Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum
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Über dieses E-Book
Aufsuchende Ansätze wurden in den letzten Jahrzehnten quantitativ ausgeweitet und häufig mit niederschwelliger Einrichtungsarbeit kombiniert. Soziale Arbeit auf der Straße verändert sich vielerorts aber auch qualitativ, da sie durch weitreichende Veränderungen im urbanen Raum und intensivierte Sicherheits- und Ordnungspolitik fachlich herausgefordert wird.
In dem Sammelband werden ausgehend von jeweils zwei Leitbegriffen konzeptionelle und praktische Entwicklungen im Feld kritisch diskutiert. 20 Autor*innen spannen in 17 Beiträgen den Bogen von Kontaktaufbau, niederschwelliger Beratung, Konfliktbearbeitung, Ressourcenorientierung und Alltagsbewältigung bis hin zu Schutzräumen und virtuellen Räumen. Handlungsfeldübergreifende Zugänge und fachliche Prinzipien von Aufsuchender Sozialer Arbeit werden herausgearbeitet; konkrete Fallbeispiele z.B. aus der Jugendarbeit, Suchthilfe oder Stadtteilarbeit illustrieren die Beiträge. Aktuelle Debatten rund um Demokratie, Sicherheiten, Gentrifizierung oder Wohnen, aber auch `Klassiker’ wie Bildung und Prävention werden für die Aufsuchende Soziale Arbeit in öffentlichen Räumen neu kontextualisiert. So können gegenwärtige Anforderungen, Interessenskonflikte und Widersprüche einer professionellen Praxis erschlossen und fachliche Perspektiven entwickelt werden.
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Buchvorschau
Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum - Marc Diebäcker
Hrsg.
Marc Diebäcker und Gabriele Wild
Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum
1. Aufl. 2020
../images/472512_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.pngHrsg.
Marc Diebäcker
FH Campus Wien, Wien, Österreich
Gabriele Wild
FH Campus Wien, Wien, Österreich
ISBN 978-3-658-28182-3e-ISBN 978-3-658-28183-0
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28183-0
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Planung/Lektorat: Stefanie Laux/Magda Hirschberger
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Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
Das Konzept des hier vorliegenden Buches ist aus gemeinsamen Lehr- und Praxiserfahrungen des letzten Jahrzehnts entstanden, verbunden mit dem Bedauern, dass viele der durch reflexive Auseinandersetzungen evozierten Fragestellungen rund um Streetwork sich nicht oder nur ansatzweise in aktuellen Publikationen widerspiegeln. Hintergrund für einen Sammelband waren auch konflikthafte Debatten über Einordnung und Effekte stärker moderierend und weniger parteinehmend ausgerichteter Praxisprojekte sowie eine von uns fallweise zu positivistisch wahrgenommene Auslegung von aufsuchenden Zugängen an sich. Motivierend war andererseits die Überzeugung, dass in einer nicht nur aufsuchenden, sondern auch nachschauenden, begleitenden, kollektivierenden sowie kritisch-reflexiven und sich diskursiv-eimischenden Konzeption von Straßensozialarbeit und deren Spielarten im urbanen Raum immer noch und immer wieder Chancen der Absicherung bzw. Erweiterung von Denk- und Handlungsräumen liegen – aufseiten der Fachkräfte wie auf der der Adressat*innen gleichermaßen. Abseits dieser persönlichen Hintergründe erfordern fachlich-theoretische Entwicklungen in Profession und Disziplin Sozialer Arbeit und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen eine Neubestimmung darüber, welche fachlichen Standards für eine emanzipative Streetwork-Praxis heute relevant und begründbar sind.
Streetwork als Soziale Arbeit auf der Straße etablierte sich ab Mitte der 1970er Jahre angelehnt an US-amerikanische Angebote zunehmend in Feldern der Sucht- und Wohnungslosenhilfe, der Offenen Jugendarbeit und Stadtteilarbeit. Mit Blick auf die ‚Straße‘ bzw. öffentliche Räume wurde der Begriff der Aufsuchenden Soziale Arbeit rund ein Jahrzehnt später vermehrt aufgegriffen. Meist synonym zum Terminus Streetwork verwendet und möglicherweise vom englischen ‚outreach work‘ abgeleitet, wurde Aufsuchende Arbeit neben dem Begriff der mobilen Arbeit in den 1990ern auch im Feld der Jugendarbeit zunehmend populär (z. B. Krafeld 1993, 1996) und seit den 2000er Jahren auch in der Sozialraumarbeit rezipiert. Dabei scheint er sich zunehmend als handlungsfeldübergreifender Fachbegriff zu etablieren, unter dem sich mobile und herausreichende Angebote, Streetwork- und Outreach-Projekte sowie auch stadtteil- und gebietsbezogene Praxen versammeln. Auch die Semantik vom ‚Arbeiten auf der Straße‘, verschiebt sich in Richtung Aufsuchende Soziale Arbeit, wodurch zusätzlich zur Betonung des Draußen sein der suchende Modus als Hinbewegung zu den Adressat*innen in den Fokus rückt.
