und
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Über dieses E-Book
Diese Frage stellten wir Autorinnen und Autoren, die in besonderer Weise mit Rheinland-Pfalz verbunden sind. Die Antworten sind vielfältig und aufschlussreich: Ob der Schreibtisch in der idyllischen Mühle oder im quirligen Berlin steht – überall entsteht Literatur. Oft sind aufwändige Recherchen einem Text vorausgegangen, doch kann auch ein Gang durch den Herbstmorgen genügen. Manchmal sind es lang zurückliegende Erlebnisse, Begegnungen, Beobachtungen und Gefühle, die in die Texten Eingang finden.
Schräges, Szenisches, Poetisches. Essay und Erzählung. Phantastisches und Reflektierendes. All das findet sich in dieser Anthologie wieder.
Zu bereits bekannten Autoren haben sich neue Namen gesellt. Damit ist das Projekt 'Edition Schrittmacher' auch als E-Book seinem experimentellen Anspruch treu geblieben.
Entdeckungen sind erwünscht.
Monika Böss
Gabriele Keiser
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Vorkehrungen: Neue Texte aus Rheinland-Pfalz Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEinblicke: Bekenntnisse aus den Dichterwerkstätten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Schreiborte - Monika Böss
Vorwort
Nach 30 gedruckten Bänden »Edition Schrittmacher«, im Jahr 2004 ins Leben gerufen, gibt es mit dieser Ausgabe erstmalig ausschließlich eine E-Book-Version. Die Reihe, die sich zu einer ansehnlichen, kleinen Bibliothek in Rheinland-Pfalz entwickelt hat, soll in moderner Form fortgeführt werden und weiterhin eine Fundgrube für Literatur-Interessierte bilden, die die aktuelle Literaturszene widerspiegelt.
Wo entsteht Literatur?
Diese Frage stellten wir Autorinnen und Autoren, die in besonderer Weise mit Rheinland-Pfalz verbunden sind. Die Antworten sind vielfältig und aufschlussreich: Ob der Schreibtisch in der idyllischen Mühle oder im quirligen Berlin steht – überall entsteht Literatur. Oft sind aufwändige Recherchen einem Text vorausgegangen, doch kann auch ein Gang durch den Herbstmorgen genügen. Manchmal sind es lang zurückliegende Erlebnisse, Begegnungen, Beobachtungen und Gefühle, die in die Texten Eingang finden.
Schräges, Szenisches, Poetisches. Essay und Erzählung. Phantastisches und Reflektierendes. All das findet sich in dieser Anthologie wieder.
Zu bereits bekannten Autoren haben sich neue Namen gesellt. Damit ist das Projekt »Edition Schrittmacher« auch als E-Book seinem experimentellen Anspruch treu geblieben.
Entdeckungen sind erwünscht.
Monika Böss
Gabriele Keiser
Winfried Anslinger: Auf Usedom
Der größte Teil des Romans »Schmidt & Sohn« entstand im Verlauf von drei Urlauben.
Den folgenden Textabschnitt, bei dem sich die drei wichtigsten Akteure in engem Wechselspiel befinden, schrieb ich auf der Insel Usedom.
Ich stehe bei Morgendämmerung auf und schleiche nach vorne in die Rundnische unseres kleinen Appartements.
Wenn ich dort aus dem Fenster blicke, kriecht rechts im Osten das erste Tageslicht über den Horizont und lässt den Meeresspiegel erschauern.
