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Rationalität und Lebenswelt: Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas
Rationalität und Lebenswelt: Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas
Rationalität und Lebenswelt: Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas
eBook218 Seiten2 Stunden

Rationalität und Lebenswelt: Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas

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Über dieses E-Book

Die vorliegenden Philosophischen Studien sind in der Zeit von 2012 bis 2016 entstanden.
In einer Studie geht es z.B. um den Entwurf einer provisorischen Moral bei Descartes, die Blumenberg als ein Gleichnis der Moderne beschrieben hat. Entsteht bei Descartes damit die moderne Idee der Methode als Antwort auf das Problem der Orientierung in einer ungewissen Situation?
Eine andere Studie geht der Bedeutung einer Idee der kommunikativen Vernunft bei Jürgen Habermas nach, der versucht, eine neue Form der Rationalität als Mittel der Orientierung auf die Lebenswelt zu übertragen.
Oder da ist u.a. der Versuch, eine Antwort auf die Frage zu finden, was existentielle Freiheit bei Karl Jaspers heißt? Was bedeutet es, wenn die Idee der Freiheit auf den Einzelnen, d.h. auf seine Existenz bezogen wird?
Die Texte zielen auf eine Negation abschlusshaften Denkens, auf ein Denken, das nicht im Urteil oder System terminiert und sich zunehmend durch den beschleunigten Wandel mit dem Problem der Orientierung konfrontiert sieht.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum27. Juli 2016
ISBN9783741834141
Rationalität und Lebenswelt: Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas

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    Buchvorschau

    Rationalität und Lebenswelt - Klaus Peter Müller

    Rationalität und Lebenswelt.

    Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas

    Philosophische Studien

    Klaus Peter Müller

    Rationalität und Lebenswelt.

    Zur Idee einer kommunikativen Vernunft bei Habermas.

    Philosophische Studien

    ©  Klaus Peter Müller

    Coverbild:    ©   Klaus Peter Müller

    epubli Verlag, Berlin 2016

    Reflexion und Entschlossenheit. Descartes provisorische Moral

    Ein Gleichnis der Moderne

    Wer den Weg auf einer Wanderung verloren hat, ist froh einen Steinmann zu sehen. Ein solcher Steinhaufen, häufig hat er die Form einer Pyramide, setzt dem Verirren ein Ende. Die Unruhe legt sich. Andere Wegweiser sind: ein Schild, in Norwegen ein rotes T, ein weißer Balken an einem Baum, ein Leuchtturm usw..

    Was jedoch ist, wenn es keinerlei Anhaltspunkte für eine Orientierung gibt?

    Es ist Descartes, der in seinem Buch „Von der Methode" eine solche ungewisse Situation beschreibt und zugleich einen Ausweg anbietet. Seine Geschichte von Reisenden, die auf ihrem Weg die Orientierung verloren haben, wird in philosophischer Hinsicht zum Bild einer vorläufigen Moral, das Blumenberg später ein Urgleichnis der Neuzeit nennen wird.¹

    Nach Descartes soll man in einer solchen Situation in seinen Handlungen fest und so entschlossen wie möglich sein und auch den zweifelhaftesten Ansichten beharrlich folgen und so tun als ob sie ganz gewiss wären. Man soll es wie jemand machen, der sich im Wald verirrt hat und nicht ziellos herum läuft oder an einer Stelle bleibt, sondern so geradewegs wie möglich in eine Richtung geht. Von dieser Richtung soll nicht aus unbedeutenden Gründen abgewichen werden. Am Ende wird man so vermutlich irgendeine Gegend erreichen. Mit einem Wort: wer nicht in der Lage ist, die wahrsten Ansichten zu erkennen, soll nach Descartes den wahrscheinlichsten folgen.²

    Was Descartes beschreibt, ist die Situation einer ungewissen Orientierung, in der die Reflexion nicht weiter hilft, weil die Gründe fehlen. Die Folge ist, formale Entschlossenheit wird für das Handeln zum Wert.

