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Schule weiter denken: Was wir aus der Pandemie lernen
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eBook200 Seiten2 Stunden

Schule weiter denken: Was wir aus der Pandemie lernen

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Über dieses E-Book

Was Eltern, Schüler und Lehrer im Frühjahr 2020 erlebt haben, ist vorher noch nie da gewesen: Ein ganzes Land ging ins Homeschooling. Wie nie zuvor nahmen die Eltern teil an der Schulbildung ihrer Kinder. Und die Lehrer mussten sich auf eine komplett neue Unterrichtssituation einstellen, auf die sie nicht vorbereitet waren. Alle Beteiligten fühlten sich überfordert und zum Teil alleingelassen.

War das System schuld? Weil die Ministerien den Spagat zwischen Unterstützung und Autonomie der Schulen nicht schafften? Weil es bis heute keine einheitlichen Qualitätsstandards gibt? Weil die Digitalisierung viel zu lange schleifen gelassen wurde? Und es nicht gelang, Kinder aus kinderreichen und/oder bildungsfernen Familien mitzunehmen?

Das alles sind Fragen, die keine Eintagsfliegen sind; sie werden auch nach der Pandemie noch offen sein, denn diese wirkte nur wie ein Brennglas, das die Probleme unserer Schulen offenbar werden ließ. Viele fragen sich: Was können wir aus den Erfahrungen des Lockdowns lernen?
SpracheDeutsch
HerausgeberDuden
Erscheinungsdatum13. Apr. 2021
ISBN9783411913589
Schule weiter denken: Was wir aus der Pandemie lernen

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    Buchvorschau

    Schule weiter denken - Kai Maaz

    1 ALLE MACHEN UNTERSCHIEDLICHE ERFAHRUNGEN

    Gespräche mit einer Mutter, einer Schülerin, einer Lehrerin, einem Schulleiter und einem Bildungsexperten

    An den Anfang unseres Buchs stellen wir Gespräche, die wir mit Vertreterinnen und Vertretern all jener Gruppen geführt haben, die von den Schulschließungen betroffen waren und sind, um die unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Wir haben Sie nach ihren Erfahrungen und ihrem Umgang mit der Ausnahmesituation zu Beginn der Pandemie und in den folgenden Monaten sowie ihren Ideen und Wünschen für die Zukunft befragt. Die Gespräche wurden im November und Dezember 2020 geführt.

    »Es geht nicht darum, dass alles perfekt weiterläuft, sondern dass es allen gut geht.«

    Magdalena Rogl ist gelernte Kinderpflegerin und heute Head of Digital Channels bei Microsoft Germany. Sie wohnt mit ihrem Mann und vier Kindern in München.

    »Am Anfang der Pandemie waren wir in einer Schockstarre und wussten nicht, wo wir anfangen sollen. Wir mussten Geräte anschaffen, weil nicht jedes Kind ein eigenes hatte. Da habe ich gemerkt, wie privilegiert wir sind, Rechner kaufen zu können und zu wissen, welches Modell sinnvoll ist. Dann haben wir überlegt, wie wir das Lernen strukturieren. Meine Kinder bekommen schon zu spüren, dass ich eine pädagogische Ausbildung habe und viel mit Regeln arbeite. Beim Unterrichtsstoff der Sekundarstufe komme ich jedoch nicht mehr mit. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es anderen Familien geht, in denen Eltern einen niedrigeren Bildungsgrad haben oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

    Anfangs hat der Unterricht über eine Plattform stattgefunden, auf der einfach Aufgaben eingestellt wurden. Da mussten sich die Kinder komplett selbst organisieren. Das geht vielleicht bei größeren Kindern, aber für unseren Fünftklässler war das nicht möglich. Ich habe versucht, einen Stundenplan für ihn zu erstellen. Das war utopisch, weil mein Mann und ich selbst auch gearbeitet haben. Für mich war es ein Schlüsselmoment, als ich verstanden habe, dass es nicht darum geht, dass alles perfekt weiterläuft, sondern dass es allen gut geht.

