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Über dieses E-Book

Die Textlinguistik kann durch ihre Fokussierung auf Verstehensprozesse und Kommunikation zur Lösung zentraler Probleme des Deutschunterrichts beitragen. Dieser Band verbindet linguistische Konzepte mit Fragen der Literatur- und Sprachdidaktik und setzt folgende Schwerpunkte: Textkohärenz als wesentliches Kriterium für das Herstellen und Verstehen von Texten; Textsortenkompetenz als kommunikative und soziale Kompetenz; spezifisch schulische Textsorten; Textverstehen und Textproduktion aus linguistischer und didaktischer Perspektive; literarisches Verstehen und Textlinguistik als Brücke zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft; textlinguistische Methoden und Konzepte, die für die schulische Vermittlung und Überprüfung von Textkompetenz hilfreich sein können. Einprägsame Definitionen zentraler Begriffe sowie Aufgaben erleichtern das Verständnis.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Mai 2022
ISBN9783823303138
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    Buchvorschau

    Der Text - Manfred Consten

    Einleitung

    Im Deutschunterricht geht es meist um Texte – diese scheinbar banale Erkenntnis steht Versionen einer Deutschdidaktik entgegen, die Textlinguistik ignoriert und die sprachwissenschaftliche Basis des Deutschunterrichtes auf Orthografie und Grammatik reduziert. Unabhängig davon, ob wir an integrativen Deutschunterricht denken, der die Kompetenzbereiche verbinden soll, oder einen Deutschunterricht vor Augen haben, der zumindest phasenweise Literatur- und Sprachunterricht trennt, haben es Deutschlehrer:innen in der Regel mit ganzen Texten zu tun. Sollen Primärtexte analysiert oder Texte über Texte geschrieben werden, bedarf es mehr als nur der formalen Beschreibung von Wörtern oder Sätzen. Entsprechend widmen wir uns in diesem LinguS-Band den Hauptgegenständen des Deutschunterrichts, Texten, sowie dem Umgang mit diesen, der über formale Betrachtungen von Sprache hinausgeht.

    In den Bildungsstandards (KMK 2012¹) überschreiten die Kompetenzbereiche „Schreiben, „Lesen, „Sich mit Texten und Medien auseinandersetzen eindeutig die Wort- und Satzgrenzen. Man liest und schreibt eben keine isolierten Wörter oder Sätze, sondern Texte. Auch für den Bereich „Sprache und Sprachgebrauch reflektieren,² der auf Sprache als System abzielt, wird „Auseinandersetzung mit Texten explizit genannt (KMK 2012: 20). Ein Überschreiten der Satzebene wird ebenfalls bei der Reflexion über die „kognitive und kommunikative Funktion von Sprache (ebd.) sowie über sprachliches Handeln (ebd.:21) vorausgesetzt. Kommunikation ist schließlich eine Funktion (gesprochener oder geschriebener) Texte.

    Darüber hinaus hat die Arbeit auf Textebene auch quantitativ einen hohen Stellenwert im Deutschunterricht, z. B. beim materialgestützten Schreiben, wo erst große Textmengen verstanden und dann argumentativ verarbeitet werden müssen.

    Dieser Band berücksichtigt das Interesse an satzübergreifenden Phänomenen. Zur kommunikativen Funktion von Sprache sei außerdem auf den Band 11 zur linguistischen Pragmatik verwiesen (Börjesson/Laser i. Vorb.).

    Dieses Buch wird auch immer wieder auf den notwendigen Abgleich zwischen außerschulischer kommunikativer Praxis, insbesondere außerschulischen Textsorten, und schulischen Anforderungen und Überzeugungen über die ‚Richtigkeit‘ von Texten zu sprechen kommen. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir – das Zitat Senecas (62 n. Chr.) beschreibt ein Ideal, dem die Schule oftmals wenig gerecht wird. In ihrem empfehlenswerten Sprach- und Studienratgeber schreiben Moll/Thielmann (2017: 17): „Solange Gesellschaften Schulen betreiben, werden Schüler Antworten auf Fragen bekommen, die sie nie gestellt haben, und sie werden lernen, denjenigen Antworten auf Fragen zu geben, die die Antworten schon wissen. Was die Autor:innen hier so einfach formulieren, wird uns noch als ernsthaftes Problem textueller Kommunikation im Deutschunterricht beschäftigen.

