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Ludentes - Die Spielenden: Cyberpunk Einzelband
Ludentes - Die Spielenden: Cyberpunk Einzelband
Ludentes - Die Spielenden: Cyberpunk Einzelband
eBook731 Seiten9 Stunden

Ludentes - Die Spielenden: Cyberpunk Einzelband

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Über dieses E-Book

Wenn es um Leben und Tod geht, nach wessen Regeln spielst du?

Gespannt blickt die Welt auf das Sportereignis des Jahres: die Meisterschaft der Kriegsspiele. In simulierten Schlachten kämpfen die Heere der global einflussreichsten Konzerne um den Weltmeistertitel. Für die Unternehmen geht es dabei um Sympathie und Prestige – für die Generalin Saoirse Rox hingegen um ihre Existenz.
Was sie jedoch nicht ahnt: Diese Saison ist alles anders. Neue Regeln, fremde Spielwelten, technische Defekte. Saoirse findet heraus, was hinter den seltsamen Ereignissen steckt – und bezahlt einen hohen Preis dafür.

Plötzlich steht weit mehr auf dem Spiel als der Weltmeistertitel.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Sept. 2022
ISBN9783910615588
Ludentes - Die Spielenden: Cyberpunk Einzelband

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    Buchvorschau

    Ludentes - Die Spielenden - Lara Roner

    Ludentes.jpg

    Copyright 2022 by

    Dunkelstern Verlag GbR

    Lindenhof 1

    76698 Ubstadt-Weiher

    http://www.dunkelstern-verlag.de

    E-Mail: info@dunkelstern-verlag.de

    ISBN: 978-3-910615-58-8

    Alle Rechte vorbehalten

    Für alle, die die Würfel in die Hand nehmen,

    um sich für das Richtige einzusetzen.

    Und für Catulla, meine arrogante Bartagame.

    Wenn du lesen könntest, würde dir dieses Buch gefallen.

    Inhalt

    Triggerwarnung

    Infobroschüre: die Meisterschaft der Kriegsspiele

    Playlist

    Erster Abschnitt

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Zweiter Abschnitt

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Dritter Abschnitt

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Vierter Abschnitt

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Epilog

    Danksagung

    Triggerwarnung

    Triggerwarnung

    Liebe*r Leser*in,

    dieser Roman enthält Themen und Ereignisse, die nicht jede*r lesen will. Dazu gehören insbesondere explizite körperliche sowie psychische Gewalt, Tod und Krieg, aber auch einige andere, die sich anhand des Klappentextes schwieriger erahnen lassen. Damit niemand unfreiwillig gespoilert wird, befindet sich hinten im Buch eine Liste mit allen Inhalten, auf die wir hinweisen möchten. Dabei wird unterschieden, ob die Themen explizit dargestellt oder angedeutet/angesprochen werden.

    Wir wünschen ein schönes Leseerlebnis!

    Lara Roner & der Dunkelstern Verlag

    Infobroschüre: die Meisterschaft der Kriegsspiele

    Jedes Jahr wird in lebensechten Simulationen die Meisterschaft der Kriegsspiele ausgetragen. Dabei treten Heere von 600 Soldat*innen an, um auf realistischen, historischen, futuristischen oder fantastischen Maps den Sieg für jenen Konzern zu erringen, dem sie zugehörig sind. Für alle, die zum ersten Mal zusehen, haben wir hier ein Einmaleins, das darüber informiert, was man über die Meisterschaft wissen muss.

    Heeresorganisation

    Die Spitze eines Heeres ist die Klasse der Offizier*innen. Höhere Offiziersdienstgrade, die sogenannten Generalsränge, bilden den Generalsstab und sind somit in die Planungen eingebunden (Taktiken, Waffenankauf etc.). An oberster Stelle im Heer steht der*die General*in.

    In den Meisterschaften werden üblicherweise diese Offiziersdienstgrade verwendet (vom höchsten zum niedrigsten aufgelistet):

    Die Dienstgrade der Klassen Unteroffizier*innen und Rekrut*innen werden in dieser Übersicht ausgelassen.

    In den Meisterschaftsheeren kommen zumeist auf jede*n aktive*n Offizier*in eines Dienstgrads zwei aktive Offizier*innen des nachfolgenden Ranges (bedeutet: 1 General*in, 2 Generalleutnant*innen, 4 Generalmajor*innen, etc.).

    Meisterschaftsablauf

    Playlist

    ERSTER ABSCHNITT

    Dallas Stars – The Rising

    Bring Me The Horizon – Ludens

    I Prevail – Paranoid

    ZWEITER ABSCHNITT

    Three Days Grace – Get Out Alive

    I Prevail – Scars

    The Score – Enemies

    Palaye Royale – Tonight Is The Night I Die

    DRITTER ABSCHNITT

    Bring Me The Horizon, YUNGBLUD – Obey

    Hollywood Undead – Lion

    Seether – Dangerous

    Silverstein, Aaron Gillespie – Infinite

    VIERTER ABSCHNITT

    Skillet – Surviving The Game

    Shinedown – State of My Head

    Discrepancies – Not Alone

    STARSET – It Has Begun

    Erster Abschnitt

    Die Realität ist nicht genug.

    Ludere Gaming Company

    Kapitel 1

    Scheiße!, dachte Saoirse. Sie hatte sich nicht versehen.

    Da, am Horizont, waren sie: Hornets – die fliegenden Scheiben, die ihre Niederlage besiegeln würden. Es mussten Hunderte sein, wenn nicht Tausende! Genug, um Saoirses Armee innerhalb weniger Minuten zu vernichten.

    Ein Knacken ertönte in ihrem Ohr, gefolgt von schweren Atemzügen. »General …«, keuchte Apollo.

    »Ich habe sie gesehen«, entgegnete Saoirse und gab per Handzeichen Befehle an einen Generalleutnant. »Wie lange noch, bis sie uns erreichen?«

    Während sie Apollos Einschätzung abwartete, ließ sie den Blick über das Schlachtfeld schweifen. In dem kahlen, felsigen Tal vor ihr drängten die Soldaten dicht an dicht. Rote Staubwolken fegten über ihre Köpfe hinweg und verschluckten die Hornets. Nur dank ihrer grün blinkenden Lichter konnte Saoirse einige von ihnen ausmachen.

    Apollo brummte ihr durch die Funkverbindung ins Ohr. »Na ja …«

    Gleich darauf erübrigte sich die Frage. Hinter dem rötlichen Schleier tauchten Dutzende Hornets auf. Mit der Geschwindigkeit einer vollautomatischen Schusswaffe feuerten die handtellergroßen Scheiben kleine Laser ab, die einen Soldaten nach dem anderen zur Strecke brachten. Schussgeräusche überschlugen sich mit Schreien, die aus Apollos Umgebung zu Saoirse drangen.

    Ein Kribbeln nahm ihren Körper ein und die Zahnräder in ihrem Kopf setzten sich in Bewegung; versuchten, mit dem Tempo des Angriffs mitzuhalten. Verdammt, sie hätte damit rechnen sollen, dass das feindliche Heer ein Ass im Ärmel hatte! Rückblickend war es offensichtlich gewesen. Aber das nützte jetzt auch nichts mehr.

    Saoirses Heer war vernichtend in der Unterzahl und kaum jemand mit einem Schild ausgestattet, der den Hornets standhielt. Sie brauchte eine Formation, die das ausglich. Doch im Moment rannten ihre Leute kreuz und quer herum – es herrschte Chaos. Ein Plan musste her. Sofort. Apollo und die anderen warteten auf einen Befehl.

    Konzentriert kaute sie auf ihrer Wange herum, bis sich ein metallischer Geschmack über ihre Zunge legte. Es gab eine Lösung, sie war sich sicher.

    Mit jeder Sekunde, die sie schwieg, kamen die Schlachtlaute näher. Sie drangen nicht mehr über Apollo zu ihr, sondern durch ihre Rüstung. Die Schreie, die Explosionen, das Zischen der Laserstrahlen waren in ihrer unmittelbaren Nähe.

