Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Jamila tanzt!: Magische Science-Fiction
Jamila tanzt!: Magische Science-Fiction
Jamila tanzt!: Magische Science-Fiction
eBook306 Seiten4 Stunden

Jamila tanzt!: Magische Science-Fiction

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

»Die Schläge der Trommeln gingen durch Mark und Bein und das Läuten nahm an Intensität zu. Der singende Schleier entfaltete sich in all seiner Pracht, schimmerte nachtblau wie das Firmament und die feinen Metallplättchen daran blinkten wie Sterne. Da fegte Jamila den Schleier mit einem Ruck quer durch das Gesicht des Sultans und die klingenden Scheiben schnitten ihm ins Fleisch, verletzten seine Augen. Voller Panik versuchte der Sultan den Schleier zu greifen, doch die metallenen Münzen waren messerscharfe Klingen. Er brüllte, zog seine Hände zurück, da fiel einer seiner Finger abgetrennt zu Boden.«

Eine ungewöhnliche Tänzerin kämpft für sich und ihre große Liebe Hassan. Ihr Schleier ist nicht nur Waffe, sondern birgt noch andere Geheimnisse. Mit ihm macht sie sich unsichtbar, durchquert das Universum, um ferne Welten zu erkunden und große Abenteuer zu erleben …
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum29. März 2023
ISBN9783957657787
Jamila tanzt!: Magische Science-Fiction

Mehr von Ellen Norten lesen

Ähnlich wie Jamila tanzt!

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Jamila tanzt!

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Jamila tanzt! - Ellen Norten

    1: Jamila

    Jamila schlief. Im Traum eingehüllt von Hassans Wärme sah sie ihn hoch oben am Firmament fortgehen. Er zog quer über das Himmelszelt und bewegte sich immer weiter von ihr weg.

    »Hassan«, rief sie verzweifelt, »lass mich nicht allein!«

    »Sei nicht traurig, Jamila, wir sehen uns wieder. Ich verspreche es dir!«, formten seine Lippen, dann sprang er mit einem kühnen Satz in Richtung eines Sternenhaufens. Rasend schnell entfernte er sich von ihr und bald waren seine Konturen zwischen den Sternen verschwunden.

    Jamila schreckte auf. Sie sah, dass Hassan fort war. Nur den Abdruck seines Körpers erkannte sie noch auf der Wiese. Ein dumpfer Schmerz stach ihr ins Herz. So war es damals gewesen, als ihre Mutter starb und ihr Vater fortging. Nun hatte sie auch ihren einzigen Freund verloren. Ihre Hände krallten sich in die Wiese, zogen an den dichten Grashalmen, wie um sich daran festzuhalten. Mit leerem Blick schaute sie sich um. Ein riesiger Greifvogel saß auf dem abgestorbenen Ast eines nahestehenden Baumes. Das Tier schaute sie aufmerksam aus bernsteinfarbenen Augen an. Jamila stand auf und ging vorsichtig auf den Vogel zu. Der Greif war fast so groß wie sie, hatte eine mächtige Brust, riesige Schwingen und einen gebogenen Schnabel, der wie ein riesiger Haken nach unten zeigte. In seinem bräunlich-roten Gefieder entdeckte Jamila eine einzelne goldene Feder, die in der Sonne glitzerte. Sie wollte danach greifen, doch der Vogel erhob sich in die Lüfte. Er flog allerdings nicht davon, sondern zog nur mehrere Kreise über ihr. Dann sank er herab und sie spürte eine starke Windbewegung. Gerade wollte sie sich wegducken, da erfassten sie mächtige Klauen. Jamila erschrak, doch die Klauen verletzten sie nicht. Der Vogel hielt sie lediglich fest gepackt, breitete die gewaltigen Schwingen aus und hob sich mit ihr in den Himmel. Jamila konnte es kaum glauben, denn der Vogel flog mit ihr davon. Halb ängstlich, halb neugierig schaute sie nach unten. Schon sah sie die Stadt mit der Wiese davor unter sich liegen und rasch kleiner werden. Sie erblickte den Fluss, den sie hinter sich ließen, denn der Vogel schlug die Richtung zur großen Wüste ein. Bald waren sie nur noch von gelbem Sand umgeben. Jamila hörte die mächtigen Flügel über sich schlagen und ihr Haar wehte hinter ihr wie eine Fahne im seichten Wind. Nach einiger Zeit erschien es ihr, als ob sie einen Mann mit einem Kamel unter sich im Wüstensand erblickte. Der Vogel schoss in steilem Winkel nach unten, setzte Jamila vor den beiden in den Wüstensand ab und flog davon. Der Mann stützte sich auf einen breiten Stock, trug einen blauen Turban und einen grauen Überwurf und er war uralt. Jamila hatte das Gefühl, dass er sie gar nicht sah.

