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Kursbuch 216: Passt euch an!
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Kursbuch 216: Passt euch an!
eBook173 Seiten2 Stunden

Kursbuch 216: Passt euch an!

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Über dieses E-Book

"Anpassung" hat einen schlechten Ruf. Die Angepassten passen sich an, statt selbst Akzente zu setzen. Es ist fast ein Schimpfwort, fast ein Synonym für Feigheit, auf jeden Fall für Passivität. Das Kursbuch fordert deshalb: Passt Euch an! Denn Anpassung ist nur auf den ersten Blick etwas Passives. Fast alle Beiträge dieses Kursbuchs weisen darauf hin, dass Anpassung ein höchst komplexer Vorgang ist. Dabei wird deutlich: Wir sind immer schon angepasst! Und selbst wenn wir aktiv auf die Dinge zugreifen, gerade nicht angepasst sein wollen, bedarf es der Anpassung an die Verhältnisse. Ohne adaptives Verhalten und adaptive Strategien keine Überwindung von Anpassung.

Deutlich sichtbar im Beitrag von Joachim Müller-Jung, der die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Anpassungsmöglichkeiten an Klimawandelfolgen auslotet. Frauke Kreuter wiederum fragt, wie sich Künstliche Intelligenz und die Gesellschaft zueinander verhalten. Hans-Otto Thomashoff zeigt, dass Konflikte, binäre Schemata, Freund/Feind-Unterscheidungen, überhaupt soziale Interaktion stets mit gegenseitigen Anpassungsleistungen zu tun haben, die sich derart stabilisieren können, dass es daraus keinen Ausweg gibt. Sibylle Anderl macht auf nicht-lineare Formen der Ordnungsbildung aufmerksam, auf Feedback-Schleifen und darauf, dass es evolutionär geradezu naturgesetzlich zu Komplexitätssteigerungen kommt.

Die Paläoklimatologin Madeleine Böhme zeigt schließlich, dass es in der Erdgeschichte schon öfter Erwärmungsphasen gegeben hat – und wie sich diese zu der gegenwärtigen Menschengemachten verhalten. Die Intermezzo-Frage lautete diesmal Wie angepasst sind Sie? Antworten von Katharina Berger, Juliane Engel, Suzanna Randall, Irmhild Saake Philipp Staab und Olaf Unverzart.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Dez. 2023
ISBN9783961963287
Kursbuch 216: Passt euch an!

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    Buchvorschau

    Kursbuch 216 - Armin Nassehi

    Armin Nassehi

    Editorial

    »Anpassung« hat eine schlechte Presse. Die Angepassten sind diejenigen, die sich eben anpassen, statt selbst Akzente zu setzen. Es könnte fast ein Schimpfwort sein, fast ein Synonym für Feigheit, wenigstens Indifferenz, auf jeden Fall referiert es auf Passivität. Und dann kommt das Kursbuch und fordert auch noch auf: Passt euch an! Wie das?

    Anpassung scheint nur auf den ersten Blick etwas Passives zu sein. Was fast alle Beiträge dieses Kursbuchs eint, ist der Hinweis darauf, dass Anpassung ein höchst komplexer Vorgang ist, der mehr verdient als jene schlechte Presse, die man ihr im ersten Moment zuspricht. Selbst unter den Herausgebern war es zunächst umstritten, ob man eine solche Aufforderung überhaupt formulieren kann – aber wenn man die Beiträge liest, wird deutlich, dass es einer solchen Aufforderung gar nicht bedarf, weil sie immer schon befolgt wurde: Wir sind immer schon angepasst! Und selbst wenn wir aktiv auf die Dinge zugreifen, gerade nicht angepasst sein wollen, bedarf es einer Anpassung an die Verhältnisse. Ohne adaptives Verhalten und adaptive Strategien keine Überwindung von Anpassung.

