Kopfmusik: Eine philosophische Reflexion zum instrumentalen Musizieren
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Über dieses E-Book
Das theoretische Fundament eines Unterrichts, der die Körperlichkeit der Musizierenden konsequent berücksichtigt, wird anschließend auf der Grundlage phänomenologischer Überlegungen detailliert beschrieben. So zeigt die Phänomenologie auf, wie wir als Gesamtorganismus immer schon leiblich auf die erklingende Musik bezogen sind, noch bevor wir über sie nachdenken. Instrumentale Fähigkeiten basieren demnach elementar auf unserer Leiblichkeit.
Wird auf diese Weise die ursprüngliche Funktion von Musik als Körpersprache deutlich, verändert sich musikalisches Lernen. Nun wird es notwendig, die Musik auch im Unterricht in der unmittelbaren Erfahrungsdimension zu belassen. Zudem verwandeln sich instrumentale Bewegungen: Eine kontrollierte motorische Ausführung der Instrumentaltechnik kann immer mehr als leibliche Geste erlebt werden. In der Empfindung von uns selbst als körperlicher Einheit erfassen wir die musikalische Bedeutung jetzt ganz unmittelbar.
Karin Kleine Jäger
Karin Kleine Jäger studierte Musik und Ökonomie. Nach langjährigen Forschungsarbeiten zur Musikwahrnehmung weist sie mit dieser Arbeit den Weg zu einer sinnenorientierten Instrumentalpädagogik, in der Musik wieder ihre Funktion als Körpersprache erfüllen kann.
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Buchvorschau
Kopfmusik - Karin Kleine Jäger
Inhalt
Prolog
I. Einleitung
1. Der Körper im Hintergrund unseres Handelns
2. Körper- und Leibperspektive
3. Aufbau der Untersuchung
II. Der kontrollierte Körper
1. Musikalische Körperwelten
2. Zivilisierte Menschen
3. Einflüsse der Philosophie
III. Phänomenologische Deutungen
1. Musikalisches Erleben und Verstehen
2. Ursprüngliche Intentionalität
3. Die instrumentale Bewegung als Geste
3.1. Einheit von Ausdruck und Bedeutung
3.2. Zeitlichkeit
3.3. Zwischenleiblichkeit
4. Phänomenologische Schlussbetrachtung
IV. Implikationen für die Praxis
1. Erfahrungsweisen musikalischen Handelns
2. Neuorientierung im Instrumentalunterricht
V. Fazit
VI. Literatur
Anhang
Kafka beschreibt seinen »Er« als das einzige Wesen, das zwischen Vergangenheit und Zukunft steht. Ihn und ihn allein trifft die volle Wucht der Kräfte, die ihn von beiden Seiten gleichzeitig bedrängten. […] Der Mann kämpft nicht mit der Zeit, sondern mit den Bildern, die er sich von der Zeit gemacht hat. Er wird nicht von den Mächten Vergangenheit und Zukunft bedrängt, sondern von der Macht, die er seinen eigenen Worten eingeräumt hat. Vergangenheit und Zukunft fallen über ihn her wie der Geist aus der Flasche, aber er merkt nicht, daß es nur ein Papiergeist ist, auf dem die Worte »Vergangenheit« und »Zukunft« geschrieben stehen. Ringsum von Worten und Bildern bedrängt, träumt er nicht davon, Raum und Zeit in Gedanken zu transzendieren, […] sondern den Traum, die Sprache zu transzendieren – in einer Wachheit, die nicht mit Denken gleichzusetzen ist und die nicht das Bedürfnis hat, sich als »Wachheit« zu artikulieren.
In diesem Traum erfüllt der Richter wieder die Bedeutung des mittelfranzösischen Worts nomper (der Nicht-Gleiche) – der Mann wird wirklich zu einem Nicht-Gleichen, wenn er davon träumt, über seinen Gegnern zu stehen. Er ist nicht mehr gleich, weil sie Bilder sind und er ein Mensch. Er sieht, daß sie weder tiefgründig noch banal sind und daß er allein verdient, tiefgründig oder banal genannt zu werden, wenn er sich ihrer bedient.