    »Sei gegrüßt, lieber Wanderer«, sagte sie ängstlich, »ich bin Jamila, kann ich dir helfen?«

    Der Mann drehte seinen Kopf in ihre Richtung. Seine Augen waren trüb und sein Gesicht von unzähligen Falten übersät, wie der Hals einer Schildkröte.

    »Allah sei mit dir mein Kind«, antwortete der Mann. »Ich bin Jussuf Ben Ali und meine Heimat ist die Wüste. Ich kann dich nicht sehen, denn ich bin blind. Aber ich kann durch die Wüste gehen, denn ich spüre den Sand und ich schmecke den Wind. Doch seit drei Tagen herrscht Windstille und ich habe meinen Weg verloren. Deshalb bewege ich mich nicht von der Stelle, sondern warte, bis der Wüstenwind mich wieder lenkt.«

    »Ihr müsst durstig und hungrig sein.« Jamila griff nach ihrer Wasserflasche und legte diese dem Mann in die Hand.

    »Könnt ihr es entbehren?«, fragte der Alte. Jamila überlegte. Würde der Vogel zurückkehren oder musste auch sie den Weg durch die Wüste gehen? Da sah sie den Vogel in der Ferne seine Kreise ziehen. »Trinkt, ich habe genug davon. Und ich habe noch Datteln, die ich Euch geben kann.«

    »Du bist ein gutes Kind, Jamila. Mag Gott es dir vergelten.« Der Mann begann zu trinken und Jamila sah, wie durstig er war. Trotzdem leerte er die Flasche nur zur Hälfte. Dann gab sie ihm die Datteln und er kaute sie langsam und mit Bedacht.

    »Wohin gehst du?«, fragte er sie. Die Frage hatte sich Jamila auch schon gestellt und wusste die Antwort nicht. In diesem Moment frischte der Wind auf und eine starke Böe erfasste die beiden. Sofort hielt der Mann einen Finger in die Luft, strich ihn entlang seiner Nase und steckte ihn in den Mund. Er lächelte. »Es ist nicht mehr weit zum nächsten Dorf. Willst du mich begleiten?«

    »Mir ist ein anderer Weg vorgezeichnet«, antwortete Jamila, die den Vogel nun wieder direkt über sich erblickte.

    »Dann werden sich unsere Wege trennen«, sagte der Mann. »Du hast mir zu essen und zu trinken gegeben. Nun habe ich etwas für dich.« Der Alte griff in die große Tasche, die an seinem Kamel befestigt war, und zog ein unscheinbares Stück Stoff heraus.

    »Ich gebe dir diesen Schleier. Er wird dir gute Dienste erweisen. Halte ihn in Ehren, und wenn er dir hilft, dann denke an Jussuf Ben Ali, den Mann, der den Wind schmecken kann.« Mit diesen Worten erhob er die Hand zum Abschied, fasste die Zügel des Kamels und ging in die Richtung, die der Wind ihm gezeigt hatte. Während Jamila ihm noch nachschaute, spürte sie den Windstoß hinter sich. Schon ergriffen sie die mächtigen Vogelklauen und der Greif erhob sich mit ihr in die Lüfte. Bald sah sie Jussuf Ben Ali und sein Kamel nur noch als zwei dunkle Punkte im gelben Wüstensand. Schemenhaft entdeckte sie das Dorf, zu dem der Mann wanderte. Doch der Vogel schlug eine andere Richtung ein. Erst als es bereits dämmerte, setzte er Jamila an einer kleinen Wasserstelle ab, aus der er sofort trank. Jamila tat es ihm nach. Im Mondschein sah sie ihr schmales Gesicht, das sich im Wasser spiegelte. Neugierig schaute sie sich an. Ihre Gesichtszüge hatten das Kindliche verloren, wirkten entschlossen und dabei freundlich. Ein spitzbübisches Lächeln glitt über ihr Gesicht, der Schalk saß ihr im Nacken. Jamila überlegte, wie alt sie sein mochte. Vielleicht zwölf oder dreizehn, vielleicht auch etwas älter, sie wusste es nicht. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht. Die Tropfen liefen ihre schmale Nase entlang und gelangten zu ihrem fein geschwungenen Mund, den seitlich zwei kleine Grübchen zierten. Mit der Zunge leckte sie sich das Wasser von ihren festen Lippen, und schaute zu ihrem Begleiter.

