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Ethik in den Ingenieurwissenschaften: Eine Annäherung
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eBook716 Seiten7 Stunden

Ethik in den Ingenieurwissenschaften: Eine Annäherung

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Über dieses E-Book

Die Ingenieurwissenschaften tragen wesentlich zur Gestaltung unserer Zukunft bei. Umso mehr überrascht es, dass ethische Fragen in ingenieurwissenschaftliche Curricula kaum einfließen. Auch praktizierenden Ingenieurinnen und Ingenieuren bleibt die Thematik zumeist fremd. In dieser Edition wird der ethische Anspruch der Ingenieurwissenschaften historisch aufgearbeitet, neu definiert und an aktuellen Beispielen wie dem Dieselskandal, der Klimakrise, den Suchmaschinen und sozialen Netzwerken, der künstlichen Intelligenz und der Covid19-Pandemie verdeutlicht. Dabei sollen sowohl Studierende als auch Praktizierende der Ingenieurwissenschaften angesprochen werden
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum30. Nov. 2020
ISBN9783658294762
Ethik in den Ingenieurwissenschaften: Eine Annäherung

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    Buchvorschau

    Ethik in den Ingenieurwissenschaften - Uta Breuer

    Teil IHistorischer Rückblick

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    U. Breuer, D. D. Genske (Hrsg.)Ethik in den Ingenieurwissenschaftenhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-29476-2_1

    1. Menschheitsverbrechen und Berufsalltag. J. A. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz

    Annegret Schüle¹  

    (1)

    Erinnerungsort Topf & Söhne, Erfurt, Deutschland

    Zusammenfassung

    Das historische Beispiel der Firma J.A. Topf & Söhne und einzelner Beteiligter im Unternehmen zeigt, wie eng berufliches Handeln mit dem nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen des Holocaust verbunden sein konnte. Dass die Firma sechs Konzentrationslager mit Verbrennungsöfen ausstattete und für das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau die Be- und Entlüftungstechnik für die unterirdischen Gaskammern zur Verfügung stellte, war keine Zwangsläufigkeit, sondern beruhte auf den Entscheidungen einzelner Beteiligter.

    Schlüsselwörter

    Topf & SöhneTechnik für den MassenmordEthik Ingenieurwissenschaft und TechnikAuschwitzHolocaust

    Abstract

    The historical example of the J.A. Topf & Sons including the role of employees shows how closely working for a company could be linked to Nazi crimes against humanity in the Holocaust. The fact that the company equipped six concentration camps with incinerators and provided the ventilation technology for the underground gas chambers of the Auschwitz-Birkenau extermination camp was not inevitable, but was based on individual decisions of the employees.

    PD Dr. Annegret Schüle

    ist amt. Direktorin der Geschichtsmuseen der Landeshauptstadt Erfurt und als Oberkuratorin für Neuere und Neueste Geschichte am Erinnerungsort Topf & Söhne in Erfurt tätig. Sie promovierte 2001 am Historischen Institut der Universität Jena und wurde 2012 an der Universität Erfurt habilitiert.

    1.1 Einleitung

    Das historische Beispiel des Erfurter Familienunternehmens J.A. Topf & Söhne zeigt exemplarisch, wie eng das berufliche Handeln in der privat geführten Maschinenfabrik von 1939 bis 1945 mit dem nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen des Holocaust verbunden sein konnte und wie das Geschäft mit dem Massen- und Völkermord im Erfurter Unternehmen alltäglich präsent war: als geschäftlicher Auftrag und als technische Herausforderung.

    Die Firma startete als kleines, im Familienbesitz befindliches feuerungstechnisches Baugeschäft. Nach der Jahrhundertwende wuchs es zu einem weltweit führenden Unternehmen für Mälzerei- und Brauereianlagen an und wurde zu einem renommierten Anbieter für Krematoriumsöfen, auch wenn dieser Bereich nur einen kleinen Teil des Gesamtfirmenumsatzes ausmachte. Dass die Firma ab 1939 mit der SS zusammenarbeitete und sechs Konzentrationslager mit Verbrennungsöfen ausstattete und für das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau die Be- und Entlüftungstechnik für die unterirdischen Gaskammern zur Verfügung stellte, war keine Zwangsläufigkeit, sondern beruhte auf den Entscheidungen der Unternehmensleitung und weiterer Beteiligter.

    Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Firmengeschichte bietet die Möglichkeit, Mittäterschaft und persönliche Handlungsspielräume am konkreten Beispiel nachzuvollziehen, sich selbst ein historisches Urteil zu bilden und dieses mit der eigenen Lebensrealität in Beziehung zu setzen: sich selbst in seinem eigenen Handeln zu hinterfragen und über die Verantwortung des Einzelnen in seinem (beruflichen) Alltag heute zu reflektieren (siehe Abb. 1.1).

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    Abb. 1.1

    Erinnerungsort Topf & Söhne, 2011 (Sammlung Erinnerungsort Topf & Söhne; mit freundlicher Genehmigung von © Erinnerungsort Topf & Söhne. All Rights Reserved)

    Das ehemalige Verwaltungsgebäude, in dem sich die Arbeitsplätze der Geschäftsführer Ludwig und Ernst Wolfgang Topf und der Ingenieure Kurt Prüfer und Fritz Sander befanden, ist heute das wichtigste Exponat des Geschichtsmuseums. Es wurde mit dem weithin sichtbaren Zitat »Stets gern für Sie beschäftigt, …« aus einem Geschäftsbrief von J. A. Topf & Söhne an die SS-Bauleitung in Auschwitz vom 2. Februar 1943 gekennzeichnet. Eine Außenausstellung auf dem ehemaligen, zu großen Teilen neu bebauten Firmengelände trägt die Geschichte von Topf & Söhne in den städtischen Alltag.

    Am 27. Januar 2011 und damit 66 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wurde auf dem ehemaligen Firmengelände der Erinnerungsort Topf & Söhne Die Ofenbauer von Auschwitz als Geschichtsmuseum der Landeshauptstadt Erfurt eröffnet.¹ Er ist die einzige historische Stätte in der europäischen Erinnerungslandschaft, der an einem ehemaligen Firmensitz die Mittäterschaft der privaten Wirtschaft am Massenmord in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern belegt und vermittelt (siehe Abb. 1.2).

