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Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann
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Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann
eBook446 Seiten6 Stunden

Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann

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Über dieses E-Book

Wer zum Teufel ist Hannemann?
Hannemann ist ein Klon, ein durch ungeschlechtliche Vermehrung von geheimnisvollen Mächten geschaffener Nachkomme eines genialen Kochs. So wird es ihm wenigstens von seiner Frau aus einer anderen Welt erzählt. Gewiss, er ist ein tragisch-komisch agierender Klon, ein außerordentlich begabter Tagträumer, allemal ein Aufschneider, Hampelmann, aber auch ein Held. Möglicherweise sogar ein Gott und gleichzeitig ein verschwenderisch potenter Mann. Dennoch ist nichts, wie es vordergründig scheint.
Gedanken, Träume, Versäumnisse, ewige Suche nach einem Sinn, Erdachtes und Tatsächliches werden bunt durcheinander gewirbelt und dem Leser serviert. Ein spannendes Vergnügen, der Schalk lässt grüßen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Juli 2018
ISBN9783742728463
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    Buchvorschau

    Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann - Hans-Dieter Heun

    Das Ende

    Das

    unglaublich

    unglaubwürdige

    Leben des Hannemann

    Hans-Dieter Heun

    Das

    unglaublich

    unglaubwürdige

    Leben

    des

    Hannemann

    zwischen

    Töpfen

    Flaschen

    und

    Frauen

    Alle Rechte

    Hans-Dieter Heun

    Egglham, Niederbayern

    heun-holzbauer@t-online.de

    Cover: Michael Weiler / Muhhh-Tv

    michael@muhhh.com

    Layout: René Kanzler

    www.rene-kanzler.com

    „Nimm dich in Acht vor ihren roten Haaren, vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt. Wenn sie damit den armen Mann erlangt, so lässt sie ihn sobald nicht wieder fahren."

    Alle Frauen sind Lilith, Lilith ist in jeder Frau. Und der Rausch – Satans Morgengabe bei der Erschaffung der Welt – treibt den willenlosen Mann in ihre Arme.

    Der Koch kam aus seiner Küche. Er hatte Zucchini-Blüten mit Schafskäse gefüllt, danach zweihundertvierundsechzig Knoblauchzehen geschält und jeweils dreiunddreißig Kloben – heilige Zahl – der saftstrotzenden Stinkerzwiebeln in acht, ehemals auf grüner Wiese Krabbelkäfer und Ringelwürmer pickende glückliche Hühner gefüllt. Anschließend die Flattertiere auf Drehspieße gesteckt und für die Männergesellschaft über offenem Feuer gebraten. Er hatte weiterhin saftig gebratene Filets vom Drachenfisch in frisch gehackten Kräutern gewälzt und auf eine Thymian-Tomaten-Butter gesetzt. Er hatte zwei köstliche Marillen-Mohn-Strudel gebacken, Stücke davon an ein Kompott aus in Wodka geschmorten Klaräpfeln gelegt und dazu ein selbst gerührtes Bourbon-Vanilleeis gereicht. Danach war seine Männerklientel zu Mokka nebst ein paar Gläschen sündig-exklusiven Irgendetwas übergegangen, und er hatte die Zeit bis zum allgemeinen angeheiterten Aufbruch genutzt, um für den kommenden Tag sieben Wildenten zu rupfen und auszunehmen. Sogleich hatte seine Küche ein dermaßen übler Gestank nach vergärendem Vogelfutter erfüllt, nach übelster Wildentenscheiße, dass er den Schalter der Abluft auf die höchste Stufe stellen musste und selbst zwei Fernet Branca brauchte, um sein Kotzen zu verhindern.

    Endlich waren die Arschgeigen verschwunden, seine verehrten, ihm blind in seiner Küchenphilosophie folgenden männlichen Gäste. Er kochte nur für Männer, die Herren der Schöpfung. Der Koch hielt sich an das selbstgesetzte eiserne Gesetz: Sein weithin berühmter Fresstempel blieb für Weiber, ja selbst für die selten gewordenen Damen verschlossen. – Weiber verstehen nichts vom Essen und schon gar nichts vom Kochen. Sie schaufeln überirdische Kochkunstwerke allein als unbedingt notwendige Nahrung in sich hinein, haben noch dazu unsinnige Änderungswünsche. Weiber vermögen nicht sinnlich zu speisen, sie täuschen allenfalls den Lippenorgasmus vor. Möglicherweise bekommen sie ihren Höhepunkt bei Torten, den aufgemotzten Sahnefettmachern. Männer sind da anders, verstehen, verfolgen seine Kunst, sind selbst kreativ am Herd. Männer sind eben Männer.

    Feierabend, alle Gäste, leicht benebelt, verschwunden. Alle bis auf einen, Schmiernippel auf seinem Stammplatz am Tresen mit Blick in die Küche hockend. Feuerwasserabend, das Saufen konnte beginnen. Der Koch nahm den Platz am Zapfhahn hinter der Bar ein, zwei bis drei Männerarmlängen von Schmiernippel entfernt. „Was trinken wir?"

    „Wo bist du denn gerade?", Schmiernippel, feinsinniger Saufkumpan und hoch vergeistigter Narr, saß vor einem halb getrunkenen Pils.

