Metapher, Allegorie, Symbol
Von Gerhard Kurz
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Metapher, Allegorie, Symbol - Gerhard Kurz
Gerhard Kurz
Metapher, Allegorie, Symbol
6. Auflage
Gerhard Kurz
Geboren 1943, Studium und Staatsexamen in Heidelberg; wissenschaftlicher Assistent am Germanistischen Seminar der Universität Düsseldorf, 1973 Promotion, 1980 Habilitation. 1980–1984 o. Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Amsterdam; seit 1984 Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Gießen.
Veröffentlichungen u.a.: Mittelbarkeit und Vereinigung. Zum Verhältnis von Poesie, Reflexion und Revolution bei Hölderlin (1975); Traum-Schrecken. Kafkas literarische Existenzanalyse (1980); Macharten. Über Rhythmus, Reim, Stil und Vieldeutigkeit (1999); Herausgeber: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen (1975, mit M. Frank); Düsseldorf in der deutschen Geistesgeschichte, 1750–1850 (1984); Der junge Kafka (1984); Idealismus und Aufklärung (1988, mit Chr. Jamme); Literarisches Leben in Oberhessen (1993, mit G. R. Kaiser); Hölderlin und Nürtingen (1994, mit P. Härtling); Hölderlin und die Moderne (1995, mit V. Lawitschka und J. Wertheimer); Interpretationen. Gedichte von Friedrich Hölderlin (1996); Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit (2000); Friedrich Hölderlin. Gedichte (2003); Goethezeit – Zeit für Goethe (2003, mit K. Feilchenfeld, K. Hasenpflug, R. Moering).
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-525-34032-5
6. Auflage 2009
KLEINE REIHE V&R 4032
© 2009, 1982 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Internet: www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. – Printed in Germany.
Umschlag: Jürgen Kochinke, Holle
Schrift: Concorde regular
Gesamtherstellung: Hubert & Co, Göttingen
Inhalt
Einleitung
Metapher
1. Metaphertheorien
2. Bildspender – Bildempfänger
3. Metaphernfelder
4. Politische Metaphorik
Allegorie
1. Spiel – Widerspiel
2. Der rhetorische Allegoriebegriff
3. Explikative Allegorie – Implikative Allegorie
4. Initialer Text – Allegorischer Praetext
5. Typologie
6. Allegorese – Allegorie
7. Narrative und deskriptive Muster der Allegorie
8. Allegorische Gattungsformen
9. Geringschätzung und Schätzung der Allegorie
10. Personifikation – allegorische Personifikation
11. Anstöße zur Allegorese
Symbol
1. Begriffsgeschichte
2. Goethes Symbolkonzeption
3. Hermeneutik des Symbols
4. Typen des Symbols
Anmerkungen
Literatur
Register
Für ANITA DE MEIJER-CONCAS UND PIETER DE MEIJER
Zwischen 1508 und 1513 entstehen Raffaels Stanza della Signatura in den vatikanischen Gemächern von Papst Julius II. Die hier im Ausschnitt abgebildete Poesia ist an der Decke über dem Fresko Der Parnass angeordnet. Philosophia und Theologia als andere wichtige Bereiche des geistigen Lebens stehen über der Schule von Athen und der Disputà, der Disputation über das Sakrament.
Einleitung
Metapher, Allegorie und Symbol sind zentrale Begriffe der Literaturwissenschaft. Aus historischen und systematischen Gründen ist es gerechtfertigt, diese Trias zusammen zu behandeln. Zur Bestimmung des einen gehörte und gehört der Vergleich mit den beiden anderen, so unterschiedlich sie sind: Metapher und Symbol sind Binnenelemente literarischer Texte, die Allegorie dagegen ist auch eine Gattungsform. Es gibt allegorische Romane, allegorische Gedichte, allegorische Dramen, ja allegorische Feste. In rhetorischer Tradition ist die Allegorie aus der Metapher abgeleitet worden. Dies ist auch heute noch üblich. Hier wird diese Ableitung bestritten. Trotzdem ist eine systematische Abgrenzung beider Formen unverzichtbar. Schließlich muß eine Analyse des Symbols auf die Analyse der Metapher zurückgreifen.
