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Der religiöse Schwarm: Das Sein erkennt Seiendes, Seiendes nicht das Sein
Der religiöse Schwarm: Das Sein erkennt Seiendes, Seiendes nicht das Sein
Der religiöse Schwarm: Das Sein erkennt Seiendes, Seiendes nicht das Sein
eBook894 Seiten11 Stunden

Der religiöse Schwarm: Das Sein erkennt Seiendes, Seiendes nicht das Sein

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Über dieses E-Book

Ignoranz und vor allem die eingebildete Urteilsfähigkeit über die jeweils andere religiöse Kultur wirkt zerstörend auf die zivilisatorische Evolution der Menschheit. Globaler Frieden ist ohne Religionsfrieden nicht zu haben. Eine Mehrheit der Juden, Christen, Moslems, Hindus, Buddhisten, Gläubige des Konfuzianismus und Taoismus, empfindet, dass nur sie allein an die einzig göttliche Wesenheit, an die heilige "Letzte Wahrheit" glauben. Sie erliegen der Versuchung, die Mitglieder anderer Religionen als, an das Falsche glaubende Ungläubige oder bloß als Nichtgläubige abzuwerten - und oft auch zu verfolgen. Jedoch ein, oft genug fanatisch-religiös verfochtener Alleinvertretungsanspruch vernebelt, dass alle Weltreligionen im Prinzip dieselbe göttliche Wesenheit, die gleiche heilige "Letzte Wahrheit" verehren! In dieses Konfliktdenken passt aber auch das schwierige Verhältnis zwischen religiösen und naturwissenschaftlichen Denkweisen. Viele, die sich als Atheisten fühlen, vergessen allzu gern, dass ihre Weltsicht gleichfalls auf, als wahr geglaubte jedoch nicht beweisbare, elementare Glaubenssätze (Axiome, Prinzipien) beruht.
Um eine multi-religiöse Wissens- und Denkkultur zu verbreiten, werden vereinende Antworten gesucht. Drei religiöse Axiome, die den Weltreligionen zu Grund liegen und die als unantastbar wahr und nicht beweisbar gelten, sollen darauf hinweisen, dass die notwendige, religiöse Annäherung in den Religionen selbst ruht. Dies legt ein "Weltethos" nahe, das vor den Religionen liegt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Apr. 2021
ISBN9783753185200
Der religiöse Schwarm: Das Sein erkennt Seiendes, Seiendes nicht das Sein

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    Buchvorschau

    Der religiöse Schwarm - Harald Gerhard Paul

    1. Einleitung

    Die weitverbreitete Illusion, über bedeutsame Grundsätze einer Religiosität Bescheid zu wissen, behindert die Suche nach religiöser Toleranz und Akzeptanz von religiösen Denkweisen. Viel zu Viele sind kaum vertraut mit den Weltreligionen und ihren grundsätzlichen Glaubenssätzen – und mehr noch mit den mystisch-religiösen Erfahrungen von Gläubigen. Darum sind, vor allem aus der Sicht der Gläubigen, sich auf das Wesentliche fokussierende Darstellungen der Weltreligionen nötiger denn je. Erst wenn wir in das Erfahrungswissen der Gläubigen und in die mystische Essenz ihrer heiligen Schriften sowie in das religiöse Gedächtnis ihrer Glaubensgemeinschaft eintauchen, erschließt sich uns ihre Denkweise und die spezielle „Vernunft ihrer maßgeblichen Glaubenssätze. Rituelle Besonderheiten, Feste, Hierarchien in den Konfessionen usw. betonen nur, dass Religionen Menschenwerk sind. Die grundsätzlichen Glaubenssätze, die das Wirkpotential der ethischen Essenz im mystisch-religiösen Denken der Gläubigen verkörpern, müssen wir als die „reine, die eigentliche Religion ansehen.

    Die globale Vernetzung von Produktion, Dienstleistung und Handel wirkt in nahezu jeden Lebensbereich hinein. Fast jeder ist sich darüber im Klaren, dass sein Leben auf einschneidende Weise durch diese ökonomische Globalisierung beeinflusst wird. Dagegen scheint die kulturelle Globalisierung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht besonders beachtenswert zu sein, wenn man von fachspezifischen Betrachtungen mal absieht. Wenigen ist bewusst, welche Veränderungen dieser Prozess auf uns und unser Zusammenleben hat. Aber Sozialverhalten, Wissenschaften, Kunst und vieles mehr sind in einem nie da gewesenen Ausmaß vom globalen Wissenstransfer und kulturellen Austausch betroffen. Nicht nur beruflich vernetzte Spezialisten, sondern Menschen aus allen Bevölkerungsschichten werden mit der Denk- und Verhaltenskultur von Menschen aus anderen Kulturregionen konfrontiert.

    Diese Denk- und Verhaltensweisen wurden von je her durch die sozialen und kulturellen Verhältnisse in den jeweiligen Lebensräumen geprägt. Da diese Verhältnisse oft recht verschiedenartig waren, ist es kaum verwunderlich, dass auch die Denk- und Verhaltensweisen in den Kulturregionen diese Verschiedenartigkeit entwickelten. Vor allem in der Vergangenheit wurden die Unterschiede in den Denk- und Verhaltensweisen durch mystisch-religiöse Vorstellungen geprägt. Die verschiedenen religiösen Prägungen in den Kulturregionen dominierten die dort gelebten moralischen Normativen. Das können wir sogar heute noch in einen überwiegenden Teil unserer Welt beobachten. Auch gegenwärtig werden Unterschiede in den moralischen Normativen erheblich durch religiöse Wertvorstellungen verursacht.