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    Abb. 1.2

    Besuchernotiz in der Dauerausstellung „Techniker der ‚Endlösung ‘" am Erinnerungsort Topf & Söhne (Sammlung Erinnerungsort Topf & Söhne; mit freundlicher Genehmigung von © Erinnerungsort Topf & Söhne. All Rights Reserved)

    1.2 Topf & Söhne – ein deutsches Unternehmen

    Die Anfänge des Unternehmens gehen auf das Jahr 1878 zurück. Der bereits 62 Jahre alte Braumeister Johannes Andreas Topf hatte seine Anstellung verloren und eröffnete deshalb eine eigene Firma. Diese Existenzgründung, die gegen den Rat der Söhne erfolgte, erklärte das Unternehmen später zur Geburtsstunde von J. A. Topf & Söhne. Kurz zuvor hatte Topf Verbesserungen bei der Braupfannenfeuerung entwickelt und auf eigenen Namen als Patente angemeldet. Diese wollte er nun verwerten, was ihm allerdings mehr schlecht als recht gelang. Erst mit dem Einstieg der Söhne, die 1885 die Firma neu als J. A. Topf & Söhne, Spezialgeschäft für Heizungsanlagen, Brauerei- und Mälzereieinrichtungen gründeten, stellte sich der Erfolg ein. Im Jahre 1889 erwarb das Erfurter Familienunternehmen sein erstes eigenes Firmengrundstück. Der neue Firmenstandort lag außerhalb des Stadtkerns und war wegen der Nähe zum Güterbahnhof verkehrstechnisch gut ausgewählt (siehe Abb. 1.3).

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    Abb. 1.3

    Luftbild des Firmengeländes von J. A. Topf & Söhne mit dem Firmenzeichen in einer Werbeanzeige von 1935. Im Vordergrund die langgestreckte Montagehalle, im Hintergrund die Eisenbahnanlagen (Sammlung Erinnerungsort Topf & Söhne; mit freundlicher Genehmigung von © Erinnerungsort Topf & Söhne. All Rights Reserved)

    Unter Ludwig Topf, Sohn des Firmengründers Johannes Andreas Topf, wurde das Unternehmen zu einem international erfolgreichen Produzenten von Heizungsanlagen, Brauerei- und Mälzereieinrichtungen. Mit einer Handvoll anderer Betriebe machte J. A. Topf & Söhne die Stadt Erfurt zu einem Zentrum der Metallindustrie. Das Unternehmen blieb bis zu seiner Enteignung in Familienhand. In der DDR wurde der volkseigene Betrieb 1957 in Erfurter Mälzerei- und Speicherbau (EMS) umbenannt. 1993 wurde das Unternehmen privatisiert und 1996 kam mit dem Konkurs das Ende (siehe Abb. 1.4).

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    Abb. 1.4

    Werbeplakat, 1920er Jahre (Signatur: 6–0/27A1/007; mit freundlicher Genehmigung von © Stadtarchiv Erfurt. All Rights Reserved)

    Diese über hundertjährige Firmenbiografie ist typisch und keinesfalls außergewöhnlich. Doch sechs Jahre – jene zwischen 1939 und 1945, in denen die Brüder Ludwig und Ernst Wolfgang Topf aus der dritten Familiengeneration die Leitung innehatten – geben dieser Unternehmensgeschichte eine besondere Dimension. Denn in dieser Zeit stellte das Unternehmen die eigens entwickelten Produkte auch den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau, Auschwitz, Groß-Rosen, Mogilew, Mauthausen und Gusen zur Verfügung. Die Leichenverbrennungsöfen der Firma halfen der SS dabei, eines der größten Probleme des Massenmordes, die Beseitigung der Leichname, zu lösen. Erst durch die Verbrennung in den Öfen von Topf & Söhne wurde es möglich, die unzähligen Toten so verschwinden zu lassen, dass die Spuren der Verbrechen fast völlig getilgt schienen. Mit den Be- und Entlüftungsanlagen von Topf & Söhne im größten nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde es für die SS möglich, nach einem Massenmord mit Gas die Kammern rasch zu entlüften und sie so ohne Verzögerung für die nächste Mordaktion bereitzustellen. Weit über eine Million Menschen wurden in Auschwitz getötet. Zum ersten Mal in der Geschichte ließ die SS dort Menschen wie am Fließband ermorden und ihre Leichen verbrennen. Häftlinge nannten diese Großkrematorien „Todesfabriken".

    Die Frage nach den Motiven der Beteiligten offenbart Irritierendes: So machte die Geschäftsbeziehung mit der SS nur knapp zwei Prozent des gesamten Firmenumsatzes jener Jahre aus. Sie war also weder wichtig für das Überleben der Firma noch wurde ein Zwang auf das Unternehmen ausgeübt, die Aufträge zu übernehmen. Der Hauptumsatz der Firma wurde weiterhin mit Mälzerei- und Brauereianlagen, Silos und industriellen Feuerungsanlagen erwirtschaftet. Auch waren die Firmeninhaber Ludwig und Ernst Wolfgang Topf nach den überlieferten Quellen weder fanatische Nationalsozialisten noch Antisemiten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutete nichts darauf hin, dass J. A. Topf & Söhne ein Jahrhundert später unwiderruflich mit der Erinnerung an das Menschheitsverbrechen der Schoah verbunden sein würde. Als das Unternehmen 1914 den Bau von Einäscherungsöfen für städtische Krematorien als kleine Unterabteilung in sein Produktionsprofil aufnahm, berücksichtigte man bei der Konstruktionsweise der Topf-Öfen die Pietätskriterien und gesetzlichen Vorgaben einer würdevollen Feuerbestattung in vorbildlicher Weise, was die Firma in der Weimarer Republik zum Marktführer in diesem Bereich aufsteigen ließ. Doch die Achtung der Individualität und Würde des Menschen auch nach seinem Tod spielten überhaupt keine Rolle mehr, als die SS 1939 bei Topf & Söhne Leichenverbrennungsöfen nachfragte, um schnell und mit geringem Brennstoffaufwand die Opfer des Massenmordes in den nationalsozialistischen Lagern zu beseitigen.

    Die Hauptakteure in der Firma, die an den Geschäften mit der SS beteiligt waren, waren Menschen, die ihrer Arbeit nachgegangen sind, die verheiratet waren und Familien hatten, Menschen, die sich in Vereinen engagierten, Menschen, die ehrgeizig waren und Herausforderungen im Beruf und Erfolg suchten und Anerkennung wollten. Im Folgenden wird exemplarisch auf vier Hauptakteure, die beiden Firmenchefs Ludwig und Ernst Wolfgang Topf sowie auf die beiden Ingenieure Fritz Sander und Kurt Prüfer eingegangen. Des Weiteren erfolgt eine kurze Darstellung des Buchhalters Willy Wiemokli und des Monteurs Heinrich Messing, die während des Nationalsozialismus als Opfer bzw. Gegner des Regimes galten.

