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Es geht nicht um die Fledermaus: Pandemien, Umweltzerstörung und warum wir den Umgang mit der Natur neu bestimmen müssen
Es geht nicht um die Fledermaus: Pandemien, Umweltzerstörung und warum wir den Umgang mit der Natur neu bestimmen müssen
Es geht nicht um die Fledermaus: Pandemien, Umweltzerstörung und warum wir den Umgang mit der Natur neu bestimmen müssen
eBook313 Seiten3 Stunden

Es geht nicht um die Fledermaus: Pandemien, Umweltzerstörung und warum wir den Umgang mit der Natur neu bestimmen müssen

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Über dieses E-Book

Eins steht fest: Die Fledermaus ist nicht schuld am Ausbruch von Corona. Die Ursache der Pandemie ist vielmehr im Umgang des Menschen mit der Natur zu suchen. Der südafrikanische Umweltjournalist Adam Cruise (u.a. für National Geographic und The Guardian) erläutert anschaulich, wie der Expansionsdrang des Menschen dazu führt, dass immer neue zoonotische Krankheiten entstehen. Krankheiten also, die die Artengrenzen überschreiten und von Tieren auf Menschen überspringen. Covid-19 ist nur die vorläufig letzte einer ganzen Reihe von Krankheiten, die die Menschheit seit einigen Jahrzehnten heimsuchen: AIDS, Rinderwahnsinn, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Ebola, Zika usw. Schuld daran ist das Verhalten des Menschen, der Naturräume, Nutztiere, Wildtiere und Pflanzen komplett seinen eigenen Interessen unterwirft. Cruise fordert ein grundsätzliches Umdenken: Der Mensch muss sich zurückziehen, Nutzflächen renaturieren, eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben, auf den Handel und den Verzehr von Wildtieren verzichten. Im typischen Adam-Cruise-Stil ziseliert der Autor anekdotenreich und zugänglich die ethischen und praktischen Fragestellungen heraus. Er konfrontiert die Politik – und noch eindringlicher jeden Einzelnen von uns – mit unseren Wahlmöglichkeiten. «Wir Menschen müssen unser Verhalten ändern», so Cruise, «andernfalls könnte das Schicksal der Dinosaurier auch uns ereilen. Wir haben es in der Hand.»
Mit einem Vorwort von Vera Weber, Stiftungspräsidentin der Fondation Franz Weber.
SpracheDeutsch
HerausgeberNZZ Libro
Erscheinungsdatum30. März 2022
ISBN9783907291801
Es geht nicht um die Fledermaus: Pandemien, Umweltzerstörung und warum wir den Umgang mit der Natur neu bestimmen müssen

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    Buchvorschau

    Es geht nicht um die Fledermaus - Adam Cruise

    Inhalt

    Cover

    Titelei

    Vorwort

    Wollen wir die nächsten Dinosaurier sein?

    Einführung

    1. Schwacher (im Gegensatz zu starkem) Anthropozentrismus

    2. Schwacher (im Sinn von unwirksamem) Anthropozentrismus

    3. Die stille, unsichtbare, unbekannte Mehrheit

    4. Die Notlage der wertgeschätzten Me‍g‍a‍fauna

    5. Karnophallogozentrismus

    6. Der exklusive Consideranda-Klub

    7. Das Primat, wild zu sein

    8. Wie ein Berg denken

    9. Der Ruf der Wildnis

    10. Renaturierung und menschliche Natur

    11. Die Hälfte der Erde

    12. Wandel und Anpassung – sonst ...

    Dank

    Über den Autor

    Backcover

    empty

    Adam Cruise

    Es geht nicht

    um die Fledermaus

    Pandemien, Umweltzerstörung

    und warum wir den Umgang mit

    der Natur neu bestimmen müssen

    Aus dem Englischen übersetzt

    von Edith Melzer, Ariane Böckler

    und Julia Fischer

    NZZ Libro

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

    sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2022

    (ISBN 978-3-907291-74-0)

    © 2022 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

    Lektorat: Ulrike Ebenritter, Gießen

    Umschlaggestaltung: icona basel

    Umschlagabbildung: Shutterstock

    Gestaltung, Satz, Datenkonvertierung: 3w+p, Rimpar

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

    ISBN Druckausgabe 978-3-907291-74-0

    ISBN E-Book 978-3-907291-80-1

    www.nzz-libro.ch

    NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

    Vorwort

    Wollen wir die nächsten Dinosaurier sein?

