Suchtprävention und -intervention mit der besonderen Berücksichtigung der Alkoholsucht unter dem Aspekt des Betriebssicherheitsmanagemens: Ein Leitfaden für die Umsetzung betrieblicher Suchthilfe in die OHSAS 18001
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Buchvorschau
Suchtprävention und -intervention mit der besonderen Berücksichtigung der Alkoholsucht unter dem Aspekt des Betriebssicherheitsmanagemens - Thomas Bosselmann
1. Einführung
„Unser Chefarzt trinkt immer vor den Operationen eine halbe Flasche Wodka, damit er nicht so zittert…!" Ein Zitat eines Intensivkrankenpflegers. Ist das ein Einzelfall? Nein!
Substanzmissbrauch bis hin zur Abhängigkeit ist beileibe kein Einzelfall und ebenfalls nicht an bestimmte Personen- oder Berufsgruppen gebunden. Die Bereitschaft zum Missbrauch hängt dabei von vielen Einflussparametern wie z.B. Sozialisationsmechanismen ab (siehe Abbildung 1) und entzieht sich somit einer eindimensionalen Ursachenforschung.
Abb. 1: Bedingungsgeflecht des Substanzmissbrauchs, Quelle: Stimmer, 1999, S. 555, [1], vom Verfasser für das Thema der Arbeit modifiziert.
Die hier vorgestellten Parameter greifen bei jeder Suchterkrankung, gleich ob Missbrauch mit sogenannten „legalen Substanzen" oder eben mit den Illegalen betrieben wird.
Fakt ist, dass legale Drogen wie Alkohol und Nikotin am signifikantesten in die Drogenstatistik in Deutschland eingehen (siehe Abbildung 2). Ursache hierfür ist unter anderem die einfache – eben legale – Beschaffung der Suchtmittel, die zu jeder Tageszeit und zudem mit relativ geringem finanziellen Aufwand nahezu überall zu erstehen sind.
Abb. 2: Drogenstatistik in Deutschland, 2014, Quelle: http://www.brandigg.de/verein/FSG-Freie-Selbsthilfegruppe-fuer-Alkohol-und-Me., Stand: 30.06.2014, [INT1],
Nikotin nimmt hier die erste Stelle ein; dass für diese legale Droge in der vorliegenden Statistik jedoch keine Abhängigkeit und keinerlei Behandlung aufgeführt wird, erscheint dem Verfasser zweifelhaft. Nikotinabhängigkeit und daraus resultierende Therapien werden in den Medien – und nicht nur medizinischen – ständig thematisiert.
Aufgrund der zweithäufigsten Suchterkrankung (nämlich der Alkoholsucht) beschäftigt sich diese Arbeit primär mit der Alkoholsucht in Deutschland und den sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit sowie mit den notwendigen Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Betrieb unter dem Aspekt des Betriebssicherheitsmanagements.
Trotzdem ist es interessant, den Alkoholkonsum auch in den anderen OECD-Staaten (1980 und 2007 im Vergleich) zu betrachten (siehe Abbildung 3).
Abb. 3: Alkoholkonsum (Liter pro Kopf) in den OECD-Staaten 1980 und 2007 im Vergleich, Quelle: http://haetten-sie-gewusst.blogspot.co.at/2011_03_01_archive.html, Stand: 30.6.2014 [INT2]
Deutschland liegt hier im Mittelfeld, wobei im Jahr 2007 deutlich mehr Alkohol konsumiert wurde als 1980.
Die Prävalenz des Alkoholkonsums in Deutschland wurde 2010 von KRAUS und PAPST [2] untersucht. Lebenslang abstinent waren demnach 2,9 % der Befragten; Abstinent in den letzten 12 Monaten waren noch 7,3 %, die letzten 30 Tage lebten 13,4 % abstinent und einen riskanten Alkoholkonsum betrieben schließlich 16,5 % der Gesamtbefragten. Männer verhielten sich dabei wesentlich riskanter und konsumierten häufiger in riskantem Maße Alkohol. Der problematische Alkoholkonsum wurde 2009 vom STATISTISCHEN BUNDESAMT bei Männern mit 32,4, bei Frauen mit 21,1 % der Befragten angegeben [3].
2005 wurden nach RÜBENACH et al. 2007 74.000 Todesfälle, bedingt durch Alkoholkonsum und kombinierten Konsum von Tabak und Alkohol registriert [4]. Dabei war der Anteil der 35- bis 64-Jährigen mit 21 % am höchsten. Betroffen waren hier laut JOHN und HANKE hauptsächlich Männer (76 %) [5]. Psychische oder verhaltensbezogene Auffälligkeiten bzw. Störungen durch Alkoholkonsum wurden vom STATISTISCHEN BUNDESAMT im Jahr 2011 als zweithäufigste Diagnose in Krankenhäusern mit 338.400 Behandlungsfällen festgestellt [6]. 26.349 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zehn und zwanzig Jahren wurden im Jahr 2011 stationär behandelt, dies aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs. Im Jahr 2000 waren es noch 9.500 Fälle in dieser Altersgruppe. Die Steigerung dieser Behandlungsfälle beträgt demnach erschreckende 177 % [7].
