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Dilgas Versprechen
Dilgas Versprechen
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eBook532 Seiten7 Stunden

Dilgas Versprechen

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Über dieses E-Book

Ein Krieger, der als Söldner lebt, zählt in der Welt nicht viel. Das hat Dilga früh gelernt und sich längst damit abgefunden.

Gehetzt von einem sadistischen Oligarchen, flieht er in die ihm fremden Monsterberge. Dort endet die Jagd abrupt, denn der Oligarch kennt deren Gefahren. Dilgas Erleichterung wird zu Panik, als unvermittelt ein Satyr vor ihm steht. Was zunächst wie sein Ende aussieht, wird zu einem Schritt in ein neues Leben, in dem der Satyr eine wichtige Rolle spielt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Jan. 2016
ISBN9783738055009
Dilgas Versprechen

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    Buchvorschau

    Dilgas Versprechen - Martin J. Christians

    Martin J. Christians

    Dilgas Versprechen

    Fantasy

    Dieses eBook wurde erstellt bei

    neobooks.com

    Inhaltsverzeichnis

    1.Kapitel

    2.Kapitel

    3.Kapitel

    4.Kapitel

    5.Kapitel

    6.Kapitel

    7.Kapitel

    8.Kapitel

    9.Kapitel

    10.Kapitel

    11.Kapitel

    12.Kapitel

    13.Kapitel

    14.Kapitel

    15.Kapitel

    16.Kapitel

    17.Kapitel

    18.Kapitel

    19.Kapitel

    20.Kapitel

    21.Kapitel

    22.Kapitel

    23.Kapitel

    24.Kapitel

    25.Kapitel

    26.Kapitel

    27.Kapitel

    28.Kapitel

    29.Kapitel

    30.Kapitel

    1.Kapitel

    Wasser! Dilga stolperte vorwärts. Ein kleines Rinnsal sickerte aus der Felswand. Wie ein glänzendes Tuch rann das Wasser am grauen Stein herab und sammelte sich darunter in einem flachen Becken. Unsicher warf er einen Blick zurück.

    Seine Verfolger waren zurückgeblieben. Aber warum? Seine Spur hatten sie unmöglich verlieren können. Er kannte diese Berge nicht und war von einer Sackgasse in die nächste gestolpert, nur um am Ende auf diesem Weg zu landen. Ein schmaler steiniger Pass, der sich immer weiter den Berg hinauf schlängelte.

    Erschöpft sank er neben dem Bassin auf die Knie. Das Wasser war vollkommen klar, so dass er bis auf den Grund sehen konnte. Ein rissiger Boden, durch den das Nass wieder in den Berg zurück tröpfelte. Zögernd tunkte er eine Hand hinein. Es war kalt und versprach Frische. Wie Sandpapier fuhr seine Zunge über die spröden Lippen. Alles in ihm schrie danach sich auf den Bauch zu legen und zu trinken. Er roch an den Tropfen, die seine Finger hinab rannen, ohne einen Geruch feststellen zu können.

    Dilga benetzte sich die Lippen. Unwillkürlich fuhr seine Zunge aus dem Mund und leckte einen Teil des Wassers ab. Sein ausgedörrter Körper verlangte nach mehr. Mit beiden Händen schöpfte er das kühle Nass. Am Ende war es gleich, ob ihn der Oligarch umbrachte oder vergiftetes Wasser.

    Er beugte sich nach vorn über das Wasserloch und musste die Augen schließen. Ihm war schwindelig. Die gnadenlose Hetzjagd durch die winterlichen Berge forderte endgültig ihren Tribut. Seine Peiniger hatten ihn absichtlich das eine oder andere Mal entkommen lassen. Zu sehr genossen sie ihre Menschenjagd. Nicht auszudenken, welche neue Teufelei sie jetzt ausgeheckt hatten. Er zwang sich seine Augen wieder zu öffnen.

    Ein riesiges funkelndes Auge starrte ihn aus dem Wasserloch heraus an. Entsetzt fuhr er zurück und prallte mit dem Rücken gegen ein Hindernis. Mit einem heiseren Schrei wirbelte er herum. In einem antrainierten Reflex fuhr seine Hand an die linke Seite. Vergeblich griff sie nach dem fehlenden Schwert.

    Das Auge, das ihn aus dem Teich heraus angestarrt hatte, gehörte zu einem Monster. Einem Untier mit rotem Fell, das ihn um eine halbe Körperlänge überragte. Dazu kamen noch Schwingen, die es zusammengefaltet auf dem Rücken trug. Es stand aufrecht auf den Hinterbeinen, wie ein Mensch.

    Die beiden Klauen, mit den messerscharfen Krallen, streckten sich nach ihm aus. Dilgas Blick blieb an den grausamen spitzen Zähnen hängen. Sein Verstand weigerte sich zu akzeptieren, was da vor ihm stand. Ein Satyr! Voller Panik kroch er aus der Reichweite der Pranken und stemmte sich auf die Füße.

    Das Monster hielt den Kopf schräg und musterte ihn eine Weile, dann grapschte es nach ihm. Erschrocken schlug er die Klaue beiseite. Es zischte ärgerlich und griff erneut nach ihm.

    Dilga wich aus. Verzweifelt hielt er Ausschau nach etwas, das ihm als Waffe dienen konnte. Aber es gab nichts.

    Entschlossen trat er dem Satyr vors Schienbein und bereute es. Es fühlte sich an, als ob er gegen einen Baum getreten wäre. Aber wenigstens keuchte auch sein Gegner vor Schmerz.

    Unvermittelt schlug der Satyr zu. Die Klaue traf ihn am Kinn. Seine Zähne schlugen aufeinander, dann schmeckte er Blut und ging zu Boden.

    Das Untier beugte sich über ihn, packte seine Handgelenke und riss ihn hoch. Dilgas Herz raste vor Angst. Gleichzeitig blieb ein Teil von ihm ruhig, schätzte seine Möglichkeiten ab.

