Das Leben ist zerbrechlich Teil 1: 16 authentische Kriminalfälle aus Sicht eines Richters
Von Wolfgang Backen
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Über dieses E-Book
Wolfgang Backen
Wolfgang Backen wurde 1951 in Hamburg geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft wurde er 1979 zum Richter ernannt und arbeitete beim Landgericht Hamburg vorwiegend im Strafrecht. Von 2007 war er bis zu seiner Pensionierung 2016 Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer. Während seiner Berufstätigkeit hat er zwangsläufig immer wieder in menschliche Abgründe blicken müssen. Dabei begegneten dem Juristen höchst unterschiedliche Charaktere und äußerst facettenreiche Verbrechen.
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Buchvorschau
Das Leben ist zerbrechlich Teil 1 - Wolfgang Backen
Prolog
Dies ist kein Roman. Dieses Buch hat nichts mit den mehr oder weniger an der Wirklichkeit orientierten Kriminalromanen oder Kriminalfilmen zu tun, die spannende Unterhaltung bieten wollen. Den Trost, dass Grausamkeit und Tote nur erfunden seien, kann ich Ihnen leider nicht spenden. Die hier zusammengestellten Fälle haben sich alle so tatsächlich abgespielt. Vielleicht wird der eine oder andere das Buch schnell wieder aus der Hand legen, weil er angewidert denkt, der Verfasser habe eine zu schmutzige Fantasie, so etwas könne unmöglich geschehen sein, denn so böse könne keiner handeln. Leider weit gefehlt! Der Mensch kann zu Unvorstellbarem fähig sein, wenn er Gelegenheit dazu bekommt und entsprechende Anlagen hat. Beispiele in der Geschichte gibt es davon genug. Die Motive sind vielseitig, und es sind keineswegs immer nur die psychisch kranken Mitmenschen, die widerliche Straftaten begehen.
Die folgenden sechzehn Fälle demonstrieren beispielhaft die große Bandbreite menschlicher Schwächen und Abgründe. Ich begegnete im Laufe meiner Tätigkeit als Strafrichter aber nicht nur hart gesottenen Tätern, sondern auch vielen geistig Kranken, Bemitleidenswerten und auch Unschuldigen. So tötete ein Pensionär seine Frau aus lauter Verzweiflung (s. Fall 9) und ein junger Mann saß 16 Jahre lang im Gefängnis, obgleich er die ihm vorgeworfene Straftat gar nicht begangen hatte (dazu Fall 1). Justizirrtum. Lebenszeit, die nie mehr zurückgeholt werden kann. Trotz aller Sorgfalt und Bemühungen der Polizei und Justiz kommt es bedauerlicherweise auch in einem Rechtsstaat hin und wieder zu solchen Fehlurteilen. Ein Super-GAU für die Betroffenen, in deren Leben durch ein derartiges Urteil fatal eingegriffen wird.
Ich möchte den Lesern Einblicke in die Tätigkeit eines Strafrichters verschaffen, die ich viele Jahre lang ausgeübt habe, und den Leser mit in eine Welt nehmen, die vielen fremd sein dürfte.
Wie bin ich zu diesem Beruf gekommen? Die Wurzeln dafür sind in meiner Familie zu suchen. Mein Vater Heinrich Backen war in Hamburg Staatsanwalt, Zivil – und Strafrichter, dann Vizepräsident des Amtsgerichts und beendete seine Karriere mit 65 Jahren 1985 als Generalstaatsanwalt in Hamburg. Natürlich erzählte er oft über die Fälle, die ihn gerade beschäftigten, wenn unsere Familie beim Essen zusammensaß. Manchmal nahm er uns Kinder mit ins Gericht. Mir erschien seine Tätigkeit – abgesehen von den eher langweiligen Ehescheidungen - spannend und interessant, sodass ich mich nach dem Abitur 1970 zum Jurastudium entschloss. Ich wollte unbedingt Richter werden.