Für das Jahr 2002 wurde von REHM, TAYLOR und PATRA geschätzt, dass der Konsum von Alkohol in den europäischen Staaten den Verlust von mehr als 10 Millionen Lebensjahren bedingt [8]. Gesundheitsökonomen (ADAMS und EFFERTZ) schätzten dabei für das Jahr 2007, dass die volkswirtschaftlichen Kosten (direkte und indirekte) durch Alkoholkonsum in Deutschland sich auf 26,7 Milliarden Euro belaufen [9].
Wie eingangs erwähnt, ist dies nicht ein partielles Problem einzelner Berufsgruppen, vielmehr gibt es in allen Institutionen und deren Arbeitsbereichen Missbrauchbetreibende und schließlich Abhängigkeitserkrankte.
Dies schafft Probleme betriebssozialer Art, bedingt aber auch Qualitätsverluste und begünstigt Arbeitsunfälle. Mangelnde Betriebsorganisation, hier besonders im Hinblick auf das gerade im Rahmen der Suchtproblematik am Arbeitsplatz so wichtige betriebliche Gesundheits-management, federt suchtbedingte Probleme im Betrieb nicht ab, sondern verstärkt diese.
Gefragt sind also effektive Suchtpräventions- und interventionsmaßnahmen am und im Umfeld des Arbeitsplatzes. Diese Maßnahmen können intern oder extern organisiert und durchgeführt werden.
Wichtig ist jedoch, dass das Unternehmen in seiner Arbeits- und Gesundheitsschutzkultur Suchtprävention und –intervention integriert und proaktiv „lebt". Solche Maßnahmen gibt es nunmehr seit ca. 30 Jahren als Bestandteil moderner Personalpolitik.
Wichtig ist also ein gut organisiertes – sprich: strukturiertes – Unternehmens-management, dass sich nicht nur formal den Interessen und Bedürfnissen seiner Mitarbeiter annimmt, sondern aktiv Fragen und Aspekte des Arbeits- aber auch des gesamtsozialen Lebens mit einbezieht, berücksichtigt und positiv beeinflusst.
Zugegeben: Die Aktions- und Regelkreise eines Unternehmens sind komplex und entziehen sich einer nicht zur Reflexion bereiten Betrachtung und Analyse. Trotzdem sollten sich Arbeitswissenschaftler und im Betrieb tätige Arbeits- und Organisationspsychologen mit den Wechselspielen betrieblicher Partialinstitutionen auseinandersetzen und Interaktionen im Sinne einer menschengerechten Arbeitsgestaltung erkennen und fördern.
Die auf der nächsten Seite folgende Grafik 5 stellt beispielsweise die Komplexität des Steuerungskreises „Gesundheitsmanagement" dar, der sich (in diesem Fall) zudem mit Aspekten der betrieblichen Suchtprävention auseinander setzt und sie gleichsam als integralen Bestandteil einer funktionierenden Organisationsphilosophie in unterschiedliche Managementkomplexe und Aktionsgruppen mit einbezieht.
Auch hier kann man wieder davon ausgehen, dass solche Strukturen zwar wünschenswert, jedoch nicht häufig anzutreffen sind. Dies scheitert oftmals nicht zuletzt an der Betriebs- bzw. Unternehmensgröße, die aufwändige Organisationsarchitekturen aus personellen oder finanziellen Defiziten heraus nicht realisieren können.
Letztendlich sind hierfür auch flache Hierarchien und kooperative bzw. partizipative Führungsstile und –philosophien gefragt, die – gerade in tradierten Unternehmen – die oftmals favorisierten, archaischen Befehlsstrukturen auch im aufgeklärten 21. Jahrhundert häufig nicht abzulösen vermochten.
Suchthilfe- bzw. Suchtinterventionsprogramme tragen weitgehend zum besseren Verständnis von Suchtmittelabhängigkeit und den sich daraus ergebenden Krankheiten im Unternehmen bei, zudem den Betroffenen auf diese Art Perspektiven und Alternativen aufgezeigt werden können. Sinnvoll wäre es, diese Aktivitäten jährlich auf ihre Rechtkonformität und ihre Aktualität hinsichtlich der neusten Erkenntnisse der Suchtforschung hin zu überprüfen. Gleichfalls sollte man das Geplante und das Erreichte kritisch untersuchen und im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (Qualitätsmanagement) voran treiben.
Die Vorteile betrieblicher Suchtprävention und –intervention liegen zunehmend im Fokus der innovativen Unternehmen. Man „erhofft sich was" und teilt dies auch bei einer Unternehmensbefragung im Jahr 2008 den Mitarbeitern der Universität Karlsruhe mit (siehe Abbildung 4).
…spielt keine Rolle – bis - …spielt die größte Rolle
Abb. 4: Gründe für das Einführen von Alkoholpräventionsprogrammen in Unternehmen, ngesamt=unbekannt, Quelle: Universität Karlsruhe (2008) „Gründe und Vorgehensweisen bei betrieblicher Suchtprävention", Grafik: Verfasser
Im Rahmen der gleichen Untersuchung wurden die Unternehmen gefragt, welche Präventions- aber auch welche Interventionsmaßnahmen sie im Betrieb anbieten bzw. durchführen. Die folgende Abbildung 5 zeigt, dass die Firmen durchaus innovative Wege beschreiten; das Angebot ist bei den Befragten vielfältig und bezieht interne und externe Maßnahmen mit ein.
Abb. 5: Angebotene Präventions- und Interventionsmaßnahmen,