    Da stach Saoirse etwas ins Auge, das nicht in die Szenerie passte: die Feinde. Sie zogen sich zurück. In Scharen liefen sie … weg von Saoirses Leuten. Mit ihnen gerieten auch die Hornets ins Stocken.

    Scharf sog Saoirse die Luft ein. Eine Gänsehaut rollte ihr über den Körper wie kleine elektrische Stöße, geboren aus ihrer Hoffnung. Das war ihre Chance.

    Vielleicht, wagte sie zu denken, habe ich dieses Heer doch nicht zugrunde gerichtet.

    Saoirse schaltete auf die Kameras um, um sich das genauer anzusehen. Das Visier ihres Helms zeigte im Kleinformat die Perspektiven einzelner Soldaten, aber keine davon war aufschlussreich.

    »Apollo«, wandte sie sich an ihre liebste Generalleutnantin, »was geht dort vor?«

    »Ich habe keine Sicht darauf«, kam zurück.

    Saoirse unterdrückte das unbefriedigte Schnauben, das ihr in der Kehle brannte, und richtete sich an die anderen Offiziere, mit denen sie in Verbindung stand. »Weiß es sonst jemand?«

    »Nein, General.«

    »Nichts bei mir, General.«

    »Ich sehe nichts, General, außer dass sie flüchten.«

    Unter den geschätzt zwanzig Antworten hatte sie nicht eine hilfreiche herausgehört. Allerdings war es gut möglich, dass sie sie bei dem Stimmenwirrwarr nicht bemerkt hatte. Ach, wie sie diese Bots liebte! Inkompetent und immer dann gesprächig, wenn man es am wenigsten brauchen konnte. Saoirse vermisste echte Menschen, wie Lieutenant General Apollo.

    Sie setzte zu weiteren gedanklichen Flüchen an, als ihre Augen endlich etwas Brauchbares entdeckten: Ihre Truppen hatten sich unter die gegnerischen gemischt. Nun hatten die Hornets Schwierigkeiten zu zielen. Das bremste sie aus. Fehlgeleitete Laserstrahlen bohrten sich durch die grauen Kunststoffplatten, die die Rüstungen der Gegner bildeten. Diese versuchten, den eigenen Waffen auszuweichen, aber in dem Durcheinander kamen sie nicht vom Fleck.

    Hätte Saoirse kein Gewehr getragen, hätte sie glückselig die Hände vor sich zusammengeklatscht. Ausnahmsweise hatten die Bots eine sinnvolle Taktik gewählt.

    Dennoch mussten sie das Problem an der Wurzel packen. Sie konnten die Hornets nur deaktivieren, indem sie das Gespräch demolierten, mit dem sie gesteuert wurden.

    »Apollo«, wandte sich Saoirse erneut an den einzigen Menschen, der sich mit ihr im Spiel befand, »finden Sie heraus, wer die Hornets kontrolliert!«

    »Jawohl, General«, antwortete sie direkt und unkompliziert wie immer. Dafür liebte Saoirse Apollo einfach!

    Sofort machte sie sich an die Arbeit, sodass sich Saoirse um einen Plan B kümmern konnte. Sie loggte sich in den nächsten Funkkanal ein, löste sich aus ihrer verkrampften Haltung und brach zu einer günstigeren Position auf. Schneller und schneller wurden ihre Schritte, schneller und schneller ihre Gedanken … doch die Welt wurde langsamer.

    ~

    Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, als wollte es ihr aus der Brust springen. Japsend schreckte Saoirse hoch. Ein Schweißtropfen löste sich von ihrem dunklen Haaransatz, rann über ihre Schläfe und kitzelte sie unangenehm. Sie hätte ihn weggewischt, doch ihre Arme waren schwer wie Zement.

    Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete und Saoirse verstand. Sie hatte die Simulation verlassen. Falsch, sie war aus der Simulation gerissen worden. Und sie ahnte, wer dafür verantwortlich war.

    Am Fußende ihres transparenten Sarkophags stand eine Frau von der Ludere Gaming Company, deren Finger auf dem Kontrolldisplay lagen. Daneben war Mr. Brooks, der der Angestellten anerkennend zunickte. »Danke. Sie können gehen.«

    Saoirse hörte seine Stimme durch den Deckel nur gedämpft, was ihr recht war. Je weniger von Mr. Brooks, desto besser. Sie nutzte sogar den Abgang der Angestellten aus der engen, hellen Simulationskammer, um sich den Anblick seiner selbstgefälligen Visage zu ersparen.

    Kaum ging die Tür hinter der Frau zu, richtete er sich an Saoirse. »Sie waren drauf und dran, Ihre Pressekonferenz zu versäumen«, informierte er seine Vorgesetzte mit tadelndem Unterton.

    Sie spannte den Kiefer an, damit ihr keine barschen Worte rausrutschten. Mr. Brooks strapazierte ihre Nerven seit einigen Wochen besonders intensiv. Wenigstens einen Vorteil hatte das aber: Ihr Groll auf ihn ließ sie dermaßen kochen, dass ihr Körper schneller in Fahrt kam. Die Hitze, die ihr in die Wangen schoss, war nur eines der Anzeichen dafür.

    Ehe sie auf seine Worte einging, bediente sie mit zitternden Fingern den Touchscreen im gläsernen Deckel. Zwei rasche Bewegungen genügten, dann öffnete sich der Deckel zu ihrer Rechten. Saoirse rutschte an die Kante der eingebauten Matratze und drehte zuerst ihre Füße, winkelte dann ihre Beine an und streckte sie wieder aus, um auch sie nach Stunden des Liegens zu einer realen Bewegung anzuregen.

    Ihr Blick haftete auf ihrem hautengen, durchgeschwitzten Ganzkörperanzug, als sie Mr. Brooks endlich eine Antwort gab. »Guten Tag, meinten Sie«, wies sie ihn zurecht, nachdem er eine Begrüßung wie immer übersprungen hatte.

    Der Assistent grinste schief. »Guten Morgen«, zog er sie auf. Er redete mit ihr wie mit einem Kind, das zu tollpatschig war, sich einen Wecker zu stellen. Denn es war längst nicht mehr Morgen. Die Pressekonferenz begann erst um achtzehn Uhr und da sie laut ihm unter Zeitdruck standen, hatten sie inzwischen wohl Nachmittag.

    Saoirse strich sich eine schweißnasse, widerspenstige Strähne aus der Stirn. »Sparen Sie sich das und erklären Sie mir lieber, wieso Sie mein Training unterbrochen haben. Es wurde gerade spannend«, beschwerte sie sich nüchtern und schob sich von der Matratze. Ihre Knie waren noch weich, aber sie hielten sie.

    Mr. Brooks verschränkte die goldbraunen Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. »Sie hätten ohnehin verloren.«

    »Das wissen ausgerechnet Sie, der mit einem Bachelor in Yoga und Hallenturnen ja so viel Ahnung von Schlachten hat«, erwiderte die Generalin auf dem Weg zu ihrem Spind, ohne den Assistenten eines Blickes zu würdigen.

    Am Ziel angelangt, platzierte Saoirse einen Finger auf dem Fingerabdrucksensor. Ein kleiner, grüner Strahl erschien und scannte ihre Identität. Auf ihn folgte das Summen, das das Entsperren des Schlosses verkündete.

    Dem Assistenten entkam ein leises Brummen. »Sport«, korrigierte er sie. »Und auch ohne das Vertiefungsmodul Simulationssport habe ich gesehen, dass das gegnerische Heer die doppelte Anzahl Soldatinnen und Soldaten hatte. Bei Ihrer Niederlage war es genau dasselbe. Erinnern Sie sich?«

    Saoirse, die gerade ihre Kleidung aus dem Spind nehmen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. Sie ballte die Hand zu einer Faust, wobei der geschmeidige Stoff ihrer Bluse zwischen ihren Fingern hervorquoll.

    Natürlich muss er das erwähnen, dachte sie verdrossen. Mr. Brooks besaß ein Talent dafür, sein abschätziges Verhalten auf die Spitze zu treiben. Er konnte es sich jedoch leisten, weil er aus irgendeinem Grund den Schutz der obersten Chefin hatte.

