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Traumbrücken: Kurze Geschichten und Kurzgeschichten - schaurig und geheimnisvoll
Traumbrücken: Kurze Geschichten und Kurzgeschichten - schaurig und geheimnisvoll
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eBook311 Seiten4 Stunden

Traumbrücken: Kurze Geschichten und Kurzgeschichten - schaurig und geheimnisvoll

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Über dieses E-Book

Der Alltag scheint oft monoton und langweilig. Doch was wäre, wenn alltägliche Begebenheit plötzlich ins Mystische, Bizarre und oder gänzlich Unglaubliche abdriften würden? Dann beschreiten Sie eine Brücke in die Welt der Träume und Phantasie.

Dort werden Sie Zeuge eines erschreckenden Bewerbungsgesprächs. Sie treffen auf den Wirt einer Kneipe, dessen widerspenstiger Gast einen bedrohlichen Verbündeten mitbringt. Sie erkennen, wie fatal ein Irrtum in einer feuchten, kalten Nacht sein kann. Sie begleiten einen Mann, für den Wind und Wetter keine Bedeutung zu haben scheint. Auch kann der Einkauf von Gemüse plötzlich ungeahnte Auswirkungen haben. Sie sollten zudem nie dem freundlichen Polizisten an der Ecke vertrauen, denn er könnte ein düsteres Geheimnis bergen. Oder träumen Sie einfach ein wenig - auch wenn die Träume Sie erschrecken mögen. Begleiten Sie einen Schiffbrüchigen auf einer beinahe kulinarischen Reise. Gruseln Sie sich beim Anblick einer wenig harmonischen, jungen Familie. Achten Sie vor allem bei Nebel immer auf den Weg - sonst könnten sie selbst bei vertrauten Pfaden verloren gehen. Denken Sie manchmal auch an Begebenheiten aus Ihrer Kindheit? Verschwimmt nicht oft die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit? Sehen Sie in den lyrischen Abgrund des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, der auch von Kindern geführt wird.

Mit 12 Geschichten und einem Gedicht präsentiert Ihnen der Autor eine Auswahl von verrückten Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen, wenn der Alltag mal wieder zu alltäglich wird. Lassen Sie sich also in die Welt dahinter entführen, dorthin, wo der schöne Schein sein wahres Gesicht zeigt. Ein wohliger Schauer sei Ihnen gewiss – und manchmal geht er auch mit einem Schmunzeln einher.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum29. Juni 2023
ISBN9783347978652
Traumbrücken: Kurze Geschichten und Kurzgeschichten - schaurig und geheimnisvoll
Autor

Harry Fehlemann

Harry Fehlemann, Jahrgang 1962, ist schon als Kind mit viel Phantasie ausgestattet. Früh begann er mit der Lektüre von Gruselheftchen, wie dem „Dämonenkiller“. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit eine wahre Leidenschaft für alles Phantastische. Science Ficition, Fantasy und der gepflegte Grusel faszinierten ihn in Literatur, Film und Spiel. Seit seinen frühen Zwanzigern bringt er die eigenen Ideen auf Papier, ohne jedoch je an eine Veröffentlichung gedacht zu haben. Mit Anfang 50 entschloss er sich dann doch, einige seiner Geschichten in einem Buch zusammenzufassen. Daraus entstand der erste Kurzgeschichtenband "Traumbrücken" (Erstveröffentlichung 2014). Das Buch bedient sich in erster Linie autobiografischer Alltagsgeschichten, die im Laufe der Handlung in völlig surreale Richtungen abdriften. Harry Fehlemann ist seit mehr als 30 Jahren glücklich verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Niedersachsen.

