Über dieses E-Book
Poetisch und humorvoll erkundet Dilek Güngör in »A wie Ada« die Beziehungen ihrer Protagonistin, angefangen bei deren Kindergarten- und Schulfreundschaften bis hin zu ihren eigenen Kindern und ihrem Mann. In Miniaturen lernen wir eine stolze wie auch verletzliche Frau kennen, deren zwiespältige Sehnsucht nach Innigkeit und Verbundenheit niemandem fremd ist.
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Buchvorschau
A wie Ada - Dilek Güngör
Anfangen
Du fängst aber früh an, sagt die Kindergartentante. Ada ist die Ehefrau, der Ehemann ist der neue Junge, und bevor sie sich küssen können, hat die Kindergärtnerin Ada aus seinen Armen gezogen. Später sagt der Hautarzt denselben Satz, er soll Ada ein Hautknötchen am Hals entfernen. Er lächelt und zwinkert mit dem rechten Auge, aber davon lässt sie sich nicht täuschen. Wer früh anfängt, macht sich schuldig, das hat Ada schon beim ersten Mal verstanden.
Wer spät anfängt, muss sich sputen, wer zu spät ist, verpasst den Schulbus. Und wie steht man da, um acht Uhr zehn oder erst um neun, wenn Mathe schon lange angefangen hat? Dreiundzwanzig Köpfe drehen sich zur Tür, vierundzwanzig mit dem Lehrer, der sagt, wo kommst du denn her, und das ist eine Frage, auf die Ada noch nie eine Antwort wusste. Setz dich schnell hin. Der Schulbus fährt einmal am Tag, später fahren auch noch Busse, aber keine Schulbusse, das sind Busse für Menschen, die zur Kreissparkasse müssen oder zum Arzt. Sie halten vor dem Rathaus unten im Dorf. Zur Schule führt ein langer Weg bergauf, man kommt auf jeden Fall zu spät.
Alle Freunde
Lass deine Freundin auch mal, sagt Mutter.
Mach deinem Freund Platz. Mutter nennt alle anderen Kinder deine Freunde. Gib deiner Freundin etwas ab.
Das ist nicht meine Freundin, sagt Ada.
Mutter verteilt Schälchen und Löffel für den Obstsalat. Sie lacht so, als ob sie Ach, Kindermund meint. Es heißt aber Wir sprechen uns später. Hätte Mutter die Hände frei gehabt, hätte sie Ada vor allen anderen eine geklebt.
Im Nachthemd
Ada will nicht eins sein mit jemand anderem. Selbst wenn sie mit der Freundin unter einer Decke liegt und ihren Atem im Gesicht spürt, ist Ada Ada und die Freundin bleibt die Freundin. Niemand darf ihr zu nahe kommen, niemand darf in ihrem Bett schlafen und ihr neues Nachthemd tragen.
Sie soll mein Nachthemd wieder ausziehen, sagt Ada.
Schämst du dich nicht?, sagt Mutter.
Ada hat das Nachthemd noch keinmal getragen. Jetzt hat es die Freundin an.
Du kannst doch auch im T-Shirt schlafen, sagt die andere Mutter zu ihrem Kind.
Die Freundin setzt sich auf und zieht den Arm aus dem Nachthemd.
Auf keinen Fall, sagt Mutter.
Die Freundin schaut ihre Mutter an. Der Ärmel vom Nachthemd hängt lose an ihrer Schulter.
Sie soll mir mein Nachthemd zurückgeben, sagt Ada.
Die Freundin sieht Adas Mutter an.
Dieses Kind, sagt Mutter zur anderen Mutter und sagt dann nichts mehr.
Stell dich nicht so an, sagt Mutter und stößt Ada in die Seite.
Ada weint leise. Die Freundin zieht sich das Nachthemd über den Kopf, gibt es ihrer Mutter. Die reicht es Adas Mutter, die pfeffert es Ada gegen die Brust.
Ada schämt sich, auch ohne dass Mutter es ihr befiehlt.
Die Freundin weint und bleibt doch nicht über Nacht.
Ada zieht das Nachthemd nie wieder an.
Eine Insel
Ada heißt Insel in der Sprache der Mutter, die auch die Sprache des Vaters ist. Ada war auf vielen Inseln, nie auf einer einsamen. Was soll sie dort? Eine einsame Insel ist sie selbst. Wollte man sie besuchen, müsste man alles mitbringen, was man braucht. Auf dieser Insel gibt es nicht einmal Sand, hier gibt es nur nackten Fels. Wie viel Fels ist eine Insel und wie viel bräuchte man für einen Kontinent? Ada weiß so etwas nicht, sie schaut auch nicht nach.
Was andere auf eine einsame Insel mitnehmen würden, erfährt Ada beim Kochen aus dem Radio. Eine Sache bloß darf es sein. Wasser, sagt jemand. Aber Wasser wäre nicht genug, was ist mit Essen? Oder einem Zelt? Ada wird nicht im Radio befragt, sie muss sich selbst befragen. Sie tut das, während sie auf die U-Bahn wartet und die Plüschbärchen im Kioskschaufenster auf dem Bahnsteig betrachtet, Feuerzeuge, Fernsehtürmchen, Kaffeetassen, Schlüsselanhänger, Kopfhörer. Wenn du dir aus diesem Schaufenster eine Sache aussuchen müsstest, was wäre das? Nichts davon würde sie nehmen, und weil es nur ein Spiel ist, muss sie sich nicht fürchten, niemand wird sie auf eine Insel verbannen.
Einmal oder zweimal
Wer nicht fragt, bleibt dumm, das singen sie in der Sesamstraße. Die Lehrerin sagt, dumme Fragen gibt es nicht. Ada fragt nichts, sie guckt, was die Freundin ausgerechnet hat, und radiert ihr eigenes Ergebnis wieder weg.
Aus Fehlern lernt man, auch das sagt die Lehrerin. Ada lernt aus ihren Fehlern, dass man einen Fehler nur einmal machen darf. Bloß Dumme machen einen Fehler zweimal, ihnen muss man alles dreimal sagen. Dir muss man alles hundertmal sagen, sagt Mutter. Tausendmal hat sie das gesagt, aber das hat nichts zu bedeuten. Mutter und Vater lieben und loben, fördern und fordern Ada.
Kinder lernen gut, wenn man ihnen etwas zutraut. Sie lernen noch besser, wenn man ihnen nichts zutraut und über ihre Fehler lacht. Dann lernen sie was fürs Leben.
Locken bis zum Po
Du hast mich gestaucht, sagt