Die folgenden Analysen und Begriffsbestimmungen sind Versuche, die wissenschaftliche Verwendung dieser drei Begriffe zu klären und sie voneinander abzugrenzen. Dies geschieht vor allem mittels exemplarischer Analysen. Die Begriffsbestimmungen gehen kritisch aus von ihren gängigen wissenschaftlichen Verwendungen. Solche Begriffe könnten ohne Rekurs auf ihre Überlieferung und Verwendung beliebig neu und exakt definiert werden. Damit wird aber den Fragen ausgewichen, auf die sie eine Antwort geben sollen. Ohne Rekurs auf ihre Überlieferung und Verwendung hätte eine noch so exakte Definition keine Erklärungskraft. Begriffsbestimmungen müssen Vorwissen in Anspruch nehmen, um z. B. regelhafte Fälle von Grenzfällen unterscheiden zu können. Um klären zu können, was der Begriff »Symbol« bedeutet, muß ich mit ihm schon umgegangen sein.
Hermeneutische Wissenschaften wie die Literaturwissenschaften gehen von Traditionen, also auch von subjektiven Erfahrungen aus. Ihre Methoden und Ergebnisse sind deswegen nicht relativ, willkürlich, gar solipsistisch. Subjektivität ist so subjektiv nicht: Subjekte, die wir sind, können wir doch miteinander reden und einander verstehen. Und subjektives Wissen hat stets mehr Teil am überlieferten allgemeinen Wissen, als man meint. Der Ausgang einer Theorie von subjektiver Erfahrung schließt den ständigen Zwang ein, zu begründen, zu überzeugen, sich mit anderen, der Forschergemeinschaft, zu verständigen. Hermeneutische Begriffsbestimmung ist angewiesen auf die Voraussetzung und die Bildung von Intersubjektivität.
Die Bestimmung der drei Begriffe ist strittig, seit über sie nachgedacht wird. Dies spricht nicht gegen die Bestimmungsversuche. Begriffe in der Literaturwissenschaft werden von den Entwicklungen des literarischen Lebens ständig überholt und Revisionen unterworfen. Was als akzidentelles Merkmal galt, kann zum zentralen Merkmal der Begriffsbildung aufsteigen. Ebenso erzwingen veränderte theoretische Rahmenbedingungen, Interessen und Bedürfnisse Revisionen von Begriffen. Daher bleiben Begriffe in der Literaturwissenschaft im besten Sinne diskutabel: über ihre Anwendungsbedingungen muß man sich jeweils verständigen. Ein für alle Mal lassen sie sich nicht definieren. Auch dies spricht nicht gegen diese Begriffe, sondern macht sie brauchbar. Definitionen solcher Begriffe sind daher stets Re-definitionen.
Insofern sind diese Analysen ein Beitrag zur Diskussion und zugleich eine Einführung. Daher wurden möglichst viele Beispiele herangezogen, auch aus der englischen und französischen Literatur. Wichtige wissenschaftliche Begriffe wurden nicht vorausgesetzt, sondern erläutert. Die Sekundärliteratur habe ich auf exemplarische Titel beschränkt. Die Bibliographie zur Allegorie ist umfangreicher ausgefallen, da hier die Geschichte einer Auslegungs- und einer Gattungsform berücksichtigt werden mußte.
Für Hinweise und methodische Anregungen danke ich Renate und Bernhard Böschenstein.
Zur unveränderten Neuauflage 2009
Zu dieser unveränderten Neuauflage der fünften Auflage sei wenigstens auf zwei inzwischen erschienene Lexika verwiesen: R. Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007; G. Butzer/J. Jacob (Hg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart/Weimar 2008.
Metapher
»Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unserer Sprache.«
Wittgenstein
»The act of metaphor then was a thrust at truth and a lie, depending where you were: inside, safe, or outside, lost.«
Pynchon
1. Metaphertheorien
Es ist ein nur zu oft übersehener Wink, daß das, was bei einer Metapher geschieht, ursprünglich mit Hilfe einer Metapher charakterisiert wurde. Denn das Wort »Übertragung« (epiphora), das Aristoteles in diesem Zusammenhang verwendete, war metaphorisch verwendet. Ein Wink deswegen, weil damit stillschweigend ausgedrückt wird, daß die Beschreibung der metaphorischen Prozedur selbst wieder Metaphern voraussetzt – ebenso wie die Beschreibung der Sprache Sprache voraussetzt.
Seit über Sprache nachgedacht wird, hat die Metapher immer wieder ein besonderes Interesse auf sich gezogen. Nicht wenige sehen in der Metapher sogar das Prinzip der Sprache überhaupt. In den letzten 50 Jahren ist dieses Interesse außerordentlich gestiegen. Unübersehbar sind inzwischen die Abhandlungen geworden.¹ Sehr vereinfacht können zwei Richtungen unterschieden werden. Dafür haben sich die nicht sehr glücklichen Titel Substitutionstheorie und Interaktionstheorie eingebürgert. Die Substitutionstheorie ist die älteste und immer noch verbreitet. Sie geht auf Aristoteles zurück.²
Dieser Theorie zufolge wird bei der Metapher das ›eigentliche‹ Wort durch ein fremdes ersetzt (substituiert). Zwischen dem eigentlichen und dem fremden Wort besteht Ähnlichkeit oder Analogie. Eine Form der Substitutionstheorie ist daher die Vergleichstheorie. Ihr zufolge ist die Metapher ein um die Partikel »wie« verkürzter Vergleich.
