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Die Jesus DNA
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eBook429 Seiten5 Stunden

Die Jesus DNA

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Über dieses E-Book

Sind Zeitreisen möglich? Und was passiert, wenn ein Zeitreisender in die Vergangenheit aufbricht?
Antonia Hendriks lebt mit Ehemann Ron und ihrer Tochter Elena in der Nähe von San Diego. Sie arbeitet in einem Institut des Losh-Konzerns und ist verantwortlich für die Isolierung und Kartierung von DNA ausgestorbener oder vom Aussterben bedrohter Spezies.
Als sie innerhalb des Konzerns einen lukrativen neuen Job angeboten bekommt, ist sie zu Beginn Feuer und Flamme für das Projekt für Zeitreisen, sieht sie es aber über die Zeit immer kritischer und bekommt mehr und mehr Skrupel. Das Forscherteam entwickelt die Idee, den ersten Menschen nach Galiläa zurzeit Jesus zu schicken. Doch der Zeitreisende kehrt nicht zurück, sondern sendet nur eine nebulöse Nachricht und einige Gewebeproben.
Ron und Antonia sind höchst besorgt und haben die größten moralischen Bedenken. Dann treffen sie eine folgenschwere Entscheidung.
SpracheDeutsch
HerausgeberChiara-Verlag
Erscheinungsdatum22. Apr. 2022
ISBN9783961272808
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    Buchvorschau

    Die Jesus DNA - Marco Baldrich

    Impressum

    Die

    Jesus DNA

    Marco Baldrich

    Impressum

    Copyright: Chiara Verlag im vss-verlag

    Jahr: 2022

    Lektorat: Chris Schilling

    Covergestaltung: Giuseppa Lo Coco-Ame

    Verlagsportal: www.vss-verlag.de

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie

    Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.

    Matthäus 17, 2-3

    Auf einmal wurde Jesus vor ihren Augen verwandelt: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider strahlten hell. Plötzlich erschienen Mose und der Prophet Elia. Sie redeten mit Jesus.

    Markus 9, 2-4

    …. Da wurde Jesus vor ihren Augen verwandelt. Seine Kleider strahlten so glänzend hell, wie nichts auf dieser Erde leuchten könnte. Dann erschienen Elia und Mose und redeten mit Jesus.

    Lukas 9, 29-31

    Als Jesus betete, veränderte sich sein Gesicht, und seine Kleider strahlten hell. Plötzlich standen zwei Männer bei ihm: Mose und Elia. Auch sie waren von hellem Licht umgeben und sprachen mit Jesus über seinen Tod, ….

    Matthäus 28, 2-3

    Plötzlich fing die Erde an zu beben, und ein Engel Gottes kam vom Himmel herab, wälzte den Stein, der das Grab verschloss, beiseite und setzte sich darauf. Er leuchtete hell wie ein Blitz, und sein Gewand war weiß wie Schnee.

    Markus 16, 5

    Sie betraten die Grabkammer, und da sahen sie auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der ein langes weisses Gewand trug. Die Frauen erschraken sehr.

    Lukas 24, 4-5

    …. Da traten zwei Männer in glänzend weissen Kleidern zu ihnen. Die Frauen erschraken und wagten nicht, die beiden anzusehen.

    PROLOG

    Es geschah um das Jahr 10'000 vor unserer Zeitrechnung, hoch oben in den Rocky Mountains, im heutigen Staate von Wyoming. Die letzte Eiszeit hielt das Land immer noch fest in ihrem Griff.

    Das Weibchen der Art Smilodon fatalis fror wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie wog keine 100 kg mehr. Vor ein paar Jahren noch brachte sie annähernd das Zweieinhalbfache auf die Waage. Ihr letztes Junges sowie der auf ein paar wenige Mitglieder zusammengeschrumpfte Rest ihrer Sippe war vor Wochen erfroren oder fiel als leichte Beute anderen Raubtieren zum Opfer, denen es jetzt aber auch nicht mehr viel besser erging als ihr. Ruhig war es um sie geworden, viel zu ruhig für ein Tier, das es bevorzugte, in der Gruppe zu leben und mit ihresgleichen auf die Jagd zu gehen. Als einzige Begleiter blieben ihr der nagende Hunger und der eisige Wind aus dem Norden, der seit Tagen unablässig über sie hinwegfegte und alles unter einer immer dicker werdenden Schicht aus Schnee und Eis begrub.

    Der letzte Riss eines Mammutjungen oder eines saftigen Riesenfaultiers lag schon viel zu lange zurück. Vor Jahren ging es der Sippe noch recht gut, sie konnten es sich sogar erlauben, nur die schmackhaftesten und leckersten Beutetiere zu erlegen. Aber seither mussten sie sich immer mehr bescheiden und die ersten, die verhungerten, waren diejenigen, die sich mit dem Fraß von Fröschen, Schnecken und anderem Kleingetier nur mühsam oder gar nicht anfreunden konnten.

