Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Raumstation ISS: Mission ohne Wiederkehr
Raumstation ISS: Mission ohne Wiederkehr
Raumstation ISS: Mission ohne Wiederkehr
eBook313 Seiten3 Stunden

Raumstation ISS: Mission ohne Wiederkehr

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Biologe John Hudges kann es kaum fassen. Im Auftrag der Regierung soll er auf der internationalen 'Raumstation ISS mitfliegen, um im Weltall unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit Untersuchungen zur Genmanipulation von Reis vorzunehmen. Nur allzu gerne stellt sich der Wis-senschaftler dieser äußerst lukrativen Aufgabe und dem nicht gerade alltäglichen Arbeitsplatz.
Alles funktioniert zunächst perfekt in vierhundert Kilometer Höhe und der Bodenstation in Houston werden keine be-sonderen Vorkommnisse gemeldet. Doch dann verschwin-det Hudges plötzlich spurlos und die Raumfahrercrew unter Kommandant Rayhn Grant beginnt fieberhaft nach ihrem Kollegen zu suchen. An UFOs mag keiner glauben, aber als jeder Winkel der Raumstation durchkämmt ist und Hudges unauffindbar bleibt, scheint das Nichtdenkbare plötzlich denkbar. Und dann eskaliert die Lage.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum31. Juli 2017
ISBN9783742779236
Raumstation ISS: Mission ohne Wiederkehr

Ähnlich wie Raumstation ISS

Titel in dieser Serie (1)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Action- & Abenteuerliteratur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Raumstation ISS

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Raumstation ISS - Günter Holschbach

    Kapitel 1  

    John Hudges holte sich seinen Bericht, den er gestern geschrieben hatte, auf den Bildschirm seines Laptops. Der Laptop war eingeklemmt in einer Haltevorrichtung. Vor ihm schwebte ein Bleistift. Das leise Summen der Versorgungsgeräte wirkte angenehm und beruhigend auf ihn. Um sich nicht von seinem Rechner schwebend zu entfernen hatte er die Fußspitzen zwischen zwei Stangen eingeklemmt. Das Bullauge der Raumstation ISS zeigte einen Ausschnitt mit tausenden von Lichtern einiger Küstenstädte Australiens. Wie ein silberner Streifen, mal schmäler, mal breiter, umspannten die Lichter den gesamten Erdteil, während der überwiegende Teil im nächtlichen Dunkel lag. In fast vierhundert Kilometern Tiefe glitt dieses faszinierende Bild langsam vorbei. Ein wunderschöner Anblick.

    John ließ es zu, dass seine Gedanken ein wenig in die Vergangenheit schweiften. Pflanzenzüchtung, Morphologie und Zytologie waren seine Fachbereiche an der Uni in Pittsburgh. Morphologie, die Lehre vom äußeren Aufbau der Pflanze und zusätzlich Zytologie, die Lehre vom Feinaufbau der Zelle. Aus großem Interesse hatte er sich in diese Biologiefächer gestürzt und seine Begeisterung steigerte sich von Semester zu Semester.

    „Wie willst du jemals mit deinen Blümchen erfolgreich werden und Geld verdienen?, fragte mehr als einmal Johns bester Freund Phil. John lachte dann und meinte: „Warten wir es ab. Es ist eine derart faszinierende Welt, die mich magisch anzieht. Ich muss gar nicht das große Geld verdienen. Wenn ich forschen kann und mein Auskommen habe, dann soll mir das reichen.

    Phil studierte Maschinenbau. Er wollte in einem großen Unternehmen Manager werden und so viel Geld verdienen, wie es nur möglich wäre.