    Die zunehmende kulturelle Globalisierung konfrontiert uns alle im wachsenden Maße mit diesen Unterschieden in den moralischen Normativen. In den derzeit, überwiegend durch Gewalt und ökono-sozio-kulturelle Zwänge verursachten Migrationsbewegungen, aus zum Teil sehr verschiedenartigen Kulturen, hat beispielsweise jeder Zuwanderer diese Unterschiede im Gepäck. Und sie müssen dann oft in neuen, engen Lebensräumen ausgelebt werden. Treffen sie unreguliert aufeinander, bauen sich schnell gefährliche Spannungen und Konflikte auf. Diese werden leider zu gern verdrängt, da sie viele zu extremen Gesinnungen treibt oder auch nur einen erträumten, gesellschaftlichen Scheinfrieden schaden. Sie werden entweder marginalisiert oder zu einen Kampf der Kulturen hochstilisiert. Beides ist grundverkehrt und gefährlich für das menschliche Gemeinwesen. Sie folgen vor allem aus Unwissenheit, eingebildeten Wissen und kulturellen Dominanzstreben. Es entwickeln sich Weltanschauungen, die sich auf Scheinwissen über Kultur und religiöse Gesinnung anderer Menschen gründen. Dieses Pseudowissen Einzelner wird durch die Vielfalt und Effizienz der medialen Informationskanäle verfestigt, vermehrt und verschmolzen. Zum Beispiel bilden sich mit Hilfe der sozialen Medien weit über den persönlich kontaktierbaren Bekanntenkreis hinaus gehende Vernetzungen dieses Scheinwissens und der sich darauf gründenden Denkweisen. Es entsteht eine Metawelt von Information, ein „Schwarmwissen und „Schwarmdenken. Beides wird manchmal als sogenannte „öffentliche Meinung" verstanden - oder kolportiert. Beides entwickelt nicht zuletzt und oft unverstanden eine Eigendynamik – und die kann zu sozialen Spannungen führen und die Gesellschaft in konfliktreiche Entwicklungen treiben.

    Das Schwarmwissen und Schwarmdenken als auch ihre Eigendynamik ist für uns einzelne allerdings nicht immer leicht erkennbar, da es ein systemisches, ein sogenanntes emergentes Wissen und Denken ist. (Emergenz bedeutet: Die Eigenschaften eines Systems von Elementen folgen nicht nur aus der Summe der Wesensmerkmale der einzelnen, isolierten Elemente, sondern aus ihrem Zusammenwirken.) Dieses emergente Schwarmwissen und- denken führt in Folge zwangsläufig zu einem Schwarmhandeln. Und dieses muss nicht notwendig für uns Einzelwesen nachvollziehbar sein. Das kann beispielsweise dazu führen, dass religiös rauschartiges Verhalten einer Gemeinschaft für den Einzelnen oft erschreckend unverständlich ist. In diesem Sinne baut sich beispielsweise aus mystisch-religiös motivierten Denkweisen der einzelnen Gläubigen ein religiöses Schwarmdenken auf, das integrieren oder polarisieren kann.

    Was bedeutet das für uns, für unsere emergenten Kontaktgemeinschaft bzw. Schwarmgesellschaft? Wie können wir die Denk- und Handlungsweisen einer religiösen Schwarmgemeinschaft oder, allgemeiner betrachtet, eines „Kulturschwarms" beeinflussen, - um etwa eine Konflikte eindämmende, sozio-kulturelle Balance im Verlauf der Globalisierung zu ermöglichen?

    Da die emergenten, systemischen Verhaltensmuster der Schwarmgemeinschaften sich auf die Verknüpfungen zwischen den Schwarmmitgliedern gründen, müssen wir zu allererst die wahrhaftige Kommunikation, unter uns verstärken. Dies ist eh eine, unabhängig von uns ablaufende Entwicklung. Und sie wird wesentlich durch unsere mediale Vernetzung, beispielsweise den sozialen Medien, angetrieben – und befördert damit, ob wir das begrüßen oder nicht, objektiv maßgeblich die kulturelle Globalisierung. Es bilden sich durch sie, die notwendigen, weit über den persönlich kontaktierbaren Bekanntenkreises hinaus gehenden, geistigen Vernetzungen. Der Grad der Verknüpfung im Informationsnetzwerk unserer Schwarmgemeinschaft allein schafft jedoch keine kulturelle, globale Balance, - sondern nur die Voraussetzung dafür. Erst wenn das von uns transportierte Wissen und Denken der Wahrheitssuche, der Toleranz, dem Mitgefühl verpflichtet ist, kurz eine ethische Essenz in sich trägt, baut sich ein Schwarmverhalten der Gemeinschaft auf, das objektiv konfliktdeeskalierend wirken kann.

    Um das zu befördern, sollte sich jeder von uns über das Faktenwissen und das Denken seiner „nächsten, direkten sowohl als auch medialen Nachbarn informieren, sollte Gemeinsamkeiten mit ihnen suchen und finden wollen. Kurz, jeder muss Einsicht in die Notwendigkeit der Annäherung an die Denkweisen der „Anderen entwickeln, ohne hierbei seinen Widerspruch zu lassen. Könnten wir dies beispielsweise in das mystisch-religiöse Denken der unterschiedlichen Weltreligionen einpflegen, wäre wahrscheinlich ein Zugang in einen globalen Religionsfrieden gefunden und das Konfliktpotenzial im Schwarmdenken religiöser Kontaktgemeinschaften zumindest minimierbar. Wir sollten uns hierbei so verhalten, dass unser Wissen und Denken weder in der Beliebigkeit einer chaotischen Meinungsvielfalt noch im Strom einer Einheitsmeinung ertrinkt.

    Um sich über das Denken seiner nächsten, direkten als auch medialen Nachbarn eine Meinung zu bilden, brauchen wir notwendigerweise die Möglichkeiten einer „freien Meinungsbildung. Leider ist die sich über die Menschen der unterschiedlichen Kulturregionen, in einem bisher unbekannten Ausmaß, ergießende Informationsflut vom Einzelnen kaum noch zu verarbeiten und zu bewerten. „Fake News als auch normative „Fakten, richtunggebendes Denken und kolportierte Gesinnungen entziehen sich in ihrer medialen Flussgewalt oft der persönlichen Wertung. Man schwimmt im Mainstream der Meinungen, der behaupteten Einheitsmeinung, ist nicht selten unfrei in der Urteilsfindung, da die Gewalt einer eingebildeten oder tatsächlichen Mehrheitsmeinung - oft genug von Interessengruppen manipuliert - die eigene Meinungsbildung überflutet. Mit zufallsgesteuertem oder manipuliertem Wissen zugeflutetes Denken kann durch Aufräumen oder erfrischend kritisches Hinterfragen freigelegt werden. Allerdings sind die, auf Unwissen oder eingebildetes Wissen gewachsenen Denk- und Sichtweisen nicht oder kaum änderbar. Sie sind gefährlich, können absurde Verschwörungstheorien produzieren und vermögen in geistigen Extremismus führen, zu gewaltbereite Ideologien mutieren. Auf Unwissen ruhende Meinungen können vor allem dann unheilvolle Wirkgewalten entwickeln, wenn sie auf Denk- und Verhaltensweisen aus „fremden Kulturen prallen, wenn sie auf moralische Normative treffen, die mit dem Eigenen schwer vereinbar scheinen und wenn sie obendrein religiöser Natur sind. Im Verlauf der sozio-kulturellen Globalisierung spielt deshalb das Aufeinandertreffen mystisch-religiöser Überzeugungen eine wachsend beunruhigende Rolle, da diese annähernd 98 % der Weltbevölkerung [1] dominieren oder zumindest beeinflussen.