    1.3 Die Ingenieure Kurt Prüfer und Fritz Sander

    Dass die Firma Topf & Söhne, die ab 1914 städtische Krematorien mit Feuerbestattungsöfen ausstattete, in den zwanziger Jahren zum führenden deutschen Hersteller von Feuerbestattungsöfen aufsteigen konnte, lag zu einem entscheidenden Anteil an dem Ingenieur Kurt Prüfer (siehe Abb. 1.5).

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    Abb. 1.5

    Kurt Prüfer (1891–1952), Anfang 1920er Jahre (Signatur: J. A. Topf & Söhne Nr. 252, Bl. 14v; mit freundlicher Genehmigung von © Landesarchiv Thüringen-Hauptstaatsarchiv Weimar. All Rights Reserved)

    Er wurde 1891 als Sohn eines Lokomotivführers in Erfurt geboren und evangelisch getauft. Er war eines der jüngsten von 13 Kindern. Nach acht Jahren Schule schloss er die Maurerlehre mit „sehr gut" ab und studierte Hochbau an der Königlichen Baugewerkeschule in Erfurt. Anschließend wollte er unbedingt bei der bekannten Firma Topf & Söhne arbeiten und erreichte 1911 schließlich beim dritten Versuch seine Einstellung. Im Oktober 1912 verließ er die Firma, weil er seinen Militärdienst ableisten musste. Nach dem Krieg schloss er sein Studium 1920 ab. Als fertig ausgebildeter Ingenieur kehrte Kurt Prüfer kurz vor seinem 29. Geburtstag zur Firma Topf & Söhne zurück. Er wurde nun in der Abteilung D, dem Feuerungsbau, eingesetzt. Im Juni desselben Jahres heiratete er, die Ehe blieb kinderlos. Es war wohl auch seinem Aufstiegswillen geschuldet, dass er sich innerhalb des Feuerungsbaus, in dem vor allem industrielle Feuerungsanlagen hergestellt wurden, auf den zukunftsträchtigen Bereich der pietätvollen Krematoriumsöfen spezialisierte. 1927 bekam Kurt Prüfer einen neuen Vorgesetzten, Fritz Sander (siehe Abb. 1.6).

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    Abb. 1.6

    Fritz Sander (1876–1946), Anfang 1920er Jahre (Signatur: J. A. Topf & Söhne Nr. 252, Bl. 14r; mit freundlicher Genehmigung von © Landesarchiv Thüringen-Hauptstaatsarchiv Weimar. All Rights Reserved)

    Fritz Sander war damals 50 Jahre alt, also 15 Jahre älter als Prüfer. Er war 1876 als Sohn eines Angestellten in Leipzig geboren worden. Seit 1910 arbeitete Fritz Sander bei Topf & Söhne. 1920 war er zum Oberingenieur ernannt worden, ein Titel, den die Firma vergab. 1928 wurde ihm Gesamtprokura verliehen. Fritz Sander arbeitete sich zum wichtigsten Mann im Feuerungsbau hoch und war dabei auch für den kleinen Bereich Ofenbau verantwortlich. Sander bekam alle Konstruktionspläne Prüfers zur Begutachtung. Zwischen den beiden scheint allerdings von Anfang an die Chemie nicht gestimmt zu haben.

    Topf & Söhne war zwar nicht der einzige Anbieter für Krematoriumsöfen in der Weimarer Republik, jedoch der erfolgreichste, was seinen Grund darin hatte, dass die Firma die Gebote der Pietät technisch optimal umsetzte. Die Firma optimierte den koksbeheizten Ofen unter Pietätskriterien, sie installierte 1927 auch den ersten rein gasbeheizten Ofen in Dresden. Zudem brachte das Unternehmen den ersten elektrisch beheizten Ofen auf den Markt. Auch international fand die Feuerbestattungstechnik von Topf & Söhne Beachtung. So wurde das erste sowjetische Krematorium in einem ehemaligen Kloster in Moskau 1926 mit einem Topf-Ofen ausgestattet. In seiner Abteilung Ofenbau konstruierte Kurt Prüfer seit 1925 zusätzlich Müllverbrennungsöfen, darunter Öfen zur Verbrennung von Kadavern. Er wusste, dass es bei diesen Öfen nur darauf ankam, schnell und brennstoffsparend den Abfall zu beseitigen. Während er die Krematoriumsöfen in den firmeninternen Unterlagen „Einäscherungsanlagen nannte, hießen seine Müllverbrennungsöfen „Vernichtungsöfen. Kurt Prüfer engagierte sich als Vorsitzender des Erfurter Volksfeuerbestattungsvereines und erreichte durch seine öffentlichen Vorträge und Krematoriumsführungen, dass sich die Zahl der Anhänger der Feuerbestattung in Erfurt vervielfachte. War die Feuerbestattungsbewegung im 19. Jahrhundert von Vertretern des säkularisierten, aufgeklärten Bürgertums ausgegangen, so gelang ihre Verbreitung in der Weimarer Republik, weil sie in breiten Arbeiterkreisen Fuß fassen konnte. Volksfeuerbestattungsvereine, zumeist von Gewerkschaftskreisen gegründet, hatten daran einen entscheidenden Anteil. Die Firma war optimal aufgestellt, als 1934 die Feuerbestattung der Erdbestattung gleichgestellt und reichsweit erlaubt wurde. Das Feuerbestattungsgesetz vom Mai 1934 formulierte jene Vorgaben der Pietät, die Topf & Söhne mit ihrer Technik hervorragend garantierten. Mit Kurt Prüfer hatte sich Topf & Söhne den Ruf erworben, dass sie bei der Entwicklung technischer Möglichkeiten der Verbrennung weder Kosten noch Mühe scheute, um die Würde und Individualität des Menschen nach seinem Tode zu wahren. Dennoch blieb der Bau von Feuerbestattungsöfen von seinem Umfang her immer ein Randbereich im Unternehmen.

    1.4 Die dritte Unternehmergeneration – Ernst Wolfgang und Ludwig Topf

    Ende 1929 verstarb der letzte noch von Ludwig Topf, dem Sohn des Firmengründers, eingesetzte Direktor. Kurz danach trat sein Sohn Ernst Wolfgang Topf als kaufmännischer Angestellter in das Unternehmen ein. Zwei Jahre später, 1931, folgte ihm dessen Bruder Ludwig und wurde Angestellter im Feuerungsbau (siehe Abb. 1.7).