    Sie war jetzt die letzte ihrer Art, suchte vergeblich Schutz hinter einer Schneewehe und rollte sich nach Katzen Art so gut es ging zusammen, um dem eisigen Wind so wenig Angriffsfläche wie irgend möglich zu bieten. Doch diese Kälte kannte keine Gnade und sog unerbittlich die letzte Lebensenergie aus ihr heraus. Kurz bevor sie für immer einzuschlafen drohte, sammelte sie noch einmal all ihre Kräfte, um ein paar sinnlose Schritte nach vorne zu wanken. Dann brach sie erschöpft zusammen und gab ihr allerletztes leises Knurren von sich. Schnell bedeckten sie Schnee und Eis mit einer meterhohen Schicht.

    Seitdem gilt der Säbelzahntiger als ausgestorben.

    -1-

    Der Beginn des Frühlings fiel am 21. März 2086 auf einen Donnerstag. Antonia Hendriks würde bald von der Arbeit nach Hause kommen. Ihr Ehemann Ron saß derweil in seinem Rollstuhl auf der Terrasse vor ihrem gemeinsamen Haus. Wie gewöhnlich trug er bei der Arbeit seine Virtual-Reality-Brille und die dazu passenden Handschuhe, die es ihm erlaubten, die Dateien in seinem Blickfeld zu bearbeiten. Dabei ruhten seine Unterarme auf dem kleinen Tischchen vor ihm und die Finger tanzten in atemberaubender Geschwindigkeit hin und her. Nur gelegentlich hob er mal die eine und mal die andere Hand etwas an und wischte ein wenig nach links oder rechts.

    Die Zeitangabe rechts oben in seinem Blickfeld sprang gerade auf 18 Uhr.

    Für den Weg vom Institut in La Jolla, in dem sie arbeitete, bis zu ihrem Zuhause brauchte Antonia in aller Regel etwas weniger als eine Stunde.

    Ron lehnte sich leicht zurück, setzte seine Brille ab und streckte seinen Oberkörper so gut es ging. Er ließ seinen Blick kurz über die Akten und Dossiers schweifen, die um ihn herum auf dem umfunktionierten alten Campingtisch lagen. In diesem Augenblick neigte sich der Sonnenschirm mit einem leichten Ruck, der Sonne folgend, ein paar Grad weiter nach Westen. Die äußere hauchdünne Beschichtung mit Solarzellen hielt eine kleine integrierte Kühleinrichtung in Betrieb, die konstant für angenehme 22 bis 23° C im von ihr bedeckten Bereich sorgte. Ron schaute von unten auf die große gelbe Plane, die fast die ganze Terrasse beschattete. Vom Pazifik, den man heute am Horizont gut erkennen konnte, kam jetzt am Abend eine leichte Brise den Hang hinaufgezogen. Angenehm wehte sie durch sein hellgrünes Poloshirt, das er locker über den Jeans trug.

    Langsam fuhr sich Ron, nachdem er sich auch seiner digitalen Handschuhe entledigt hatte, durch die kurzen dunklen Haare, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und fixierte weiter das Tuch über ihm. Eigentlich konnte er sich nicht beklagen. Mit Antonia führte er eine gute, ja eine sogar sehr gute Ehe und sie beide liebten ihre Tochter Elena, die erst vor ein paar Tagen acht Jahre alt geworden war. Das gemeinsame Haus war so gut wie abbezahlt und über mangelnde Arbeit konnte er sich auch nicht beklagen.

    Bloß an den Rollstuhl, der ihn seit jetzt bald zehn Jahren an sich fesselte, wollte er sich nicht gewöhnen. Damals, gerade 31 Jahre alt und frisch verheiratet, war er beim abendlichen Joggen von einem angetrunkenen Autofahrer angefahren worden. Der Wagen, der ihn erfasste und in den Straßengraben schleuderte, war einer jener Oldtimer gewesen, die noch mit einem Verbrennungsmotor liefen und einen Fahrer mit Händen am Lenkrad und Füssen an den Pedalen benötigten. Von einer Feier mit und für alte Fahrzeuge kommend, hatte er Ron in einer Kurve übersehen und mit voller Wucht erwischt. Es ging damals mehrere Tage durch die Presse und selbst der lokale Fernsehsender nahm sich während der Nachrichten zur besten Sendezeit des Themas an. Verkehrsunfälle mit Personenschaden galten seit Jahren als absolute Rarität und genossen die ganze Aufmerksamkeit der Medien. Nur dem Können und Geschick der Ärzte war es zu verdanken, dass er beide Beine behielt. Die behandelnden Spezialisten sahen in den darauffolgenden Wochen und Monaten eine, wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit, dass er irgendwann wieder einmal laufen könnte, aber die Chancen sanken von einer Operation zur anderen.

    Seinerzeit, auf der Intensivstation liegend, ging ihm einmal die Frage durch den Kopf, wie und wo man heutzutage überhaupt noch an ausreichende Mengen Benzin gelangen konnte. Mit Elena hatten sie vor ein paar Jahren mal ein Heimatmuseum besucht, in dessen Eingangsbereich eine Tankstelle aus den Anfängen des Jahrhunderts aufgebaut war. Er erinnerte sich noch, wie die Großeltern ihren Enkeln die Funktionsweise erklärten und, dass man nach dem Tankvorgang bezahlen musste. Ungläubig und mit offenen Augen und Mündern konnten es die Kleinen kaum glauben.