    Nicht Wenige empfinden religiös geprägte Erfahrungs- und Glaubenswelten als nicht real und oft als nicht akzeptabel. Dies mündet, insbesondere wenn die Gläubigen aus fremden Kulturkreisen kommen, oft in eine Ablehnung ihrer religiösen Kultur und damit leicht auch in eine Abneigung gegenüber ihrem kulturellen Lebensumfeld, dem „kulturell Fremden", - was bis zur feindseligen Distanz gehen kann. Andere verspüren dagegen Neugier auf andersgeartete Kulturen, auf die sie prägenden, mystisch-religiös motivierten Denk- und Handlungsweisen. Sie erleben diese oft als exotisch empfundene Bereicherung. Wir sollten aber beachten, dass hier neben Chancen ebenso Gefahren lauern.

    Aus den Chancen erwachsen uns Fähigkeiten, Verständnis und Toleranz für das Denken und Handeln anderer, „fremder Mitmenschen. Die ungewohnten Denkweisen können neue Sichtweisen auf die uns um- und erfassende Natur provozieren. Zum Beispiel suggerieren fernöstliche Weisheitslehren durchaus faszinierende Denkanstöße für die Lösung fundamentaler, physikalischer Fragen. Gefahren erwachsen beispielsweise aus religiösen oder ganz allgemein, kulturellen Dominanzstreben, aus Intoleranz, aus Unwissen über die Weltanschauung des Anderen oder aus der gefährlichen Illusion „Wissender und Belehrender zu sein.

    Das Unwissen oder mehr noch die Illusion von Wissen über die religiös motivierten Denk- und Handlungsweisen in den Kulturregionen unserer Welt, provozierte zu allen Zeiten, vornehmlich zwischen den Gläubigen der Weltreligionen, ein gefährliches Konfliktdenken. Im Verlauf der gegenwärtig zu beobachtenden kulturellen Globalisierung hat dieses Konfliktdenken globale Auswirkungen. Es entwickelt Krisenwirkungen, die uns alle treffen. Führt das Konfliktdenken zum Beispiel in die Illusion, den einzig „wahren Glauben zu besitzen, suggeriert dies bei nicht wenigen Gläubigen schnell ein religiös motiviertes Sendungsbewusstsein, das leider in die fanatische Bereitschaft für geistige, bis hin zur körperlichen Gewalt gegenüber den Andersdenkenden münden kann. Diese Gewaltbereitschaft verkehrt nicht nur die ethische Essenz der Weltreligionen, sondern sie diskreditiert die Religiosität in ihrer Gesamtheit. Die jeweilige Religiosität ist mehr denn je von entscheidender Bedeutung in den Kulturgemeinschaften, da sie nach wie vor die Herausbildung moralischer Normativen für das Zusammenleben der Menschen und der Menschengemeinschaften dominiert. Ein religiös motiviertes Konfliktdenken findet selbstverständlich Eingang in diesen Prozess, prägt die „Umgangsformen zwischen den Menschen als auch zwischen den Gemeinschaften. Es vermag kulturelle Spannungspotenziale anzuheizen und in unserer, global vernetzten Welt zu gefährlichen Konflikten führen. Denn zu allen Zeiten haben Machthydren diese Spannungspotenziale genutzt, um opferbereite Anhängerschaft für die Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen zu sammeln.

    Nun diffundiert gerade gegenwärtig, im Verlaufe der kulturellen Globalisierung, eine, vor allem in den „westlichen Kulturregionen vorherrschende rationale, naturwissenschaftlich geprägte Denkweise vermehrt in „Vorstellungswelten hinein, in denen religiöse Erfahrungen einen hohen Stellenwert besitzen. Sie prallt hierbei auf die mystisch-religiösen Weltbilder von Christen (ca. 2,26 Milliarden), von Moslems (ca. 1,55 Milliarden), von Hindus (ca. 949 Millionen), von Buddhisten (ca. 495 Millionen), von Anhängern anderer Glaubensgemeinschaften (zum Beispiel: Agnostiker, Sikhs, „Spiritisten, Naturreligionen, ca. 1 Milliarde) und auf das chinesische Denken (beispielsweise dem Konfuzianismus und dem Taoismus, ca. 451 Millionen), [1]. Damit stößt die weitgehend als vernünftig betrachtete rational-materialistische Denkweise auf das religiös tangierte Denken von ca. 98 % der Weltbevölkerung. Folglich stehen annähernd 98 % der Menschen, deren Weltsichten durch mystisch-religiöse Erfahrungen dominiert oder zumindest beeinflusst werden, ca. 2 % „bekennende Atheisten (ca. 137 Millionen, weltweit) gegenüber [1]. (Die Zahl der den jeweiligen Religionen zu zuordnenden Gläubigen bzw. der Atheisten entspricht der Erfassung im Jahr 2012 [1]. Sie schwankt je nach Quellenlage und Zuordnungskriterien. Auch änderte sich die Weltbevölkerung von den hier zugrunde gelegten ca. 6,896 Milliarden auf ca. 7,675 Milliarden im Jahr 2017 mit den entsprechenden Zugängen bzw. Abgängen in der Anhängerschaft. Im Wesentlichen änderten sich aber die prozentualen Größenordnungen nicht [1].)