    Viele Erkenntnisse und Anregungen zu diesem Buch haben wir in den Seminaren „Textlinguistik und Schule" gewonnen, die vom Institut für Germanistische Sprachwissenschaft und der Abteilung Fachdidaktik Deutsch der Friedrich-Schiller-Universität Jena angeboten werden. Auch einige der im Buch erwähnten Aufgaben entstammen unseren gemeinsamen Seminaren.

    Wie die LinguS-Reihe folgen diese Seminare dem Tandemprinzip Fachwissenschaft + Fachdidaktik. Den Studierenden sei für viele inspirierende Beiträge in Diskussionen und Hausarbeiten gedankt.

    1 Textlinguistik für die Schule

    1.1 Wort, Satz, Text – Der Text als Gegenstand der Linguistik

    Ordnet man Sprachbeschreibung und -theorie nach ihren Beschreibungseinheiten, so fällt auf: Die kleinste, die lautliche Ebene spielt allenfalls für die korrektive Phonetik im Fremdsprachunterricht eine Rolle; ihr schriftsprachliches Pendant, die Orthografie, ist hingegen in der Erinnerung vieler Schulabsolventinnen und -absolventen der Gegenstand, der die Berührung mit Sprache im Deutschunterricht entscheidend prägt, wird doch schon in der Grundschule „Schreiben lernen und „Lesen lernen oft in einem ganz trivialen Sinne als Erlernen normativer Orthografie aufgefasst. Die normative Prägung setzt sich im Grammatikunterricht – also auf der Ebene des Wort- und Satzbaus – fort und führt manches Mal bei Lehrpersonen zu negativen Überzeugungen¹ über das kreative Potenzial des Gegenstands und entsprechend negativen Erfahrungen bei Schülerinnen und Schülern – vgl. den LinguS-Band 1, Fuß/Geipel (2018: 9), die dem die Forderung nach „Systemeinsichten und Sprachreflexion" gegenüberstellen.

    Auf der Ebene der größten linguistischen Beschreibungseinheit – dem Text als System aufeinander bezogener Sätze – ist die Herangehensweise nicht immer so explizit normativ wie im Orthografie- oder Grammatikunterricht. Man denke an „kreatives Schreiben als produktive Leistung oder die Interpretation literarischer Texte als rezeptive und/oder produktive Leistung. Hier gerät aber oft aus dem Blickfeld, dass es sich überhaupt um Sprachunterricht handelt und Phänomene und Kompetenzen thematisiert werden, die Gegenstand linguistischer Analyse und Theoriebildung sind. Zudem zielen moderne Lehrbücher darauf ab, verschiedene Kompetenzbereiche integrativ zu behandeln. Dies macht es umso schwerer, originär linguistische Inhalte zu identifizieren. „Diese Woche machen wir Grammatik – diesen Satz wird jeder in der Schule schon gehört haben, und selten löste er Begeisterung aus. „Diese Woche machen wir Textlinguistik", ein solcher Satz würde nur Rätselraten verursachen, und auch für Studierende des Unterrichtsfaches Deutsch muss immer wieder sichtbar gemacht werden, wie sehr die Bildungsstandards Deutsch – meist implizit – mit textlinguistischen Konzepten durchsetzt sind. Am Ende dieses Kapitels in Abschnitt 1.3 werden wir solche Konzepte nennen.

    Ist eine Disziplin irrelevant für den Unterricht, die nicht offen in Lehrplänen auftritt und somit auch nicht im Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler und vielleicht auch der Lehrkräfte präsent ist?

