Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo?: Sechs Texte: Kurzkrimis und mehr
Von Hawe Preters
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Buchvorschau
Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo? - Hawe Preters
„Mörder! Mörder!"
Ein irres Gesicht, weit aufgerissene Augen, rote, wie geschwollene Haut, die hochgestülpte Oberlippe verbirgt kaum den fast zahnlosen Oberkiefer. Die Hand des Mannes prankt noch auf dem verklebten, zerzausten Haar der Frau. Soeben hat er den Kopf dieser Frau an ihren Haaren hochgerissen, hoch von seinem linken Oberschenkel, in dem in einer blutenden Wunde Zähne stecken, ihre Zahnbrücke. Ohrenbetäubende Schreie: Auf Schwein folgt Mörder folgt Wutgeheul, das keinen Platz für Schmerzen lässt. Das Wutgeheul geht abrupt in ein gurgelndes Röcheln über, als der tiefe Schnitt die Kehle erreicht. Warm rinnt das Blut den Hals hinab und färbt das Hemd tiefrot. Er stößt sie von sich zu Boden. Jetzt liegt sie neben dem Swimmingpool, in dem das gechlorte Wasser die Sonne spiegelt. Ihr Blut quillt weiter, erst in die Fugen, dann über die graublaue Fliese. Ihr Gesichtsausdruck entspannt sich etwas, die feuchten Augen können die Tränen nicht mehr halten. Wie in rasantem Zeitraffer fliegen Erinnerungen vorbei, manche so klar und deutlich und detailliert, als sei es gestern geschehen, manche verschwommen und lückenhaft und über Jahre springend.
*
Brandgeruch, Hanna wird wach, Brandgeruch. Nein, es ist die übliche Zeit, gleich klingelt der Wecker, es ist kurz vor sieben. Brennt es? Der erste Weg führt nicht zum Klo, sondern zum Wohnzimmerfenster, auf die Straße sehen, gegenüber die hohe Mauer der Brauerei. Was ist das? Oh Gott, ein verbrannter, ein verkohlter Mensch, auf einer Liege, nein, einer Wanne, zwei Männer schieben die Wanne soeben in ein Auto, einen Leichenwagen. Nur kurz zu sehen, aber einprägend: Angewinkelte Beine, nach oben erhobene Arme, starr, wie eingefroren, alles schwarz, irritierend klein, geschrumpft, seltsam gekrümmter, zusammen mit Hals und Kopf gebogener Oberkörper. Was ist das? An der Ecke ein Polizeiwagen, Menschen stehen herum, im einzigen Fenster der Brauerei-Mauer drängen Männer, zwängen ihre Oberkörper durch die Fensteröffnung, gieren runter auf die Straße, wieder hoch Richtung Nachbarhaus, vor dem der Bürgersteig voll Nässe glänzt, gieren zu ihr. Nackt. Ihre Nacktheit zieht jetzt die Blicke der Männer auf sie. Sie huscht zurück.
Das übliche Morgenritual erledigt Hanna schnell. Runter, raus. Der Bürgersteig ist gesperrt, gegenüber an die Brauerei-Mauer. Wasser rinnt an der Front des Nachbarhauses hinab, Stümpfe schwarzer Dachbalken dort, wo sonst Ziegel schützten. „Dachstuhlbrand, so die kurze Antwort, „ein Toter
. Sie hat nichts gehört, keine Sirenen, keinen Lärm. Schrecklich, beides schrecklich.
In der Mittagspause kommt sie zurück, der Weg von der Arbeitsstelle ist kurz, gleich auf der anderen Seite der Brauerei befindet sich das Institut, in dem sie arbeitet. Der Polizeiwagen an der Ecke schräg gegenüber dem Brandhaus ist weg, auf dem dortigen Bürgersteig hält jetzt eine größere Limousine, neben der zwei Männer stehen. Mantel, Anzug, Krawatte. Sie betrachten das Haus, unterhalten sich. Im Vorbeizwängen hört Hanna „Versicherungsschaden" oder so ähnlich. Einer der Männer kommt ihr bekannt vor. Versicherungsschaden. Es gibt einen Toten! Ein Toter ist kein Versicherungsschaden! Aus der Haustür werden Möbel geschleppt, einige lagern schon am Rand des Bürgersteiges. Abends ist dort ein Möbelberg entstanden, Sperrmüll, unbrauchbar, schmutzig, nass. Davor im schwachen Schein der Straßenlaterne ein einzelnes Sofa, auf dem ein Knabe aus der Nachbarschaft lümmelt und vorbeifahrende Autos wie die Queen grüßt.