    Für eine beachtliche Mehrheit der Weltbevölkerung spielen deshalb religiöse Erfahrungen eine bedeutende Rolle. Eine Koexistenz zwischen rational-materialistischen und mystisch-religiösen Denkweisen ist deshalb unvermeidlich.

    Indes befinden sich Menschen, die sich gewollt oder unbeabsichtigt darum bemühen mit beiden Denkweisen zurechtzukommen, in guter Gesellschaft mit herausragenden Naturwissenschaftlern. Diese Wissenschaftler suchten ein Verständnis des scheinbar nicht auflösbaren Gegensatzes zwischen Religion und den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften. Sie verfassten dazu kluge Vorträge und schrieben exzellente Bücher. Im „Das Tao der Physik [3] versucht Capra das Verhältnis zwischen den gegenwärtigen Einsichten der Physik und Aspekten der fernöstlichen Religion, durch vergleichende Betrachtungen zu erhellen. Sein Buch entwickelte sich zum Bestseller, was zeigte, dass diese gegeneinander abwägende Reflexion nicht nur ein Gegenstand von Fachwissenschaftlern ist, sondern ein Thema, das Viele berührt. In unserer wissenschaft– und technikerfahrenen Welt fragt sich eine beachtliche Anzahl von Menschen, ob und von welcher Art es Schnittmengen zwischen Religionen und Naturwissenschaften gibt. Denn auf der Suche nach solchen Berührungspunkten ist es faszinierend, zu erkennen, dass die mystisch-religiösen Denkweisen nicht immer in einen nicht auflösbaren Widerspruch mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geraten, wenn man von den archaischen bzw. antiken Denk- und Ausdrucksweisen in den „Heiligen Schriften abstrahiert. Vorzugsweise die Denkweisen der fernöstlichen Mystik bergen in sich manch faszinierende Sicht auf grundlegende Fragen der modernen Wissenschaft. Es drängt sich die Einsicht auf, dass sich mystisch-religiöse Denkweisen und Naturwissenschaften einander zu begrenzen scheinen, - allerdings hat das Eine im Anderen nichts zu suchen. Jedes für sich scheint für uns Menschen notwendiger denn je. Fritjof Capra [3] brachte es mit den Worten auf den Punkt: „Die Naturwissenschaft ist nicht auf die Mystik angewiesen und die Mystik nicht auf die Naturwissenschaft – doch die Menschheit kann auf keines der beiden verzichten".

    Auf der Suche nach Berührungspunkten zwischen Religionen und Naturwissenschaften und einer gemeinsamen, religiösen Axiomatik der Weltreligionen fragte Max Planck (*1858 – †1947, Nobelpreis für Physik, 1919): „Welche grundsätzlichen mystischen Erfahrungen werden von den Religionen den Gläubigen abverlangt und was für Glaubenssätze sind für eine echte Religiosität notwendig?" [2].

    Max Planck - einer der beeindruckendsten Physiker – war in seinen Arbeiten ganz gewiss kein Vertreter mystisch-religiöser Denkweisen. (Er löste ein Erdbeben im naturwissenschaftlichen Denken aus.) Jener strenge Denker durchleuchtete auf eine grundsätzliche Weise den Zusammenhang zwischen Religion und Naturwissenschaft.

    In seinem Vortrag dazu [2] fragte er nicht nur nach essenziellen, religiösen Erfahrungen und Glaubenssätzen, die für eine echte Religiosität notwendig sind, sondern auch nach den als wahr angenommenen, grundsätzlichen Glaubenssätzen, aus denen wir die Gesetze der Naturwissenschaft folgern. Diese zwei Fragen provozieren die Frage: Existieren in den Weltreligionen - so wie in den Naturwissenschaften - nicht beweisbare und als wahr geglaubte religiöse Axiome aus denen sich andere Glaubenssätze ergeben, die dann gar keine mehr sind, sondern Schlussfolgerungen? – Und, stellen diese religiösen Axiome die Weltreligionen auf ein gemeinsames Fundament? Und, weiter forsch gefragt: Definieren diese Axiome ein erkenntnistheoretisches Grenzland zwischen den mystisch-religiösen und den rational-materialistischen Denkansätzen?

    Besonders gegenwärtig, im Verlauf der kulturellen Globalisierung, drängen sich diese Fragen nach einem gemeinsamen religiösen Fundament auf. Denn die Harmonisierung zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften ist notwendiger denn je. Aber auch zwischen der naturwissenschaftlichen und religiösen Denkweise braucht es ein Abbau der gegenseitigen Ignoranz und der Illusion von Wissen über die jeweils andere Denk- und Schlussweise.

    Leider vermittelt die Masse der Gläubigen - in unterschiedlicher Ausprägung - den Eindruck, dass eine gegenseitige Akzeptanz und Toleranz in nächster Zukunft wohl nicht zu erwarten ist. Eine besondere Gefahr erwächst genau dann, wenn Machthydren dies nutzen, um gesinnungsmotivierte Gefolgschaft für ihre ökonomischen und machtpolitischen Interessen zu generieren – was sowohl in der Vergangenheit als auch gegenwärtig eine verabscheuenswürdige Praxis war und ist. Religiös dominierte Auseinandersetzungen zwischen den Menschen nutzen von je her vor allem den herrschenden Machteliten und nicht den „einfachen Gläubigen. Religiös motivierter Terror frisst sich allzu oft auch heute noch durch Regionen und trifft Freund und Feind gleichermaßen. Kalte sowie heiße Religionskonflikte treiben Millionen in die Flucht, polarisieren auf beunruhigende Weise sogar die stabil geglaubten, demokratischen Gesellschaften. Darum wird es immer wichtiger auf eine allgemein verständliche Art, nachvollziehbar für jeden, sich auf die Suche nach den gemeinsamen mystisch-religiösen Wurzeln der Weltreligionen zu begeben, um Konfliktdenken abzubauen. Ein für uns alle existenzieller „Weltfrieden ist ohne Religionsfrieden nicht zu haben. Dieser Frieden ist leichter erreichbar, wenn wir uns auf einen Kern der Weltreligionen besinnen und die einvernehmlichen Grundannahmen in ihnen erkennen. Stellen wir bei der Suche nach den mystisch-religiösen Wurzeln fest, dass sich die Weltreligionen in einem mystischen Kern ihrer „Offenbarungen" nahestehen und gemeinsame religiöse Axiome besitzen, wäre eine Universalreligion denkbar, die die Gegensätze zwischen kontrovers gesehene Glaubenssätze aufhebt und trotzdem die religiöse Vielfalt erhält.