    Die Friedrich-Schiller-Universität Jena bietet ihren Lehramtsstudierenden ein Pflichtmodul namens „Einführung in die Schulwirklichkeit". Man führt also Menschen in eine Wirklichkeit ein, in der sie die letzten zwölf oder 13 Jahre ihres Lebens verbracht haben. Das ergibt nur Sinn, weil Schüler- und Lehrerperspektive sich wesentlich unterscheiden: Lehrkräfte sollten hinter dem Schulstoff fachliches Wissen erkennen, das mehr ist als didaktische ‚Tricks und Kniffe‘ für den Unterricht, ein Wissen, das zum Verständnis und zur Vermittlung und Überprüfung der offen artikulierten Zielkompetenzen erforderlich ist. Moll/Thielmann (2017: 18) beklagen:

    „Lehrer sind eine besondere Art institutioneller Agenten. Ihr gewöhnlicher Bildungsweg sieht folgendermaßen aus: Schule – Universität – Schule. Lehrkräfte bleiben der Institution Schule treu, sie wechseln nur die Seiten. Dies führt zu einer interessanten Erscheinung: An der Universität sind manche Lehramtsstudenten überrascht, dass sie über das Schulwissen hinaus noch Wissen erwerben sollen – wo sie doch schon alles wissen, was man für die Schule braucht. Ihre Erwartung ist, dass sie auf der Universität lernen, wie sie agentenseitig dasjenige Wissen, das sie sowieso schon haben – also das Schulwissen –, am besten vermitteln. Mit anderen Worten: Das Verhältnis zum Wissen ist bei vielen Lehrern (natürlich nicht allen) genauso äußerlich wie bei den Schülern."

    Die Textlinguistik liefert für den Deutschunterricht vielleicht die besten Beispiele für tieferes Wissen, das Zielkompetenzen erst fassbar macht, insbesondere Wissen über kognitive Prozesse des Textverstehens und der Textproduktion. Jedoch stellte Spinner (1989: 22) fest: „Schon mehrfach ist versucht worden, die linguistische Textanalyse auch für den Deutschunterricht fruchtbar zu machen. In der Schulpraxis haben solche Verfahren aber noch keinen breiten Raum gefunden. Wenn auch ein gewisses Interesse festzustellen ist – so spricht Heinemann (2006: 22) von der Textlinguistik als einer „Fundierungsdisziplin – hat noch kein Paradigmenwechsel stattgefunden, der die Textlinguistik zum selbstverständlichen Bestandteil des Deutschunterrichtes gemacht hätte.

    Wo liegen die Schwierigkeiten? Sie beginnen bei der Definition der Beschreibungseinheit selbst – was ist ein Text? Etwas Geschriebenes? Etwas, das aus mehreren Sätzen besteht, wie die oben formulierte Annäherung „System aufeinander bezogener Sätze" nahelegt? Eine solche Definition bietet sich an, wenn man diejenigen Textkompetenzen in den Vordergrund stellt, die (rezeptiv oder produktiv) mit der sinnstiftenden, plausiblen Verknüpfung von Sätzen zu einem Text zu tun haben (vgl. Schwarz 2000: 25), also mit dem Roten Faden eines Textes, oder fachlich ausgedrückt: mit Kohäsion und Kohärenz (→ 3 und in Anwendung auf literarische Texte Kap. 4).

    Bei der Rezeption dieser Überschrift werden Leser:innen selber die Information einfügen, dass der Textteil nach dem Gedankenstrich der Grund für den zuerst ausgesagten Sachverhalt ist. Das Beispiel zeigt auch, dass trotz einer strukturellen Herangehensweise, die die Sprache nach den Einheiten Laut/Buchstabe – Wort – Satz – Text gliedert, für die Textdefinition ein traditioneller Satzbegriff nicht erforderlich ist: Das Beispiel enthält keine Verben, aber zwei inhaltlich satzwertige Einheiten.

    Auch das Kriterium der Schriftlichkeit oder Mündlichkeit ist nicht so trivial, wie es scheint: Ist eine schriftlich ausformulierte Rede, die vom Blatt abgelesen wird, mündlich? Ist ein Internet-Chat schriftlich? Darauf werden wir in Abschnitt 2.2 eingehen.