    „Wildenten, ich bin bei Fernet und Bier."

    „Dann bleiben wir auch vorerst dabei. Schmiernippel trug mit Stolz diesen Ehrennamen, weil er jeden Abend, an dem der Koch den Laden öffnete, seinen Gaumen, Rachenraumnippel, hinreichend mit geeigneten Getränken schmierte. Der Koch zapfte zwei frische Pils, schenkte zwei Fernet ein – Magen- und Seelenputzer eines scharfäugigen Adlers –, ließ ein Pärchen mit gekonntem Schwung über die Theke bis zu seinem Jünger rutschen, hob sein Schnapsglas der Decke entgegen und sprach die weihevollen Worte: „Mögen die Göttinnen uns für würdig befinden. Und Schmiernippel mit nämlichen Anstand: „Mögen sie uns für diese Nacht gewogen sein." Sie schluckten gleichzeitig die schwarzbraune Medizin und kühlten die geforderten Gaumen mit blondem Pils.

    „Los, an die Arbeit. Die Kumpane rückten schwere Tische an die polierten Holzwände, zogen die Leinenwäsche ab – benutzte befleckte, lose geknuddelt, in den Schmutzwäschekorb, nicht gebrauchte blütenreine Tischdecken, sorgsam gefaltet und gestapelt, für den nächsten Abend auf den Serviertisch. Sie ketteten Hängelampen aus Porzellan fünf Kettenglieder höher und stellten die Stühle auf die Tische, schufen derart Platz zum Tanzen, Träumen und möglicherweise auch wieder einmal zum Schweben. „Wer war es denn das letzte Mal?

    „Astarte, die nackte Fruchtbarkeitsgöttin. Schmiernippel wischte mit dem Handrücken Bierschaum von seinem buschigen Oberlippenbart. „Astarte erschien als junge Ziege und knabberte urplötzlich erblühende Rosenknospen von deinen Holzwänden. Da hinten in der Nische sind noch die Spuren ihrer kleinen Hufe. Der Nippel machte einen Ausfallschritt und deklamierte trunken: „Oh meine Göttin, wildes Zicklein von ungezügelter Leidenschaft. Du kamst in unsere Unterwelt, um mich als deinen Geliebten zu suchen. Du schürtest alsbald mein Verlangen und brachtest mich zum Schweben."

    „Schmiernippel, du spinnst. Der Koch war noch relativ nüchtern. „Welche Musik?

    „Es war aber so, der Schmierer im Trotz, „und selbstverständlich die Möwe. Lass Neil Diamond singen, klingen und schwingen. Er wird uns gleich dem Himmel näher bringen.

    „Selbstredend, die Möwe, was auch sonst? Der Koch legte den „Jonathan Livingstone Seagull auf, servierte dazu die ihnen angenehme Droge, hochgeistige Birne, die er mit wilder Vanille und erotisierendem Safran verfeinert hatte. Sie setzten sich wieder auf ihre angestammten Plätze und warteten auf den Beginn des Präludiums der Pauken, Bläser und Geigen. Sie mussten nicht lange warten: Der erste dunkle Gitarrenakkord, die Pauken dröhnten mit Macht und das Thema „Diiii, da da dii da da di da da da füllte den Raum. Sie kannten es auswendig, harrten nun auf den Einsatz von Neils Stimme. Schmiernippel wagte den Frevel, die heilige Musik zu unterbrechen: „Erzähl mir etwas, bis Neilie singt.

    „Was soll ich dir denn noch groß erzählen? Du weißt doch sowieso schon alles über mich." Er, der Koch war, diese Nacht nicht so gut drauf.

    „Warum keine Weiber?"

    Das war eine bittere Frage, nicht gut für die Euphorie, einen Zustand gehobenen Wohlbefindens nach ausgiebigem Genuss von Rauschmitteln wie verfeinerten Birnenbrand, den beide zum Schweben brauchten. Der Koch überlegte: Er wurde nicht jünger, und Schmiernippel war nun mal sein Gewissen. Vor seinem Gewissen wollte er jedoch keine Lügen mehr ausbreiten, also raus mit der Wahrheit. Oder mit einer Meinung, die er momentan für eine Wahrheit hielt: „Der ganze Quatsch am Ofen hat mit meinem eigentlichen Leben nichts mehr zu schaffen. Da ist etwas anderes, ich kann die Weiber nicht mehr sehen. Er schluckte weiche Birne. „Und warum? Es tut mir schlichtweg weh, für Weiber zu kochen, weil, ja weil ich sie nicht mehr haben kann. Traurig schluckende Pause. „Ich bin zu alt, ein uralter Trottel, der immer noch in seiner Küche steht und kocht. Sie dagegen wachsen jeden Tag nach, werden immer schöner, aufreizender, begehrenswerter, aber ich komme nicht mehr an sie ran. Der Koch schrie fast in der Notenfolge des Begleitorchesters: „Da da da, da dii da da, mein Zug ist abgefahren! Ich bin ein Relikt, ein Überbleibsel wie eine vollgestopfte Abfalltüte neben den Bahngleisen zu neuen verlockenden Zielen, die ich nicht mehr begreifen, betatschen und spüren darf. Darum, einzig und allein deswegen will ich sie, die jungen Weiber, auch nicht mehr in meinem antiquierten Reich sehen, in dem sich nur noch Männer meiner erinnern. Kannst du das nicht verstehen?

