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James Bond - Doppelt oder nichts: Ein Roman aus der explosiven Welt von James Bond 007
James Bond - Doppelt oder nichts: Ein Roman aus der explosiven Welt von James Bond 007
James Bond - Doppelt oder nichts: Ein Roman aus der explosiven Welt von James Bond 007
eBook480 Seiten6 Stunden

James Bond - Doppelt oder nichts: Ein Roman aus der explosiven Welt von James Bond 007

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Über dieses E-Book

JAMES BOND IST VERSCHWUNDEN.
007 wurde von einer zwielichtigen privaten Militärfirma entführt, vielleicht sogar getötet. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt.
 
EINE NEUE GENERATION VON AGENTEN …
Johanna Harwood, 003. Joseph Dryden, 004. Sid Bashir, 009. Zusammen repräsentieren sie die Besten und Klügsten des MI6. Kompetent, entschlossen und mit der Lizenz zum Töten. Um ihr Land zu schützen, sind sie zu allem bereit.
 
DAS SCHICKSAL DER WELT RUHT IN IHREN HÄNDEN …
Tech-Milliardär Sir Bertram Paradise behauptet, den Klimawandel rückgängig machen und den Planeten retten zu können. Doch stimmt das auch? Die neuen Agenten müssen die Wahrheit herausfinden, denn die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel.
DIE ZEIT LÄUFT AB.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum2. Mai 2023
ISBN9783986662011
James Bond - Doppelt oder nichts: Ein Roman aus der explosiven Welt von James Bond 007

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    Buchvorschau

    James Bond - Doppelt oder nichts - Kim Sherwood

    VERABREDUNG MIT DEM TEUFEL

    »Wer einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Menschheit«, sagte der Weißhelm.

    Sid Bashir machte kein Foto. Er ließ die Kamera sinken. Nahm den Finger vom Auslöser.

    Freundlich klopfte ihm der Weißhelm auf den Arm. »Eins müssen Sie wissen, Bruder. Die Weißhelme fühlen sich diesen Worten aus dem Koran verpflichtet. Jeder, der einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Menschheit.«

    Bashir senkte den Kopf. »Das hat meine Mutter auch immer gesagt.«

    »Allah möge sie segnen. Sie hat Sie gut unterrichtet. Früher habe ich Waffen getragen. Aber es ist besser, den Leuten mein Leben zu schenken, als anderen das Leben zu nehmen.«

    »Möge Allah auch Ihre Familie segnen.« Als der Truck unerwartet einem Schlagloch auswich, klammerte Bashir sich an die Sitzbank. In seiner Brust brannte der Rauch, der sich wie Beton in seiner Kehle festgesetzt hatte, als er in den langen Minuten nach der Detonation einer Streubombe den freiwilligen syrischen Rettungskräften ins Feuer gefolgt war und im Schutt nach Überlebenden gegraben hatte. Das Lagerhaus des Roten Halbmonds hatte über ihnen geächzt und gestöhnt, bevor es geschwankt hatte, die Wände eingestürzt waren und es in einer Putzwolke in sich zusammengefallen war. Bashir schob die Ärmel seiner ramponierten Barbour-Jacke hoch, sodass seine Casio zum Vorschein kam. Er hatte sich am Unterarm verletzt und wischte Blut vom Ziffernblatt. Mit jeder weiteren Sekunde verringerten sich ihre Chancen. Fünf Minuten bis zum Ausstiegspunkt.

    Der Mann neben ihm nahm den weißen Helm ab, auf den man mit Permanentmarker seinen Namen geschrieben hatte, schüttelte sich Staub und Schutt aus den Haaren und setzte den Helm wieder auf. Als Bashir ihn fotografierte, ließ er es geschehen, doch sein Blick war neugierig. »Ich habe schon viele Fotojournalisten kennengelernt, Sir. Sogar von Reuters. Ich habe gesehen, wie sie Opfer in ihre Autos gezerrt und unter Beschuss in Krankenhäuser gefahren haben. Kinder vor Angriffen geschützt haben. Ihre Splitterschutzwesten verschenkt haben.« Der Weißhelm schnaubte. »Aber nie habe ich erlebt, dass ein Fotojournalist das getan hat, ohne zuerst ein Foto zu machen. Sie sind ins Feuer gerannt und haben kein einziges Foto gemacht. Nicht, bevor wir die Toten geborgen hatten. Vielleicht sind Sie besonders anständig. Aber Sie sind kein Kriegsfotograf. Und Sie halten Ihre Kamera wie eine Waffe.«

    Bashir senkte den Blick. Drei Finger am Griff, Daumen am Lauf, Zeigefinger am Abzug. Sein Herz raste. »Das ist mein erster Krieg.« Er lächelte zaghaft. »Noch habe ich meine Menschlichkeit nicht ganz abgelegt.«

    Eingehend betrachtete der Mann Bashir. Der Schweiß der anderen Freiwilligen, das Knirschen ihrer feuerfesten Kleidung, die Schmerzensschreie aus dem medizinischen Laster hinter ihnen, der Wind, der vom Berg herunter gegen das Fahrgestell drückte, plötzlicher Donner über ihnen, die Männer, die die Oberschenkelmuskeln anspannten und in die Höhe schossen, bevor jemand etwas sagen konnte, bis einer die Hand hob und rief: »Ist nur ein ziviles Flugzeug« – all das füllte die Stille aus. Der Weißhelm zuckte mit den Schultern. »Das glaube ich nicht, Sir. Ich glaube, Sie machen sich mehr Sorgen um Ihren eigenen kleinen Krieg als um unseren. Aber ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Vielleicht haben Sie heute Ihre Seele gerettet. Ich glaube, hier wollten Sie abgesetzt werden … für Ihren nächsten Fotoauftrag.«

    Darauf fiel Bashir keine Erwiderung ein und er erhielt auch keine Gelegenheit mehr, da der Lkw zum Stehen kam.

