Timing!: Unsere Chancen nutzen in turbulenten Märkten
Von Pascal Gemmer
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Über dieses E-Book
Chancen nutzen ist die Essenz von Strategie.
Und deswegen beschäftigen wir uns 24/7 mit Zukunft, Trends, Kund*innenbedürfnissen, Wettbewerber* innen und neuen Technologien. Um keine Chancen zu verpassen. Trotzdem sind unsere neuen Produkte oft eher spät oder viel zu früh dran. Unsere Marke trifft nicht so richtig den Zeitgeist. Unser Markt wird von unbekannten Unternehmen »disrupted«. Oder wir haben keine zündende Idee oder viel zu viele Ideen, aber keine echten Favoriten.
Zeit, dass wir unser Timing in den Blick nehmen. Märkte entwickeln sich in einem wiederkehrenden Rhythmus von Ereignissen: Neue Technologien, Trends, Produkte, Marken, Player und Kund*innen hängen zusammen wie eine Welle, die wir lesen können wie ein Surfer.
Und unser Timing von neuen Produkten, einer neuen Positionierung oder einem strategischen Kunstgriff entscheidet darüber, ob wir eine Welle reiten … oder sie verpassen!
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Buchvorschau
Timing! - Pascal Gemmer
Big Wave, Big Vision
Jeder, der schon mal surfen war, kennt das Bild. Und jeder, der noch nie surfen war, kennt das Bild aus dem Kino, der Werbung oder seinem letzten Urlaub am Meer. Drei Streifen. Sand, Ozean, Horizont. Über allem lodernd und stechend die Sonne. Mittendrin, ganz klein: Leute im Wasser. Auf Brettern liegend. Das Line-up! Sie warten, treiben, paddeln … schauen Richtung Horizont … warten … Und plötzlich: Ein Mensch erhebt sich aus dem Wasser. Surft eine Welle. Wir liegen mit den Ellenbogen aufgestützt, das Erdbeereis tropft auf unser Strandtuch … das wollen wir auch!
Use the Force
•Jeder schaut Fußball und alle wollen surfen. Woran liegt das? Fußball: keine Ahnung. Surfen: am Lifestyle. Lange blonde Haare, Bus, Neoprenanzüge trocknen im lauen Abendwind. Und vielleicht auch, weil wir erahnen, wie gut es sich anfühlt, von einer Welle vorwärts geschoben zu werden. Diese unfassbare Kraft. Die man nicht steuern, nicht kontrollieren, nicht bändigen, aber mit einem Holzbrett reiten kann. Ja, das wollen wir auch! Natürlich nicht in echt. Viel zu gefährlich. Eher im übertragenen Sinn. Und übertragen lässt sich das Wellenreiten ja auf vieles im Leben.
•Je welliger der Ozean ist und je kräftiger die Wellen schieben, desto größer wird die Energie, die wir nutzen können. Und desto unwichtiger wird die eigene Energie, die wir selbst aufbringen müssen. Sonne gegen Feuerzeug. Viele Kampfsportarten basieren auf dem Prinzip »Nutze die vorhandene Energie«. Statt selbst zu treten, verwenden wir den Schwung des Tretenden, um sie/ihn auf die Matte zu bringen. Go with the Flow. Segeln, Windkraft und Popmusik wären weitere Beispiele.
Weltmeere und Weltmärkte
•Wie vieles aus dem Leben lässt sich auch Wellenreiten vorzüglich auf das »Business« übertragen. Denn Märkte sind wie Meere. In manchen ist es still. Segelboote darben. Wir hören Motorboote und Jetskis. Andere sind turbulent. Mit großen Wellen, viel frischem Wind. Wir sehen Surfer:innen und Kiter:innen.
•In stillen Märkten braucht es Kraft, um Dinge zu bewegen. Also Geld. Um Werbung zu machen, Nachfrage zu generieren, Nachfrage aufrechtzuerhalten oder neue Technologien zu entwickeln. Die Wellen müssen wir hier schon selbst machen. Vielleicht ist aber alles auch bereits ruhig reguliert und Vater Staat hält uns an der Leash fest. Innovation: »Nein, danke«.
