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Nostradamus und das Pendel des Todes: Bremen-Krimi Dörthe Petersen Band 3
Nostradamus und das Pendel des Todes: Bremen-Krimi Dörthe Petersen Band 3
Nostradamus und das Pendel des Todes: Bremen-Krimi Dörthe Petersen Band 3
eBook241 Seiten3 Stunden

Nostradamus und das Pendel des Todes: Bremen-Krimi Dörthe Petersen Band 3

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Über dieses E-Book

Malerin und Putzfrau Dörthe Petersen möchte sich eigentlich nur ein wenig dazuverdienen, als sie Buchhändler Bertram zusagt, an dessen Messestand für ein Wochenende auszuhelfen. Mit Befremden stellt Dörthe fest, dass einige Bücher auf ihrem Tisch gewagte Theorien dubioser Heilslehrer vertreten. Wie passt das zu Bertram? Geradezu wie Sprengstoff wirken andere: Dörthe entgeht nur knapp einem Angriff wütender selbsternannter Weltenretter.

Echter Sprengstoff lässt kurz darauf beinahe das Nachbarhaus in die Luft fliegen. Um einer erneuten Gefahr zu entgehen, müssen Dörthe und ihre Freund*innen die Hintergründe begreifen: Geht es um diese irregeleiteten Heilslehrer? Geht es um simple Eifersucht? Ist gar Hobby-Astrologin Annie, Dörthes ungeliebte Nachbarin, Ziel des Angriffs? Und welche Rolle spielt die neue Nachbarin Svantje Kooke, die viel weiß und viel verschweigt?

Der neueste Bremen-Krimi aus dem Peterswerder
SpracheDeutsch
HerausgeberKellner Verlag
Erscheinungsdatum31. Aug. 2021
ISBN9783956513077
Nostradamus und das Pendel des Todes: Bremen-Krimi Dörthe Petersen Band 3

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    Buchvorschau

    Nostradamus und das Pendel des Todes - Martha Bull

    Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek

    registriert. Die bibliografischen Daten können online

    angesehen werden:

    http://dnb.d-nb.de

    Sämtliche Charaktere dieses Romans sind frei erfunden, zufällige Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht beabsichtigt.

    Prolog

    »S o, das ist die letzte Kiste«, schnauft er und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dass Bücher so schwer sind! War das eine Schlepperei. Tausend Stück fürs Erste, wie schnell die wohl verkauft sein werden? Aber es ist kein Problem, nochmal so viele nachzudrucken. Einen Augenblick zögert er scheu, dann reißt er den ersten Karton auf.

    »Ah!« Er lächelt verzückt, nimmt behutsam ein Exemplar aus dem Karton, streicht sanft über das Cover.

    »Mein Werk!«, flüstert er ergriffen, hält es lange in den Händen, um Fassung bemüht.

    Bis zum Schluss hat er gezweifelt, ob er es schaffen würde, diese Riesenaufgabe zu vollenden. Darum hat er bisher niemandem davon erzählt. Schade, dass er es im Selbstverlag und unter einem Pseudonym herausgeben muss, um unerkannt zu bleiben. Denn er weiß um die Anfeindungen, die seinem Werk bevorstehen werden. Er denkt kurz an B., verzieht das Gesicht zu einer Fratze aus Wut und Hohn. Der würde einen Schlag bekommen oder zum offenen Angriff übergehen.

    Dabei ist er selbst lediglich ein Mittler, der große Meister in eigener Person hat ihm den Text diktiert. Er musste ihn niederschreiben.

    Nun ist die Zeit reif für die Worte, die die Welt verändern werden.

    Er greift zum Telefon.

    »Hey, hör zu, ich habe etwas für dich. Ein Meisterwerk von Ihm! Ich habe es vollendet, aber es ist Sein Wissen, es sind Seine Erkenntnisse.«

    »Wenn ich es dir doch sage! Es wird für uns alle eine neue Zeit einläuten, glaub mir. Komm, sieh es dir an. Du bist der Erste, dem ich es erzähle. Ich weiß, gerade du kannst das würdigen.«

    Er lächelt.