    Die Schule war uns Eltern gegenüber von Anfang an sehr transparent – auch, was Unsicherheiten anging. Für Eltern und Schüler gab es separate Briefe, als eine neue Lernplattform eingeführt wurde, etwa zu Funktionalität, Installation und Datenschutz. Mit der Einführung hat sich der Unterricht schlagartig verändert: Die Kinder hatten wieder ein Gemeinschaftsgefühl, weil sie sich in Videokonferenzen sehen und hören konnten.

    Die Schulen hatten keine Wahl, ob sie in den Präsenzunterricht gehen oder nicht. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits sehe ich, wie wichtig der Schulalltag für die Kids ist. Andererseits ist es einfach schwierig: Bei jedem unserer Kinder sind die Komm- und Gehzeiten unterschiedlich, in den Klassenräumen ist es wahnsinnig kalt und es kommt zu Corona-Infektionen. Als Mutter fände ich den Wechselunterricht am sinnvollsten. Insgesamt frage ich mich, warum man nicht mehr im Sinne der Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte denken kann. Im Präsenzunterricht herrscht ein hoher Leistungsdruck, weil unklar ist, wie lange der Unterricht noch stattfinden kann. In manchen Fächern haben die Kinder jetzt schon alle Noten, dabei geht das Halbjahr noch zwei Monate. Ich hätte mir von den Kultusministerien eine Regelung gewünscht, damit die Lehrkräfte den Druck nicht an die Schüler*innen weitergeben müssen.

    Ich hoffe, dass wir den Schwung und den Grad an Digitalisierung, den wir an den Schulen erreicht haben, beibehalten. Jetzt ist die Gelegenheit, den Lehrplan und das Schulsystem neu zu denken – nicht nur zu digitalisieren, sondern zu modernisieren. Es gibt genug Studien, die zeigen, dass freies, projektbasiertes und fächerübergreifendes Lernen nicht dafür sorgt, dass die Kids Quatsch machen.«

    Protokoll: Anna Niewerth

    »Corona-Ferien? Von wegen!«

    Lucia Wagner ist Abiturientin an einem Mainzer Gymnasium und Mitglied in der Bundesdelegation der Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz.

    »Am Freitag vor dem Lockdown im März ertönte in der siebenten Stunde eine Durchsage: Alle sollten ihre Bücher mit nach Hause nehmen – für den Fall, dass die Schule am Montag nicht mehr öffnet. Zum Glück hatte unser Gymnasium ein Online-Portal, zu dem jeder Schüler Zugang hat. Für den Unterricht zu Hause wurden dort Chatgruppen eingerichtet, und es gab für jedes Fach Ordner, in denen wir Arbeitsblätter runter- und Hausaufgaben hochladen konnten. Deshalb waren wir gleich zu Beginn des Lockdowns in der Lage, gut zu arbeiten, während andere Schulen zunächst zwei Wochen E-Mail-Listen zusammenstellen mussten.

    Am Anfang war ich total motiviert: Ich kann gut selbstständig lernen und dachte oft, dass ich den Lernstoff einer Doppelstunde in zehn Minuten zusammentragen kann. Anstrengend war, dass alles uneinheitlich war: Mal fand der Unterricht gemäß Stundenplan statt, mal gab es am Anfang der Woche Aufgaben, die wir allein erledigen mussten, an manchen Tagen nutzten wir vier verschiedene Videokonferenztools. Es hat mich total aufgeregt, wenn alle von Corona-Ferien sprachen! Von wegen! Teilweise mussten wir mehr bearbeiten, als wir je im Unterricht gemacht hätten. Ab den Osterferien fiel es mir schwerer, mich zu motivieren. Irgendwann dachte ich: Das geht nicht mehr, mir fällt die Decke auf den Kopf, ich will meine Freunde treffen. Sie nicht zu sehen, war die größte Herausforderung.