    Der Satyr hatte sein Gewicht nach vorn verlagert. Mit aller Gewalt warf Dilga sich gegen sein Standbein. Der Satyr strauchelte, ließ aber nicht los.

    Gemeinsam stürzten sie zu Boden. Das Monster war stark und unglaublich schnell. Einen Augenblick rangen sie miteinander, dann drückte der Satyr ihn mit seinem Gewicht zu Boden. Dilga rang nach Luft.

    Der Satyr lachte. Verblüfft vergaß er seine Gegenwehr. Der Satyr lachte wie ein Mensch; nicht sehr laut und auch nicht bösartig. Es klang eher amüsiert.

    »Genug gezappelt, Mensch?«

    Es sprach! Das Monster hatte ihn angesprochen, mit einer angenehm dunklen Stimme und deutlich artikulierten Worten. Dass der Satyr keine hirnlose Bestie war, hatte er schon während des kurzen Kampfes gemerkt. Aber er war auch intelligent genug, um zu reden.

    »Füge dich in dein Schicksal, Mensch. Du kannst mich nicht besiegen.«

    Das rote Gesicht näherte sich Dilgas, bis der spitz vorstehende Bart ihn fast berührte. Heißer Atem streifte seine Wange. Er drehte den Kopf weg. Der Satyr hatte Recht. Ohne Waffen hatte er keine Chance gegen ihn.

    Zum wiederholten Mal verfluchte er Oleg. Der verdammte Oligarch, der ihn gezwungen hatte, waffenlos und ohne Rüstung in die ihm fremden Berge zu fliehen. Er hatte nichts mehr, außer seiner dünnen Kleidung und den abgetragenen Stiefeln.

    Der Satyr entfaltete seine schwarzen Flügel. Das ließ ihn noch riesiger erscheinen. Unwillkürlich zuckte Dilga zurück und stieß sich den Kopf am harten Felsen.

    »Vorsicht, Mensch!«, lachte der Satyr.

    Dieses Lachen zerrte schlimmer an seinen Nerven, als ein geiferndes Tier, das knurrend über ihm saß. Die Augen musterten ihn mit einer Mischung aus Spott und Neugier.

    »Mensch?« Der Bart berührte seine Wange. Die Haare waren hart und kratzten auf seiner Haut, wie die Feile eines Schmiedes. »Du stirbst mir doch nicht vor Angst?« Der Satyr schnupperte. »Du hast Angst. Ich kann es riechen.«

    Was wollte das Untier von ihm? Die Geschichten, die man sich über die Satyr erzählte, wirbelten in Dilgas Kopf durcheinander. Allen war gemein, dass sie als blutrünstige Bestien galten. In keiner wurde auch nur angedeutet, dass sie sprechen konnten. Er selbst hatte sie für eine Legende gehalten, mit der Eltern ihre unartigen Kinder erschreckten. Bis vor wenigen Minuten jedenfalls. Wenigstens wusste er jetzt, warum Oleg die Verfolgung eingestellt hatte.

    »Rede mit mir, Mensch!«, forderte der Satyr ungeduldig. Eine der Klauen grub sich tief in seine ungeschützte Schulter und Dilga stöhnte. »Stumm bist du jedenfalls nicht«, stellte der Satyr zufrieden fest. »Soll ich dir wehtun oder sprichst du freiwillig mit mir?«

    Das Herz schlug Dilga bis zum Hals. Dass er kaum atmen konnte, lag nicht nur am Gewicht seines Gegners. Sein leichenblasses Gesicht spiegelte sich in den Augen seines Kontrahenten und hatte im Augenblick wenig Ähnlichkeit mit dem eines kampferprobten Kriegers.

    »Menschen reden doch sonst so gern. Ich höre sie, wenn sie durch meine Berge lärmen«, lachte er bösartig. »Sie schreien selbst dann noch, wenn sie ihre Luft lieber zum Rennen verwenden sollten.«

    »Was willst du?«, fragte Dilga unsicher.

    Genugtuung blitzte in den dunklen Augen auf. Der Satyr hatte einen weiteren Sieg über ihn errungen und er genoss es. »Reden.«

    »Reden?«, hakte Dilga ungläubig nach.

    »Dein Geruch ist interessant«, bemerkte der Satyr.

    Interessant? Hoffentlich bedeutete das nicht lecker! Sein Inneres verkrampfte sich. Viele Geschichten erzählten, dass die Satyr Menschenfresser waren. Sie rissen einem bei lebendigem Leib die Knochen auseinander, hieß es. Dilga unterdrückte seine Angst. Er musste etwas sagen. Irgendetwas, um das Monster zufrieden zu stellen.

    Der Satyr ließ seine Schultern los. Nur mühsam unterdrückte er den Reflex sich zu wehren. Damit rechnete sein Gegner bestimmt. Eine der Klauen tastete seinen drahtigen Körper nach versteckten Waffen ab. Dumm war der Satyr auf keinen Fall. Er hoffte, dass er noch die Gelegenheit bekam, mit diesem Aberglauben aufzuräumen.

    Überraschend gab der Satyr ihn frei. Dilga stützte sich rücklings auf die Ellbogen. Seine Rippen schmerzten und das Atmen bereitete ihm Mühe, aber wenigstens hatte er sich nichts gebrochen.

    »Wie heißt du?«

    Dilga zögerte mit der Antwort. Vielleicht war es ein Fehler seinen Namen zu nennen. Namen bedeuteten Macht. Andererseits - solange sie miteinander sprachen, blieb er am Leben »Dilga.«

    »Kannst du aufstehen, Dilga?« Der Satyr wich zurück.

    Dilga rappelte sich mühsam auf. Dabei nutzte er die Gelegenheit sich nach einem Versteck umzusehen. Ohne Erfolg. Es gab hier nichts als karge Felsen.

    »Komm!«, befahl der Satyr, packte ihn an der Schulter und schob ihn vor sich auf den Weg.