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    Abb. 1.7

    Ludwig Topf (1903 – 1945) und Ernst Wolfgang Topf (1904 – 1969), Ende der 1930er Jahre (Sammlung Erinnerungsort Topf & Söhne; mit freundlicher Genehmigung von © Erinnerungsort Topf & Söhne. All Rights Reserved)

    Anfang der 1930er Jahre geriet die Firma in die Wirtschaftskrise. Aus dem Konkursverfahren, das im Frühjahr 1933 drohte, machte Ernst Wolfgang Topf dreizehn Jahre später einen rein politischen Konflikt und stellte dies so dar: die nationalsozialistisch eingestellten Männer in der Firmenleitung hätten die neuen Machtverhältnisse genutzt, um die politisch missliebigen Brüder um ihr Erbe zu bringen. „Als ‚Judengenossen’ hätten sie „ihr Anrecht auf die Leitung verloren, soll ein Betriebsdirektor auf einer nach dem 30. Januar 1933 einberufenen Betriebsversammlung gesagt haben. Ein führender Funktionär der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation hätte daraufhin den Brüdern in Aussicht gestellt, nach einer Übernahme des Betriebes durch die Brüder Topf dann nicht im Wege zu stehen, wenn sie beide in die Partei einträten (vgl.: Schüle³ 2017, S. 66 f.). Der dann folgende Eintritt der Brüder in die NSDAP geschah nicht aus politischer Überzeugung. Die beiden Brüder kamen den neuen Machthabern entgegen, um den Familienbetrieb zu retten. Ernst Wolfgang Topf wurde als kaufmännischer Leiter und Ludwig Topf als technischer Leiter eingesetzt.

    Im Zuge der Kriegsvorbereitungen erhielt Topf & Söhne Großaufträge der Wehrmacht für den Bau von sog. Heeres- und Reichsspeicher, mit denen die Ernährung der Soldaten und der Zivilbevölkerung sichergestellt werden sollte. 1939 erreichte die Firma ihre höchste Beschäftigtenzahl mit 1150 Arbeitern und Angestellten. Die Hälfte von ihnen wurde in den Kriegsjahren eingezogen. Ersetzt wurden sie durch ausländische Arbeitskräfte. Mindestens 620 Zwangsarbeiter sind in den Quellen belegt.

    1.5 Opfer und Gegner des Regimes bei Topf & Söhne

    „Eine Familie mit den Eigenschaften der Menschlichkeit war geradezu dazu ausersehen, die verfolgten jüdischen Mitbürger und Mitarbeiter bis zum Äußersten zu schützen und das haben wir nachweisbar bis zur Selbstaufgabe und bis zum Kriegsschluss getan" (zitiert nach: Schüle³ 2017, S. 341). Diese Behauptung Ernst Wolfgang Topfs aus dem Jahre 1958 ist eine dreiste Lüge aus der Nachkriegszeit.

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    Abb. 1.8

    Willy Wiemokli (1908–1983), Anfang 1940er Jahre (Signatur: BF, S. 63; mit freundlicher Genehmigung von © Landesarchiv Thüringen-Hauptstaatsarchiv Weimar. All Rights Reserved)

    Der 1908 in Halle/Saale geborene Willy Wiemokli, wegen seines aus einer jüdischen Familie stammenden Vaters David Wiemokli zu den „verfolgten jüdischen Mitarbeitern" von Topf & Söhne zählend, hätte diese Aussage von Ernst Wolfgang Topf allerdings unterschrieben. Wiemokli, wie seine Mutter evangelisch getauft, wurde gemeinsam mit seinem Vater im Novemberpogrom 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht (siehe Abb. 1.8). Aufgrund dieser Haft verlor er seine Arbeit als Kaufmann in Erfurt und damit auch die Möglichkeit, den arbeitslosen Vater zu unterstützen. Groß muss seine Erleichterung und Dankbarkeit gewesen sein, als ihn Ernst Wolfgang Topf Anfang 1939 einstellte, wohl wissend, dass er „jüdischer Mischling und erst vor kurzem aus dem KZ entlassen worden war. Als Mitarbeiter der Betriebsabrechnung war es die Aufgabe von Willy Wiemokli, Umsatzlisten von Kurt Prüfer mit den Daten aus der Buchhaltung abzugleichen. Sicher ist, dass Wiemokli durch diese Listen wusste, dass die Firma Topf & Söhne Aufträge für die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Auschwitz, Flossenbürg und Sachsenhausen annahm. 1943 wurde sein Vater nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Willy Wiemokli erhielt Unterstützung von der Unternehmensleitung, als ihn ein Kollege der Beziehung zu einer nichtjüdischen Kollegin, also der „Rassenschande, bezichtigte und die Gestapo ihn mehrfach verhörte. Erst 1944, als die so genannten Halbjuden oder jüdischen Mischlinge reichsweit zur Zwangsarbeit in Lager eingewiesen wurden, rettete ihn auch der Schutz seines Betriebes nicht mehr.

    Während es sich bei den als „Halbjuden Verfolgten in der Belegschaft um Einzelne handelte – Ernst Wolfgang Topf spricht von vier, aus den Quellen sind namentlich zwei bekannt -, war die Gruppe der politischen Kriegsgegner größer und im Falle der KPD auch organisiert. Es wurden auffällig viele kommunistische Arbeiter mit Hafterfahrung bei Topf & Söhne eingestellt, weil dort in den Jahren der Kriegsvorbereitung zwar Heeresspeicher für die Wehrmacht, doch keine Rüstungsgüter im engeren Sinne hergestellt wurden. Es fällt auf, dass fast alle namentlich bekannten kommunistischen Arbeiter nicht zum Kriegsdienst eingezogen wurden, also das Privileg der „Uk-Stellung durch die Firmenleitung genossen, obwohl sie erst wenige Jahre Betriebszugehörigkeit vorweisen konnten.² Dass sich die Brüder Topf bei der Entscheidung über eine „Uk-Stellung" eher überzeugter Nazis im Betrieb entledigten als der kommunistischen Arbeiter, ergab sich auch aus ihren eigenen Interessen. Erstere konnten zu mächtig werden, letztere waren nach Arbeitslosigkeit und Lagerhaft froh, mit Gleichgesinnten in einem Betrieb arbeiten zu können und revanchierten sich mit guter Arbeit.

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    Abb. 1.9

    Heinrich Messing (1902–1985), um 1950 (Signatur: AIM 236/54, T. I, S. 3; mit freundlicher Genehmigung von © Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes.)