    »Gut, bis morgen.«

    Sein Blick schweift über die Bücherkartons. Morgen also. Es kommt ja nicht auf einen Tag an.

    Morgen wird auch für ihn ein neues Zeitalter beginnen.

    Eins

    Putzen, putzen, putzen. Ich kann das Wort nicht mehr hören, am liebsten würde ich mit einer Fuhre Dreck durch die Straßen ziehen und alles richtig schön vollsauen. Warum gibt es keine Fürstinnen oder Fürsten mehr, die ihr Künstlervolk großzügig unterhalten, hier ein paar Ländereien an einen Komponisten, dort ein schickes Landhaus an eine Malerin?

    Träum weiter, Dörthe. Ich seufze tief. Betrachte mich im Glas eines Schaufensters. Und kichere los. Mir sieht keine edle Dame in Reifrock und hochtoupierter Perücke entgegen, nix da, eine gewöhnliche Frau Anfang 60, mit schwarz-grauen Locken, schludrigen Klamotten, müdem Gang. Dörthe Petersen, du hast nichts von einer Dame alten Stils. Überhaupt, wie kommst du auf den wahnwitzigen Gedanken, gerade dich würde Fürstin Habmichlieb die 27. gefördert haben? Hör auf mit dem Quatsch. Putzen ist dein Job. Butter muss aufs Brot, Miete muss bezahlt werden, also putze ich. Punkt. Meine Bilder verkaufen sich nicht gut genug, um davon leben zu können. Künstlerschicksal, ich weiß. Selbstverschuldet, hättest ja bei deiner Banklehre bleiben können.

    Brr. Ich schüttele mich allein bei dem Gedanken und schreite forscher aus. Heute ist bei allem ein guter Tag, heute wienere ich Die guten Seiten, meine Lieblings-Buchhandlung. Mal gucken, was es für Neuerscheinungen gibt. Allerdings bloß mit einem kurzen Blick, sonst mache ich Überstunden.

    Als ich die Tür aufschließe, stutze ich. Ein großes Plakat hängt an der Tür. »Messe Rechtes Leben« lese ich die geschwungene Schrift über einem hell-bunten Prisma, darunter: »in Zeiten des Umbruchs«. Am Rand Bäume, ein Regenbogen, allerlei schöne Natur.

    Aha, denke ich, ohne wirklich etwas zu denken und trete ein. Gleich neben dem Eingang ist ein neuer Büchertisch aufgebaut, auch hier hängt dieses Plakat. Mit schnellem Blick überfliege ich die angebotenen Titel. Lauter esoterischer Kram, denke ich abfällig.

    Nicht dein Bier, Dörthe, du bist hier zum Putzen, schon vergessen? Da höre ich erregte Stimmen aus dem Büro hinten im Laden. Nanu?

    »Hallo?«, rufe ich, gehe näher. Bertram, der Buchhändler, guckt um die Ecke.

    »Ah, Dörthe, du kommst wie gerufen«, begrüßt er mich überschwänglich.

    Hoppla, will er was von mir? frage ich mich automatisch, denn sonst ist Bertram eher norddeutsch-dröge.

    »Komm mal eben rein«, fordert er mich auf. Im Büro lehnt Halim am Schrank, Arme vor der Brust verschränkt, kaut wütend auf seiner Unterlippe, wirft seinem Chef böse Blicke zu. Hui, die beiden haben Zoff. Dabei ist Halim so ein Seelchen.

    »Sieh mal, Dörthe, wir haben ein Problem, ich hoffe, du kannst uns helfen«, fängt Bertram zögernd an. »Wir haben auf der großen Messe Rechtes Leben einen Büchertisch aufstellen dürfen, das ist eine Riesenchance. Riesig, sage ich dir, da verkaufen wir mehr als in drei Monaten im Geschäft, glaub mir, ein Riesending ist das. Zehn andere Buchhandlungen konkurrierten mit uns, aber nein, wir haben den Zuschlag gekriegt. Ich kenne den Organisator, den Oram, noch aus der alten AKW-Zeit.« Bertram lacht stolz.

