Salzburger Emigranten kommen 1732 in die Reichsstadt Giengen: Mit allen Quellen des Stadtarchivs Giengen
Von Ulrich Stark
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Über dieses E-Book
Das Buch beleuchtet und beschreibt dies ausführlich. Kurzbiografien werden ergänzt durch detaillierte Blicke auf die Lebensumstände, bis hin zu einzelnen Zuwendungen, wie Schuhe, Bettkissen, ärztlichen Kuren etc.
Um noch tiefer in die damalige Zeit eintauchen können, sind alle erreichbaren örtlichen Quellen aufgenommen worden und sollen durchaus zum Selbststudium anregen. Daraus sind sicherlich weitere interessante Erkenntnisse zu gewinnen, die auch für andere Durchzugsorte der Salzburger Gültigkeit haben dürften.
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Buchvorschau
Salzburger Emigranten kommen 1732 in die Reichsstadt Giengen - Ulrich Stark
Salzburger Emigranten kommen 1732 nach Giengen
Im Frühjahr 1732 fertigte der Giengener Schreiner Hans Georg Faber zwei Kirchenbänke für „die Salzburger" an. Die benötigten Holzbretter erhielt er von der Kirchenpflege, die ihm als Arbeitslohn 24 Kreuzer bezahlte.
Wieso war diese Arbeit notwendig geworden? Jeder Bürger besaß damals einen namentlich gekennzeichneten Sitzplatz in der Kirche. Die Aufstellung der beiden Bänke konnte also nur durch zusätzliche Kirchgänger verursacht worden sein. Und tatsächlich kamen am 12. Februar 1732 zehn junge Salzburger aus Ulm nach Giengen. Die Ratsherren hatten beschlossen einige dieser armen und umb das Evangelii willen vertriebenen Leute aufzunehmen. Man bot ihnen hier in Giengen Arbeit an.
Vorgeschichte
Diese Salzburger (in Giengen „Emigranten, meist jedoch „Exulanten
genannt) waren protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem Erzstift Salzburg, einem unabhängigen katholischen Kirchenstaat, der erst mit dem Wiener Kongress 1816 ein Teil Österreichs wurde. Das Leben der Protestanten gestaltete sich unter den verschiedenen Fürsterzbischöfen recht unterschiedlich.
Ab 1525 hatten Luthers Thesen auch im Salzburger Land für Aufregung unter den Gläubigen und der kirchlichen Obrigkeit gesorgt. Auf Anweisung von Erzbischof Lang wurden 1528 etliche evangelische Prediger eingesperrt oder des Landes verwiesen. Die nachfolgenden Erzbischöfe schlugen dagegen den Weg der Versöhnung ein und schwächten die weitere Verfolgung der Protestanten ab. Erst Ende 1668 wurde durch Erzbischof Max Gandolf von Kuenburg die Gegenreformation wieder konsequent gefördert. Als es in Dürrnberg und im Defereggental zur Verhöhnung katholischer Priester und zum Boykott des Kirchenbesuchs kam, reagierte die Obrigkeit hart. Bisher waren die Arbeiter im Salzbergbau eher rücksichtsvoll behandelt worden, denn die Erträge ihrer Arbeit waren für die Staatsfinanzen unverzichtbar. Die Anführer des protestantischen Aufruhrs wurden verhaftet und 1686 des Landes verwiesen. 1727 folgte auf den eher großzügigen Erzbischof Franz Anton von Harrach der zu hartem Durchgreifen entschlossene Leopold Anton von Firmian. Er versuchte die Protestanten 1729 durch jesuitische Missionare zu bekehren. Als sie sich weigerten schritt er zu Gewaltmaßregeln und rief 6.000 österreichische Soldaten ins Land. Eine Abordnung evangelischer Salzburger wurde Mitte 1731 auf ihrem Weg zum Kaiser nach Wien gefasst und verhaftet. Daraufhin kam es am 5. August 1731 zum Treueschwur der Evangelischen.
