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Die wahre unglaubliche Geschichte vom entführten Mitropa-Koch: oder Inside Aktuelle Kamera
Die wahre unglaubliche Geschichte vom entführten Mitropa-Koch: oder Inside Aktuelle Kamera
Die wahre unglaubliche Geschichte vom entführten Mitropa-Koch: oder Inside Aktuelle Kamera
eBook186 Seiten2 Stunden

Die wahre unglaubliche Geschichte vom entführten Mitropa-Koch: oder Inside Aktuelle Kamera

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Über dieses E-Book

Spätsommer 1989. Seit Wochen verlassen täglich tausende DDR-Bürger über Ungarn das Land. Die Medien in der DDR nehmen davon kaum Notiz. Da schlägt am 21. September ein großer Artikel des „Neuen Deutschland“ auch bei den Nichtlesern dieser Zeitung ein wie ein Bombe: Unter der Überschrift „Ich habe erlebte, wie BRD-Bürger gemacht werden“ wird als Aufmacher die haarsträubende Story eines Kochs der Mitropa erzählt, der in Budapest von einem West-Agenten mit Hilfe einer Menthol-Zigarette ins Koma versetzt und nach Österreich entführt wurde - und wieder in die DDR zurückkehrte. Doch: Warum brachte die „Aktuelle Kamera“, die doch sonst fast jeden Leitartikel der führenden Tageszeitung der DDR in ihrer Hauptausgabe vorlesen ließ, nichts von dem „Entführungsopfer“?

Dies ist die „wahre“ Geschichte zum Menthol-Zigaretten-Fall. Das vor kurzem im Keller der deutschen Botschaft in Prag gefundene Tagebuch des jungen Redakteurs Markus Koch gibt Auskunft, wie im August/September 1989 die „Aktuelle Kamera“ tatsächlich organisatorisch und redaktionell funktionierte, welche Meldungen in jener Zeit wirklich gesendet wurden - und welch ungeahnte historische Rolle ein Karton mit Pfefferminzlikör aus der DDR-Produktion spielen sollte
SpracheDeutsch
Herausgeberwinterwork
Erscheinungsdatum26. Juni 2014
ISBN9783864689369
Die wahre unglaubliche Geschichte vom entführten Mitropa-Koch: oder Inside Aktuelle Kamera

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    Buchvorschau

    Die wahre unglaubliche Geschichte vom entführten Mitropa-Koch - Ralf Mattern

    Samstag, 19. August 1989: 

    Heute geht es nun los: Nach fünf Tagen Urlaub steige ich in die Redaktion der »Aktuellen Kamera« ein. So schnell vergehen sieben Tage: Erst eine Woche ist es her, dass mein Ressortleiter Genosse Weber kam und zu mir sagte, dass man mich delegieren will, vom Printmedium »Neues Deutschland« zum elektronischen Medium Fernsehfunk. Was für eine große Chance! Angeblich ist ein Platz im Kollektiv frei geworden, weil ein Kollege nun seinen Urlaub in einer Art »Flüchtlingslager« in Budapest unter tatkräftiger Unterstützung des Klassenfeindes fortgesetzt haben soll. Mir soll es Recht sein. So brauchte ich heute in Ostkreuz nicht umzusteigen und konnte mit der S-Bahn bis Adlershof durchfahren!  

    An der Wache beim Sender holte mich die Genossin Britta Glaubitz ab und brachte mich in mein neues Büro, dass ich – für heute – mit ihr, die als Redakteurin für den Bezirk Potsdam zuständig ist und dem Genossen Bergner, der die Berichte für den Bezirk Frankfurt zusammenstellt, teilte. Dort machten wir erstmal Frühstück und Britta bot mir als Ältere, ich schätze sie so auf 45, das Du an.  

    Dann wurde zur ersten Besprechung des Tages gerufen, auf der ich meine Kolleginnen und Kollegen traf. Die Sprecher Angelika Unterlauf, Hans-Dieter Lange, Renate Krawiecicki, Wolfgang Lippe und Klaus Feldmann kannte ich ja schon aus dem Fernsehen, Chefredakteur Peter Wust war mir vom Namen her bekannt. Ein ganz schön großes Kollektiv ist das – zweiundzwanzig Leute kümmern sich direkt um die Nachrichten. Ich wurde der Redaktionsbrigade »Inneres Schwerin / Neubrandenburg / Rostock« zugeteilt – von der aber außer mir heute niemand anwesend war. Da kommt jetzt in der Erntezeit eine riesige Arbeit auf mich zu: Bei meinem Bezirkskorrespondenten muss ich Berichte bestellen – über den Fortschritt der Ernteschlachten, die hervorragende Lage der LPGs, über die Mithilfe von Studenten und so weiter.  