    Jeder bereitet sich sein eigenes, anschauliches Bild von der, ihn er – und umfassenden Welt. Diese Weltsicht ist bewusst oder unbewusst Richtschnur seines Urteilens und Handelns. Sie kann sich aus persönlichen Erfahrungen und Überlegungen entwickeln oder komplexen philosophischen Vorstellungen folgen. Diese ganz eigene Weltsicht der einzelnen Menschen kann natürlich aus rational-materialistischen als auch aus mystisch-religiösen Denkweisen oder aus beidem folgen.

    Aber diese ganz eigene Weltsicht, die das individuelle Denken und Handeln des einzelnen Menschen beherrscht, vereinigt sich mit den ganz individuellen Weltsichten der Mitmenschen. Sie baut im Zusammenspiel in der Gemeinschaft etwas qualitativ anderes auf – eine nicht-personalisierbare „Weltsicht eines Menschenschwarms. Sie erzeugt quasi die „systemische Weltanschauung einer Schwarmintelligenz, der emergenten Kulturgemeinschaft. Das Zusammenspiel der Kulturen der Menschheit im Rahmen der kulturellen Globalisierung wird wirkungsstark von diesen Weltsichten der Menschenschwärme, von den Weltsichten der Schwarmintelligenzen beeinflussen. Es sind die nicht-personalisierbaren „Schwarmintelligenzen der Kulturgemeinschaften, die in letzter Konsequenz über die Überlebensfähigkeit der Menschheit entscheiden. Darum ist die Entfaltung eines Weltethos zwingend nötig, das gemeinsam von den „Schwarmintelligenzen empfunden wird und von der Gemeinschaft aller Kulturgemeinschaften getragen wird. Dieses Weltethos öffnet sozio-kulturelle Wirkungen, entwickelt moralische Normativen sowohl für den Einzelnen als auch für die Menschengemeinschaften und balanciert die Gegensätze zwischen den Weltreligionen aus. Die religiös dominierten, nicht-personalisierbaren Schwarmintelligenzen können damit ein zusammenführendes ethisches Handeln der Weltreligionsgemeinschaften entwickeln. Die systemische, ethische Essenz der Schwarmintelligenz der emergenten Kulturgemeinschaften der Menschen definiert letztlich eine Seinsethik, einen Seinsinn „Leben, ein „Tao-Aspekt der Menschheit! (Der Taoismus betrachtet die „Lebenswege der Natur um und in uns. Dieser ausdrücklich nur über ihren Wandel beobachtbare „Lebens-Pfad alles Seienden im Sein, ist der nicht benennbare Seinsinn, ist das Tao. (Kap. 4, Abschn. 4.4.2))

    Hierbei spielen Weisheitslehren der Weltreligionen, schon aufgrund der überwältigenden Zahl der Gläubigen, eine nicht auf die leichte Schulter zu nehmende Rolle. Sie prägen bis heute die moralischen Normativen, die sich im Rahmen der sozio-kulturellen Evolution herausbilden. Dies zu unterschätzen führt oft zu herablassender Verunglimpfung mystisch-religiöser Denkweisen und ihrer Rolle im Denken und Handeln der Menschen und baut Spannungen in den Gesellschaften auf.

    Aufgrund der Vielzahl „Heiliger Schriften" und religionswissenschaftlicher, theologischer oder philosophischer Abhandlungen zum Thema ist hier keine Vollständigkeit in den Darstellungen möglich. Wir werden im Folgenden versuchen, aus der Sicht der Gläubigen aber für jedermann nachempfindbar, nur auf wesentliche Gesichtspunkte der jeweiligen mystisch-religiösen Denkweisen in den Weltreligionen Bezug zu nehmen. Sicher wird einiges für den Leser nicht gleich greifbar sein. Es wird vorkommen, dass für den Einen oder Anderen manche Aussagen nicht sofort nachvollzogen werden kann. Das ist kaum verwunderlich bei dieser konfliktträchtigen Thematik. Vielleicht hilft dann ein wiederholtes Lesen oder auch einfach ein Überspringen der entsprechenden Abschnitte. Als Lohn könnte dem Leser eine ganz eigene, tolerante Sicht auf das ach so komplizierte Verhältnis zwischen den Gläubigen der verschiedenen Weltreligionen und zwischen den mystisch-religiösen und rational-materialistischen Denkweisen gelingen. Er wird dann hoffentlich erkennen, dass es ein Weltethos gibt, das vor den Religionen und dem atheistischen Denken rangiert.

    2. Warum mystisches Denken?

    Zuallererst ist zu klären, was wir unter den Begriff „Mystik" verstehen wollen. Da es hierzu in der Fachliteratur keinen allgemeinen Konsens gibt, existieren oft unterschiedliche, umgangssprachlich vereinfachte beziehungsweise missverständliche Interpretationen des Begriffs. (Mystik hat rein gar nichts mit Magie zu tun.) Wir wollen hier sowie im Folgenden unter Mystik, wie mehrheitlich gesehen, das vernünftige Wissen um eine einzig allmächtige, geistige, absolute Realität verstehen.

    „Naturwissenschaft ist nicht auf die Mystik angewiesen und die Mystik nicht auf die Naturwissenschaft - doch die Menschheit kann auf keines der beiden verzichten", sagte Fritjof Capra [3].

    „Der größte Feind des Wissens ist nicht Ignoranz, sondern die Illusion von Wissen", bemerkte Stephen Hawking.