    Für eine Verortung der Textlinguistik innerhalb der Linguistik bleibt festzuhalten: Die Textlinguistik ist keine Fortsetzung der Grammatik mit größeren Beschreibungseinheiten, auch wenn sie sich satzübergreifenden Strukturen als den typischen Textstrukturen zuwendet (Schwarz-Friesel/Consten 2014: 18). Vielmehr macht die Erkenntnis, dass Textverstehen ein kreativer, Sinn erzeugender Prozess ist, der nichtsprachliches Erfahrungswissen aktiviert, die Textlinguistik zu einer kognitionsorientierten Disziplin, die auf einer abstrakten Ebene nicht nur Formen, sondern auch mentale Prozesse beschreibt. Die kommunikative Funktion von Texten bringt die Textlinguistik in die Nähe der linguistischen Pragmatik (die sprachliches Handeln und Form-Funktions-Beziehungen beschreibt) und der Sozialwissenschaften. Als sprachwissenschaftlicher Brückenkopf zur Literaturwissenschaft hat die Textlinguistik zudem Berührung mit hermeneutischen Interpretationsprozessen – hiervon wird in Kapitel 4 die Rede sein.

    Bei so viel Komplexität und Interdisziplinarität mag die Textlinguistik Deutschlehrer:innen keine klaren Regeln und Normen für den Deutschunterricht liefern, aber das leisten auch linguistische Orthografie- und Grammatikforschung nicht. Schließlich muss hier unterschieden werden zwischen komplexen Forschungsdiskussionen beispielsweise um Wortarten und Kasus und der didaktischen Reduktion solcher Konzepte im Schulkontext, mit denen sich der nächste Absatz befasst.

    1.2 Textlinguistik und Deutschdidaktik: Nicht immer eine Liebesbeziehung

    Somit ist festzustellen, dass die empirische statt normative Herangehensweise der Textlinguistik und die Unmöglichkeit, rezeptive und produktive Textkompetenz in Verhaltensregeln zu fassen, die Textlinguistik und ihr Potenzial für die Deutschdidaktik fragwürdig gemacht haben. So schreibt Baurmann (2000: 822):

    „Die Textlinguistik konnte (und kann) keine problemlos umzusetzende Theorie für den Schulgebrauch anbieten […] und vermag noch nicht überzeugend zu vermitteln, dass ihre Ergebnisse und Methoden den Muttersprachenunterricht bereichern können."¹

    Den Mangel an „Problemlosigkeit" schon in der Frage nach einer Textdefinition nennt auch Heinemann (2006) als einen Grund für die marginale Rolle der Textlinguistik in der Deutschdidaktik. Problemlosigkeit wird allerdings kaum eine Fachwissenschaft versprechen können, und es ist fraglich, ob wirklich Theorien für den Schulgebrauch umzusetzen sind oder eher grundsätzliche Erkenntnisse über den Gegenstand, in diesem Falle über den Text als materielles Konstrukt und über Lese- und Schreibkompetenz als zu entwickelnde mentale Eigenschaft.

    Die Linguistik betreibt Theoriebildung, setzt sich mit Nachbar- und Konkurrenztheorien auseinander. Erkenntnisse, die daraus entstehen, sind auch der Deutschdidaktik nicht fremd. Sie werden dort aber häufig als selbstverständliche, konsensuale „Modelle" und ohne Bezug zu einem fachwissenschaftlichen Diskurs angeboten.² Andererseits findet in der Fachdidaktik ebenfalls eine komplexe und abstrakte Theoriebildung statt, die einen eigenen fachwissenschaftlichen Anspruch hat oder zumindest (bei einer besseren Vernetzung von Textlinguistik und Deutschdidaktik im wissenschaftlichen Diskurs) haben könnte. Von einer problemlos umzusetzenden Theorie für den Schulgebrauch haben sich derartige Modelle also auch entfernt, und so muss man sich fragen, warum explizit textlinguistische Erkenntnisse schlechter für den „Schulgebrauch" geeignet sein sollten als fachdidaktische Modelle.³

    Um das Potenzial textlinguistischer Theorien und Konzepte für den Deutschtunterricht aufzuzeigen, greift dieses Buch auf zahlreiche Beispiele zurück. Eine wichtige Grundlage bildet dabei der Kurzprosatext Sonntag von Selim Özdogan. Dieser Text findet sich in aktuellen Thüringer Deutschlehrwerken eher selten, obwohl er thematisch und strukturell bedingt für den Deutschunterricht der mittleren und höheren Jahrgangsstufen gut geeignet erscheint. Mithilfe von Sonntag wollen wir die Liebesbeziehung zwischen Textlinguistik und Deutschdidaktik in beide Richtungen fördern. Schließlich haben wir es mit

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