    Britta Glaubitz sagte mir, dass schon seit fünf Tagen ein Bericht über Prenzlau vorliegt. Den sollte ich mir mal anschauen und mir ihr zusammen nach der Besprechung als Beitrag fertig machen.  

    In der Redaktionskonferenz wurde jedoch erst die Ausgabe der »AK« von gestern Abend unter die Lupe genommen, wobei sich alle sehr zufrieden zeigten. Dann ging es aber vor allem um Wahlhausen, wohin vor drei Tagen aus der BRD geschossen wurde. Genosse Bindig, der in Vertretung des Genossen Joachim Herrmann aus dem Politbüro an unserer Runde teilnahm, ärgerte sich zunächst heftig: »Das hat der Klassenfeind mit Absicht gemacht! Schüsse nach Wahlhausen. WAHLhausen, versteht ihr, Genossen? Nur, damit die Leute das Thema ›KommunalWAHL‹ nicht vergessen. Denen ist jedes Mittel Recht. Gut, dass die da drüben nicht Mauersberg kennen, dann hätten die dorthin geschossen. Seht zu, dass der Ortsname nicht allzu oft genannt wird, das ärgert die Kriegshetzer im Westen«, gab er dem für den Bezirk Erfurt zuständigen Redakteur Hans-Jürgen Dunst einen guten Rat aus dem Politbüro, den es wohl unbedingt zu beachten und zu beherzigen galt.  

    Genosse Dunst verließ sofort die Sitzung und fuhr mit dem Dienst-Wolga (wir hatten beim »ND« nur Wartburg und Lada) noch mal los nach Wahlhausen, »Interviews einfangen«, wie er es nannte.  

    Dann erhielt ich vom Chef meinen ersten Auftrag: »Genosse Koch, Du wirst den Prenzlau-Beitrag machen. Denk’ dran: Wir sind eine Nachrichtensendung mit Format, da muss was kommen. Mal sehen, was Du beim ›Neuen Deutschland‹ so gelernt hast. Und Du Britta, machst eine Potsdam-Story. Sag’ Deinem Bezirkskorrespondenten vor Ort, er soll mal dahin gehen, wo Wohnungen gebaut werden. Zeig’ dem Jungen mal, wie ein alter Hase wie Du eine Topnachricht für die ›AK‹ aufbaut«, bekam Genossin Glaubitz den Auftrag, für »gut drei Minuten dreißig aus und für den Sozialismus zu berichten« und mich einzuarbeiten.  

    »Bezirkskorrespondenten vor Ort« – so bezeichnet werden, wie ich später erfuhr, die Reporter, die die Berichte in den jeweiligen Bezirken erstellen. »Meiner«, der im Bezirk Neubrandenburg tätig ist, heißt Wolf Haare.  

    Die Brigade »Inneres« war also auf Kurs gebracht, Genosse Wust wandte sich an den Genossen Bodo Schaf vom Sport, der mir auch schon lange vom Bildschirm bekannt ist: »Ich brauche Sieger und die Nationalhymne, hast Du da was?« Genosse Schaf verwies auf die zurzeit gerade laufende Schwimm-Europameisterschaft und versprach, da auch die Hymne einzubauen.  

    Für die Brigade »Äußeres« scheinen auch mehrere Genossen zuständig zu sein: Für die BRD allein zwei Redakteure, die auch gleich anboten, über Neonazis, das Elend in Köln und über Rüstungsgegner Berichte bei Dieter Olfe, unserem Mann in Bonn, abzufordern. »Macht das«, warf Genosse Bindig ein, »die Klassengegensätze liegen da ja quasi auf der Straße.«  

    Genosse Wust zeigte sich zufrieden und fragte in die Runde, was denn nun mit dem Bericht aus Afghanistan sei. Offensichtlich wartete man in der Redaktion schon länger auf einen Beitrag aus Kabul, um ein vorliegendes Interview mit dem afghanischen Präsidenten zu illustrieren. »Mir reicht das jetzt. Wenn wir keine Bilder aus Kabul kriegen, drehen wir in Hoyerswerda«, gab er an den Genossen Fricke vom Bezirk Cottbus eine klare Anweisung. »Plattenbauten sehen überall gleich aus, Ihr müsst nur die Autos wegräumen lassen.«  