    Der Weißhelm rieb sich die schweißnassen Hände, als wollte er sie sich von Bashir reinwaschen. Trotzdem ergänzte er noch: »Denken Sie daran, Bruder: Wer einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Menschheit.«

    Beim Aufstehen musste Bashir den Kopf einziehen. Seine Mutter hatte ihn dazu erzogen, diesen Leitspruch im Herzen zu tragen, doch er hatte sich bereits vor langer Zeit einer anderen Philosophie verschrieben. Man hatte Sid Bashir eine Nummer und die Lizenz zum Töten verliehen. Er war 009 und angesichts der Berechnungen, die seine Aufgaben ihm abverlangten, fiel ihm der Glaube daran, dass die Rettung eines Menschen sozusagen die Rettung der Menschheit der ganzen Welt bedeutete, zunehmend schwerer. Eher würde er ein Leben opfern, um viele zu retten. Vielleicht war das kaltherzig, doch Logik ließ dem Herzen keinen Raum.

    Heute jedoch, heute Abend würde Bashir versuchen, ein Leben zu retten, eine Seele, und selbst wenn es der Welt nicht viel bedeutete, bedeutete es ihm umso mehr.

    Die Türen gingen auf. Bashir bedankte sich und sprang auf eine schmale Landstraße, die sich vom Gebirge herabwand. Der fahle Mond schien auf die geschundene Erde und den brüchigen Asphalt.

    Die Lkw ratterten weiter, ihre Lichter verschwanden in der Ferne und mit ihnen die Motorengeräusche, bis sich auf dem riesenhaften Bergrücken nur noch ein kleiner schwarzer Punkt bewegte, die Gestalt Bashirs, die sich beharrlich hocharbeitete, flach auf den Boden geduckt, verschluckt von den Schatten der Kiefern. Während sich die Minuten dahinzogen, schien sich weit oben ein zweiter schwarzer Punkt aus den seerosenblattförmigen Schatten vorbeiziehender Wolken zu lösen und den Berg hinabzusteigen. Dieser zweite schwarze Punkt schlug Haken und seinen Schatten kennzeichnete die unverkennbare Silhouette einer Waffe. Waffe und Schatten gehörten zu Corporal Iljassow, der seine erste Mission für Rattenfänger PMC ableistete.

    Rattenfänger PMC bot für die Dienstzeit von einem Monat und einen Fronteinsatz ein durchschnittliches Jahresgehalt in einer beliebigen Währung, egal wo sich die Front gerade befand oder wie offiziell oder inoffiziell sie war – Jemen, ein Konzert- oder Gotteshaus, die Zentralafrikanische Republik, eine U-Bahn in einer Welthauptstadt. PMC stand für Private Military Company oder Perfide Mörderclique, denn wenn man Rattenfänger als privates Militärunternehmen bezeichnete, wäre das so, als würde man die Mafia einen Gesellschaftsclub nennen. Unter dem Deckmantel ständig wechselnder Strohfirmen bestand Rattenfänger aus profitgierigen Terroristen, Plünderern, die instabile Situationen in Kriegsgebiete und friedliche Straßenzüge in Tatorte in den Abendnachrichten verwandelten. Seine Soldaten und Basen waren international. Bei zahlreichen Bombenattentaten auf Botschaften, Entführungen, schweren Diebstählen, zu wenig beachteten Bürgerkriegen und Datenlecks fand sich seine Spur. Allerdings ließ sich diese nie zurückverfolgen, genauso wenig wie seine Hintermänner.

    Doch all das hatte für Corporal Iljassow keine Bedeutung, für ihn zählten nur die eine Million zweihundertvierzigtausend Rubel pro Monat. Er hatte eine Frau und drei Kinder und da war das eine Menge Geld. Vor Rattenfänger hätte er diese Summe mit Glück in einem Jahr verdient, wenn er ständig die Hand aufgehalten hätte. Dies war sein erster Einsatz. Iljassow zog die Maske herunter, damit er den Geschmack des drittklassigen Wodkas ausspucken konnte, den es an diesem Abend gegeben hatte, und schritt vorsichtig weiter den Berg hinunter, genau wie sie es ihm in Molkino beigebracht hatten. Die Gefahr eines Angriffs war so weit in Assads Territorium und so weit oben auf dem gottverdammten Felsen, auf dem nichts Nennenswertes wuchs, sehr gering. Deshalb hatten sie den östlichen Hang für ihr improvisiertes Lager ausgewählt. Der Bergrücken war dem Mittelmeer und einigen Städten zugewandt, die sich in Richtung Tripoli erstreckten.

    Der Boden war hart, doch die Bäume hielten an ihren Nadeln fest. Iljassow blickte zum Mond hinauf, aber der schmollte genau wie er. Für ihn ergab es keinen Sinn, so weit von der Basis entfernt zu patrouillieren – er hatte den Verdacht, dass Colonel Mora ihn bestrafte, weil er beim Kartenspiel gewonnen hatte. Die anderen Jungs sahen sich die Show an und er lauschte dem Wind.