Die Fachdebatte zur Aufsuchenden Sozialen Arbeit in öffentlichen Räumen wird gegenwärtig selten handlungsfeldübergreifend geführt. Oft verharrt sie in praxisnahen Paradigmen der 1990er Jahre, wobei nur selten die Tiefe früher deutschsprachiger Beiträge erreicht wird (siehe z. B. Specht 1979; Miltner 1982; Becker und May 1991). Die einschlägige Literaturlage ist zudem wenig systematisiert, Spannungsfelder des praktischen Tätigseins werden abseits der Reihe zu „Streetwork und mobile Jugendarbeit" (siehe z. B. Gillich 2003, 2006, 2008; Dölker und Gillich 2009) nur ansatzweise in Qualifikationsarbeiten beschrieben und selten auf veränderte Diskurse über Demokratie, Sicherheit, Raum oder Stadt bezogen. Trotz einiger weiterführender Bücher (Huber 2014; Diebäcker 2014; Albert und Wege 2015; Dirks et al. 2016) mangelt es im Fachdiskurs an einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit fachlichen Prinzipien anhand aktueller Theoriekonzepte von sozialer Ungleichheit, Diskriminierung und sozialer Ausschließung ebenso wie an der Konkretisierung von Haltungen und Methoden für eine kritisch-reflexive Berufspraxis, die von der Komplexität und Dynamik sozialer Situationen und Interaktionen gefordert ist. Angesichts gewandelter gesellschaftlicher Verhältnisse und neuer raumpolitischer Strategien – die Zunahme von konfliktbearbeitenden, aufsuchenden Angeboten Sozialer Arbeit vor dem Hintergrund intensivierter Sicherheits- und Ordnungspolitiken sei hier beispielhaft genannt – ist unserer Meinung nach eine re-aktualisierende Auseinandersetzung mit Streetwork und Aufsuchender Sozialer Arbeit in öffentlichen Räumen angezeigt.
Der hier vorliegende Sammelband ist ein Versuch, diese Lücke in der Publikationslandschaft etwas zu füllen, und ein kritisch-reflexives Diskussionsangebot für die professionelle Arbeit zu machen, wobei wir aufgrund eigener Verortungen den Fokus auf aufsuchende Praxen im städtischen Raum legen. Mobile Arbeit in ländlichen Gebieten sowie aufsuchende oder nachgehende Formen Sozialer Arbeit in privaten oder institutionellen Räumen wie z. B. in der mobilen Familienhilfe oder in Verbindungsdiensten sind zumindest in ihren handlungsfeldspezifischen Ausformungen nicht Gegenstand unserer Betrachtungen.
Mit der finalen Konzeption des Bandes und der Zusage von Springer VS haben wir Anfang 2018 versierte Kolleg*innen in Wissenschaft und Praxis des aufsuchenden Feldes angefragt sich zu beteiligen. Inspiriert von den drei Bänden Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit (siehe z. B. Bakic, Diebäcker und Hammer 2016) haben wir uns entschieden, den Autor*innen je zwei Begriffe mit auf den Weg zu geben, um ganz im Foucaultschen Sinne über diesen Bezug auch Anderes denken und Neues schreiben zu können.
Es werden fachliche Entwicklungen im Feld von Streetwork und Aufsuchender Sozialer Arbeit in urbanen Räumen und Quartieren zu gesellschaftspolitischen Veränderungen in Beziehung gesetzt und fachliches Tun anhand zentraler theoretischer Bezüge reflektiert. Die Autor*innen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz diskutieren in ihren Beiträgen gegenwärtige Herausforderungen praxisbezogen und theoriegeleitet. Wenngleich sie teils spezifische Erfahrungen und Wissensbestände aus einem konkreten Feld haben, nehmen Sie häufig eine handlungsfeldübergreifende Perspektive ein, indem sie nach verallgemeinerbaren Aspekten suchen und auch, wo möglich, handlungsleitende Alternativen skizzieren.
Wir bedanken uns bei allen Kolleg*innen, dass sie sich der Herausforderung gestellt haben, einige Nischen der ‚Arbeit auf der Straße‘ auszuleuchten, und damit einen Teil der vielen möglichen Perspektiven auf Aufsuchende Soziale Arbeit nachvollziehbar machen. An dieser Stelle möchten wir uns auch beim Studiengang Soziale Arbeit der FH Campus Wien für die wichtige Unterstützung bedanken. Ein besonderer Dank gilt Magda Hirschberger für das Korrektorat aller Beiträge in diesem Sammelband, die uns in ihrer profunden, aufmerksamen und immer hilfreichen Arbeitsweise im letzten Jahr eine große Hilfe war.