•In lebendigen, turbulenten Märkten rauscht dagegen eine Welle nach der anderen durch. Plötzlich ein revolutionäres Produkt, ganz neue Prioritäten bei unseren Nutzer:innen oder eine tolle Marke, die wir selber gerne wären. Ständig ändern sich Dinge, Dinge sind in Bewegung. Und diese Bewegung können wir nutzen.
•Es gilt aber nach wie vor das Sprichwort von der Ruhe vor dem Sturm. Stille Märkte können sich jederzeit zu turbulenten Märkte entwickeln. Plötzlich. Eine große Welle genügt. Das Uhrengeschäft war bis 2013 in puncto Innovation eher unauffällig. So auch der Buchhandel, bis es dann 1994 war und jemand in sehr weitem Businesshemd sein selbst gesprühtes Logo in seiner Garage aufhängte.
Reiten statt lenken
•Je schneller sich Märkte verändern, desto weniger wichtig werden große Zukunftspläne. Denn viel Bewegung heißt schlechte Vorhersagbarkeit und schlechtere Steuerbarkeit. Während wir auf glatter Wasseroberfläche Motorboot fahren – mit einer Hand am Lenkrad und vollem Tank – und hinsteuern, wo wir hinwollen, gehen wir beim Surfen mit der Welle. Wir müssen der natürlichen Bewegung folgen. Mit der vorgegebenen Richtung arbeiten.
•Es geht also weniger darum, den Weg zu planen und zielstrebig loszufahren. Vielmehr müssen wir in eine Welle — wenn wir sie denn nehmen wollen – mit vollem Commitment reindroppen. Jetzt oder nie-mäßig. Und wenn wir tatsächlich die Wellenflanke heruntergleiten, dann heißt es schauen, superquicke Hüfte, Balance halten, Kurs anpassen und gespannt bleiben, wo man am Ende landet. Unsere einzige Aufgabe: »on top« bleiben!
Future is Now
•Einfach auf reinkommenden Wellen surfen? Das klingt aber nicht nach der großen Vision oder dem großen Plan … eher nach Opportunismus und Trittbrettfahren. Stimmt schon. Zum Teil. Große Visionen sind etwas Wunderbares. Absolut! Ohne Menschen, die es schaffen, bestehende Bedürfnisse oder Aufgaben auf ganz neuen, viel besseren oder günstigeren Wegen zu lösen (zum Beispiel Elon Musk mit viel günstigeren Raketen), hätten wir ja auch den Buchdruck oder das Rad nicht erfunden. Feuer gäbe es auch keins.
•Aber je mehr Bewegung schon da ist, desto schwieriger wird die große Vision. Je bewegter die Gegenwart, desto näher rückt die Zukunft. Das große Zeitfenster, das wir brauchen, um mit unserem Masterplan an den Start zu kommen, macht uns einen Strich durch die Rechnung. Bis das Flaggschiff fertig ist, ist das Meer schon lange weg. Je größer die Wellen, desto schwieriger der große Plan und desto naheliegender das flinke Surfen.
Kleine Wellenkunde
Der Markt: Von blau zu grün zu weiß
•Bewegung in unseren Markt kommt durch die verschiedensten Dinge: neue Technologien, neue Bedürfnisse und Werte, neue Produkte, neue Brands, plötzliche Gamechanger, sich etablierende Industriestandards, große Unternehmenszusammenschlüsse oder Bildung von Quasi-Monopolen. Alles bringt Bewegung. Teilweise gewaltige. Diese Ereignisse geschehen jedoch oft in einem typischen Rhythmus … einer ganz bestimmten Reihenfolge. Sie ergeben zusammen eine Welle. Mit einem Anfang und einem Ende. Vom Horizont bis zum Strand. Einteilbar in fünf Phasen:
•Trend. Fast alles beginnt mit einem Trend. Weit entfernt am Horizont sehen wir große Entwicklungen, gesellschaftliche oder technologische Trends. Oft haben sie schon Auswirkungen auf einzelne spezielle Märkte, aber zu uns ist in dieser Phase noch nichts herübergeschwappt.
