Radikal menschlich: Von Brüchen und Aufbrüchen in der Kirche
Von Birgit Mock
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Über dieses E-Book
In einer Zeit voller Skandale in der katholischen Kirche, in der viele Menschen Ausgrenzung, Diskriminierung und sogar sexualisierte Gewalt erlebt haben, ist Veränderung dringend notwendig.
Birgit Mock teilt in ihrem Buch tiefe Einsichten über die Bedeutung von Nächstenliebe und Menschenwürde im heutigen christlichen Kontext. Sie zeigt, dass eine Rückbesinnung auf diese Grundwerte für die Zukunft der katholischen Kirche entscheidend ist.
Denn wenn die Würde des Menschen wieder zum Orientierungspunkt wird, wird sich auch die Kirche dahingehend verändern. Ihr Buch ist ein Wegweiser für alle auf diesem Weg: dem synodalen Weg.
- Wandel durch Würde: Ein neuer Aufbruch für den christlichen Glauben in einer modernen Welt
- "Ich sehe dich": Ein Gefühl der Annahme und des Verstehens in der Kirche schaffen
- Herausforderungen in der katholischen Kirche meistern: Leitfaden für glaubwürdiges Christsein heute
- Birgit Mock ist Vizepräsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken
- Ein spirituelles Geschenk für alle, die die Zukunft der Kirche mitgestalten wollen
Wo Glaube und Menschlichkeit sich begegnen: Ein Manifest für die moderne Kirche
Wie kann sich die katholische Kirche sich verändern und gleichzeitig den Kern christlicher Werte bewahren? Die Antwort liegt in uns selbst - und in unserem Umgang mit jedem einzelnen Menschen. Birgit Mock lädt nicht nur zur kritischen Auseinandersetzung mit der Institution Kirche ein, sondern auch zur Selbstreflexion. Sie zeigt, wie Christ*innen durch echte Nächstenliebe eine einladende und zukunftsfähige Kirche schaffen können. Eine inklusive Kirche, die jeden Menschen radikal annimmt und wertschätzt!
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Buchvorschau
Radikal menschlich - Birgit Mock
EINLEITUNG
Warum ein Buch über Menschlichkeit – radikale Menschlichkeit?
Weil ich glaube, dass es für uns als Menschen wichtig ist, dass wir uns angenommen fühlen. Und dass das eine wichtige Voraussetzung für ein erfülltes Leben sein kann.
Weil ich glaube, dass wir im Zusammenleben mit anderen Menschen, in unserer Gesellschaft einen Kompass für Menschlichkeit brauchen.
Und weil ich glaube und es auch so erlebe, dass für beides die Botschaft des Evangeliums eine wertvolle Quelle sein kann.
Was bedeutet radikale Menschlichkeit oder, einfacher gefragt, lohnt es sich, ein guter Mensch zu sein?
Wo mit der Antwort beginnen? Bei den Menschen, die mir hierzu ihre Geschichte erzählt haben. Einige haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Menschlichkeit, ihre Menschenwürde missachtet und mit Füßen getreten wurden. Durch Gewalt. Durch Abwertung. Durch Ausgrenzung. Sie haben Einsamkeit und tiefe Verzweiflung erlebt. Sie haben sich zuweilen gefragt, ob mit ihnen etwas nicht stimmt und sie selbst vielleicht Schuld daran tragen. Sie haben einen Angriff auf ihren Selbstwert durch Manipulation erlitten.
Ich schreibe dieses Buch in Solidarität mit all jenen, die den Mut hatten, sich zu öffnen und sich anzuvertrauen, und mit all denen, die auf ihre Weise mutig, aber (noch) sprachlos sind.
Das Buch erinnert dazu auch an den Synodalen Weg in Deutschland, der die Frage des Menschlichen im Fokus hatte. Er wurde begonnen, nachdem die Schrecken von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche in großem Ausmaß öffentlich gemacht wurden. Er wurde gestartet mit der Absicht, dass Menschen in ihrer Würde nie mehr so tief verletzt werden dürfen.
Fast alle Beratungen in diesem Prozess des Aufbruchs gelangten irgendwann an die Frage: Was haben wir als Christ*innen für ein Menschenbild, was haben wir für ein Gottesbild? Und was muss es für Konsequenzen haben, wenn wir in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes erkennen?