    »Vage«, antwortete Saoirse ihm mit einem übertrieben freundlichen Lächeln und zuckersüßer Stimme, die vor Sarkasmus triefte. Mit frischer Unterwäsche, Bluse und Hose in der Hand drehte sie sich wieder zu dem jungen Mann. »Ich werde jetzt duschen. Gehen Sie, bitte.«

    Das schlug ihn in die Flucht.

    Saoirse schälte sich aus ihrem Spielanzug und pfefferte ihn in ihren Spind, bevor sie in die Kabine stieg. Im Glas spiegelten sich die bunten LEDLichter des Duschkopfes, gemeinsam mit Saoirses heller Haut und den Konturen ihrer Muskeln. Die ersten warmen Wasserstrahlen schmiegten sich an sie und der Geruch von Duschgel mischte sich mit dem von Schweiß. In der stillen Simulationskammer hätte ihr das Plätschern laut vorkommen sollen, aber nach einer Schlacht fühlte sich Saoirse immer halb taub.

    Nach der Dusche trocknete sie sich ab, schlüpfte in Stoffhose, Bluse und Blazer und trat aus ihrer Kammer auf den Hauptgang. Den schmutzigen Spielanzug trug sie zusammengeknüllt in den Händen.

    Zwischendurch hatte sie die Uhrzeit gecheckt. Es war vierzehn Uhr dreißig. Sie hätte noch mindestens eine Stunde lang in der Simulation bleiben können. Sie fragte sich, wie es Apollo da drinnen ging, verdrängte den Gedanken aber beim Anblick des wartenden Mr. Brooks’.

    Er starrte konzentriert vor sich in die Luft; oder dem Schimmern seiner Augen nach eher auf die nur für ihn sichtbare Projektion, die auf seinen künstlichen Kontaktlinsen abgebildet wurde. Vermutlich checkte er seine Nachrichten.

    Saoirse räusperte sich, woraufhin Mr. Brooks den Kopf hochriss, und setzte sich in Bewegung. Gemeinsam spazierten sie den Korridor Richtung Eingangshalle entlang.

    »Sie haben einen Termin bei einer Frisörin und einem Visagisten«, gab ihr Assistent zur Auskunft und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Projektion.

    Die zarten Falten auf Saoirses Stirn wurden tiefer. Das war ein teures Unterfangen, um ihre Haare zu waschen und zu föhnen sowie ihr ein bisschen Makeup ins Gesicht zu klatschen. In den letzten Jahren hatte sie all das allein gemeistert. Aber wenn ihre Arbeitgeberin bereit war, das zu finanzieren, beschwerte sie sich nicht.

    »Danke«, entgegnete Saoirse nickend. Als nach einer Weile keine weiteren Informationen folgten, zog sie eine Braue hoch. »Wollen Sie mir vorenthalten, wann?«

    Da blickte Mr. Brooks verdattert von der Projektion auf. »Nein, sorry

    Saoirse rümpfte die Nase über seinen ungenierten Ausdruck, aber das ging spurlos an ihm vorbei. Sie vermutete schon länger, dass auch das am mangelnden Respekt lag. Beschwerden darüber waren sowohl von ihm als auch seitens der Geschäftsleitung ignoriert worden.

    »Der erste Termin beginnt sofort. Ein privater Zugwaggon steht fast vor der Tür für uns bereit«, fuhr er fort.

    »Ich würde mir davor gern die Uniform anziehen«, warf Saoirse ein. Die Kleidung nach dem Styling zu wechseln endete erfahrungsgemäß mit bösen Flecken. Die Begeisterung darüber war ihr anzuhören.

    Mr. Brooks winkte ab. »Das werden Sie.«

    »Ach ja?« Die Generalin schürzte die Lippen. »Wie sind Sie an meine Uniform gelangt? Sind Sie in meine Wohnung eingebrochen?«

    Sie ignorierte den angewiderten Blick, den Mr. Brooks bei dieser Vorstellung aufsetzte. »Nein«, stellte er sofort klar. »Ms. Rapier hat uns eine neue zukommen lassen. Sie wünscht sich mehr denn je, dass Sie die übrigen Generalinnen und Generäle in den Schatten stellen.«

    Saoirse musste sich zusammenreißen, so zu tun, als würde sie sich geehrt fühlen. Augen und Ohren waren überall. Zum Glück erwartete niemand starke Emotionen von ihr – Mr. Brooks am allerwenigsten.

    »Wirklich? Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sich die oberste Vorgesetzte höchstpersönlich der Sache annimmt. Es ist schön, zu wissen, dass Ms. Rapier noch Vertrauen in mich hat«, täuschte sie Freude vor. In Wahrheit hatte die neue Uniform nur einen Sinn: Sie war eine Warnung. Denn anders als letztes Jahr sollte Saoirse in dieser Saison alle anderen in den Schatten stellen – mit ihren Leistungen, nicht mit ihrer Kleidung. Das verlieh dem Luxus einen bitteren Beigeschmack.

    Der Gang mündete in eine hell beleuchtete, ausladende Halle, in der die Schritte der beiden widerhallten. Vor sich konnte Saoirse den eisblau leuchtenden Schriftzug ausmachen, der die Wand über den Schaltern zierte. Die Realität ist nicht genug – der Slogan der Ludere Gaming Company.

    Saoirse ging zu einem der freien Schalter und gab ihren Spielanzug zurück. »Schönen Tag noch«, wünschte die Angestellte dort freundlich lächelnd und Saoirse erwiderte all das, ehe sie sich mit ihrem Assistenten aufmachte, das Gebäude zu verlassen.

    Mr. Brooks äußerte sich nicht mehr zum vorherigen Thema und ihr Gespräch erstarb. Als er die Ausgangstür durchquerte, verlangsamte er seine Schritte für einen Moment. Anders als Saoirse fiel es ihm schwer, sich nach der hell beleuchteten Halle in der ewigen Dämmerung draußen zurechtzufinden. Die Grundebene lag auf Höhe des Erdbodens. Die zwei Ebenen über ihnen, mit ihren Gebäuden und Straßen, schirmten gemeinsam mit der Kuppel und den Wolken den Großteil des Sonnenlichts ab. Was übrig blieb, war nie endende Nacht.

    »Beeilen Sie sich«, neckte die Generalin ihn. »Wir sind drauf und dran, meine Termine zu versäumen.«

    Mr. Brooks verdrehte die Augen. »Sehr witzig.«

    Kapitel 2

    Mr. Muros Lippen verformten sich zu einem breiten Grinsen, als er Saoirse entdeckte. Einladend breitete er die Arme aus. »General Rox, alljährlich eine Freude!«

    In seiner Nähe konnte sie ein Lächeln nicht unterdrücken. Mr. Muro, der Pressesprecher der Firma Rapier, war Saoirse von ihren Vorgesetzten als einziger aufrichtig sympathisch. Allerdings gab es da nur ihn, Ms. Rapier und den Koordinator des firmeneigenen Meisterschaftsheers, mit dem sie nie zu tun hatte. Er kümmerte sich um Kleinigkeiten, alles Wichtige vereinbarte die Generalin mit der Geschäftsführerin.

    »Es ist schön, Sie wiederzusehen«, begrüßte sie den hellhäutigen Mann mit den rostfarbenen Locken, zwischen denen sich einzelne graue Strähnen wanden. Eilig trat sie auf ihn zu und ließ dabei ihren Assistenten hinter sich. Mit einem Küsschen auf die linke sowie rechte Wange hieß Mr. Muro sie willkommen.

    »Das kann ich nur zurückgeben.« Der Pressesprecher streckte den Arm aus und wies Saoirse damit in die Richtung des Presseraums. Dabei handelte es sich um eine überflüssige Geste. Saoirse war mit diesen Hallen vertraut.

    »Der neue Dienstanzug steht Ihnen gut. Gefällt er Ihnen?«

    Ihr Blick glitt an sich hinunter. Solange die Schulterklappen und die Kragenspiegel die richtigen Rangabzeichen trugen, war sie zufrieden. Außerdem waren ihr wenige Unterschiede zu ihrer alten Uniform aufgefallen.

