Als der Schulweg noch ein Fußweg war: Aufgewachsen in den 1960er und 1970er Jahren
Von Wolfgang Isenrath, Nina Isenrath und Petra Isenrath
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Über dieses E-Book
Es erzählt von erfolglosem Schwimmunterricht, dem angeblich schönsten Tag des Lebens, einer lebensgroßen Suzie Quatro, einer rasendschnellen Mutter, einem Mädchen im Kleiderschrank, einer erotischen Kirchenorgel und frühen Hochzeitsabsichten.
Es geht um Erfolge und Enttäuschungen, Schwärmerei, Kreativität, Musik, Vertrauen, Freundschaft, Berufswahl und Vieles, was wichtig ist, wenn man noch jung ist. Und es geht um den Versuch eines Vergleichs mit dem heutigen digitalen Zeitalter.
Ähnlich wie Als der Schulweg noch ein Fußweg war
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Buchvorschau
Als der Schulweg noch ein Fußweg war - Wolfgang Isenrath
Ein Wort vorab
Selbstverständlich hat kein Kind auf der Welt Einfluss darauf, wann und wo es geboren wird. Oder in welches soziale Umfeld es gerät und was es für Eltern bekommt. Man muss es als neuer Erdenbürger nehmen wie es kommt und danach das Beste daraus machen. Ich hatte im Nachhinein betrachtet sowohl großes Glück mit dem Zeitpunkt, als auch mit dem Umfeld meiner Geburt. Ich empfinde es als ausgesprochenes Glück, Ende der 50er Jahre in Deutschland geboren zu sein. In einer Zeit, in der das Wirtschaftswunder Deutschland in vollem Gange war, Vollbeschäftigung herrschte und die Welt für die meisten in Ordnung schien. Der Krieg war vorbei und die Erwachsenen machten sich viel Mühe, diese Zeit zu vergessen oder zumindest zu verdrängen. Alles, was kaputt war, wurde wieder aufgebaut. Es ging aufwärts im Land.
Meine Eltern bewohnten zunächst eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus in einem Vorort von Neuss. Dieser Vorort sollte in den nächsten Jahren immer mehr zu einem attraktiven Stadtteil werden, insbesondere für junge Familien. Es entstanden neue Straßen überwiegend mit Reihenhäusern und Einfamilienhäusern, aber auch einigen Mietshäusern. Es gab ein neues Einkaufszentrum mit allem, was man brauchte, und ein Omnibus fuhr in kurzen Abständen in die Innenstadt. Anfang der 1960er Jahre gab es insgesamt vier kleine Lebensmittelläden über den Ort verteilt, so dass Einkäufe zu Fuß erledigt werden konnten. Meine Eltern schlossen sich einer Bauinitiative an und kauften 1962 ein Reihenmittelhaus in einer ruhigen Einbahnstraße. Ich hatte einen fünf Jahre älteren Bruder und bekam sieben Jahre nach meiner Geburt einen weiteren Bruder. So waren wir also zu einer Familie mit einer für damalige Verhältnisse normalen Größe geworden.
Auch materiell war unsere Familie eher durchschnittlich. Mit dem Haus und dem kleinen Garten konnten wir zufrieden sein. Ein Auto hatten wir nicht und ist auch später nie angeschafft worden. Dazu hätten meine Eltern auch erst einmal den Führerschein machen müssen, aber das war kein Thema. Überhaupt gab es auf unserer Straße nur wenige Familien mit einem Auto. Wenn dort drei PKW parkten, war das schon viel. Die Straße gehörte uns Kindern. Und wir waren sehr viele Kinder, denn die Bandbreite der Kinderzahl reichte von eins bis zwölf. Es gab keinen öffentlichen Spielplatz, der direkt zu unserer Straße gehört hätte, aber eine Familie, die in ihrem Vorgarten einen Spielplatz mit einer Schaukel und einem Sandkasten fest eingebaut hatte. Der Eingang war nicht eingezäunt und die Eigentümer erlaubten es uns Kindern, hier zu spielen. Hier war unser Treffpunkt, und so entstanden meine ersten Freundschaften zu Reinhold, Peter, Martin und vielen anderen. Die Mädchen malten mit Kreide Kästchen auf den Asphalt der Straße und hüpften. Beliebt war auch Gummitwist, Hula-Hoop, Fangen oder Verstecken. Als wir älter wurden, nutzten wir die Straße für Völkerball - Spiele oder Federball – Turniere. Es war immer was los und die meisten durften so lange draußen bleiben, bis die Laternen angingen. Besonders schön war es in der Karnevalszeit, als alle Kinder verkleidet waren. Bei den Jungs waren Cowboy- und Indianerkostüme am beliebtesten, und die Mädchen wurden oft zu Prinzessinnen. Es waren aber keine gekauften Kostüme, sondern selbstgenähte. Unsere Mütter hatten vor Karneval stets viel zu tun. Ich war stolz auf meine Knallplättchen- Pistole, eine Rolle Munition hatte hundert Schuss. Die musste ich mir gut einteilen, denn das Taschengeld war knapp.