Erzbischof Firmians Vorgehen führte zur Solidarisierung der Protestanten im Reich und zu deren Vorsprechen beim Corpus Evangelicorum in Regensburg, das alle lutherischen und reformierten Reichsstände umfasste. Seit dessen Gründung im Jahr 1653 wurden Beschlüsse in Religionsfragen nur in Übereinstimmung mit dem Corpus Catholicorum gefasst. Deren Gründung und Hineinwachsen in das Verfassungsgefüge des Reiches war eine der wesentlichen Errungenschaften des Westfälischen Friedens. In den letzten Jahrzehnten des 16. sowie zu Beginn des 17. Jahrhunderts war es nicht mehr gelungen, die wesentlichen theologischen Streitfragen innerhalb der Verfassungsrahmens des Reiches zu lösen. Die Folge war die Lähmung der verschiedenen Reichsorgane und schließlich die Bildung einerseits der Protestantischen Union im Jahre 1608 und andererseits der Katholischen Liga 1609 mit dem Ziel, den Religionsfrieden gegen Übergriffe der jeweils anderen Seite zu schützen. Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum können letztlich als ideelle Nachfolger dieser Verteidigungsbündnisse betrachtet werden. Indem die Stände beider Konfessionen mittelbar in das Verfassungsgefüge integriert wurden, gelang es eine, zumindest in konfessioneller Hinsicht, dauerhaft tragfähige Friedensordnung zu etablieren. Da das Kaisertum selbst immer katholisch war, war das Corpus Evangelicorum als Bewahrer protestantischer Interessen im Reich von großer Bedeutung.
Ohne jede weitere Absprach erließ jedoch der Salzburger Erzbischof Firmian am 31. Oktober 1731 ein Patent, das alle Protestanten zur Auswanderung aus dem Erzstift zwang. Als das Corpus Evangelicorum nun für die Protestanten eintrat und verlangte, dass ihnen, dem Westfälischen Frieden gemäß, die Auswanderung gestattet werde, wies sie der Erzbischof Mitte November 1731 aus und gewährte ihnen nur drei Monate Frist. Wer keinen Haus- und Grundbesitz hatte (die „Unangesessenen"), musste das Land allerdings sofort, also mitten im Winter, verlassen. Zunächst wollte der bayerische Kurfürst Karl I. Albrecht die Grenzen sperren lassen, ließ die Vertriebenen aber schließlich doch ins Land, da deren Hoffnungslosigkeit in der aufkommenden Winterkälte offensichtlich war. Ab Mai 1732 mussten dann auch die restlichen Protestanten (die „Angesessenen") emigrieren. Diese wussten jedoch immerhin, dass sie in Ostpreußen eine neue Heimat finden würden, denn der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte am 2. Februar 1732 ein entsprechendes Ansiedlungspatent erlassen. Dieser Landstrich war kurz zuvor durch die Pest fast vollständig entvölkert worden.
Insgesamt verließen etwa 20.000 glaubensstarke Protestanten in 15 großen Gruppen ihre Heimat. Man versuchte diese Emigrantenzüge auf verschiedene Routen zu führen, damit nicht immer die gleichen Gegenden die Last der Beherbergung tragen mussten. Es wurde jedoch darauf geachtet vor allem durch Gebiete evangelischer Reichsstände zu kommen. Deshalb wurden nicht immer die kürzesten Wege eingeschlagen. Eine Route ging von Schongau her über Augsburg Richtung Nürnberg. Eine andere führte über Kaufbeuren, Kempten und Memmingen nach Ulm. Von dort führte ein Weg durch Giengen ebenfalls weiter Richtung Nürnberg.
Die ersten zehn Salzburger in Giengen
Am 5. Februar 1732 erhielt Giengen eine erste Nachricht über die Salzburger Emigranten. Ulm fragte an wie viele starke und zum arbeiten taugliche Persohnen sie hiehero schicken sollen. Nach erfolgter Abstimmung beschlossen die Ratsherren, aus christl. Liebe gleichwohlen 10 dieser neüen Glaubensgenoßen über sich zu nehmen, der Stadt Ulm aber zu erkennen zu geben, daß selbige solche Leüte herunter schicken möchten, die auch was zu arbeiten begehrten.¹
Dem Rat der Reichsstadt Giengen gehörten damals an:
- Amtsbürgermeister Martin Mayer, Kürschner
- Bürgermeister Johannes Keckh, Kaufmann
- Bürgermeister Johann Martin Schnapper, Ganswirt
- Johannes Rau, Metzger
- Johannes Nüsseler, Weißgerber
- Daniel Remshardt, Rotgerber
- Peter Albrecht Rieger, Lammwirt
- Johann Jacob Teller, Kreuzwirt
- Johann Jacob Öxlin, Syndikus
- Jacob Honold, Weber
- Jacob Leeble, Zinngießer
- Johann Georg Honold, Weber
- Simon Miller, Zuckerbäcker
Am 12. Februar 1732 kamen zehn junge, ledige Männer in Begleitung eines Kanzleiboten nach Giengen:
Jacob Niedermoser (45 J.)