Der Sammelband ist in drei Teilen aufgebaut: Gesellschaftliche Rahmungen (Teil I), Situationen, Settings und Interaktionen (Teil II), handlungsleitende Konzepte und fachliche Standards (Teil III). Im ersten Teil wollen wir auf gesellschaftliche Rahmungen verweisen, in deren Kontext veränderte Konzeptionen Aufsuchender Sozialer Arbeit verstanden und diskutiert werden können, und die eine kritische Reflexionsfolie für die im Weiteren auszuführenden fachlichen Zugänge bilden. Im zweiten Teil fokussieren wir besonders auf situative Herausforderungen in dynamischen Settings, die einer kritischen Vergewisserung von anvisierten Gruppen bzw. deren Konstruktionen bedürfen. Interaktionen werden mit Zielen gesetzt, die von Analyse über Kontaktaufbau, Konfliktbearbeitung und dem Begleiten oder Kontrollieren von Risiken bis zu inklusiven, problembearbeitenden oder erlebnisfördernden Schwerpunktsetzungen reichen. Im Kapitel der handlungsleitenden Konzepte sammeln wir Artikel zu Leitbegriffen wie Niedrigschwelligkeit und Freiwilligkeit, die teils über den öffentlichen Raum als Referenzpunkt hinausgehen, immer aber auch in Bezug auf divergierende Ansprüche und eine aufsuchende Praxis diskutiert werden.
Wir hoffen mit den hier präsentierten Artikeln, die Diskussion um grundlegende Fragen von Zugängen und Zielen, Haltungen und Methoden für eine professionelle Praxis anzuregen sowie Widersprüche, Interessenskonflikte und alternative Möglichkeiten aus gesellschaftskritischen und fachlich-reflexiven Perspektiven sichtbar zu machen.
Literatur
Albert M., und J. Wege, Hrsg. 2015. Soziale Arbeit und Prostitution. Professionelle Handlungsansätze in Theorie und Praxis. Wiesbaden: Springer VS.
Bakic, J., M. Diebäcker, und E. Hammer, Hrsg. 2016. Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit, Bd. 3. Wien: Löcker.
Becker, H., und M. May. 1991. „Die lungern eh‘ nur da ‘rum". Raumbezogene Interessenorientierung von unterschichtjugendlichen und ihre Realisierung in öffentlichen Räumen. In Die gefährliche Straße. Jugendkonflikte und Stadtteilarbeit, Hrsg. W. Specht, 35–63. BieIefeld: KT-Verlag.
Diebäcker, M. 2014. Soziale Arbeit als staatliche Praxis im städtischen Raum. Wiesbaden: Springer VS.
Dirks, S., F. Kessl, M. Lippelt, und C. Wienand. 2016. Urbane Raum(re)produktion – Soziale Arbeit macht Stadt. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Dölker, F., und S. Gillich, Hrsg. 2009. Streetwork im Widerspruch. Handeln im Spannungsfeld von Kriminalisierung und Prävention. Gelnhausen: Triga.
Gillich, S., Hrsg. 2003. Streetwork/Mobile Jugendarbeit: Aktuelle Bestandsaufnahme und Positionen eigenständiger Arbeitsfelder. Gelnhausen: Triga.
Gillich, S., Hrsg. 2006. Professionelles Handeln auf der Straße. Praxisbuch Streetwork und Mobile Jugendarbeit. Gelnhausen: Triga.
Gillich, S., Hrsg. 2008. Bei Ausgrenzung Streetwork. Handlungsmöglichkeiten und Wirkungen. Gelnhausen: Triga.
Huber, S. 2014. Zwischen den Stühlen. Mobile und aufsuchende Jugendarbeit im Spannungsfeld von Aneignung und Ordnungspolitik. Wiesbaden: Springer VS.
Krafeld, F.J. 1993. Jugendarbeit mit rechten Jugendszenen. In Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland, Hrsg. H.-U. Otto und R. Merten, 310–318. Wiesbaden: VS Verlag.
Krafeld, F.J. 1996. Die Praxis akzeptierender Jugendarbeit. Konzepte, Erfahrungen und Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendlichen. Opladen: Leske + Budrich.
Miltner, Wolfgang. 1982. Streetwork im Arbeiterviertel. Eine Praxisstudie zur Jugendberatung. Darmstadt: Luchterhand.
Specht, Walther. 1979. Jugendkriminalität und mobile Jugendarbeit. Ein stadtteilbezogenes Konzept von Streetwork. Darmstadt: Luchterhand.