    Einer dieser Kommunisten arbeitete für Topf & Söhne im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau: der Lüftungsmonteur Heinrich Messing (siehe Abb. 1.9). Er wurde 1902 als siebtes Kind eines Schuhmachers in Erfurt geboren. Nach dem Abschluss der Volksschule absolvierte er eine Lehre als Klempner und arbeitete 13 Jahre in diesem Beruf. Er organisierte sich gewerkschaftlich im Deutschen Metallarbeiter-Verband. 1927 heiratete er, das Paar bekam drei Kinder. 1930 wurde er wie sein ältester Bruder Mitglied der KPD, 1932 wurde er arbeitslos. Im Februar 1933 wurde er verhaftet und unter dem Vorwurf der „Vorbereitung zum Hochverrat" in Schutzhaft genommen, aus der er nach elf Wochen entlassen wurde, ohne dass es zum Prozess kam.

    1.6 Verbrennungsöfen für Lagerkrematorien

    Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Die Radikalisierung der Gewalt nach außen bedeutete auch eine Radikalisierung der Gewalt nach innen. Menschen aus den besetzten Gebieten wurden in Konzentrationslager deportiert, der Terror und die Todeszahlen wuchsen. Im KZ Buchenwald kam es 1939 zum ersten von der SS herbeigeführten Massensterben von polnischen und Wiener Juden im so genannten Polen-Sonderlager. Seit Eröffnung des Lagers 1937 waren die Lagertoten im Bruch mit dem Feuerbestattungsgesetz von 1934 im städtischen Krematorium von Weimar eingeäschert worden. Nun begann die SS mit der Realisierung ihres Plans, ein eigenes Lagerkrematorium zu errichten. Als Übergang setzte sie mobile Öfen von Topf & Söhne ein.

    Nach dem ersten Umsatz mit fahrbaren Einmuffel-Öfen machte sich Kurt Prüfer sofort an die Weiterentwicklung der mobilen Leichenverbrennung und bot der SS einen Doppelmuffel-Ofen, also einen Ofen mit zwei Verbrennungskammern, an. Dieser erste Doppelmuffel-Ofen von Kurt Prüfer weis eine Besonderheit auf, die auch alle nachfolgenden, stationären Mehrmuffel-Öfen hatten. Die Ofenkammern waren zur Beschleunigung des Verbrennungsvorganges durch Aussparungen in der Zwischenwand miteinander verbunden, sodass sich mit dem durch den ganzen Ofen wandernden Feuer auch die Asche der Toten vermischte. Nicht erst die Praxis der SS, mehrere Leichname in einer Ofenkammer zu verbrennen, brach das Feuerbestattungsgesetz, das eine Vermischung der Asche verbot (siehe Abb. 1.10).

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    Abb. 1.10

    Transportabler, ölbeheizter Doppelmuffel-Ofen von Topf & Söhne für Konzentrationslager, 1940 (Signatur: 6-0/27 A7-029; mit freundlicher Genehmigung von © Stadtarchiv Erfurt. All Rights Reserved)

    Während des Ausprobierens transportabler Leichenverbrennungsöfen wurde das Lagerkrematorium fertiggestellt. Die ersten Ofenlieferungen nach Buchenwald wurden von der SS und der Firma Topf als Auftakt einer umfassenden Geschäftsbeziehung verstanden. Den ersten stationären KZ-Ofen mit zwei Verbrennungskammern hielt die Firma J. A. Topf & Söhne für so zukunftsträchtig, dass sie ihn am 6. Dezember 1939 als „Einäscherungs-Ofen mit Doppelmuffel zum Patent anmeldete. Später, nachdem derselbe Ofentyp zweimal im Krematorium des Stammlagers Auschwitz aufgestellt worden war, nannte ihn Kurt Prüfer „Modell Auschwitz. Dass Kurt Prüfer mit den KZ-Öfen gegen Gesetz und Pietät verstieß, war ihm bewusst, installierte er doch in derselben Zeit auch weiter Feuerbestattungsöfen in städtischen Krematorien.

    Für Prüfer waren die schnelle Umsatzsteigerung und die Wichtigkeit von Aufträgen aus der Machtzentrale der SS verlockend. Für sich sah er darin eine Chance, Gehalt und Status im Betrieb zu steigern und zeigte deshalb große Eigeninitiative bei der Entwicklung weiterer KZ-Ofentypen. Auch sein Ehrgeiz als Techniker und Erfinder war angesprochen. Bis 1941 lieferte die Firma Öfen in die Lager Buchenwald, Dachau, Gusen sowie in das Stammlager Auschwitz.

    1.7 Schlüsselrolle für das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau

    Wie schon nach Kriegsbeginn 1939 kam es mit dem am 22. Juni 1941 beginnenden Krieg mit der Sowjetunion zu einer Radikalisierung der Gewalt, jetzt in noch stärkerem Maße. Opfergruppen waren Juden und Sinti und Roma in den eroberten Gebieten sowie sowjetische Kriegsgefangene. Am 26. September 1941 befahl Hans Kammler, Chef des SS-Bauwesens, den Bau eines Lagers für zunächst 50.000 sowjetische Kriegsgefangene bei Auschwitz-Birkenau. Im Oktober 1941 wurde das Lager bereits für 125.000 sowjetische Kriegsgefangene geplant. Die SS-Führung hegte den Plan, aus diesen Männern eine riesige Arbeitssklavenarmee zu machen. Für das Lager wurden eigene Verbrennungsanlagen projektiert. Dafür bestellte SS-Bauleiter Kurt Bischoff bei Kurt Prüfer im Oktober 1941 fünf der von ihm neu und wohl extra für diesen Zweck entwickelten Dreimuffel-Öfen. Pro Tag werden über 1.000 Menschen sterben, kalkulierte Bischoff (vgl.: Schüle³ 2017, S. 141). In der Kalkulation der Kapazitäten für die Verbrennung von Leichen ging er also davon aus, dass alle erwarteten 125.000 sowjetischen Kriegsgefangenen nach rund vier Monaten nicht mehr am Leben sein würden.