    Was nicht ausschließt, das aus der Entschlossenheit auch eine blinde Entschlossenheit werden kann. Beschrieben wird eine Situation in der die Reflexion ihre Bedeutung verliert und von der Idee eines formalen Könnens, einer technischen Idee, einer Art Mechanismus abgelöst wird. Nicht mehr selbstverständlich gilt in diesem Gleichnis die platonische Vorstellung, wonach alles Können im Horizont des Erkennens zu belassen sei. Alle Geschicklichkeit sollte sich bei Sokrates noch auf eine begründete Einsicht zurückführen lassen.³

    Aber der Entwurf einer provisorischen Moral geht von einer Situation aus, in der eine wahre Erkenntnis für den Moment nicht möglich ist, wobei allerdings bei Descartes offen bleibt, wie das Ziel einer endgültigen Moral überhaupt zu verwirklichen sei.

    Descartes Verirrte haben sich durch ihr Handeln, durch eine Bewegung in ihre Situation gebracht und nur durch Handeln können sie auch einen Ausweg finden.

    Erscheint diese Situation, sich durch Handeln, durch eine Bewegung in einer ungewissen Situation zu befinden wie bei Descartes, nicht auch wie ein Vorgriff für das Problem der Orientierung, für die Suche nach dem richtigen Maßstab der Orientierung in der modernen Gesellschaft, wobei sich das ungelöste Spannungsfeld von Reflexion und Entschlossenheit zunehmend aufdrängt?

    Das Problem gilt wohl ebenso für die Entwicklung der modernen Wissenschaft, die das, was schon Descartes im Ansatz zum Programm erhoben hat, nämlich, dass es darauf ankommt mit Hilfe des Wissens sich in der Welt mit Sicherheit zu bewegen, als Aufgabe weiterführt. Wobei Descartes mit seinem Methodenbegriff entscheidend die Anfänge der Moderne mit bestimmt hat, durch das, was man nach Valéry die „Quantifizierung des Lebens" nennen könnte.

    Die Aufgabe, sich in dieser Welt mit Sicherheit zu bewegen, ist jedoch in der Moderne alles andere als gelöst anzusehen. So weist z.B. Habermas darauf hin, dass sich in der Gegenwart zunehmend nicht nur in der Politik eine besondere Form der Ratlosigkeit entwickelt, die er kurz die „neue Unübersichtlichkeit" nennt.

    Die moderne Gesellschaft wird nämlich durch stetigen Wandel, d.h. durch Bewegung bestimmt, nicht zuletzt dominiert durch den technischen Fortschritt, aber auch durch eine Umwertung der Werte.  Jedoch, diese Veränderungen in der Gesellschaft sind nicht nur stetig, sondern sie beschleunigen sich auch exponentiell. Die Bedingungen knapper Zeit und begrenzter Informationen werden zu ständigen Begleitern in diesem Prozess. In einer solchen Situation wird man den Weltgeist von Hegel nicht entdecken, wohl aber einen Geist mit Flügel aber ohne Kopf oder einen seiner Verwandten, den Hans Dampf ohne Ideen.

    Man kann sich also nicht nur in einem Wald wie bei Descartes verirren, sondern in der Moderne auch in einer Welt des ständigen Übergangs, in der man befürchten muss, ständig den Boden unter den Füssen zu verlieren.

    Im Zeitalter der Beschleunigung, d.h. in einem Zeitalter vor allem des technischen Fortschritts wird daher Entschlossenheit leicht zu einem Wert an sich , zu einer Einstellung, die u.U. sogar nicht nur in der Praxis zu einem eigenständigen Merkmal von Autorität wird.

    Es ist Marquard, der in kritischer Intention darauf hinweist, dass unter den Beschleunigungsbedingungen der modernen Gesellschaft z.B. die Änderung der Daten häufig ignoriert werden muss, da man sonst nicht handeln kann. Man braucht daher nach Marquard Konstanzfiktionen, d.h. wenn alles fließt wie in der modernen Gesellschaft, braucht das Durchhalten einer Handlungslinie eine Fiktion.⁷ Von einer solchen Konstanzfiktion mit der möglichen Folge einer sträflichen Vernachlässigung der Reflexion wird im Ansatz schon in der Geschichte des Descartes erzählt, auch wenn diese wohl noch nicht auf dem Hintergrund des Problems eines beschleunigten Wandels in der Gesellschaft erzählt wird.