Die Interaktionstheorie setzt voraus, daß es für einen metaphorischen Ausdruck keinen ›eigentlichen‹ Ausdruck gibt. Der metaphorische Ausdruck ist nicht ersetzbar, außer um den Preis eines Verlusts an Bedeutung. Untersucht wird nun Stellung und Funktion einer Metapher in einem Kontext, in einer Äußerung. Zwischen der Metapher und ihrem Kontext besteht semantische Inkongruenz. Ein wechselseitiger Interpretationsprozeß muß daher einsetzen (deswegen: Interaktion).³ Auch der hier vorgetragene Ansatz geht von der Interaktionstheorie aus.
Es ist immer noch lehrreich, von den Bestimmungen der Metapher bei Aristoteles auszugehen, die klassisch geworden sind. Denn wenn wir nach einer Erklärung oder Charakterisierung der Metapher gefragt werden, fällt uns wohl zuerst eine Erklärung ein, die mehr oder weniger auf die aristotelische zurückgeht. Auch orientieren sich die modernen Metapherntheorien, und sei es kritisch, immer noch am aristotelischen Erklärungsmodell.
Die Metapher ist nach Aristoteles ein Mittel der alltäglichen Redeweise (»Rhetorik«, III, 2, 6: »denn alle gebrauchen in der Unterredung Metaphern, eigentümliche und allgemein gebräuchliche Ausdrücke«. Übersetzung: F. G.Sieveke), vor allem ein Mittel der poetischen Redeweise. Unter den poetischen Mitteln ist sie »weitaus das wichtigste«. Sie setzt die Fähigkeit voraus, »Verwandtes« im Verschiedenen erkennen zu können (»Poetik«, Kap. 22) und verbindet das Verschiedene in einem Akt des »dies ist das« (»Rhetorik«, III, 2, 10). An einer solchen Formulierung kann die Interaktionstheorie ansetzen.
Die Rhetorik nach Aristoteles entwickelte die Tendenz, die poetische, damit die metaphorische Redeweise aus einer Differenz zur alltäglichen zu erklären. Daraus mußte ein Dilemma entstehen, denn man konnte ja nicht übersehen, daß auch die alltägliche Redeweise voller Metaphern ist. Die metaphorische Redeweise kann dann nicht mehr aus einer Differenz zur alltäglichen erläutert werden. Übrigens entsteht dieses Dilemma grundsätzlich auch bei allen Versuchen, die Sprache der Poesie als eine Abweichung von der Sprache des Alltags zu definieren.
Die Metapher ist bei Aristoteles etwas, das mit einem Wort geschieht. Sie ist ein Wort. Aristoteles sieht gänzlich ab vom Kontext des Wortes. Die Metapher ist eine »Übertragung eines Nomens«, das zu einer anderen lexikalischen Stelle gehört. Wie aus seinen Beispielen hervorgeht, versteht Aristoteles unter Nomen nicht nur ein Substantiv, sondern alle Wörter, die nominalisierbar sind, also auch Verben und Adjektive.
Bei der Metapher wird also ein Wort verwendet, das von anderswo kommt. Die Metapher ersetzt das richtige Wort, oder sie füllt eine lexikalische Leerstelle aus. Wo ein Wort für eine Sache fehlt, springt sie ein. Neuere Beispiele: der Ausdruck Motorhaube war ursprünglich, d. h. um 1900, eine metaphorische Bildung, entstanden aus dem Bedürfnis, eine neue Sache bezeichnen zu müssen, ebenso entstanden in der Computersprache die Ausdrücke Netz, Lesezeichen, patch, chat-room, cookie, Datenautobahn, surfen usw.
Die Metapher der Übertragung offenbart ein topologisches Modell der Sprache. Diesem Modell zufolge kann für jedes Wort ein ort angegeben werden, der ihm und nur ihm gehört, eine Sache, die es und nur es bezeichnet. Ein Wort hat nur einen ort, daher nur eine Bedeutung. Es gehört an diesen ort, genauer: es gehört diesem ort (Idion onoma). Noch eindeutiger als Aristoteles