    »Du bist ein komischer Vogel«, sagte sie zu dem Tier, das sein Gefieder gewissenhaft putzte. Der Vogel schaute sie wissend an und schloss dreimal hintereinander seine Augen. Es sah aus, als wollte er ihr zuzwinkern. Dann steckte er seinen Kopf in die Federn und begann offensichtlich zu schlafen.

    Jamila dachte an Hassan. Wie gern hätte sie jetzt neben ihm gelegen. Sie schaute in den Sternenhimmel und fragte sich, ob er da oben wohl seine verrückten Sprünge machen würde.

    Die kristallklare Luft über dem Wüstensand wurde kalt und Jamila begann zu frieren. Da fiel ihr der Schleier des Alten ein. Sie zog ihn aus ihrer Tasche und wickelte ihn um ihr dünnes Baumwollkleid. Augenblicklich wärmte sie das Tuch und sie dachte dankbar an Jussuf Ben Ali, der hoffentlich inzwischen sein Dorf erreicht hatte.

    Im Morgengrauen zupfte der Vogel mit seinem mächtigen Schnabel an ihrem Schleier. Jamila blinzelte mit den Augen, dann blickte sie sich um. Der Vogel schlug mit den Flügeln, staubiger Wind schlug ihr entgegen und Jamila verstand, die Reise ging weiter. Schnell trank sie noch einmal an der Wasserstelle, dann ergriff sie auch schon der Vogel. Rund um sie herum gab es nur trockenen Wüstensand. Der hatte seine Farbe von Gelb nach Grau verändert. So fühlte sich auch Jamila, grau und traurig mit einer ungewissen Zukunft.

    ›Du bist dumm‹, schalt sie sich sogleich, ›fliegst durch die Wüste, erlebst ein Abenteuer und willst dich noch beschweren?‹ Da entdeckte sie am Horizont einen einzelnen hohen Felsen und auf der Spitze dieses Felsens, so schien es, lag eine Festung. Auf die steuerte der Vogel zu. Sie näherten sich der Burg, bei der sie bald einen Turm mit Zinnen erkennen konnte. Der Greif landete auf einem Felsvorsprung, der vom Eingangstor der Festungsmauer nicht eingesehen werden konnte. Hier setzte er Jamila ab und flog auch schon davon.

    2: Die Burg der Tänzerinnen

    Jamila schaute dem Vogel unsicher hinterher und schon bald entschwand er ihrem Blick. Steil unter ihr erstreckte sich bis zum Horizont die Wüste. Vorsichtig stieg sie vom Felsvorsprung und kletterte in Richtung Eingang. Wie erstaunt war sie, als sie dort nicht die typischen Wachtposten entdeckte, sondern vier junge Frauen in prächtigen bunten Gewändern sitzen sah. Überrascht schauten sie die Frauen gleichzeitig an. Ihre Arme, Füße, Ohren und Hals schmückte prächtiger Goldschmuck mit glitzernden Edelsteinen. Sie waren sehr schön und ähnelten einander auffallend, sahen fast gleich aus mit ihrer olivfarbenen Haut, ihren langen schwarzen gelockten Haaren, ihren großen dunklen Augen und ihren vollen Lippen. Jamila schämte sich fast für ihre einfache Aufmachung.

    »Was ist Euer Begehr?«, fragte die Frau in dem leuchtend roten Gewand, die ihr am nächsten saß. Jamila wusste nicht, was sie sagen sollte, denn sie kannte ja selbst ihre eigenen Wünsche nicht.

    »Weißt du nicht, wo du bist? Dies ist die Burg der Tänzerinnen«, fuhr die Rotgekleidete fort. Um dies zu untermauern, begann die grüngekleidete Frau neben ihr einen Rhythmus auf der Trommel zu schlagen. Jamila schaute verdutzt.