    Schmiernippel interessierte Klage des Kochs nicht im Mindesten, vielmehr hob er gebieterisch die Hand. „Ruhe jetzt, Neilie singt! Die samten-dunkle, geile, streichelnde, schmeichelnde Stimme des Möwen-Barden löste sich aus der elektronischen Gefangenschaft einer silbernen Scheibe, und der Nippel sang mit. Seine Arme formten Wellen. Wie ein Hund, ein Schnauzer, hob er das birnenfeuchte Maul zu Decke, heulte Neils Text auf Deutsch: „Verloren, völlig verloren an einem gemalten Himmel, an dem für des Dichters Auge Wolken hängen, könntest du sie finden. Wenn du sie zu finden vermagst. Wir tänzeln, tanzen zu einer flüsternden Stimme, von deiner Seele überhört, von deinem Herzen unterdrückt, die du kennen könntest. Wenn du sie zu finden vermagst. Dort, an einem weit entfernten Strand, durch ein offenes Tor von den Flügeln deiner Träume getragen, könntest du sie finden. Wenn du sie zu finden vermagst. Schmiernippel holte tief Luft. „Sein, nur sein wie eine leere Seite, die sich sehnt nach dem Wort, das ein ewiges Thema anspricht und …"

    „Schmiernippel, ich finde, das reicht jetzt! Ich erkläre dir groß und breit meine Nöte, und du singst diesen Schwachsinn mit."

    „Es ist die Stimme des Meisters, sein Alter Ego hauchte vor Ehrfurcht, während Geigen sanft in der Brandung verklangen. „Er lockt die Göttinnen, hörst du das nicht? Was kümmern mich da deine Weibergeschichten? Sein geistiger Zwilling leckte sich den Hundeschnauzbart. „Kann ich noch eine weiche Birne haben?"

    „Du hast jetzt schon eine weiche Birne. Aber meinetwegen, da bitte. Der Koch war irgendwie sauer. „Kapierst du das denn nicht? Mein ganzes Leben lang war ich auf der Suche nach der einen Frau, immer nur nach einer einzigen, und die vielleicht rothaarig mit grünen Augen und Sommersprossen auf weißer Haut. Er stutzte. „Na ja, meinetwegen hätte es durchaus auch eine zärtliche Brünette oder eine verständnisvolle Schwarze werden können, Hauptsache nicht blond. Aber wie soll ich denn die Einzigartige finden, ohne zuvor alle anderen ausprobiert zu haben? Verstehe doch, mein Nippel, ich bin traurig, habe Angst, dass ich die Richtige nicht mehr spüren werde, eine Unberührte einfach übersehen könnte. Geschluckte betrübte Einsicht. „Ich bin aus dem Rennen, das sitzt tief in mir drin. Ich bin schlichtweg zu alt, und deshalb, genau deswegen will ich keine Weiber mehr in meiner Kneipe sehen.

    „Ach darum die Göttinnen als Ersatz? In Ordnung, ist ja schon gut, ich wollte doch nur, dass du mir etwas erzählst, aber nicht gleich die dunklen Abgründe deiner Seele öffnest. Schmiernippel besaß keine Lebensängste, war keineswegs traurig. Er stand vielmehr auf, tanzte ein paar gezierte Schritte zur Probe und lauschte dem erwarteten Zwischenspiel. „Hörst du, wie die Zeit vergeht? Tamm tamm tamm tamm tamm tamm tamm, ein paar Perlen Klavier, dann die Bläser, die Geigen und das war es schon, das Leben, aus und vorbei. Aber gleich wird der Meister von seinen, von unseren Träumen singen: We dream! Oh große Erdmutter, we dream! Kannst du mich da nicht mit deinen idiotischen Weibergeschichten verschonen? Er brüllte: „Wir träumen! Eine Göttin, meine Göttin wird mir erscheinen!"

    „Nippel, du bist ein ganz schönes Arschloch. Komm, wir trinken noch eine Birne. Er, der Koch, fühlte sich für eine Göttin noch zu nüchtern. Also tranken sie, Neil sang „Lonely sky, lonely looking sky, und Schmiernippel tanzte den Flug der Möwe zu den Sternen – allerdings nicht das ruhige, dennoch kraftvolle Schweben ausgebreiteter starker Schwingen, welche die Macht des Windes und der Wolken nützen, sondern mehr den unkontrollierten Taumel eines von Tollwut behafteten, besoffenen Vogels mit Birnenschaum vor seinem Schnabel. „Glory looking day, gleich kommt seine Hymne, seine Anbetung. Er fleht die Göttinnen herbei! Er, ein echter Schmiernippel, taumelte, fasste ihn, den Koch, an seiner weißen Jacke – zwei schwarze Kugelköpfe kullerten zu Boden -, schmierte ab, fand sich auf Knien wieder, formte beide Hände zu einem Kelch und sprach mit Neil das Gebet: „Sanctus … Kyrie … erbarme dich … Sanctus, Kyrie, Gloria, du Ruhmreiche, wer auch immer du bist … Kyrie Glorreiche, heilig, heilig, Gloria.