Ich klappe meinen »Klapprechner« auf und breite das Poster mit dem Handlungsschema des Romans über den Rundtisch, an dem wir nachher frühstücken werden. Die Zettel mit den Charakteren liegen unordentlich neben mir auf einem kleinen Stapel und warten darauf, dass ich kleine Nuancen vermerke, die sich aus dem Handlungsfortschritt der letzten drei Tage ergeben. Ich blicke auf den Wandabschnitt zwischen den Fenstern, wo seit einer Woche die Rückseite eines Plakats gepinnt hängt, auf der das Beziehungsgeflecht in der Familie übersichtlich wird: rote, blaue, grüne, schwarze Pfeile, Linien, Rauten und sonstige Zeichen für Sympathie, Hass, Zugehörigkeit …
Vorhin ist mir während einer schlaflosen Stunde klar geworden, dass dieses hintergründige Familienidyll mit Ich-Erzähler, Ehefrau, Kindern und heimlicher Geliebter noch ein wenig Farbe braucht und ich habe schon Bilder vor mir,
die ich jetzt mit Wörtern und Sätzen malen will.
Nachher wird meine Frau mich fragen, wie es weiter geht mit der »Fickerei« in meinem Roman und dabei hintergründig lächeln, während sie für unsere Jüngste, die fiebrig im Bett liegt, eine Tablette ins Wasserglas gibt.
Jetzt schlafen sie alle noch und ich muss mich beeilen. Sobald die Morgensonne ihr Feuerwerk übers Meer versprüht, muss ich runter zum Bäcker und den Tisch decken.
Bernd war jetzt in einem Alter angelangt, wo die Eingliederung des Menschen in die Erwachsenenwelt ihren Anfang nimmt. Unter weiblicher Anleitung lernte er essen mit Messer und Gabel, nicht mit vollem Mund sprechen, einen Diener machen und dem Onkel die schöne Hand geben: Wo ist die schöne Hand? Meine Frauen lehrten ihn still sein bei den Siebensachen, nicht mit dem Stuhl schaukeln, Zappelphilipp und Daumenlutscher, Struwwelpeter und bitterböser Friederich, Messer, Gabel, Scher‘ und Licht …
Ihre Dressurakte bewegten sich im Rahmen des Üblichen. Margot schalt mich wegen der schwarzen Pädagogik unserer Kinderbücher und empfahl Lektüre aus dem Pahl-Rugenstein-Verlag, wo die Kinder, statt Prügel zu empfangen, gemeinsam riesige Rüben aus der Erde zogen, doch dafür war es schon zu spät. Mein Sohn war längst verdorben und wollte nichts wissen von Solidarität. In seinem Lieblingsbuch hieß es: »Am Brunnen stand ein großer Hund, trank Wasser dort mit seinem Mund. Da mit der Peitsch herzu sich schlich der bitterböse Friederich …« Wohlig kuschelte er sich an mich, wenn der Hund endlich dem bösen Friederich ins Bein biss. Er freute sich, wenn der spießige Schneider Meck Meck Meck in den Bach fiel und lachte, wenn Frau Böck ihn anschließend mit dem Bügeleisen wieder glatt machen musste. Onkel Fritze mit der Zipfelmütze hätte er gern selbst die Maikäfer ins Bett gesteckt. Er fürchtete das Geschick des fliegenden Robert im Herbststurm durchaus nicht, das war wie Drachensteigen. Seine Kinderseele empörte sich nicht gegen den Müller, welcher aus Max und Moritz Gänsefutter machte, zeigte eher Furcht. Was hatten die zwei Bösewichter nicht alles angestellt? Die Mutter des Daumenlutschers war in seinen Augen schuldlos. Übeltäter war der Schneider. Wie kam der dazu, mit schnipp und schnapp einfach die Daumen abzuschneiden, die gehörten ihm doch gar nicht, doch daran herumzulutschen war vielleicht auch verkehrt. Bernds kindliche Märchenmathematik fragte nach gut und böse, wollte wissen, wer schuld war, wer Strafe verdiente und wem Belohnung zustand. »Der Hund an Friedrichs Tischchen saß, wo er den guten Kuchen aß. Aß auch die gute Leberwurst und trank den Wein für seinen Durst.«
Unsere Tochter war schon ein gutes Stück weiter. Sie empfand Ungerechtigkeit, wenn ihre Banknachbarin die Mathearbeit bei ihr abschrieb und eine bessere Note bekam als sie.