    Als nächstes stand für ihn jetzt eine Behandlung mit einem neuen gentechnologisch synthetisierten Nervenwachstumsfaktor auf dem Programm. Man würde wieder abwarten müssen und natürlich gab er wie jedes Mal die Hoffnung nicht auf.

    Zum Glück konnte er fast immer von zu Hause arbeiten und sah sich nur selten genötigt, in die Stadt nach San Diego zu fahren, um Geschäftspartner oder neue Kunden zu treffen. Für ihn als selbstständigen Informatiker war es ziemlich egal, von wo aus er operierte. Seine Haupttätigkeit bestand darin, die Sicherheitssysteme von Computernetzwerken verschiedener Firmen zu testen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. Das Geschäft florierte und es gab mehr als genug zu tun. Heute sollte er sich um die Zugangskontrollen für die Produktion eines Chips kümmern, der seit geraumer Zeit in aller Munde war und seine Erfinder in kürzester Zeit zu bekannten Multimillionären avancieren ließ. Diesen Chip pflanzten sich junge wie auch ältere Paare ein und er maß und steuerte die Konzentration der Hormone, die üblicherweise nur Frischverliebte ausschütteten. So konnte das Gefühl der jungen Liebe immer wieder erneuert und beliebig lang aufrechterhalten werden. Relation-Chip war der nicht gerade originelle Name dieser kleinen Platine. Natürlich wollten seine Hersteller mit höchster Priorität sicherstellen, dass sich niemand Unbefugtes von außen in dieses System der Gefühle hacken konnte.

    Ein leiser Piepston hinderte ihn daran, seinen Tagträumereien weiter nachzuhängen. Schnell setzte er seine Computerbrille wieder auf und sah rechts unten ein kleines sich öffnendes Fenster. Antonia saß entspannt in ihrem selbstfahrenden Elektromobil und lass ganz offensichtlich auf der Windschutzscheibe die aktuellen Nachrichten. In exakt 12 Minuten würde sie in die Garage fahren.

    „Bis gleich, Schatz", sprach er sie an.

    „Ja, bis gleich", antwortete sie und zwinkerte ihm lächelnd zu.

    Er freute sich jedes Mal aufs Neue über ihre Stimme. Die verbleibenden 12 Minuten gaben ihm jetzt genügend Zeit, die Arbeiten für heute einzustellen und seine Arbeitsutensilien und Unterlagen wieder ins Haus zu bringen.

    Ihr hellblau gestrichenes Holzhaus lag in der zweiten Reihe hinter dem Highway an einem sanft ansteigenden Hang in einer nicht so dicht besiedelten Gegend. In der Nachbarschaft lebten eine ganze Reihe junger Familien. Ähnlich wie sie, die Hendriks, gehörten sie zum wohl etablierten Mittelstand, die sich ein Häuschen mit Meerblick leisten konnten. Früher hätte man gesagt, dass sie zum gehobenen Bildungsbürgertum gehörten. Die Wohnblocks der Armen und die Villen der ganz Reichen waren im wahrsten Sinne des Wortes in beide Richtungen weit entfernt.

    Ron konnte ebenerdig von der Veranda aus in fast alle Zimmer gelangen. Die im unteren Geschoss gelegenen Räume, wie die beiden Zimmer von Elena, den Vorratskeller und das Gästezimmer suchte er eigentlich so gut wie nie auf. Er verabscheute den Lift, der für seinen Rollstuhl fast ungebraucht am Treppengeländer hing und es ihm eigentlich auf einfache Weise ermöglichte, von einer Etage in die andere zu gelangen.

    Nach dem Aufräumen seines Arbeitsplatzes blieb ihm noch genügend Zeit, die Gläser und den Weißwein aus dem Kühlschrank zu holen sowie ein paar Salzstangen und Cracker auf einem Tellerchen anzurichten. Die Flasche stellte er zur Kühlung in einen mit etwas Wasser gefüllten Terrakottabehälter und platzierte alles auf den näher am Geländer der Terrasse stehenden Holztisch. Ihr gemeinsamer Sun-Downer am Abend bestand meistens aus ein bis zwei Gläschen Wein und gehörte seit Jahren zum festen Bestandteil ihres Alltags. Hier saßen sie dann und Antonia, knapp zwei Jahre jünger als Ron, frönte dann meistens ihrer Leidenschaft, die Ereignisse des Tages für ihn noch einmal Revue passieren zu lassen. Es stellte eines ihrer Grundbedürfnisse dar, nach dem Eintreten in die eigenen vier Wände, sich alles, was sie in den letzten 12 Stunden beschäftigt hat, von der Seele zu reden. In ihm fand sie dabei zum Glück einen Partner, der das ganz offensichtlich zu genießen wusste und dann und wann mit seinen Fragen auch demonstrierte, dass er zuhörte und ihn das Erzählte auch interessierte. Seine Berichte dagegen fielen eher sparsam aus und beschränkten sich auf ein paar wenige Sätze über seine neuesten Projekte.