    Das Cembalo setzte ein Zeichen: Die Zimmerdecke sprang auf, und der Klang einer schluchzenden Violine – Stimmen unsichtbarer Engel jubilierten das „Holy holly – befahl dem alten Holz, sich in lichte Kronen lebendig junger Birken zu wandeln, durch deren hellgrüne Blätter ein aus dem Jenseits strahlendes Licht goldene Sonnenflecken auf ein Moos der Heiterkeit warf. Es herrschte Brunft. Zarte Elfen mit nackten mädchenhaften Brüsten streuten bunte Blütenblätter. Bockige Kobolde bolzten mit ihren Bollen. Weiße Hirsche schleckten sich verzückt den Hintern und rosa Drachen schnoben psychedelischen Weihrauch mit einem Hauch von Birne. Und siehe, die Göttin, ewige Jungfrau, erschien im Strahlenkranz ihrer blühenden Jugend. „Hallo Schmiernippel, und ich grüße auch dich, Koch, also was liegt an Jungs? Übrigens, ihr könntet mich ebenfalls mit einer weichen Birne ehren.

    Sie war rot, eindeutig rot, und der Koch fühlte die ganze Wehmut seiner unerfüllten Wünsche. Er bettelte: „Göttin, zeig mir die Meine! Nein, zeig mir lieber das Deine! Nur ein einziges Mal und erlöse mich dann von allen bösen Weibern dieser Welt. Bitte, ich flehe Dich an, zeig mir dein Geschlecht, wie Du es früher den Göttern gezeigt hast und schenke mir dann meinen Frieden."

    Schmiernippel war ganz anderer, war rasender Meinung. Er riss einen Birkenzweig von einem der lichten Bäume, peitschte damit den Koch und brüllte aus Leibeskräften: „Ich hingegen, Göttin, lebe! Bring mich zum Schweben, ich liebe das Leben, ich liebe die Reben, ich will …"

    Das Chaos brach los. Er, der Koch, stürzte in das heitere Moos herrschender Brunft, er, der schmierige Nippel, peitschend hinterher. Schmiernippel strampelte wild mit den Beinen, kam endlich auf ihm, Gott in Weiß, zu liegen, schlug ihn weiter mit dem Birkengrün. Die Göttin, nach vielen Jahrtausenden sich des Makels ihrer Jungfernschaft wohlbewusst, fuhr dazwischen, grapschte nach dem Hosenstall des Kochs, wollte endlich diesen fehlerhaften Zustand beenden, wollte rote Mutter werden. Und Neil, der Barde, hauchte dazu sein Look at the way I glide, caugt on the wind`s lazy tide, sweetly how it sings.

    Ein später Spaziergänger, seine rotfellige Dogge namens Lilith an der Leine, trat zu einem Bekannten, der seit geraumer Zeit durch die Frontscheiben das Geschehen in dem berühmten Restaurant beobachtete. „Und, was macht er diese Nacht?"

    „Wie immer das gleiche alte Lied, Neil Diamond und diese Möwe Jonathan. Der Koch kommt aus seiner Küche, hört sich diese Hippie-Musik an und säuft sich dabei langsam zu Tode."

    „Ja, es ist sein Kreuz."

    „Er redet mit sich selbst, tanzt dann wild herum, reißt sich die Kleider vom Leib und irgendwann kracht er dann vollbesoffen zu Boden und schläft seinen Rausch aus."

    „Dem fehlt eine Frau. Ich sage dir, der braucht ganz dringend eine Frau. Die beiden Nachtwandler starrten sich an, erkannten die Wahrheit, der Schnauzer knurrte, und der Hundegassigeher seufzte resigniert: „Na ja, wer in unserem Alter braucht schon noch eine Frau.

    „Was?"

    „Ich meine körperlich und so."

    „Ach so, körperlich. So meinst du das also. Tja, wirst schon recht damit haben. Vorbei, wohl endgültig vorbei. Der Koch schläft allerdings ziemlich unruhig, wovon er wohl träumt?"

    „Ich glaube, er träumt sein Leben."

    Der Traum

    Ich habe meine Flügel, die Macht zu fliegen verloren. Bin abgestürzt. Und ich sterbe, weil ich nur noch denke … Aber auch wieder saufe. Und wie! Ich verrecke stinkbesoffen im heißen Sand einer lieblichen Insel vor der Küste des sündigen Thailand. Weit von daheim entfernt. Weil ich aber denke – und auch wieder saufe –, werde ich in Höllenfeuern verglühen. Wenigstens bis zu einem nächsten Stelldichein hier auf Erden.

    Ich denke schon wieder: Stelldichein ist in diesem ernsten Zusammenhang ein gut gewähltes Wort. Stell dich darauf ein, nicht mehr zu fliegen, dafür zu denken, zu verglühen und dich erneut im Kreis zu drehen. Im Uhrzeigersinn besoffen torkelnd

    Ich habe mich stets, viele Leben lang, vor dem Feuertod gefürchtet, hasse Hitze, war Koch. Grauenhaft, so einfach zu verbrennen. Nun aber erkenne ich, dass es schlimmeres gibt, als in höllischen Flammen zu braten.

