Modernes Management im Theater: Praxis Kulturmanagement
Von Thomas Schmidt
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Buchvorschau
Modernes Management im Theater - Thomas Schmidt
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
T. SchmidtModernes Management im Theateressentialshttps://doi.org/10.1007/978-3-658-32025-6_1
1. Das Theater und seine Ziele
Thomas Schmidt¹
(1)
Theater- und Orchestermanagement, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt, Deutschland
Thomas Schmidt
Email: thomas.schmidt@hfmdk-frankfurt.de
Die Betrachtung der Begriffe Theater und Management ist von zwei getrennt verhandelten, jedoch eng miteinander verschränkten Entwicklungspfaden geprägt: Zum einen hat sich Theater im Laufe seiner Entwicklung aus der Mitte der Gesellschaft, der Polis, immer mehr an deren Rand bewegt, sich damit immer stärker marginalisiert und zur Disposition gestellt. In der griechischen Polis war das Theater mit seinen jährlichen Festspielen ein Höhepunkt der Gesellschaft. Es wurde von den Athener Bürgern getragen, die jährlich ausgelost wurden, um die Festspiele zu finanzieren und zu organisieren, um die Arbeit der Autoren zu honorieren und den Bau, wie auch den Unterhalt der großen Freilichttheater zu bestreiten – was damals Auszeichnung und Ehrensache war. Heute wird das Theater nur noch von 9 % der Bevölkerung genutzt, nur ein Viertel der Menschen betrachtet das Theater überhaupt noch als wesentliche gesellschaftliche Ressource und Freizeit-Alternative. Neben dem Fernsehen sind vor allem das Internet und die Digitalisierung der Lebenswelt immer mehr in den Mittelpunkt der Aktivitäten gerückt. War das Theater selbst im Berlin des Jahres 1900 noch das wichtigste Ereignis, hat diese Wertschätzung in den letzten 120 Jahren rapide abgenommen. Erst die Covid-Corona-Krise des Jahres 2020 hat deutlich gemacht, was zur Disposition gestellt wird, wenn die Menschen sich von einem auf den anderen Tag nicht mehr begegnen können – zum Beispiel auch, um gemeinsam Theater zu schauen, zu reflektieren und miteinander zu diskutieren.
Der zweite Entwicklungspfad bezieht sich auf die sukzessive Entmachtung der Künstler*innen in den Theatern selbst. Sie sind im Laufe der letzten 450 Jahre in der westlichen Welt von einer ursprünglich teilhabenden Funktion an der Konzeption von Programmen und der Planung von Inszenierungen großer Kompanien, z. B. zur Zeit SHAKESPEARES, innerhalb der stehenden Theaterbetriebe ebenso marginalisiert worden, wie die Theater in der Gesellschaft selbst. Im Laufe der Jahrhunderte sind aus einst kollektiv geleiteten Theater-Kompanien hierarchisch organisierte Betriebe geworden, denen ein Künstler-Funktionär, der sogenannten Intendant vorsteht. Der Schwerpunkt hat sich von einem Ensemble auf den leitenden Funktionär verschoben, woraus später die Missverständnisse erwuchsen, dass das Theater zur Verfügung des Intendanten und seiner Interessen stünde und dass das Theatermanagement mit der Leitung des Theaters durch den Intendanten verbunden sei – was noch aufzuklären sein wird. Der Intendant, meist männlich, weiß und dominant, konzentriert heute nicht nur alle Entscheidungs-Macht auf sich, sondern er verantwortet zudem auch die wesentlichen inhaltlichen, konzeptionellen, künstlerischen und wirtschaftlichen Bereiche allein und muss diese Verantwortung innerhalb des Theaterbetriebes nur bedingt teilen. Das führt nicht selten zu erheblichen Krisen, zu Vertrauensverlust, Grenzverletzungen und Machtmissbrauch (Schmidt 2016, 2019b). Vor dem Hintergrund dieser Krisen möchte ich Vorschläge unterbreiten, die Zukunft des Theaters durch ein modernes Theatermanagement zu ermöglichen und zu gestalten, also ein Theatermanagement,
dass die Themen Macht, Arbeitsbedingungen, Diversität, Inklusion, Rassismen und Ungerechtigkeit, sowie
die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und deren stetige Veränderung ebenso reflektiert und aktiv begleitet,
wie die Veränderung des Begriffes Management selbst. Damit verbunden ist die Reflexion der neuesten Entwicklungen im Bereich des nachhaltigen und des Ethischen Managements.
Dass eine solche Reform notwendig ist, wird offensichtlich angesichts des starken Risses durch das Theater, der durch die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen im Künstlerischen und im Managerialen Bereich ausgelöst wird. Auf der einen Seite die stetige künstlerische Entwicklung des deutschen Theaters: nach großen Höhepunkten zur Zeit der Weimarer Republik, u. a. mit Max Reinhardt am Deutsches Theater ab 1905, König Ödipus im Arenatheater 1910, mit Erwin PISCATORS Inszenierungen und der Volksbühne Berlin 1920–1927, und vor allem wieder seit 2000. Mit zeitgenössischen Zugriffen von Thomas OSTERMEIER in der Baracke des Deutschen Theaters (1997/1998) und als Intendant der Berliner Schaubühne (1999 – heute), und Inszenierungen Frank CASTORFFS, Rene POLLESCHS, Christoph SCHLINGENSIEFS und Christoph MARTHALERS erfuhr das deutsche Theater zeitweise wieder einen deutlichen künstlerischen Aufschwung, allerdings ohne strukturelle Auswirkungen. Regisseur*innen und Autor*innen mit neuen Konzepten treten fortlaufend in das Theater ein, und die Künstler*innen der virulenten Freien Szene tragen mit ihren Projekten und Konzeptarbeiten dazu bei, den Begriff des Theaters künstlerisch neu zu prägen und dessen Grenzen auszudehnen (Prinzip Gonzo, Phillip Ruch, She She Pop, Rimini Protokoll, Gob Squad, Ligna, Signa, u. a.). Das Freie Theater und die Stadttheater haben längst damit begonnen sich künstlerisch zu befruchten, was allerdings auch eine Durchdringung der Produktionsweisen erforderlich macht. Der größere Teil der Schauspiel-Häuser und -Sparten bleibt zwar mehrheitlich bei mimetischen und psychologisch-reflexiven Darstellungsformen, wichtige Nachwuchs-Regisseur*innen „infiltrieren" mit ihren Inszenierungen aber längst das Stadttheater. Dabei ist ein Auseinanderdriften zwischen den innovativen, zeitgenössischen künstlerischen Handschriften und Formaten und den stagnierenden hierarchischen Strukturen und Management-Instrumenten zu verzeichnen, was immer wieder zu Verwerfungen führt. Zudem nimmt die Kritik zu, vor allem an
den vertraglichen und Arbeits-Verhältnissen der künstlerisch Beschäftigten,
der belastenden Überproduktion, sowie
sinkenden Zuschauer*innenzahlen und abnehmender Legitimität.
Die Kritik mündet in Debatten (nachtkritik.de) und Diskussionen (Akademie der Künste, 2017; Bund Freier Theater 2020, u. a.). Diese Entwicklungen werden in den Zielen des Theaters reflektiert, die