    Für Antonia war es selbstverständlich, ihm in all den Jahren nach seinem Unfall immer wieder Mut zu machen und die Hoffnung an eine Heilung nicht aufzugeben. Gerade in der ersten, besonders schwierigen Zeit im Rollstuhl hat sie ihn rund um die Uhr unterstützt und ihre Liebe zu ihm hatte durch seine plötzliche und unerwartete Behinderung keinerlei Schaden genommen. Als lebendiger Beweis galt für beide ihre gemeinsame kleine Tochter Elena. Um diese Zeit spielte sie gewöhnlich unten in ihren Zimmern mit einer Freundin aus der Nachbarschaft oder saß ein Stockwerk weiter oben unweit ihrer Eltern vor der Fernsehtapete.

    Pünktlich 12 Minuten nach der Ankündigung auf Rons Brille parkte Antonias chinesischer Kleinwagen in der Garage exakt über den Ladeschleifen zum wieder Aufladen der Batterien. Sie eilte direkt zu Ron hinauf auf die Terrasse und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

    „Ich bin gleich wieder da. Ich will nur Elena Guten Tag sagen und etwas Anderes anziehen." Dabei nestelte sie bereits an den obersten Knöpfen ihres hellbraunen Hosenanzugs herum und verschwand wieder im Haus.

    Ron öffnete derweil die Flasche Chardonnay aus dem Napa Valley und schenkte ihnen beiden ein.

    Wenig später erschien Antonia in einer grauen Trainingshose und einem ausgewaschenen roten T-Shirt. Ihre knapp schulterlangen schwarzen Haare trug sie mit einem einfachen Gummiband nach hinten zusammengebunden. Sie machte einen entspannten und erholten Eindruck als sie sich im Schneidersitz in den weit ausladenden Korbstuhl direkt vor dem Geländer niederließ. In einer fließenden Bewegung schnappte sie sich dabei ihr Glas Wein und prostete Ron mit einer knappen Bewegung zu. Der Sonne Süd-Kaliforniens war es geschuldet, dass ihre Haut eine leicht bronzene Färbung aufwies und sich um ihre kastanienbraunen Augen die ersten Fältchen zeigten. Ihr drahtiger und durch regelmäßiges Yoga und gelegentliche Besuche im Fitness-Center schlank gebliebener Körper ließ sie etwas jünger erscheinen als sie eigentlich war.

    Gemeinsam blickten sie eine kurze Weile auf das nur wenige Kilometer entfernt liegende Meer hinaus. Nach Kosten ihrer ersten Feierabend-Schlucke dauerte es auch nicht mehr lange, bis Antonia loslegte.

    „Heute haben wir endlich das Smilodon-Projekt abgeschlossen!", begann sie.

    „Na toll! Gratuliere! Endlich!", Ron konnte sich dabei einen leicht ironischen Unterton nicht verkneifen und tat Antonia auch nicht den Gefallen, sofort zu fragen, was ‚Smilodon’ überhaupt bedeutete. Sie würde es ihm sowieso gleich erzählen.

    Antonia und er hatten sich vor knapp 15 Jahren an der Universität von San Francisco kennen gelernt. Sie arbeitete damals an ihrer Masterarbeit in Molekularbiologie und benötigte zur Auswertung der von ihr zusammengetragenen Daten die Unterstützung eines Statistikers und Informatikers. Ron hatte sein Studium bereits abgeschlossen und war seiner Zeit nur zu gerne bereit, der, wie er fand, überaus attraktiven Studentin unter die Arme zu greifen. Damals wie heute entsprach er nicht dem gängigen Klischee des blassen und übergewichtigen Informatikspezialisten, der sich auch noch spät in der Nacht nicht von seinem Computer lösen konnte und vornehmlich von Chips und Fast-Food ernährte. Ganz im Gegenteil dazu verbrachte er fast jede freie Minute mit Sport. Im Basketball brachte er es sogar bis zum Auswechselspieler der zweiten Universitätsmannschaft. Für seinen Ehrgeiz reichte es aus, wenn er in der Endphase eines Spiels und wenn das Team bereits über einen ordentlichen Vorsprung verfügte, ein paar Spielminuten bekam.

    Ron verstand zwar damals nicht bis ins letzte Detail, was genau Antonia mit ihrer Arbeit beweisen wollte, wusste aber so ungefähr, dass es um Vergleiche von Erbsubstanzen verschiedener Organismen ging und riesige Datenbanken miteinander verglichen und ausgewertet werden mussten. Für ihn war es ein Leichtes, ihr zu helfen und im Gegenzug war aus Antonias Dankbarkeit zu ihm erst Zuneigung und bald darauf Liebe geworden.

    „Ja, es war gar nicht so kompliziert wie zu Beginn vermutet, fuhr Antonia fort, „zum Glück handelte es sich um ein Weibchen und es war über die Jahrtausende im Eis nur wenig beschädigt worden.