    Die Welt steckt seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in einer nie dagewesenen Krise, die rund um den Erdball praktisch alle Menschen und Lebensbereiche erfasst hat. Und noch immer ist unklar, woher das Virus kam und wie es auf den Menschen überspringen konnte. Ungeachtet dessen, ob der Erreger aus einem Labor stammt oder von Fledermäusen auf einen Zwischenwirt übertragen wurde und auf einem Markt in China die Artengrenze überschritt – eines steht fest: Schuld am Ausbruch von Corona ist nicht die Fledermaus. Die Ursache der Pandemie ist vielmehr im Umgang der Menschen mit der Natur zu suchen.

    In seinem Buch It’s Not About the Bats, das nun auf Deutsch vorgelegt wird, leitet der südafrikanische Umweltjournalist Adam Cruise her, wie der Expansionsdrang des Menschen dazu führt, dass immer neue zoonotische Krankheiten entstehen. Covid-19 ist nur die vorläufig letzte in einer Reihe von Krankheiten, die die Menschen seit einigen Jahrzehnten heimsuchen: AIDS, Rinderwahnsinn, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Ebola, Zika. Schuld daran ist laut Cruise letztlich das Verhalten des Menschen, der Naturräume, Nutztiere, Wildtiere und Pflanzen komplett seinen Interessen unterwirft. Die Zerstörung der Natur, der Lebensräume und der Artenvielfalt, Umweltverschmutzung, überbordende Zucht von Nutztieren, übermässiger Fleischkonsum, ungesunde Ernährung und ein nicht zuletzt dadurch geschwächtes Immunsystem sind jedoch nach wie vor keine Themen im Kampf gegen Seuchen.

    Oder konnte man in den letzten Jahren feststellen, wie die Regierungen dieser Erde umweltzerstörende Aktivitäten wie den Handel mit Wildtieren, die Massentierhaltung, den Bergbau, die Abholzung der Regenwälder, die Gewinnung fossiler Brennstoffe oder die Nutzung von Pestiziden entscheidend eingedämmt hätten? Haben sie die Antibiotika in der Fleischproduktion verboten? Haben sie die oft hohen Zuckerzusätze in verarbeiteten Produkten untersagt? Haben sie die Viehzucht begrenzt oder den Einsatz von Agrochemikalien gestoppt?

    Adam Cruise fordert ein grundsätzliches Umdenken: Der Mensch muss sich zurückziehen, Nutzflächen renaturieren, eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben, auf den Verzehr von Wildtieren und Fleisch verzichten. Denn was die Menschen vor absehbaren Epidemien schützen wird, sind eine starke Natur und eine gesunde Umwelt. Cruise konfrontiert die Politik und jeden Einzelnen mit seinen Handlungsmöglichkeiten: «Wir Menschen müssen unser Verhalten ändern, andernfalls könnte das Schicksal der Dinosaurier auch uns ereilen. Wir haben es in der Hand.»

    Vera Weber, Fondation Franz Weber

    Einführung

    Nur innerhalb des kurzen Augenblicks, den das jetzige Jahrhundert darstellt, hat eine Spezies – der Mensch – erhebliche Macht erlangt, die Natur ihrer Welt zu verändern.

    Rachel Carson, Der stumme Frühling

    Im Dorf Meliandou in Guinea spielte eine Schar Kinder in der Nähe eines hohlen Baums und schreckte dabei eine kleine Fledermauskolonie auf, die sich darin versteckt hielt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese scheinbar harmlose Begebenheit der Auslöser der verheerenden westafrikanischen Ebola-Epidemie im Jahr 2013 war, einer tödlichen Krankheit mit einer Mortalität von bis zu 90 Prozent.¹