So geht es auch nicht zuerst um die Frage, ob die Kirche sich verändert. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob wir das Menschliche radikal in den Mittelpunkt unseres Denkens, Fühlens und Handelns stellen wollen. Wenn das geschieht, wird auch die Kirche sich verändern. Radikal verstehe ich hier ganz im Sinne der lateinischen Wortherkunft (radix = die Wurzel) als ein: Zurück zu den Wurzeln.
Das gilt auch für unsere Gesellschaft. Der Ausgangspunkt wird immer der gleiche bleiben: Was heißt für uns als Bürger*innen Menschlichkeit, in unserer Welt, im Leben aller Menschen? Die Antwort beginnt vielleicht mit der Erkenntnis, dass es darauf ankommt, wie wir mit jedem einzelnen Menschen umgehen, mit Menschen am Rande, mit Menschen, die keine Stimme haben oder deren Stimme zu wenig gehört wird. Das erste Kapitel des Buches fasst dazu die Hintergründe und Ergebnisse des Synodalen Weges zusammen: Warum wurde der Synodale Weg begonnen? Was hat der Synodale Weg – womöglich, ohne dass es eine breite Öffentlichkeit wirklich erfassen konnte – an bahnbrechenden Ergebnissen gebracht? Was hat der Synodale Weg mit Menschlichkeit zu tun? Die Bestandsaufnahme verdeutlicht, wo wir zu zentralen Themen stehen und was das Wegweisende an einigen der gefassten Beschlüsse ist.
Im folgenden Kapitel geht es um Sehnsucht und darum, was der Urgrund für erfülltes Menschsein sein kann.
Der Frage, wo es im gesellschaftlichen Leben einen Unterschied macht, wenn Christ*innen sich mit ihrer Stimme einbringen, und welcher Kompass hilfreich sein kann, wenn schwierige Entscheidungen in unübersichtlichen Situationen anstehen, widmet sich das dritte Kapitel.
Das vierte Kapitel stellt acht Gelingensfaktoren aus dem Synodalen Weg vor, die sich für einen Kulturwandel hin zu mehr Menschlichkeit bewährt haben.
Im fünften Kapitel schließlich wird der Blick auf die Weltkirche erweitert. Hier kommen Konflikte und Spannungsfelder ebenso zur Sprache wie historische Lebenszeugnisse und Einsichten, die Mut machen zum Handeln.
Das Buch endet mit einem Ausblick, der, wie ich finde, hinaus ins Weite führen kann.
Der Bonifatius Verlag hat mich eingeladen, dieses Buch zu schreiben, und mich freundlich ermutigt und nicht lockergelassen, meine Sicht auf die Frage von Menschsein und die Erfahrungen aus dem Synodalen Weg festzuhalten. Jetzt sitze ich in den Wintermonaten des Jahreswechsels 2023/2024 jeden Morgen noch in der Dunkelheit am Schreibtisch und schreibe in den werdenden Tag hinein.
Ich schreibe dieses Buch auch deswegen gern, damit uns die Erinnerungen an den synodalen Aufbruch im Alltag nicht verloren gehen. Leicht besteht die Gefahr, wieder in die alten Muster zurückzufallen. Es passiert so beiläufig, auch weil viel Energie aufgebraucht ist und einige müde geworden sind. Dazu tragen auch die Ernüchterungen bei, die sich durch Reformverzögerungen oder hierarchische Machtdemonstrationen ergeben. Viele der Kirche tief verbundene Menschen fragen sich dann nicht selten, ob die eigene Kraft und Lebensenergie angesichts dessen richtig eingesetzt sind, und wie man innerlich frei bleiben kann, um gegen Unrecht weiter aufzustehen und immer wieder neu aufzubrechen.
Der Synodale Weg war aus meiner Sicht ein echter Aufbruch. Ich erlebe in vielen Gesprächen und Vorträgen, dass eine Innensicht auf den Prozess und die Schlussfolgerungen auf echtes Interesse stoßen und dass die Erzählung davon Hoffnung macht, Hoffnung auf eine menschlichere Zukunft.
KAPITEL 1
GEMEINSAM UNTERWEGS ZU MEHR MENSCHLICHKEIT
Was uns der Synodale Weg über Menschlichkeit gelehrt hat
Als am 11. März 2023 um 11 Uhr 37 die 202 Mitglieder der Synodalversammlung in einer eher wenig inspirierenden Frankfurter Messehalle ihr Abstimmgerät zur Hand nahmen und den letzten Text des Synodalen Weges mit der nötigen Zweidrittelmehrheit verabschiedeten, hatten viele von uns das Gefühl, einen historischen Moment zu erleben.