    Zögern und Zaudern

    Die Verirrten von Descartes sollen nicht zögern oder zaudern, sondern sie sollen entschlossen handeln. Es geht darum, geradeaus in eine Richtung zu gehen, auch wenn die Wahl der Richtung am Anfang durch den Zufall bestimmt sein sollte.⁸ Für denjenigen, der sich verirrt hat, ist es besser irgend etwas zu tun, als in der Ratlosigkeit zu verharren.

    Die Gerade ist die kürzeste Verbindung von Punkt zu Punkt. So scheint sie das geeignete abstrakte Mittel für ein konkretes Problem, denn die Verirrten haben es eilig den Ausweg aus dem Wald zu finden. Wer auf diese Art, d.h. unter Zeitnot dem Schein der Wahrheit folgt, kann dem Zweifel und dem Denken nur wenig Raum schenken. In der Situation, die Descartes anführt, muss unter der Bedingung knapper Zeit gehandelt werden. Blinde Entschlossenheit wird daher leicht unter solchen Umständen zu einem Merkmal der reinen Selbsterhaltung.

    Es ist eine bedenkliche Situation, die Descartes an den Anfang seines Gleichnisses stellt, ist doch gerade das, was das Menschliche ausmacht, eine Kultur des Zögerns, eine Kultur der Umwege. Es ist ein Unterschied, ob man auf eine Situation nur reagieren oder die Reaktion verzögern kann, um Zeit für eine Reflexion zu gewinnen. Überträgt man einmal das Gleichnis von Descartes auf ungewisse Situationen in der Gesellschaft, so ist durchaus fraglich, ob die Idee einer Abkürzung das geeignete Mittel ist und vor allem das ist, was man als einen humanen Weg bezeichnen kann. Blumenberg hat nicht von ungefähr auf die Bedeutung von kulturellen Anstrengungen des Menschen hingewiesen, die gerade Momente der Verzögerung sind.

    Oder da ist Adorno, der auf auf eine besondere Form der Gewalt im Denken der Moderne aufmerksam gemacht hat. Worin besteht diese Form der Gewalt?  Nach ihm wird das Denken zu einem Ausdruck von Gewalt, wenn es zunehmend auf einer „Abkürzung des Wegs" im Prozess des Erkennens beharrt.  Wahrheit ist nach Adorno vor allem auch von der Möglichkeit der Geduld und des Verweilens beim Einzelnen abhängig. Vorausgesetzt wird hier allerdings, dass man auch das Erkennen als ein Handeln versteht, das sich in seiner Intention nach Wahrheit überhaupt noch auf auf ein Einzelnes bezieht.¹⁰

    Aus der Perspektive von Descartes ist die Welt des Handelns und der Erfahrung eine Irrwelt, d.h. eine Scheinwelt. Für eine Moral des Handelns bedeutet das nach ihm, dass man nur dem Schein der Wahrheit folgen kann. In einer solchen Welt findet nach Blumenberg das statt, was man auch Fortschritt nennt. Für ihn ist eine solche Welt des Fortschritts im Prinzip nichts anderes ist als jene auf Dauer gestellte Lebensform eines permanenten Übergangs, für dass schon die provisorische Moral gedacht war.¹¹

    Descartes Moral für das Handeln ist eine vorläufige Moral, eine provisorische Moral; sie steht allerdings unter dem Anspruch, dass eine endgültige Moral möglich ist.