    Fünfzehn Jahre zuvor wütete ein Virus namens Nipah, das von Schweinen und Kühen auf den Menschen übertragen worden war, in Malaysia, Bangladesch und Indien. Diese Krankheit mit einer beachtlichen Mortalität von 60 Prozent hatte ihren Ursprung in Flughunden, deren Sekrete von Nutztieren gefressen worden waren.²

    Wenige Jahre später wurde die Ausbreitung eines SARS-CoV genannten Coronavirus, das von einem Lebendtiermarkt in Hongkong stammte, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Pandemie erklärt, nachdem sich 8000 Menschen damit infiziert hatten.³ 10 Prozent der Erkrankten starben.⁴ Diesmal war eine Zibetkatze der Wirt des Virus. Doch wie beim Ebola-Ausbruch in Guinea stammte das Virus auch hier ursprünglich von einer Fledermaus.⁵ Möglicherweise hatte die Zibetkatze eine Fledermaus gefressen oder etwas Essbares in einer Fledermaushöhle, das mit Fledermaussekreten kontaminiert war. Wie wir heute wissen, war dies ein frühes Warnzeichen der Dinge, die auf uns zukommen sollten. Nach dem Ausbruch von SARS warnte im Jahr 2007 eine Studie davor, dass ein «großen Reservoir an Viren vom Typ SARS-CoV» in Fledermäusen vorhanden und dies eine tickende Zeitbombe für eine weltweite Pandemie sei.⁶

    Gehen wir weiter zum Jahr 2019: Ein Einwohner Südwestchinas betrat wahrscheinlich eine Fledermaushöhle in der Nähe seines Heimatdorfs, um Wildtiere zu jagen und sie anschließend auf einem Lebendtiermarkt in Wuhan zu verkaufen. Es könnte jedes Tier gewesen sein – vom Nager bis zum Schuppentier –, das sich bei einer Fledermaus in der Höhle infiziert hatte. Sobald das Tier auf dem überfüllten Markt angekommen und in einen Käfig gesperrt worden war, sprang die Krankheit vermutlich von ihm auf mehrere andere Tierarten über, bevor sie rein zufällig ihren Weg auf den Teller eines ahnungslosen Menschen fand. Sie verursachte bei ihm höchstwahrscheinlich einen quälenden Husten, wobei er die Erreger an einen Freund oder ein Familienmitglied weitergab – und ehe wir uns versahen, hatte sich die Krankheit, die wir heute Covid-19 nennen, wie ein Buschfeuer über die ganze Welt verbreitet. Volkswirtschaften brachen zusammen, Arbeitsplätze wurden vernichtet und Hunderttausende Menschen verloren ihr Leben.

    Doch auch wenn diese Pandemie – wie andere vor ihr – von Fledermäusen stammt, liegt die Schuld nicht bei ihnen.

    Zahlreiche andere Wildtierarten, ebenso wie die meisten Haus- und Nutztiere, können Krankheiten auf den Menschen übertragen. HIV/Aids wurde wahrscheinlich durch den Verzehr eines Schimpansen ausgelöst, MERS durch ein Kamel, ganz zu schweigen von den unzähligen Ausbrüchen der Schweine- und Vogelgrippe, die von Schweinen beziehungsweise Hühnern ausgingen, oder vom Rinderwahnsinn und anderen Krankheiten in der Geflügel- und Viehwirtschaft, die im Lauf der Jahre verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die menschliche Gesundheit hatten.

    Covid-19 ist nur die jüngste und verheerendste Pandemie auf einer in den letzten Jahren immer länger werdenden Liste. Weltweit sterben etwa ein Viertel aller Menschen an Infektionskrankheiten. Man geht davon aus, dass 60 Prozent davon sogenannte Zoonosen sind, also von Tieren verursacht werden, und zwar in der Mehrzahl – zu etwa 70 Prozent – von Wildtieren. Die schlimmsten globalen Pandemien der letzten 40 Jahre waren ausnahmslos alle zoonotischen Ursprungs,⁷ und diese Zoonosen zählen zu den tödlichsten Infektionskrankheiten überhaupt: HIV/Aids, SARS, MERS, Nipah, Vogelgrippe, Schweinegrippe, Ebola und Zika – und nun Covid-19.