    »Ich bin begeistert«, entgegnete die Generalin daher beschönigt, um nicht undankbar zu wirken. »Ist der Farbton ein neuer?«

    Mr. Muro schmunzelte. »Nein, das ist nach wie vor Blauer Eisenhut. Durch eine innovativere Art der Textilfärbung ist er kräftiger und kann dennoch energieeffizienter hergestellt werden – allerdings kostenintensiv. Doch das soll bei Rapier keine Rolle spielen.«

    Gekonnt überhörte Saoirse den letzten Teil und ließ sich ein sanftes Lächeln entlocken. Es war immer schön, von Fortschritten in der Forschung und Produktion zu erfahren, denn das gab ihr Hoffnung. Hoffnung, dass für zukünftige Generationen die Trostlosigkeit ihrer Zeit überwunden würde.

    Vor der Tür zum Presseraum hielten die beiden an. Das Getöse der Reporter drang zu ihnen durch. Saoirse vernahm wirre Stimmen und quietschende Stühle. Wenn sie genau hinhörte, sogar das Klicken der Fotokameras. Vor den Redepulten der Firma Rapier war eine ganze Schar versammelt.

    Saoirse konnte sich ausmalen, welche Fragen die Journalisten stellen würden. Leider beruhigte sie dieser Gedanke nicht, im Gegenteil: Er machte ihr Angst. Er verschaffte ihr Bauchschmerzen und einen rasenden Puls. Denn die Reporter würden sie in der Luft zerfetzen. Wenn nicht während der Pressekonferenz, dann spätestens beim Interview.

    »Wer sind Sie eigentlich?«, riss Mr. Muros Stimme Saoirse aus ihren Gedanken.

    Der Pressesprecher fixierte den Assistenten, der zwei Meter abseits von ihnen stehen geblieben war, die Unterlippe schmollend hervorgeschoben. Es kränkte ihn wohl, von Mr. Muro ignoriert worden zu sein. Er hatte den Geschäftsmann freundlich und voller Selbstbewusstsein begrüßt, aber das war neben dessen Freude über das Wiedersehen mit der Generalin untergegangen.

    Er bemühte sich um ein Lächeln, doch es wirkte gequält. »Gennady Brooks«, stellte er sich vor.

    »Ah!« Dem Pressesprecher ging sofort ein Licht auf. Er schritt auf den jungen Mann zu und streckte ihm den Arm entgegen. »Wir haben telefoniert, richtig? Sie sind der Assistent.«

    »Ganz genau«, bestätigte Mr. Brooks und schüttelte die Hand des Mannes, anfangs zögerlich, dann immer stolzer. Seine Fassung kehrte zurück.

    »Sehr schön!«, meinte Mr. Muro. »Dann können Sie gehen und Pause machen. Wir brauchen Sie hier nicht.«

    Für einen Moment fror Mr. Brooks mitten in seiner Bewegung ein, nickte dann jedoch und verabschiedete sich dankend. Mit gekräuselter Stirn blickte Saoirse ihm hinterher. Für die Dauer eines Wimpernschlags flammte neben ihrer Unruhe Schadenfreude auf. Was auch immer sich ihr Assistent von Mr. Muro erhofft hatte, seine Wünsche waren nicht in Erfüllung gegangen.

    »Ach Mist«, fluchte der Pressesprecher plötzlich.

    Saoirses Herz setzte einen Schlag aus. »Was?«

    »Er hätte uns Kaffee holen können.«

    Ihre Kehle schnürte sich zu. Die Vorstellung von Mr. Brooks bei Arbeiten, die tatsächlich seinem Berufsbild entsprachen, gefiel ihr, nur hätte sie in dem Moment keinen Schluck runtergebracht. Und nicht nur das ...

    »Wäre dafür überhaupt Zeit?«

    »Mh ...« Mr. Muro hob seinen Unterarm, drehte die linke Seite hoch und zog seinen Ärmel ein Stück zurück. Anstatt die Uhr auf seiner Linse aufzurufen, ließ er die Zeit in die Luft projizieren. Im nächsten Moment schwebten weiß glühende Ziffern über seinem Handgelenk und drehten sich, sodass man sie von allen Seiten lesen konnte: ›17:58‹.

    »Joa ... Wenn er gelaufen wäre, wäre ein Iced Espresso drinnen gewesen. Aber Sie trinken Ihren Kaffee anders, oder?«

    Die Frage ging spurlos an Saoirse vorbei. Baff starrte sie die rotierenden Zahlen an. So spät schon! Sie hatte gehofft, wenigstens fünf Minuten zu haben. Jede Sekunde mehr, die ihr zur Vorbereitung blieb, war Gold wert.

    Die Unruhe in ihr stieg rasanter an, als sie handhaben konnte. Ihre Finger pochten, kribbelten, wurden heiß und schweißverklebt. Verdammt, dachte Saoirse sogar in ihrem Kopf atemlos. Nicht einmal vor ihrem ersten öffentlichen Termin hatte sie solches Lampenfieber gehabt. Sie war das sechste Jahr Generalin, bestritt die fünfte Meisterschaft mit diesem Dienstgrad, also auch die fünfte Pressekonferenz. Aber diese Erfahrung war eine völlig neue.

    Mr. Muro deaktivierte die Projektion durch einen Gedankenbefehl und ließ den Arm sinken. »General Rox, es ist dasselbe wie jedes Jahr«, sprach er ihr ermutigend zu. Ihre Nervosität war nicht schwer zu bemerken, erst recht nicht für jemanden, der sie so lange kannte.

    Saoirse wurde warm ums Herz – aber auch in den Wangen. Zum Glück verbarg die dicke Schicht Makeup jede Röte. »Ist es nicht«, entgegnete sie. Mr. Muro hatte es gut gemeint, aber sie ließ sich nicht täuschen. »Das da draußen ist eine Löwengrube, die wollen mich zerfleischen. Und ich war noch nie eine gute Rednerin, also wird das heute –«

    »So!«, rief Mr. Muro und klopfte ihr auf die Schulter. »Kurz vor Punkt, gehen wir raus. Und kein Pressimismus mehr!«

    Saoirse schüttelte den Kopf. »Was für ein lächerliches Wort«, urteilte sie trocken.

    Der Pressesprecher grinste breit. »So lächerlich wie Ihre Furcht.« Mit diesen Worten wandte er ihr den Rücken zu, drückte die Tür auf und trat hinaus.

    Sie wollte einen letzten tiefen Atemzug tätigen, aber es blieb keine Zeit. Unmittelbar hinter ihm ging sie auf die Bühne.

    Applaus flutete die Halle. Er war ohrenbetäubend, aber anders als die letzten Jahre. Weniger, stellte Saoirse fest. Weniger laut, weniger aufrichtig, weniger euphorisch. Die ersten Sorgen, wie sie damit umgehen sollte, wirbelten in ihr hoch. Sofort bereitete sie ihnen ein Ende.

    Jetzt ist nicht der Zeitpunkt dafür, tadelte sie sich in Gedanken. Es gibt kein Zurück, ich packe das ... Genau wie jedes Jahr.

    Knapp nach Mr. Muro fand sie sich an ihrem Redepult ein. Angestrengt blinzelte sie gegen das Licht an. Die grellen Scheinwerfer zogen einen Schleier vor ihren Augen auf, hinter dem die Kameras, Mikrofone und Gesichter verschwammen. Saoirse unterdrückte ein Schnauben. Sie hasste es, nicht zu wissen, womit sie konfrontiert war.

    Sie platzierte ihre Hände an den Seiten des Pults und ruckte den Kopf zu Mr. Muro, der gerade die Zuschauer willkommen hieß. In Anschluss beschrieb er ausführlich, wie die Firma Rapier ihr Meisterschaftsheer für die anbrechende Saison ausgestattet hatte. Er sprach von Unmengen an Munition. Er sprach von Waffen, die ersetzt wurden, nachdem sie in der letzten Meisterschaft beschädigt worden waren. Er sprach von neuer Ausrüstung, die Rapier davor nicht freigeschaltet hatte oder die frisch entwickelt worden war.