    Es war ein Weibchen mit Namen Smilodon?, fragte Ron.

    Antonia musste lachen und erlöste ihn von seiner Neugier.

    „Ja, das waren die Säbelzahntiger, die vor rund 12'000 Jahren in Nordamerika ausgestorben sind. Damals, zum Ende der letzten großen Eiszeit, gab es ein riesiges Artensterben, dem auch der Säbelzahntiger zum Opfer fiel. Das war das Ende des Zeitalters des Pleistozäns und wir, falls Du es nicht wissen solltest, leben jetzt im darauffolgenden Zeitalter des Holozän, der Jetztzeit. Keine Sorge, scherzte sie nach einem kurzen Moment, „ich habe das auch erst vor ein paar Tagen wieder gelernt.

    Ron schmunzelte, ignorierte aber die Erklärungen zu den Erdzeitaltern.

    „Und zum Glück war es ein Weibchen!", stellte er fest, um über diesen Umstand noch mehr zu erfahren.

    „Und was für ein Glück. Mit weiblichen Eizellen ist das Klonieren viel, viel einfacher als mit anderen Zellen und wenn man mal wieder ein lebendiges Weibchen hat, können neue Jungtiere auf natürliche Art und Weise ausgetragen werden. Es ist gar kein Problem, eine Eizelle im Reagenzglas so zu behandeln, dass sie sich wie eine normal befruchtete Eizelle beginnt zu teilen und zu verdoppeln. Diese Zellen der ausgestorbenen Säbelzahntigerin kann man dann einem heute lebenden Katzentier einpflanzen. Ob ein Tigerweibchen die beste Leihmutter ist, müssen wir noch abklären. Bei entsprechender Hormonbehandlung dieses Muttertiers kann ein Säbelzahntigerbaby soweit in ihr heranwachsen, dass es auch nach einem Kaiserschnitt problemlos überleben sollte und -Bingo- wir haben wieder lebendige Original-Säbelzahntiger", dozierte Antonia voller Freude.

    Ron, der Antonias Arbeiten nun schon seit Jahren begleitete, lächelte und sagte: „Ok, ich glaube, ich habe verstanden. Dann kann sich der Zoo in San Diego ja freuen, wenn bald Säbelzahntigerbabies in seinen Gehegen umhertapsen."

    „Quatschkopf!, entgegnete Antonia gutgelaunt und nippte wieder an ihrem Glas, „Du weißt ganz genau, dass wir das nicht wollen. Für mich zählt der Säbelzahntiger aber ab heute nicht mehr zu den ausgestorbenen Arten, sondern er lebt gerade nur nicht in unserer Zeit und er hat eine Vermehrungspause von rund 12'000 Jahren eingelegt. Die aufgearbeiteten Zellen ruhen jetzt in flüssigem Stickstoff und wären im Prinzip bereit für weitere Experimente. Für mich ist das Projekt deshalb erst einmal abgeschlossen. Vielleicht ist es irgendwann sinn- und zweckvoll, auf einst ausgestorbene Tiere und Pflanzen wieder zurückgreifen zu können. Vielleicht können aus ihnen Substanzen gewonnen werden, um Krankheiten zu behandeln oder sie können helfen, gefährdete Ökosysteme wieder zu stabilisieren.

    „Edel, edel. Wahrscheinlich fehlt der männlichen Hälfte der Menschheit noch die segensreiche Kraft, die aus zerstoßenen Säbelzähnen gewonnen werden kann, witzelte Ron, „es könnte das Überleben von Nashörnern und Elefanten erleichtern.

    Antonia ging darauf nicht ein, sondern erzählte mit großer Begeisterung weiter: „Es war wirklich Glück! Das Tier war von oben bis unten in einem Eisblock eingeschlossen. Es muss ziemlich gleichmäßig von Schnee und Eis bedeckt worden und dann ganz und gar bei konstanten Minusgraden durchgefroren sein. Seitdem hat es unbeschadet und unberührt die Jahrtausende überdauert. Wir mussten nicht irgendwelche Lücken in den Chromosomen mit der Erbinformation anderer Raubkatzen auffüllen. Das führt nämlich meistens nicht zu vernünftigen Resultaten."

    „Ich erinnere mich aber, dass Du davon früher erzählt hast. Wenn man nicht die ganze Erbsubstanz isolieren konnte, dann hat man doch das, was gefehlt hat, mit möglichst ähnlicher DNA aufgefüllt, oder nicht?", fragte Ron.

    „Ja schon, man macht es auch heute noch, wenn es nicht anders geht. Aber es hat sich zu oft gezeigt, dass kleinste Unterschiede in wichtigen Abschnitten der Erbinformation die größten Auswirkungen haben können. Menschen- und Schimpansen-DNA sind sich fast identisch, aber selbst Du solltest gewisse Unterschiede zwischen einem Schimpansen und einem Menschen feststellen können." Antonia befand sich in sichtlich bester Stimmung.