Abgesehen vom Vorbild meines Vaters hatte auch die damalige Zeitströmung einen nicht unerheblichen Einfluss auf meine Berufswahl. Es herrschte an den Schulen und Universitäten der Geist der „Achtundsechziger, repräsentiert durch politisch deutlich nach links tendierende Schüler und Studenten, die das Streben ihrer aus der Kriegsgeneration stammenden Eltern nach Bequemlichkeit und Wohlstand abgrundtief verachteten und andere Ideale zum Maß aller Dinge machten, um sich von ihren spießigen Eltern, Lehrern und Professoren strikt abzugrenzen. Die Bewegung wurde wohlwollend von großen Teilen der Presse begleitet. Wir wollten unser Land formen und hielten uns angesichts der im „Dritten Reich
begangenen Gräueltaten für die moralisch besseren Menschen. Das war natürlich naiv, weil wir unter ganz anderen Verhältnissen aufgewachsen waren und keiner unsere Einstellung je ernsthaft auf die Probe stellte.
Ich war zwar eher konservativ ausgerichtet, fand aber wie viele der idealistisch geprägten Studenten, dass jeder etwas zum Bestand, zur Weiterentwicklung und Optimierung der demokratischen Gesellschaft beitragen müsse und ein Beruf nicht nur dem Geldverdienen dienen dürfe. Eine unabhängige Rechtsprechung im Rahmen der Gewaltenteilung war mir wichtig.
Es gelang mir tatsächlich nach vielen, meistens praxisfernen Vorlesungen an der Universität sowie nach zweijährigem Referendariat und zwei nervenaufreibenden Staatsexamen 1979 eine Stelle als Richter beim Landgericht Hamburg zu ergattern. Bis 2016 arbeitete ich dort hauptsächlich als Strafrichter. Zunächst als beisitzender Richter, später als Vorsitzender Richter u. a. in Strafvollstreckungs-, Jugend- und Schwurgerichtskammern.
Die hier geschilderten 16 Fälle wurden fast alle vor einem Schwurgericht verhandelt. Die Schwurgerichtskammern, die in Deutschland bei den Landgerichten angesiedelt sind, sind zuständig für die Verhandlung vorsätzlicher Tötungsdelikte – hauptsächlich also für Mord (§ 211 StGB) oder für Totschlag (§ 212 StGB), aber auch für andere Verbrechen mit tödlichem Ausgang (beispielsweise bei einer Vergewaltigung oder Körperverletzung).
Da viele Leser möglicherweise nicht den Unterschied zwischen Totschlag und Mord kennen, möchte ich ihn kurz erklären: In beiden Fällen tötet der Täter vorsätzlich und nicht fahrlässig. Als Mörder bezeichnet das Gesetz denjenigen, der bei der Tötung bestimmte Merkmale erfüllt, die der Gesetzgeber für besonders verwerflich hält. Beispielsweise eine Tötung aus Habgier oder bei einer heimtückischen oder grausamen Vorgehensweise. Den Mörder erwartet grundsätzlich eine lebenslange Freiheitsstrafe, während andere, die töten, ohne dabei ein Mordmerkmal zu verwirklichen, wegen Totschlags mit einer zeitigen Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren rechnen müssen. Nur in besonders schweren Fällen ist auch beim Totschlag die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe möglich. Für minder schwere Fälle sieht der Gesetzgeber in § 213 StGB Strafen zwischen einem Jahr und zehn Jahren vor. Auf nur fahrlässig begangene Tötungen (§ 222 StGB) stehen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren. Über solche Vergehen entscheidet i. d. R. das Amtsgericht.