    Es waren enorme Summen, die der Konzern jährlich in die Meisterschaften investierte. Dieses Mal waren sie besonders hoch. Saoirse hatte all die Waffen bekommen, für die sie sich seit Jahren einsetzte. Sogar mehr. Ms. Rapier war ungewöhnlich großzügig gewesen. Und das auf den letzten Drücker, denn die Firma hatte sie nicht nach der Besprechung Anfang Herbst erworben, sondern pünktlich zum Jahreswechsel vor einigen Tagen.

    Je länger Mr. Muro sprach, desto deutlicher zeichnete sich in den Mienen der Reporter Respekt ab. Soweit Saoirse sah, stimmte der Pressesprecher sie gnädiger. Genau zum richtigen Zeitpunkt.

    Mr. Muro trat einen winzigen Schritt zurück. »Damit übergebe ich das Wort an unsere geschätzte General Rox«, beendete er seinen Teil der Ansprache und lächelte Saoirse freundlich an.

    Sie erwiderte den Gesichtsausdruck hoffentlich überzeugend. Genau wie jedes Jahr, wiederholte sie ihr Mantra.

    »Danke«, meinte Saoirse und blickte auf den Zettel, den sie vor sich ausgebreitet hatte – um im nächsten Moment aus allen Wolken zu fallen.

    Sie hatte sich in übersichtlichen Absätzen und Stichworten notiert, worüber sie sprechen wollte, doch sie konnte nichts davon lesen. Jeder Buchstabe schien in der Luft zu schweben und zitterte über dem weißen Untergrund. Es war unmöglich zu entziffern, welche Wörter sie bildeten.

    Saoirse schluckte hart. Also musste sie improvisieren.

    Aus Wut über sich selbst brodelte ihr Blut. So viele Jahre hatte sie Öffentlichkeitserfahrung gesammelt – nicht nur als Generalin, sondern auch in den Rängen darunter – und stellte sich an wie eine Anfängerin. Sie wusste genau, dass sie das besser konnte.

    Der Anfang ... den Angang finden, sortierte sie ihre Gedanken. Ihre Fingerspitzen glitten über die Seitenkanten des Redepults. Saoirse drückte sie in ihr Fleisch, bemerkte es, ließ los.

    Scheißdreck!, fluchte sie innerlich. Jetzt hatte sie tatsächlich Schwäche gezeigt und die Kameras hatten es aufgezeichnet. Was für ein ruinierter Start!

    Andererseits ... Saoirse wagte kaum, nach allen schlechten Ereignissen optimistisch zu denken, aber die Schwäche konnte eine Chance sein. Wer sie unterschätzte, tappte leichter in eine Falle. Denn spätestens am Schlachtfeld würde die Generalin beweisen, dass sie nichts von ihrem Können eingebüßt hatte.

    Ja, sie nahm sich vor, die anderen dazu zu verführen, sie zu unterschätzen. Und dieses Ziel verlieh ihr Zuversicht. Es ließ sie endlich in Fahrt kommen.

    Auswendig zählte Saoirse auf, welche der neuen Errungenschaften wo zum Einsatz kam: Auf welcher Map, in welcher Einheit. Sie nannte nur die Dinge, die für die Öffentlichkeit gedacht waren. Ihr kam sogar die ein oder andere Lüge über die Lippen, einfach, um die feindlichen Heeresführer zu verwirren.

    Nach einigen Minuten endete sie und musste sich dem Teil stellen, der ihr die meisten Bauchschmerzen bereitete: die Fragen.

    Die erste Person, die Saoirse zu Wort kommen ließ, war eine ältere Reporterin aus der zweiten Reihe. »General Rox«, begann sie und ein Hauch von Verurteilung schwang in ihrer Stimme mit, »unter der genannten neu erworbenen Ausrüstung ist fast keine, die für historische oder Fantasymaps geeignet ist. Wieso?«

    Saoirses Brauen wanderten aufeinander zu. Was für ein grandioser Start!, dachte sie und fühlte den sarkastischen Unterton in ihrem Kopf nahezu. Doch nach außen zeigte sie sich souverän.

    Die Generalin beugte sich zu ihrem Mikrofon. »Das RapierMeisterschaftsheer verfügt über ein ausgezeichnetes Arsenal an Waffen und anderweitiger Ausrüstung für diese Maps«, antwortete sie gewohnt knapp.

    Die Blicke, die darauf folgten, ließen sie ihren Kiefer anspannen. Skepsis lag in ihnen, stellenweise Hohn. Saoirse ignorierte sie. Diese Menschen waren Sportreporter, keine aktiven Offiziere, und sie wollte sich nicht von ihrer zweitklassigen Meinung irritieren lassen.

    Leichter gesagt als getan, vor allem angesichts der zweiten Frage. »Nennen Sie die historischen und fantastischen Maps weiterhin Ihr Spezialgebiet? Wenn ja, halten Sie das nach der vernichtenden Niederlage der letzten Saison für angemessen?«

    Ein Brennen kroch ihre Speiseröhre hoch. Es kostete sie Mühe, aus dem Ausatmen kein Schnauben zu machen. »Ja, ich nenne sie weiterhin mein Spezialgebiet. Erfahrung schwindet nicht durch eine Niederlage. Sie wächst daran.«

    »Machen derartige Maps Sie also nicht nervös?«, schob derselbe Journalist dazwischen, ehe die nächste Person ausgewählt wurde.

    »Keine der Maps macht mich nervös.«

    Kaum hatte sie ausgesprochen, meldete sich ein anderer Reporter. »Wie werden Sie reagieren, falls Sie wieder auf das FintanHeer treffen, General?«

    Daraufhin blieb es still. Nur für ein paar Momente, dennoch ungewöhnlich lange; als hätte Saoirse ihren Text vergessen.

    Das hatte sie auch. Sie war auf diese Frage vorbereitet gewesen, aber alles, was ihr in diesem Moment einfiel, durfte ihren Kopf nicht verlassen.

    Ihr Mundwinkel zuckte. Gottverdammte Fintans, lag ihr auf der Zunge, doch die Generalin gab sich nicht die Blöße, ihren Groll zu zeigen. Diese Genugtuung gönnte sie ihnen nicht.

    Deshalb setzte sie eine amüsierte Maske auf. »Nicht anders als bei jedem anderen Heer«, konnte sie sich entlocken. »Ich hätte auch keinen Grund dazu. Meine Herangehensweise an die verschiedenen gegnerischen Heere ist immer gleich.«

    »Wie lautet diese Herangehensweise? Gibt es gewisse Dinge an ihren Gegnerinnen und Gegnern, die Sie besonders genau analysieren, oder wie dürfen wir uns das vorstellen?«

    Gleichzeitig lachte Saoirse und zog die Stirn kraus. »Glauben Sie ernsthaft, ich würde Ihnen das verraten? Nächste Frage.«

    ~

    »General Rox, Sie sind gerade fünfunddreißig geworden. Dürfen wir damit rechnen, dass Sie bald heiraten und Kinder bekommen?«

    Die Falten über Saoirses Augenbrauen wurden so tief, dass sich dicke Schatten auf ihre Stirn legten. Seit wann interessierte sich jemand für ihr Privatleben? Sie verstand, dass sie durch ihre Rolle in der alljährlichen Meisterschaft der Kriegsspiele zu einer Person des öffentlichen Interesses wurde. Trotzdem ging ihr das zu weit. Und das war nicht der erste Fehltritt des Interviewers, der vor Saoirse stand und ihr das Mikrofon fast ins Nasenloch schob.

    »Können Sie es nicht erwarten, mich loszuwerden?«, gab sie trocken zurück.

    Sie scheute sich nicht, ihr Missfallen zu zeigen. Vom Schlachtfeld kannten die Zuschauer sie als direkte Person, die gnadenlos alle abwies, die ihre Zeit verschwendeten. Es war allseits bekannt, dass sich Saoirse nichts sagen ließ – als Generalin nichts sagen lassen musste. Die Allgemeinheit duldete diese Haltung auch außerhalb der Simulationen. Das machte die Berühmtheit angenehm, denn die hatte sie nie angestrebt. Sie war ein Nebeneffekt des beruflichen Aufstiegs gewesen.