    Nach der Promotion lehrte John an der Uni in Washington. Zusätzlich arbeitete er an Forschungsaufträgen mehrerer Institute. Sein Einkommen wuchs erfreulich. Vor sieben Jahren hatte er Miriam, eine ehemalige Kommilitonin geheiratet, eine hübsche, resolute und zielgerichtete junge Frau. Sie ist zwei Jahre jünger als John. Zwei gesunde und aufgeweckte Jungen schenkte sie ihm. John und Miriam kauften sich ein kleines Haus am Stadtrand von Washington. Miriam wollte auf eigenem Wunsch eine Weile bei den Kindern zu Hause bleiben. Sie war der Meinung, dass die beiden Jungen in ihrem Alter die Mutter sehr brauchten. Jonah wird im kommenden Monat, dem oft so heißen Juli, vier Jahre und Luca im Januar nächsten Jahres sechs. Morgens wurden die Jungen von Miriam in den Kindergarten gebracht und in der Mittagszeit wieder abgeholt. Im kommenden Jahr wird Luca eingeschult. Miriam plant für das nächste Jahr, ihre Tätigkeit als Lehrerin an der nahe gelegenen Schule wieder zeitlich eingeschränkt aufnehmen.

    So hatte sich ein geregelter Tagesablauf eingespielt, bis ein Brief die Familie Hudges erreichte. Er kam von Johns Freund Phil. Er arbeitete jetzt in einer Maschinenbaufirma, die Antriebsmechanismen erforschte und zu Testzwecken baute. Auftragsgeber war die NASA. Phil fragte an, ob John Interesse haben würde, an einem Forschungsprojekt der NASA mitzuarbeiten. Dringend würden dafür sehr gute Biologen gesucht, „Lieber John, so schrieb Phil, „da du dich nur immer mit Blümchen beschäftigt hast, so war der Gedanke nahe liegend, bei dir einmal anzufragen. Die öffentliche Ausschreibung zu diesem Projekt habe ich zufällig gesehen und dabei an dich gedacht. Bewirb dich einfach mal. Die Bezahlung soll sehr gut sein. Beigefügt dazu einige Unterlagen.

    Auf Miriams Drängen schickte John schließlich seine Bewerbungsunterlagen an die NASA. Vier Wochen später erreichte ihn die Einladung zu einem persönlichen Gespräch in einem NASA-Büro in Orlando, Florida. Alle entstehenden Kosten würden von der NASA getragen und er möge sich auf einen vier bis fünf Tage andauernden Aufenthalt in Orlando einrichten. Flugtickets und der Reservierungsnachweis für ein gutes Hotel waren dem Schreiben als Anlage beigefügt. John und Miriam waren verwundert darüber, dass sich ein Bewerbungsgespräch fünf Tage hinziehen könnte. Andererseits war es eine Besonderheit, von der NASA eingeladen zu werden und wahrscheinlich wurde dort mit anderen Maßstäben gemessen.

    Bei den stundenlangen Gesprächen in Orlando stellte John nach und nach fest, dass man alle Stationen seines bisherigen Lebens eingehend durchleuchtet hatte. Zunächst ärgerte ihn diese Tatsache und er drohte mit dem Abbruch der Gespräche, wenn nicht endlich über konkrete und für John nachvollziehbare Ziele gesprochen würde. Er hatte nach zwei Tagen ständig den Eindruck, als befände er sich bei einer Art Inquisition oder in einer polizeilichen Vernehmung.

    Am Mittag des dritten Tages war John gereizt und ärgerlich von seinem Sessel aufgestanden und wollte den Raum verlassen, um die Heimreise anzutreten.

    „Mr Hudges, setzte William Tanner, einer der beiden Gesprächspartner von John hastig an, „bitte nehmen Sie einen Augenblick Platz. Ich verspreche Ihnen, die nächsten Minuten können Ihr gesamtes Leben verändern. Bitte, John, hören Sie mir ein paar Minuten zu. Danach können Sie aufstehen und nach Hause fahren. Die Angelegenheit wäre dann erledigt. Oder Sie stehen an der Schwelle einer Zukunft, von der Sie bisher nicht zu träumen gewagt haben.

    „Es soll Ihre letzte Chance sein", antwortete John etwas übelgelaunt. Langsam setzte er sich wieder in seinen Sessel, beide Hände auf die Armlehnen gestützt, als wolle er sofort wieder aufspringen.