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    Buchvorschau

    Traumbrücken - Harry Fehlemann

    Bewerbungsgespräche habe ich in meinem Leben bereits einige geführt, doch keines hat mich – zum Glück – jemals in eine solche Situation gebracht. Die Kurzgeschichte ist die Wiederauflage einer meiner ersten Schreibversuche der 80er Jahre. Das Original ist leider verloren gegangen, Idee und Handlung trug ich aber über Jahre weiter in meinem Kopf umher, bis ein Schreibwettbewerb unserer regionalen Tageszeitung mich veranlasste, eine verkürzte Version (der Wettbewerb schrieb eine maximale Zeichenzahl vor) erneut niederzuschreiben. Hier präsentiere ich allerdings die vollständige Geschichte. Ach übrigens, einen Preis habe ich damit nicht gewonnen. Ich hoffe, sie gefällt trotzdem.

    Michael bog um die Ecke des leicht verwitterten Backsteinhauses und blickte auf eine lange imposante Frontseite. Vier Stockwerke hoch, Fenster an Fenster gereiht und mit einem von seiner Position aus nur vage erkennbaren Dach, stand das wuchtige Gebäude wie die Trutzburg eines teutonischen Eroberers vor ihm. Ein Anflug von Nervosität stieg in ihm auf. Man stellte sich ja nicht alle Tage bei einem neuen Arbeitgeber vor, und schon gar nicht als Deutscher in Spanien. Die heiße Sonne über Barcelona brannte ihm auf den Rücken und er dachte kurz daran, sein graues Jackett auszuziehen, entschied sich dann aber dagegen, da er sein Ziel fast erreicht hatte. Das Eingangsportal oberhalb einer breiten dreistufigen Steintreppe bestand aus zwei schweren, fachmännisch dunkelrot lackierten Holzflügeln, die jeweils einen sauber polierten, goldglänzenden Knauf in der Mitte besaßen. In Augenhöhe waren die Worte Juan Diemo-Zorta S. A. in das massive Holz eingeschnitzt und mit Goldfarbe nachgezeichnet worden, was einen zwar konservativen, aber edlen Eindruck hinterließ.

    Er schaute sich um und suchte nach einem Klingelknopf. Als er keinen fand, ergriff er den Knauf und stieß den rechten Flügel mit einem kräftigen Stoß auf. Unmittelbar stand er in einer hohen, durch drei prunkvolle Deckenleuchten in sanftes Licht getauchten Empfangshalle. Der Boden war mit karmesinroten und weißen Mosaiksteinen kunstvoll gemustert und vermittelte dem Besucher das Gefühl, den Tempel eines Maharadschas zu betreten. Stuckverzierte Wände mit Marmorornamenten ließen deutlich erkennen, dass der Besitzer bei der Einrichtung keine Kosten gescheut hatte. Ölgemälde unbekannter und teilweise seltsam anmutender Adliger aus einem längst vergangenen Jahrhundert zierten den Eingangsbereich. Überwältigt von der prachtvollen Ausstattung dachte Michael an die fast schon programmatische Sachlichkeit seiner bisherigen Arbeitgeber. Gespannt, was ihn als Nächstes erwarten würde, trat durch eine weitere zweiflügeligen Tür, in die farblich zur Innenausstattung passende Bleikristallfenster eingelassen waren. Sie gaben die Sicht auf einen langen, durch zahlreiche üppig verzierte Wandleuchten deutlich helleren Raum frei, der zweckmäßiger, aber nicht weniger eindrucksvoll eingerichtet war. Auch hier hingen Gemälde an den mit wertvollen Leinentapeten versehenen Wänden. Ein edler Teppich in warmen braunen Farbtönen harmonierte perfekt mit der übrigen Einrichtung. Am Ende dieses relativ großen Raumes sah man auf einen wuchtigen Schreibtisch, hinter dem bei Miczwarhaels Eintreten ein fast lächerlich wirkender, kleiner Mann in schwarzem Anzug und Lackschuhen hervortrat. Mit einem breiten Lächeln, das in ungewöhnlichem Kontrast zu seinen kalten, unergründlichen Augen stand, streckte dieser ihm die Hand entgegen und begrüßte ihn auf Spanisch. Während sie erste Höflichkeitsfloskeln austauschten, erfasste Michael ein leichtes Schwindelgefühl, hatte er doch schon jetzt den Eindruck, die neue Stelle in diesem offensichtlich exquisiten Unternehmen so gut wie sicher zu haben. Mit einem Hinweis auf den Besprechungsraum führte der kleine Mann ihn zu einer Tür, die Michael zunächst gar nicht aufgefallen war. Unscheinbar, fast nur ein schlichtes glattes Holzbrett, füllte sie die Wand zwischen zwei schweren Eichenschränken aus. Der Spanier öffnete Sie und bat seinen Gast einzutreten. Freundlich nickend folgte dieser der Aufforderung.