    Der junge Interviewer grinste frech. »Denken Sie nicht, dass ein Wechsel an der Spitze der RapierArmee positive Auswirkungen hätte?«

    Wichser, dachte Saoirse, verzog allerdings keine Miene. Der Mann machte sich einen Spaß daraus, sie zu provozieren. Hätte er besser Recherche betrieben! Dann wäre ihm klar gewesen, dass er auf solche Aussagen niemals eine Antwort erhalten würde.

    »Das Interview ist hiermit beendet«, verkündete Saoirse. »Melden Sie sich gerne, wenn Sie angemessenes Benehmen gelernt haben.«

    Sie wandte sich ab und sah den Mann im Augenwinkel schlucken, bevor sie den Presseraum verließ. Auf der anderen Seite der offenen Tür wartete eine schlaksige Frau mit dunkelblonden, gewellten Haaren und solariumgebräunter Haut auf sie – Glow.

    Sie stieß die Tür hinter Saoirse zu. Der Presseraum war bis auf den verdatterten Interviewer leer geworden und sie konnten nicht gebrauchen, dass er sie belauschte. Gleich darauf verdrehte Glow die Augen.

    »Was war denn das für ein Arsch?«, zeterte sie auf Osteuropäisch. Sie hob einen Arm aus der verschränkten Position und deutete mit dem Daumen in die Richtung, aus der ihre Freundin gekommen war. »Habe ich das richtig gehört? Er hat suggeriert, du seist so offensichtlich eine schlechte Anführerin, dass du es selbst eingesehen haben müssest?«

    Saoirse neigte den Kopf zur Seite. »Danke«, antwortete sie und wechselte von der Weltsprache zu Osteuropäisch. Obwohl sie es inzwischen exzellent beherrschte, war ihr Akzent unüberhörbar. »Aus deinem Mund klingt es noch netter.«

    Im Einklang lachten die Frauen auf.

    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Glow. »Ich überlege schon, wie ich seine Worte paraphrasiere, wenn ich ihn in meiner Kolumne zerfetze.«

    Gespielt schmollend spitzte Saoirse die Lippen. »Dann werde ich ihn beim nächsten Interview nicht wiedersehen? Ein Jammer!«

    »Bis zum nächsten Interview sollst du einen Ehemann oder eine Ehefrau und Kinder haben. Hast du das nicht gehört?« Glow stupste Saoirse mit dem Ellenbogen an, woraufhin erneut beide auflachten. Dann setzten sie sich in Bewegung, als hätten sie das lautlos abgesprochen.

    »Darauf kann er noch ein paar Jahre warten. Ich habe keine Eile.«

    Während sie gingen, überprüfte Saoirse auf ihrer Linse ihre Nachrichten. Mr. Brooks hatte sie vor wenigen Minuten informiert, dass er von Mr. Muro nach Hause geschickt worden war. Was für ein Glück! Von Mr. Muro selbst hatte Saoirse nichts gehört, aber er schien weg zu sein.

    »Was willst du unternehmen?«

    Die Stimme ihrer besten Freundin ließ Saoirse aufsehen. So hoffnungsvoll, wie das Babyblau von Glows Augen war, gab es nur eine richtige Antwort. »Du hast doch längst einen Plan. Erzähl ihn mir.«

    Glow grinste bis über beiden Ohren und offenbarte dabei ihr makelloses Gebiss. »Wir könnten essen gehen«, schlug sie vor.

    »Mh«, stieß Saoirse aus und kratzte sich am Hinterkopf. Sie hätte unglaublich gern zugesagt, weil sie wusste, wie sehr Glow essen gehen liebte. »Tut mir leid, aber mir ist nicht danach. Das würde meinen Ernährungsplan durcheinanderbringen und ich möchte mich vor Meisterschaftsbeginn auf anderes konzentrieren, als den auszugleichen.«

    Glow schürzte enttäuscht die Lippen. Sie respektierte Saoirses Lebensstil, auch wenn sie fand, dass man gerade aus gesundheitlichen Gründen öfter zu frischen Lebensmitteln greifen sollte. Saoirse hatte es aufgegeben, ihr zu erklären, dass sie mit den Nahrungstabletten besser umgehen konnte – darüber hinaus waren sie wesentlich billiger und Saoirse bevorzugte einen sparsamen Lebensstil, auch wenn sie ihn scheinbar nicht nötig hatte.

    »Schade«, gab sie ehrlich zu. »Es ist ein Jahr her, dass wir das letzte Mal gemeinsam gegessen haben.«

    Fast auf den Tag genau, dachte Saoirse zustimmend. Die Überlegung, was sich seither in ihrem Leben geändert hatte, bedrückte sie, aber das begrub sie vor der Außenwelt geschützt unter einer Schicht aus Humor. »Wie du siehst, hat mir das damals nicht gerade Glück für die Meisterschaft gebracht.«

    Glow verdrehte die Augen. »Sicher. Schieb es auf die köstliche Mahlzeit.«

    Da hielt die Generalin an und stemmte die Hände in die Hüften. Obwohl Glow selbst eine überdurchschnittlich große Frau war, blickte Saoirse auf sie hinunter. »Ich mach dir einen Vorschlag: Wir suchen ein nettes Restaurant, du bestellst dir was zu essen und ich mir ein Wasser. Deal?«

    Vorfreudig wedelte Glow vor ihrem Oberkörper mit den Armen wie ein Kind. »Deal!«

    ~

    Unaufhörlich zupfte Glow an ihrem dünnen Cardigan, der durch den Wind immer wieder verrutschte. Hier, im Gastgarten eines Etablissements auf der Mittelebene, rotierten die Luftmassen ohne Unterbrechung. Das Ringsystem aus Flüssen unter ihnen setzten sie in Bewegung. Sie waren dazu gedacht, die Temperatur unter der Kuppel Osteuropa2c bei ihren konstanten zwanzig Grad zu halten und die Luft zu erfrischen. Unglücklicherweise pumpten die Fabriken auf der Grundebene ihren Müll in die Gewässer, sodass immer wieder fürchterlicher Gestank aufstieg. Saoirse fand dieses Verhalten typisch menschlich; die wenigen Lebensräume zu verpesten, die ihrer Spezies geblieben waren. Ähnliche Probleme traten nämlich in allen Kuppelsystemen der Welt auf.

    Saoirse rümpfte die Nase, ließ sich aber nicht irritieren. Gedankenverloren drehte sie die Wasserflasche in ihrer Hand, sodass das goldene, kreisrunde Logo darauf den Laternenschein reflektierte. Ein weißes H stand in der Mitte des Kreises, gänzlich unberührt von ihren Bewegungen. Saoirse bemerkte die Lichtspielerei, schenkte ihr aber kaum Aufmerksamkeit. In ihrem Kopf war nur Platz für die löchernden Fragen der Pressekonferenz.

    Als Glow das bemerkte, ließ sie ihre Gabel sinken und sah sich verschwörerisch um. Sobald sie sicher war, dass sich im Umkreis keine weiteren Gäste befanden, beugte sie sich vor. Sie brauchte keinen Ton von sich geben, um Saoirses Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Generalin wusste sofort, was folgen würde. Deswegen stellte sie ihre Flasche ab und neigte ihren Oberköper ebenfalls zur Tischkante hin.

    »Da fällt mir ein«, begann Glow leise, »ich habe vor ein paar Tagen was erfahren und will es dir seither erzählen. Das glaubst du mir nie!«

    Saoirse hatte zu viel Unglaubliches gehört, um dieser Aussage zuzustimmen. Trotzdem stahl sich ein neugieriges Schmunzeln auf ihre Lippen. Es schadete ihr nie, wenn Glow Arbeitsgeheimnisse ausplauderte.

    »Was denn?«

    »Das da …«, sie deutete mit dem Kinn auf die Wasserflasche, »bekommt Konkurrenz.«

    Oh, dachte Saoirse und betrachtete baff das Firmenlogo. Das kam tatsächlich unerwartet.