Urban Harbrücker (37 J.)
Johann Kalcher (32 J.)
Jacob Brandstätter (30 J.)
Ruprecht Schlamminger (30 J.)
Matthäus Herbrücker (25 J.)
Martin Gerspacher (24 J.)
Andreas Grün (24 J.)
Augustin Ebner (22 J.)
Jacob Reutter (22 J.)
Sie stammten alle aus dem Tal St. Johann und wurden im Wirtshaus „zur goldenen Sonne" in der mittleren Marktstraße² einquartiert. Dort erhielten sie die nöthige Speiß und Tranck. Sie brachten von Ulmer Geistlichen zwei Briefe an den hiesigen Pfarrer Johannes Schnapper mit, worin ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde, verbunden mit der Bitte Ihnen weiteren Unterricht in der evangelischen Religion angedeihen zu lassen.
Bereits in der nächsten Ratssitzung am 15. Februar wurde beschlossen, jedem täglich 6 Kreuzer aus der Stadtkasse zu geben, obwohl man festgestellt hatte, dass sie auch von der Bürgerschaft schon ziemlich Gutthaten genoßen haben. Weiterhin sollten sie sich morgens eine Stunde lang von den beiden Geistlichen³ und abends von den beiden Schullehrern unterrichten lassen. Außerdem wurde beschlossen, dass die eingangs erwähnten Kirchenbänke angefertigt und bei der großen Kirchenthür aufgestellt werden. Um die ganze Bürgerschaft zu einer desto größeren Gutherzigkeit gegen diese arme Glaubensgenoßen zu bewegen, soll eine entsprechende Bekanntmachung von der Kanzel verlesen und später ein Becken für die Kollekte aufgestellt werden.⁴
Böse Worte
Dass die Ankunft der Salzburger nicht nur Wohlwollen auslöste, verdeutlicht ein Vorfall der sich Anfang März im Gasthaus „zum Greifen" abspielte. Dort hatte Hans Österlen, der Schmied aus dem benachbarten Hürben, ärgerliche und ganz ohnverantwortliche Reden wider die Salzburgischen Emigranten ausgestoßen und darüber grausam geflucht. Man hätte bereits dem ersten von selbigen eine Kugel vor den Kopf schießen sollen, denn sie brächten zu viele Menschen (Leuthe wie die Ochsen), und nichts als Theuerung ins Land.
Er wurde deshalb aufs Rathaus zitiert, wo er sich auch zu allen Anschuldigungen bekannte, allerdings mit dem Hinweis, er habe auf solche Arth, von einem anderen, auf dem Weg von Langenau her, erzählen hören. Die Ratsherren hielten diese Entschuldigung jedoch für fadenscheinig und beschlossen, er wäre 8 Tage in das Blumenhäußlen zu legen, und mit Waßer und Brod zu speisen. Das „Blumenhäuslein" war eine Arrestzelle im Hundsturm, der ganz oben im Norden der Tanzlaube stand.⁵
Eine Liebesgeschichte
Jacob Reutter, mit 22 Jahren einer der jüngsten der zehn ledigen Salzburger, hatte sich bereits im Salzburger Land mit der zwanzigjährigen Elisabeth Neudecker verlobt. Unglücklicherweise wurden die beiden jedoch während des ersten Marsches getrennt. Elisabeth und ihren Eltern mussten Ende November 1731 ihre Heimat verlassen. An der Grenze zu Bayern mussten die etwa 1000 Menschen dieses ersten Emigrantenzugs, frierend und von mangelnder Verpflegung erschöpft, drei Wochen lang warten, da der bayerische Kurfürst zunächst die Durchreise verweigert hatte. Am 19. Dezember ging der Marsch endlich weiter nach Kaufbeuren. Dort konnten sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einer evangelischen Kirche an einem eigens für sie gehaltenen Gottesdienst teilnehmen, denn zuhause hatten sie keine Möglichkeit zu einem Kirchgang gehabt. Der weitere Weg führte über Memmingen nach Ulm.