Louis E. Wolcher, Die Sprache der Zeit
Prolog
An einem stürmischen Herbsttag stehe ich am Meer, bin Teil eines Geschehens, welches mich in den Bann zieht. Ich spüre den Sturm, dem ich mich entgegenstelle und auf den ich körperlich reagieren muss, um im Gleichgewicht zu bleiben. Die Wellen und die Schaumkronen betrachtend habe ich keinen Fixpunkt vor Augen, empfinde mein Sehen als ein Erleben der sich ständig mir annähernden Bewegung. Die Gischt trifft meine Haut, eine immer wiederkehrende Begegnung mit Nässe und Kälte. Der Himmel über mir und das Wasser unter mir umgeben mich mit einem Blau, welches nicht nur Farbe, sondern eine eigene Präsenz zu besitzen scheint und keinen Anfang und kein Ende hat. Meine Füße und durch sie hindurch mein ganzer Körper spüren das Vibrieren des Bodens durch die rhythmisch anlandenden Wellen. Das Heulen des Sturms, das Donnern der Wellen erfüllen mich von Kopf bis Fuß.
Indem ich all dies wahrnehme, gibt es kein Innen und kein Außen. Der Sturm ist nicht dort und ich bin hier – ich werde eins mit all dem. Kein Gedanke, der mich trennt von meinem Erleben, kein Nachdenken über Windstärke oder Wolkengattung, Ort oder Zeit. So erlebe ich mich als untrennbaren Teil des Sturms, empfinde mich vollkommen lebendig in dieser Begegnung.
Einige Schritte weiter könnte ich den Sturm geschützt durch Mauern, Glas und Ziegel in einem Haus erleben. Erleben? Nein, denn dort wäre es kein Erleben mehr. Ich könnte den Sturm beobachten, alles wäre reduziert auf meine visuelle Wahrnehmung. Kein Fühlen der Gischt auf meiner Haut, kein Austarieren meines Körpergewichts gegen den Wind, kein ohrenbetäubendes Dröhnen durch Wind und Wellen, kein Blau, welches mich vollständig umgibt. Stattdessen ein Fensterausschnitt Sturm. Am Ufer stehend erfahre ich Sturm, hinter dem Fenster wird er zu einer Beobachtung, welche nicht lange im Gedächtnis haften bleibt. Dort teilt sich mir nichts mehr mit.
Musik kann – wie in der Begegnung mit dem Sturm – lebendig werden. Lebendig in der Weise, dass es kein Innen und Außen, kein Musik und Mensch mehr gibt, sondern nur noch eine alles zusammenschließende Begegnung. Musik reduziert sich dann nicht mehr auf ein akustisches Phänomen, sondern wird zu einem den ganzen Menschen angehenden Ereignis. Alternativ blicken wir auf die Musik durch das geschlossene Fenster: von ihr getrennt durch all unsere theoretischen Vorstellungen und Gedanken.
Wie aber lässt sich das Fenster öffnen?
I. Einleitung
1. Der Körper im Hintergrund unseres Handelns
Spielen wir ein Instrument, basiert diese Fähigkeit auf einer Eigenschaft des Menschen, über die wir kaum nachdenken: Erst der Umstand, über einen Körper zu verfügen, versetzt uns in die Lage, Klänge zu produzieren. Der Körper ist für uns im Instrumentalspiel das Medium, durch welches wir mit unserer Umwelt in Beziehung treten. Nur mit seiner Hilfe halten und bewegen wir unser Instrument, nutzen den Atem zur Klangerzeugung und sind in der Lage, die Musik zu hören. Auf diese Weise übernimmt der Körper eine wesentliche Aufgabe im Zusammenspiel