    »Von wem denn?«

    Ihre Freundin verzog die Miene leidend. »Das wüsste ich auch so gern! Wir dürfen nicht darüber berichten und die Sache hat sich zwar in Medienkreisen herumgesprochen, aber ... mir konnte niemand sagen, um wen es dabei geht. Oder es wollte mir niemand sagen, keine Ahnung. Wirklich heikle Angelegenheit. Ich habe einzig und allein erfahren, dass bei Bohrungen aus Forschungszwecken Mitte November neue Trinkwasservorkommen entdeckt worden sind. Sie sollen groß sein. Das war es mit den Infos.«

    Eine steile Falte bildete sich zwischen Saoirses Brauen. Wo konnte es in der verpesteten Außenwelt noch sauberes Wasser geben? Vor allem Wasser, das sich niemand unter den Nagel gerissen hatte. Das grenzte an ein Wunder!

    »Ist wohl besser, wenn die Öffentlichkeit nichts davon erfährt«, meinte sie in Begleitung einer sachlichen Geste. »Ich will nicht wissen, was so eine Nachricht anrichten könnte. Ist schon ein Wunder, dass in den eineinhalb Monaten nichts passiert ist.«

    Glow nickte und lehnte sich zurück. Im selben Zug schob sie ihren leeren Teller von sich weg. Die kleine Gemüsepfanne, die sie verspeist hatte, kostete sie einen Zehntel des für die Mittelebene durchschnittlichen Monatslohns.

    »Sag mal …«, wechselte sie das Thema und hatte mit einem Schlag eine höhere Stimme und eine selbstbewusstere Haltung. Sie hatte ihre Journalistinnenausstrahlung angenommen. Das tat sie immer, wenn sie ein empfindliches Thema ansprechen wollte.

    Saoirse machte sich nicht viel daraus. Erstens ging es kaum unangenehmer als die Pressekonferenz gewesen war, zweitens kannte sie diese Seite von Glow gut. Meistens, wenn sie sie zeigte, führte das dazu, dass Saoirse sich ihr anvertraute. Und obwohl sie allgemein ihre Sorgen lieber für sich behielt, fühlte sie sich danach stets erleichtert. Anders als die wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten, mit denen Glow beruflich in Berührung kam, waren Saoirses Geheimnisse nämlich bei ihr sicher.

    »Was war das heute, als du nach der FintanMeisterschaftsarmee gefragt wurdest? Du hast kurz gewirkt, als wärst du geistig an einem völlig anderen Ort gelandet. Ich weiß, es ging um den größten Rückschlag deiner Karriere, aber sonst reagierst du auch nicht so. Erst recht nicht, wenn ein ganzes Jahr vergangen ist.«

    Saoirse ließ sich zurücksinken und faltete die Hände auf dem Bauch. Sie wirkte geduldig, doch die Härte in ihrer Miene deutete Missfallen an. Sie verstand nicht, was für Glow an ihrem Verhalten seltsam gewesen war. Wie ihre Freundin selbst gesagt hatte: Die Generalin war mit dem größten Rückschlag ihrer Karriere konfrontiert worden.

    Doch es war mehr als das. Die bloße Erwähnung des Konzerns Fintan Nourishment brachte ihr Blut zum Kochen. In den letzten Jahren hatte Saoirse damit umgehen gelernt, nichtsdestotrotz kostete es sie jedes Mal Mühe, ruhig zu bleiben. Vor allem nachdem sie sich heute bei der Frage nach dem FintanHeer so blamiert hatte!

    »Das war nichts«, wimmelte sie ihre Freundin sofort ab. Sie log Glow ungern an, aber manchmal musste es sein. »Nur Ablenkung, ausgelöst durch Kriegserinnerungen.«

    Mit einem Augenbrauenwackeln versuchte sie, den Humor hinter ihrer Aussage zu betonen, doch Glow zog unzufrieden die Mundwinkel zur Seite.

    »Liebes, in deinem Kopf läuft ganztags ein Kriegsfilm, und das zeigt sich sonst nicht so. Weißt du, auf mich wirkt das einfach komisch. Du kaufst deine Nahrungstabletten auch nicht von Fintan, obwohl man bei uns nur über vier Umwege eine andere Marke erhält.«

    »Ich vertrage sie nicht«, redete sich Saoirse unbeeindruckt heraus. In gewisser Weise stimmte das.

    »Von so etwas habe ich noch nie gehört.«

    »Dann forsche nach. Ein paar tausend Menschen weltweit haben dieses Problem.« Das war mit Sicherheit wahr. Es war allerdings verdammt schwer, an diese Information zu gelangen.

    Eindringlich musterte Glow die Generalin, die ihrem Blick standhielt. In den letzten viereinhalb Jahren hatte Saoirse ihr Verhalten perfektioniert, damit Glow glaubte, ihre verschwörerische Ader ging mit ihr durch.

    Letztendlich seufzte ihre Freundin. »Werde ich. Mach dich darauf gefasst, dass ich dich nach der Meisterschaft mit Ergebnissen konfrontieren werde.«

    Daraufhin lachten beide wieder.

    Kapitel 3

    Saoirse goss einen Schuss Sojamilch in ihren Kaffee, dann holte sie eine Haarsträhne hinter ihrem Ohr hervor und verglich ihre Farbe mit der Flüssigkeit. Sie stimmten überein.

    Perfekt!, dachte sie. Allein auf diese Weise – kein bisschen dunkler und kein bisschen heller – war das Getränk für sie genießbar.

    Sie schlang die Finger durch den Griff der Tasse und gesellte sich zu den anderen. Der virtuelle Raum war voll mit Offizieren, die sich auf die Sitzgelegenheiten verteilt hatten oder dazwischenstanden. Neben Saoirse waren die Generalmajore und die Generalleutnants anwesend. Gemeinsam bildeten sie nach der Organisation des RapierMeisterschaftsheers den Generalstab, der an diesem Tag für eine abschließende Vorbereitungsbesprechung zusammengekommen war.

    Jedes Jahr aufs Neue war dieses Ereignis wie ein Fest. Zuerst wurde die Arbeit erledigt, danach feierte man bei einem Buffet, von dem man im realen Leben als Angehöriger der Unter- und Mittelschicht nur träumen konnte. Was man in der Simulation konsumierte, erlebte man wie in der Realität – sei es der Geschmack oder gewisse berauschende Wirkungen. Der reale Körper wurde davon nicht beeinflusst.

    Nur eine Handvoll Modi der Simulationen bargen ein Risiko für die physische Gesundheit – dafür war dieses umso größer. Starb man in ihnen, konnte der Simulationschip im Nacken eines Menschen überlastet werden. Er verband den Sarkophag, die Quelle der Simulation, mit dem sogenannten Internen System, einer fest im Körper verbaute Leitung zum Thalamus. Ein Kurzschluss des Chips legte das gesamte Interne System lahm – und damit das Gehirn. Man war sofort tot.

    Die Schlachtmodi waren solche. Die Wahrscheinlichkeit, dass es im Falle eines Spieltods zu technischen Problemen kam, lag bei zwei Prozent. Für die meisten Menschen war das zu wenig, um sich gegen Adrenalinkick, die Aufstiegschancen und das großzügige Gehalt als Meisterschaftssoldat zu entscheiden. Und für die Konsumenten war es genau diese Tatsache, die die Meisterschaften sehenswert machten. Vermutlich hatte sich deshalb bisher niemand die Mühe gemacht, die Probleme der Simulationschips zu beheben.

    »Sie sehen ungewohnt entspannt aus, General«, scherzte der Generalmajor, neben dem Saoirse stehen geblieben war, und wackelte mit den Augenbrauen.

    Saoirse zog die Mundwinkel runter. Der Mann musste angeheitert sein, andernfalls hätte er diesen Gedanken für sich behalten. Noch dazu schien er Wahrnehmungsstörungen zu haben, denn von innerer Ruhe war sie weit weg. Oder war sie eine dermaßen gute Schauspielerin geworden? Wo war dieses Talent bei der Pressekonferenz gewesen?

    »Woran erkennen Sie das?«, erkundigte sie sich, setzte die Tasse an ihre Lippen und nahm einen Schluck. Heiß und kribbelnd flutete der Kaffee erst ihre Mundhöhle, dann ihre Speiseröhre. Er hinterließ einen bitteren Nachgeschmack, den Saoirse mehr vermisst hatte, als sie in Worte fassen konnte.