    Als Iljassow gerade berechnete, wie lange ihre Gefangene wohl noch durchhalten würde, bewegte sich ein Schatten zwischen den Bäumen für einen wippenden Zweig zu schnell, dann verriet ihm ein Aufblitzen in der Finsternis, dass ein Messer auf ihn zuraste. Diese Information kam allerdings zu spät an. Das Messer traf Iljassow an der Halsschlagader und er fiel zur Seite.

    Zuletzt nahm er noch wahr, wie ihn jemand mit dem Stiefel auf den Rücken drehte und ihm ein nadeldünnes Licht ins Gesicht schien. In dessen zitterndem Strahl erkannte Iljassow Augen wie antikes Gold und eine Nase, die nach einem Bruch einen Höcker aufwies. Doch er hatte nur noch dreißig Sekunden zu leben und würde es niemandem mehr melden können.

    Iljassows Leiche würde seiner Frau von einem höflichen, silberhaarigen Mann überstellt werden, der auf dem Küchentisch fünf Millionen Rubel als »Versicherungssumme« sowie eine Medaille für Treue und Tapferkeit hinterlassen würde. Wenn seine Frau die Zeitungen und ihren Stadtrat anrief, um Antworten zu bekommen, würden ihr ausländische Männer in billigen, dunklen Anzügen zeigen, dass das ein Fehler war.

    Bashir zog das flache Wurfmesser heraus und wischte die Klinge am Arm des toten Mannes ab, am Bizeps, wo er eine syrische Flagge erwartete. Mit der Taschenlampe beleuchtete er den Ärmel des Mannes. Nichts. Dann sah er ihm erneut ins Gesicht.

    Bashir tippte gegen seinen Ohrhörer. »Wie stehen Sie zu einer Überraschung, Boss?«

    Ein Piepsen, dann die Stimme von Moneypenny: »Kommt drauf an, wer aus der Torte springt, 009.«

    »Ich weiß, dass Sie auf erschöpfte Soldaten der syrischen Streitkräfte gehofft hatten. Aber was sagen Sie zu einem gut bewaffneten, gut ausgebildeten, wenn auch absolut toten Soldaten ohne Flagge?«

    »Rattenfänger?«

    »Eine stille Extraktion ist wohl eher ein Wunschtraum.«

    »Bleiben Sie dran, 009.«

    Bashir musterte die Bäume und suchte nach Anzeichen für einen weiteren Wachposten. Er erinnerte sich daran, wie Bill Tanner ihn und die anderen neuen Rekruten über Rattenfänger informiert hatte. Vorne im Seminarraum hatte Bill sich auf die Tischkante gesetzt und die Ärmel hochgekrempelt, als wollte er ihnen eine Gutenachtgeschichte erzählen, ein zeitloses Märchen. »Rattenfänger will Geld verdienen, egal ob sie dafür eine Stadt erpressen oder ihre Dienste dem höchsten Bieter verkaufen müssen. Jedes Mitglied verdient am Profit mit. Eine Art diabolisches Franchise.« Bill lachte über seinen eigenen Witz und beugte sich dann für den schmutzigen Teil weiter nach vorne. »Der Name entstand aus dem ersten bekannt gewordenen Einsatz, als Rattenfänger das Sportfest einer Schule bombardierte, nachdem ein russischer Oligarch sich geweigert hatte, dafür zu bezahlen, dass sie den Sohn eines rivalisierenden Oligarchen entführt hatten. Sie töteten den Sohn ihres Klienten und seine ganze Klasse noch dazu, wofür sie von der ursprünglichen Zielperson bezahlt wurden. Beide Unternehmer wurden von den USA mit Sanktionen belegt. Der Rivale zuckte nur mit den Schultern und meinte: ›Ich bin Geschäftsmann. Mehr nicht. Wenn sie in mir den Teufel sehen wollen, sollen sie nur.‹ Doch damit übertreibt er seine Stellung. Er ist nur ein Anhänger. Rattenfänger ist der eigentliche Teufel.«

    Nun wartete 009 auf den Teufel. M hatte ihm nicht genehmigt, eine Handfeuerwaffe nach Syrien einzuführen, falls man ihn als Fotojournalisten durchsuchte. Bashir war nun froh, das Wurfmesser dabeizuhaben, das er in den Scharnieren seiner Kamerabox versteckt hatte, da er wusste, dass man beim Zoll einer manuellen Durchsuchung zustimmen würde, weil die Röntgenstrahlung die Kameralinsen beschädigen könnte. Im Vormonat hatte Rattenfänger 008 mit einem Kopfschuss im Busch der Zentralafrikanischen Republik zurückgelassen. Und Donovan war gut gewesen. Dennoch beugte Bashir sich hinab, entwand den Händen des Toten das RPK-74M und schlang es sich über die Schulter. Dann nahm er das Funkgerät des Mannes, drehte die Lautstärke leiser und steckte es ein.