     „John, die gesamten bisherigen Gespräche waren für uns dringend erforderlich. Wie Sie zu Ihrem Missmut mitbekommen haben, wurden von uns im Vorfeld eine Vielzahl von Informationen über Sie gesammelt. Ob berechtigt oder unberechtigt, lassen wir das für einen Moment im Raum stehen. Die Auswertung gesammelter Fakten kann zwar vieles aussagen, aber nur wenig über die Persönlichkeit des John Hudges. Und genau die wollten wir möglichst exakt kennen lernen. Sie haben auf uns bisher einen sehr guten Eindruck hinterlassen, John. Mr Tanner machte eine Pause und schaute John fest in die Augen. „Wir möchten Ihnen einen Forschungsauftrag übergeben, welcher in der Raumstation ISS platziert wird.

     „Ich soll zur ISS?", fragte John tonlos.

    „Ja", antwortete William Tanner.

    Schweigen. Die Hände Johns entspannten sich und er sank in seinen Sessel zurück. Zur Internationalen Space Station. Mehr als dreihundertachtzig Kilometer über der Erde. Dem größten künstlichen Objekt im erdnahen Weltraum. John konnte es nicht fassen. Er hob den Kopf und antwortete mit trockenem Mund:

    „Das geht nicht."

    Wieder Schweigen.

    „Und was soll ich da oben?"

    William räusperte sich: „Sie sind ein sehr fähiger Wissenschaftler. Sie sind kommunikativ, teamfähig, kooperativ, strebsam, verantwortungsbewusst, körperlich topfit, um nur einige Punkte zu nennen, auf die es bei uns ankommt. Wir würden es gerne sehen, wenn Sie an Bord der ISS einen speziellen Auftrag erfüllen, der hier auf diesem Planeten Erde revolutionäre Folgen haben könnte. Erfolge auf dem Gebiet der Hungerbekämpfung."

    „Das wird ja wohl kein karitativer Auftrag sein, oder?", hakte John etwas bissig nach.

    „Nein, letztlich nicht. Das Projekt wird zunächst einmal hohe Summen verschlingen und im Erfolgsfall sehr viel Geld einbringen. Der wirtschaftliche Faktor ist selbstverständlich auch hierbei maßgebend. Profitieren werden davon sehr viele Menschen in Indien, China, Bangladesch und so weiter. „Und was könnte das sein außer Reis?

    William Tanner machte eine kurze Pause und schaute John an: „Es ist Reis ­– und zwar genmanipulierter Reis."

    „Und was soll ich dabei tun? Ich arbeite nicht an genmanipulierten Pflanzen."

    „John, ich gehe davon aus, Sie kennen Professor Dr. Werner Gron in Atlanta? „Ja, eine Kapazität in der Genforschung.

    „Wir möchten Sie zu einem Gespräch mit Professor Gron einladen. Er hat eine bahnbrechende Entdeckung auf dem Gebiet der Genforschung gemacht. Um es kurz zu halten. Ich kenne mich in dieser Materie nur ein wenig aus. Und das was ich sage, hört sich für Sie bestimmt sehr laienhaft an: Professor Gron hat herausgefunden, dass bei bestimmten Anwendungsprozessen bei längerer Schwerelosigkeit eine spezielle Verkettung von Genmanipulationen effektiver und wesentlich schneller zum Ziel führt. Bitte fragen Sie mich jetzt keine Einzelheiten. Tatsache ist, dass eine Reissorte gefunden werden muss, die resistent ist gegen verschiedene Schädlinge, schneller heranwächst und dazu üppigere Frucht trägt. Für Sie dürfte das Ganze eine äußerst spannende Angelegenheit sein."

    „Und warum schicken Sie nicht Dr. Gron nach oben?"

    „Der ist erstens zu krank, zweitens zu alt und drittens würde er in diesem Zustand in der Situation der Schwerelosigkeit nicht mehr arbeiten können."