    Der Generalmajor zuckte die Schultern. »Is’n Gefühl.«

    Saoirse überlegte, ihn auf den Widerspruch in seinen Aussagen hinzuweisen, ließ es aber sein. Sie war nicht wirklich im Dienst, also durfte sie weniger genau sein als sonst. Außerdem hatten die anderen Spaß und waren keine Reporter, die für ihr Verhalten sofort in die Schranken gewiesen werden mussten.

    Als sich die Generalin erneut beim Gedanken an die Pressekonferenz ertappte, entwich ihr ein tiefes Seufzen. Nein, sie war definitiv nicht entspannt. Saoirse stand mehr unter Strom denn je.

    Es war der Abend des Meisterschaftsbeginns. Zwar war die RapierArmee noch nicht an der Reihe, trotzdem war die Zeit des Übens und des Planens vorüber. Alles, was Saoirse bis jetzt nicht erreicht hatte, konnte sie nicht mehr ausgleichen. Diese Gewissheit fraß ihr ein Loch in den Bauch.

    Was, wenn sie seit ihrer Niederlage nicht genug dazugelernt hatte? Was, wenn sie erneut einen derart schweren Fehler begehen würde? Das würde sie nicht nur den Job kosten und um die Lebensgrundlage bringen, es wäre obendrein eine schmerzliche Bloßstellung.

    Saoirse war bewusst, dass sie sich von dieser Angst lösen musste, um das Beste aus sich rauszuholen. Sie sollte darauf vertrauen, dass das übermäßige Training mit dem Heer und den Bots reichte. Dass die zusätzlichen Stunden im Fitnessstudio reichten, die ihrem Körper die Muskeln bescherten, die sie in der Simulation einsetzte. Denn man konnte im Spiel stets nur so gut sein, wie man es in der Realität wäre.

    Ein sanftes Gefühl auf ihrer Schulter riss die Generalin aus ihren Sorgen. Sie fuhr herum; so schnell, dass sie beinahe den Kaffee verschüttete. Schräg hinter sich entdeckte sie eine Frau in ihrem Alter mit umbrabrauner Haut und Haaren in der gleichen Farbe – Apollo. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen hielt sie ihr eine Schale entgegen.

    »Haben Sie Ihre Wette schon aufgeschrieben, General?«

    Saoirse wandte sich ihrer Nachfolgerin mit dem ganzen Körper zu und somit von dem Generalmajor ab. »Nein«, antwortete sie und hob die flache Hand auf Schulterhöhe. »Danke. Ich verzichte.«

    Sofort drehten sich mindestens drei Offiziere zu ihr um. Die Verwunderung stand ihnen in die Gesichter geschrieben. Sogar Apollo, die nach jahrelanger Zusammenarbeit sonst keine Geste Saoirses mehr überraschte, kräuselte die Stirn. Gleich darauf bemühte sich die Generalleutnantin um ein Lächeln. »In Ordnung. Falls Sie Ihre Meinung bis Schlachtbeginn ändern, können Sie sich jederzeit von dort hinten ein Zettelchen und einen Stift nehmen. Den Topf stelle ich daneben ab.«

    »Danke«, entgegnete Saoirse sanft und Apollo machte sich auf den Weg zu den nächsten Kollegen.

    Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, sich umzuentscheiden. Nicht, dass das passieren würde. In der anstehenden Schlacht würde eines der stärksten Heere einem der schwächsten gegenüberstehen. Weil das jeder wusste, gab es heute nicht viel Geld zu gewinnen.

    Dass es einen zweiten Grund gab, warum Saoirse nicht mehr wettete, wollte sie sich selbst nicht eingestehen. Sie hatte Angst – davor, wieder einen Gegner zu unterschätzen. Das letzte Mal hatte sie das um einen Platz auf dem Meisterschaftspodest gebracht.

    Immer mehr der Offiziere machten es sich auf einer der Couches oder einem der Sitzsäcke gemütlich und schenkten ihre volle Aufmerksamkeit dem Bildschirm an der Wand. Übertragen wurde eine Fernsehshow, in der sich ein Meisterschaftsexperte den Mund fusselig redete. Er sprach von Wahrscheinlichkeiten und zeigte Statistiken der letzten Jahre; stellte Vermutungen auf und ließ die Moderatorin nicht zu Wort kommen. Saoirse war froh, in diesem Informationsfluss kein einziges Mal erwähnt zu werden. Noch lieber war ihr, dass die Fintans nicht vorkamen.

    »Wollen Sie sich setzen?«, bot einer ihrer Kollegen überraschend an. Er veranlasste seine Sitznachbarn dazu, näher zusammenzurücken, um einen Platz frei zu machen.

    »Danke.« Ohne zu zögern ließ sie sich an der angebotenen Stelle nieder. Ein Funkeln legte sich in ihre tannengrünen Augen. Es war schön, inmitten der Leute zu sein, die sie schon lange wie eine Familie begleiteten, und mit ihnen auf den Beginn einer neuen Saison hinzufiebern. Eine, in der besonders viele Augen auf sie gerichtet sein würden. Eine, die besonders spannend war.

    »Es freut uns sehr, Sie hier willkommen zu heißen«, begrüßte die Moderatorin der Fernsehsendung einen neuen Gast – in dem Moment, in dem Saoirse ihren Kaffee leerte. Fast kam er ihr wieder hoch.

    Der Experte im Studio erhob sich, um der Frau, die sich zu ihnen gesellt hatte, die Hand zu schütteln. »Es ist mir eine Ehre, General Härma.«

    Sie erwiderte freundliche Worte, die Saoirse nicht verstand, weil irgendwer neben ihr dazwischenrief: »Na toll! Die musste ich jetzt sehen!«

    »Seien Sie still!«, forderte Saoirse ihn auf und neigte sich vor. »Jede Info, die wir von oder über General Härma erhalten, kann uns nützen.«

    »Sie können wegsehen, wenn Sie ihren Anblick nicht ertragen«, ergänzte Apollo mit einem spöttischen Ausdruck auf den Lippen.

    Was für ein gemeiner Trick in diesen Worten lag! Härma glich Saoirse, als wären sie Schwestern. Sie hatten denselben hellen, rosigen Teint, denselben Schwung nach oben in den Mundwinkeln. Beiden war die Autorität in die Gesichtszüge geboren und ihre Frisuren unterschied nur, dass Härmas Haar schulterlang und Saoirses etwas kürzer war.

    Als Härma wie aus dem Nichts vor vier Jahren in den Rang der Generalin aufgestiegen war, hatte Saoirse ihre Ähnlichkeit zuerst für eine rein äußerliche gehalten. Bald war sie eines Besseren belehrt worden: Selbst im Verhalten zeigte sie unheimliche Parallelen zu ihrem eigenen. Und nach ihrem meisterhaften taktischen Schachzug letztes Jahr hatte sich Saoirse eingestehen müssen, dass sie auch in Sachen Kompetenz mithalten konnte.

    Die drei im Fernsehen setzten sich wieder und Härma gab ein paar vage Antworten auf Standardfragen. Nach einer Weile schenkte die Moderatorin auch dem Experten wieder Aufmerksamkeit.

    »Wer, denken Sie, wird siegreich aus dieser Meisterschaft gehen?«

    Der Mann kratzte sich den Bart. »Leichter ist zu beantworten, wer das nicht wird …«

    Sagen Sie nichts Falsches, dachte Saoirse, als hätte diese Drohung einen Sinn. Doch der Mann warf General Härma ein schiefes Grinsen zu. »Aber selbstverständlich gibt es ein paar Heere, die besonders hohe Chancen auf den Titel haben. Fintan gehört natürlich dazu.«

    »Das hätte ich an seiner Stelle auch gesagt«, flüsterte ein Offizier einige Meter abseits einer Kollegin zu. Dabei verdrehte er die Augen.

    »Sehr gut«, mischte Saoirse sich ein und der Mann fuhr zusammen, da sein Kommentar nicht für ihre Ohren gedacht gewesen war. »Das bedeutet, Sie haben

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