In den meisten Familien gab es die gleiche Rollenverteilung wie bei uns: der Vater ging Vollzeit arbeiten und die Mutter war als Hausfrau den ganzen Tag zu Hause. Wir Kinder profitierten von dieser Rolleneinteilung, hatten wir doch viele Freiheiten und konnten unseren Bewegungsdrang, unsere Phantasie und unsere Lebensfreude voll ausleben. Wir waren gut versorgt und hatten nicht das Gefühl, dass uns etwas fehlte. Unsere Kleidung und die Schuhe mussten robust und zweckmäßig sein, gekauftes Spielzeug hatten wir nicht viel. In dieser Zeit entstanden Lebensfreundschaften und es entwickelten sich Werte, wie soziales Miteinander und Verantwortung, aber auch die Fähigkeit, verlieren und zurückstecken zu können.
Heute spricht man ja viel von Nachhaltigkeit. Man müsse nachhaltiger leben, seinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten. Ich bin auch ein Verfechter der Nachhaltigkeit und versuche einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Von diesem Buch zum Beispiel werden nur so viele Bücher gedruckt, wie auch gelesen werden. Das ist das Prinzip von Self – Publishing. Damals in den 50er und auch noch 60er Jahren war Nachhaltigkeit bereits sehr häufig gelebter Alltag, obwohl dieses Wort noch unbekannt war. Es gab zum Beispiel nur wenige Sachen, die aus Kunststoff waren. Der Tornister war aus Leder, das Dreirad aus Holz oder Metall, alle Alltagsgegenstände waren fast ausschließlich aus Metall oder Holz. Zum Einkaufen nutzten wir ein Netz oder eine Tasche, es gab frische Waren wie Käse, Fleisch und Wurst an der Theke in Pergamentpapier eingewickelt. Die Milch holten wir immer wieder mit der gleichen Milchkanne ab. Oder es kam der Milchmann – bei uns war es eine Milchfrau, die die Milch täglich in Mehrweg – Glasflaschen vor die Haustüre stellte. Die Milchprodukte selber wurden in der nahe gelegenen Molkerei hergestellt. Die Wege zwischen landwirtschaftlichem Betrieb, Molkerei und Endverbrauer waren kurz. Das galt für fast alle Produkte, die man kaufen konnte, denn überall gab es über das Land verteilt Firmen, die herstellten, was gebraucht wurde. Ins Ausland verlagerte Produktionsfirmen gab es noch nicht. Das erklärt auch, warum der Güterverkehr in der damaligen Zeit im Gegensatz zu heute noch sehr überschaubar war. Wenig Verkehr – wenig Kraftstoffverbrauch – wenig Umweltbelastung.
Die Müllabfuhr kam einmal in der Woche, und zwar mit nur einem Fahrzeug. Wir hatten als fünf – Personen Haushalt nur eine kleine runde Mülltonne, mein Vater nannte sie „Ascheimer", weil er hier auch die Asche aus unserer Koksheizung entsorgte. Da kamen wir mit aus, weil noch nicht viel Müll anfiel. Es gab keinen Verpackungsmüll und Altpapier wurde zum Anzünden der Heizung benutzt. Die meisten Leute fuhren mit Bahn und Bus zur Arbeit oder zur Schule, die Kosten für die Fahrkarten waren gering, denn Busse und Bahnen waren noch nicht besonders luxuriös und stellten somit nicht so hohe Investitionen für die Verkehrsbetriebe dar wie heute.
Natürlich gab es auch Schattenseiten dieser Zeit, denn die Situation der Umwelt war alles andere als erfreulich. Die Industrie leitete ihre Abgase und Abwässer aus den Herstellungsprozessen ihrer Produkte ungeklärt und ungefiltert in die Luft bzw. in die Flüsse. In Ballungsräumen war die Luft grau und stickig und die Flüsse waren braun und stanken. Wenn wir als Kinder an den nahe gelegenen Rhein gefahren sind, roch man den Fluss schon von weitem. Hauptenergieträger war die Kohle. Die Steinkohle aus dem Ruhrgebiet und die Braunkohle aus den Tagebauen des Rheinischen Reviers. Die Lasten des Steinkohleabbaus werden die künftigen Generationen noch lange zu tragen haben. Nicht umsonst spricht man hier von Ewigkeitskosten
. Der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard prägte den Spruch: Die Schornsteine müssen rauchen!
Daran haben sich früher wohl auch alle Unternehmen gehalten. Die Wirtschaft boomte und die Umwelt litt darunter. Heute ist das Umweltbewusstsein zwar grundsätzlich größer und es gibt viele strenge Grenzwerte für Emissionen, dafür sind der Konsum und der internationale Warenaustausch