    Einen Moment lang schloss John die Augen. Forschen in der Raumstation ISS. Dass eine solche Gelegenheit auf ihn zukommen würde, hätte er sich wirklich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Gerne wäre er von seinem Sessel aufgesprungen und hätte gejubelt. Ein kaum merkliches Lächeln überflog seinen Mund.

    „Mr Tanner, ich gehe davon aus, dass mir eine Bedenkzeit eingeräumt wird."

    „Selbstverständlich. Sie können jetzt die Heimreise antreten und mit Ihrer Familie reden. Unsere Gespräche hier in Orlando sind soweit abgeschlossen. Bitte teilen Sie uns bis Anfang kommender Woche Ihre Entscheidung mit. Wenn Sie sich für ein Ja entscheiden, was wir alle sehr hoffen, so werden wir schnellstens ein Gespräch mit Professor Gron arrangieren."

    Mehr als zwei Jahre waren seitdem vergangen. Mit großer Freude hatte John seine Zusage gegeben. Seine Frau, die Kinder und die engsten Freunde, insbesondere Phil, waren mächtig stolz auf ihn. Die vertragliche Vergütung der NASA und eines Firmenkonsortiums, das beim erfolgreichen Abschluss der Forschungsarbeit die Vermarktung des Endprodukts übernehmen würde, sprengte die finanzielle Vorstellungskraft von John und seiner Frau Miriam.

    Während der zweijährigen Vorbereitungszeit im Rahmen des Projektes „ISS" musste sich John überwiegend im Raum Houston aufhalten. Mit seiner Frau und den Kindern hatte er beratschlagt, ob er in der knapp bemessenen Freizeit nach Washington fliegen sollte oder ob es sinnvoller wäre, mit der gesamten Familie für etwa zwei Jahre nach Houston umzusiedeln. Alle Familienmitglieder waren sich einig, es wäre spannend und interessant, die begrenzte Zeit in Houston zu wohnen. Daraufhin mietete John - sogar mit finanzieller Unterstützung der NASA - für sich und seine Lieben ein kleines Einfamilienhaus am südlichen Stadtrand von Houston an.

    John verscheuchte die Gedanken, auch wenn sie angenehm waren. Sein Blick löste sich etwas widerstrebend vom fesselnden Anblick auf den unter ihm dahingleitenden Kontinent und wanderte zurück auf seinen Laptop-Bildschirm. Drei Wochen vor Beendigung der ISS-Mission konnte er heute seine Arbeit, bis auf einige Kleinigkeiten, erfolgreich abschließen.

    Es war für John eine spannende Situation, das Wachstum der Reispflanzen in der Schwerelosigkeit zu beobachten. Normalerweise wachsen Pflanzenwurzeln auf der Erde, entsprechend dem Gesetz der Erdanziehung, nach unten. In der Schwerelosigkeit konnte John zu seiner großen Verwunderung eine deutliche Tendenz zum asymmetrischen Wachstum der Wurzeln erkennen. In dutzenden von kleinen, geschlossenen Behältern, die teilweise mit Erde und teilweise mit Flüssigkeiten gefüllt waren, wurden Reispflanzen experimentell bearbeitet. Eingeklemmt waren die kleinen Behälter in mehreren meterlangen Metallschienen.    

    Am Konzept für die durchzuführenden Genmanipulationen hatten Professor Gron und John einige Monate in Atlanta zusammengearbeitet. Das Konzept musste aber auf der Erde Theorie bleiben. Über Erfolg oder Misserfolg konnte nur seine praktische Umsetzung in der Schwerelosigkeit entscheiden. In mühevoller und geduldiger Arbeit setzte John daher das Konzept in die Praxis um. Zweimal musste es infolge mit Professor Gron neu besprochen und verbessert werden.