    Mit einem Mal umgab Michael völlige Dunkelheit. Sie war derart undurchdringlich, dass sie sich wie ein öliger Film auf seine Haut zu legen schien. Sein Herz schlug einige Takte schneller und seine Augen versuchten vergeblich, das Schwarz zu durchdringen. Er zwang sich zur Ruhe, rechnete er doch fest damit, dass der kleine Spanier in der nächsten Sekunde das Licht eines üppigen Leuchters einschalten und den Blick auf einen gediegen ausgestatteten Besprechungsraum freigeben würde. Er wartete. Nichts geschah.

    Um nicht sinnlos in der Gegend herumzustehen, tastete er mit ausgestrecktem Arm nach vermeintlichen Sitzgelegenheiten. Doch die zaghaften Schritte im Nichts und seine suchende Hand trafen auf keinen Widerstand. Es vergingen unendliche Minuten und er wurde langsam unruhig. Der Spanier war noch immer nicht aufgetaucht. Michael machte einen beherzteren Schritt nach vorne und stieß mit dem Knie gegen etwas, das bei der Berührung nachgab. Er glaubte sogar und schalt sich dafür einen Narren, es habe sich bewegt. Erneut tastete er mit seiner Rechten nach Einrichtungsgegenständen, die ihm als Orientierung dienen könnten. Und tatsächlich, da war etwas. Zunächst vermeinte er, endlich die Sitzgelegenheit gefunden zu haben und sein Herz vollführte schon einen kleinen Freudensprung. Die Aussicht, sich hinsetzen zu können erschien ihm in diesem Moment wie ein Rettungsanker auf hoher See. Seine Hand strich über den Gegenstand. Es war kein Stoff, aber auch kein Leder. Es schien eher wie die Haut eines … Wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zuckte er erschrocken zurück. Im gleichen Augenblick konnte er ein deutliches Schnauben vernehmen, wie das eines auf den Matador lauernden Stiers. Die Arme tastend nach hinten gestreckt, bewegte er sich vorsichtig rückwärts. Das Schnauben wurde zu einem bedrohlichen Knurren, das langsam auf ihn zu kam. Ein Lufthauch streifte sein Gesicht, ein Hauch, der Moder und Verwesung mit sich trug. Es schnürte Michaels Kehle zu. Schweißperlen sammelten sich an seinem Hemdkragen, der sich wie eine Schlinge immer enger um seinen Hals zog. Ein helles Klacken wie von Krallen auf einem kahlen Steinboden begleitete die furchterregende Geräuschkulisse.

    KLACK..KLACK..KLACK

    Immer näher kam das Geräusch und doch schien es noch weit entfernt. Michael zog sich jetzt hektisch zurück. Er konnte sich nicht erinnern, so tief in den Raum hineingegangen zu sein und noch immer hatte er die Wand nicht erreicht. Je schneller er sich bewegte, desto eindringlicher und bedrohlicher wurde das Klacken.