    Automatisch gaben seine Beine dem Zwang nach. Seinem Verstand fiel es zunehmend schwerer sich gegen die Panik Gehör zu verschaffen. »Wohin bringst du mich?«

    »In meine Höhle.«

    Im Geist sah Dilga ein dunkles Höhlenlabyrinth vor sich, dessen Gänge menschliche Knochen säumten. »Was willst du von mir?« Die Angst verlieh seiner Stimme einen heiseren Klang.

    »Dich zum Essen einladen.«

    Dilga schluckte. Erneut suchte er das Gelände verzweifelt mit seinen Blicken ab. Hier gab es nicht einmal größere Pflanzen. Nur Moose und Flechten, die bereits braun wurden, obwohl der Winter gerade erst begonnen hatte.

    Der Satyr ließ ihn los. Er wusste, dass ein Mensch ihm hier ohne Pferd nicht entkommen konnte. Dilgas Blick folgte dem steiler werdenden Pfad und blieb am Abgrund hängen, der den Weg ein Stück weiter rechts begrenzte.

    Mit einem weiten Satz sprang er nach vorn und rannte los. Der Satyr lachte. Wahrscheinlich war eine Jagd ganz nach seinem Geschmack. Dilga erhöhte seine Anstrengungen. Ihm blieben keine Optionen. Vor ihm schlängelte sich der Pfad immer höher in die Berge, gesäumt nur von steilen Felswänden und dem Abgrund.

    Seine Panik wich einem dumpfen Gefühl der Verzweiflung. Diesmal gab es kein Entkommen für ihn. Sein Weg endete hier! Aber er würde nicht wie ein Schaf zur Schlachtbank laufen. Dilga änderte seine Richtung, bog vom Weg ab und rannte auf den Abgrund zu. Hinter ihm brüllte der Satyr. Er hatte begriffen, was Dilga tun wollte. Der Abgrund öffnete sich vor ihm. Dilga schloss seine Augen und sprang.

    Der Sturz war kurz und die Landung hart. Ein moosbedeckter Felsvorsprung hatte seinen Fall gestoppt. Benommen rappelte Dilga sich auf und starrte direkt in das Gesicht des Satyrs. Der streckte ihm eine Klaue entgegen.

    »Sei nicht dumm, Dilga!«, sagte er eindringlich. »Es gibt keinen Grund dein Leben wegzuwerfen.«

    Der Blick der riesigen Augen bannte ihn. Er konnte sich nicht abwenden. Der Satyr beugte sich weiter vor. Dilga schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück.

    Der Vorsprung war nicht breit. Noch ein Schritt und er brauchte sich nur nach hinten fallen lassen. Der Satyr stieß sich vom Felsen ab und Dilga hörte ihn hinter sich landen.

    Wie in Trance drehte er sich um. Tränen schossen ihm in die Augen. Dass kein langes Leben auf ihn wartete, hatte er immer gewusst. Aber dass es so enden sollte! Er wich zurück und spürte den Felsen in seinem Rücken. Unvermittelt trat sein Fuß ins Leere und brach bis zum Knie durch die dünne Moosdecke. Dilga verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem Hinterkopf gegen die Felswand. Um ihn herum wurde es dunkel.

    *

    2.Kapitel

    Das Erste was er fühlte waren Kopfschmerzen. In einer unbewussten Geste fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte Blut. Dilga öffnete die Augen. Es blieb dunkel. Einen Moment wallte Panik in ihm hoch. Hatte er sein Augenlicht verloren?

    Er versuchte sich zu erinnern, wo er war. In Gedanken sah er Milanas Gesicht vor sich. Das seidig schimmernde, goldene Haar, ihre makellose weiße Haut und diese Augen. Der spezielle Blick, mit dem sie ihn angesehen hatte und dann die Kälte in ihnen und die Gier nach Blut, als sie ihrem Vater vorgeschlagen hatte ihn zu Tode zu hetzen.

    Vorsichtig richtete Dilga sich auf. Seine Beine waren taub. Er konnte sie bewegen, aber er fühlte sie nicht. Was war mit ihm passiert? Es kostete ihn Kraft vom Boden aufzustehen. Ihm war schwindelig und auf Beinen zu stehen, die man nicht spürte, war nicht einfach. Tastend schob er einen Fuß nach vorn und verlor das Gleichgewicht. Hart schlug er mit der Schulter gegen Stein. Sein Stöhnen wurde mehrfach zurückgeworfen. Er war also nicht unter freiem Himmel.

    Hatte man ihn gefangen genommen und in ein Verlies geworfen? Nein! Diese Mühe hätte Oleg sich kaum gemacht. Er hätte ihn sofort getötet und sicher nicht schnell. Dilga lehnte sich an den Fels und konzentrierte sich auf seine Erinnerung. Sie waren ihm dicht auf den Fersen gewesen und er konnte kaum noch gehen vor Durst, dann hatte er Wasser gefunden und auf einmal war da ein Satyr gewesen.

    Der Satyr! Sein Herz schlug schneller. Deutlich erinnerte er sich an ihn. Das Monster hatte mit ihm gesprochen und gesagt, dass es ihn zum Essen mitnehmen wollte. Erneut wallte Panik in ihm hoch. Dilga taumelte ein paar Schritte vorwärts. Abermals ließen seine Kräfte ihn im Stich. Er sank auf die Knie und übergab sich.

    Unbarmherzig warfen die Wände auch dieses Geräusch zurück. Tränen rannen ihm über die Wangen. Er hatte seinen Tod immer auf dem Schlachtfeld gesehen. Mit Glück durch einen gut gezielten Schwerthieb. Aber hier zu sitzen und darauf zu warten, aufgefressen zu werden, war grausam. Unvermittelt dachte er an Delia. Seine Mentorin. Sie hatte sich seiner angenommen, nachdem er von zu Haus fortgelaufen war. Ihr Motto war: »Solange du am Leben bist, hast du eine Chance!« Was würde sie tun? Gar nicht erst in so eine dämliche Situation geraten!