Marc Diebäcker
Gabriele Wild
Wien
im Februar 2020
Inhaltsverzeichnis
Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Zur strategischen Einbettung einer professionellen Praxis 1
Marc Diebäcker und Gabriele Wild
Gesellschaftliche Rahmungen
Städtewachstum und Gentrifizierung: Die Verräumlichung sozialer Ungleichheit und die Transformation öffentlicher Räume 23
Marc Diebäcker
Sicherheiten und Sichtbarkeiten: Ordnungspolitiken in öffentlichen Räumen und die Verdrängung der problematisierten Anderen 39
Christian Reutlinger
Demokratie und Repräsentation: Die Straße und das Quartier als Raum der Widersprüche ortsbezogener Sozialer Arbeit 55
Ellen Bareis
Situationen, Settings und Interaktionen
Orte und Situationen: Vom Suchen und Kontaktaufbau auf der Straße 73
Caroline Haag
Beratung und Begleitung: Professionelles Arbeiten in ungewissen Settings 85
Gabriele Wild
Szenen und Marginalisierung: Streetwork zwischen Inklusions- und Präventionsansprüchen 101
Yann Arhant
Inszenierung und Diskriminierung: Der öffentliche Raum als Schauplatz diskursiver Stigmatisierung und Benachteiligungsbewältigung 115
Sabrina Luimpöck und Gabriele Wild
Aktivierung und Selbstorganisation: Ambivalenzen mobilisierender Stadtteilarbeit im Kontext Aufsuchender Sozialer Arbeit 133
Judith Knabe
Gemeinwesen und Konflikte: Widersprüche (all)parteilicher Arbeitsansätze 151
Anna Fischlmayr
Soziale Netzwerke und Virtuelle Räume: Aufsuchendes Arbeiten zwischen analogen und digitalen Welten 167
Florian Neuburg, Stefan Kühne und Fabian Reicher
Handlungsleitende Konzepte und fachliche Standards
Freiräume und Schutzräume: Geschlechtergerechtigkeit intersektional denken und auf der Straße herstellen 185
Madlen Gardow und Olivia Deobald
Niederschwelligkeit und Ressourcenorientierung: Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen Auftrag und Bedarf 205
Manuela Hofer
Bedürfnisorientierung und Akzeptanz: Ambivalenzen und Grenzen der Freiwilligkeit? 217
Andreas Wyss
Alltagsbewältigung und Freizeitgestaltung: Wechselwirkungen zwischen Problembearbeitung und Erlebnisorientierung in der Aufsuchenden Sozialen Arbeit mit jungen Menschen 229
Martina Gerngross und Manuel Fuchs
Erziehung und Hilfe: Bildungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen in aufsuchenden Feldern 245
Alexander Brunner
Sozialraumanalyse und Monitoring: Wissensproduktion in öffentlichen Räumen im Spannungsfeld zwischen Profession und Herrschaft 259
Christoph Stoik
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Über die Herausgeber
Marc Diebäcker (Wien),
studierte Politikwissenschaft, Geschichte sowie Soziale Arbeit und Erziehung in Duisburg, Edinburgh und Wien. Lehrt und forscht an der FH Campus Wien. Schwerpunkte: Staats- und Gesellschaftskritik, Sozialraum und Soziale Arbeit, Wohnen und Wohnungslosenhilfe, Aufsuchende Soziale Arbeit, Gemeinwesenarbeit.
E-Mail: marc.diebaecker@fh-campuswien.ac.at
Gabriele Wild (Wien),
studierte Sozialarbeit und Bildungswissenschaften in Wien, arbeitete als Streetworkerin in gewaltbereiten Szenen und mit Sexarbeiter*innen. Pädagogische Leitung bei JUVIVO, Lektorin am Studiengang Soziale Arbeit an der FH Campus Wien, in der Weiterbildung von psychosozial Tätigen und als Supervisorin tätig. Schwerpunkte u. a.: Aufsuchende Jugend- und Sozialarbeit, Suchtprävention, Gender.
E-Mail: wild@arge-leute.at
Autor*innenverzeichnis
Yann Arhant (Wien),
studierte Soziale Arbeit und Internationale Entwicklung sowie Gender Studies in Wien. Arbeitet derzeit als Streetworker in der niedrigschwelligen Drogenarbeit in Wien (Streetwork/Change – Suchthilfe Wien). Schwerpunkte: Genderaspekte Sozialer Arbeit, Wohnungslosigkeit, Soziale Ausgrenzung und Sucht.
E-Mail: yann.arhant@suchthilfe.at
Ellen Bareis (Ludwigshafen),
studierte Gesellschaftswissenschaften in Frankfurt am Main. Lehrt und forscht an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Schwerpunkte: Gesellschaftliche Ausschließung, Partizipation, Transformationen des Städtischen, Alltag und soziale Kämpfe, Produktion des Sozialen from below.
E-Mail: ellen.bareis@hwg-lu.de
Alexander Brunner (Wien),
studierte Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaften in Klagenfurt und Wien. Lehrt und forscht an der FH Campus Wien und Universität Wien. Schwerpunkte: Geschichte der Sozialen Arbeit, Normalisierungstheorien, Online-Beratung, Körper/Leib und Soziale Arbeit.
E-Mail: alexander.brunner@fh-campuswien.ac.at
Olivia Deobald (Hamburg),
studierte Sozialarbeit und arbeitet seit 2002 in der niedrigschwelligen Drogen- und Aidshilfe. Seit 2007 bei ragazza e.V. Hamburg – Beratungsstelle für Drogen gebrauchende/der Prostitution nachgehende Frauen*, Schwerpunkte: Straßensozialarbeit, HIV/Hep/STI-Beratung, Koordination eines mobilen Bus-Projektes für prekär arbeitende Sexarbeiter*innen.
Marc Diebäcker (Wien),
studierte Politikwissenschaft, Geschichte sowie Soziale Arbeit und Erziehung in Duisburg, Edinburgh und Wien. Lehrt und forscht an der FH Campus Wien. Schwerpunkte: Staats- und Gesellschaftskritik, Sozialraum und Soziale Arbeit, Wohnen und Wohnungslosenhilfe, Aufsuchende Soziale Arbeit, Gemeinwesenarbeit.
E-Mail: marc.diebaecker@fh-campuswien.ac.at
Anna Fischlmayr (Wien),
studierte Soziale Arbeit in Graz und Wien. Forschte zu Sozialraumthemen, war im Gewaltschutz in Sheffield tätig und arbeitet derzeit als Sozialarbeiterin in Wien. Schwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, Konfliktvermittlung, Krisenintervention und Gewaltschutz.