    »Heimatfront an 009. Abbruch. Ich wiederhole, Abbruch.«

    Bashir erstarrte. »Die Funkverbindung war gestört, bitte wiederholen?«

    »Hören Sie zu, 009. Anscheinend betreibt Rattenfänger die Basis. Q sagt, die Standardvorgehensweise von Rattenfänger ist, mindestens dreißig Agenten auf dem Gelände zu stationieren, wahrscheinlich zusätzlich zu den syrischen Streitkräften. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Mission liegt unter null. Wir wissen nicht mal, ob sie noch lebt. Es sind jetzt neunzehn Tage. Sie wissen, wie die Chancen stehen.«

    Bashir biss sich auf die Lippe. Er fragte sich, ob Moneypenny bewusst von der Sprache einer Strategin zu einer Sprache gewechselt hatte, mit der sie an Bashirs bessere Seite appellierte, zur Sprache eines Spielers – zu seiner Sprache. Also: Was würde Bond sagen? Im Leben stehen die Chancen ständig sechzig zu vierzig gegen einen, Penny. Aber das heißt nicht, dass ich vom Tisch aufstehe. Doch das half ihm nicht. Was würde 009 sagen?

    »Sie ist wertvoller als ich. So einfach ist die Rechnung nicht. Mein Tod ist die Chance wert, ihr Leben zu retten.«

    Rauschen. Dann: »Auch wenn das sehr romantisch ist, 009, dieses Mal gewinnt die Bank. Brechen Sie ab. Es ist zu gefährlich.«

    Bashir biss die Zähne zusammen. Was nun? Sie sterben lassen, falls sie nicht bereits tot war. Sie dem Teufel überlassen, nur um die eigene Haut zu retten? Exfiltration nach Istanbul, Rückkehr nach London, dann mit der Tube bis zum Büro am Regent’s Park, eine stille Fahrt im Aufzug, der Gang über den Flur, den mitleidigen oder enttäuschten Blicken der anderen ausweichen, Moneypennys Verständnis zurückweisen und schließlich Ms verständnisvollen Blick über den Schreibtisch hinweg ertragen, sein »beim nächsten Mal mehr Glück«, obwohl es natürlich kein nächstes Mal geben konnte, denn Bashir würde bei ihrer Rettung versagt haben, genau wie er bei James Bond versagt hatte.

    Bashir richtete sich auf. »Mir hat mal jemand gesagt, dass es immer zu gefährlich ist. Darin liegt der Spaß.«

    »Sid …«

    Ein leises Geräusch, dann jene strenge Stimme: »009?« Es war M.

    »Sir.«

    »Versuchen Sie es. Und passen Sie auf sich auf.«

    Bashir lächelte. »Sir.« Er hörte noch, wie Moneypenny widersprach, dann tippte er auf seinen Ohrhörer und brachte damit die Diskussion darüber, wie schlecht seine Chancen standen, zum Schweigen. In diesem Augenblick hörte er, wie sich ein Stiefel im Unterholz verfing.

    Er drehte sich um, zog das Messer und warf es.

    Ein dumpfer Schlag.

    Bashir untersuchte den sterbenden Wachposten. Ein zweites Bauernopfer.

    Er zog dem Mann das Messer aus dem Oberkörper und nahm das RPK-74M locker in die Hand. Dann durchsuchte er den Soldaten und fand weitere Magazine, die er einsteckte. Die Kamera hing ihm von der linken Schulter und Bashir hob sie nun hoch und stellte sie auf Infrarot. Im Wald bewegte sich niemand. Auf der Bergkuppe befand sich ein ummauertes Gelände mit einem einzigen Wachtturm, etwa eine Viertelstunde schnelles Wandern entfernt. Bashir zoomte den Scharfschützen heran, der dort wartete, und machte sich auf den Weg. Dabei überlegte er, wo sie wohl die Küche eingerichtet hatten. Bei einem privaten Militärunternehmen wie diesem sorgten Einheimische für das Essen, in der Regel in billigen, nicht den Bauvorschriften entsprechenden Hütten. Dort würde er zuschlagen.

    DORN IM AUGE

    Das Gelände lag in einer halbmondförmigen Waldlichtung auf der Bergkuppe. Innerhalb der Mauern umgaben einige Zeltreihen die Steinbaracken. Auf der hinteren Seite des Geländes bewachte ein Soldat den Lieferanteneingang und pfiff dabei einige Takte eines Liedes vor sich hin. Anscheinend schaffte er die Bridge nicht. Doch das würde ihm nicht mehr lange Sorge bereiten. Er sackte nach vorne.

    009 fing die Makarov PM des Mannes auf, bevor sie klappernd über den Boden rutschen konnte. Vor Bashirs Zeit war sie die Lieblingspistole sowjetischer Polizisten gewesen. Acht Patronen im Magazin. Bashir schleppte den Leichnam in den Schatten, schälte den Mann aus der Jacke und zog sie selbst an. Er ging um die Küche herum, ein Zelt, aus dem zahlreiche Kabel kamen, wie die verknoteten Gliedmaßen eines toten Kraken. Bashir schlich sich durch den Eingang. Der Koch saß lesend auf einem Feldbett – ein dürrer Mann, der, so glaubte Bashir, von Resten lebte. Er zuckte hoch, doch Bashir hielt ihm eine Hand vor den Mund. Mit der anderen hielt er ihm die Pistole an den Kopf.

    »Deine Gelegenheit«, flüsterte Bashir. Dann fuhr er in levantinischem Arabisch fort: »Der Hinterausgang ist offen. Verschwinde, aber leise. Oder verbrenne.«

    Unter der Hand, die er dem Koch vor den Mund hielt, schwitzte dieser. Er nickte. Bashir ließ ihn los. Der Mann sah sich um, als wäre das Feuer bereits ausgebrochen und er würde überlegen, was noch zu retten war. Dann blickte er Bashir noch einmal in die Augen und schien in ihnen etwas zu erkennen. Er schluckte, holte sein Buch und schlich sich hinten raus.