    »AKW und rechtes Leben?«, frage ich zweifelnd.

    »Rechtes Leben wie richtig, gerecht, nicht rechts. Mann, Dörthe, der Oram ist kein Rechter, spinnst du? Der ist ein alter Kommunist.« Bertram lacht spöttisch. » Aber ein weichgespülter. Immer noch kritisch, das schon. Sonst würde ich nicht mitmachen, für was hältst du mich? Da sind richtig gute Leute auf der Messe, mit einem Grußwort von einem richtigen Lama, warte, ich habe den Namen vergessen. Egal. Alles würde super laufen, aber jetzt …«

    Er wedelt mit der Hand in Richtung Halim, als würde er eine Fliege verscheuchen. Der schnaubt wütend, aber als ihm Bertram einen giftigen Blick zuwirft, schweigt er, ballt nur die Fäuste. »Nun hat Halim ein Problem. Es gab ein paar unschöne Szenen mit ein paar Messeteilnehmern oder Gästen oder was weiß ich, die, äh, ...«

    »Die mich als Kameltreiber und Kanaken beschimpft und mich unmissverständlich aufgefordert haben, zurück nach Anatolien zu gehen«, wirft Halim kalt ein. »Ich sagte ihnen, dass ich Bremer sei, das wollten sie nicht hören. ›Verpiss dich, Asi‹ war dabei die höflichere Variante. Und ...«, er dreht sich zu Bertram um, »das waren nicht ein oder zwei, das waren ’ne ganze Menge. Zwei Tage war ich dort, und jeden Tag das Gleiche. Ich gehe nicht mehr hin, so eine faschistische Messe sollte verboten werden.«

    »Faschistisch? Jetzt übertreib mal nicht.« Bertram ballt nun ebenfalls die Fäuste. Himmel, wollen die sich schlagen?

    »Was habe ich damit zu tun?«, frage ich schnell, um die Situation zu entschärfen.

    »Ich dachte«, erklärt Bertram, »dass du für uns den Büchertisch übernehmen könntest, die Messe geht noch drei Tage. Wir werden dich gut bezahlen, versprochen.«

    »Ich? Aber ich bin gar keine Buchhändlerin.«

    »Das ist nicht nötig, ich habe auch nicht alle Bücher gelesen, die da liegen. Die meisten Leute auf einer solchen Veranstaltung kennen sich eh aus.«

    »Hm, darf ich mir das noch mal überlegen?«

    »Nicht zu lange, bitte. Morgen früh um neun musst du in der Stadthalle sein. Ich finde so schnell keinen Ersatz.« Sein Ton wird unangenehm weinerlich. Er windet sich, sein ganzer Körper macht Bitte-bitte. Sonst spielt er gern den harten Brocken. »Janne und ich können nicht, unmöglich. Wir haben wichtige Vertreterbesuche, kommt immer alles zusammen, kennt man ja.«

    Klar, wichtig ist bei Bertram immer alles, kennt man ebenfalls. Allerdings verstehe ich nichts vom Buchgeschäft, muss ich zugeben.

    Zeit hätte ich, meine Malkurse in der Volkshochschule habe ich für diese Woche abgeschlossen. Aber ein Büchertisch wird anstrengend. Das wäre was für meine Nachbarin Annie, die sich besonders als Astrologin für die Größte hält. Mit dieser Meinung steht sie allerdings ziemlich alleine. Ob ich sie frage? Vermutlich ruiniere ich damit die Guten Seiten, muss ich mir eingestehen. Denn Annie ist in jeder Beziehung besonders.

    »Bitte, Dörthe, nächste Woche putzt Janne für dich, damit es nicht zu viel wird, wir bezahlen das trotzdem«, fleht Bertram nun.