E-Mail: fischlmayr@hotmail.com
Manuel Fuchs (Mutenz),
studierte Soziale Arbeit in Freiburg i. B. und Olten, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Kinder- und Jugendhilfe, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz. Schwerpunkte: Offene und Mobile/Aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendförderung, Sozialraumorientierte und aufsuchende Handlungsansätze, Partizipation.
E-Mail: manuel.fuchs@fhnw.ch
Madlen Gardow (Hamburg-Lünbeburg),
studierte Sozialpädagogik in Lüneburg. Arbeitet seit 1999 in verschiedenen Feldern der Überlebenshilfe und akzeptierenden Drogenarbeit. Lehrte und forschte als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana Universität Lüneburg, ist seit 2009 in der Ausbildung von Sozialarbeiter*innen an Fachhochschulen und Universitäten tätig. Koordiniert seit 2014 ein Bus-mobiles Straßensozialarbeitsprojektes für Sexarbeiter*innen in Hamburg (ragazza e. V.).
E-Mail: gardow@leuphana.de
Martina Gerngross (Mutenz),
studierte Sozialarbeit und Community Development in Graz und München. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Kinder- und Jugendhilfe, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz. Schwerpunkte: Offene Kinder- und Jugendarbeit, Niedrigschwellige Jugend- und Sozialarbeit, Aufsuchende und nachgehende Konzepte in der Sozial- und Gemeinwesenarbeit.
E-Mail: martina.gerngross@fhnw.ch
Caroline Haag (St. Gallen),
studierte Soziologie und Cultural Studies in Darmstadt und London. Arbeitet als Co-Leiterin des Schwerpunktes „Öffentliches Leben und Teilhabe" am Institut für Soziale Arbeit und Räume der FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CH).
E-Mail: caroline.haag@fhsg.ch
Manuela Hofer (Wien),
studierte Politik- und Kommunikationswissenschaft sowie Soziale Arbeit in Salzburg und Berlin. Niederschwellige Jugendarbeit in Vukovar, Bregenz und Wien. Lehrende an der FH Campus Wien. Schwerpunkte: Mobile Jugendarbeit, Soziale Arbeit als politische Praxis, (Anti)Diskriminierung und Selbstorganisation.
E-Mail: manuela.hofer@fh-campuswien.ac.at
Judith Knabe (Köln),
studierte Sozialarbeit, arbeitete u. a. in der Wohnungslosenhilfe und Gemeinwesenarbeit, Promovendin des Graduiertenkollegs „Leben im transformierten Sozialstaat"/Duisburg-Essen. Lehrt und forscht zur Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften. Schwerpunkte: Bewältigung von Ein- und Ausschließungen auf urbanen Wohnungsmärkten, Stadtsoziologie, Wohnungspolitik, Professionelles Handeln Sozialer Arbeit, Armut.
E-Mail: judith.knabe@th-koeln.de
Stefan Kühne (Wien),
studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Sozialmanagement in Bonn und Krems. Er arbeitet als Erwachsenenbildner, lehrt an Hochschulen, leitet die wienXtra-jugendinfo und wienXtra-soundbase und ist Herausgeber von e-beratungsjournal.net. Schwerpunkte: psychosoziale Onlineberatung und Digitalisierung der Sozialen Arbeit.
E-Mail: stefan.kuehne@wienxtra.at
Sabrina Luimpöck (Eisenstadt),
studierte Sozialarbeit, Slawistik und Soziologie in Wien und dissertierte zu Erwerbsbiografien tschetschenischer Geflüchteter. Sie lehrt und forscht an der Fachhochschule Burgenland. Schwerpunkte: Diskriminierung, Flucht, Geschlechterverhältnisse und Biografie.
E-Mail: sabrina.luimpoeck@fh-burgenland.at
Florian Neuburg (Wien),
studierte Soziologie und Politikwissenschaft in Wien und ist in der Offenen Jugendarbeit, u. a. als Onlinestreetworker, tätig. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Vorstandsmitglied bei turn – Verein für Gewalt- und Extremismusprävention. Schwerpunkte: Extremismus und Radikalisierungsprävention, Soziale Arbeit, Offene Jugendarbeit, Digitale Jugendarbeit, Biografieforschung.
Fabian Reicher (Wien),
studierte Soziale Arbeit in Wien, arbeitete als Streetworker bei „BackBone–mobile Jugendarbeit", derzeit in der Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit für die Beratungsstelle Extremismus/BOJA tätig. Er ist Vorstandsmitglied bei turn – Verein für Gewalt- und Extremismusprävention. Schwerpunkte: (Online-) Streetwork, Burschen- und Einzelfallarbeit in den Bereichen Jugendszenen, Rechtsextremismus und Jihadismus.
E-Mail: fabian.reicher@boja.at
Christian Reutlinger (St. Gallen),
studierte Sozial- und KulturgeographieKulturgeografie, Sozialpädagogik und Soziologie in Zürich, Zaragoza und Dresden. Co-Leiter des Institut für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR-FHS). Schwerpunkte: Soziale Nachbarschaften und Wohnen, Soziale Arbeit im öffentlichen Raum, Sozialgeographien Sozialgeografien der Kinder und Jugendlichen.