    Bashir betrachtete die Küche genauer. Die Explosion sollte möglichst groß werden. Falls er richtiglag, würde sie den Großteil der syrischen Truppen von ihren Posten locken und mindestens die Hälfte der Rattenfänger, die in einer Krise die Kontrolle übernehmen wollen würden. Bashir ging davon aus, dass vier oder fünf Rattenfänger den Befehl hatten, jederzeit bei der Gefangenen zu bleiben, und sich auch dann nicht rühren würden, wenn die Küche das tat, worüber alle auf der Basis sicher schon einmal gewitzelt haben mussten, wenn man sich den Zustand des Generators ansah: in Flammen aufgehen. Sie würden befürchten, dass das Feuer auf andere Zelte übergriff und durch den Wind auf die Bäume übersprang. Der Wald würde sie umbringen, loderndes Holz, das allmählich zusammenbrach.

    Es gab keinen Grund, subtil vorzugehen. Bashir trat gegen den Dieselgenerator. Das hintere Ende knallte zu Boden. Auf dem Lehmboden breitete sich eine Flüssigkeit aus. Er nahm die hintere Abdeckung der Kamera ab, holte die Batterie heraus und stopfte sie in die Mikrowelle. Dann stellte er diese auf eine Minute bei voller Leistung. So weit reichten selbst seine Kochkünste gerade noch.

    Aus der Spüle schnappte Bashir sich ein kleines Messer, das nach Zwiebeln roch, und zog sich durch den Hinterausgang zurück. Etwa vierzig Sekunden später schossen eine Stichflamme und heiße Luft aus dem Zelt. Wenige Sekunden später explodierte die ganze Küche und erhellte die Nacht mit einer gleißenden Schockwelle. Die Luft schwirrte, dann hörte man rennende Schritte und die Schreie von Soldaten.

    Bashir raste auf die Steinbaracken zu, hielt dabei den Kopf gesenkt und nutzte die Panik der rennenden syrischen Soldaten, die seine Jacke erkannten und keine Fragen stellten. Im Inneren erwartete ihn der übliche Dreck, den Männer auf engem Raum hinterließen. Bashir eilte an der Offiziersmesse vorbei, wo man die Karten mitten im Spiel fallen gelassen hatte. Gerade wollte er um die nächste Ecke biegen, da hörte er, wie in gebrochenem Englisch Befehle gebellt wurden. Bashir presste sich an die Wand und hielt die Luft an, als mindestens fünf Rattenfänger an ihm vorbeieilten, ohne um die Ecke zu sehen.

    Nachdem der fünfte Mann vorbeigerast war, packte Bashir ihn am Kragen und zog ihn zurück. Der Mann wand sich in seinen Armen. Bashir ließ ihm den Ellbogen aufs Handgelenk krachen. Vor Schock ließ der Mann seine Waffe fallen.

    Bashir presste dem anderen Mann seine Pistole in den Bauch. »Bring mich zu ihr.«

    Kurzes Zögern, dann ein schnelles Nicken.

    Bashir folgte dem Soldaten weiter in die Baracken hinein und merkte sich, wie oft es links und rechts ging. Die Flurlichter erloschen und wurden durch das flackernde Blassblau des Notfallgenerators ersetzt. Am Hals des Mannes bemerkte er typische Gefängnistätowierungen.

    »Da drin«, flüsterte der Soldat. »Die Schlampe ist da drin.«

    Bashir lugte um die nächste Ecke. Am Ende eines kurzen Gangs befand sich eine verschlossene Stahltür.

    »Hast du den Schlüssel?«

    »Nein.«

    »Dabei hattest du so viel Potenzial.«

    Bashir schlug den Mann mit dem Pistolengriff bewusstlos, stieg über seinen Körper hinweg, ging um die Ecke und betrachtete die verschlossene Tür. Er hatte keine Sprengladung dabei.

    Als Bashir gerade das RPK-74M in Anschlag brachte, hörte er die Tür aufspringen. Er zog sich wieder hinter die Ecke zurück.

    Drei Soldaten kamen heraus, verschlossen die Tür und postierten sich davor: die Männer von Rattenfänger, denen man befohlen hatte, bei der Gefangenen zu bleiben.

    Er könnte sie mit einer Maschinengewehrsalve umnieten, doch das würde die anderen zurücklocken – falls sie es durch das Tosen der Feuersbrunst hörten.

    Doch selbst wenn die Truppen draußen es nicht hörten, würde es der Rattenfänger hinter der Tür mit der Waffe an ihrem Kopf zweifellos tun. Eine Stahltür hielt nicht alles ab. Und der Mann würde fraglos seine Befehle befolgen, genau wie Bashir.

    Also musste er leise vorgehen.

    Es war eine Frage der Umsetzbarkeit: Konnte man mit zwei Messern drei Wachen töten?

