Verantwortung in der Sozialen Arbeit: Ethische Grundlinien professionellen Handelns
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Buchvorschau
Verantwortung in der Sozialen Arbeit - Joachim Merchel
Inhalt
Cover
Titelei
Vorwort der Reihenherausgeber*innen
Zu diesem Buch
1 Entscheidung und Verantwortung in der Praxis der Sozialen Arbeit
1.1 Fallkonstellationen
1.2 Eine erste Annäherung an den Begriff »Verantwortung«
2 Professionalität in der Sozialen Arbeit: Warum Verantwortung ein elementarer Bestandteil von Professionalität ist
3 Verantwortung: Was ist das?
3.1 Formale Verantwortung – »Zuständigkeit«
3.2 Rechtliche Verantwortung
3.3 Verantwortung in ethischer Hinsicht
3.4 Individuelle und kollektive moralische Verantwortung
4 Verantwortung in Handlungsfeldern Sozialer Arbeit: Reflexionen und Entscheidungen in Spannungsfeldern
4.1 Verantwortung zwischen professioneller Distanz und persönlichem Interesse am Wohlergehen eines*einer Leistungsadressat*in
4.2 Zwischen Entmündigung und Überforderung – Zur Beachtung der Einsichtsfähigkeit von Klient*innen
4.3 Zeitliche Dimension: Zwischen kurzfristiger und langfristiger Bedeutung von Entscheidungen/Interventionen
4.4 Vormundschaftliche Advokatorik zwischen Autonomiewahrung und »Fürsorglichkeitsverantwortung«
4.5 Verantwortung im Spannungsfeld zwischen »Sehen und Übersehen«
4.6 Verantwortung zwischen individuell verantwortlichem Handeln und der sozial-kollegialen Ebene zur Fall-Erörterung
5 Mehr als nur individuelles Thema der Fachkräfte – Reflexion von Verantwortung als Teil einer »Organisationsethik« in Organisationen der Sozialen Arbeit
Literatur
Die Autoren
emptySoziale Arbeit – kompakt & direkt
Herausgegeben von Rudolf Bieker und Heike Niemeyer
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
emptyhttps://shop.kohlhammer.de/soziale-arbeit-kompakt-direkt
Joachim Merchel,
Peter Hansbauer,
Reinhold Schone
Verantwortung in der Sozialen Arbeit
Ethische Grundlinien professionellen Handelns
Verlag W. Kohlhammer
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1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-041906-3
E-Book-Formate:
pdf:
ISBN 978-3-17-041907-0
epub:
ISBN 978-3-17-041908-7
Vorwort der Reihenherausgeber*innen
Ergänzend zu klassischen Lehrbüchern geht es in der neuen Reihe »Soziale Arbeit – kompakt & direkt« um die vertiefende Bearbeitung spezieller Themen- und Fragestellungen aus der Sozialen Arbeit und ihren Bezugsdisziplinen, z. B. theoretische Konzepte, spezifische Methoden, Arbeitsfelder oder soziale Probleme. Kompakt und direkt heißt die neue Reihe, weil sie in der Präsentation der Inhalte auf das konzentriert ist, was Lernende über das ausgewählte Thema wissen und für Studienleistungen und Prüfungen zielgenau aufbereiten können sollten.
Zielgruppen der Reihe sind jedoch nicht nur Studierende im Bachelor- oder Masterstudium, sondern auch Berufseinsteiger*innen und Praktiker*innen, die autodidaktisch oder in Fortbildungen Anschluss an den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs halten wollen.
Der fokussierte Zuschnitt der Bände spiegelt sich in einem innovativen Buchformat, das Leser*innen Überschaubarkeit im Umfang und eine gut strukturierte Textpräsentation bietet. Zentrale Sachverhalte werden anhand von Praxisbeispielen und Abbildungen veranschaulicht. Didaktische Elemente wie Begriffserläuterungen, Textcontainer, Reminder, Essentials, kurze Zusammenfassungen, Piktogramme etc. erleichtern das Erfassen, Speichern und Wiederaufrufen der Inhalte.