Eine Schwurgerichtskammer ist mit drei Berufsrichtern – einem Vorsitzenden, zwei Beisitzern sowie zwei Laienrichtern (Schöffen) - besetzt. Sie werden nur bei Anklagen der Staatsanwaltschaft tätig. Die Anklagen werden vom Gericht geprüft und zugelassen, wenn ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeklagten besteht. Wird ein solcher Tatverdacht bejaht, folgt eine Hauptverhandlung unter der Leitung des Vorsitzenden, in der – nach Verlesung der Anklageschrift - zunächst die Angeklagten Gelegenheit haben, etwas zum Vorwurf zu sagen. Sie müssen aber nicht. Es folgt das Kernstück der Hauptverhandlung: Die Beweisaufnahme. In diesem Abschnitt können beispielsweise Zeugen und Sachverständige vernommen, Urkunden verlesen sowie Fotos und Videos in Augenschein genommen werden. Es soll dadurch für die Richter ein Bild vom Tatgeschehen entstehen. Nachdem die Beweisaufnahme geschlossen worden ist, halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers und der Angeklagte bekommt die Gelegenheit zu einem „letzten Wort".
Danach ziehen sich die fünf Richter zur Beratung zurück. Sie ist geheim – kein Wort darf nach außen dringen. Einer der Berufsrichter beginnt und schlägt den anderen die Feststellung eines Sachverhalts vor. Seinen Vorschlag zum Tatgeschehen begründet er unter Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Dies ist oft eine äußerst komplizierte Aufgabe, denn es reicht natürlich nicht aus, sich kritiklos auf die Angaben der Zeugen zu stützen, vielmehr muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob diese auch glaubhaft sind. Neben bewussten Falschaussagen kommt es nämlich immer wieder vor, dass das Gedächtnis den Menschen einen Streich spielt. Erlebtes wird teilweise oder ganz vergessen oder die Erinnerung wird durch andere Einflüsse verfälscht. Manchmal füllt ein Zeuge die Lücken, die in seiner Erinnerung entstanden sind, mit Schlussfolgerungen, was er aber vor Gericht nicht zum Ausdruck bringt. Meistens ist er sich darüber nicht einmal bewusst. Zeugen sollen aber wertungsfrei vor Gericht nur das berichten, was sie nach ihrer gegenwärtigen Erinnerung gesehen und gehört haben. Nicht mehr und nicht weniger. Aber auch andere Beweismittel können ihre Tücken haben. Möglicherweise sind Fotos und Videos geschickt manipuliert worden oder Gutachten weisen Fehler auf.
Der Vorschlag zum Tatablauf und zur Täterschaft wird während der Beratung diskutiert. Wenn er nicht von allen akzeptiert wird, weil auch eine andere Variante möglich erscheint, muss abgestimmt werden. Steht der Sachverhalt fest, wird geprüft, ob die Angeklagten durch ihr Verhalten rechtswidrig und schuldhaft gegen ein oder mehrere Strafgesetze verstoßen haben. Falls ja, folgen die Überlegungen zur Bestrafung. Dabei ist der sog. Strafrahmen des Gesetzes Grundlage für die Festlegung der konkreten Strafe. Nehmen wir einmal den Strafrahmen für Totschlag (§ 212 Abs. StGB), der von 5 bis zu 15 Jahren reicht. Welche Strafe ist innerhalb dieser sehr großen Spannbreite individuell gerecht?
So etwas ist für das Gericht natürlich mathematisch nicht berechenbar. Die Strafe ist das Ergebnis einer Abwägung von strafmildernden und strafschärfenden Aspekten auf der Grundlage der Schuld des Täters. Die Grundsätze der Strafzumessung sind in § 46 StGB enthalten. Zu berücksichtigen sind danach die Beweggründe und Ziele des Täters, seine Gesinnung, die aus der Tat spricht, seine kriminelle Energie, die Art der Ausführung sowie die verschuldeten Auswirkungen der Tat. Aber auch das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat fließen in die Bewertung ein. Ein Geständnis oder eine Provokation des Geschädigten können beispielsweise die Strafe mildern. Auf der anderen Seite heben einschlägige Vorstrafen oder schwere Tatfolgen die Strafe an. Aber nicht nur die Anzahl der einen oder anderen Art der Zumessungsgründe ist ausschlaggebend, sondern auch ihr Gewicht. Dabei haben die Richter durchaus unterschiedliche Ansichten darüber, wie ein Strafzumessungsgrund zu gewichten ist. Für den einen Richter mag die Biografie des Angeklagten eine große Rolle spielen, während sie für seinen Kollegen eher nebensächlich ist. Die Bildung der Strafe ist somit ein äußerst komplizierter Prozess, der viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert.