•Werte. Irgendwann entwickeln sich daraus aber auch neue Bedürfnisse und Werte, die unsere Nutzer:innen in unserem Markt haben. Die Welle ist da, sie ist grün und bricht.
•Produkte. Und plötzlich steigt der Franzose aus unserer Surfschule in die Welle ein. Mitbewerber:innen launchen mutig das erste Produkt. Eine erste Antwort auf das neue Wertesystem in unserem Markt. Und wenn die Welle trägt, kommen schnell weitere Produkte hinterher.
•Marken. Nachdem jetzt viele Mitbewerber:innen mit immer ausgereifteren Produkten in der Welle sind, verlagert sich der Fokus auf Marke, Markenstärkung und Nischen finden.
•Money. Jetzt sind so gut wie alle dabei. Die Marktführer sind etabliert, der Industriestandard steht, das Wachstum lässt nach, es muss Geld verdient werden. Wir sind fast am Strand. Und die Welle? Ist nur noch weißer Schaum.
Märkte sind lesbar wie Wellen
•Vom Horizont bis zum Strand. Vom vagen Trend bis zum abgegrasten Markt. Wir können Märkte lesen wie Surfer die Wellen. Das öffnet unseren Blick für ganz neue Chancen, die sich während einer solchen Entwicklung unseres Marktes ergeben können.
•Ein Beispiel vom Wochenmarkt? Nehmen wir Obst und Gemüse. Die Leute mögen Kartoffeln, Spargel, Äpfel. Durch Skandale, steigenden Lebensstandard und ein neues Gesundheitsbewusstsein wird Bio zum großen Thema. Händler, die schon immer Bio-Äpfel angeboten oder auch erst jetzt den richtigen Riecher haben, verkaufen mehr. Andere sehen das und passen ihr Angebot an. Diejenigen, die schnell sind, können von der Angebotslücke aka Nachfrageüberschuss profitieren. Aber irgendwann sind alle bio. Bio ist Standard. Die Welle ist geritten. Und dann kommt »regional produziert« und eine nächste Welle rollt los.
•Beispiel vom Weltmarkt? Nehmen wir Home-Music-Devices. Leute hören zu Hause Musik. Mit Kompakt-Stereoanlagen. Plötzlich wandert die Musik ins Smartphone und der CD-Koffer ist immer in der Tasche. Aber die Stereoanlage im Wohnzimmer?! Mit Kabeln?! Die Lust an Mobilität, Freiheit und Einfachheit rollt vom Markt der Smartphones in den Markt der Home-Music-Devices. Ultimate Ears steigt ein, JBL kommt hinterher, von 2016 bis 2019 haben die beiden eine gute Zeit zu zweit. Doch dann zwängen sich Apple, Google, Bose, Sonos, B&O und kurz darauf auch noch Marshall und China mit rein. Unchilliges Gedrängel. Gin leer. Und die echten Partypeople längst weitergezogen.
Das gute Timing
Das Problem mit dem Timing
•Früh eine gute Welle im Blick zu haben, ist das eine. Das richtige Timing für den Einstieg hinzubekommen, das andere. Kommen wir mit unserem Bluetooth Speaker genau richtig oder eher zu früh oder eher zu spät? Timing ist der tricky part beim Wellenreiten. Wann starten wir wo mit dem Anpaddeln, dem Anlaufnehmen für eine Welle? Und wann ist der Moment für den Take-off, das Aufstehen und In-die Welle-Hinuntergleiten? So ist es auch bei turbulenten Märkten. Viele Dinge passieren. Es ist unübersichtlich. Und selbst wenn wir klare Chancen erkennen können, eine tolle Idee quasi in den Startlöchern haben, stellt sich immer noch die Frage: Wann gehen wir rein?