Um ihren geliebten Jacob abzuwarten trennte sich Elisabeth dort von ihren Eltern, die nach Preußen weiterzogen. Sie selbst verdingte sich während dessen als Magd bei Kaufmann Kramer. Tatsächlich kam Jacob mit einem späteren Zug nach Ulm. Sie verfehlten sich dort jedoch. Jacob zog dann weiter nach Giengen, um als Garnsiederknecht zu arbeiten, gab jedoch die Suche nach seiner Verlobten nicht auf, bis er endlich sie zu Ulm ausgekundschaftet und erfraget hatte. Er holte sie nach Giengen, wo die beiden sich am 25. März 1732 im Pfarrhaus (privatim) trauen ließen. Ihre Trauzeugen waren der Einhorn- und der Sonnenwirt.⁶
Die Hochzeitsfeier wurde in der Gastwirtschaft „zur Sonne", dem Quartier der Salzburger, abgehalten. Für die von Metzger Rau und Krämer Röckh gelieferten 10 Pfund Fleisch und 2 Pfund Schmalz kam die Stadtkasse ebenso auf, wie für den vom Sonnenwirt Mackh⁷ geforderten Gulden.⁸
Eine zweite Hochzeit unter Salzburger Emigranten fand am 3. Juni 1732 statt. Der über Augsburg nach Giengen gekommen Maurer Johannes Reutter wird im Pfarrhaus mit Katharina Rücksberger eingesegnet, deren Eltern im Giengener Spital Aufnahme gefunden hatten. Es dauerte jedoch nicht lange und das junge Ehepaar verabschiedete sich von seinen Gönnern in Giengen und machte sich auf die Wegreyse nacher Preußen.
Der erste Emigrantenzug
Am 4. April kam von Ulm das Gerücht, dass von den dort angekommen Salzburger Emigranten 2-300 über Giengen marschieren wollten. Deshalb wurde gleich vorsorglich veranlasst etliche Malter Dinkel und Roggen mahlen zu lassen und alles vorzubereiten, um, so gut als es möglich, ihnen für 1 oder 2 Tag allhier Quartier zu geben.⁹
Am folgenden Tag, einem Samstag, erhielt Giengen durch einen Boten ein offizielles Schreiben der Reichsstadt Ulm, das dort die Ankunft von etwa 800 Salzburgern erwartet werde. Sie würden dort sonntags Rasttag halten, des folgenden Tags aber, in circa 250 ihre Route über Giengen fortsetzen, auch daß solchen erbarmungswürdigen Glaubensgenoßen weiters fortgeholfen werden möchte.
Weil in diesem Schreiben nichts über die weitere Route der Salzburger mitgeteilt wurde, sandte man noch selbigen Abend einen Express-Reiter nach Ulm. Nach dessen Rückkehr wurden unverzüglich Schritte unternommen, um den Empfang in Giengen sowie den Weitermarsch nach Nördlingen zu organisieren.
Man beschloss, die am Montag ankommenden Salzburger den Dienstag über hier zu behalten, und ihnen zum Abmarsch am Mittwoch 20 Kreuzer pro Person, egal ob groß oder klein, mitzugeben und ihnen mit Fuhrwerken bis Nördlingen auszuhelfen. Jeder Ratsherr und auch jeder Bürger sollte einen Salzburger in sein Haus aufnehmen und verpflegen. Im Hospital wollte man 20 Salzburger einquartieren.
Am 7. April gingen Schultheiß Hans Martin Streng¹⁰ und ein Reiter den ankommenden Emigranten entgegen, um sie in die Stadt hereinzubegleiten. Dass der Empfang mehr als herzlich war, ersieht man daraus, dass die Bürgerschaft aus aigener Bewegnus und mitleydigem Gemüthe diese arme Leüthe, sobald sie in die Stadt herein gekommen, theils unterwegs, theils aber auf dem Marckt vor dem Rathaus hinweg, und zu sich genohmen, auch liebreich verpflegt hat.
Am folgenden Dienstag wurde in der Stadtkirche ein Gottesdienst für die Gäste abgehalten. Stadtpfarrer Schnapper hielt dabei speziell eine auf ihren Zustand gerichtete Predigt.
Alle 274 Emigranten erhielten am Mittwoch, dem Tag ihres Abmarschs, zu den 20 Kreuzern pro Kopf noch