    Die Frage wird bei Descartes allerdings nicht thematisiert, wie man mit der Enttäuschung umgehen kann, wenn aus der provisorischen Moral keine endgültige wird, wenn der Jüngste Tag der Vollendung der Moral auf sich warten lässt. Es versteht sich nicht von selbst, dass der Einzelne in einem dauernden Stadium der Vorläufigkeit auch leben kann, auch wenn dieses Stadium in der modernen Gesellschaft zum Dauerzustand geworden ist. Die Idee der Geraden in dem Gleichnis des Descartes kann man als eine eine Ideallinie interpretieren, die lediglich für die Erfahrung Erfüllung suggeriert.

    Vertrauen

    Nicht alles Handeln kann durch sichere Voraussicht seiner Wirkungen geleitet werden, schreibt Luhmann in seinem Buch über das Vertrauen.¹² Er bezieht sich dabei auf eine Situation, in der trotz mangelnder Erkenntnisse gehandelt werden muss. Ob man Erfolg mit seinem Handeln hatte, steht daher erst im nach hinein fest. Es ist das Vertrauen, dass nach Luhmann dieses Zeitproblem überbrückt. Vertrauen ist danach eine riskante Vorleistung.¹³

    Auch die Reisenden in Descartes Gleichnis, die sich verirrt haben, besitzen keine sichere Voraussicht für ihr Handeln. Sie vertrauen darauf, dass die Entscheidung immer gerade in eine Richtung zu gehen, sie irgendwann aus dem Wald herausführt. Man kann also auch das Problem, das Descartes in seinem Gleichnis beschreibt, als ein Problem des Vertrauens betrachten.

    Wenn man so will, reduzieren auch die Reisenden des Descartes in gewisser Weise mithilfe ihrer Vorstellung die Komplexität der Welt, wobei diese Leistung allerdings natürlich noch nicht speziell im Kontext einer System-Umwelt Differenz verstanden wird, wie in der Systemtheorie.

    Das Vertrauen der Reisenden ist bedingt durch die für sie scheinbar selbstverständliche Vorstellung, dass die Gerade den Ausweg garantiert. Folgt man Habermas, so kann man die Vorstellung der Lösung bei Descartes schon als eine Art Idealisierung der Lebenswelt betrachten, als eine Art Bürgschaft, die durch die Erfahrung gebildet wird und als eine Bedingung des Vertrauens dient.¹⁴ Wobei unter Lebenswelt von Habermas ein Bereich ursprünglicher Leistungen verstanden wird, die sozusagen den Idealisierungen entgegengesetzt sind, die durch das naturwissenschaftliche Denken erbracht werden, also z.B. durch das Berechnen von Ereignissen.

    Ähnlich argumentiert Luhmann: Vertrauen ist danach nur in Situationen notwendig, in denen ohne zureichende Erkenntnis gehandelt werden muss. Für ihn ist es daher ein Vorurteil, wenn man meint, dass Vertrauen nur da richtig ist, wo es sachlich gerechtfertigt ist.¹⁵

    Anders ausgedrückt: Die Rationalität des Vertrauens, so wie sie Luhmann versteht, definiert zugleich den Bereich, in dem Vertrauen nicht nötig ist. Nicht nötig ist Vertrauen demnach in Bereichen der instrumentellen Ereignisbeherrschung.¹⁶ Eine messbare Erscheinung besitzt in Bezug auf das Vertrauen demnach einen Mehr-Wert gegenüber z.B. qualitativen Erfahrungen. Auf die Naturwissenschaften und ihre technische Anwendung ist Verlass, so könnte man diese Behauptung von Luhmann interpretieren. Damit wird allerdings die instrumentelle Naturbeherrschung selbst als unabhängig vom Problem des Vertrauens erklärt, als wären nicht gerade der menschliche Umgang mit der Natur auch ein Grund für ein sinkendes Vertrauen gegenüber der Technik und ihrer Folgen.

    Das Problem des Vertrauens in Bezug auf die technische Evolution wird hingegen im Denken von Luhmann per Definition ausgeblendet, d.h. auch, es ist kein Thema.

    Ist nicht gerade die Beschleunigung des rücksichtslosen technischen Fortschritts - so wie das Blumenberg ausgedrückt hat - nicht auch ein Ausdruck der Selbstüberforderung des Menschen und der Erschöpfung der Natur?¹⁷ Ist nicht die zunehmende, exponentielle Beschleunigung des technischen Wandels auch ein Grund für wachsende Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung?