Die Autor*innen der Bände sind durch ihre wissenschaftliche Expertise ausgewiesen, schreiberfahren und stehen in der Regel mit Studierenden und Praxisfeldern in engem Kontakt.
Rudolf Bieker und Heike Niemeyer, Köln
Zu diesem Buch
»Verantwortung von Fachkräften« ist ein gleichermaßen zentrales wie auch schwieriges und diffuses Thema in der Sozialen Arbeit. Von »Verantwortung« ist in vielen und sehr unterschiedlichen Zusammenhängen die Rede, z. B wenn organisatorische Zuständigkeiten angesprochen werden (»Die Kollegin X ist verantwortlich für die Moderation der Sitzung und dafür, dass ein angemessener Raum für die Fallberatung zur Verfügung steht.«), aber auch in der Kennzeichnung von sozialpädagogischen Zielen (»Der Jugendliche Y soll lernen, dass er Verantwortung für sein Handeln, auch für seine aggressiven Ausbrüche, übernehmen muss.«). Sozialpädagogische Fachkräfte grenzen sich ab und nehmen Distanz, wenn sie darauf verweisen, dass sie vor allem »für das Angebot verantwortlich seien«, jedoch nicht für das, was die Klient*innen daraus machen, dafür seien diese selbst verantwortlich. Um eine strafrechtliche Verantwortung geht es, wenn z. B. im Fall eines fehlgelaufenen Kinderschutzes gerichtlich überprüft wird, ob eine sozialpädagogische Fachkraft in den Grenzen fachlich und rechtlich legitimierbaren Handelns angemessen – also »verantwortlich« – vorgegangen ist.
Die Frage nach der Verantwortung der Sozialen Arbeit ist im Alltag der Fachkräfte allgegenwärtig. Fachkräfte treffen Entscheidungen für bestimmte Handlungsweisen oder auch für Nicht-Handeln, die tief in das Leben und in die Zukunftsgestaltung von Menschen eingreifen. Hilfen werden gewährt oder nicht gewährt oder anders strukturiert, als vorher vereinbart. Lebenssituationen werden als »interventionsbedürftig« oder als »im Rahmen von Normalität« definiert. Entscheidungen für bestimmtes Handeln oder Nicht-Handeln haben kurz- und längerfristige Auswirkungen für das Wohlergehen von Klient*innen. Insofern ist die Tätigkeit von Fachkräften der Sozialen Arbeit immer in einem ethischen Sinne mit Verantwortung verbunden.
Obwohl das Thema »Verantwortung« im Alltag der Sozialen Arbeit allseits präsent ist und einen zentralen Aspekt professionellen Handelns darstellt, ist es erstaunlich, dass dieses Thema in Erörterungen zur Professionalität und zu den Methoden Sozialer Arbeit kaum vorkommt. Lehrbücher zur Ethik in der Sozialen Arbeit (u. a. Martin 2001; Maaser 2010) behandeln es relativ abstrakt, weitgehend abgelöst von der sozialpädagogischen Fachlichkeit oder kommen völlig ohne Erwähnung dieses zentralen Aspekts der Ethik in der Sozialen Arbeit aus (Schneider 1999). In Büchern zu Methoden Sozialer Arbeit bleibt es zumeist ausgespart, nur in wenigen (z. B. Heiner 2007) wird es marginal erwähnt. In den Methodenbüchern wird zwar zur wichtigen Bedeutung von »Haltungen« geschrieben, jedoch findet man in den Konkretisierungen kaum etwas zu Verantwortung, obwohl diese doch ein zentraler Bestandteil der »Haltungen« sein sollte.