    Bashir trat vor und erkannte drei maskierte, vor Aufregung angespannte Soldaten, den Finger am Abzug. Bevor einer einen Mucks machen konnte, warf er sein eigenes und das Küchenmesser und zielte auf die Männer links und rechts. Der Rechte taumelte, ging zu Boden und war eliminiert. Das Küchenmesser hatte eine schlechtere Gewichtsverteilung und traf den linken Mann an der Wange. Dieser wollte gerade einen Schrei ausstoßen, als der Mann in der Mitte sein Gewehr hob. Bashir machte eine Rolle vorwärts, hakte einen Fuß hinter den Knöchel des Mannes und zertrümmerte ihm das Knie. Er ging zu Boden. Das Gewehr fiel klappernd hin. Dem linken Mann zog Bashir das Messer aus der Wange und schlitzte ihm die Kehle auf, als der andere wieder auf die Beine kam. Bashir verpasste ihm einen Schlag mit dem Ellbogen. Der Soldat knallte gegen die Wand, zog seine Pistole und wollte auf ihn schießen. Doch Bashir warf sich einfach mit seinem ganzen Körpergewicht gegen ihn und presste ihn an die Wand. Seine Rippen schmerzten und drohten zu brechen. Aber er ließ nicht locker.

    »Glauben Sie, dass Sie Rattenfänger besiegen können?«, höhnte der Mann. »Rattenfänger ist unbesiegbar.«

    Bashir presste dem Soldaten die Hand vor den Mund, genau wie vorhin dem Koch, doch diesmal ließ er nicht los. Der Soldat wand sich und kämpfte gegen ihn an. Bashir hielt ihn weiter fest.

    Als der Mann schließlich zusammensackte, keuchte Bashir: »Ich glaube nicht an Märchen.«

    »Wie ich sehe, geben Sie Ihren Feinden ungern die Gelegenheit, sich zu ergeben, Mr Bashir.«

    Bashir nahm eine Abwehrhaltung ein und machte sich absurderweise darauf gefasst, eine Kugel in den Hinterkopf zu bekommen. Doch das geschah nicht. Sein nächster Gedanke war: Sie kennen meinen Namen. Bashir drehte sich um, sodass er der Stahltür nun den Rücken zugewandt hatte. Am Ende des kurzen Durchgangs stand ein Mann, dessen Anwesenheit die nahen Geräusche des Feuers unwichtig, sogar dumm erscheinen ließ. Er war ein Riese, mindestens fünfzehn Jahre älter als Bashir. Sein Haar war kurz geschoren und grau meliert. Wie alle Rattenfänger trug er die Uniform ohne Flagge. Seine Arme waren ungewöhnlich lang, die leeren Hände, die er entspannt hängen ließ, ungewöhnlich groß. Sie schienen auf etwas zu warten. Laut seinen Schulterstreifen war er ein Colonel. Der König und wahrscheinlich einzige Mann, der wusste, wer Rattenfänger finanzierte, wer das Sagen hatte. Im flackernden Licht sah Bashir, dass der Mann ihn nachsichtig anlächelte.

    Der Colonel deutete auf die Leichen. »Ziemlich unsportlich. Ich dachte, ihr Engländer hättet Regeln.«

    »Sozialkunde habe ich geschwänzt«, meinte Bashir und warf das Küchenmesser.

    Der Colonel schnappte es sich im Flug. Lachend wog er die Klinge in seiner Pranke. »Ich rate Ihnen, nächstes Mal ein größeres Messer zu stehlen.«

    Bashir wollte schon die Makarov PM ziehen und feuern, da erinnerte er sich an die Waffe an ihrem Kopf, direkt hinter der Tür.

    »Strengen Sie sich nur weiter an«, sagte der Colonel. »Es ist völlig egal, wer es hört. Sie ist bereits tot.«

    Kurz schwankte Bashir, sicherte dann aber seinen Stand. »Sie ist eine wertvolle Zielperson. Sie würden sie möglichst lange am Leben lassen.«

    Der Colonel zuckte mit den Schultern. »Sie hat kapituliert.« Er sagte es leichthin, als sprächen sie über ein defektes Fahrrad. »Wir haben rausgeholt, was wir wollten, und uns der Überreste entledigt.«

    Bashir hörte genau hin, versuchte, Geräusche hinter der Tür wahrzunehmen. Da war nichts.

    »Und nun bleibt mir nur noch«, erklärte der Colonel, »Sie zu brechen.« Achtlos warf er das Messer weg und ging lässig auf ihn zu.

    Bashirs Instinkte schrien danach, auf ihn zu schießen. Hinter der Tür war nichts zu hören. Sie war tot. Er war zu spät und sie war tot. Aber er zog seine Waffe nicht. Seine Mission lautete, sie nach Hause zu bringen. Was bedeutete es schon, wenn dieser Mann behauptete, sie sei tot? Das war noch keine hundertprozentige Gewissheit.

    Bashir trat in der Ausgangsposition des Krav Maga leicht gebückt vor. Er versuchte einen rechten Haken. Doch der Colonel wich nach hinten aus, trotz seiner Statur schneller, als Bashir gedacht hatte. Dann ließ der Colonel eine Hand mit steifen Fingern auf ihn zuschnellen und traf ihn am Brachialplexus.

    Beinahe übergab Bashir sich. Seine rechte Hand wurde taub. Er konnte keine Faust machen. Der Schock übermannte ihn.

    Mit dem Stiefel trat der Colonel Bashir gegen das Schienbein. Bashir ging in die Knie. Er holte mit der Linken zum Schlag aus.

    Der Colonel fing sie ab und drückte Bashir den Daumen zwischen die Finger. Plötzlich hatte Bashir kein Gefühl mehr in der Hand. Der Colonel griff gezielt seine Schmerzpunkte an. Er schlug Bashir mit dem Fingerknöchel hinters Ohr, in die Grube zwischen Kiefer und Hals. Bashir würgte. Er konnte sich nicht bewegen. Er war wie gelähmt.