Freude war zu spüren und Hoffnung auf einen Neuanfang; aber auch Angst vor Veränderung und Enttäuschung über verpasste Chancen. Eine ZdK-Kollegin und ein Bischof fielen sich um den Hals, einige klopften den Sitznachbar*innen auf die Schultern, bei Einzelnen war emotionaler Rückzug spürbar oder ein Hauch von Bitterkeit, bei anderen flossen Tränen der Erleichterung.
Hinter uns Synodalen lagen an diesem Tag 37 Monate Wegstrecke, fünf Synodalversammlungen, Regionenkonferenzen, eine Onlinekonferenz, unzählige Forensitzungen, Gespräche und Telefonate, Zeiten des Ringens, des Schreibens und des Betens.
Mit Abschluss der letzten Synodalversammlung haben wir als Delegierte 15 Beschlüsse verabschiedet. Von denen möchte ich einige Reformentscheidungen hier im Hinblick darauf vorstellen, was sie damit zu tun haben, Menschlichkeit in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen und eine Veränderung zu bewirken, die Christ*innen vor Ort in ihrem Alltag auch wirklich bemerken.
Es sind dies:
Eine neue kirchliche Grundordnung
Homosexualität neu betrachtet
Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche
Ein Synodaler Rat für die katholische Kirche in Deutschland
Vor allem möchte ich uns nochmals in Erinnerung rufen, warum wir als Kirche in Deutschland mit dem Synodalen Weg begonnen haben und was unser Auftrag und unsere Verantwortung sind.
Eine neue kirchliche Grundordnung
In Deutschland sind rund 750.000 Arbeitnehmer*innen bei der Kirche angestellt, in katholischen Kindergärten oder Krankenhäusern, bei der Caritas oder in den Verwaltungen der Bistümer, bei der Schuldnerberatung oder im seelsorgerlichen Dienst. Für sie alle gilt die kirchliche Grundordnung. Das ist eine arbeitsrechtliche Grundlage, die alle Mitarbeiter*innen zu Beginn ihres Dienstantritts unterschreiben.
Als ich im Synodalen Weg zusammen mit Bischof Georg Bätzing zur Leitung des Synodalforums IV „Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft gewählt wurde und wir mit der Arbeit im Synodalen Weg anfingen, stand in der Grundordnung (mit Fassung von 2015) noch eine Klausel zu sogenannten „Loyalitätsobliegenheiten
. Sie beinhaltete, dass die katholischen Mitarbeiter*innen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten müssen.¹
Was war damit gemeint? Ein Verstoß dagegen wurde bei katholischen Mitarbeitenden dann „unwiderlegbar vermutet"², wenn eine kirchenrechtlich unzulässige Zivilehe abgeschlossen wurde, die „objektiv geeignet war, erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen"³. Das bezog sich unter anderem auf Ehen, die nach einer vorherigen Scheidung eingegangen worden waren. Ein weiterer Verstoß wurde gesehen, wenn eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen wurde⁴. Letztlich betrafen die Klauseln zur Anerkennung der Sittenlehre auch alle Paare, die ohne eheliche Verbindung zusammenlebten, und Menschen mit einer intersexuellen oder transsexuellen Identität.
Was bedeuteten diese juristischen Klauseln für das Leben der Menschen? Sie hatten zur Folge, dass Paare, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben, oder Paare in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft eine Kündigung erhalten konnten. Oder dass ihre Paarbeziehung bereits als Einstellungshindernis betrachtet wurde. Das wiederum hatte zur Folge, dass Menschen aus Angst vor all diesen Nachteilen und Repressionen ihre private Lebensführung geheim hielten. Sie haben eben nicht im beruflichen Kollegium die Freude über eine neue, zweite Beziehung geteilt. Einige haben ihre Traumstelle gar nicht erst angetreten, weil sie kein Doppelleben führen wollten. Viele, die bei der Kirche tätig waren, haben ihre Homosexualität verschwiegen.
Ich bin 2016 beim Katholikentag in Leipzig einem langjährigen ZdK-Kollegen begegnet, der mir dort seinen Partner vorstellte. Das durfte damals noch niemand wissen, weil er in verantwortlicher Position tätig war. Mir vertraute er sich an,