    Am deutlichsten wird das in dem Beitrag von Joachim Müller-Jung, der die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Anpassungsmöglichkeiten an Klimawandelfolgen auslotet. Ein weiteres Motiv der Beiträge besteht darin, dass gar nicht immer ausgemacht ist, welche Seite sich an welche anpasst, kybernetisch gesprochen hieße das: wer Kontrolleur ist und wer Objekt der Kontrolle. Frauke Kreuter etwa fragt in ihrem Beitrag, wie sich künstliche Intelligenz und die Gesellschaft zueinander verhalten. Sie diagnostiziert letztlich wechselseitige Anpassungsverhältnisse. Und Hans-Otto Thomashoff zeigt, dass Konflikte, binäre Schemata, Freund/Feind-Unterscheidungen, überhaupt soziale Interaktion stets mit mutuellen Anpassungsleistungen zu tun haben, die sich derart stabilisieren können, dass es daraus innerhalb dieser Dynamik keinen Ausweg gibt – es sei denn, es gibt die Chance, diese Form reflexiv sichtbar zu machen. Auch mein eigener Beitrag setzt an dem Gedanken an, dass Anpassung selbst ein aktiver Vorgang ist und die Komplexität von Innen-Außen-Verhältnissen berücksichtigt werden muss.

    Sibylle Anderl erhöht dann das Komplexitätsniveau noch, indem sie auf nichtlineare Formen der Ordnungsbildung aufmerksam macht, auf Feedbackschleifen und darauf, dass es evolutionär geradezu naturgesetzlich zu Komplexitätssteigerungen kommt. In eine ähnliche Richtung weist das Gespräch, das wir mit der Paläoklimatologin Madelaine Böhme geführt haben. Auch hier geht es um Feedbackphänomene, um Rückkopplungen und evolutionäre Eigendynamik – und um mehr Demut bei der Erkenntnis. Sie zeigt, dass es in der Erdgeschichte schon öfter Erwärmungsphasen gegeben hat – und wie sich diese zu der gegenwärtigen menschengemachten verhalten.

    Wieder haben wir Autorinnen und Autoren um kurze Intermezzi gebeten. Die Intermezzo-Frage lautete diesmal Wie angepasst sind Sie? Und wieder sind sehr unterschiedliche Texte entstanden, diesmal von Katharina Berger, Juliane Engel, Suzanna Randall, Irmhild Saake und Philipp Staab. Das Intermezzo von Olaf Unverzart besteht aus acht Fotografien mit an ihre Umwelt adaptierten Motiven.

    Die Grafiken von Jan Schwochow zeigen diesmal die Entwicklung der Weltbevölkerung von 1950 bis 2021, die in diesen 71 Jahren von circa 2,5 auf fast acht Milliarden Menschen gestiegen ist. Schlüsselt man dieses Wachstum nicht nur nach Altersgruppen, sondern auch nach Kontinenten auf, stellt sich ein erheblich differenzierteres und vielfältigeres Bild dar, vor allem im Hinblick auf mögliche Prognosen der Weiterentwicklung. Die Frage, wie dieses Bevölkerungswachstum, das in den nächsten 40 Jahren circa zehn Milliarden Menschen aufweisen wird, sich an die nicht wachsende Erde anpassen wird oder diese an die hohe Bevölkerungszahl, lässt sich den Grafiken nicht entnehmen – aber dass es zu Anpassungsnotwendigkeiten kommen wird und muss, wird hier ästhetisch sehr ansichtig.

    Sehr freuen wir uns wieder über das nunmehr neunte Islandtief von Berit Glanz, die diesmal auf die Flüchtigkeit menschengemachter Bauwerke im Angesicht der sie transzendierenden Zeitdimension der Natur aufmerksam macht.