    Denken ist schlimmer, ewiges Grübeln bringt mich wieder einmal um. Kann nichts dagegen machen, sinniere den ganzen Tag und selbst noch in meinen Träumen. Allerdings ohne Lösungen zu finden, wie aus eigener göttlicher Kraft noch etwas zu ändern wäre.

    Es tut verdammt weh, zu begreifen, dass Alles, wahrhaft Alles meine Schuld war, ist und immer sein wird. Weh ist viel zu wenig, diese Schuld killt! Mein Saufen hilft beim Killen allein ein klitzekleines Bisschen dazu.

    Vielleicht, wenn ich versuche, meinem Sterben eine Ordnung zu geben?

    Ich zweifle, verzweifle schon lange, aber meinetwegen, ein letzter Versuch. Und uralte Küchenweisheit lautet: Probieren geht über Studieren. Doch, das ist so.

    Gott schenkte mir Vollkommenheit. Sie gab mir aber auch den Zweifel.

    Macht das Sinn?

    Nein. Das trügerische Sein durchschaute ich erst, als ich tief in den Spiegel der Droge A blickte, den Alkoholspiegel. Aus diesem besonderen Spiegel sah mich mein anderes Ich an: verbraucht, ausgemergelt, torkelnd, wieder einmal. Da wusste ich: Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur eine Meinung.

    Und selbst das ist eine Meinung.

    Meine.

    Das allein macht Sinn.

    Ich bin dein Gott.

    Dein Löwe, dein Gebieter.

    Der einzige Inhalt deines einzigen Lebens.

    Sinn und Sinnlichkeit schlechthin.

    Und du, Frau, sollst meine zauberhafte Göttin sein.

    Ja, wahrhaft zauberhafte Göttin … Nur welche von den vielen verschiedenen verdammten Weibern in meinen vielen verschiedenen verdammten Leben?

    Macht das wenigstens Sinn? Vielleicht später, und außerdem wäre noch zu bedenken, ein Koch erzählt viele Märchen. Jetzt und immerfort.

    Die Dummheit im Westen

    Der Zauberer sprach in sanften, doch drängenden Weisen. Und Gott antwortete ohne zu zögern, Sie lachte.

    Er wurde beobachtet, von Anfang an. Klar, durchsichtig ist jedoch nicht, von welchem Anfang an. Von Anfang dieses Lebens an oder von Anfang all seiner Leben an? Jedenfalls wurde er kritisch beobachtet, von vier Augen. Doch die griffen nie ein. Logisch. Hat man, wer auch immer das sein mag, schon jemals gehört oder gelesen, dass Augen eingreifen können? Augen können einsehen, wenn auch nicht begreifen. Augen melden nur Signale nach oben, dorthin, wo der Verstand sitzt … Oder sitzen sollte.

    Diese vier Augen meldeten also die Signale. Halt! Waren sie wenigstens dazu fähig? Immerhin müssten die vier Augen für diese besondere Form der Signale zumindest etwas begreifen können. Gut, den zwei Personen, so sie denn welche sind, die zu den vier Augen gehören, ist vieles, wenn nicht sogar alles möglich. Und nicht nur etwas. Ihre Augen kritisch melden zu lassen, zu begreifen und dann nicht einzugreifen, war und ist eine ihrer leichtesten Übungen.

    Fast war es ein Spiel. Die Augen der zwei Personen beobachteten, und er hatte langsam gemerkt, dass er eingesehen wurde. Von jemand. Nur verdächtigte er die Falschen. Es war schon richtig, seine Schöpfer zu verdächtigen, aber waren seine Schöpfer wirklich seine Schöpfer? Die Verantwortlichen? In letzter Instanz?

    Wurscht, er hatte aus allem gelernt, ein ganzes Leben lang oder auch viele Leben lang nachgedacht. Und vermeintlich begriffen. Jetzt gab er selbst Rätsel auf, erzählte bunte Märchen. Den Falschen wie den Richtigen, obwohl die Richtigen an sich die Lösung aller Rätsel, aller Märchen kennen sollten.

    Ein Rätsel: Die Farbe Schwarz. Er, der Märchenerzähler, spürte ihr Dasein überdeutlich, selbst wenn er in Träumen weilte. Er musste nur mit den Daumen seine Augenlider sanft, aber doch mit der notwendigen Festigkeit in ihre Höhlen drücken, und Es würde erscheinen. Es, das warme schwarze Loch, samtig weiblich inmitten von brillierenden Gestirnen. Stete Winde und himmlische Töne würden jene Sterne treiben, und er wäre in ihnen wohl aufgehoben, aufgefordert zu fliegen.

    Der Märchenträumer war sehr weit gekommen in der Kunst des Fliegens. Am Anfang der Unsicherheit hatte er noch ein Tuch, ein Laken, seinen Anorak oder einfach nur einen Schal wie Flügel zwischen Arme und Körper gespannt, um torkelnd und taumelnd von wehenden Tönen umher getrieben zu werden.

    Nun, sicher aus starker Seele, genügte es, allein seine Finger zu spreizen, und die Gier in ihm stieg: Ich will fliegen! Sofort! Fliegen war ihm vertraut, schön geworden. Und am schönsten war das Fliegen in die Schwärze: in den schwarzen Schoß einer Frau.

    Schwarz war von Bedeutung. Das Fliegen, die Sterne, der Wind und die Musik waren bedeutend, und bedeutend war gleichfalls die Bedeutung einer Frau. Doch er ahnte noch nicht wie sehr.