    Was sagt deine Frau dazu?, möchte ich fragen, aber das sollen die beiden unter sich ausmachen, entscheide ich. Halim stößt sich von der Wand ab, geht mit steifen Schritten zur Tür. »Ihr braucht mich ja nicht mehr. Tschüs, morgen komme ich also ins Geschäft.«

    »Ja, ja, Tschüs«, mault Bertram, sieht dem jungen Mann böse hinterher. »Bald brauchen wir dich gar nicht mehr«, knurrt er leise vor sich hin, sieht erschrocken zu mir her und erklärt schnell: »Du hast nichts gehört, Dörthe. Mit Halim habe ich ein spezielles Hühnchen zu rupfen.«

    Ich zucke mit den Achseln, da mische ich mich nicht ein.

    Natürlich wickelt er mich um den Finger, so dass ich endlich zustimme. Ich kann immer noch nicht gut Nein sagen. Sein Angebot ist allerdings verlockend. Insgeheim frage ich mich, woher er das Geld nimmt. Ein Büchertisch kostet bestimmt eine Menge Standgebühren. Ob er tatsächlich so gut verkaufen kann, wie er es sich erhofft? Schrecklich viel wirft die Buchhandlung in dieser Seitenstraße bestimmt nicht ab. Zumindest weiß ich von Janne, dass mancher Monat zu wenig einbringt.

    Aber ich zerbreche mir wieder anderer Leute Kopf, ich sollte mich um meinen eigenen Kram kümmern. Und der heißt im Augenblick: Die guten Seiten putzen, denn das muss ich trotz allem heute.

    Ich verweile einen Moment bei dem neuen Büchertisch. Das werden also die Titel sein, die ich verkaufen soll. Schnell sehe ich, dass ein paar kluge, bedeutende Autorinnen und Autoren ausgestellt sind. Das ein oder andere Buch habe ich sogar im eigenen Regal stehen, vielleicht hat Halim wirklich überreagiert. Siehe da, Hannah Arendt: Die Freiheit, frei zu sein. Das klingt ganz und gar nicht nach einer faschistischen Messe. Hier, der Dalai Lama, gleich mit mehreren Titeln, überhaupt ist der Buddhismus mehrfach vertreten. Jedoch auch dieses: Greseldus: Engelskinder, das Heilige Kind in dir. Diese mit Tüchern wedelnde Frau auf dem Titelbild erinnert mich an die frühen Nacktfotos des Neunzehnten Jahrhunderts, fehlt nur der Sepia-Ton.

    Ich kichere. Dörthe, lass sein, das gehört eben auch dazu. Der Klappentext verspricht mir in schwülstigen Sätzen, dass ich in zwanzig Stunden Zugang zu meinem heiligen Ich finden und glücklich sein werde. Aha. Warum meinen diese selbsternannten Propheten nur, sie müssten die Sprache vergewaltigen, damit man ihnen glaubt? Warum müssen die Autoren sich solche Fantasienamen zulegen? Wieder sehe ich zu Hannah Arendts Schrift hin. Die hatte das nicht nötig.

    Immer noch kichernd kippe ich das Putzwasser ins Klo, wische alles trocken und gehe nach Hause. Zwanzig Stunden auf der Messe, das wird gut hinkommen, da bin ich also in drei Tagen geläutert und glücklich. Was will ich mehr?

    Zwei

    Ich bin müde vom frühen Aufstehen und zugleich aufgeregt wie ein Kind am ersten Schultag, als ich am nächsten Morgen in die Stadthalle hetze zu »meinem« Büchertisch. Er steht im Vorraum zur Cafeteria, so dass ständig Menschen vorbeikommen werden. Der Stand neben mir ist mit ein paar indischen Tüchern bunt geschmückt, den Tisch bedeckt ein Teppich. Das sieht einladend aus. Was verkaufen sie? Ein älterer Mann holt Klangschalen aus einem Karton, reicht sie an eine junge Frau weiter, die sie gekonnt auf dem Tisch anordnet. Sie sind ein eingespieltes Team, merke ich. Etwas an den beiden zieht mich an. Ist es ihre selbstverständliche Fröhlichkeit? Ihre Ruhe?