    Wirklich bemerkenswert ist Peter Felixbergers FLXX-Kolumne. Er zeigt, zum Teil persönlich erfahrungsgesättigt, wie sich mit der Distribution von Waren und Inhalten im Netz nicht nur die Vertriebswege verändern und das Angebot erhöht. Er zeigt, dass mit der Anpassung des Marktes an die Möglichkeiten des Internethandels die Eigendynamik Marktentwicklungen in Richtung Diversifikation und Pluralität verschiebt. Diese Anpassungsleistung dekonstruiert zugleich den Mythos der Planbarkeit und Kontrolle solcher Märkte. Peter schreibt: »Denn Wikinomics entzauberte den Mythos des Genies in der Chefetage oder des Kapitäns auf der Kommandobrücke eines Unternehmens. Besser herrscht transparente Unübersichtlichkeit als jene vornehme Verschwiegenheit der diskreten Gesellschaft.« Anders gewendet: Das komplexe Geschehen der Welt von Amazon und Co. wird nicht passend gemacht, es formt sich in einer Dynamik der Selbstanpassung.

    Spätestens damit sollte erwiesen sein, dass die schlechte Presse von »Anpassung« völlig unverdient ist. Passt euch an! ist tatsächlich eine Anweisung, die immer schon erfüllt wurde, sobald irgendetwas geschieht. Die Frage ist nur, wie. Denn das gilt nicht nur für Anpasser.

    Jan Schwochow

    Eine Quelle, zwei Grafiken

    Zeit zum Handeln

    Wir bringen unseren Planeten und uns selbst in große Schwierigkeiten. Das müsste normalerweise jedem Menschen inzwischen klar sein: Wir selbst stellen das Problem dar. In den letzten 200 Jahren wuchs die Bevölkerung der Erde von einer auf acht Milliarden an, und das ist noch nicht das Ende. Vor Kurzem veröffentlichte »Our World in Data« schockierende Zahlen: Jeden Tag werden 202 Millionen Hühner (das sind 140 000 in der Minute!), 900 000 Rinder, 3,8 Millionen Schweine, 3,1 Millionen Ziegen und Schafe geschlachtet. Diese Zahlen wirken für sich, weshalb ich daraus keine Grafik erstellen wollte. Ich habe in der gleichen Quelle Daten gefunden, die unsere Herausforderung auf eine sehr einfache Weise visualisieren: der Anstieg der Bevölkerung aus den letzten rund 70 Jahren, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen. In der globalisierten Welt machen uns Klimakrise, Pandemie, Kriege und der Kampf um Ressourcen zu schaffen, aber auch kulturelle Unterschiede stehen vermehrt im Fokus, vor allem die Migration. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Zusammenhänge komplex und nicht so einfach zu lösen sind. Die Probleme betreffen jeden Menschen auf dieser Erde und wir müssen uns diesen gemeinsam stellen – wir müssen uns der neuen Situation anpassen. Wir müssen globale Lösungen finden, wenn unsere Welt nicht aus den Fugen geraten soll. Dabei kann uns der nüchterne Blick auf Grafiken helfen. In den von mir ausgewählten Daten stecken allerdings noch mehr Detailinformationen, die in dem einfachen Chart verloren gehen. Ich habe die Zahlen in der zweiten Grafik auf Kontinente verteilt, was uns einen differenzierten Blick ermöglicht. Für mich ist klar: Wir werden um das Thema Migration nicht herumkommen. Während die Bevölkerung bei uns in Europa überaltert, sind über die Hälfte aller Menschen in Afrika unter 25 Jahre alt. Europa wird Zuwanderung benötigen – und das am besten kontrolliert. Dafür sollten schon längst die Weichen gestellt sein. Es braucht einen Masterplan, die nötige Infrastruktur und vor allem Maßnahmen zur Integration. Wir müssen uns weiter den Gegebenheiten anpassen – über alle Grenzen hinweg. Es kann keinen Weg zurück geben, denn schon jetzt sind wir eine multikulturelle Gemeinschaft. Gleichzeitig müssen wir uns darum bemühen, dass Menschen erst gar nicht mehr aus ihrer Heimat fliehen müssen.