    Der Wechselunterricht war für mich ein guter Mittelweg: Ich traf meine Freunde, konnte Fragen stellen, hatte eine Woche Struktur und Alltag und konnte in der nächsten ausschlafen und selbstständig lernen. Super war die Kursgröße: Mit 15 Leuten lassen sich Themen schneller durchnehmen, alle trauen sich, Fragen zu stellen, und machen besser mit. Aber für benachteiligte Schüler war die Situation schlimm. Wenn bei mir das WLAN nicht funktionierte? Ein Luxusproblem! Andere haben weder Laptop noch ein eignes Zimmer oder erleben zu Hause Gewalt. Vor allem lernschwache Schüler oder diejenigen, die kein Deutsch sprechen, und mehr Anleitung benötigen, brauchen den Präsenzunterricht. Jetzt im Dezember läuft der Unterricht normal – außer dass Einzelne in Quarantäne sind und wir den ganzen Tag mit Maske und Winterjacke im Klassenraum sitzen. Das ist zu verkraften, weil wir uns immerhin sehen und zusammen lernen können.

    Was sich zukünftig ändern muss? Die Verantwortlichen in Schule und Bildungspolitik müssen aufhören, über Schüler zu reden, und anfangen, mit ihnen zu sprechen. Außerdem sollten sie die bürokratischen Hürden beim »DigitalPakt Schule« abbauen und mehr an benachteiligte Kinder denken. Das reicht aber nicht: Wichtig ist, dass Lehrer sich fortbilden und das selbstständige Lernen stärker im Lernplan verankert wird. Wenn Schüler Tipps, Tricks und Routinen für den Unterricht zu Hause kennen, ist es nicht ganz so dramatisch.«

    Protokoll: Frauke König

    »Kontakt zu halten war uns das Wichtigste«

    Nina Toller unterrichtet Englisch, Geschichte, Latein und Informatik an einem Gymnasium in Duisburg. Über ihre Eindrücke aus dem Schulalltag bloggt sie auf tollerunterricht.com und stellt eigene Unterrichtsmaterialien online.

    »Am Sonntag nach Bekanntgabe der Schulschließungen im März saßen wir mit einigen Kollegen in einer Videokonferenz und haben überlegt, wie es weitergeht. Da war so ein starker Wille, etwas zu bewegen dabei! Schon in der ersten Woche haben wir Videokonferenzen mit den Schülern abgehalten. Wir haben überlegt, ob wir direkt den Stundenplan weiterführen, haben aber gemerkt, dass sich auch die Familien erst umstellen müssen. Kontakt zu halten war uns das Wichtigste. Technisch war die größte Herausforderung, dass nicht alle Schüler ein Gerät und eine schnelle Internetverbindung haben. Ich wusste aus dem Unterricht vor der Pandemie, dass zumindest in meinen Klassen alle ihr Handy zur Verfügung haben. Also haben wir mit Video, Schulbuch oder Heft gearbeitet. Der Datenschutzbeauftragte lockerte geistesgegenwärtig die Datenschutzbestimmungen. Datensicherheit ist wichtig, aber es ist hilfreich, wenn in so einer Ausnahmesituation nicht erst für alles schriftliche Einverständniserklärungen eingeholt werden müssen.

    Jetzt im Herbst 2020 ist alles weniger chaotisch, es herrscht mehr Verlässlichkeit, der Distanz- ist dem Präsenzunterricht gleichgestellt. Aber ich muss nun einen Präsenzunterricht gestalten, der komplett dem widerspricht, wie ich sonst unterrichte. Vor mir sitzen Schülerinnen und Schüler in Reihen im Frontalunterricht, kooperative Lernformen sind schwierig. Die Unterrichtskommunikation, gerade in den Sprachen, ist gestört. Ob ich es geschafft habe, einen motivierenden Unterricht zu gestalten, weiß ich noch nicht. Es gibt lange Phasen von Lehrervorträgen, aber auch da versuche ich, das Digitale zu nutzen. Wenn die Schüler schon nicht gemeinsam an Lernplakaten arbeiten dürfen, können sie zumindest mit ihren Handys kollaborativ Aufgaben lösen und vom Platz aus präsentieren. Schüler in Quarantäne schalte ich notfalls per Videokonferenz zu, meine private Webcam befestigt am Kartenständer, damit alle das Smartboard sehen.