    Hannemann lag im Bett und genoss seine Schmerzen. Er wusste, sie waren seine unverzichtbaren Helfer, jetzt, wo er wieder einmal klar war. Klar von der Droge A. Ständige Pein half ihm jede Nacht, schlaflose Zeit zu gewinnen für die Suche nach dem Sinn seines Lebens. Des Lebens schlechthin und überhaupt. Jene munteren Schmerzen verdrängten die störende Müdigkeit, beschenkten ihn mit langen wachen Stunden, welche er dringend brauchte, weil er ahnte, fühlte, er war so nahe daran, der erste zu sein. Der erste, der verstand. Und auch das wusste er mit der Sicherheit des gestrigen Sonnenaufgangs, er war schon immer bestimmt gewesen, der erste zu sein. Nur warum er?

    Doch das war ebenfalls nur ein Teil des Rätsels „Sinn des Lebens. Es beruhigte ihn wohltuend, bereits so weit zu sein, um bewusst abstreiten zu können, es hätte schon andere gegeben, vor ihm, mit ihm oder selbst in der Zukunft, die verstanden und geschwiegen hätten. Diese Anderen – wenn sie denn existieren würden – hätten sicherlich mit dem ihnen widerfahrenen Wissen geredet, hätten einfach nicht schweigen können, denn die Lösung dieses größten und letzten Rätsels verlangt wie jede Lösung das laute Gerede. Das Weiterplaudern zum öffentlichen Beweis: „Seht her, ich bin! Seht her, ich weiß!

    Außerdem hatte er nach eventuellen Verstehenden geforscht, jedoch keine Spuren von ihnen gefunden. Nein, von möglichen oder unmöglichen Verständigen fanden sich auf keiner Ebene der endlichen Zeit irgendwelche Zeugnisse.

    Er war wohl der erste, doch in ihm war keine Freude.

    Übrigens war Hannemann ebenfalls ein Plauderer und ständiges, eindringliches Schwätzen ein natürlicher Teil seiner Macht. Für den Moment jedoch betrachtete er unter wachhaltenden Schmerzen die Frau, welche seit einigen Jahren im Bett rechts neben ihm lag und sich im Schlaf nackt öffnete. Sie war ihm irgendwann zugelaufen, hatte ihm aber sogleich alles gegeben, dessen sie fähig war, und wie immer staunte er über die völlige Offenheit und das Vertrauen in ihrem runden Kindergesicht.

    Sie hatte die Droge A bekämpft und wenigstens einen sanften Tod für ihn besiegt. Sie rief die Lebensfreude zurück und schenkte ihm sättigenden Genuss in einer derart einfachen, schamlosen, gebenden, aber auch fordernden Art, die er so nie zuvor mit vielen anderen Frauen – verbildeter, geschönter, versauter, heiliger, bereiter oder verschüchterter – genossen hatte. Manchmal, ganz unvermutet, meinte er sogar, sie zu lieben. Gerade jetzt, als ihre Brustwarzen, noch erregt von der eben gegebenen Lust, ihm entgegen strahlten, empfand er erneut diesen erhabene Gefühle hervorrufenden Augenblick.

    Er war alt und sie zu jung … Zu jung zu was nicht? Und er war krank, zuckerkrank, nicht immer fähig, sie jedoch das Bild lockender Gesundheit. Doch beide besaßen Hände, Münder mit gierigen Zungen, und ihr angespannter Bauch, ihre warme Nässe, ihr Stöhnen, Keuchen, ihre Bisse und ihr abgehacktes Stammeln waren echt gewesen. Hannemann hatte genug Lügnerinnen erlebt.

    Wenn das Gefühl Liebe mehr sein sollte als dieses Gern-Haben-Wollen, diesen auf Menschen und Sachen übertragenen Egoismus, war Liebe sicherlich ebenso Teil der Aufgabe Sinn, welche ihm zur Vollendung aufgegeben war. Nur zu dankbar würde er daher dieses Gefühl auf die Schläferin übertragen. Wie schon gedacht, sie hatte den sanften Tod für ihn besiegt. Aber sie gab ihm gleichfalls, selbstverständlich ohne ihr Wollen und Wissen, die Schmerzen zurück.

    Den Schmerzen dieser Nacht nach zu urteilen, würden es lange lustvolle Stunden werden, die ihn einen weiteren Zentimeterschritt zum Ziel, Sinn seines Lebens, führen könnten. Es war genau die richtige Mischung aus dumpfem Dröhnen und hellen verrückten Spitzen, die ihm garantierte, dass die erlösende Ohnmacht der Erschöpfung und die Zeit der wahnsinnigen Träume erst in den frühen Morgenstunden bevorstanden, ihn dann in einen Schlaf zwang, welcher bereits lange keine Erfrischung mehr brachte.

    Hannemann schweifte kurz durch die Gedanken, ob Heilkundige – Ärzte etwa oder Schamanen – überhaupt imstande sind, die ihnen geschilderten Leiden zu begreifen. Oder wie man ihnen dieses beibrächte, wo er sich selbst oft nicht über die gerade anstehende Intensität im Klaren war. Mal hielten die Schmerzen ihn nur unruhig, dann warfen, zuckten und bäumten sie ihn derart stark, dass er sich wiederholt fragte, ob er nur wehleidig sei oder bereits über die Grenze des gerade noch auszuhaltenden Empfindens überschritten habe.