»Warum hast du sie auch abkupfern lassen? Gehört sich doch nicht. Wenn der Lehrer euch erwischt, nimmt er euch beiden die Arbeit ab.«
»Die Karin sagt aber, ich bin ´ne Streberin.«
»Das kann dir egal sein. Wichtig ist, was die Lehrer sagen.«
Jederzeit wusste Elli, was für unsere Tochter richtig ist. Eines Tages fand sie, nun sei es Zeit für Klavierunterricht.
»Haben wir das schöne Klavier im Wohnzimmer steh´n und keiner spielt drauf. Ein Instrument beherrschen, das gehört dazu. Wenn man wo ist und kann was spielen, da hat man doch gleich ein ganz anderes Ansehen.«
Ich musste einen Klavierstimmer bestellen und eine Lehrerin engagieren. Der Musiklehrer im Gymnasium empfahl Fräulein Hillmenroth, eine pensionierte Musikpädagogin und ehemalige Kollegin.
»Sie geht sehr auf die Kinder ein.«
Auch im Urlaub sah ich mich ins Erziehungswesen eingebunden, indem ich mich an den Besprechungen meiner zwei Frauen beteiligte, die sich schwer taten mit Entscheidungen, was zur Anschaffung und zum Kümmern anstand: neue Vorhänge, mehr Vitamine, ein Entsafter, eine Warmhaltebox und eine neue Absturzsicherung an der Treppe. Vor allem aber strengere Verbote, weil Bernd überall hochkletterte. »Wenn du keine Konsequenz zeigst, erreichst du nix.«
Für die Tochter mussten zum neuen Schuljahr zwei neue Sommerkleider her, das Dreirad war zu reparieren und Bernd brauchte bald ein größeres Kinderbett.
Nach der Rückkehr fand ich mich mit einem Erledigungszettel von beträchtlicher Länge wieder, den abzuarbeiten mir nie rechtzeitig gelang. Alles dauerte Elli zu lange, weil sie nicht ahnte, was mich sonst noch in Anspruch nahm. Zum Glück interessierte sie sich nicht für die näheren Umstände meiner Leistungsschwäche. Doch für meine häuslichen Engagements wurde ich mit Wörtern und Sätzen belohnt, die Bernd herausbrachte, seit seine frühkindliche Stummheit einem fröhlichen Plappern gewichen war. Wie er zärtlich sein konnte mit seinen flinken Händchen. Wie er abends mit großen Augen in seinem Bettchen lag und auf meine Geschichte wartete. Er fürchtete, die schwarzen Bäume kämen nachts zum Fenster herein. Das können sie nicht, antwortete ich ihm, die Bäume sind festgewachsen. »Aber sie machen winken«, sagte er leise.
Das sind Äste, die im Wind so hin und her gehen, du kannst mich rufen, wenn sie wirklich kommen, ich bin gleich bei dir.
Morgens sah ich ihn rotglühend unter der Decke atmen, bevor ich die Wohnung verließ. Im Herbst sammelte er eifrig Kastanienblätter im Hof und trug sie mit hochgeschürztem Anorak durch den Garten. Wenn der Wind durch die Hecken fuhr, gab er sie frei, dass sie auf und davon flogen. Ein Zwerg, der fünfflügelige Vögel zum Himmel schickt.
Einmal sah ich ihn von oben mit dem Regenschirm zwischen den Beeten gehen. Wie der fliegende Robert lauschte er gedankenverloren dem Trommelkonzert auf dem schwarzen Tuch, spähte nach oben, als habe der verhangene Himmel ihm etwas mitzuteilen. Hilde betete gelegentlich mit ihm, sie hielt sehr auf Gottesfurcht, schon um ihre eigene Furcht klein zu halten. Ich hielt mich heraus, mit den höheren Sphären lag ich damals ziemlich über Kreuz.