    „Ja sicher, obwohl ich bei manchen Menschen das Gefühl habe, zweimal hinschauen zu müssen, bevor ich einen deutlichen Unterschied feststelle. Ich denke mir das so: Wenn ich bei einer zwanzigstelligen Telefonnummer an letzter Stelle statt einer acht eine neun wähle, komme ich ja nicht mit einer Person ins Gespräch, die sehr ähnlich derjenigen ist, mit der ich verbunden werden wollte, sondern mit jemand ganz anderem oder niemandem." Ron konstruierte sich gerne solche Analogien, um die naturwissenschaftlichen Ausführungen von Antonia in seine digitale Welt zu übersetzen.

    „Ja, so ungefähr kann man sich das vorstellen." Antonia bedeuteten diese Art von lockeren Gesprächen mit ihrem Mann sehr viel und sie entspannte sich dabei immer wieder vom Alltag und der täglichen Fahrerei. Schließlich saß sie jeden Tag fast zwei Stunden im Auto und auch wenn sie dabei nur die Nachrichten las oder etwas Fernsehen schaute, waren es doch Stunden, die sie gerne anders verbringen wollte.

    Antonia war nicht immer die begeisterte Naturwissenschaftlerin gewesen. Die ersten Semester an der Universität von San Diego hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes verbummelt. Sie wusste noch nicht so recht, wo ihre eigentlichen Talente lagen und machte sich erst einmal einen Namen als Partygirl. Kaum eine Feier oder ein Wochenende, an dem sie nicht als gern gesehener Gast irgendwo aufkreuzte und als Stimmungskanone brillierte. Kurz bevor die Gefahr bestand, dass eine akademische Ausbildung für sie vielleicht doch nicht das Richtige war, besuchte sie an einem Montag, mehr aus Versehen und nach einer viel zu kurzen Nacht, eine Vorlesung für Studienanfänger in Molekularbiologie. Nach dieser Stunde war sie nicht mehr dieselbe. Antonia wusste von einem Moment auf den anderen, ihre Berufung gefunden zu haben und widmete sich mit Herzblut dem Studium der Genetik und Biochemie. Am Ende besaß sie einen Doktortitel und die Türen an der Universität und in die freie Wirtschaft standen ihr meilenweit offen.

    Zum Ende ihrer Studienzeit begegnete sie Ron und ging kurz darauf mit ihm eine Beziehung ein. Ihr Traum erfüllte sich, eine kleine Familie zu gründen und in ihrem Fachgebiet einem ansprechenden Job mit halbwegs geregelten Arbeitszeiten nachzugehen.

    In ihrer Anstellung, die sie relativ schnell fand, galt sie als recht erfolgreich. Ihr Fachwissen, ihre Offenheit und eine Portion gesunder Pragmatismus kamen bei den Vorgesetzten gut an. Seit nun vier Jahren leitete sie ein kleines Laborteam, das für die Isolierung und Kartierung der Erbsubstanz ausgestorbener oder vom Aussterben bedrohter Pflanzen und Tiere verantwortlich zeichnete. Dieses Team gehörte zu einem Institut in La Jolla, das zu hundert Prozent ein internationaler Großkonzern finanzierte, der sich aus diesen Aktivitäten mögliche zukünftige Einnahmequellen erhoffte.

    Es schenkte Antonia eine besondere innere Genugtuung, wenn, wie an diesem Tag, sie mit daran beteiligt sein durfte, ein eigentlich von der Oberfläche der Erde verschwundenes Lebewesen bei Bedarf wieder auferstehen zu lassen.

    Sie nannte es ‚retten’ und war davon überzeugt, heute den Säbelzahntiger gerettet zu haben.

    Als Spezialistin auf ihrem Gebiet hatte sie sich mit diversen Veröffentlichungen in der Fachwelt bereits einen kleinen Namen gemacht. Wenn es darum ging, DNA aus nicht alltäglichen Proben aufzubereiten und die etablierten Standardmethoden versagten, wurde sie schon hin und wieder von Kollegen aus anderen Teilen des Landes um Rat gefragt. So konnte sie auch einmal Gerichtsmedizinern in Los Angeles bei der Aufklärung eines Verbrechens weiterhelfen, als es ihr gelang, winzige Spuren der Erbsubstanz des vermeintlichen Täters aus einem Tropfen Seife, der auf einer Herdplatte ungünstiger Weise auch noch erhitzt worden war, zu isolieren. Es war bezeichnend für Antonia, dass sie sich mehr darüber freute, dass ihr Resultat die Unschuld und nicht die Schuld des Verdächtigten bewies.

    -2-

    Paul F. Losh saß am gleichen Abend, an dem Antonia Ron von ihrem Abschluss des Smilodon-Projekts berichtete, im zwölften und zugleich obersten Stockwerk seines neuen Bürogebäudes aus Glas und Stahl am Rande von La Jolla. Die meisten Mitarbeiter waren bereits gegangen und in dem Gebäude wurde es allmählich dunkel und still.