E-Mail: christian.reutlinger@fhsg.ch
Christoph Stoik (Wien),
studierte Sozialarbeit und Community Development in Wien und München. Lehrt und forscht an Studiengängen Sozialer Arbeit an der FH Campus Wien. Schwerpunkte: Soziale Arbeit im öffentlichen Raum, Soziale Arbeit und soziales Wohnen, Gemeinwesenarbeit.
E-Mail: christoph.stoik@fh-campuswien.ac.at
Gabriele Wild (Wien),
studierte Sozialarbeit und Bildungswissenschaften in Wien, arbeitete als Streetworkerin in gewaltbereiten Szenen und mit Sexarbeiter*innen. Pädagogische Leitung bei JUVIVO, Lektorin am Studiengang Soziale Arbeit an der FH Campus Wien, in der Weiterbildung von psychosozial Tätigen und als Supervisorin tätig. Schwerpunkte u. a.: Aufsuchende Jugend- und Sozialarbeit, Suchtprävention, Gender.
E-Mail: gabriele.wild@edu.fh-campuswien.ac.at
Andreas Wyss (Zürich und Basel),
studierte Soziale Arbeit in Olten und ist Leiter des Fachbereichs für Kindheit, Jugend und Integration in der Stadt Uster bei Zürich. Er arbeitet zudem als freischaffender Supervisor und Sozialwissenschaftler. Schwerpunkte: Stadtentwicklung, Exklusion und Armutsbewältigung.
E-Mail: andreas.wyss@socialthink.ch
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
M. Diebäcker, G. Wild (Hrsg.)Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raumhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-28183-0_1
Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Zur strategischen Einbettung einer professionellen Praxis
Marc Diebäcker¹ und Gabriele Wild¹
(1)
Wien, Österreich
Marc Diebäcker (Korrespondenzautor)
Email: marc.diebaecker@fh-campuswien.ac.at
Gabriele Wild
Email: gabriele.wild@edu.fh-campuswien.ac.at
Schlüsselwörter
Aufsuchende Soziale ArbeitStreetworkÖffentlicher RaumReflexive ProfessionalitätKritische PraxisBeziehungsarbeitVermittlungInformelle Bildung
Marc Diebäcker (Wien),
studierte Politikwissenschaft, Geschichte sowie Soziale Arbeit und Erziehung in Duisburg, Edinburgh und Wien. Lehrt und forscht an der FH Campus Wien. Schwerpunkte: Staats- und Gesellschaftskritik, Sozialraum und Soziale Arbeit, Wohnen und Wohnungslosenhilfe, Aufsuchende Soziale Arbeit, Gemeinwesenarbeit.
Gabriele Wild (Wien),
studierte Sozialarbeit und Bildungswissenschaften in Wien, arbeitete als Streetworkerin in gewaltbereiten Szenen und mit Sexarbeiter*innen. Pädagogische Leitung bei JUVIVO, Lektorin am Studiengang Soziale Arbeit an der FH Campus Wien, in der Weiterbildung von psychosozial Tätigen und als Supervisorin tätig. Schwerpunkte u. a.: Aufsuchende Jugend- und Sozialarbeit, Suchtprävention, Gender.
1 Zur Ausgangslage
Streetwork gilt im deutschsprachigen Raum seit den späten 1970er Jahren als etablierter Arbeitszugang für die niedrigschwellige Arbeit mit marginalisierten oder problematisierten Gruppen im öffentlichen Raum. Bis heute verbinden Sozialarbeiter*innen mit Streetwork eine professionelle Herangehensweise, bestimmte fachliche Haltungen oder auch eine bestimmte Form der beruflichen Identität. Dabei stellen gesellschaftliche Ausgrenzung und schwierige Erreichbarkeit von Adressat*innen eine wesentliche Argumentationsfigur dar (z. B. Fülbier und Steimle 2002, S. 596; Gillich 2008, Specht 2010), verbunden mit Kritik an einrichtungsbezogenen, ‚stationären‘ Angeboten, denen die Vermittlung von Informationen und Leistungen oder der Aufbau tragfähiger Beziehungen zu potenziellen Adressat*innen nicht gelänge. Das Arbeiten auf der Straße wird als niederschwelligstes Angebot ohne Vorbedingungen positioniert, unter anderem damit marginalisierte, ausgeschlossene oder problematisierte Personengruppen auf sozialstaatliche Unterstützung und Ressourcen zugreifen können. In ihren alltagsnahen Bildungs-, Vermittlungs- und Versorgungs- oder Beteiligungsfunktionen legitimiert sie sich selbst zur Vorbedingung von ‚ernstgemeinter‘ sozialer Inklusion (Diebäcker 2019b, S. 542).