Jeder der fünf Richter hat eine Stimme – egal ob er Vorsitzender oder Schöffe ist. Kein Richter darf die Abstimmung verweigern. Zu jeder dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung über die Schuldfrage und die Rechtsfolgen der Tat ist eine Mehrheit von Zweidritteln der Stimmen der Richter erforderlich. Also müssen im Schwurgericht mindestens vier Richter davon überzeugt sein, dass der Angeklagte die Tat begangen hat. Sonst muss freigesprochen werden. Nach der Beratung wird das Urteil im Namen des Volkes vom Vorsitzenden in der Sitzung verkündet und mündlich begründet.
Ob der Sachverhalt, von dem das Gericht ausgeht, dem tatsächlichen Geschehen zu 100 Prozent entspricht, ist keineswegs immer gesichert. Das gefundene Ergebnis kann trotz aller Sorgfalt immer nur eine Annäherung an die Wahrheit sein, selbst wenn das Gericht die Qualität der Beweismittel sorgfältig geprüft hat.
Es gibt leider eine Menge Fehlerquellen: Überzeugende Lügner, falsche Geständnisse, Dolmetscher, die unvollständig oder falsch übersetzen, sowie Sachverständige, die nicht erschöpfend alle Anknüpfungstatsachen beurteilen oder falsche Schlüsse aus ihnen ziehen. Nicht zuletzt hindert der Gesetzgeber selbst oft die Wahrheitsfindung, da er sich entschieden hat, einigen Personen ein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht einzuräumen. So habe ich es immer wieder als sehr unbefriedigend empfunden, wenn ein Kind vom Vater missbraucht oder gar getötet worden war, die Mutter des Kindes als Zeugin der Tat dies bei ihrer polizeilichen Vernehmung zwar auch beschrieben hatte, aber vor Gericht von ihrem Aussageverweigerungsrecht als Ehefrau Gebrauch machte, weil sie Angst vor ihrem Mann oder vor den wirtschaftlichen Folgen für die Familie bekommen hatte. Ist die Mutter das einzige Beweismittel, weil das Kind tot oder noch zu jung für eine Aussage ist, führt diese Situation zu einem Freispruch. Die polizeiliche Aussage der Mutter darf vor Gericht nicht verlesen werden, Vernehmungsbeamte der Polizei nicht vernommen werden. Der Gesetzgeber stellt hier den „Ehefrieden" über die Gerechtigkeit–vielleicht mit der schrecklichen Folge, dass das Kind weiterhin vom Vater misshandelt wird. Den Gerichtsmedizinern ist es oft nicht möglich, eindeutig zu bestimmen, ob eine Verletzung Folge eines Unfalls oder einer Misshandlung ist. Selbst wenn, bleibt meistens die Frage, wer für die Misshandlung verantwortlich ist, offen.
Ein weiteres Beispiel für die begrenzte Gerechtigkeit findet sich in den Verjährungsvorschriften des Strafgesetzbuchs: Nach einiger Zeit wird zugunsten des Rechtsfriedens auf die Ahndung einer Straftat verzichtet (dazu siehe den dritten Fall). Selbst beim Totschlag gilt dies – nur Mord verjährt nicht.