    Der Colonel schnaubte. Dann packte er Bashir am Revers und hob ihn hoch. Bashir hing an seiner Faust. Ihm tränten die Augen.

    »Das sieht gar nicht gut aus«, bemerkte der Colonel. »Gar nicht gut. Man wollte mich glauben machen, dass Sie jemand Besonderes wären. 009: die nächste große Nummer aus dem Geheimdienst Ihrer Majestät. Smart, clever, skrupellos. Erstklassiger Abschluss mit Auszeichnung in Philosophie und Mathematik am King’s College. Zäher Kämpfer. Hohe Schmerztoleranz. Ein vielversprechender junger Mann mit einer großen Zukunft als professioneller Mörder. Doch eine Schwäche hat sein großes Hirn: Es bringt ihn dazu, Methoden anzuwenden, vor denen ein Normalsterblicher zurückschrecken würde. Aber anscheinend denkt Ihr übereifriges Hirn gerade gar nicht. Sie sind ein echter Versager, mein Junge. Sie konnten nicht mal für sie sterben. Sie sind zu spät. Sie haben alle enttäuscht. Und jetzt enttäuschen Sie mich. Na los, Jungchen. Reißen Sie sich zusammen, spielen Sie das Spiel – würde M das nicht sagen?«

    Innerlich kämpfte Bashir mit aller Macht, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht. Mit wenigen Treffern hatte der Colonel ihn kampfunfähig gemacht. Angst und Widerwillen übermannten ihn.

    Denk an deine Ausbildung. Denk an Bonds Worte. Im Herzen jedes Agenten gibt es ein Hurrikan-Zimmer: wie in den Tropen, das Zimmer in der Hausmitte, das man leer lässt, damit sich die Familie, wenn ein Sturm den Himmel aufwühlt, in diese Festung zurückziehen kann, ohne fürchten zu müssen, dass Stühle umherfliegen oder zerbrochenes Geschirr zum Geschoss wird. Das Hurrikan-Zimmer in deinem Innern ist weiß gestrichen, so hell, dass es leuchtet. Dorthin ziehst du dich zurück, wenn du eine Situation nicht unter Kontrolle hast und kein anderes Vorgehen mehr bleibt – zieh dich dorthin zurück und warte darauf, dass der Sturm bis zur Erschöpfung wütet, auf den Augenblick, in dem du nach draußen gehen und den Himmel fragen kannst: Ist das alles? Der Augenblick, in dem du sagen kannst: Zeig mir, was du kannst, ich bin bereit. Also, zieh dich in dein Hurrikan-Zimmer zurück und warte darauf, dass deine Nerven sich erholen. Sie werden sich erholen, und dann drückst du diesem Mann den Daumen ins Auge. Schließ bis dahin die Tür ab, Sid. Um Gottes willen, schließ die Tür ab.

    »Was würde die liebe Moneypenny denken, wenn sie Sie jetzt sehen könnte? Ihr nagelneues Spielzeug, das alle anderen ersetzen sollte, die sie verloren hat, aber Sie waren schon in der Schachtel defekt. Der Dorn im Auge von Terroristen und Verbrechern aus aller Welt?« Er lachte. »Sie sind nur ein kleiner, verängstigter Junge, der hofft, dass Mami kommt und ihn rettet – dabei weiß er, dass sie es nie tun wird.«

    Die Hurrikan-Tür wurde aufgestoßen. Der Sturm drang ein.

    Bashir trat aus und zielte auf die Leistengegend des Colonels. Dieser fing ihn am Knöchel ab und warf ihn gegen die Wand. Bashir krachte auf den Boden.

    Gerade wollte er die Arme bewegen, da stampfte der Colonel ihm auf den Solarplexus, so fest, als würde er eine Kakerlake zertreten.

    Beinahe wurde Bashir bewusstlos.

    Als der Colonel sich auf seine Brust kniete, fühlte er sich so schwer wie das Meer an. Bashir versuchte, ihn abzuschütteln und sich unter ihm hervorzuwinden, doch er konnte das Monster keinen Zentimeter bewegen – er konnte sich nicht einmal selbst bewegen.

    Hände wie riesige Geisterkrabben umschlossen seinen Hals.

    Er konnte nicht schreien.

    In Bashirs Hurrikan-Zimmer stürzten die Wände ein. Sie war tot. Er hatte versagt. Er konnte sich nicht bewegen, nicht atmen, nicht schreien. Er war ein Kind, das nach der Beerdigung seiner Mutter schreiend aus Albträumen erwachte. Auf seiner Brust saß ein Dämon. Obwohl er betete, kam nicht der Geist seiner Mutter zurück, um ihn zu trösten, sondern etwas Teuflisches und Abscheuliches, und seine Mutter kehrte nicht wieder, um ihn zu retten.

    So würde er sterben. Wieder ein Kind. Ein Versager. Allein.

    Als das Licht schwächer wurde, erkannte Bashir eine Tätowierung, die sich über Brust und Hals des Colonels erstreckte. Ein Totenkopfschwärmer. Seine Mutter hatte ihren Garten so gestaltet, dass er Schmetterlinge anlockte, und Bashir deren Namen beigebracht. Muss M die Tätowierung melden, dachte Bashir und lachte dann über sich selbst. Als der Colonel die Halssehnen anspannte, flatterte die Motte mit den Flügeln und beschleunigte noch, weil er keuchte. Nicht vor Anstrengung – diese Hoffnung zerschlug sich sofort –, sondern vor Vergnügen. Die Motte kam näher. Sie wollte ihn erdrücken. Anscheinend wollte das Monster seinen letzten Atemzug aufsaugen. Seine Finger drückten zu. Bashir konnte nicht atmen. Er konnte nicht atmen.