In vielen Feldern Sozialer Arbeit hat sich ein Arrangement zwischen Einrichtungsarbeit, oft mit Treffpunkt- oder Schutzraum-Charakter, und aufsuchender Praxis herausgebildet (Keppeler und Specht 2011, S. 960; Klose und Steffan 2005, S. 306). Das Aufsuchen, Kontaktieren und in Beziehung treten speziell an lebensweltnahen Orten der Adressat*innen ist in Programmen der Stadtteilarbeit, der Offenen Jugendarbeit und Jugendhilfe, der Sucht-, Drogen- und Wohnungslosenhilfe oder spezifischen Angeboten mit gewaltbereiten, rechtsorientierten oder politisch extremen Szenen legitimiert (siehe z. B. Beiträge in Klose und Steffan 1997). Dabei reicht das Ausmaß der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen von eher existenzsichernder Grundversorgung und Lebensbewältigung über präventive ‚Schadensminimierung‘ in traditionellen Streetworkprojekten bis hin zu ‚positiven‘ Ausrichtungen an Ressourcenerschließung, Freizeitgestaltung, Aktivierung und Bildungsarbeit in mobilen Angeboten.
Daraus ergeben sich auch unterschiedlich enge institutionelle Anbindungen einer Aufsuchenden Sozialen Arbeit. Sie kann unmittelbar an die eigene Einrichtung im Sinne eines niederschwelligen Stützpunktes gekoppelt sein oder als permanente, suchend-anwesende Praxis in öffentlichen Räumen bedarfsorientiert, soweit möglich, direkt ins institutionelle und sozialstaatliche Netz vermitteln und begleiten. Angebote können auch hinsichtlich ihres räumlich-territorialen Aufsuchungsmodus differenziert werden: Einige Projekte arbeiten gebietsorientiert, indem sie sich auf einen konkreten Ort (z. B. Bahnhof, Straßenstrich) oder ein größeres Quartier beziehen, andere durchstreifen ‚routenorientiert‘ unterschiedliche Gegenden und suchen unterschiedlichste Treffpunkte in der gesamten Stadt oder einer ländlichen Region auf. Mit Blick auf eine Zielgruppenorientierung können Angebote auch nach dem Ausmaß der Offenheit bzw. Zugänglichkeit unterschieden werden, was z. B. in der Jugendarbeit besonders deutlich wird: Konzeptionen reichen von einer Eingrenzung auf bestimmte Szenen über den Fokus auf als delinquent zugeschriebene Gruppen und Cliquen bis hin zu einer Ausrichtung auf alle Jugendlichen, die sich im öffentlichen Raum eines bestimmten Gebiets oder Stadtteils aufhalten.
Als fachliche Orientierungen von Streetwork werden gemeinhin eine akzeptierende Grundhaltung des Andersseins, Bedürfnisorientierung, Parteilichkeit für die Adressat*innen sowie Freiwilligkeit der Kontaktaufnahme und Vertrauensschutz bzw. Anonymität als zentrale Handlungsmaximen dargestellt (siehe z. B. BAG Streetwork/Mobile Jugendarbeit 2008, S. 230; Klose und Steffan 2005, S. 308). Nur selten werden diese Standards für die Beziehungsverhältnisse Sozialer Arbeit allerdings konkretisiert, sodass Ambivalenzen des Tätigseins nur selten in den Blick geraten. Beispielsweise kann mit Akzeptanz eine erwartungsfreie Beziehung verstanden werden, um möglichst widerstandsfrei – im Sinne einer Technik – Kontakt und Vertrauen herzustellen, oder es ist eine akzeptierende Haltung gemeint, die auch ihre Grenzziehungen gegenüber dem Anderssein reflexiv erschließt und im eigenen Handeln begründet (Wild 2013, S. 230 f.). Die genannten ‚klassischen‘ Arbeitsprinzipien helfen bei der Herstellung von Niederschwelligkeit und Lebensweltorientierung, erleichtern damit aber auch den Eingriff in schwer zugängliche oder mobilisierbare soziale Beziehungen. So kann Streetwork bzw. Aufsuchende Soziale Arbeit auch als extensive, raumnehmende oder kolonialisierende Praxis verstanden werden, die identifizierende, kontrollierende oder normierende Interventionen näher an den Alltag der Adressat*innen heranführt (Galuske 2007, S. 274) und sich ihrer ordnungspolitischen Einbettung im Regieren über Sicherheit und sozialen Nahraum nicht einfach entledigen kann (Diebäcker 2014, S. 116 ff.). Es erscheint uns wesentlich den ‚Kanon‘ der fachlichen Orientierungen einerseits hochzuhalten und in seiner Bedeutung für professionelle Rollensicherheit und das Erreichen von Zielen zur Erweiterung von Handlungsspielräumen zu argumentieren, andererseits spezifische Haltungsfragen in der niederschwelligen, aufsuchenden Sozialen Arbeit in Hinblick auf strukturelle Nicht-Erreichbarkeiten tief gehender zu diskutieren.