    Was die Naturwissenschaften leisten, das meint fast jeder zu wissen. Man glaubt an eine Natur, die sich gesetzmäßig verhält. Dieser Glaube ist kaum überraschend. Sagt doch beispielsweise unsere Erfahrung, dass jegliche, einen Widerstand überwindende Wirkung eine Ursache, einen Grund, hat - und dass man diesen, durch eine gewaltige Menge an Beobachtung erkannten „Ursache-Wirkung gegen Widerstand Zusammenhang als einen grundsätzlichen Glaubenssatz, als ein Axiom, ansehen kann. Aus diesem sogenannten Axiom sind dann zahlreiche Gesetzmäßigkeiten ableitbar. Zum Beispiel: Um gegen den Widerstand der Masse eines Körpers seine Bewegungsänderung zu bewirken, bedarf es einer Ursache, einer Kraft, die wir als Produkt von „Masse mal Beschleunigung konkret berechnen. Jener grundsätzliche Glaubenssatz, dieses naturwissenschaftliche Axiom, formuliert eine grundsätzliche Erfahrung und wurde immer wieder bestätigt und wird, im Rahmen seines Geltungsbereichs, als wahr geglaubt. (In der Relativitätstheorie ist es aus einem allgemeineren, als wahr geglaubten und nicht beweisbaren Axiom zu folgern.) Es erlaubt naturgesetzliche Voraussagen über ein gewaltiges Spektrum des beobachteten Naturgeschehens. Dies suggeriert, dass die gesamte Natur einem System von Gesetzen, einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, unterworfen ist. Diese Sicht der Dinge ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Doch wir können Naturereignisse beobachten, die keiner Gesetzmäßigkeit zu folgen scheinen, sondern offenkundig „objektiv zufällig ablaufen. Dies folgt nicht aus ungenauer Betrachtung oder Unkenntnis von unbekannten, das Geschehen beeinflussenden Faktoren. Diese Ereignisse sind scheinbar gesetzmäßig „objektiv zufällig. Könnte dies verführen, beispielsweise fernöstliche Weisheitslehren, gewachsen aus mystisch-religiösen Denkweisen, im Erkenntnisstreben zu nutzen? Wir wissen, dass neuartige Sichtweisen auf die Natur, andere Erfahrungs- und Beobachtungskonzepte, in der Vergangenheit gewaltige Einsichten in das Naturgeschehen geliefert haben. Zum Beispiel ermöglichte die „richtige Naturphilosophie, etwa das Postulieren des „Keplerschen Prinzips oder das Prinzip eines „Raum-Zeitzusammenhangs oder das Setzen des „Kosmologischen Prinzips oder das Entdecken des „Prinzips der Quantenkörnung, exorbitante Fortschritte im Verstehen der Natur. Diese und andere Prinzipien suggerieren, dass immer die globale, universelle Gesamtheit des Seienden mitwirkt – selbst wenn sie vordergründig, bei der Untersuchung der betrachteten Phänomene, als von vernachlässigbarer Größenordnung erscheint! Fragen im Rahmen einer lokalen, individualisierenden, isolierten Betrachtung, die die räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen der Gesamtheit aller Dinge im Sein völlig aus der Abwägung fallen lassen, wären somit prinzipiell Unvollständig und genau genommen die „falschen Fragen - und unvollständige beziehungsweise falsche Fragen an die Natur bedingen unvollständige oder falsche Antworten der Natur! Somit kann es sicher hilfreich sein, beim Formulieren „richtiger" Fragen an die Natur, an sinnvoller Stelle die philosophischen Einsichten der Weisheitslehrer mystisch religiöser Denkschulen über die Gesamtheiten im Sein zu betrachten. Dies scheint insbesondere dort Sinn zu machen, wo der Mensch Teilnehmer des zu verstehenden Systems ist. Denn das zentrale Thema in den mystisch religiösen Denkweisen ist die Rolle des Menschen und seines eigentlichen, erkennenden ICH’s im Naturgeschehen, ist seine Beobachterrolle und seine Möglichkeiten eine physikalische Realität in seinem BewusstSein abzubilden.

    2.1 Im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Mystik

    Eine sich selbst als vernünftig betrachtende Öffentlichkeit scheint mehrheitlich anzunehmen, dass ein Verständnis der Natur, einschließlich der Menschlichen, immer über experimentell überprüfbare Naturgesetze möglich sei. Dort, wo dies nicht der Fall zu sein scheint, wird die „Wissenslücke sicher irgendwann, im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Modellvorstellung, geschlossen werden. Sogenannte „Realisten meinen, dass das gesamte Naturgeschehen über ein Netzwerk von Gesetzmäßigkeiten zwischen materiellen Objekten darstellbar ist. Dieser Glaube wird oft vereinfacht als eine realistische, rational-materialistische Weltsicht wahrgenommen und von einer breiten, durch alle Kulturregionen gehende, sich als „aufgeklärt" betrachtende Wissensgemeinschaft geteilt. Viele in dieser Gemeinschaft glauben an eine, die Religion auflösende Naturwissenschaft.

    Nicht desto trotz scheinen viele Menschen nicht frei zu sein von instinktiv empfundenen religiösen bzw. mystischen Gedankengut. Sie vermuten, nicht genauer zu bestimmende Wirkungen von Aspekten einer unergründlichen, geistigen Wirklichkeit zu spüren, die hinter und in allen Dingen zu schlummern scheint. Diese nebulös erfahrene Wirkung wird auf eine unbestimmte Weise als mit unseren Sinnen nicht erfassbar oder als „gefühlt göttlich" empfunden.

    Bei Vielen scheint sich diese mystisch-religiöse Spiritualität mit rational-materialistischen Ansichten auf gewisse Weise zu vermengen. In diesem Spannungsfeld gedeiht allerdings oft ein irrationales Weltverständnis, das sich aus den Naturwissenschaften ebenso wie aus der Mystik der Weltreligionen bedient - zu einer Art „neuen" Spiritualität einlädt und sich in sinnwidriger Esoterik verliert.

    Ist man auf der Suche nach einer vernünftigen Weltsicht, die das naturwissenschaftliche als auch das religiöse Denken akzeptiert, ist es unabdingbar, auf eine konsequente Trennung zwischen Naturwissenschaft und Religion zu achten. Das eine hat im anderen nichts zu suchen.