Meine Gespensterjagden mit Hilde verlagerten sich sehr bald von der Couch ihres palisanderfurnierten Wohnzimmers in ihr zweischläfriges Bett. Es war mit durchgehender französischer Matratze ausgestattet, auf welcher sich Beunruhigungen jeglicher Art nachhaltig glätten ließen. Allerdings fühlten sich neben den weinroten Stores auf kunstseidener Tagesdecke meine alten Leidenschaften wie schlecht imitiert an. Ich war enttäuscht von mir, schob es auf den Widerspruch zwischen Traumbild und Wirklichkeit. Erst das Eintauchen unter ihr Herz, die Dünung ihres Atems, der Duft ihrer Haut, der anders war als ich mir immer vorgestellt hatte, wie eine Mischung aus Sandelholz und Frühlingsblumen, hauptsächlich ihren Flacons auf der Frisierkommode geschuldet, scheuchte neue Gefühle wie Vogelschwärme bei mir auf. Meine Finger und Lippen erkundeten ihr sonnengebräuntes Hügelland, glitten über den zarten Strich seines niedrigen Bewuchses, machten Abstecher in die geschützten, helleren Bereiche hinein, gaben sich dem Biss- und Zungenspiel hin.
Zum Glück behielt Hilde stets die Uhrzeiger im Blick, die vom Nachttisch her unauffällig bedeuteten, wann es Zeit wurde. Trunken verließ ich das hellblaue Zimmer mit den altweiß getönten Lackmöbeln, sie begleitete mich zur Flurtür und sah mir nach, wenn ich die Treppe hinabstieg, um meinen gewohnten Platz wieder auszufüllen wie ein Puzzleteil, das herausgefallen ist, wieder zurück muss, damit das Bild nicht verdirbt, ich durfte kein Herrmann Schmidt werden.
»Ich war so jung, hatte damals keinen blassen Schimmer vom Leben«, sagte sie, wenn das Gespräch auf die frühere Zeit kam und verstummte.
Gegenüber Elli durfte nie der Eindruck entstehen, ich sei zu etwas anderem bei ihr abwesend als zu geschäftlichen Zwecken, vor allem an Nachmittagen zwischen halb zwei und halb drei, während meine Frau ihren Erholungsschlaf hielt.«
Ein sonniger Spätsommertag, du wolltest eine deiner Freundinnen besuchen. Ich nahm dich im Auto mit und wollte von dort weiterfahren zu einer Besprechung. Wir stehen vor ihrem Haus, sie macht nicht auf, hat dich versetzt. Soll ich dich heimfahren, Hilde? Von einer Telefonzelle aus sage ich stattdessen meinen Besprechungstermin ab. Der Himmel ist fast wolkenlos, durchs Schiebedach strömt warme Luft, wir biegen von der Ausfallstraße ab, Richtung Waldcafé. Auf der kurvigen Asphaltpiste lassen wir die Ausflugsterrasse rechts liegen, halten uns an die Beschilderung Richtung Baggerseen. Dein Haar weht im Wind, als du die Scheibe herunterkurbelst. Heftig springt der Wagen in den ausgefahrenen Schlaglöchern des Feldwegs, der um die kleinen Gewässer herumführt. An einem Holzwirtschaftsweg stelle ich den Motor ab, wir gehen durch Niederwald und Gestrüpp, eine Weißdornhecke, Schaum von Schafgarben, die dicht und unberührt auf einem Sonnenflecken stehen, ein Wiesensaal voller Blütenwehen. Im Weißdorngehölz brütet Stille. Lehmiges Steilufer an einer ehemaligen Kiesgrube, längst ertrunken in grünschimmernder Flut. Kein Laut außer dem Vogelgesang aus dem Röhricht. Wir fallen in ein Grasbett. Danach klettern wir den kleinen Hang hinunter, nackt, es dämmert schon und das Wasser ist noch nicht zu kalt. Tief versinken unsere Füße im Schlammabgrund des Ufers, wir schweben über Feenwäldern und fürchten uns nicht. Das also ist das Leben, denke ich. Fliegt ein Schatten über uns? Auf der Heimfahrt stelle ich die Heizung an, das violette Band der Wolken im