    Olaf Unverzart

    Viel zu wenig

    Von allem zu viel.

    Autos, Flüge, Schnitzel, Menschen.

    Geht’s jetzt ums Wollen oder Brauchen?

    Geht’s um mehr oder auch mal weniger?

    Als Kind wurde mir der Ernst des Lebens angedroht.

    Am nächsten ist man sich selbst als Mensch.

    Da ja nichts so bleibt, wie es war, damals wie heute, wird Anpassen relevant.

    Same same, but different

    Friseur, Mosambik, 2012

    Graduieren, Athen, 2023

    Bonneville, Sveg, 2023

    Maibaumfest, Aying, 2023

    Krokodil, Sveg, 2023

    Parkplatz, Moncalvo, 2023

    Akropolis, Athen, 2023

    Überflug, Baltisches Meer, 2023

    Sibylle Anderl

    Bis es kippt

    Über nichtlineare, komplexe Anpassung in Systemen

    Ständig sollen wir uns anpassen. An das sich verändernde Klima, an neue Zielgruppen, sich verändernde Weltlagen, schnellere Arbeitsrhythmen. Gott sei Dank sind nicht nur wir betroffen. Unsere Umwelt ist mit ähnlichen Erwartungen konfrontiert. Büros sind so geplant, dass sie sich an wechselnde Homeoffice-Besetzungen und variierende Arbeitskontexte anpassen können, wir erwarten von unserem Streamingdienst, dass er sich an die Entwicklung unseres Geschmacks anpasst, und bei meiner Topfpflanze hoffe ich, dass sie sich an meine individuellen Gießroutinen anpassen kann. Das ist alles nicht selbstverständlich. Und dass wir die Möglichkeit der Anpassung oft ganz unkritisch voraussetzen, sagt einiges über unsere Art des Denkens aus.

    Denn wenn wir erwarten, dass eine kleine Änderung der äußeren Bedingungen auch eine nur kleine Änderung aufseiten des darin existierenden stabilen Systems als Anpassung erfordert (das sollte ja wohl möglich sein!), dann ist dieses Denken linear – und damit sehr typisch für unsere menschliche Grundstrategie der Weltdeutung seit der naturwissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert. Ursachen haben demnach klar vorhersagbare Wirkungen, und Wirkungen sind zu ihren Ursachen proportional.

    Dass es in Wirklichkeit nicht so einfach ist, sehen wir allein daran, dass Topfpflanzen bisweilen doch eingehen, wenn man es mit der Gießflexibilität übertreibt, dass der Streamingdienst nicht mitkommt, wenn sich unser Geschmack zu abrupt ändert, dass T-Shirt-Bündchen ausleiern, wenn man sie überdehnt, und Menschen manchmal aus heiterem Himmel kündigen, wenn eine Kleinigkeit ihre Arbeitnehmergeduld final überstrapaziert.

    Derartige Katastrophen beruhen auf Nichtlinearität. Kleine Ursachen können manchmal und auch unvorhergesehen große, ja dramatische Folgen haben. Von Anpassung kann man dann nicht mehr sprechen. Brücken brechen, der Hefeteig kollabiert, der See kippt um. Auf der anderen Seite ist Nichtlinearität aber die Grundlage, dass Anpassung überhaupt möglich ist, denn nur wenn Systeme ausreichend komplex sind, können sie ihre interne Organisation variieren und so umstellen, dass sie in einer veränderten Umgebung weiterexistieren können: Komplexe, nichtlineare Systeme haben viele kausal wirksame Komponenten, die untereinander in Wechselwirkung stehen und sich bei Bedarf untereinander auch funktional ersetzen können.

    Nichtlineare Dynamik

    Die Wissenschaft, die man braucht, um diese komplexen Systeme und ihr Verhalten zu verstehen, ist die nichtlineare Dynamik, die in enger Verwandtschaft

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