    Dilga zwang sich zur Ruhe. Er atmete mehrmals tief ein und aus. Seine Chance war vielleicht nicht groß, aber solange er nicht aufgab, hatte er zumindest eine. Als erstes musste er diese Höhle erkunden und den Ausgang finden. Wer weiß, möglicherweise fand er sogar etwas, das er als Waffe verwenden konnte. Auf keinen Fall würde der Satyr einen willenlosen Gefangenen vorfinden, wenn er zurückkehrte.

    Entschlossen rappelte er sich auf. Das Gefühl in seinen Beinen war zurückgekehrt. Dilga nahm das als gutes Omen und ging los; langsam und vorsichtig, bis er eine Wand fand, an der er sich entlang tasten konnte.

    *

    Dilga glaubte nicht länger in der Speisekammer des Satyrs zu sein. Seine Erinnerung war mittlerweile vollständig zurückgekehrt und er hatte sich zusammengereimt, was geschehen sein musste. Er war durch ein Loch in den Berg gestürzt und hatte großes Glück gehabt, dass er diesen Sturz überlebt hatte.

    Oder Pech, dachte er sarkastisch. Immerhin hatte er ja den Plan gehabt, sich lieber in den Tod zu stürzen, als von dem Satyr gefressen zu werden. Er seufzte. Diese Wand nahm einfach kein Ende. Sie gehörte zu einem endlosen Tunnel, von dem zu beiden Seiten weitere Gänge abzweigten. Er stolperte und fing sich mit beiden Händen am rauen Fels ab. Mit einer Hand streifte er einen steinernen Vorsprung. Eine Art Felsnase, die in Kniehöhe aus dem Stein ragte. Er setzte sich darauf und lauschte. Außer einem gelegentlichen Rascheln und dem Pfeifen von Wind war nichts zu hören.

    Dilga massierte sich die Schläfen. Die heftigen Kopfschmerzen hatten nachgelassen, dafür fühlte er den Durst wieder deutlich und ihm war kalt. Aber daran würde sich auch nichts ändern, wenn er hier herumsaß. Er zwang sich wieder auf die Beine. Mit ausgestreckten Händen, wie ein Blinder, tastete er sich weiter an der endlosen Wand entlang.

    Quälend langsam kam er voran. Minutenlang oder auch Stunden. Vielleicht waren es sogar Tage. Er konnte es nicht sagen. Er hatte längst jedes Gefühl für Zeit verloren und stolperte einfach nur immer weiter. Wie in einem Alptraum. Aber vielleicht war es genau das: Ein Traum! Sein Körper lag zerschmettert im Abgrund und sein Kopf träumte sich in den Tod.

    Aber spürte man in einem Traum so deutlich Durst? Seine Zunge lag wie ein pelziger Klumpen in seinem Mund. Außerdem war er müde und erschöpft. Dilga stolperte und fiel auf die Knie. Wenn das hier ein Traum war, aus dem es ohnehin kein Erwachen mehr gab, dann konnte er sich doch einfach hier hinlegen und ausruhen.

    Wieder sah er Milanas Gesicht vor sich. Das war alles ihre Schuld. Dieses verzogene arrogante Luder. Oleg wollte ihn auspeitschen lassen, aber seiner Tochter war das nicht genug gewesen. Sie war ebenso grausam wie schön und sie wollte seinen Tod. Aber keinen schnellen!

    Oleg hatte ihm einen lächerlichen Vorsprung gewährt und auf Hunde verzichtet. Aber seine Waffen und die Rüstung hatten sie ihm abgenommen. Nicht einmal ein Messer hatten sie ihm gelassen. Oder etwas Wasser. Vor Wut krampften sich seine Hände zusammen. Einen Augenblick stellte er sich vor, Milanas Hals zwischen seinen Fingern zu haben. Sie sollte nicht triumphieren!

    Er sprang viel zu schnell auf. Es fühlte sich an, als ob ihm jemand einen Stoß versetzte und er fiel nach vorn. Mit einer Hand landete er auf etwas Weichem, das empört quiekte. Eine Ratte und sie verbiss sich in seinen Daumen. Dilga schrie auf und schleuderte das Tier durch die Luft. Es klatschte und sie quiekte erneut, dann hörte er sie davon huschen. Blut tropfte von seinem Daumen. Er leckte es ab. Ratten brauchten Wasser, schoss es ihm durch den Kopf. Schwankend lehnte er sich an die Wand und lauschte auf das Geräusch der trippelnden Pfoten.

    *

    Die Ratte hatte er nicht wieder gefunden und auch kein Wasser. Ohne sich dessen bewusst zu sein, war Dilga an einem Felsen heruntergerutscht und saß auf dem Hintern. Ihm war abwechselnd heiß und kalt und immer wieder musste er sich übergeben. Das war unangenehm und tat weh, da er längst nichts mehr im Magen hatte.

    Mühsam stemmte er sich wieder hoch. Er brauchte mehrere Versuche, bis er wieder auf den Beinen stand. Blind vor Erschöpfung und Entkräftung schleppte er sich voran. Die Geräusche drangen verzerrt an seine Ohren und er bewegte sich wie durch einen finsteren, substanzlosen Äther. Etwas berührte seine Wange, sanft und weich wie Spinnenweben. Angewidert wischte er sich übers Gesicht. Er verabscheute Krabbeltiere. Das Gefühl der Berührung blieb und es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass er einen Luftzug fühlte. Das konnte einen Ausgang aus diesem Berg bedeuten. Der Gedanke gab ihm neue Energie und er taumelte weiter.

    Ein Schlag traf seine Stirn und Dilga brach in die Knie. Ergeben wartete er auf den nächsten Schlag. Vergeblich. Mühsam stemmte er sich wieder hoch und tastete blind vor sich in der Luft herum. Seine Finger fanden einen natürlichen Torbogen.