    KLACK.KLACK.KLACK

    Und dann rannte Es los. Lange verborgene Urinstinkte ließen Michael in einem Reflex in die Hocke gehen und die Arme um den Kopf legen. Dennoch traf Es ihn mit voller Wucht an der rechten Schulter. Er verlor das Gleichgewicht und kippte um. Blitzschnell rappelte er sich auf, wurde aber erneut gerammt und schlug wieder lang hin. Irgendwo im Unterbewusstsein registrierte er, dass völlige Dunkelheit dem Gleichgewichtssinn ganz schön zu schaffen machte, doch hatte er keine Zeit, sich näher mit dem Phänomen zu befassen. Denn Es packte sein Jackett und zog gierig daran, wie ein Hund an einem Knochen, den man festhielt. Michael hörte das deutliche Geräusch von reißendem Stoff. Mit einer Drehung entledigte er sich des Kleidungsstücks und sprang wieder auf die Füße. Ohne Rücksicht auf eventuelle Hindernisse, rannte er los, in der Hoffnung auf eine Wand zu treffen.

    KLACKKLACKKLACK

    Es nahm die Verfolgung auf. Irgendwann kam die Wand. Michael rannte mit voller Wucht dagegen und prallte zurück.

    KLACKKLACKKLACK

    Benommen lag er einige Sekunden schwer atmend auf den kalten Steinfliesen. Die genügten dem Ding, ihn zu erreichen. Es verbiss sich in Michaels Hosengürtel und schüttelte ihn mit unheimlicher Kraft. Er wurde hin und her geworfen und wand sich in Panik auf dem Boden. Mit bloßen Fäusten trommelte er auf einem wuchtigen Körper herum und spürte die Borsten, die auf der groben, festen Haut wuchsen. Es nahm überhaupt keine Notiz von seiner Gegenwehr. Als sein Gürtel in zwei Teile riss, stieß er einen gellenden Schreckensschrei aus. Ganz wie ein Raubtier, das seine Mahlzeit nicht entwischen lassen wollte, schnappte eine gierige Schnauze sofort nach, verfing sich dabei aber lediglich im Hosenstoff. Ohne richtig zu wissen wie, war Michael plötzlich wieder auf den Beinen. Vor Angst schlotternd schienen die ihm jedoch ihren Dienst versagen zu wollen und gaben nach. Dagegen ankämpfend versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen. Mit keuchendem Atem und rasendem Herzen blieb es allerdings bei dem Versuch. Denn Es kam erneut näher.

    KLACK…KLACK…KLACK

    Wo war die Tür? Der Gedanke schoss ihm fast schon schmerzhaft durch den Kopf. Gleichzeitig fingerte er nach dem Streichholzheftchen, das er am Mittag in einem Restaurant in seine Hosentasche gesteckt hatte.

    KLACK…KLACK…KLACK

    Er fischte das Heft aus der Tasche, riss mit zitternden Fingern ein Zündholz ab und zog es über die Reibfläche. Da wurde er erneut mit einer Wucht getroffen, die ihn gegen die Wand schleuderte. Ihm blieb die Luft weg. Sterne tanzten vor seinen Augen. Ein stechender Schmerz zog seinen linken Arm hinauf und er schrie auf. Panik und Wut brachen aus ihm heraus. Mit unendlicher Verzögerung drängte sich dann aber etwas Wichtiges in sein Bewusstsein, das sich ihm in seiner alles überlagernden Angst jedoch immer wieder entzog. Dann konnte er den Gedanken endlich greifen. Es war das Geräusch seines eigenen Körpers, als er wenige Sekunden zuvor gegen die Wand geschleudert worden war. Es hatte hohl geklungen. Holz! Die Tür!

    KLACK…KLACK…KLACK

    In einer umständlichen Verrenkung tastete er mit einem Arm die Fläche der Wand hinter sich ab. Seine Fingerspitzen spürten nur groben Putz … nichts. Etwas mehr rechts … Putz. Dann doch links … ja, ein anderes Material. Wie wild fuhren seine Hände darüber, erkundeten in hektisch-fahrigen Bewegungen jeden Zentimeter, bis er tatsächlich einen Knauf ertastete.

    KLACK..KLACK..KLACK

    Michael zog daran … nichts bewegte sich.

    KLACK.KLACK.KLACK

    Er drückte den Knauf … noch immer nichts.