    Genosse Wust unterbrach dann die Beratung: »Es ist jetzt 11 Uhr, um 14 Uhr nach dem Mittag ist die letzte Sitzung vor der Hauptausgabe, da will ich die Berichte sehen und anschließend werden die letzten Blitzmeldungen mit eingebaut!«  

    Britta Glaubitz und ich gingen dann in unser Büro. Sie zeigte mir gleich im Schneideraum, wie man mit der Technik umgeht, was einfacher war, als ich dachte. Einfach Kopfhörer auf, Film ansehen, zurückspulen, Markierungen im Film setzen und meinen Kommentar darüber legen – japanische Technik …  

    Da saß ich nun und sollte den Beitrag aus Prenzlau für die Sendung passend machen. »Mach’ aus den acht Minuten vier«, hatte Genosse Wust noch empfohlen. »Schön wie nie« nannte ich das Filmchen, musste aber den Beitrag dann doch auf nur vierzig Sekunden zusammenschneiden, damit das mit der Überschrift auch passte. Zum Glück hatte der Bezirkskorrespondent vor Ort noch einen Bürger zum Revanchismus in der BRD befragt. Das nahm ich dankend an und so konnte ich dadurch wenigstens gut zwei Minuten zusammen bekommen.  

    Um 14 Uhr war dann die nächste Besprechung und wir stellten unsere Beiträge gegenseitig vor. Genosse Wust fragte mich, warum mein Bericht nur halb so lang wie vorgesehen geworden ist, freute sich aber, dass ich den westdeutschen Revanchismus mit aufgenommen hatte. Brittas Bericht ging glatt durch, die hatte Peter Schulz, ihren Mann in Potsdam, einfach in die dortige Leninallee geschickt und einen Kollegen von der »Agitationssonderbrigade Bau« interviewen lassen. Aber auch dieser Beitrag war etwas kürzer als geplant: Nur zwei Minuten zwanzig.  

    Aus Cottbus kam die Nachricht, dass der dortige Bezirkskorrespondent vor Ort im Neubaugebiet »Ernst Thälmann« in Hoyerswerda die Bilder für den Afghanistanbericht dreht. Gegen 17 Uhr würde der dann in Adlershof vorliegen. »Das reicht«, sinnierte Genosse Wust, »da müssen bis 19 Uhr nur noch die Bausteine zusammengefügt werden. Hinten haben wir jetzt noch ein wenig Zeit, wie können wir das Loch schließen?«, fragte er in Richtung Brigade »Äußeres«. »Tja, wir hätten da noch politische Morde in Kolumbien, Bürgerkrieg in Angola, eine Erklärung des Genossen Saddam zum Libanon und eine Demo in Südafrika«, bot der »Äußeres«-Brigadier Genosse Lenzmann an. Das sollte dann alles in der »gebotenen Kürze« genommen werden, wie sich der Chef ausdrückte.  

    »Bis 18 Uhr müssen die Texte für unseren Sprecher, das ist heute der Genosse Lange, fertig sein, geht das klar?«, fragte er die beiden Kolleginnen von der Sprecher-Redaktion, die ihrerseits mit dem Kopf nickten.  

    Ich bin ziemlich aufgeregt: Was werden wohl das Politbüro und der Genosse Bindig morgen zu meiner »Gesellenarbeit« sagen? Wie wird der Kontakt zu meinem Bezirkskorrespondenten laufen, den ich morgen anrufen soll? Um 18 Uhr war für mich Feierabend, ich verabschiedete mich und war gespannt auf das Ergebnis unserer Besprechungen, auf die Hauptausgabe der »AK« um halb acht.

    Sonntag, 20. August 1989: 

    Das lief doch eigentlich ganz gut gestern in der Hauptausgabe – dachte ich. Heute Morgen gab es in der ersten Besprechung aber trotzdem einen Heidenärger: Das Mitglied des Politbüros, der Genosse Joachim Herrmann höchstselbst war heute anwesend und hielt Hans-Jürgen Dunst eine Standpauke. 

    »Genosse Dunst, Du machst Deinem Namen wirklich alle Ehre. Wie kannst Du ein solches Interview aus Wahlhausen senden lassen?«, wandte er sich auch an unseren Chef. »Die Frau, die da gesprochen hat, war ja optisch noch erträglich, aber was sie sagte, das geht doch nun wirklich nicht! Denkt Ihr eigentlich mit? Sind wir hier im Westfernsehen?«  

    Dann verlangte er, den Bericht noch mal anzusehen. Ich hatte mir das ja schon gestern Abend, als ich mir das im Fernsehen betrachtete, gedacht: Naja, konnte Genosse Dunst keine anderen Interviewpartner finden? Ich sagte mir aber auch, dass bestimmt von vornherein in der BRD die Häuser zum Beschießen ausgesucht worden, in denen Bewohner leben, die nicht in der Partei sind. Allein schon der Name der befragten Frau: Frau Feige.  