Manchmal scheitert die Wahrheitsfindung auch an den Verteidigern. Sie haben ein legitimes Interesse, ihren Mandanten vor einer Strafe zu schützen oder eine möglichst geringe Strafe für sie zu erkämpfen. Das ist in Ordnung, solange nicht mit unfairen Mitteln gekämpft wird. So hat der Verteidiger z. B. das Recht, Zeugen zu befragen, wenn sie zuvor vom Gericht vernommen und von der Staatsanwaltschaft befragt worden sind. Es gelingt einigen Verteidigern, Zeugen stunden- bzw. sogar tagelang zu vernehmen in der nicht unberechtigten Hoffnung, die Zeugen würden sich irgendwann nicht mehr konzentrieren können und sich dann hier und dort in ihrer Aussage widersprechen. Die Hoffnung erfüllt sich oft, wenn der Zeuge entnervt anfängt, dem Rechtsanwalt nach dem Mund zu reden, weil seine Zeitplanung aus den Fugen gerät, er nach einer Zigarette giert oder er schlicht und ergreifend nach einigen Stunden psychisch am Ende ist. Ich habe sogar Zeugen erlebt, die nach einer solchen Tortur den Gerichtssaal mit der ernst gemeinten Ankündigung verließen, sie würden sich nie wieder in ihrem Leben als Zeugen zur Verfügung stellen. Nicht gut für unseren Rechtsstaat, aber aus der Sicht eines Geplagten eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung.
Oft werden Zeugen durch viele Fragen, deren Sinn sie nicht mehr verstehen, provoziert. Die Gereizten reagieren aggressiv. Dieser Zustand ist äußerst gefährlich, weil er leicht zu unüberlegten Antworten führt. Triumphierend ruft dann der Verteidiger, der Zeuge sei unglaubwürdig und nicht als Beweismittel zu gebrauchen. Greift das Gericht nach einiger Zeit ein und weist Fragen zurück, weil sie keinen erkennbaren Zusammenhang zum Anklagevorwurf mehr haben, entgegnet der Verteidiger, er müsse mit diesen Fragen unbedingt die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen prüfen. Das sei sein gutes Recht! Ein Argument, das nicht ohne Weiteres zurückgewiesen werden kann, will der Vorsitzende sich nicht dem Verdacht der Parteilichkeit aussetzen. Beliebt ist auch der Versuch, das Gericht mit vielen Beweisanträgen und Ablehnungsanträgen zu bombardieren, was die Hauptverhandlungen verlängert und den richterlichen Terminkalender durcheinanderbringt. Der Anwalt hofft auf Verfahrensfehler, die er in der Revisionsinstanz rügen kann, auf die Zermürbung der Richter oder auf ein Entgegenkommen des Gerichts beim Strafmaß. Mit der Strafprozessordnung ist so ein Verhalten vom Gericht kaum zu stoppen. Das Gesetz stammt aus einer Zeit, in der es selbstverständlich war, dass ein Verteidiger als Organ der Rechtspflege an der Wahrheitsfindung mitarbeitet und diese nicht torpediert. Heute verstehen sich viele Verteidiger nur noch als verlängerter Arm ihrer Mandanten. Das veränderte Verhalten sollte Gesetzesänderungen nach sich ziehen, was angesichts der mächtigen Lobby der Rechtsanwälte kaum Aussicht auf Erfolg hat.
Wie die Beweismittel letztlich bewertet werden, hängt nicht zuletzt auch von den Persönlichkeiten der Richter ab. Einige glauben Zeugen eher als der andere. Richter, die zu vorsichtig sind und oft Angeklagte freisprechen, werden intern etwas abschätzig als Bedenkenträger bezeichnet. Aber jeder Richter muss schließlich auf sein Gewissen hören.
Die kurze Beschreibung macht vielleicht schon deutlich, welche riesige Verantwortung der Richterberuf mit sich bringt. Er ist nichts für schwache Nerven. Richter müssen neben der Wahrheitsfindung versuchen, verschiedene Interessen zu berücksichtigen und unter einen Hut zu bringen, die Gesellschaft vor Straftätern zu schützen, aber auch danach streben, dem Straftäter das Leben nach Möglichkeit nicht bis zu seinem Lebensende zu verbauen, sondern ihm eine Chance zum Neuanfang einzuräumen.
Mich faszinierten während meiner Berufstätigkeit immer wieder die unterschiedlichen Verhaltensweisen und Beweggründe