    Doch um das noch einmal zu betonen: Auch wenn sie von Tieren stammen, kann man die Tiere kaum dafür verantwortlich machen. Die wahre Ursache dieser immer häufiger auftretenden, katastrophalen Pandemien ist allein das Verhalten eines Tiers, das um ein Vielfaches schrecklicher ist als eine Fledermaus, ein Schuppentier, ein Schwein, eine Zibetkatze oder ein Kamel. Es sind der Mensch und seine unersättliche Gier nach Fleisch.

    Tatsächlich gehen all diese Pandemien direkt auf den menschlichen Verzehr anderer Arten zurück. Andere Tiere werden gefangen, gehandelt, geschlachtet und verzehrt, während ihre natürliche Umwelt immer rascher schwindet. Zahlreiche Zoonosen werden an den Rändern dieser schwindenden Lebensräume übertragen, die sowohl eine reiche Vielfalt an Wildtieren als auch Hunderttausende versteckte Viren beherbergen, über die wir bisher nur wenig wissen. Wie eine Studie ergeben hat, leben geschätzt 1,7 Millionen Viren in Säugetieren und Vögeln. Doch weniger als 0,1 Prozent von ihnen sind bisher erfasst.⁸ Nach neueren Untersuchungen, die 7000 Tiergemeinschaften auf sechs Kontinenten beobachteten, war die Zahl zoonotischer Krankheiten an Orten, die vor Kurzem erst von einem natürlichen Ökosystem in Ackerland oder Siedlungen umgewandelt worden waren, um das bis zu Zweieinhalbfache höher. Zudem stieg, bei gleichzeitigem Rückgang der Zahl größerer Säugetiere und Vögel, der Anteil kleinerer Arten wie Ratten und Fledermäuse, die diese Krankheitserreger in sich tragen, um bis zu 70 Prozent im Vergleich zu intakten Ökosystemen.⁹ Unser Bedürfnis nach Fleisch lässt uns immer mehr landwirtschaftliche Flächen schaffen, um Nutztiere zu füttern und zu verzehren, ebenso wie Wildtiere. So dringen wir Menschen immer tiefer in bislang unberührte Naturgebiete vor – und öffnen damit effektiv die Büchse der Pandora für zukünftige tödliche Pandemien.

    Von der menschlichen Katastrophe einmal abgesehen führt genau diese Einstellung zur Natur zu einem massiven Rückgang anderer Arten. Unser Appetit auf Fleisch gepaart mit dem explosionsartigen Bevölkerungswachstum und dem rapiden Rückgang natürlicher Lebensräume sind dafür verantwortlich, dass über eine Million anderer Arten unmittelbar vom Aussterben bedroht sind.¹⁰ Viele dieser Arten werden in wenigen Jahren ausgerottet sein, andere in wenigen Monaten und wieder andere bereits während Sie diese Zeilen lesen.

    Es ist allgemein bekannt, dass das menschliche Verhalten gegenüber der Natur für das verantwortlich ist, was Wissenschaftler und Kommentatoren inzwischen das sechste Massenaussterben in der Geschichte der Erde nennen. Es ist gleichzeitig das einzige Massensterben, das im Alleingang von einer erdbewohnenden Spezies ausgelöst wurde – von uns. Dieses Zeitalter wird auch Anthropozän genannt,* ein Begriff, der das jüngste geologische Zeitalter der Erde als vom Menschen beeinflusst oder anthropogen definiert. Grundlage für die Definition des Anthropozän sind überwältigende, weltweit vorliegende Beweise, dass die atmosphärischen, geologischen, hydrologischen, biosphärischen und weitere Erdsystemprozesse nun vom Menschen verändert werden.¹¹

    Das Wort setzt sich aus dem Wortstamm «anthropos» (Mensch) und dem Wortstamm «-zän» (das Suffix für «Epoche in geologischer Zeit») zusammen. Das Anthropozän ist größtenteils das Ergebnis ungeregelter und nicht nachhaltiger anthropogener Aktivitäten wie die Übernutzung natürlicher Ressourcen, der Verzehr und die Nutzung von Wildtieren, der Klimawandel, der Verlust natürlicher Lebensräume und die großflächige Umweltverschmutzung.¹²