    »Welches Instrument beherrschst du, was ist deine Lieblingsmusik?«, fuhr die Rotgekleidete fort. Jamila schaute zu Boden. »Los, tanze, sonst können wir dich nicht reinlassen.« Die anderen beiden Frauen griffen sich Flöte und Gitarre und stimmten in den Rhythmus ein. Jamila stand auf. Sie versuchte, sich zu erinnern, wie die Frauen zu Hause getanzt hatten, und begann sich etwas umständlich im Kreis zu drehen.

    »Nennst du das Tanzen? Jetzt streng dich an oder du kommst hier niemals rein.« Die Rotgekleidete griff zur Rababa, einer zweisaitigen Stachelfidel und spielte herausfordernd laut darauf. Ein klagender Ton legte sich über die Musik. Jamila wusste, sie würde den Weg zurück nicht finden, zu weit war sie schon in die Wüste vorgedrungen. In ihrer Verzweiflung tanzte sie weiter, tanzte für ihr Leben und begann den Stoff des blinden Alten als Schleier zu verwenden.

    Kaum hatte sie das schlichte Tuch gezogen, änderte sich die Stimmung. Der klagende Laut der Geige wich fröhlichen Klängen. Die Frauen begannen Jamila anzufeuern und sie selbst fühlte sich federleicht. Da bemerkte sie, dass sich auch das Tuch veränderte. Wechselnde Farben leuchteten darauf und erzeugten bei jeder neuen Bewegung ein fulminantes Farbenspiel. Rot wurde zu Gelb, Gelb zu Grün, um dann ins Blau zu wechseln, bis weiße Sterne auf dem nun fast schwarzen Stoff aufgingen. Die Frauen trillerten vor Begeisterung. Dann schlug die Trommlerin drei laute Schläge und beendete damit den Tanz.

    »Herzlich willkommen bei den Tänzerinnen«, sagte die Rotgekleidete und stellte sich als Zarifa vor. »Dein Schleier ist für uns das Zeichen, dass du eine von uns werden kannst. Wo hast du ihn her?«

    »Ich habe in der Wüste einen blinden Mann mit einem Kamel getroffen«, antwortete Jamila. »Er heißt Jussuf Ben Ali und er schenkte mir den Schleier.«

    »Oh, das war ein Geschenk Gottes«, sagte die Flötenspielerin und schob sich ihr sonnengelbes Gewand zurecht. »Ben Ali zieht seit Jahrhunderten durch die Wüste. Nur wenigen ist es vergönnt, ihn zu treffen. Er hat dir den Schleier gegeben und so wirst du eine große Tänzerin werden. Hier in unserer Burg kannst du alles lernen, was du zum Tanzen brauchst. Mein Name ist Zeno.« Die Frauen standen wie auf Kommando gemeinsam auf und öffneten das gewaltige schmiedeeiserne Eingangstor. Vor Jamila lag ein geräumiger Hof, in dem große Bäume kühlenden Schatten spendeten. Blühende Sträucher verströmten aromatische Düfte. Die Frauen zogen Jamila mit sich.

    »Du wirst hungrig sein«, sagte die Gitarristin, die sich als Saida zu erkennen gab und deren Gewand nachtblau schimmerte. Unter einer mit Weinlaub bewachsenen Pergola im Hof entdeckte sie einen großen hölzernen Tisch.

    »Komm, setz dich«, sagten die Frauen fast im Chor und mussten lachen. Dann begannen sie, aufzutragen. Aus der hinter ihnen liegenden Küche holten sie duftendes Brot und Wasser in einem irdenen Krug. In kleinen Schalen folgten unterschiedliche Köstlichkeiten; Bohnen in einer aromatischen Soße mit Kreuzkümmel und Petersilie, Spinat mit Käse- und Feigenstücken, Kichererbsenmus mit geschmorten Lammfleischstücken und Pinienkernen, gewürzt mit exotischen Samen und Kräutern und ein Salat aus klein gehackten Tomaten, Zwiebeln, Paprikastücken und grünen Weintrauben, die mit fruchtigem Limettensaft übergossen waren. Nie zuvor hatte Jamila so köstlich gespeist.

    »Wenn du satt bist, beginnt der Unterricht. Bei uns gibt es keine Langeweile und keinen Müßiggang«, sagte Zeno. Die Flötenspielerin blickte dabei streng, doch Jamila merkte, dass sie es nicht so ernst meinte.