    »Das passt nun gar nicht zu uns«, kritisierte Genosse Herrmann. »Wohnte denn im Haus niemand mit einem vernünftigen Namen?«  

    Genosse Dunst, der sich in seiner Haut sichtlich unwohl fühlte, antwortete: »Nein, dort wohnen nur Feige – Eltern und erwachsene Kinder.«  

    Genosse Herrmann wurde puterrot: »So kämpft der Klassenfeind, Genossen, ist das klar?«, wobei das »so« aus meiner Sicht ein wenig zu laut geriet.  

    Der Bericht wurde zurückgespult und erneut vorgeführt. Frau Feige fragte gerade entrüstet: »Warum tun sie’n uns?«, da haute Genosse Herrmann mit der Faust auf den Tisch und auf die Pausentaste des Videorekorders – das Standbild zeigte gerade Löcher in der Häuserwand. »Genosse Dunst, wie lange bist Du nun schon hier im Kollektiv?«, wollte Genosse Herrmann gar nicht wissen. »Wer ist ›sie‹? Warum bringst Du die Feige nicht dazu, den Klassenfeind zu benennen? Und was ist das überhaupt für eine komische Frage: ›Warum tun sie’n uns?‹«  

    Hans-Jürgen Dunst verwies auf die geltenden Bestimmungen zum Einsatz von Filmmaterial. »Ich hatte immerhin schon eine viertel Stunde drehen lassen, aber jedes Mal musste ich abbrechen. Mal knatterte ein Moped so laut vorbei, dass nichts zu verstehen war, mal war die Sonne weg, dann wirbelte ein Trecker soviel Staub auf, dass alle husten mussten, dann kam der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei und wollte meine Akkreditierung sehen, dann wollte ein Genosse der Bezirksleitung zusammen mit einem Mitarbeiter der Wohnungsgenossenschaft und der Versicherung die Schäden betrachten und lief dabei ins Bild – ich hatte kaum noch Material über.«  

    »Na, das hatten Feiges wohl auch nicht«, unterbrach Genosse Herrmann ungehalten »diese seltsame Rohstoffdiskussion«, wie er es nannte und blickte fragend in die Runde. Da keiner antwortete, rief er: »Lass den Film weiterlaufen!« und dann plötzlich »Stopp!«  

    Da hatte Frau Feige gerade gesagt, dass sie alles »ohne Mittel aufgebaut« hätten und nun »sowas«.  

    »Aha, ohne Mittel also. Ja, leben wir im Kongo, oder was? Haben wir in der DDR keine Baustoffwerke? Keinen Zement? Keine Steine? Oder jedenfalls nicht genug davon? Ihr redet eine Versorgungskrise herbei, die es doch überhaupt nicht gibt!«  

    »Darum«, warf Genosse Wust ein, »haben wir gleich danach die Berichte aus Potsdam und Prenzlau gebracht. Genosse Dunst konnte Frau Feige nicht überreden zu sagen, dass der Hausbau eine relativ leichte Geschichte war, die blieb einfach dabei«, nahm er seinen Mitarbeiter in Schutz.  

    »Dann sendet doch so was nicht – auch wenn Potsdam und Prenzlau in der Tat recht gelungen waren«, und ich merkte, wie ein wohliger Schauer des Lobes sich meiner bemächtigte, schließlich war der Bericht aus Prenzlau mein erstes Werk für die Hauptausgabe der »Aktuellen Kamera«.  

    Das war zu meinem Beitrag aber auch schon alles, Genosse Herrmann schien ziemlich schlecht gelaunt zu sein: »Sport. Seht Ihr Euch die Berichte vorher eigentlich auch mal an? Gut, auf den ersten Blick war es nicht gleich zu sehen, aber das waren SchwimmerINNEN. Und Ihr redet in einem fort von ›Schwimmern‹. Müssen wir den Klassenfeind erst auf das Problem, dass unsere Schwimmdamen nun mal nicht so ganz weibliche Rundungen und eine etwas tiefere Stimmlage haben, aufmerksam machen? Und wieso wird eine Schwimmerin namens Hunger in den Vordergrund gebracht? Habt Ihr keine, die Elend heißt, oder Selbstmord?«, wurde der Genosse aus dem Politbüro ziemlich zynisch und sehr uncharmant.  

    Das betretene Schweigen beendete Genosse

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