    Jenseits der Gewissheit

    Ist das Gleichnis des Descartes nicht ein Ausdruck für die Frage, wie man eine ausreichende Orientierung für sein Handeln finden kann, auch wenn es für diese Orientierung keine letzte Gewissheit geben kann?  Anders ausgedrückt, wie man sich in einer Welt moralisch orientieren kann, die eine Welt des Wandels und der Erscheinungen ist?

    Was nicht heißt, dass dieser Anspruch auf Gewissheit bei Descartes nicht noch bestehen bleibt, allerdings in seiner Subjektphilosophie nur für die reine Erkenntnis.

    Der Anspruch auf Gewissheit selbst wird daher von ihm nicht in Frage gestellt. Auch Descartes geht noch von der Voraussetzung aus, dass Rationalität und Sinnlichkeit getrennt sind; eine Trennung die seit der griechischen Philosophie ein Produkt der Suche nach Sicherheit, d.h. Gewissheit war und in Folge in der Geschichte der Philosophie zu einer Bevorzugung des reinen Erkennens führte.¹⁸

    Descartes Welt der Erscheinungen ist keine Welt, der man deshalb letztlich vertrauen kann, weil sie einen möglichen Übergang in eine höhere Welt in Aussicht stellte, so wie das noch in der Philosophie von Plato der Fall war und in dem Höhlengleichnis anschaulich zur Geltung kommt.

    Der ontologische Komparativ des Plato hat bei Descartes seine Gültigkeit verloren. Die Welt ist bei Descartes nicht mehr der griechische Kosmos, das Bild einer Natur, die in ihren Seins-Möglichkeiten immer schon begrenzt ist. Der Kosmos der Antike ist verschwunden und damit auch die Möglichkeit, jederzeit mit der Realität eines schon Vollendeten konfrontiert zu werden; eine Vorstellung, die übrigens Nietzsche später als ein Glaube bezeichnen wird, der Hand und Vernunft in der Kulturgeschichte beispiellos gelähmt hat.¹⁹

    Es gibt in Descartes Welt der Erscheinungen keine Garantie mehr für eine Einheit in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen.²⁰ Eher ist das Gegenteil der Fall. In seiner Philosophie wird sogar der Verdacht ausgesprochen, das die Welt der Erscheinungen eine bewusste Täuschung sein könnte, die Konstruktion eines genius malignus, d.h. das es eine Macht gibt, der es womöglich sogar auf eine Irreführung des Menschen ankommt.²¹

    Blumenberg hat das Gleichnis von Descartes mit dem Höhlengleichnis des Plato verglichen und behauptet, dass bei Descartes die Welt im Ganzen eine Art von Höhle sei, ein abgeschirmter Ort, der eine mögliche Irreführung des Menschen durch eine höhere Macht erst möglich macht.²²  Wenn man davon ausgeht, dass die Welt der Erscheinungen uns den Eindruck der Realität vermittelt, so ist auch der mögliche Verdacht nicht fern, dass die Welt das Produkt eines bösartigen Dämons ist.²³

    Der Gedanke, dass die Welt womöglich in Wirklichkeit eine Welt der Verwirrung ist, erinnert auch an einen Text von Gracian, ein Zeitgenosse von Descartes. So leben die Menschen in „Criticon" in einem Labyrinth der Unwahrheiten und haben die Orientierung verloren.²⁴ In einer solchen Welt herrscht die Maxime: Nichts sollst du glauben!²⁵ Diese Welt der Verwirrung ist bei Gracian ein „Scheinkönigreich". Das Werk von Gracian liest sich wie eine einzige Klage über den Verlust einer möglichen Orientierung des Erkennens und Handelns, die ehemals durch die platonisch-traditionelle Metaphysik garantiert wurde.

    Auf dem Hintergrund eines Umbruchs der kulturellen Werte, vor der Erfahrung einer Welt, die zunehmend

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