Es ist uns ein Anliegen, mit einem Band in der Reihe »Soziale Arbeit – kompakt & direkt« die elementare Bedeutung des Themas »Verantwortung« im Kontext der Professionalität in der Sozialen Arbeit hervorzuheben und dabei mitzuhelfen, dass dieses Thema einen entsprechenden Stellenwert in der Profession zugestanden bekommt. Um die praktische Bedeutung des Themas zu verdeutlichen, werden wir in Kapitel 1 beispielhaft einige Praxiskonstellationen markieren, in denen verschiedene Facetten von Verantwortung in der Sozialen Arbeit erkennbar werden (▸ Kap. 1). Daraus resultiert eine kurze konzeptionelle Darstellung von Verantwortung als Teil eines Verständnisses von »reflexiver Professionalität« in der Sozialen Arbeit (▸ Kap. 2). Kapitel 3 widmet sich dem Begriff »Verantwortung« und den verschiedenen Dimensionen, die in diesem Begriff enthalten sind (▸ Kap. 3). Die Komplexität von Verantwortung in ihrer ethischen Dimension entfaltet sich insbesondere in Spannungsfeldern, die das sozialarbeiterische und sozialpädagogische Handeln durchziehen und die dementsprechend genauer in den Blick zu nehmen sind, wenn es um die Reflexion der ethischen Konstellationen von Verantwortung im professionellen Handeln geht (▸ Kap. 4). Übernahme und Reflexion von Verantwortung ist zunächst zwar ein an die Person (die einzelne Fachkraft) gebundener Vorgang, jedoch steht die einzelne Fachkraft immer in einem Bezug zu der Organisation, in der sie tätig ist und der gegenüber sie sich und ihr Handeln legitimieren muss. Verfahrensweisen und organisationskulturelle Konstellationen in der Organisation wirken sich in Haltung und Praxis des Umgangs mit Verantwortung auf Seiten der Mitarbeiter*innen aus. Kapitel 5 behandelt diesen aus unserer Sicht bedeutsamen Aspekt (▸ Kap. 5). Damit wird der Umgang mit Verantwortung auch als Anforderung für Leitungspersonen in Organisationen der Sozialen Arbeit als »deren Verantwortung« platziert.
Münster, im Oktober 2022
Joachim Merchel, Peter Hansbauer, Reinhold Schone
1 Entscheidung und Verantwortung in der Praxis der Sozialen Arbeit
T Überblick
Um sich dem Gegenstand »Verantwortung in der Sozialen Arbeit« zu nähern, werden zunächst verschiedene Fallkonstellationen skizziert, die in ambivalenten Konstellationen schwierige, das Schicksal von Menschen bestimmende Entscheidungen von Fachkräften der Sozialen Arbeit verlangen. Diese Konstellationen werden im weiteren Verlauf des Buches immer wieder aufgenommen. Das Kapitel schließt nach diesem Themenaufriss mit einer ersten Annährung an den Begriff »Verantwortung«.
1.1 Fallkonstellationen
Fachkräfte in der Sozialen Arbeit müssen vielfältige Entscheidungen treffen. Sie müssen mehrdeutige Situationen interpretieren und sich – zumindest im Sinne einer begründeten, plausiblen fallbezogenen Arbeitshypothese (Was liegt hier vor? Was macht den Fall zum Fall? Wo zeigen sich Ansatzpunkte für unterstützende Interventionen? Welche Wirkungen können von solchen Interventionen erwartet werden?) für eine bestimmte Sichtweise entscheiden. Sie müssen entscheiden, welches Vorgehen sie wählen und nach welchen Gesichtspunkten sie die Wirkungen und Nebenwirkungen ihrer Interventionen beobachten und bewerten. Manchmal stehen sie vor der Frage, ob sie ihrem Gegenüber eigene Entscheidungsfähigkeit zusprechen oder ob ihr Gegenüber nach ihrer Auffassung die Folgen eigener Entscheidungen nicht überblicken kann und sie daher zum Wohle des*der Adressat*in selbst entscheiden oder den*die Adressat*in zu einer bestimmten Entscheidung drängen sollen. Vielfach sind Entscheidungen mit Unsicherheiten und mit (latenten oder offenen) Konflikten verbunden.