    Versuchen wir beispielsweise den grundsätzlichen Glaubenssatz der Weltreligionen über die Existenz der einzig allmächtigen, göttlichen Wesenheit (Abschn. 2.3.1) mithilfe von Naturgesetzen zu beweisen bzw. auf allgemeinere Prinzipien zurückzuführen, wäre diese ja an Gesetze oder Prinzipien gebunden und deshalb nicht einzig allmächtig. Dies wurde aber vorausgesetzt. Wir landen in einem Widerspruch. Dieser grundsätzliche Glaubenssatz ist als wahr und nicht beweisbar gesetzt. Beweise für oder gegen die Existenz der einzig allmächtigen göttlichen Wesenheit zu führen, sind sinnlos, münden in paradoxe Aussagen. Ebenso wie in den Naturwissenschaften existieren in den Weltreligionen einige grundsätzliche Glaubenssätze (religiöse Axiome), die als wahr und nicht beweisbar geglaubt werden (Abschn. 2.3.1)!

    Eine nüchterne Weltsicht, welche die naturwissenschaftliche als auch die mystisch-religiöse Denkweise akzeptiert, braucht die Fähigkeit beidem zu folgen.

    In der Wissenschaftsgemeinde ist solch ein Interpretationsfreiraum meist vorhanden. In einer Studie [4] betrachteten die Autoren zum Beispiel die Nobelpreisträger zwischen den Jahren 1901 bis 2000 in Hinblick auf ihr Verhältnis zum religiösen Glauben und dem analytischen Denken. Sie fanden heraus, dass „nur" 10 % von ihnen bekennende Atheisten, Agnostiker oder Freidenker waren. Das heißt, nur 10 % dieser herausragenden Gelehrten glauben nicht an eine, wie auch immer geartete geistigen Präsenz einer allmächtigen Wesenheit - bzw. sie waren zumindest der Meinung, dass ihre Existenz bzw. Nichtexistenz nicht beantwortet oder nicht beantwortbar ist.

    Leider gibt es viele Gläubige und religiöse Institutionen, denen Versuche von rationalen Interpretationen der heiligen Schriften eher suspekt sind.

    Solche Interpretationsversuche werden misstrauisch beäugt, abgelehnt oder von fanatisierten Gläubigen geradezu als eine, den „einzig wahren" Glauben beschmutzende Denkweise verurteilt. Das hat oft dramatische bis tödliche Folgen für den nach Erkenntnis strebenden. Im Hinduismus, im Buddhismus als auch im chinesischen Denken existiert ein mehr aufgeklärter Freiraum für die Interpretation religiöser Erfahrungen und Glaubenssätze. Naturgemäß ist dies, wie in allen Kulturregionen, vom Bildungsstand sowie vom sozio-kulturellen Umfeld abhängig.

    In den abrahamitischen Religionen, in denen Abraham als der Stammvater der Juden und Araber gilt (Judentum, Christentum, Islam), ist mehr ein wortwörtliches Klammern der Gläubigen an den heiligen Schriften zu beobachten. Immerhin findet man im Christentum fraglos eher Offenheit in Bezug auf ein modernes Verständnis der vielschichtigen Metapher in den heiligen Schriften der Bibel. Im Islam wird dagegen eine absolute, dogmatische Lesart des Korans, gefordert. Er wird, streng genommen seine arabische Form, als das zu allen Zeiten präsente Wort Gottes verstanden. Jedes Koran-Buch ist immer heilig, es besitzt ein überirdisches Wesen. Nichtachtung oder Veränderung seiner Texte, ja des gegenständlichen Buchs selbst, beleidigt Gottes Wort, lästert direkt Gott. Darum wird kein Koran vernichtet, wenn er nicht mehr gebraucht wird oder gebrauchsunfähig ist. Er findet seinen „letzten Platz in sogenannten „Buchgräbern, beispielsweise in Mauernischen von Moscheen. Allerdings gibt es auch im Islam, im Rahmen einer Koran-Exegese, oft heftige Diskussionen zwischen unterschiedlichen Deutungen der Offenbarungen Gottes und der Ausdrucksweise, der wörtlichen Fassung der „göttlichen" Worte.

    Leider führten verschiedene Interpretationen von im Wesen ähnlichen mystische-religiösen Grundüberzeugungen und Praktiken in der Religionsausübung, oft genug zu brutalen Spannungen gepaart mit religiösem Fanatismus. Bis in unsere Gegenwart hinein befeuern immer wieder anmaßende Wächter der „reinen Lehre eine fanatisch religiöse Alleinvertretungsanmaßung. Bis heute verlieren sich viele Gläubige in einen rauschartigen Glauben. So entstand nicht von ungefähr ein den Religionen anhängender Geruch, der Karl Marx schreiben ließ: „Religion ist … das Opium des Volks [5]. Eine religiöse Alleinvertretungsanmaßung, wenn sie in einen rauschartigen Fanatismus abgleitet, verhindert die gegenseitige Toleranz, erzeugt Ignoranz und Unwissenheit. Sie blockiert eine Gemeinschaftsbildung auf der Basis von gemeinsamen Grundüberzeugungen.

    Auf dem 1893 in Chikago tagenden ersten Parlament der Weltreligionen [6] sprach der indische Swami Vivekananda von einer Überwindung eines gedachten Gegensatzes zwischen Spiritualität und materialistischer Denkweise. Er empfahl eine gegenseitige, religiöse Durchdringung und Harmonie. Die im „Westen sich entwickelnde ökumenische Bewegung in den christlichen Konfessionen symbolisiert einen Anfang. 100 Jahre später, 1993, wurde dann eine „Erklärung zum Weltethos vereinbart, die versucht eine Geistesverwandtschaft der Weltreligionen zu formulieren [7]. „Wir bekräftigen, dass sich in den Lehren der Religionen ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und dass diese die Grundlage für ein Weltethos bilden, wird ebenda gesagt. Trotzdem in der „Erklärung zum Weltethos die Vorstellungen einiger Religionsgemeinschaften nicht genügend berücksichtigt sein sollen, finden sich die dort formulierten ethischen Prämissen im Wesentlichen in den Weltreligionen wieder - beispielsweise in den 10 Geboten des Judentums und des Christentums.

    Für eine Koexistenz der Religionen ist das Erkennen gemeinsamer Wurzeln zielführend. Eine gegenseitige Akzeptanz der Gläubigen wird dadurch gefördert, dass man die faszinierende Ähnlichkeit der „offenbarten" Erkenntnisse sichtbar werden lässt.