    «Anthropo» lässt sich auch mit einem anderen Suffix, «-zentrismus», verbinden, woraus sich «Anthropozentrismus» (den Menschen in den Mittelpunkt stellend) ergibt. Dieser Begriff trifft den eigentlichen Kern des Problems. Denn eben diese egoistische menschliche Haltung ist die wesentliche Ursache für die weiträumige Zerstörung von Ökosystemen, das Aussterben von Arten und globale Pandemien. Der Anthropozentrismus stellt ausschließlich die menschlichen Bedürfnisse und Wünsche in den Mittelpunkt. Alle anderen Lebewesen werden als Mittel zu menschlichen Zwecken betrachtet. Ökosysteme, Pflanzen, Bäume und andere Tiere werden verzehrt und genutzt, um dem Menschen und nur dem Menschen wirtschaftlichen und persönlichen Nutzen zu bringen. Doch nun haben sich, wie Covid-19 überdeutlich gezeigt hat, unsere egozentrischen Wünsche gegen uns gewandt – mit einer Grausamkeit epischen Ausmaßes. Mit dem Beginn dieses Jahrzehnts könnte der Mensch zur einzigen Spezies werden, die ihr eigenes Aussterben dokumentieren wird.

    Natürlich kennt der menschliche Egoismus unterschiedliche Abstufungen. Anthropozentrismus in seiner Reinform ist bei vielen von uns Menschen nicht so stark ausgeprägt. Einige Menschen sehen in Tieren nicht ausschließlich eine Ware. Tatsächlich achten viele von uns andere Tiere insofern für ihren intrinsischen Wert, als wir sie um ihrer selbst willen wertschätzen – vor allem wenn es um unsere Haustiere geht. Wir betrachten sie als Mitgeschöpfe, die ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ängste haben. Im Grund genommen zollen wir ihnen ein gewisses Maß an moralischer Berücksichtigung, und mitunter schätzen wir sie mehr als manch anderen Menschen. Einige von uns lassen diese moralische Berücksichtigung auch wilden Tieren zuteilwerden, etwa Elefanten, Löwen, Delfinen und Pandas. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie auch Schlangen, Spinnen und Mücken auf die gleiche Weise betrachten (dazu später mehr). Aber auch wenn viele von uns anderen Tieren einen intrinsischen Wert beimessen, geschieht dies nach wie vor auf anthropozentrische Weise, vor allem weil wir immer noch dazu neigen, Freud und Leid anderer Tiere aus einer menschenzentrierten Perspektive zu betrachten. Wie ich im sechsten Kapitel zeigen werde, kann auch dies mörderische Folgen haben – für andere Tiere ebenso wie für die natürliche Umwelt.

    Kurz gesagt ist der Anthropozentrismus in der kollektiven Psyche des Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt.

    Anthropozentrismus im starken Sinn räumt der Existenz und dem Wohlergehen des Menschen Vorrang ein auf Kosten des Überlebens und des Wohlergehens anderer Tiere. Starker Anthropozentrismus lässt keine Rücksicht auf den zukünftigen Nutzen einer Art zu, sondern funktioniert nach dem Motto: Nimm so viel du kannst, bevor sie ein für alle Mal verschwindet. Diesen starken Anthropozentrismus konnten wir in der gesamten Geschichte der Menschheit immer wieder beobachten.

    Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Schicksal des unglückseligen Dodos. Er war ein flugunfähiger Vogel, der zufrieden auf einem kleinen abgeschiedenen Fleckchen inmitten des Indischen Ozeans lebte. Mit seinem gedrungenen Körper und einem Gewicht von 23 Kilogramm ähnelte er einer zu groß geratenen Taube und musste weder Fressfeinde noch menschliche Aktivitäten fürchten. Diese Vögel hatten Äonen in ihrem glücklichen kleinen Inselparadies gelebt, bis ein paar portugiesische Weltumsegler 1507 irrtümlich die Insel anliefen. Ohne Fluchtinstinkt und flugunfähig war der Dodo für die von Skorbut geplagten Seefahrer leichte Beute. Unzählige Dodos wurden getötet, um an frisches Fleisch zu gelangen. Später beschleunigten eingeschleppte Arten wie Ratten, Schweine und Affen den Untergang der Dodos, weil sie deren Eier und geschlüpften Jungen in den ungeschützten Bodennestern fraßen. Die toxische Mischung aus Ausbeutung durch den Menschen und eingeschleppten Arten machte der Dodo-Population auf Mauritius in kurzer Zeit den Garaus. Nur 180 Jahre nach Ankunft des Menschen war der bedauernswerte Vogel ausgestorben. Der letzte seiner Art wurde 1681 gefangen, gerupft und gekocht.¹³