Drei Gesichter schlechten Timings
•Bevor wir uns mit dem guten Timing beschäftigen: Was wäre eigentlich schlechtes Timing? Drei Gesichter des schlechten Timings können uns in unserem Markt begegnen:
•Zu spät. Plötzlich ist da Uber oder Airbnb. Wir haben entweder nie davon gehört oder nicht so richtig daran geglaubt. Schlagartig ist da eine haushohe Welle. Und wir sind spät dran. Wir haben gerade kein Produkt, das diese Welle reiten kann. Dann heißt es: Kopf runter und durchtauchen. Konsolidieren. Luft anhalten. Und hoffen, dass wir hinter der Welle wieder auftauchen. Wir sind zu spät. Schlechtes Timing. Damit kann man umgehen, wir kommen später dazu.
•Zu früh. Wir haben eine tolle Idee: »Damit reiten wir jetzt so was von die VR-Welle!« Wir launchen. Drei Jahre lang fressen Kosten, um uns und unsere Technologie up to date zu halten, Umsätze auf, die wir mit ein paar Nerds aus Austin und Berlin gerade so verdient bekommen. Konto leer, Runway zu Ende, ohne abgehoben zu sein. Nach drei Jahren kommt dann Apple um die Ecke und treibt den Investor:innen Tränen in die Augen, Freudentränen … während sich unsere guten Entwickler:innen inzwischen schon in alle Himmelsrichtungen auf alle möglichen Delivery-Start-ups verteilt haben. Wir waren zu früh. Schlechtes Timing.
•Zu langsam. Und das dritte Gesicht? Das kennt jeder, der surft. Wir sehen die Welle kommen, haben eine tolle Idee, paddeln los, investieren Energie. Aber nicht genug. Wir sind uns nicht sicher. Paddeln nicht ganz aus vollen Zügen. Und brechen, just bevor die Welle bricht, ab. Die Welle rollt unter uns hindurch, formt eine schöne Barrel. Die anderen haben Spaß und wir warten etwas frustriert und etwas erschöpft auf eine neue Chance. Wie Microsoft mit seinem Windows Phone: Zuerst nicht ans Smartphone geglaubt (Steve Ballmer, CEO, am Abend des iPhone-Launches, stark gekürzt: »Keine Tasten, keine Chance«) und dann drei Jahre später selbst eins gelauncht – als alle leicht zu überzeugenden Nutzer:innen bereits in den Walled Gardens von Apple und Google am Flanieren waren. Die Idee war gut, die Chance war gut. Wir haben es kommen sehen. Aber wir waren zu langsam. Schlechtes Timing.
•Interessant dabei ist zu beobachten, dass Start-ups und junge, kleine Unternehmen in der Tendenz eher zu früh dran sind. Größere, tradiertere Unternehmen hadern oft und kommen tendenziell zu spät. Das liegt natürlich an den unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen beide unterwegs sind. Der alte Spruch mit den Schnellbooten und Tankern trifft hier ganz gut, wenn wir vor unserem inneren Auge den riesigen, schwerfälligen Pott knapp den Take-off verpassen sehen. »Ja, es war knapp, hast ja recht …« Vielleicht hilft uns diese Erkenntnis beim Nachdenken, vor welcher Art schlechten Timings wir uns eher in Acht nehmen sollten.
Besseres Timing
•Und gutes Timing? Die simple Grundidee beim Surfen ist, der Welle immer ein Stückchen voraus zu sein. Ein kleines Stückchen nur, auf keinen Fall zu weit! Wenn die Welle bricht, reicht uns eine Fußlänge vor dem höchsten Punkt. Wenn wir drei bis vier Meter zu weit im Ozean sind, zu früh, passiert nichts, die Welle schwappt einfach unter uns hindurch. Wenn wir drei bis vier Meter zu nahe am Strand sind, zu spät, prasselt das Wasser senkrecht auf uns herab und wir werden gespült.
•Und was ist gutes Timing beim Reiten einer Trendwelle? Auch hier ist das