    Die Resultate waren von John in einem seitenlangen Bericht zusammengefasst worden. Teile davon hatte er an die südlich der Stadt Houston angesiedelte „National Aeronautics and Space Administration oder eher bekannt unter dem geläufigen Begriff „NASA-Kontrollzentrum übermittelt, zur Weitergabe an Professor Gron. Aus Houston hatte John die strikte Anweisung bekommen, Berichte niemals komplett zu senden. Jeder Teil der übermittelten Berichte durfte im Zusammenhang keinesfalls auf ein Ergebnis hinweisen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Die Forschungsergebnisse waren zu kostbar. Bei aller Aufmerksamkeit hätte es dennoch sein können, dass irgendwo Berichte abgefangen oder vielleicht unbeabsichtigt in falsche Kanäle geleitet wurden. Die Wahrscheinlichkeit war zwar sehr gering, jedoch nicht auszuschließen.

    Forschungsergebnisse wurden getrennt über das TDRS-Relais-Satelliten-System gesandt sowie die Nachrichten in einem aufwendigen Verfahren verschlüsselt und konnten in Houston nur von einer einzigen Stelle empfangen werden. Die verschlüsselten Informationen wurden an Professor Gron weitergeleitet, der über eine spezielle Software die übermittelten Daten umwandeln konnte.

    Vor zwei Tagen kam eine Nachricht von Professor Gron: „Dr. Hudges, Sie haben es geschafft! Herzlichen Glückwunsch! Die beste und im höchsten Maß schädlingsresistente Reispflanze wurde in Rekordzeit erfunden. Sie wird ein Segen werden für viele Länder mit hungernder Bevölkerung. Wir haben es geschafft. Und das weit vor der einkalkulierten Zeit."

    Der Erfolgsdruck war gewichen. In Ruhe und Gelassenheit konnte John die restlichen Tage auf der ISS genießen. Einige Berichte waren zu schreiben und die vielen Utensilien als Basis für seine Experimente mussten sorgfältig für den Rücktransport verpackt und bereitgestellt werden.

    Morgen ist Familientag, überlegte John und er freute sich darüber, ausführlich und vergnügt mit seiner Frau und den beiden Söhnen reden zu können. Alle drei sollten morgen jeweils einen großzügigen Wunsch äußern, den er ihnen nach seiner Rückkehr erfüllen würde. John musste lächeln als er sich vorstellte, was sie wohl an ihn herantragen werden.

     „Hey John, warum lächelst du? Woran hast du gedacht?", fragte Lauren Roalstadt mit einem verführerischen Lächeln. Dabei stieß sie sich vorsichtig vom Boden ab und vollführte in der Schwerelosigkeit der ISS einen Salto rückwärts. Das klappte bei ihr zwischenzeitlich bestens. Nach einer Vielzahl von Fehlversuchen, bei denen sie sich zu heftig vom Boden oder von einem Gestänge abgestoßen und dabei mehr als einmal quer durch den Gemeinschaftraum gesaust und sich an Geräten und Gestängen blaue Flecken geholt hatte, hatte sie es gelernt, den Schwung genau zu dosieren. Es machte ihr besonderen Spaß, mit ausgebreiteten Armen an der Decke zu schweben. Vor ihrer Nase schwebte ein Buch oder ein Bericht, der in dieser Haltung von ihr gelesen wurde. Beim Umblättern der Seiten musste sie dann jeweils wieder die Position des Buchs oder des Berichts sorgfältig justieren, um den Leseabstand einzuhalten.

    Meistens hatte Lauren gute Laune und war oft zu Späßen aufgelegt. Besonders in den ersten Tagen auf der ISS hatte sie ihre drei Kollegen gerne geneckt. In der Schwerelosigkeit ist es völlig gleichgültig, ob man an der Decke arbeitet, auf dem Boden oder an der Wand. Die Gewohnheit brachte es mit sich, dass in den ersten Tagen

    alle am Boden arbeiteten. Lauren suchte sich einen Kollegen aus, schwebte von hinten langsam über ihn bis zu seiner Kopfhöhe, neigte von oben den Kopf nach unten, um ihn dann in dessen Augenhöhe und mit tiefer Stimme anzusprechen. Rayhn Grant hatte sich beim ersten Mal so sehr erschreckt, dass er sie ausschimpfte. Kurz darauf hatte er sich bei Lauren entschuldigt und beide mussten herzhaft lachen. Wie soll man auch plötzlich davon ausgehen können, dass eine Person sich von hinten lautlos waagerecht in Kopfhöhe anschleicht?