    KLACKKLACKKLACK

    Mit der verzweifelten Kraft der Todesangst warf er sich gegen die Holzplatte und brach mit der Tür ins Freie. Blind vor Grauen stürzte er, ohne nach rechts und links zu schauen, so schnell ihn seine Füße tragen konnten, aus dem Haus.

    Drei Stunden später saß Michael mit zwei Offizieren der Guardia Civil in einem Streifenwagen und realisierte langsam, dass man ihn nicht für voll nahm. Die Beamten wollten ihm erzählen, dass es an der Adresse, die er genannt hatte, gar keine Firma gäbe. So ein Blödsinn, er war doch gerade da gewesen. Die Erinnerung schnürte ihm erneut die Kehle zu. Nur mit Mühe konnte er die Polizisten dazu überreden, mit ihm zum Ort des Geschehens zu fahren. Jetzt bogen sie um die ihm bereits bekannte Ecke des Backsteinbaus. Langsam fuhren sie die lange Frontseite des vierstöckigen Gebäudes entlang und hielten an. Ein Beamter öffnete ihm die Fahrzeugtür und er stieg aus. Er sah die Steinstufen hinauf, die er wenige Stunden zuvor das erste Mal betreten hatte und sein Körper fiel in sich zusammen. Schwindel und Übelkeit ergriffen Besitz von ihm. Mit verzweifelter Miene starrte er auf ein mit roten Lackresten übersätes, durch Wind und Wetter stark mitgenommenes Portal, das an vielen Stellen mit Holzlatten notdürftig geflickt war. Ein Türflügel fehlte ganz. Die Öffnung gab den Blick auf Schuttberge frei, die sich über Jahre dort angesammelt haben mussten. Völlig außer Fassung taumelte Michael in den muffigen Flur. Ratten zogen sich laut quiekend in die Dunkelheit zurück. Von den Wänden blätterte der Putz und die Feuchtigkeit hatte große Schimmelpilze wachsen lassen. Tränen traten Michael in die Augen. Er hatte sich doch nicht alles nur eingebildet. Er war doch hier gewesen.

    Der lange Raum bewies ihm jedoch das Gegenteil. Abfall und Unrat längst vergangener Zeiten türmten sich bis zu der Stelle, wo in seiner Erinnerung der wuchtige Schreibtisch gestanden hatte. Sein Blick wanderte umher und dann entdeckte etwas, das Hoffnung in ihm aufkeimen ließ. Zwei verwitterte, aber eindeutig wiederzuerkennende Eichenschränke lehnten an der rechten Wand. Eilig rannte Michael zu den Möbelstücken, stolperte dabei über Erdhügel und verbogene Metallgitter und blieb schließlich wie angewurzelt stehen. Seine Schultern sanken noch ein Stück tiefer und endlose Verzweiflung erfasste ihn. Zwischen den Schränken fand sich nichts weiter als nackter Stein. Der Putz hatte sich mit den Jahren herausgelöst und rote, ebenfalls stark verwitterte Ziegel freigelegt. Die beiden Polizisten traten neben ihn und zogen ihn vorsichtig am Arm. Die leeren Augen auf den Boden gerichtet, trottete er hinter den Beamten her ohne seine Umgebung noch richtig wahrzunehmen. Beim Anblick der alten Backsteine hatte er den Glauben an seinen Verstand endgültig aufgegeben.

    Als er wieder in den Wagen der Guardia Civil stieg, konnte er den schrillen Todesschrei der Ratte nicht mehr hören, und auch nicht das sich langsam entfernende Geräusch.

    KLACK…KLACK…KLACK…

    * * *

    Diese kleine böse Geschichte ist ein typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn ich mich an den Schreibtisch setze, mit ein paar planlosen Sätzen und Worten beginne und es plötzlich, zunächst völlig ziellos, aus mir heraus sprudelt. Das Ende war für mich ebenso überraschend, wie möglicherweise für den Leser. Es hat sich einfach so ergeben.