    Während der gesamten Kolonialzeit in Afrika war starker Anthropozentrismus die vorherrschende Geisteshaltung. Europäische Siedler, die ins Landesinnere vordrangen, schossen auf so ziemlich alles, was sich bewegte, und das nicht nur für den Kochtopf, sondern häufiger noch als «Sport». Es war nichts weiter als Blutdurst, der sie Trophäen sammeln ließ auf der Suche nach den schwersten Stoßzähnen, den längsten Hörnern und den größten Köpfen. Dies war insofern starker Anthropozentrismus, als sich die Kolonialherren wenig bis gar nicht darum kümmerten, die Tiere zu schützen, um sie auch in Zukunft weiterhin jagen zu können. In Südafrika starben zahlreiche Arten aus, insbesondere die Tiere, die in nächster Nähe zur ersten europäischen Siedlung im Schatten des Tafelbergs lebten, wie der Blaubock und das Quagga, während die meisten Großwildarten lokal und regional ausgerottet wurden. Als die Siedler weiter ins Landesinnere vordrangen, wurden auch die großen Wanderherden von Weißschwanzgnus, Springböcken und anderen Antilopen ausgelöscht, zumindest bis zu dem Punkt, an dem die Wanderungen der Herden komplett aufhörten. Diese Arten wurden schließlich in letzter Minute gerettet, als einige vorausschauende Jäger erkannten, dass sie ihren geliebten Sport nicht länger würden ausüben können, wenn sie nicht sofort etwas unternahmen. In einem schwächeren anthropozentrischen Sinn zäunten sie daher einige Gebiete ein, um die letzten umherstreifenden Tiere zu schützen. Geplant war, ihre Population wieder aufzubauen, um die Tiere weiterhin jagen zu können. Auf diese Weise entstanden die meisten südafrikanischen Nationalparks, darunter auch der Kruger-Nationalpark, und zahlreiche Privatparks.

    Auch in jüngerer Zeit treffen wir nach wie vor überall auf der Welt auf starken Anthropozentrismus. In Südafrika kündet die Notlage der Nashörner davon. Im Jahr 2007 wurde in Südafrika ein alarmierender Anstieg der Nashornwilderei beobachtet, der hauptsächlich auf die Nachfrage nach Nashorn-Horn in Südostasien zurückzuführen war. Die Hörner dieser Tiere werden in Ländern wie Vietnam zu medizinischen Zwecken und in anderen Ländern, wie etwa China, für geschnitzte Ornamente verwendet. Da jedoch ein stark anthropozentrischer Ansatz verfolgt wurde, um die Nachfrage zu befriedigen – das Horn wurde ohne Rücksicht auf einen etwaigen zukünftigen Bedarf aufgebraucht –, starben die Nashörner in Asien beinahe aus. Dies zwang die Händler dazu, nach Afrika auszuweichen, wo die ohnehin bereits schwindenden Populationen plötzlich einem noch stärkeren Druck durch Wilderei ausgesetzt wurden.

    Doch nicht nur Nashörner leiden unter unserem stark anthropozentrischen Verhalten. In ganz Afrika werden Elefanten ihres Elfenbeins wegen gejagt, und zwar so unerbittlich, dass in den letzten zehn Jahren ein Drittel der gesamten Population des Kontinents abgeschlachtet wurde. Auf ähnliche Weise werden Schuppentiere, die meistgeschmuggelten Tiere der Welt, gnadenlos dezimiert, denn die Nachfrage nach ihren Schuppen ist unbegrenzt.