    Dörthe, das kommt dir so vor, weil du aufgeregt bist. Und, ja, weil du alleine bist. Mit einem Mal fühle ich mich sehr einsam und überfordert. Ich denke an die langen, langen Stunden, die ich mit diesen fremden Büchern verbringen muss. Wie soll ich das durchstehen?

    Ach was, wenn es gut geht, werde ich viel zu tun haben, wenn nicht, kann ich mit den Nachbarn reden. Niemand zwingt mich, wie ein Ölgötze hinter dem Büchertisch stehen zu bleiben.

    Überhaupt, Büchertisch, wie wäre es, wenn du dir überlegst, wie auch du dein Angebot gekonnt anordnest? Ich trete einen Schritt zurück. Langweilig ist das, Dörthe, wo ist deine Kreativität? Dein Blick für Ästhetik? Der schöne Nachbartisch spornt mich an. Ich beginne, die Bücher hin- und herzuschieben, bis mir das Arrangement gefällt. Gut.

    »Das war’s«, erklärt der Nachbar, faltet den Karton zusammen und verstaut ihn hinter dem Tresen. Er drückt die Frau herzlich. »Bis nachher«, grüßt er, nickt mir lächelnd zu. »Guten Verkauf«, wünscht er mir.

    Mir? Oh, wie nett! »Danke«, murmele ich perplex, sehe ihm interessiert hinterher. Sympathischer Mensch, denke ich.

    Wie versuchsweise lässt die junge Frau einen satten Klang herüberschwingen. Oh! Ich blicke erstaunt auf, spüre, wie ich mich ein wenig entspanne. Von einem Ton? Wie ist das möglich?

    Die Frau lächelt freundlich. »Ich bin die Maria«, stellt sie sich vor. »Kommt Halim nicht?«

    »Nein, er wollte nicht mehr. Ich bin Dörthe«, erkläre ich vorsichtig. Wie viel kann ich sagen?

    »Verstehe ich.« Sie nickt. »Es gab ein paar eklige Szenen.« Sie scannt den Raum, als suche sie nach einem Schuldigen, aber alle um uns herum sind mit sich und dem Aufbauen beschäftigt.

    Ehe wir weiterreden können, kommen die ersten Interessenten. Sie geht sofort in ihrem Verkaufsgespräch auf. Sie ist eine sympathische junge Frau, die für ihre Klänge lebt, wie mir scheint. Ich beobachte sie neugierig bei ihrer Arbeit, eventuell kann ich etwas lernen.

    Erst komme ich mir wie eine Etikettenschwindlerin vor, als ich den Büchertisch betrachte. Hoffentlich fragt mich niemand nach dem Inhalt dieser Werke oder wünscht gar eine Empfehlung. Zwar habe ich mir einen schnellen Überblick verschafft, indem ich die Klappentexte überflogen habe. Einem ernsthaften Gespräch könnte ich allerdings unmöglich standhalten.

    Aber die Sorge ist überflüssig. Bertram hat recht, die meisten kaufen nach einem kurzen Blick auf die Auslage gezielt und ohne weiteres Gespräch. Andere studieren aufmerksam Klappentext und Inhaltsangabe, viele scheinen mit den Titeln oder Autoren auf irgendeine Weise vertraut zu sein. Klar, wer zu dieser Messe kommt, wird wissen, was sie oder ihn erwartet.

    Eine ältere Frau im bequemen Hosenanzug, Typ erfolgreiche Geschäftsfrau, bleibt am Tisch stehen. Ihr Begleiter scheint von dem Zwischenstopp nicht begeistert. Er sagt zwar nichts, sieht aber sehnsüchtig zur Cafeteria hinüber.

    Dörthe, das denkst du dir aus, weil du Lust auf einen Kaffee hast, der Mann bewegt sich einfach langsamer. Kann am Alter liegen, der ist garantiert längst in Rente. Er macht einen distinguierten Eindruck, markantes Gesicht, weiße Schläfen, na gut, ein wenig zu viel Bauch.

    Dörthe, du bist hier nicht auf dem Heiratsmarkt.