    Als sie diese Kapriole bei John anwandte, stieß der vor Schreck einen Schrei aus, als hätte er die erste Begegnung mit einem Außerirdischen. Dabei vollzog er eine reflexartige Bewegung, die zu einem dreifachen Salto führte. Anschließend bekam sich John vor lauter Lachen nicht mehr ein.

    Nur beim Russen Alexej klappte ihr Trick nicht. Der blieb cool und antwortete Lauren mit noch tieferer Stimme als er sie normal schon hatte.

    Alle vier Astronauten hatten sich nach ein paar Wochen in der ISS gut eingelebt. Intensiv und mit Eifer wurden Forschungsarbeiten betrieben. Jeder arbeitete an seinen Aufgabenstellungen. Rayhn hatte das Kommando der Crew und war damit gleichzeitig der direkte Ansprechpartner der Bodenstation Houston. Sowohl die Kommunikation der Crew untereinander als auch mit Houston verlief bestens. Fast dreieinhalb Monate war die Mannschaft in der ISS auf engstem Raum untergebracht und in drei Wochen sollte die Ablösung kommen. Es war bisher eine spannende und abwechslungsreiche Zeit gewesen. Viele Gespräche wurden geführt. Leider hielt sich Alexej dabei zurück. Vermutlich wegen seines merkwürdigen russischen Dialekts. Drei Amerikaner und ein Russe. Manchmal bemühte sich Lauren, die Aussprache Alexejs zu verbessern. Alexej wiederholte dann den oder die von Lauren korrigierten Sätze; bei nächster Gelegenheit sprach er wieder seinen merkwürdigen Dialekt und hatte scheinbar die Bemühungen von Lauren vergessen.

     „Warum hast du mich beobachtet?", interessiert schaute John zu.

    Lauren, die einige Meter weiter bis zu ihrem Arbeitsplatz schwebte, bemerkte: „Ich habe dich nicht beobachtet. Zufällig habe ich gesehen, wie du verträumt auf unsere alte Mutter Erde geschaut hast und dabei ein Lächeln in deinem Gesicht entstanden ist. Sag, woran hast du gedacht? An deine Frau?"

    „Ja, an meine Frau und die Kinder. Ich möchte für jeden einen besonderen Wunsch erfüllen, wenn ich wieder unten bin. Und gerade habe ich mir überlegt, wer sich was wünschen wird."

    „Und welcher Wunsch hat das Lächeln ausgelöst?" Ihr schelmischer Blick war auf John gerichtet.

    „Lauren, du gibst mal wieder keine Ruhe, bis du alles genau aus mir herausbekommen hast, antwortet John lächelnd und gut gelaunt. „Ich habe gerade an meinen älteren Sohn gedacht. Der wünscht sich bestimmt einen Flug zur ISS.

    Kapitel 2  

    Im Mannschaftsraum der ISS versuchte Rayhn zum wiederholten Mal eine hauchdünne Faser in den Kabelkanal zu stecken. Wieder vergeblich. Er fluchte leise vor sich hin und schaute sich nach John um. Der hat die ruhigste Hand von uns allen und müsste es mit Leichtigkeit schaffen, diese blöde Faser einzufädeln. John hatte eben an seinem Notebook gearbeitet.

    „Wo steckt John?, rief er Lauren zu, die etwa sechs oder sieben Meter weiter ihre täglichen Muskelaufbauübungen praktizierte. „Keine Ahnung, rief sie zurück. „Ich habe ihn vor einer halben Stunde zuletzt an seinem Notebook gesehen."

    „Wahrscheinlich ist er in seinem Modul und hält ein Nickerchen, meinte Rayhn. „Wenn du ihn siehst, so sag ihm, er möchte mal kurz zu mir kommen. Ich brauche seine ruhige Hand.