    »N omen est omen …!«, sagte der kleine grauhaarige Mann mit einem humorlosen Grinsen und schob einen verschlissenen Ausweis etwas linkisch über die glatte Fläche des Tresens. Der kugelrunde Wirt mit den überdimensionalen Tränensäcken, der fleckigen Schürze und dem verwaschenen T-Shirt wischte sich die Hände notdürftig an einem kaum noch trocken zu nennenden Handtuch ab und ergriff das Dokument mit spitzen Fingern. Ein feistes Grinsen stand in seinem Gesicht als er die Buchstaben mit seinen von zuviel Alkohol glänzenden Augen anstarrte. Er murmelte etwas Unverständliches vor sich hin – vermutlich den Namen des Gastes: Totmacher! Sein Blick wanderte vom Ausweis zu dem Mann auf dem hölzernen Barhocker und er versuchte sich vorzustellen, wie dieses Würstchen kaltblütig jemanden umbrachte. Wieder musste er schmunzeln. Niemals!

    Ein Gast im hinteren Teil seines Lokals rief nach ihm und er gab den Pass mit den Worten »Nichts für ungut!« und einem Kopfschütteln an seinen Besitzer zurück. Während er sich entfernte, keifte ihm Totmacher mit verächtlicher Stimme hinterher: »Das glauben Sie wohl nicht?« Grinsend schlurfte der dicke Wirt mit schweren Schritten auf den Gast in der Ecke zu. Sofort entspann sich eine angeregte Unterhaltung. Beide schienen sich köstlich zu amüsieren. Ihre Blicke streiften immer wieder den Tresen, von dem Totmacher sie argwöhnisch beobachtete.

    Als der Barmann wieder hinter seine Theke zurückkehrte, ließ er den Blick mit dem geübten Auge jahrelanger Erfahrung über die glatte Oberfläche wandern, um festzustellen, ob leere Gläser zu füllen waren. Der Grauhaarige mit dem seltsamen Namen hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Noch immer saß er, wie nun schon seit mehr als einer Stunde, auf seinem Barhocker vor einem Bier und starrte gedankenverloren in die inzwischen kaum noch vorhandene Schaumkrone. Und doch hatte sich etwas verändert. Direkt rechts neben dem Bierglas nur etwa zehn Zentimeter entfernt lag ein Revolver. Es war nicht irgendein Revolver, wie man ihn zu Tausenden in irgendwelchen Fernsehserien gesehen hatte. Nein, es handelte sich um einen echten Peacemaker. Blankgeputzt und das schummrige Licht der Barbeleuchtung reflektierend, strahlte die Waffe mit dem extrem langen Lauf auf der glatten, fast schwarzen Oberfläche des Tresens wie ein Goldstück im Kohleflöz. Die kunstvoll geschnitzten Holzverschalungen des Griffes ließen den Wert dieses Colts ebenso erkennen, wie die Ebenmäßigkeit des Laufes und der Trommel. So lag sie da und bildete einen ungewöhnlichen Kontrast zu dem kleinen schrumpligen Mann mit dem grauen, schlecht sitzenden Buchhalteranzug. Mann und Colt schienen nicht zusammenzugehören, ja nicht einmal auf den gleichen Planeten zu passen, und trotzdem starrte Totmacher jetzt nicht mehr in sein Glas, sondern daran vorbei auf das glänzende Mordinstrument.

    Der Wirt, der abrupt in der Bewegung innegehalten hatte, zögerte nur kurz und schlenderte schließlich scheinbar völlig unbeteiligt auf den Gast zu. »Wissen sie«, begann Totmacher, »früher hatte ich immer Angst, ich würde mal an einem Geschwür sterben oder von einem Auto überfahren werden.« Er fuhr sich mit dem Handrücken gedankenverloren an der stoppeligen Wange entlang. »Das wäre ja wenigstens etwas gewesen.« Ein Anflug von Verzückung trat in seine Augen. Dann kam die Lethargie zurück. »Aber davon hätte ich ja nichts gehabt!« Viele Pausen sind unangenehm, die jetzt eintretende Stille hingegen ermöglichte es dem Wirt, einige Gedanken daran zu verschwenden, wie er, ohne ein Risiko eingehen zu müssen, an die Waffe kommen könnte. Doch er kam zu keinem sinnvollen Ergebnis, denn Totmacher sprach plötzlich weiter.