    Der Tunnel wurde niedriger. Er musste sich einen anderen Weg suchen, wenn er nicht gebückt gehen wollte. Ein paar Meter zurück war er an einer Abzweigung vorbeigekommen. Dilga kehrte um. Er fand die Abzweigung und stapfte hinein. Nach einigen Metern fühlte er mit der Hand, mit der er sich immer noch an der Wand entlang tastete, Feuchtigkeit. Vorsichtig leckte er seine Finger ab. Das war Wasser! Ein feiner Film Flüssigkeit rann die Wand hinunter. Gierig hielt er seine Zunge darunter. Es war warm und schmeckte metallisch, aber es war ohne Zweifel Wasser und es löschte seinen schlimmsten Durst.

    Dilga lachte und weinte gleichzeitig, während er mit der Zunge das Nass vom Felsen leckte. Mit jedem Tropfen kehrte seine Kraft etwas mehr zurück und mit ihr die Hoffnung. Erschöpft sank er schließlich neben dem Wasserfilm gegen die Felswand. Da erst hörte er das Klacken. Es war direkt vor ihm und so leise, dass es knapp über der Hörgrenze lag.

    Alarmiert richtete er sich auf. Das klang nach Holz, das gegen eine Wand schlug. Vielleicht war das hier eine alte Mine. Wenn er einen bearbeiteten Schacht fand, konnte der ihn hinausführen. Er stemmte sich hoch und lief los. Narrten ihn seine Augen oder war dort vor ihm Licht? Er mobilisierte seine Reserven und rannte. Sein Blick saugte sich an dem hellen, unsteten Fleck fest. Er war gelbrot und flackerte anheimelnd, wie ein Kaminfeuer.

    In dem engen Tunnel hallten seine Schritte wie Hammerschläge. Es war ihm egal. Er wollte nur noch heraus aus dieser scheußlichen Dunkelheit. Seitenstiche stoppten ihn schließlich. Die kurze Pause reichte aus, dass seine Vernunft sich wieder Gehör verschaffte. Was er hier tat war Wahnsinn. Einfach blind und ohne jede Vorsicht zum Licht zu rennen. Tageslicht flackerte nicht! Das dort vorn sah nicht nur aus wie ein Feuer. Das war ein Feuer!

    Wenn dies wirklich eine Mine war, konnte es ein Grubenbrand sein und dem kam man besser nicht zu nah. Bestenfalls unterhielten es Menschen und selbst dann konnte er nicht sicher sein, dass sie ihn willkommen hießen. Das war sogar eher unwahrscheinlich. Er wollte sich lieber nicht vorstellen, wie er aussah und roch. Er schalt sich einen Narren. Mit seinem ungestümen Rennen hatte er sich vielleicht schon verraten und man erwartete ihn mit gezogenen Waffen. Allerdings hörte er keine Stimmen. Überhaupt keine Geräusche, bis auf das Klacken, das lauter geworden war und irgendwie rhythmisch.

    Langsam und bedeutend vorsichtiger, setzte er seinen Weg fort. Es wurde stetig heller und dann endete der Tunnel in einer großen Höhle, in deren Mitte ein beachtliches Feuer brannte. Dilga blieb am Eingang stehen. Das Feuer brannte in einer Feuerkuhle. Deutlich sah er die faustgroßen Steine, die rundherum aufgeschichtet lagen. Der restliche Boden der Höhle war mit hellem Sand bestreut, den man sorgfältig geglättet hatte.

    Die Wärme und das Licht lockten ihn weiter. Er trat ein und sah sich um. Auf der gegenüberliegenden Seite führten zwei Gänge aus der Höhle hinaus. Aus einem davon kam das hölzerne Klacken. Er ging um das Feuer herum und stand plötzlich vor einem Altar. Ein niedriger, roh behauener Holztisch, mit bunten Vogelfedern geschmückt und mit Opfergaben vollgestellt. Dilga leckte sich die Lippen. Die Opferschalen waren einfache Tontöpfe, ohne Farbe oder Muster. Aber darin lagen verlockend aussehende Früchte. Trauben, Äpfel und irgendwas mit einer dicken Schale, das er nicht kannte.

    Er schaute sich kurz um und vergewisserte sich, dass niemand zusah, dann nahm er sich einen Apfel und biss hinein. Saftig und ein wenig sauer. Er aß ihn auf und inspizierte den überladenen Tisch weiter. Ganz hinten, fast völlig verdeckt, standen zwei Pokale. Sie waren aus Metall und in ihnen glitzerte eine Flüssigkeit, klar wie Wasser. Nur die Oberfläche schimmerte ölig. Er griff danach. Zwischen den Pokalen hockte ein mumifizierter Vogel. Zwei kleine Hölzchen stützten den getrockneten Körper. Das Genick war gebrochen, damit der Schnabel in einem scharfen Winkel nach oben zeigen konnte. Direkt auf einen steinernen Götzen.

    Eine annähernd menschliche Figur, vollkommen haarlos, mit einem birnenförmigen Körper und einer blassgrünen Haut. Ein Oger! Dilga zog die Hand zurück. Dabei stieß er einen der Pokale um. Ein scheußlicher Gestank breitete sich aus. Das hier war eine Kultstätte der Oger. Kleine grüne Menschenfresser! Sie waren kaum mannshoch und nicht sehr stark, aber sie traten immer in Rudeln auf. Und sie verstanden sich blendend darauf, ihre Opfer mit Gift zu betäuben. Hektisch sah er sich um. Noch schienen sie sein Eindringen nicht bemerkt zu haben. Dilga wandte sich dem Ausgang zu, aus dem kein Geräusch zu hören war und rannte erneut.

    *

    Der Länge nach stürzte er zu Boden. Sein Fuß hatte sich in einem Hindernis verheddert. Dilga fluchte lautlos. Das hatte man davon, wenn man die Nerven verlor! Er zog das Bein an. Sein Fuß hing fest. Woran, konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen. Anscheinend hatte sich das Hosenbein in etwas verfangen. Er tastete mit den Händen danach. Mehrere harte krumme Dinge, die übereinander aufragten, wie eine stark verbogene Harke. Dumm, dass er aus der Höhle kein Licht hatte mitnehmen können. Aber wenn er in einer Ogerhöhle mit einer Fackel herumlief, konnte er sich ebenso gut eine Zielscheibe auf die Brust malen.