    »Weißt du, was ein Mahmoudi ist?«, fragte sie nun wieder betont ernst. Jamila wusste es nicht und blickte halb neugierig, halb ängstlich in die Runde. Die Frauen lachten und Zarifa begann, den Rhythmus vorzugeben; dunkle laute Schläge, die sie in der Mitte auf dem Fell ihrer Trommel erzeugte, wechselten sich mit hellen Schlägen ab, die sie am Rand flach mit der Hand schlug:

    Dum dum takatak, dum dum tak.

    »Hörst du es?«, fragte Zeno. Dum dum takatak, dum dum tak! Zeno steckte sich Zimbeln an die Finger und wiederholte den Rhythmus, indem sie die Zimbeln mal offen und mal geschlossen aufeinanderschlug. Saida begann dazu die Laute zu spielen und Suher, die bisher noch kein Instrument in der Hand hatte, stand auf und bewegte sich mit geschmeidigen Bewegungen direkt auf Jamila zu. Sie griff deren Arme, zog sie in die Höhe und begann zu den dumpfen Schlägen jeweils eine Hüfte hochzuziehen oder nach unten kippen zu lassen. Es sah aus, als ob ihre Hüften die Bewegungen unabhängig vom Rest des Körpers machten. Suher raffte ihr grünes Gewand so, dass Jamila genau sehen konnte, wo die Bewegung entstand. Ihre Füße blieben dabei fest am Boden, doch die Knie federten. Die Kraft kam jedoch aus den Hüften, die nun abwechselnd nach oben oder unten schnellten.

    »Die Isolation der Bewegungen macht den Reiz aus«, erklärte Suher. »Egal, ob du die Hüften, die Schultern, die Hände oder auch den Bauch bewegst. Es muss so aussehen, als wenn dies völlig unabhängig vom gesamten Körper geschieht.« Jamila staunte und versuchte, ihre Hüften ein wenig zu lösen. Da änderte sich der Rhythmus und Zeno trat in die Runde. Sie ließ die Hüften kreisen, dann beschrieb sie Achten, erst horizontal, dann vertikal. Jamila versuchte, es ihr gleichzutun, diesmal fiel es ihr leichter.

    »Und wenn du das gelernt hast, dann geht es erst richtig los. Dann werden diese Bewegungen mit einem Zittershimmy unterlegt. Das ist wie eine leichte Vibration, das Zittern lässt die Bewegungen schweben. Die Anstrengung, die das kostet, sieht man allerdings nicht.« Die Frauen lachten schon wieder. Überhaupt schien es Jamila, als kicherten die Frauen viel miteinander. Tanzen, so streng der Unterricht auch war, blieb eine fröhliche Sache.

    Die Zeit ging ins Land und Jamila merkte kaum, wie sie verging. Tanzen wurde ihre Leidenschaft, ihr Lebensinhalt. Sie beobachtete, dass jede der Frauen ihren Lieblingstanz hatte. Die stolze Zarifa balancierte gern mit einem messerscharfen Schwert auf dem Kopf und schaffte es sogar, dieses beim Tanz mit der Spitze nach unten auf ihrem Kopf zu halten. Zeno mochte die klingenden Zimbeln und bestimmte so selbst, welchen Rhythmus sie zum Tanz anschlug. Saida setzte sich gern einen metallenen Kerzenständer auf den Kopf und tanzte mit den brennenden Kerzen oder sie holte ihr schellenbesetztes Tamburin und vollführte kunstvolle Tanzfiguren zu folkloristischen Klängen. Und Suher liebte den Stocktanz, sie wirbelte ihren goldgrün gebänderten filigranen Spazierstock so schnell durch die Luft, dass die beiden Farben ineinanderliefen und wie bei einem Windrad ineinander verschwommen.

    Doch manchmal kam Jamila ein irritierender Gedanke. Es schien ihr seltsam, aber die vier Frauen sahen sich so ähnlich, dass Jamila sie eigentlich nur an den Farben ihrer Kostüme und an ihrem Tanz unterscheiden konnte. Es gab kein körperliches Merkmal, keinen Leberfleck, keine Warze, Narbe oder Ähnliches, was die Frauen unterschied. Wenn die vier nun ihre Kostüme einfach vertauschen würden, so könnte es sein, dass sie sie an der Nase herumführten. Jamila musste über ihre eigenen Gedanken lachen. Das würde sie den vieren zutrauen. Die mochten Verwirrspiele und vermutlich beherrschten sie alle Tänze gleich gut.