    »Sind sie verheiratet?«

    Er stellte die Frage einfach so in den verrauchten Raum hinein, ganz so als wolle er alle Anwesenden gleichzeitig oder auch nur sich selbst befragen. Erschrocken darüber, dass von ihm nun eine Antwort erwartet wurde, schüttelte der Barkeeper den schweren Kopf und griff, fast wie automatisch, nach einem Glas, das er zu polieren begann. »Seien sie froh! Ich b …« Totmacher unterbrach sich und verzog seine Lippen zu etwas, das wohl als Lächeln durchgehen sollte, aber vollkommen missglückte. Dann fuhr fort: »Nein ich, war über fünfundzwanzig Jahre verheiratet! Ich kann ihnen sagen, der reinste Psychoterror!«

    Wieder einer, der ihm sein Leid klagen wollte, dachte der Barmann und fügte sich in seine Rolle als aufmerksamer Beichtvater, wie schon unzählige Male bei unzähligen traurigen Gestalten zuvor. Er kannte die Geschichten von unerfüllter Liebe, tyrannischen Ehefrauen oder blutsaugenden Chefs nur zu gut. Es waren auch meist die gleichen Typen, die ihren Seelenmüll bei ihm abluden, und er hörte geduldig zu. Der Kneipier bekam mehr zu tun, weil sich das Lokel langsam mit Gästen füllte. Noch immer lag der Revolver neben dem Bierglas, doch niemand schien Notiz davon zu nehmen. Totmacher war mit seiner Lebensgeschichte inzwischen bei den Kindern angelangt. Soviel hatte er ihnen gegeben, ohne etwas zurückzuverlangen – völlig selbstlos. Trotzdem seien die Bengel fürchterlich undankbar. Kaum dass sie ihr Studium beendet hatten, verschwanden sie auf Nimmerwiedersehen. Einmal im Jahr bequemten sie sich vielleicht mal dazu, die Eltern zu besuchen und aus dem Urlaub – natürlich in Amerika – kommt gelegentlich mal eine Karte. Das war es dann aber auch schon.

    Mit einer ausladenden Geste bedeutete der Wirt den gerade eintretenden Gästen freundlich, sie mögen sich einen freien Tisch aussuchen, als Totmacher von seinem Hocker aufsprang und lautstark durch die Bar krakeelte. »Hörst du mir überhaupt zu?« Augenblicklich trat tödliche Stille ein. Niemand regte sich. Der Wirt hielt in der Bewegung inne und ließ seinen fleischigen Arm langsam sinken. Die bei ihm stehenden Gäste murmelten sich einige Worte zu und verließen eilig das Lokal, ohne das Angebot der freien Tischwahl in Anspruch zu nehmen. Wutschnaubend wollte sich der Barmann dem Aufrührer zuwenden, als ihm der »Friedensstifter« wieder einfiel. Das heißt, eigentlich strahlte ihn die Waffe vom Tresen her geradezu an. Bedrohlich und zur Ruhe mahnend zeigte ihr Lauf wohl eher zufällig auf ihn. Das kreisrunde Loch am Laufende schien beinahe darauf zu warten, seine vernichtende Arbeit beginnen zu dürfen. Totmacher stand neben seinem Hocker und atmete schwer. Sein Gesicht noch grauer, sein Anzug noch zerknitterter, blitzten seine Augen dem Wirt eine Mischung aus Hass und tiefer Verachtung entgegen. Dem mit allen Wassern gewaschenen Barbesitzer lief ein kalter Schauer über den Rücken.