Am nächsten Morgen macht Hanna den kurzen Umweg zum Kiosk. Sowohl im ‚Hamburger Abendblatt‘ als auch in der ‚Morgenpost‘ wird vom Brand berichtet. Das Haus sei wohl in großen Teilen unbewohnbar, so die ersten Hinweise. Es könne Brandstiftung gewesen sein. Auf dem Dachboden habe die Feuerwehr einen unkenntlich verbrannten Toten entdeckt, dessen Identität ungeklärt sei. Der Eigentümer sei ein namentlich bekannter Kosovo-Albaner aus einem Familienclan, über den bereits vielfältig im Zusammenhang mit allerlei kriminellen Aktivitäten berichtet wurde, es sei jedoch nie zu einer Verurteilung gekommen. In der ‚Morgenpost‘ ist auch ein Foto abgedruckt: Einer der Männer, die gestern neben der Limousine standen, der Mann, der ihr bekannt vorkam, Skender Gashi.
*
Die Mutter von Willi und Hanna war von einem „Heini angerufen worden, so nannte der Mann sich, wollte aber den Nachnamen nicht nennen. Ob sie die Mutter von Willi sei, wollte der Anrufer wissen. Willi würde bei ihm im Hause wohnen, sei aber schon seit Wochen nicht mehr aufgetaucht. Ob sie etwas wisse und was er denn mit Willis Sachen machen solle. Natürlich wusste auch die Mutter nichts, woher auch, ihr Sohn war ihr entfremdet, seitdem er diese spinnerten Ideen hatte, sich tätowieren ließ und schlamperte Klamotten trug, sich fast nie bei ihr meldete geschweige denn sie besuchte. Sie wusste nichts mehr von ihm, nicht, wo er wohnte, nicht, was er tat, wie und von was er lebte. Aber nun konnte sie von diesem Heini jedenfalls herauskitzeln, dass ihr Sohn in der Hafenstraße in Hamburg lebte und dass man sich dort ernsthafte Gedanken machte über seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Warum man sich ernsthafte Gedanken machte, wollte der Heini nicht sagen, nur, dass Willi nun schon seit Wochen nicht mehr aufgetaucht war. Das hatte er ja schon zu Anfang gesagt, alles war etwas mysteriös für die Mutter, es gab irgendeine Heimlichtuerei von dem Heini, so ihr Eindruck, nicht mal die Hausnummer wollte er sagen. Sie könne ja in die VoKü kommen, in die Volksküche, „Volx mit x
, wie er sagte, in die Hafenstraße 116 und nach ihm fragen.
Dieses Telefonat ließ ihr keine Ruhe, sie erkundigte sich bei ihrer Tochter Hanna, ob sie in letzter Zeit Kontakt mit Willi gehabt habe. Hatte sie nicht. Schließlich entschieden sich Mutter und Tochter, Willi bei der Polizei als vermisst zu melden. Die aufnehmende, uniformierte Polizeibeamtin machte ihr aber spontan keinerlei Hoffnung, deswegen würden sie nicht in die besetzten Hafenstraßenhäuser eindringen, die Randale mit den dortigen Punks und Linksautonomen wollten sie sich und könnten sie sich auch politisch nicht erlauben. Aber einige Tage später kam dann nach telefonischer Voranmeldung ein Kriminalbeamter in Zivil vorbei: Sie seien am Ball, müssten jetzt aber noch einen DNA-Abgleich machen, um einen Familienbezug zu verifizieren, ob sie bereit sei, sich eine DNA-Probe abnehmen zu lassen. Sie verstand nur Bahnhof und war perplex und gab sich zufrieden mit der Antwort, er oder ein Kollege würden sich in Kürze