    Er kontrollierte zum x-ten Mal in der letzten Stunde seine Uhr. Fulvio Mancini sollte in ein paar Minuten, gegen 21 Uhr, mit dem Dossier bei ihm erscheinen.

    Paul F. Losh, Anfang 60, milliardenschwerer Herr eines weit verzweigten Unternehmens und Chef von weltweit mehr als 30'000 Mitarbeitern, zählte Geduld nicht zu seinen Stärken.

    Seinem Konzern ging es wirtschaftlich gut. Aus einem mittelständischen Unternehmen für Energiespeicher aller Art formte er innerhalb von rund 35 Jahren ein globales Imperium. Pauls Talent bestand darin, stets auf das richtige Pferd zu setzen. Seine Investitionen in die neuesten Technologien für Energiespeicher erfolgten jeweils zum denkbar günstigsten Zeitpunkt. Heute dominierte er den Markt und so gut wie aus keinem Haushalt oder Betrieb waren die Losh-Batterien mehr wegzudenken. Über die letzten Jahre konzentrierte er sich darauf, weltweit kleinere, aber aufstrebende Firmen zu übernehmen oder wenigstens Mehrheitsbeteiligungen an ihnen zu erwerben. Kritiker und Anleger waren besorgt über diese stetig steigende Diversifikation, aber der Erfolg gab Paul ein ums andere Mal recht. Seit 2075 durfte er sich dreimal erfolgreichster Manager des Jahres der Vereinigten Staaten von Amerika nennen.

    Der leicht füllige Mann mit den weißen, kurz geschnittenen Haaren, der sich etwas extravagant, aber immer höchst modisch kleidete, zeigte sich in den letzten Monaten zusehends verändert.

    Das hing nur zu einem Bruchteil mit seiner erst kürzlich über die Bühne gegangenen dritten Scheidung zusammen. Zu seiner Familie, oder besser gesagt, zu seinen drei Familien pflegte er wenige bis keine Kontakte. Seine Exfrauen und die vier inzwischen erwachsenen Kinder aus den ersten beiden Ehen führten ein eher weniger sinnvoll zu nennendes Leben im Jetset und litten dank der mehr als großzügigen Unterhaltszahlungen und Geldgeschenke zu Feiertagen und Geburtstagen in keiner Weise Not. Viel zu spät musste er immer wieder erkennen, dass er nicht alleine der Liebe wegen geheiratet worden war, sondern seine Anziehungskraft auf das andere Geschlecht zu einem sehr großen Teil durch sein Vermögen bestimmt wurde. Dabei zeigte er sich durchaus als charmanter und warmherziger Vater und Ehemann, der nicht nur für seinen Konzern, sondern auch immer wieder für seine Familien ausreichend Zeit fand. Es stimmte ihn in letzter Zeit immer öfter traurig und fast drohte er in Selbstmitleid zu verfallen, dass er sich nie ganz sicher sein konnte, ob man ihn wegen seiner Person oder wegen seines geschäftlichen Erfolges schätzte und bewunderte.

    Den größten Teil des Tages verbrachte er jetzt hier oben in seinem repräsentativen Büro zusammen mit seiner langjährigen Vertrauten und Assistentin Laura Wifel, die um diese Uhrzeit noch im Vorzimmer saß und es nie gewagt hätte, vor ihrem Chef nach Hause zu gehen. Dort hätte sie als alleinstehende Mittfünfzigerin, die die beste Zeit ihres Lebens dem Beruf und ihrem Vorgesetzten geopfert hat, sowieso nur die Stunden gezählt, bis sie wieder ins Büro zurückkehren konnte. Laura war die perfekte Assistentin. Wäre sie eine Krankenschwester, würde ihr jeder ohne Zögern ein ausgeprägtes Helfersyndrom bescheinigen. Nach der letzten Scheidung durfte sie sich vermehrt um Pauls private Angelegenheiten kümmern und zwischen den beiden war ein noch vertrauteres Verhältnis als zuvor entstanden. Und Laura gehörte zu den wenigen Frauen, die Paul nicht wegen seiner Vermögensverhältnisse schätzte.

    Drei der vier Wände von Pauls Büro, das bis auf Lauras kleines Vorzimmer fast das ganze Stockwerk ausfüllte, waren von oben bis unten verglast und erlaubten einen imposanten Rundblick von San Diego im Süden über den Pazifik im Westen bis nach Norden über den Stadtrand von La Jolla hinaus. Je nach Helligkeit und Sonnenstand verdunkelten oder hellten sich die Fensterscheiben selbsttätig auf, um den Raum stets gleichmäßig auszuleuchten. Die Lichttechnik war so intelligent ausgesteuert, dass es einen niemals blendete und, was erst beim zweiten Hinsehen auffiel, im gesamten Büro keinerlei Schatten fielen.