    Diese verrückten Frauen, wie lieb sie sie inzwischen gewonnen hatte. Auch wenn sie vielleicht ihre Späße trieben, so stand doch fest, sie gaben alles für Jamila und reservierten für sie einen speziellen Tanz: den Schleiertanz. Der schien Jamila wie auf den Leib geschrieben und der Schleier und sie verschmolzen dabei zu kunstvollen Figuren. Raffiniert drapierte sie den Schleier zunächst an ihrem Körper, um ihn dann während des Tanzes immer weiter zu lüften. Den losen Schleier schwang sie um sich herum, warf ihn in die Luft, fing ihn wieder auf, um ihn dann wie ein Zelt zu spannen, wie eine Fahne zu hissen, sich erneut darin ein- und auszudrehen, sich dahinter zu verstecken, sich zu ver- und zu entschleiern, ihn dann zu einem Strick zu drehen, mit dem sie ihre Freundinnen neckte. Jamila lernte und lernte.

    Die Zeit verging wie im Flug und Jamila reifte zu einer Frau heran. Beim Tanzen leuchteten ihre grünlichen Augen. Ihr schmales Gesicht mit den fast geraden Augenbrauen spiegelte Leidenschaft und Entschlossenheit wider und ihre schlanke Silhouette verlieh ihrem Körper Grazie.

    »Heute Abend wollen wir ein Fest begehen«, sagte Zarifa eines Tages. »Und du wirst uns vortanzen. Wir glauben, wir haben dir alles beigebracht, was auch wir können und wir wollen nun die Früchte unserer Arbeit genießen. Wir werden kochen und du wirst für uns tanzen.« Die Frauen trillerten und Jamila konnte kaum widersprechen.

    Als sie in den Himmel schaute, sah sie erstmals wieder den Greifvogel. Er kreiste über der Festung. Jamila erschrak, sagte jedoch nichts, sondern konzentrierte sich auf ihre prächtigen Kostüme, die sie zurechtlegte und in denen sie am Abend auftreten wollte. Die Frauen hatten den riesigen Vogel anscheinend nicht bemerkt, sie hantierten in der Küche und der Duft, der zu ihr herüberdrang, versprach die feinsten Delikatessen. Als es dunkelte, konnte auch Jamila das Tier nicht mehr sehen. Die Frauen verteilten im Hof Fackeln, was den Himmel noch schwärzer erscheinen ließ. Auf dem Dach zeichnete sich jedoch ein Schatten ab, den sie heute zum ersten Mal sah.

    Jamila setzte sich einen Leuchter auf den Kopf. Vor diesem Tanz hatte sie die meiste Angst, denn sie hatte sich zu Beginn ihres Tanzunterrichts am heißen Wachs verbrannt. Doch inzwischen war sie souverän. Der Leuchter saß fest und ihr Kopf blieb während der verschiedenen Tanzfiguren völlig reglos, auch als der Greif quer durch den Hof flatterte. Die Frauen trillerten begeistert und Jamila nahm den Leuchter vom Kopf und verbeugte sich demütig. Dann tanzte sie mit Zimbeln und schlug den folkloristischen Ҫiftetelli mit seinem gefürchteten Neunachteltakt an, der auch geübten Tänzerinnen Probleme machte. Ihm folgte der Saidi, der für den Stocktanz typisch ist. Dabei trug Jamila ein mit silbernen Pailletten besticktes hellrotes Kleid. Für jeden Tanz wechselte Jamila die Garderobe und stellte ihre selbst gefertigten Kostüme auf diese Weise vor. Die Frauen rekelten sich auf ihren bequemen bunten Kissen am Boden. Sie knabberten Leckereien, knackten Nüsse, tranken süßen Wein und genossen Jamilas Tänze, waren aber auch kritische Beobachterinnen. Bisher hatten sie keine Fehler entdeckt.