    Es gelang ihm sein Hosenbein zu befreien. Hatten die Oger Fallen gelegt? Der Gedanke gefiel ihm nicht. Mit beiden Händen versuchte er in der Finsternis zu erkunden, was ihn aufgehalten hatte. Es war keine Falle. Nur ein Brustkorb! Dilga stieß ihn von sich. Der Form nach könnte es ein Mensch gewesen sein.

    Vielleicht hatte der eine Waffe bei sich gehabt. Erneut tastete er im Dunkeln herum und fand weitere Knochen. Einen erkannte er als Unterarmknochen, aber zu dick für einen Menschen. Trotzdem suchte er weiter. Das hier war ein fast vollständiges Skelett, nur der Kopf fehlte und die Knochen wiesen Kerben auf. Das Fleisch war von ihnen abgeschabt worden und einige hatte man gespalten, um an das Mark zu kommen.

    Seine Hand streifte eine primitiv gearbeitete Keule. Nägel stachen aus dem eiförmigen Kopf heraus. Sie war viel zu schwer für ihn. Das war die Waffe eines Gogs. Dilga verzog das Gesicht. Reichten ein intelligenter Satyr und menschenfressende Oger nicht aus? Musste es ausgerechnet auch noch ein Gog sein? Diese haarigen Menschen, mit der Intelligenz eines Schwachsinnigen, hassten andere Menschen.

    Wenigstens wusste er jetzt, warum man diese Berge die ›Monsterberge‹ nannte. Dilga lauschte in der Dunkelheit. Gogs waren immer paarweise unterwegs, oder in kleinen Gruppen. Dieser musste sich verlaufen haben. Wahrscheinlich hatte der Gog sich am Altar aus den Pokalen bedient. Der Gestank und der tote Vogel hielten einen Gog nicht ab. Angespannt setzte er seinen Weg fort und folgte dem Tunnel in die Richtung, die er vor seinem Sturz eingeschlagen hatte. Mittlerweile plagte ihn wieder Durst und jetzt auch Hunger, außerdem war er furchtbar müde. Mechanisch stapfte er voran. Immer einen Fuß vor den anderen setzend. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf und starrte nach vorn in die Dunkelheit. Irrte er sich oder wurde es dort heller? Er ging weiter. Schneller. Er hatte sich nicht getäuscht. Das dort vorn war Licht. Und diesmal ohne Zweifel Tageslicht!

    Die Wände des Tunnels wichen zurück und vor ihm lag eine riesige Grotte. Helles Sonnenlicht fiel von oben hinein. Einen Moment stand er einfach da und genoss das Licht und seine Wärme. Er blinzelte nach oben. Weit über ihm öffnete sich der Berg und er konnte den Himmel sehen. Die helle, gelbe Wintersonne und weiße Wölkchen zogen dort oben vorbei.

    Irgendwie musste er da hoch! Geblendet vom Licht sah er sich um. Mitten in der Höhle war ein Loch im Boden. Er trat näher und schaute auf eine natürliche Galerie. Sie war fast einen Meter breit und endete in einem kleinen Wall. Dahinter fiel der Boden noch weiter ab. Er beugte sich vor und spähte hinunter.

    »Dilga?«, rief der Satyr und sah ihn an.

    Erschrocken zuckte Dilga zurück. Es widerstrebte ihm, wieder in die Dunkelheit zu fliehen, aber wenn er hier stehen blieb, war er in wenigen Minuten ein Gefangener des Satyrs. Schließlich konnte der fliegen.

    Unvermittelt dröhnte ein abscheuliches Brüllen durch die Höhle, dann rollten ohrenzerreißende Echos durch den Gang. Er zögerte, blieb stehen und wandte sich um. Der Satyr fluchte, soviel konnte er erkennen, auch wenn er die Sprache nicht verstand. Sein Blick wanderte zwischen der Dunkelheit und dem Licht der Höhle hin und her. Unten wurde jetzt gekämpft. Er hörte das dumpfe Poltern einer Keule und den unverwechselbaren Klang einer Schwertklinge, die gegen Stein schlug oder auf Holz traf.

    Ein Schwert? Verwirrt schaute er auf das Loch im Höhlenboden. Wie unter einem Zwang bewegten seine Beine sich zurück zu dem Loch. Unten kämpfte der Satyr mit einem Gog. In der Hand des Satyrs funkelte eine makellos geschmiedete Schwertklinge. Fasziniert blieb Dilga stehen und sah dem Kampf zu. Der Gog schwang eine riesige Keule und kämpfte mit roher Kraft, während sich der Satyr leicht wie ein Tänzer drehte. Mühelos wehrte er die gewaltigen Schläge des Gogs ab, der langsam begriff, dass er gegen den Satyr chancenlos war.

    Auch Dilga hatte am Ausgang des Kampfes keinen Zweifel, trotzdem floh er nicht. Neugier und Angst rangen in ihm um die Oberhand. Warum war der Satyr hier? Hatte er sich die Mühe gemacht nach ihm zu suchen? Die Chance, dass er den Sturz überlebt hatte und den Weg hierher fand, war gering. Oder? Vielleicht nicht, wenn man diese Berge kannte. Und der Satyr kannte sie, daran zweifelte Dilga nicht. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr.

    Direkt unter ihm, auf der Galerie, lag ein kleiner magerer Oger und beobachtete den Kampf. Vielleicht war es nur ein Späher, vielleicht lauerten aber schon dutzende dieser niederträchtigen Kreaturen auf den Ausgang des Kampfes. Sie würden über den überlebenden Sieger herfallen und ihn töten. Er sollte das für sich nutzen und fliehen; sich lautlos zurückziehen, ehe die Oger auch auf ihn aufmerksam wurden. Dilgas Blick blieb an dem kurzen schartigen Schwert hängen, das die Kreatur am Gürtel trug. Leise löste er die Verschnürung, die sein Hemd vorne zusammenhielt und zog das Band heraus. Fest wickelte er es um seine Hände, dann sprang er. Dilga landete auf dem Rücken des Ogers und spürte, wie dessen dünne Wirbelsäule unter seinem Gewicht brach. Ehe der Oger schreien konnte, schlang Dilga ihm die provisorische Garotte um den Hals und erstickte ihn.