    Ernst Wolfgang Topf bestätigte am 4. November 1941 den Auftrag für das geplante Krematorium und führte in dem Schreiben an die SS aus: „Erwähnen möchten wir, daß die Einäscherungskammern in den Öfen jetzt größer gebaut werden als bei den bisherigen Öfen. Hierdurch wollen wir eine größere Leistung erreichen. Aus dem gleichen Grunde haben wir auch statt 2 Saugzug-Anlagen deren 3 vorgesehen, dabei aber auch berücksichtigt, daß gefrorene Leichen zur Einäscherung gelangen, die mehr Heizmaterialaufwand bedingen, wodurch die Abgasmenge sich erhöht."³ Waren zunächst die Ofenkammern in den Lagerkrematorien kleiner als bei städtischen Einäscherungsanlagen, weil kein Sarg vorgesehen war, so wurden sie bei den neuen Ofentypen wieder vergrößert. Die Firmenleitung wusste also, dass mehr als eine Leiche auf einmal verbrannt werden sollte.

    Nach weiterer erfolgreicher Konstruktion, nämlich eines Ofens mit acht Kammern und einem weiteren Geschäftsabschluss mit der SS in Auschwitz forderte Prüfer eine Prämie ein. Am 6. Dezember 1941 schrieb er an die Brüder Topf: „Wie Sie wissen, habe ich die 3 Muffel- als auch die 8 Muffel-Einäscherungsöfen durchgearbeitet und hierbei meistens meine Freizeit – zu Hause – benutzt. Diese Ofenkonstruktionen sind auch für spätere Zeiten bahnbrechend und darf ich wohl annehmen, daß Sie mir für die geleistete Arbeit eine Prämie gewähren werden."⁴ Die Brüder Topf bewilligten ihm Ende 1941 150,- Reichsmark Prämie und stellten ihm mehr in Aussicht, wenn sich der neue Ofentyp in der Praxis bewährt haben würde (siehe Abb. 1.11).

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    Abb. 1.11

    Dreimuffel-Öfen im Krematorium Buchenwald (Signatur: 014.001; mit freundlicher Genehmigung von © Archiv der Gedenkstätte Buchenwald. All Rights Reserved)

    Zwei dieser Dreimuffel-Öfen wurden in das KZ Buchenwald geliefert, denn dort ermordete die SS seit Mitte 1942 sowjetische Kriegsgefangene. Die Inbetriebnahme der beiden neuen Öfen im Krematorium Buchenwald, die Ende August bzw. Anfang Oktober 1942 erfolgte, wertete Kurt Prüfer als großen Erfolg. Am 15. November 1942 schrieb er erneut an seine Chefs: „Sehr geehrte Herren Topf! Nach der Absprache mit Ihnen die Ende vorigen Jahres stattfand, haben Sie mir für die Neukonstruktion der Dreimuffel-Einäscherungsöfen eine Entschädigung zugesagt. (…) Vor 12 bzw. 6 Wochen sind die beiden ersterrichteten Topf-Dreimuffel-Einäscherungsöfen im Krematorium Buchenwald in Betrieb gekommen. Der erste Ofen hat bereits eine große Anzahl Einäscherungen hinter sich, die Arbeitsweise des Ofens und demzufolge die Neukonstruktion hat sich bewährt u. ist einwandfrei. Die Öfen leisten 1/3 mehr, als von mir überhaupt vorgesehen war. (…) Dieserhalb bitte ich Sie, die mir versprochene Entschädigung baldigst anweisen zu wollen. Stets gern zu Ihren Diensten Ihr ergebener Kurt Prüfer".⁵ Prüfer sprach in diesem Schreiben von insgesamt 14 Dreimuffel-Öfen, die schon produziert oder noch in Arbeit waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zwei nach Buchenwald, zwei nach Groß-Rosen und zehn nach Auschwitz-Birkenau verkauft. Die Brüder Topf dankten Prüfer die unerwartete Verbrennungsleistung des neuen KZ-Ofentyps mit weiteren 450,- Reichsmark Provision.

    Seit Sommer 1942 wurden Juden aus allen besetzten Gebieten in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort begann die SS mit den systematischen Selektionen, also die unmittelbar nach der Ankunft vorgenommene Einteilung in Menschen, die zur Arbeit gezwungen wurden, und in Menschen, die sofort im Gas getötet wurden. Mehr als sieben von zehn Personen wurden wenige Stunden nach ihrer Ankunft in den Bunkern von Auschwitz-Birkenau im Gas ermordet, vor allem Frauen und Kinder. Mit der systematischen Vernichtung nahm das Problem der SS, die Leichen zu beseitigen, massiv zu. In dieser Situation fand am 19. August 1942 eine Unterredung der SS-Bauleitung mit Kurt Prüfer statt, in dem sie gemeinsam drei weitere Großkrematorien konzipierten. Dass Kurt Prüfer nach eigenen Angaben spätestens seit dem „Frühjahr 1942" von den Massenmorden mit Gas wusste, sah die SS nicht als Unsicherheitsfaktor an (Schüle³ 2017, S. 162). Im Gegenteil: Er wurde durch sein Wissen zum idealen Kooperationspartner für die Schaffung fabrikmäßiger Massenvernichtungsanlagen, weil er das Ziel der SS kannte und ihr so seine technische Kompetenz noch besser andienen konnte. Zu Bauberatungen reiste Prüfer mindestens ein Dutzend Mal nach Auschwitz. Mit der SS war ein Großkunde aufgetaucht, der mit seiner Macht und dem wachsenden Bedarf an Verbrennungsanlagen seiner kleinen Abteilung Spezialofenbau eine größere Bedeutung verlieh.

    1.8 Der kontinuierliche Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb

    Kurt Prüfers Erfolge bei der Akquisition von Aufträgen in Auschwitz wurde bei seinem Vorgesetzten Fritz Sander und in der Geschäftsleitung als Signal für weitere Aufträge verstanden. Es galt, sich als Firma den zukunftsträchtigen Markt zu sichern und auszubauen. Deshalb und aus Konkurrenz zu Kurt Prüfer wandte sich Fritz Sander im September 1942 mit einer Erfindung an die Geschäftsführung: den „kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb. Bis heute lautet eine der stereotypen Rechtfertigungen für ein Mittun im Nationalsozialismus, man sei dazu gezwungen worden. Bei einer Weigerung sei man selbst zum Opfer geworden. Sanders Vorgehen zeigt das Gegenteil. Es steht für ein Mitmachen „auf eigene Initiative. Er fühlte sich herausgefordert zu zeigen, dass er der bessere Ingenieur sei. Fritz Sander war gerade 66 Jahre alt geworden und konnte auf ein langes und erfolgreiches Arbeitsleben in leitender Stellung zurückblicken. Der Ofenbau gehörte nicht zu seinem direktem Arbeitsgebiet, er drängte sich in den Bereich von Kurt Prüfer hinein. In einem Schreiben an die Firmenleitung begründet Fritz Sander seine Ofenkonstruktion wie folgt:

    „Der starke Bedarf an Einäscherungsöfen für Konzentrationslager – der in letzter Zeit besonders deutliche für Auschwitz in Erscheinung getreten ist […] veranlasste mich zu einer Prüfung der Frage, ob das bisherige Ofensystem […] das richtige ist […] als meiner Ansicht nach ideale Lösung bezüglich Bauart eines Einäscherungs-Ofen für die Zwecke eines Konzentrationslagers sehe ich einen solchen mit kontinuierlicher Beschickung für ebensolchen Betrieb an […] die zu verbrennenden Leichen würden oben – ohne Störung des Verbrennungsvorgangs – […] auf dem Weg durch den Ofen zünden, brennen, ausbrennen und veraschen […] Dabei bin ich mir vollkommen klar darüber, dass eine solcher Ofen als reine Vernichtungs-Vorrichtung anzusehen ist, dass also die Begriffe Pietät, Aschetrennung sowie jegliche Gefühlsmomente vollständig ausgeschaltet werden müssen. All das ist wohl aber auch schon jetzt bei dem Betriebe mit zahlreichen Muffel-Öfen der Fall. Es liegen eben in den KZ-Lagern besondere kriegsbedingte Umstände vor, die zu derartigem Verfahren zwingen."

    Die verbrecherische Dimension des von Fritz Sander entwickelten Hochleistungs-Ofen zur Verbrennung menschlicher Leichen wird nicht dadurch geringer, dass zwar Reichspatentamt angemeldet, jedoch weder patentiert noch konstruiert wurde.

    1.9 Lüftungstechnik für die Gaskammern

    1942 erreichte die Mittäterschaft der Firma J. A. Topf & Söhne eine neue Qualität. Neben der Optimierung der Leichenbeseitigung durch die Ausstattung der vier Großkrematorien in Auschwitz-Birkenau mit Ofenanlagen und der weiteren Planung industrieller Massenverbrennungsöfen wirkte die Firma auch daran mit, das Töten selbst zu optimieren, indem sie die Gaskammern in Krematorium II und III mit Lüftungstechnik ausstattete. Da diese im Keller lagen und nicht auf natürlichem Wege belüftet werden konnten, war der Luftaustausch durch die Ventilation die Voraussetzung, um den Massenmord schnell fortsetzen zu können. Zuständig dafür war der Ingenieur Karl Schultze, mit 40 Jahren einer der jungen Abteilungsleiter der Firma. Er begann als Ingenieur bei Topf & Söhne im Oktober 1928. Karl Schultze war kein Mitglied der NSDAP.

    Die umfangreichen Aufträge in den Jahren 1942 und 1943 erforderten über einen langen Zeitraum die Anwesenheit von drei Feuerungsbauern der Firma Topf & Söhne in Auschwitz-Birkenau. Auch Lüftungsmonteur Heinrich Messing war vor Ort. Er hielt sich von Januar bis Juni 1943 in Auschwitz auf (vgl. Pressac 1994, S. 184). Im Februar 1943 wartete er auf die Lieferung eines Gebläses Nr. 450 für die Ventilation der Gaskammer. Eine Aktennotiz gibt Auskunft über ein Telefonat, das Karl Schultze am 17. Februar 1943 von Auschwitz mit Fritz Sander in Erfurt deshalb führte (siehe Abb. 1.12).

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    Abb. 1.12

    Telefonnotiz von Oberingenieur Fritz Sander, 17. Februar 1943, (Signatur: J. A. Topf & Söhne Nr. 95, Bl. 34r und v.; mit freundlicher Genehmigung von © Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar. All Rights Reserved)

    Als »Sonderakten« gekennzeichnete Unterlagen wurden zentral bei der Geschäftsleitung abgelegt. Bemerkungen und Kürzel belegen, dass die Notiz durch die Hände von Ludwig Topf, Betriebsdirektor Gustav Braun, des kaufmännischen Prokuristen Max Machemehl und des Leiters des Einkaufs Florentin Mock gegangen ist.

    Diese Telefonnotiz zeigt, dass es in der innerbetrieblichen Kommunikation zum Gasmord kein Tabu gab. Als Zivilisten waren den Topf-Mitarbeitern die verschleiernden Sprachregelungen der SS nicht unbedingt geläufig. Untereinander nannten sie die Dinge beim Namen, der Kellerraum für den Gasmord war kurz „der Gaskeller".

    Am 5. März 1943, mehr als einen Monat nach dem ursprünglich geplanten Fertigstellungstermin, sah sich die SS-Bauleitung erstmals in der Lage, ihrer Berliner Führung die Dreimuffel-Öfen im Krematorium II vorzuführen. 22 junge, männliche jüdische Häftlinge, darunter der damals 26 Jahre alte Henryk Tauber aus Polen, waren für die Bedienung der Öfen ausgesucht und in einem „einmonatigen Praktikum" im Krematorium I im Stammlager angelernt worden, wie es Tauber im Mai 1945 vor der polnischen Untersuchungskommission zu den in Auschwitz begangenen Verbrechen bezeichnete. Zehn der jungen Häftlinge waren inzwischen verstorben oder ermordet worden (Piper 1999, S. 280). Die Inbetriebnahme der Öfen des Krematoriums II Anfang März 1943 hat Henryk Tauber so beschrieben: „Wir heizten von früh bis ungefähr 4 Uhr nachmittags. Um diese Zeit kam eine Kommission zum Krematorium angefahren, zu der Angehörige der Politischen Abteilung und hohe SS-Offiziere aus Berlin gehörten. Außer ihnen nahmen an der Kommission auch Zivilisten und Ingenieure von der Firma ‚Topf‘ teil. (…) Nachdem die Kommission eingetroffen war, erhielten wir die Anweisung, aus dem Leichenmagazin Leichen herauszuholen und sie in die Retorten zu werfen (…) Nachdem der ganze Vorrat an Leichen auf alle Retorten aller fünf Öfen verteilt war, beobachteten die Angehörigen der Kommission mit Uhren in der Hand den Verlauf der Verbrennung der Leichen, sie öffneten die Türen, schauten auf die Uhren, sprachen miteinander und wunderten sich, dass die Verbrennung so lange dauerte." (zitiert nach: Piper 1999, S. 286 f.).