    Das Verlangen des Menschen, bestimmte Tiere und tierische Erzeugnisse zu verzehren, gefährdet darüber hinaus Millionen von Wildtierarten, die zwar selbst nicht gejagt werden, aber wortwörtlich ins Kreuzfeuer geraten. Unser weltweiter Appetit auf Rindfleisch und die Notwendigkeit, die Milliarden von Rindern zu ernähren, die uns Nahrung liefern, haben zur massenhaften Zerstörung natürlicher Lebensräume geführt. Besonders stark betroffen ist das Amazonasgebiet, wo bereits mehrere Hunderttausend Quadratkilometer Regenwald vernichtet und zu Sojaplantagen umgewandelt wurden. Sage und schreibe 98 Prozent der Sojaproduktion dienen der Ernährung von Viehbeständen.¹⁴ Während die Regenwälder schrumpfen und zahlreiche darin lebende Arten aussterben, lassen sich die Menschen in diesen Gegenden nieder – direkt in einem Wespennest auf sie lauernder Zoonoseerreger.

    Doch nicht nur die Regenwälder verschwinden. Die meisten natürlichen Lebensräume, von der Tundra bis hin zur afrikanischen Savanne, werden in Agrarland umgewandelt oder besiedelt. Ein anderes Szenario spielt sich in den Meeren ab: Dort werden Tonnen von Fischen und anderen Meeresarten so massiv überfischt, dass ganze Ökosysteme zusammenbrechen und zahlreiche Meeresarten aussterben.

    Ein besonders extremes Beispiel für starken Anthropozentrismus ist die tragische Geschichte des winzigen Vaquita-Schweinswals, des weltweit am stärksten bedrohten Meeressäugers. Der Vaquita kommt ausschließlich in den flachen Gewässern des nördlichen Golfs von Kalifornien in Mexiko vor. 2012 lebten nur noch geschätzt 200 Vaquitas. 2014 war mehr als die Hälfte von ihnen in Stellnetzen verendet, sodass weniger als 100 Individuen übrig waren, davon wahrscheinlich weniger als 25 fortpflanzungsfähige Weibchen. Im März 2019 waren nur noch 22 Vaquitas übrig – ein dramatischer Rückgang der Population um über 95 Prozent seit 1997. Die Tage der Vaquitas auf dem Planeten Erde sind gezählt – buchstäblich. Der rapide Zusammenbruch der Population ist die direkte Folge des ungebremsten illegalen Handels mit einer anderen gefährdeten Fischart: dem Totoaba, der in Stellnetzen gefangen wird, in denen sich die Vaquitas verheddern. Der Totoaba ist wegen seiner Schwimmblase, einem Organ, das den Auftrieb des Fischs reguliert, überaus begehrt. Verantwortlich für die ausufernde Nachfrage ist China, wo das Organ als traditionelle Heilkost angesehen wird. Die Blasen werden getrocknet und von Mexiko – häufig über die USA – nach China geschmuggelt. Dies ist der jüngste und erschreckendste Fall von starkem Anthropozentrismus. Doch leider ist er nur einer von Millionen Fällen, die auf der Welt täglich auftreten.

    Bereits in den 1960er-Jahren wurde starker Anthropozentrismus als Hauptursache für die Zerstörung der natürlichen Umwelt und das Artensterben identifiziert.¹⁵ Gelehrte aus dem akademischen Umfeld, insbesondere der Philosophie, begannen am vorherrschenden anthropozentrischen Paradigma zu rütteln, indem sie die vermeintliche Überlegenheit des Menschen gegenüber Angehörigen sämtlicher anderer Arten auf der Erde infrage stellten.¹⁶ Doch ungeachtet jahrzehntelanger Kritik ist starker Anthropozentrismus, wie die oben genannten Beispiele zeigen, nach wie vor ein Problem.

    Aber auch Anthropozentrismus in einem schwächeren Sinn zieht gravierende Probleme nach sich. «Schwacher Anthropozentrismus» bedeutet, dass Wildtiere und natürliche Ressourcen weiterhin ausschließlich aus zweckgerichteter oder kommerzieller Sicht betrachtet werden (also ausschließlich im Hinblick darauf, ob sie menschlichen Interessen dienen). Doch anstelle einer Übernutzung, wie

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