    Er nahm der Leiche das Schwert ab und richtete sich auf. Keine Sekunde zu früh, denn vier weitere Oger drängten aus einem der Tunnel. Sie kreischten und stürzten sich auf ihn und als ob das ein Signal war, wurde es plötzlich in der Höhle lebendig. Von überall her drangen die Schreie der Kreaturen und sie strömten in die Höhle wie eine Flutwelle. Der Gog brüllte und schlug mit seiner Keule zwischen sie. Er fegte sie zur Seite und suchte sein Heil in der Flucht. Auch der Satyr mähte die kleinen Angreifer nieder und versuchte sich ihnen fliegend zu entziehen.

    Dilga stürzte sich auf seine Gegner. Dem Ersten trat er gegen das Knie. Der Oger verlor die Balance und fiel über die Brüstung. Mit beiden Händen packte Dilga das Kurzschwert, schwang es wie eine Sichel vor sich und fegte einem der Angreifer den Kopf weg. Die beiden anderen wichen vor ihm zurück. Aggressiv setzte er nach. Die Oger verteidigten sich verzweifelt, aber sie hatten genauso wenige Chancen gegen ihn, wie er gegen zwei Satyr.

    Einer der Beiden warf plötzlich sein Schwert weg und floh in den Gang hinein. Dilga fluchte. Er musste das beenden, oder er sah sich gleich einem ganzen Rudel dieser Unholde gegenüber. Mit einem harten Schlag von oben, warf er die verbliebene Kreatur auf die Knie. Ein zweiter Hieb spaltete ihr den Schädel. Er hob das zweite Kurzschwert auf und folgte dem fliehenden Oger in den Tunnel. Nicht weit vor sich hörte er die nackten Füße über den Stein platschen. Er zögerte kurz, bog dann aber in einen Seitentunnel ab und floh selbst.

    *

    Mit einer letzten Anstrengung zog er sich den Sims hinauf. Er war am Ende seiner Kräfte. Frustriert starrte Dilga auf die Wand. Hier ging es nicht weiter. Von unten hatte es wie ein Weg ausgesehen. Tatsächlich war es nur eine Nische im Felsen, nicht einmal hoch genug um aufrecht darin zu stehen. Ausgelaugt rollte er sich auf den Rücken und schaute in die Dunkelheit, dabei lauschte er angestrengt auf das Trappeln der kleinen Bestien.

    Sie hatten ihn unbarmherzig verfolgt. Ihn durch die Tunnel gejagt und immer weiter vom Licht weggedrängt. Er war sich nicht sicher, ob er die Richtung noch wusste. Wenigstens schien er sie abgehängt zu haben. Er drehte sich auf den Bauch und spähte in den Tunnel hinunter. Alles war ruhig und von ihren qualmenden Talglichtern war nichts zu sehen.

    Erschöpft sank sein Kopf auf die Unterarme. Die Ruhe war angenehm. Es tat gut hier zu liegen, sich zu strecken und den Muskeln eine kurze Entspannung zu gönnen. Kalt war ihm nicht mehr, aber der Durst war lästig. Warum hatte er nichts von dem Obst aus der Höhle mitgenommen? Der Apfel war ihm doch gut bekommen. Seine Gedanken glitten fort. Dunkelheit breitete sich über seinem Bewusstsein aus.

    »Du stirbst«, tadelte ihn eine Frau.

    Delia! Das war ihre Stimme. Sie hatte sich über ihn gebeugt. Deutlich sah er ihr Gesicht über sich. Die kurzen schwarzen Haare, ihre dunklen Augen und die sonnengebräunte Haut. Er streckte die Hand nach ihr aus, konnte sie aber nicht berühren. Sie zog die Stirn kraus. Ihre Augen wurden noch dunkler und begannen zu funkeln. Sie war wütend auf ihn.

    »Steh auf, du verdammter Narr!«, schimpfte sie.

    Dilga protestierte. Er wollte nur einen Moment hier liegen, sie ansehen und den Frieden genießen. Aber sie war unnachgiebig. Wie immer! Sie wandte sich von ihm ab, um ihn allein in der Dunkelheit zurück zu lassen. »Delia!«

    Dilga öffnete die Augen und starrte auf den dunklen Stein vor seiner Nase. Er lag auf dem Bauch in der Felsnische und war eingeschlafen. Fluchend stemmte er sich hoch. Auf keinen Fall würde er so sterben. Hilflos und allein in der Dunkelheit. Er schwang die Beine über die Kante und rutschte ab. Seine Hände fanden keinen Halt. Hart schlug er auf dem Boden auf. Zum Glück war die Nische nicht so hoch gewesen, wie er beim hinaufklettern gedacht hatte.

    Einen Moment blieb er sitzen, den Rücken an den Felsen gelehnt, und sortierte seine Sinne. Sollte er jemals hier herauskommen, dann würden Oleg und seine Tochter für alles bezahlen. Hass und Wut gaben ihm neue Kraft. Mühsam stand er auf und zog das Kurzschwert aus dem Gürtel. Das zweite Ogerschwert hatte er verloren. Dicht an der Wand entlang, ging er weiter. Der Weg führte jetzt deutlich bergauf und nach einiger Zeit wurde es heller. Er blieb stehen und rieb sich die Augen.

    Das war kein Trugbild. Er konnte seine Finger sehen, schemenhaft zwar, aber immerhin. Misstrauisch starrte er auf seine Faust, die sich fest um den kurzen Griff der Waffe geschlossen hatte. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor. War das wirklich, oder lag er schon wieder schlafend in irgendeiner Ecke? Achselzuckend ging er weiter. Egal ob es ein Traum war oder Wirklichkeit. Er wollte hier raus und wenn das sein letzter Traum war, sollte er wenigstens ein gutes Ende haben.