    Seine inneren Sirenen und Warnungen in den Wind schlagend, setzte er plötzlich seine gut 150 Kilo Lebendgewicht in Bewegung und umschlang mit seinen massigen Armen fest den kleinen Mann. Der Angriff kam so überraschend, dass Totmacher jegliche Möglichkeit zum Ausweichen genommen wurde. Sich wie ein Fisch windend bekam er kurz eine Hand frei, mit der er versuchte das glänzende Ding auf der Theke zu erreichen. Doch er wurde wie in einem Schraubstock gehalten, während ein zweiter Gast dem Wirt zur Hilfe kam. Gemeinsam drückten die beiden den wütend zappelnden und fluchenden kleinen Mann in einen Stuhl, wo sie ihn mit einem Abschleppseil, das der Helfer schnell aus seinem Wagen geholt hatte, fest verzurrten.

    Die übrigen Besucher des Lokals hatten den Vorfall mit Interesse beobachtet und versammelten sich nun um den Holzstuhl mit dem zusammengesunkenen Totmacher. Umringt von Gesichtern voller Unverständnis, Hohn und Verärgerung blickte dieser mit leerem Blick von einem zum anderen, ganz so als präge er sich jeden einzelnen Anwesenden genau ein. Dann ließ er ein hysterisches Kichern hören und begann mit dem Stuhl auf dem Boden herumzuhopsen. Wie ein gefangenes Tier bäumte er sich immer und immer wieder wild zappelnd auf. Das stabile Sitzmöbel hielt jedoch den Angriffen stand und der Wirt schüttelte angesichts derart offensichtlicher Dummheit verständnislos den Kopf. Entschlossen, die Polizei zu rufen, wandte er sich ab, als ein lautes Poltern den Raum erfüllte. Totmacher hatte es nun doch geschafft, seinen Sitz umzuwerfen und war dabei einem Gast gegen das Schienbein gekippt. Dieser hockte mit verzerrtem Gesicht vor dem Tresen auf dem Boden und rieb sich fluchend die schmerzende Stelle. Als er sich wieder aufrichten wollte, wurde seine Bewegung auf halber Höhe jäh durch eine Stange gestoppt, die sich rund um die Theke zog und Betrunkene vor dem Sturz vom Barhocker schützen sollte. Sie traf ihn am Kopf und er sank abrupt erneut zusammen.

    Der kugelrunde Wirt mit der fleckigen Schürze verzog mitfühlend das Gesicht, als er die Szene beobachtete. Doch auch etwas anderes erregte seine Aufmerksamkeit. Eine Reflexion, nur für den Bruchteil einer Sekunde, traf seinen Augenwinkel. Sein Blick wandte sich nach rechts. Da lag sie, immer noch glänzend, bedrohlich, auf der Kante des Tresens und rutschte – unendlich langsam, wie in Zeitlupe. Der lange Lauf kippte über den Rand, neigte sich dem Fußboden zu und zog den Rest der Waffe mit sich. Die Spiegelung der Deckenbeleuchtung wanderte das chromglänzende Rohr entlang und zerstreute sich, als sie die Trommel erreichte. Der Griff schien für einen Augenblick den Absturz stoppen zu können, ein Zögern, das sich jedoch schnell als böswillige Täuschung heraus stellte. Nach hinten überschlagend vollführte das Metall geräuschlos zwei und eine halbe Drehung in der Luft. Einem Mannequin gleich präsentierte sich das Mordinstrument den Anwesenden in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit. Lauf, Trommel, verzierter Griff und die geladenen Geschosse wurden freimütig gezeigt. »Seht her, wie schön ich bin!« Der Aufprall auf dem harten Fliesenboden ließ einen hohen Ton erklingen, der dem Spannen des Pistolenhahns nicht unähnlich war. Für einen Moment kam dem Wirt zumindest dieser Gedanke, der jedoch gleich wieder in den Tiefen seiner Erinnerung verschwand. Nach einer pirouettengleichen Bewegung auf dem

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