    Ich bin Optimistin: Ich glaube nicht, dass wir eine verlorene Generation haben, die die Lernrückstände nie mehr wird aufholen können. Das Gute ist, dass die Baustellen radikal aufgedeckt worden sind. Viele Lehrkräfte mussten erst lernen, wie sie mit digitalen Medien umgehen. Mir kommt der didaktisch sinnvolle Einsatz immer noch zu kurz. Es ist auch eine Frage von Führung: An meiner Schule hat die Schulleitung entschieden, dass nachmittags alle an einer Fortbildung zur Lernplattform teilnehmen müssen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Sichtweise von uns Lehrkräften, aber auch die der Schülerinnen und Schüler systematisch in die politische Entscheidungsfindung einbezogen wird. Und es sollte offener gedacht werden: Diskutiert wird zum Beispiel ein präsenzfreier Tag im Monat für die Arbeit an Projekten.«

    Protokoll: Anna Niewerth

    »Wann muss man Schule schon jeden Tag neu erfinden?«

    Björn Lengwenus leitet eine Grund- und Stadtteilschule in einem sozialen Brennpunkt in Hamburg.

    »Als der Lockdown verkündet wurde, waren bei uns Ferien. Ich lud das Kollegium direkt für Montag gestaffelt in die Aula ein. Weil wir weder einen Notfallplan noch eine einheitliche Lernplattform hatten, überlegte ich mit dem Leitungsteam drei Vorgaben: Erstens sollen die Lehrkräfte mindestens einmal täglich mit jedem ihrer Schüler Kontakt haben. Denn unsere größte Angst war, die Schülerinnen und Schüler zu verlieren. Zweitens, es gibt Unterricht nach Plan und drittens, wenn Probleme auftreten, Kontakt zur Schulleitung aufnehmen. Die Lehrkräfte handhabten das unterschiedlich: Einige kommunizierten per Mail oder Telefon mit den Schülern, andere machten Videokonferenzen oder erstellen YouTube-Videos.

    Um die jüngsten Schülerinnen und Schüler und die ohne Rechner mit Unterrichtsmaterial zu versorgen, bauten wir eine Poststelle auf. Die Lehrkräfte packten individuelle Pakete: differenzierte Arbeitsblätter, Rechenschieber für den einen Schüler, Knete für den anderen. Diese verteilten die Honorarkräfte mit dem Bollerwagen im Stadtteil – bis zu 500 Pakete am Tag. Aber wir merkten schnell: Den Schülerinnen und Schülern Material zu bringen und die Inhalte digital abzubilden, war nicht das Herausforderndste. Viel schwieriger war es, die sozialen Aspekte zu berücksichtigen, wenn die Kinder alleine vor dem Rechner saßen. Unser Schulmotto lautet Be Part. Wir wollten den Schülerinnen und Schülern zeigen, dass sie während des Lockdowns weiterhin Teil des Ganzen sind. Deswegen starteten wir die Show Dulsberg Late Night. Darin erzählten wir Geschichten aus der Schule, und die Kinder und Jugendlichen konnten sich mit eigenen Videos beteiligen. Zur Show kamen alle auf einem digitalen Pausenhof zusammen. Rückblickend war das eine anstrengende, aber auch spannende Pionierzeit. Wann muss man Schule schon jeden Tag neu erfinden?

    In den vergangenen Monaten hat sich viel getan: Wir

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