    Das Licht nahm stetig zu und bald konnte er Farben erkennen. Nicht, dass es da viel zu sehen gab. Seine Stiefel und die Hose waren von einem schmutzigen graubraun und das Hemd, das einmal weiß gewesen war, zierten jetzt alle möglichen Flecken. Einige davon aus getrocknetem Blut; Ogerblut und sein eigenes. Unvermittelt führte vor ihm eine Treppe nach oben. Dorthin, woher das Licht kam. Er grinste wild. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er die Stufen hinauf. Er spürte einen kalten Luftzug. Das war frische Luft! Nicht die nach Salz und Metall riechende Luft aus dem Inneren der Berge. Da oben gab es Wind und Licht. Und einen Ausgang. Erst langsam drangen die dünnen Fistelstimmen der Oger zu ihm durch. Im letzten Moment duckte er sich.

    Vielleicht ein Dutzend dieser Kreaturen standen im Halbkreis um einen aufgeschichteten Holzstapel herum und sahen einem alten Oger zu, der sich mit zwei Hölzern abmühte ein Feuer zu entzünden. Die Haut des Alten war grau und mit allerlei Tand geschmückt. Dilga sah Knochen, Federn, Metall und eine Gabel, ohne Zweifel von Menschenhand geschaffen.

    Das war ein Schamane, ein Rottenführer und Giftmischer. Sie entfernten sich niemals weit von ihren Stammhöhlen. Suchend sah Dilga sich um. Den Familienbau der Rotte konnte er nicht entdecken. Dafür sah er einen Ausgang aus der Höhle; auf der anderen Seite der Gruppe. Das war einfach nicht fair! Er hatte nicht mehr die Kraft, sich einen anderen Weg zu suchen.

    Das getrocknete Gras, in dem der Schamane seine Hölzer rieb, begann zu qualmen. Bald würde dort ein großes Feuer lodern. Vier Oger brachten ein abgezogenes Schwein, das an einem Spieß hing. Er musste dort hinaus und zwar jetzt! Dilga starrte sein schartiges Kurzschwert an. Um da durch zu kommen und den Ausgang zu erreichen, brauchte er viel Glück und damit schien es zurzeit bei ihm nicht sehr gut bestellt zu sein. Er schloss die Augen. Vielleicht fand er wenigstens einen schnellen Tod im Kampf.

    Das Schwert fest in der Hand sprang er auf und über die letzten Treppenstufen hinauf. Er riss die Waffe hoch über den Kopf. Brüllend rannte er direkt auf das Feuer zu. Echos warfen seine heisere Stimme zurück. Es klang, als ob ihm eine ganze Armee folgte. Die Oger sahen sich erschrocken um. Der alte Schamane richtete sich auf und hob einen knorrigen Stock, an dem ein Schädel baumelte, in die Höhe. Die Flammen in seinem Rücken verliehen ihm ein gespenstisches Aussehen.

    Dilga packte das Schwert und stieß es dem nächsten Oger in die Seite. Die Kreatur fiel zu Boden und schrie erbärmlich, während sie mit beiden Händen versuchte, ihre heraus quellenden Gedärme festzuhalten. Erneut hob er sein Schwert und hieb einem weiteren Oger den Kopf ab. Der rollte dem Schamanen vor die Füße. Die vier Träger ließen ihren Spieß mit dem Schwein fallen. Dilga sprang drüber und stieß einen der Träger ins Feuer. Schrill gellten ihre Schmerzens- und Wutschreie durch die Höhle. In seinem Rücken brüllte voller Wut der Schamane.

    Dilga rannte um sein Leben. Blasrohrpfeile fielen hinter ihm zu Boden. Er sollte Haken schlagen, um seinen Feinden das Zielen zu erschweren. Aber dazu reichte seine Kraft nicht mehr aus. Blind vor Erschöpfung und Angst rannte er weiter, seine Augen fest auf das Ziel gerichtet. Etwas streifte seinen Arm. Der kurze Pfeil blieb in seinem Ärmel stecken, ohne seine Haut zu verletzen. Er wischte ihn zur Seite. Dann spürte er einen Stich im Oberschenkel. Es brannte. Verzweifelt rannte Dilga weiter. Hinter sich hörte er seine Verfolger. Sie waren ihm dicht auf den Fersen. Um ihn herum prallten weitere Pfeile gegen die Felsen, dann stach ihm unvermittelt die Sonne in die Augen und in seinem Bein explodierten feurige Wellen. Er taumelte und fiel nach vorn in das Licht. Der Berghang hinter dem Ausgang war sehr steil und auf ihm lag Schnee. Dilgas taubes Bein knickte weg und er rutschte aus. Mit rudernden Armen stürzte er vornüber und rollte den steilen Hang hinunter.

    Immer schneller rutschte er in einer Wolke aus nassem Schnee abwärts. Die Taubheit aus seinem Bein breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Sie verhinderte, dass er die Prellungen spürte, die der lange Sturz ihm zufügte. Er rollte und rutschte, bis ihm übel wurde. Schließlich endete die rasende Fahrt. Dilga lag mit dem Gesicht im Schnee, aber er fühlte die Kälte nicht. Auch nicht die Feuchtigkeit, die durch seine dünne Kleidung drang. Er fühlte überhaupt nichts mehr.

    *

    3.Kapitel

    Ihm war schrecklich kalt und er konnte sich nicht bewegen. Dilga wusste nicht, ob seine Augen offen oder geschlossen waren. Das einzige was er fühlte, war der harte Boden und das Brennen an seinem Bein. Er hatte das Bewusstsein verloren, wie lange er schon hier lag, konnte er nicht einmal schätzen.

    Jemand berührte ihn. Eine Hand tastete seinen Körper ab. Die Oger! Sie hatten ihn gefunden. Er schluchzte lautlos. Finger legten sich auf seinen

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