    An und für sich war Hannemann nie ohne dieses nervende Quälen gewesen, das er allerdings ohne große Umstände zu betäuben vermochte. Früher hatte er, oft bis zu zehnmal am Tag, die kleinen weißen runden Freunde zu kurzer Hilfe gerufen. Außerdem ausgiebig die Droge A, welche noch dazu seine Laune heizte und gute, unsinnig logische Gedanken und Gefühle vermittelte. Einen Rausch der Sinne. War er endlich schmerzfrei, in Hochstimmung, hatte er ein Weib gebraucht.

    Drogen sind den Männern gewogen. Das ist so. – Er hatte sich oft gegen sie gewehrt, sogar seine wechselnden Konstrukteure bei ihren Verbesserungsversuchen mit Hinweisen noch während des Abspritzens unterstützt: „Links, viel weiter links, links schafft den widerstandsfähigen Geist. Ja, so ist es gut. Los, laufenlassen!" Doch nichts hatte geholfen, die Drogen waren übermächtig. Alle. Nur das Weib, die Rechtsschläferin, schuf Linderung. Liebe, ebenfalls eine Droge?

    Die wechselnden Konstrukteure, auch Eltern genannt, Hannemann grinste in seine Schmerzen. Scheinbar war er keine sonderlich geglückte Konstruktion. Auf unzähligen Rückrufaktionen von den jeweiligen fickenden Blutklempnern zwar ständig verbessert, doch zugestopfte Schmerzlöcher rissen immer wieder nur neue Qualquellen auf. Oft genug hatte er sich vorgestellt, wie seine neuerliche Zeugung möglicherweise abgelaufen war.

    „Füße und Zehen beim Bumsen richtig hinzukriegen, ist wirklich sauschwer, könnte etwa ein schwer atmender, schwitzender Vater zu der gleichfalls transpirierenden Mutter gesagt haben. „Ein Brustbein, eine Hüfte oder ein Armkugelgelenk sind ein Klacks gegen Füße und Zehen. Denke allein mal an das Gleichgewicht unseres Sohnes, vor allem, wie er sich später bei seiner ständigen Fresserei und der daraus resultierenden Gewichtszunahme entwickeln wird. Diese Dreckszehen sollen ein ganzes Leben funktionieren, aber er wird fressen, immer nur fressen, dabei zwangsläufig größer und fetter werden. Und all das soll dann bei seinen Füßen ohne Probleme abgehen? Also ich weiß nicht, wie das andere pflichtbewusste Eltern schaffen. Darum streng dich gefälligst an, gib Gas, Alte.

    Dies war selbstverständlich allein notwendiges verliebtes Drumherum-Gerede, die Schwitzenden hatten den Akt für gewöhnlich gut hinbekommen. Besonders sein Gehirn und das Geschlechtsteil funktionierten seiner Meinung nach stets außerordentlich gut. Aber lustig, wenn auch unter Schmerzen, war es doch, sich so ein Gespräch auszudenken.

    Sei´s drum und überhaupt, es half ohnehin nichts: Der diesmalige Vater kam zu einem kurzen Heimaturlaub aus dem tausendjährigen Krieg. Kaum die Tür hinter sich zugezogen, riss er den Reißverschluss seiner Uniformhose auf, warf sich auf die diesmalige Mutter, druckte, die Mutter zuckte, einmal, zweimal, und der Schwanz spuckte. Ein Sohn war gezeugt. Hannemanns Leib, der zur Regeneration in einer völlig anderen Welt weilte, wurde gerufen, nach den üblichen neun Monaten mit den gleichen, ewig schmerzenden Plattfüßen geboren und wieder einmal auf eine wahnsinnige Runde geschickt. Noch dazu mit frischen Eltern, die er sich, schrecklichste Erfahrung in diesen verschiedenen Leben, nicht selbst aussuchen durfte.

    Eine lange, übersprudelnde, Sinne ausreizende, gewalttätig lustvolle Reise hatte abermals begonnen, und es dauerte wiederum viele Jahre, bis sich endlich die schützenden Nebel vor seinen Gedanken hoben, und er sich mit neugemachten Erfahrungen der eigentlichen Aufgabe, dem Sinn seines Lebens, zuwenden konnte.

    Der Zauberer sprach von den Anfängen, und Gott war beunruhigt. Sie fühlte neugieriges Brennen, sich steigerndes Kribbeln aus Ihrer Mitte, Schmetterlinge in Ihrem Bauch.

    Können diese Augen lügen? Augen können nicht lügen, vermögen höchstens zu spiegeln. Bilder von jungen rothaarigen Mädchen zum Beispiel und manchmal auch die Gedankenproduktion der breiigen Masse, die oberhalb der Augen sitzt. Münder können lügen. Der Mund kann sprechen, folglich die Gedanken für die unbedingt notwendige Kommunikation mittels der Sprache ausdrücken. Der Mund kann verkünden: Geschichten, Lügen, kann Märchen erzählen.