    Auf jeden Fall schön, festzustellen, dass auch solche Menschen hier sind.

    Du und deine Vorurteile, denkt eine zweite Dörthe.

    Die Frau überfliegt die Auslage, greift stirnrunzelnd nach dem Pendel des Nostradamus von Aureolus Bihun, überfliegt den Klappentext, wirft einen kurzen Blick ins Inhaltsverzeichnis und brummt missmutig: »Scheint neu zu sein. Ist trotzdem aufgewärmter Quatsch. Auch dafür wurden Bäume abgeholzt, es ist eine Schande. 29,90 Euro? Dafür kaufe ich mir lieber lauter gelbe Quietscheenten für die Badewanne.«

    »Tine, du hast keine Badewanne«, erinnert sie ihr Begleiter todernst. Mit zuckenden Mundwinkeln fügt er an: »Den Namen Bihun hat er bestimmt von der Suppenpackung abgeguckt.«

    Sie lachen beide schallend. Ich kann mir nur mühsam verkneifen, mit einzufallen. Diese Tine wischt sich die Lachtränen aus den Augen, deutet auf einen Eintrag ganz hinten im Buch: »Es gibt sogar eine Internetseite der ›Ritter des Pendels‹, wie sie sich nennen. Ich wette, dieser Suppenkasper beweist, dass Nostradamus das Internet bereits vorherge... äh … pendelt hat.« Erneut juchzen sie vor Vergnügen. Erst langsam wird die Frau wieder ernster und weist auf Thors Hammer: Wie wir den Weltuntergang verhindern können.

    »Den kenne ich, den Wilbur Hyvent, der war vor zwei Jahren in Hamburg in meinem Seminar, damals hieß er noch Stefan Kirchner. Der ist garantiert gegen besagten Hammer gerannt, sag ich dir.« Da wirft sie mir einen schnellen prüfenden Blick zu. Als sie mein Grinsen sieht, nickt sie und wendet sich direkt an mich: »Klingt komisch, ist es bis zu einem bestimmten Grad sogar, aber dieser Mann ist gefährlich. Er ist ebenfalls eingeladen, einen Vortrag zu halten. Gruselig, garantiert. Er gehört inzwischen einer dieser obskuren Grüppchen in Altona an. Der hatte damals schon starke Tendenzen zum Fanatismus. Ihre Auslage wird ihm kaum gefallen. Auch nicht das Pendel. Stefan stützt sich auf Germanenmythen, Ariertum, Sie wissen schon.« Sie schüttelt widerwillig den Kopf, will noch etwas anfügen, schweigt aber mit einem vorsichtigen Blick über die Schulter.

    Ihre Heiterkeit ist wie weggeblasen. Hat sie etwa Angst? Was macht sie dann hier? Ehe ich darüber nachdenken kann, platzt es aus mir heraus: »Warum sind Sie auf dieser Messe, wenn Sie diese Leute ablehnen, vielleicht sogar fürchten?«

    Überrascht sieht sie mich an, räuspert sich, als wolle sie ihre Gedanken sortieren. »Es ist vieles richtig, was hier vorgetragen wird, es gibt hochinteressante philosophische und politische Beiträge.«

    »Zum Beispiel der von Professorin Christina Nüdorf zum Thema ›Esoterik und Rechtsradikalismus‹«, unterbricht ihr Begleiter galant mit einer angedeuteten Verbeugung.

    Ups, eine Professorin! Die Angesprochene übergeht die Bemerkung, als wäre nichts gewesen und fährt fort: »Es wird viel diskutiert, manchmal grenzwertig, das allerdings. Meiner Meinung nach muss eine Gesellschaft das aushalten, dass sie kritisiert wird. Dass sich zunehmend solche Elemente daruntermischen, lässt sich kaum verhindern. Es ist freilich, wie auch auf Ihrem Tisch, eine kleine Minderheit.« Sie runzelt die Stirn und erklärt ein bisschen aggressiv: »Schließlich sind Sie ebenfalls hier. Sie verkaufen genauso von

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