    Für den Höhepunkt des Abends hatte Jamilas ihren Schleiertanz vorbereitet. Obwohl die Frauen ja wussten, was sie erwartete, waren sie dennoch gespannt, als ob etwas Unvorhergesehenes passieren könnte. Und tatsächlich geschah etwas, das auch Jamila nicht ahnte. Sie wusste, dass der Jussuf Ben Alis Schleier ein Eigenleben besaß, manchmal wechselte er seine Farben zum Rhythmus der Musik. Nie hatte sie jedoch Schleier und Zimbeln gleichzeitig benutzt und es war, als ob sich Zimbeln und Schleier miteinander kurzschlossen. Jeder Zimbelschlag erzeugte auf dem Schleier einen leuchtenden Funkenregen, fast als würden Hunderte von Sternschnuppen über den Stoff huschen. Dann verließen sie ihn, folgten als gelbe oder weiße Funken den Bewegungen der Tänzerin und umrahmten ihn so mit ihrem Feuerwerk. Jamila tanzte zwischen ihnen, drehte sich mit ihrem Schleier immer schneller und eine Säule aus glühenden Punkten schraubte sich als rotierender Wirbel in den Nachthimmel und öffnete einen Blick in die unendliche Weite. Als Jamila ihren Tanz beendete, zeigten sich die Frauen sprachlos.

    Jamila selbst hatte das Schauspiel überwältigt, sie war aufgeregt und sah es als Zeichen, dass ihre Zeit hier zu Ende ging. Mit gemischten Gefühlen setzte sie sich zu den Frauen und begann von den Leckereien zu kosten. Doch, obwohl sie herrlich schmeckten, mochte Jamila kaum davon essen.

    Sie fühlte sich schwermütig und musste an Hassan denken, der damals in ihrem Traum in den Sternhaufen gesprungen war und mit den Sternen verschwand. Wie mochte es ihm gehen? Jamila spürte eine starke Sehnsucht nach ihm.

    Die Frauen sahen den Schmerz in Jamilas Gesicht und umarmten sie. Jamila war ihnen eine gute Freundin geworden, doch anders als sie, die gerne von ihren Schwärmereien oder auch Liebschaften unten im Dorf erzählten, lebte Jamila bei ihnen wie eine Nonne. Sie verließ die Burg kaum und hatte bei ihren seltenen Einkäufen nie nach Männern geschaut, obwohl es dort zahlreiche Bewerber für sie gegeben hätte.

    »Sag uns, Jamila, was macht dein Herz so schwer?«, fragte Zarifa.

    »Gibt es da einen, den du uns verschwiegen hast. Ist es ein trauriges oder gar dunkles Geheimnis?«, flüsterte nun Zeno.

    Jamila wurde dunkelrot. Was sollte sie darauf antworten, wie erklären, wem ihre Liebe galt?

    »Er heißt Hassan«, sagte sie schüchtern.

    »Hassan, welch schöner Name«, antwortete Zarifa und nickte Jamila aufmunternd zu.

    »Er hat schwarzes Haar und dunkle Augen, die immer lachen. Und sein Bart sieht aus wie der eines Ziegenbockes, so schön geschwungen.« Dabei lachte und weinte Jamila gleichzeitig. Die Frauen nahmen sie in die Arme und hörten auf zu fragen. Sie trösteten sie, bis Jamila sich beruhigte und irgendwann einschlief.

    Im Schlaf träumte Jamila von Hassan. Wieder sah sie das Himmelszelt, doch Hassan hatte sich verändert. Er war zu einem stattlichen Mann geworden, mit schwarzem Haar, dunklen Augen und einem Bart, der ihr immer noch bekannt vorkam. Dann lachte Hassan sie an und sagte: »Wir werden uns ganz bald wiedersehen.«

    3: Kindheit

    Am nächsten Morgen wachte Jamila bereits im Morgengrauen auf. Sie lag auf den bunten Kissen im Hof und starrte in den tiefblauen Morgenhimmel. Da sah sie den Vogel. Der Greif zog seine Kreise direkt über ihr. Schnell raffte sie ihre Kostüme zusammen und knotete ihre Schleier darum. Dann warf sie das Bündel über ihre Schulter und verließ leise die Burg, ohne ein Wort des Abschieds. Sie kletterte zu dem Felsvorsprung, auf dem der Vogel sie damals abgesetzt hatte. Ein wenig traurig blickte sie zurück. Da spürte sie auch schon den sausenden Wind, die Vogelklauen griffen nach ihr und wenig später schwebte sie durch die Luft. Wieder ging es

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1