    Das Ambiente war sparsam aber stilvoll eingerichtet. Die Innenarchitekten wünschten sich etwas moderneres, aber Paul mochte es lieber altmodisch. Er saß in einem schwarzen Ledersessel schräg mit dem Rücken zur Wand und blickte diagonal durch den Raum nach Nord-Westen. Vor ihm stand ein schwerer fast leerer Schreibtisch aus dunklem Edelholz, dem gleichen, mit dem auch die Wand hinter ihm und die Eingangstür getäfelt waren. Es bereitete ihm immer wieder großes Vergnügen, wenn Gäste eintraten und vom Ausblick überwältigt glaubten, sie seien alleine im Raum, ehe sie ihn nach einer leichten Kopfbewegung nach links bemerkten. Von der Reaktion der Eintretenden meinte er, auf eine gewisse Persönlichkeitsstruktur schließen zu können. Auf seinem Schreibtisch befanden sich lediglich ein kleiner Monitor, ein veraltetes Mobiltelefon und ein dünner Stapel Papiere. Er mochte sich nicht konzentrieren, wenn ihn mehr als eine unerledigte Angelegenheit umgab. Zudem war er der festen Überzeugung, wenn ein Problem und ein Lösungsvorschlag nicht auf ein bis zwei Seiten Papier zusammengefasst werden konnten, sie noch nicht ausreichend analysiert und durchdacht waren.

    In der Mitte des Raums bot noch ein runder Konferenztisch aus Glas Platz für Gäste. Um diesen herum gruppierten sich sechs mit weißem Leder bespannte Sitzgelegenheiten aus Stahlrohr.

    In den vier Ecken des Büros dienten längliche abstrakte Plastiken aus Holz und Granit als Blickfang und optische Abgrenzung nach außen. Auf ihren Sockeln befanden sich kleine Täfelchen, die diesen Kunstwerken der Reihe nach die nicht vielsagenden Titel ‚Nummer 1’ bis ‚Nummer 4’ gaben.

    Dass Paul F. Losh sich in letzter Zeit verändert hatte, hing vor allem damit zusammen, dass sich ein bisher nur einem kleinen Kreis von Spezialisten bekannter Zweig seines Geschäftsimperiums im letzten halben Jahr erstaunlich schnell und erfolgreich entwickelt hat. Es handelte sich um ein kleines, aber hochfeines physikalisches Forschungslabor, das innerhalb der Konzernleitung mit der Meldung für gehöriges Aufsehen sorgte, man könne unter höchst anspruchsvollen und konstruierten Bedingungen sowie mit extrem großen Energiemengen einfache organische Verbindungen für die Bruchteile einer Millisekunde in der Zeit zurückschicken und dann wieder unbeschadet in die Gegenwart zurückholen. Paul witterte augenblicklich großes Potential hinter dieser Beobachtung und wollte die Arbeiten höchstpersönlich überwachen. Er verordnete allen, die davon wussten, strikteste Geheimhaltung.

    Fulvio Mancini hatte maßgeblich an diesem Erfolg mitgearbeitet. Noch nicht lange Zeit im Konzern, avancierte der smarte Mittdreißiger schon bald zum verantwortlichen Projektleiter für ‚Bewegungen von Masse in der Raumzeit’, wie es offiziell hieß.

    In Rom war es ihm als Gymnasiast vergönnt gewesen, eine hochkarätige, aber auch strenge humanistische Ausbildung an einer der renommiertesten Jesuitenschule des Landes zu durchlaufen. Wenig erfreut zeigte man sich seinerzeit im Orden, als der talentierte junge Mann sich nach seinem Abschluss für das Studium der theoretischen Physik entschied, anstatt eine Karriere in der ‚Gesellschaft Jesu‘ anzustreben. Die oberen des Ordens legten ihm vergeblich nahe, in ihren Reihen zu bleiben und sich doch lieber der Theologie, Philosophie oder ihretwegen auch der Juristerei oder Medizin zu widmen. Er hatte ihnen damals, mehr im Scherz, erwidert, dass ein Philosoph ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund nicht viel taugen könne. Man ließ ihn schweren Herzens ziehen, aber auch wissen, dass er jederzeit wieder willkommen ist, wenn er seine Meinung ändern sollte.

    Dank seines enormen Fachwissens, seiner geradezu charismatisch zu nennenden Ausstrahlung und der Hingabe an seine Aufgaben stieg er im Konzern schnell die Karriereleiter empor und konnte dabei sogar das persönliche Vertrauen von Paul F. Losh gewinnen.

    Pünktlich um 21 Uhr betrat Fulvio nach kurzem Anklopfen und ohne auf eine Antwort zu warten das Büro. Er gehörte zu den wenigen Privilegierten, die Paul auf diese Art und Weise gegenübertreten durften.

    „Hallo Fulvio! Kommen Sie, setzen Sie sich", begrüßte ihn Paul und begab sich zu einem der weißen Lederstühle an dem runden Konferenztisch.

    Die letzten Resultate dieses Physiklabors beanspruchten im Augenblick fast seine ganze Aufmerksamkeit und die anderen vielfältigen Pflichten kamen naturgemäß dabei etwas zu kurz. Dank ausgesuchter und qualifizierter Mitarbeiter sowie einer zurzeit sicheren Konjunkturlage meinte Paul, sich diese

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