2 Historische und strategische Einbettung von Aufsuchender Sozialer Arbeit
Das Aufsuchen von Menschen in ihrem direkten Wohn- oder Arbeitsumfeld ist historisch rückblickend für die Soziale Arbeit eine gängige Form der Kontaktaufnahme und war bereits im Kontext von Armuts- und Fürsorgepolitiken der Industrialisierung im 19. Jahrhundert übliche Praxis. Mit dem Leistungsausbau fordistischer Wohlfahrtsstaaten und dem Zuwachs sozialer Berufe formierten sich seit den 1970er Jahren in Österreich, Deutschland und der Schweiz erste Streetwork-Projekte, die sich auf öffentliche Räume als Interventionsfeld spezialisierten. Diese Etablierung der Straßen- bzw. Gassensozialarbeit oder mobilen Jugendarbeit folgte in ihrer Zielgruppenorientierung einer öffentlichen Diskurslogik, in der bestimmte Gruppen als abweichend, gefährlich oder als Risiko für andere Bevölkerungsgruppen problematisiert wurden, wie z. B. in Feldern von Wohnungslosigkeit, Sucht oder Sexarbeit. Auch wenn die Projekte als personenbezogene, fachliche und sozialstaatliche Antwort zur Erhöhung sozialer Sicherheit spezifischer Zielgruppen positioniert wurden, spiegelte sich in ihrer Beauftragung immer auch die Strategie, im Namen der Sicherheit politische Mehrheiten zu organisieren. Dies wird z. B. anhand der Etablierung von Streetwork-Projekten in der Drogen- und Suchthilfe oder in Kontexten weiblicher und männlicher Sexarbeit im Gefolge biopolitischer Kalkulationen zur Eindämmung von HIV-Erkrankungen ab Mitte der 1980er Jahre ersichtlich (Diebäcker 2019b, S. 541, siehe z. B. auch Ausobsky 1997; Fink 1995; Gusy 1997; Heinrichs 1995; Leopold und Steffan 1997; Meinke et al. 1995; Werner 1997). Die diskursive Problematisierung von Jugendgewalt Anfang der 1990er Jahre in Deutschland führte zur Positionierung von Streetwork-Projekten als eine Maßnahme zur Gewaltreduktion (Voß 1997). Die Ausweitung aufsuchender Jugendarbeit in Form von Parkbetreuung in den 90er Jahren oder konfliktvermittelnder Quartiersarbeit (Fair-Play-Teams) Anfang 2000 in Wien folgte einer ordnungspolitischen Problematisierung von ‚Nutzungsdruck‘ in öffentlichen Räumen, die Jugendalter und Migrationserfahrung koppelte.
In der deutschsprachigen Rezeption von Streetwork wurden fachliche Konzepte, aber auch ordnungspolitische Ansprüche und damit verbundene Problematisierungen von öffentlichen Räumen und Gruppen häufig anhand US-amerikanischer Entwicklungen reflektiert (siehe z. B. Miltner und Specht 1978; Becker und May 1991; Miller 1991), wobei bereits in diesen frühen Werken der gebietsbezogene Einsatz, die kontinuierliche Erkennbarkeit und Präsenz sowie die raumkontrollierenden Tätigkeiten kritisiert wurden (Specht 1989, S. 80 f.). Die normativen Abgrenzungsbemühungen zu lokalisierten Ordnungspolitiken wurde meist entlang des lebensweltorientierten Paradigmas mit Zielgruppenorientierung und einer eindeutigen Parteinahme für die Adressat*innen geführt (siehe z. B. Galuske 2007, S. 274 f.; Beiträge in Specht 1991; Becker und Simon 1995; Gref und Menzke 1994). Durch das Betonen der ‚positiven‘, rehabilitativen und sozial inklusiven Funktionen von Streetwork, z. B. die alltagsnahe, bewältigungsorientierte und anerkennende Kommunikation, die bedarfsorientierten Hilfen zur Bewältigung schwieriger Lebenssituationen in Form von psychosozialer Beratung und Begleitung oder die Vermittlung ins institutionalisierte Hilfesystem, wurden scheinbar die ‚negativen‘ „kontrollierenden, normierenden und ordnenden Anteile aufsuchender Sozialer Arbeit weitestgehend ausgeblendet und das Involviertsein in komplexere raumregulierende Arrangements vernachlässigt" (Diebäcker 2019b, S. 542). Das Hinwenden, Besuchen und Begegnen in der Lebenswelt der Adressat*innen, das Bearbeiten sozialer Problemsituationen in Zusammenhang mit Arbeiten und Wohnen oder Gesundheit und Erziehung vor Ort ist, neben der Unterstützung über Hilfe oder Bildung, aber immer auch mit problematisierenden Etikettierungen sozialer Gruppen und Milieus und mit kolonialisierenden Praxen des Identifizierens, Kategorisieren und Kontrollierens verknüpft sowie häufig von dem Bemühen getragen, ‚abweichende‘ soziale Ordnungen zu ‚befrieden‘ und zu normalisieren.
Im gegenwärtigen Kontext von intensivierten Sicherheits- und Ordnungspolitiken in öffentlichen Räumen, etablierten sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine Vielzahl von aufsuchenden Projekten, deren Teams über Kleidung und Ausstattung wie Rucksäcke erkennbar sind, sich an ‚allen‘ Nutzer*innen bzw. auch an etablierten Bevölkerungsgruppen ausrichten und dezidiert kommunikative und mediative Angebote für ‚neutrale‘ Mehrheiten oder sogar Beschwerdeführer*innen machen. Sie sind,