    „Willst du damit verdeutlichen, dass ich keine ruhige Hand habe? Schau dir meine schlanken, gepflegten Hände an."

    „Selbstverständlich, Lauren, hast du schöne und gepflegte Hände. Hättest du genau hingehört, dann wäre dir aufgefallen, dass ich von einer ruhigen Hand gesprochen habe. Und da ist mir aufgefallen, dass du bereits die Geduld verlieren kannst, wenn du einen Faden in die Nähnadel bugsieren willst. Ist es nicht so, dass du nach John rufst, der das große Problem dann umgehend löst?"

    „Schon gut, schon gut. Weißt du, was es heute zu essen gibt? „Was soll ich denn heute zu messen haben?

    „Essen – Rayhn – Essen", rief Lauren von ihrem Muskelaufbautrainer.

    „Nein, ich weiß nicht, was wir heute im Fach haben: Frag unten mal Branden. Der verrät manchmal, welche Speise uns als nächste erwartet. Ist dir das so wichtig?"

    „Naja, ein bisschen schon. Vielleicht kann ich mich darauf freuen – oder nicht."

    „Dann lass es eine persönliche Überraschung bleiben.

    „Nein, ich will es wissen", kam es etwas trotzig zurück.

    Lauren schnallte sich die Haltegurte ab. Das Trainingspensum hatte sie zunächst einmal absolviert. Sie stieß sich sanft ab und schwebte in der völligen Schwerelosigkeit hinüber zu ihrem Headset, drückte die Sprechtaste und hauchte: „Hallo Branden, kannst du mir ein Geheimnis verraten?"

    „Lauren Rolstadt, rief Branden aus dem Kontrollzentrum Houston erfreut in ihrem Kopfhörer, „dir verrat ich jedes Geheimnis!

    „Branden, welches Mittagessen wird mich heute erwarten?"

    „Als Belohnung für dein soeben absolviertes Training bekommst du Huhn mit Curry und Reis."   

    „Naja, das hatten wir bereits vor einer Woche", entgegnete Lauren jetzt leicht muffig und mit gar nicht mehr erotisch hauchender Stimme.

    „Lauren, soll ich dir ein Shuttle hochschicken mit chinesischen Gerichten, deinen Lieblingsspeisen? „Ja, rief Lauren, „tu es!"

    „Wie bitte?, schaltete sich Rayhn jetzt ein, „was geht denn bei euch ab? Schalt mal auf Lautsprecher. Ich kann leider nur hören, was du sagst.

    „Ha, das Geheimnis verrat ich dir nicht", rief Lauren mit

    verschmitzter Miene.

    Branden meldete sich wieder in Laurens Kopfhörer: „Hallo Lauren, war jetzt seine dienstliche Stimme vernehmbar, „du kannst mir bei dieser Gelegenheit zunächst Alexej und anschließend John geben. Ich brauche von beiden einige Informationen.

    „Aye Sire, sagte auch Lauren mit übertrieben dienstlicher Stimme, „ich werde beide suchen.   

    „Hallo John, hallo Alexej, hier ist Branden am Rohr. Er braucht einige Infos von euch. Bitte übernehmt."

    Alexej Droski meldete sich aus dem russischen Modul mit seinem merkwürdigen russischen Akzent auf der Gegensprechanlage.

    „Eine Rohr vierhundert Kilometern lang? Sehr interessant, rief Alexej über die Sprechanlage. „Ich übernehmen.

    „Ich muss einige Auswertungen vornehmen", meinte Lauren und schwebte davon.

    Rayhn holte sich auf seinen Bildschirm eine Schaltkreisdarstellung. Irgendwo musste ihm ein Fehler unterlaufen sein. Er studierte nochmals eingehend das Schaltbild auf dem Bildschirm und verglich es mit seinen Ausführungen.

    „Hallo Rayhn", kam die dunkle, unverwechselbare Stimme Alexejs

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1