    Die rechnerische Gesamtverbrennungskapazität lag bei maximal 8000 Leichen in 24 h in allen vier Krematorien in Birkenau (vgl.: Piper 1999, S. 182). Dass diese Zahl an täglichen Verbrennungen erreicht oder überschritten wurde, war nicht die Regel. Zwischen 1942 und Frühjahr 1944 wurden selten mehr als durchschnittlich tausend Menschen am Tag nach Auschwitz deportiert. Anders war dies im Sommer 1944, als fast 440.000 Jüdinnen und Juden aus Ungarn in Auschwitz ermordet wurden. Bis zu 9000 Leichen täglich, an manchen Tagen über 10.000 wurden in den noch funktionsfähigen Krematorien II, III und V sowie in Gruben unter freiem Himmel verbrannt (vgl.: Broszat 2008, S. 1665).

    Mit der Fertigstellung der Gaskammern war die SS Anfang März 1943 noch immer in Verzug. Aus einer Arbeitszeitbescheinigung, die der Topf-Monteur Heinrich Messing für den Zeitraum von Montag, den 8., bis Sonntag, den 14. März 1943, ausfüllte, wird ersichtlich, dass er in dieser Woche unter Hochdruck an der Lüftungstechnik der Kellerräume im Krematorium II arbeitete, d. h. der Gaskammer und des Auskleideraumes, zur Tarnung als Leichenkeller I und II bezeichnet. Dass er dabei selbst den Begriff „Auskleidekeller" verwendete, zeigt, wie präzise er über den Ablauf des Gasmords informiert war. Er wusste also, dass die Menschen sich in dem größeren Keller entkleiden mussten, um danach im kleineren Keller erstickt zu werden. Während er die Technik für den schnellen Erstickungstod von Hunderttausenden installierte, häufte Messing in sechs Tagen 27 Überstunden an, die er säuberlich vermerkte. Schultze war in dem gesamten Zeitraum ebenfalls in Birkenau.

    Schultze und Messing sind jene Topf-Mitarbeiter, die unmittelbar Zeugen und Beteiligte einer Gasmordaktion waren. An diesem 13. März 1943 wurden insgesamt 1.492 deportierte Juden aus dem Krakauer Ghetto getötet. (vgl.: Czech 1989, S. 440). Schultze sagte darüber im Moskauer Verhör aus: „Nach der Rückkehr aus Auschwitz habe ich in Erfurt über die von mir durchgeführten Arbeiten bei der Erprobung des Gebläses und der Lüftungsanlagen im zweiten Krematorium des Lagers Auschwitz Bericht an den Firmenschef Ludwig Topf erstattet. Nebenbei berichtete ich ihm, dass die SS-Leute in der Gaskammer eine Gruppe von Häftlingen vergiftet hatten, wonach ihre Leichen in den Einäscherungsöfen verbrannt wurden. L. Topf hat darauf nicht reagiert."⁸

    Die von der Firma Topf eingebaute Lüftungstechnik in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau beschleunigte die Abläufe beim Massenmord derart, dass dort von Mai bis Oktober 1944 rund 600.000 Menschen getötet wurden. Insgesamt sind während der Betriebszeit der Krematorien von März 1943 bis November 1944 fast eine Million Menschen getötet worden.

    1.10 Schlussbetrachtung

    Der Gesamtumsatz der Firma Topf & Söhne in Auschwitz-Birkenau betrug 1942 bis 1944 220.538 Reichsmark. Geht man auch für die Geschäftsbeziehung mit der SS in Auschwitz von der durchschnittlichen Gewinnrate der Firma aus, so belief sich der Reinerlös aus der Entwicklung und Produktion der Vernichtungsanlagen in Auschwitz-Birkenau für das Erfurter Unternehmen auf eine Summe zwischen 11.400 und 20.000 Reichsmark. Umgerechnet auf heute hat die Firma Topf zwischen 50.000 und 90.000 EUR Gewinn damit erwirtschaftet, die Technologie für den fabrikmäßigen Völkermord zu liefern. Für die kleine Abteilung Spezialofenbau unter der Leitung von Kurt Prüfer hatten die Lieferungen nach Auschwitz-Birkenau allerdings eine große Bedeutung. Für das Gesamtunternehmen war die Ausrüstung der Todesfabriken wirtschaftlich dagegen fast bedeutungslos.

    Der Weg vom Parteieintritt der Brüder Ludwig und Ernst Wolfgang Topf im Jahre 1933 bis zur Geschäftspartnerschaft mit der SS sechs Jahre später war vorgezeichnet, aber nicht alternativlos. Die in dieser Zeit mit dem Regime gesammelten Erfahrungen, nicht zuletzt durch den unmittelbaren Kontakt mit verfolgten Kommunisten und Belegschaftsangehörigen jüdischer Herkunft sowie mit jüdischen Freunden und Bekannten, hätte zu einem Umdenken führen können. Doch es fehlte an moralischer Stärke, um sich den verlockenden Aufträgen eines verbrecherischen Systems zu entziehen. Es war Zufall, dass gerade bei Topf & Söhne das Produktionsprofil zur Verfügung stand, mit dem sie zu Technikern der „Endlösung" wurden. Festzustellen ist, dass nach Quellenlage alle, die bei Topf & Söhne von Berufs wegen und aufgrund ihrer Funktion im Unternehmen mit der Abwicklung der SS-Geschäfte befasst waren, freiwillig mitmachten. Neben den Geschäftsführern Ludwig und Ernst Wolfgang Topf und den Ingenieuren im Feuerungsbau war die gesamte Leitungsebene des Betriebes involviert. Die Beteiligung des Unternehmens an der Massenvernichtung wurde von einem Konsens in der Funktionselite des Betriebes getragen. Ludwig und Ernst Wolfgang Topf trugen die größte Verantwortung, auch für das Tun ihrer Mitarbeiter. Sie hätten die gesamte Arbeit für die SS verhindern können. Ein Monteur dagegen konnte nur verhindern, dass er selbst an den Verbrechen beteiligt war. Doch für das, was er selbst tat, trägt auch er die Verantwortung. Kurt Prüfer durfte zwar keine Geschäfte selbstständig abschließen, trieb aber durch seine Initiativen die Arbeit für die SS entscheidend voran.

    Die Ingenieure im Feuerungsbau, vor allem Kurt Prüfer und Fritz Sander, sahen in dem Massensterben und -morden eine technologische Herausforderung. Kann man bei den Brüdern Topf ein Beschweigen ihres Handelns zum Zeitpunkt der Tat annehmen, so trifft dies nach den Dokumenten aus der Zeit vor 1945 für die Ingenieure keinesfalls zu. Da ist die Rede von Leistung, Stück (für Leichen), Einäscherungsobjekten und Leichenteilen. Indem die Ingenieure mithilfe ihrer technizistischen Sprache

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