    Dann ein einzelner Schuss.

    Panisch schlug die Motte ihm die heißen Flügel ins Gesicht, bäumte sich auf und flog davon.

    Bashir holte keuchend Luft und schluckte den bitteren Duft von Schießpulver.

    Der Colonel lag neben Bashir auf der Seite. Unter ihm bildete sich eine Blutlache, deren Wärme Bashirs Fingern wieder Leben einhauchte.

    Seine Lungen füllten sich mit Luft. Sein Magen überschlug sich. Seine Nerven sangen. Er setzte sich auf.

    Aus dem Rauch trat 003.

    Bashir lehnte den Kopf an die Wand. Atmete aus. Lachte schwach. »Ich bin gekommen, um dich zu retten.«

    Harwood erwiderte sein Lächeln. »Das sehe ich.«

    Sie streckte ihm die Hand entgegen. Als er den Arm bewegte, kribbelte es unter seiner Haut, er nahm ihre Hand und stand unsicher auf. Bashir warf einen Blick über ihre Schulter. Die Stahltür stand offen, dahinter lag ein fensterloser Raum: ein Stuhl mit Fesseln an der Lehne, ein Tisch mit einer Box gebrauchter Spritzen und auf dem Boden ein Mann mit blutender Kopfwunde.

    »Mir gefällt, was du aus dem Zimmer gemacht hast«, meinte er.

    Im Halbdunkel blitzten ihre Augen. »Das dachte ich mir.«

    »Hast du heute Abend schon was vor?«

    »Woran hast du gedacht?«

    »Wie wäre es mit Frühstück in Istanbul?«

    003

    Johanna hatte mit James Bond zweimal in der Golden-Horn-Suite des Pera-Palas-Hotels gewohnt, einmal auf ihrer ersten gemeinsamen Mission und dann bei einem gemeinsamen Wochenende. 1892 von einem französisch-türkischen Architekten in neoklassizistischem Stil für die Passagiere des Orient-Expresses erbaut, lag das Hotel nur einen Steinwurf von der belebten Istiklal-Straße und einer Reihe von Konsulaten von Großbritannien bis Russland entfernt. Zu den illustren Gästen hatten einst Mata Hari und Ernest Hemingway gehört. Bei ihrem zweiten Aufenthalt hatte der Portier Bond den Schlüssel für die Agatha-Christie-Suite gegeben, wo Harwood ausprobiert hatte, ob die Schreibmaschine, die nun mit einer Samtkordel abgesperrt war, noch funktionierte. Das tat sie. Solche Dinge erlebte man mit Bond. Er war witzig. Er brachte sie zum Lachen. Bond lebte ganz nach seiner Philosophie, dass Agenten sich in großen Luxus flüchten sollten, um die Erinnerungen an die Gefahren und den Schatten des Todes auszulöschen. Sie wusste, was er getan hätte, wenn er jetzt hier wäre: Um vier Uhr morgens hätte Bond ihnen bei der Kaminuhr aus der Belle Époque auf der marmornen Kommode ein Glas Dom Pérignon eingeschenkt.

    »Worauf sollen wir trinken?«, fragte Bashir.

    Harwood betrachtete das Glas Wasser in ihrer Hand. Sie konnte sich nicht erinnern, es genommen zu haben. Eigentlich konnte sie sich gar nicht daran erinnern, sich aufs Bett gesetzt zu haben, mit seinem polierten Mahagonikopfteil und dem antiken türkischen Seidenwandteppich. Inzwischen trug sie nicht mehr den Overall, in den man sie gezwungen hatte. Stattdessen trug sie einen roten Peshtemal-Morgenmantel.

    Ja – daran lag es. Sie hatte das Teil mit Bashirs Hilfe ausgezogen, weil ihre Hände so gezittert hatten. Dann hatte sie eine Viertelstunde lang mit dem Verbandskasten und einem Glas Whisky am Waschbecken im Badezimmer gestanden. Sie betrachtete ihre nackten Füße. Die blauen Flecken waren gelb geworden.

    Die letzten Stunden, in denen sie einen UAZ gestohlen hatten, in halsbrecherischem Tempo durch die Homs Gap gefahren waren, Bashir am Steuer und Rattenfänger direkt auf den Fersen, während Harwood den Wald mit Maschinengewehrfeuer überzogen hatte, in denen sie die Drusen-Miliz erreicht hatten, die sie nach Tripoli geschmuggelt hatte, und dann der erleichterte Seufzer, als sie in das Boot gestiegen waren, das Bashir ihnen besorgt hatte – all das fühlte sich wie ein Traum an, genau wie die neunzehn vorangegangenen Tage sich wie ein Albtraum anfühlten.

    Anscheinend wusste Bashir das, denn er setzte sich nicht neben sie, sondern in den Sessel in der Ecke.

    »Trinken wir einfach«, meinte Harwood.

    »Dein Blick macht mir solche Angst, da widerspreche ich nicht.«

    »Feigling.« Ihr fiel der Koffer in der Ecke

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