    Der Mund vermag solches selbstverständlich nicht allein, benötigt dazu die Hilfe von Lippen, Zunge, Zähnen, Gaumenplatte, Kieferknochen, Rachenraum, Stimmbändern und Speichel. Ob auch die Münder der zwei Personen – so sie denn welche sind – zu lügen vermögen, wird oft und mit heiligem Ernst bestritten. Logisch wäre es aber, dass die zwei Personen, denen vieles, wenn nicht sogar alles möglich ist, gleichfalls das Lügen beherrschen. Doch diese begründete, aber nicht geglaubte Annahme würde das Bild von den zwei Personen empfindlich stören. Und Bilder existieren tatsächlich. Glauben ist jedoch eine wichtige Daseinsgrundlage der zwei Personen, und glaubhaft ist, dass sie zumindest reden. Sogar miteinander.

    Eine Person ist der Zauberer. „Hannemann ist also wieder auf der Reise?"

    Die andere Person ist Gott. Naturgemäß thront Sie hoch über dem Zauberer. „Hannemann ist immer auf der Reise."

    Der Zauberer ist der Fragende. „So gesehen schon. Und, was macht er?"

    Gott weiß die Antwort, Sie kennt jede Antwort. „Er macht sich."

    Der Zauberer ist neugierig. „Und die Andere?"

    Gott, die jede Antwort kennt, kann Sie ebenfalls neugierig sein? „Die macht sich erst später."

    Der Zauberer bleibt stets am Ball. „Kennt er bereits seine Macht?"

    Gott spielt nicht. Ein Ballspiel schließt den Zufall ein, bei Ihr hat ein Zufall nichts zu sagen. „Nein, aber er beginnt zu träumen!"

    Der Zauberer hingegen versucht, Zufälle zu lenken. „Das macht doch nichts, oder?"

    Ach ja, fast vergessen: Das Wichtigste! Das Wichtigste für diese Geschichte: Der Mund kann schmecken.

    Ohne sonderliche Belästigung durch seine Eltern war Hannemann zu einem mageren Durchschnittsknaben von zehn Jahren herangewachsen. Im Gegensatz zu vielen schlimmen Erfahrungen aus vergangenen Leben zog er diesmal mit seinen Ernährern ein mittleres Glückslos, besonders mit Mutter. Sie besaß Eleganz, gepaart mit einem starken Willen, sie führte, schien sogar zu ahnen, was an und für sich unmöglich sein sollte.

    Vater hingegen wahrte sein ganzes Leben eine eigenartig unaufmerksame Distanz zu ihm. Er half zwar Muttern nach Ende des Krieges mit dem ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten – nicht viele –, den Sohn werden zu lassen, störte ihn auch nicht mit sonderlich großen Erziehungsversuchen, aber er dachte nicht im Traum daran, Hannemann wenigstens einmal liebevoll in seine Arme zu nehmen. Es sah so aus, als ob er sein eigenes Sperma nicht erkannte. Erst als sein krebsverseuchtes Ende nahte, und er nach Hilfe für den Sprung in die jenseitige Welt suchte, öffnete der Vater dem Erben seine Seele. Zu spät.

    Der Sohn hatte erst zehn junge Jahre durchlebt, und dennoch war es nicht zu früh, bereits schwach zu ahnen: Etwas war anders. Mit ihm. Er hatte Macht über Andere. Macht etwa über Angehörige, die mit ausgestreckten Tentakeln versuchten, ihn weiß der Teufel wohin zu drücken, um einen Teil von ihm zu nehmen. Es war eigenartig, trotz manchmal vorhandener Zuneigung mochte Hannemann diese selbstverständlichen Zärtlichkeiten nicht. Er blockte ab, er versteifte sich. Wenn er in späteren Jahren selbst jemand umarmte, meistens Frauen, dann schenkte er, schützte er, heilte er, befriedigte er, genoss er. Vor allem sich selbst.

    Diese Mutter besaß ebenfalls Macht, sie war stark. Mutter war eigensinnig, störrisch, sie war im Übermaß egozentrisch. Genug, um sich vor ihm zu schützen. Sie war im Hass zerstörerisch, doch in ihrer Sorge maßlos, kaufte sich zeitlebens ihre Anbeter und hielt deren Heuchelwunderung für wahr und echt. Mutter kannte es nicht anders. Aber sie unternahm auch, verlangte Wunder und führte zu Wundern. Sie trat auf als Dame, stets elegant, selbst in Notzeiten aus einfachsten Mitteln. Sie gab sich als die Besondere und bestärkte das Gefühl in ihm, selbst ein Besonderer zu sein.

    Diese Mutter würde länger leben als er, und sie war eine der wenigen Personen, die ihn verblüffen konnte. Sie war wichtig für ihn. Nur konnte Hannemann damals noch nicht wissen, was ihr fehlte und worunter sie litt. Viele Jahre später sollte er erkennen, diese Mutter war nicht fähig, sich hinzugeben, errang ebenso nie das Wissen oder die Menschen, welche ihr jenes Gefühl vermittelt hätten. Sehr schade, und er hatte wegen seiner wichtigen Aufgabe nicht mehr die Zeit und die Lust dazu, ihr das lösende Empfinden zu schenken.

    Es war die Zeit der ersten großen Fußballweltmeisterschaft nach dem verlorenen Krieg.

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