    Bedauerlicherweise eskalieren religiös motivierte Konflikte oft genug und verursachen schwerwiegendes, menschliches Leid, - ja globalisieren teilweise geradezu. Der Glaube an die Möglichkeit der „Abschaffung dieser Zwistigkeiten mithilfe einer naturwissenschaftlichen Religionskritik ist schwierig und oft wenig hilfreich. Dies überdehnt vor allem den Geltungsbereich rational, analytischer Methodik. Denn erstens: Die Denkweise der Naturwissenschaften stößt an Grenzen, wo sie für die Fundamente ihrer Naturmodelle nicht beweisbare, als wahr geglaubte Aussagen, Axiome, zwingend annehmen muss. Und zweitens: Die Denkweise in den Naturwissenschaften hat bei der Mehrheit der Gläubigen der Weltreligionen einen anderen Stellenwert, da dort oft die Wirklichkeit über mystisch-religiöse Erfahrungen „erkannt wird.

    Nehmen wir uns die Freiheit einer rationalen Interpretation der heiligen Schriften der Weltreligionen, so ist es erforderlich, zu beachten, dass jene Texte ja Überlieferungen von vielschichtigen Metaphern sind. Sie sind in den Denk- und Sprechweisen des Altertums formuliert. Übersetzen wir sie in unsere heutige Ausdrucksweise, unter Beachtung des gegenwärtigen Wissens, drängt sich eine wichtige Erkenntnis auf: Die Gläubigen der großen Weltreligionen haben einige, grundsätzlich gemeinsame, mystisch-religiöse Grundüberzeugungen und Wurzeln. Dies sind die drei religiösen Axiome (Abschn. 2.3). Sie sind als wahr und nicht beweisbar gesetzt. Anders verhält es sich mit Glaubensfragen, Offenbarungen und Aussagen, die auf jene grundlegenden Annahmen aufsetzen.

    Wie wäre es zum Beispiel, im Rahmen einer rationalen Interpretation der heiligen Schriften, mit dem Versuch, die Schöpfungsgeschichte in unser gegenwärtiges Erfahrungswissen einzubetten. Würde sie mit ihren Kernaussagen im Judentum, im Christentum, im Islam als auch in der fernöstlichen Mystik ihren Platz finden? Sicher haben solche Versuche oft den Geruch, höchst spekulativ zu sein. Aber eins könnten sie bewirken: Näher an die Kernbotschaft der Genesis zu gelangen, ohne sich in seinem religiösen Verständnis an die Sprech- und Denkweise der frühmenschlichen Kulturen zu klammern.

    Beispielsweise stammen in den abrahamitischen Weltreligionen die Darstellungen der offenbarten Schöpfungsgeschichte der Welt, als auch des Menschen, aus der Frühgeschichte der Menschheit. Diese Offenbarungen wurden verständlicherweise in der Ausdrucksweise und mit dem Wissensstand einer archaischen Zeit überliefert. Beispielsweise eine Physikerin oder ein Physiker würde heutzutage sicher die „offenbarte Schöpfung des Weltganzen anders verstehen und beschreiben. Schon die Gesamtheit der Welt hätte für sie eine umfassendere und abstraktere Bedeutung. Sie würden das materielle und informative Seiende im Sein erfassen. Die Schöpfungsgeschichte wäre gewiss nicht mit so einfachen Bildern aus einer archaischen Vorstellungswelt visualisiert worden. Sie wäre eine sehr komplexe Darstellung des „Beginns des von uns erfassbaren Universums oder sogar aller denkbaren Universen.

    Vielleicht würden sie den „Schöpfungsakt" als das Wirken eines emergenten, jede Zustandsalternative des Seienden tragenden Informationsnetzwerks deuten? (Emergente Systeme besitzen Eigenschaften, die nicht nur auf die, der einzelnen Systemelemente folgen.) Versuche ebendieser Art werden nie die letzte, die absolute Wirklichkeit des Seins abbilden. Dies reflektieren die Offenbarungen und grundsätzlichen Glaubenssätze der Weltreligionen. Sie fassen die Wahrnehmungen und Erfahrungen zusammen, die nicht allein für unsere bekannten Sinne zugänglich zu sein scheinen. Sie sind in der Summe von Generationen, über tausende Jahre hinweg, gemacht worden. Die Zusammenfassung dieser Individualerfahrungen ist oft einer wissenschaftlichen Beobachtungsmethodik nicht zugänglich. Sie sind ein abstraktes Fühlwissen.

    Sie projizieren in unserem geistigen Selbst ein verschwommenes, verzerrtes Bild – eine Illusion der Realität -, wie ein Blick durch eine blinde Glasscheibe. Diese illusionären Abbilder vermögen, uns verführen, falsche Fragen an die Natur zu richten. Auf falsche Fragen gibt sie uns, verständlicherweise falsche oder zumindest seltsame Antworten.

    Das führt beispielsweise bei Deutungen der heiligen Schriften der Weltreligionen eine signifikante Rolle. Fragen, auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissens, an die archaisch bildhaften Schilderungen in diesem Schriftgut, können schnell falsche Fragen sein und zu fehlerhafte Interpretationen führen.

    Was sind nun richtige Fragen in Hinblick auf sehr grundsätzliche Dinge im Sein? Beispielsweise ist es schwierig, sinnführende Fragen zur Gesamtheit des Seienden oder zur Natur des, unser Universum erzeugenden „Schöpfungsprozess" oder zur universellen Dualität zwischen der Information (bzw. dem Geistigen) und der Materie zu stellen! Sinnvolle Antworten auf Fragen nach der als göttlich verehrten, geistigen Wirklichkeit, bzw. nach der unbeschränkten Menge an Information enthaltenden, einzig allmächtigen Informationsstruktur, kann es möglicherweise nur im Zusammenspiel zwischen den mystisch-religiösen und den rational-materialistischen Denkweisen geben.

    Das Fragen, das metaphysische Suchen, nach der Beziehung dieser göttlichen Wesenheit zum individuellen, geistigen Selbst „Seele" finden wir seit Menschengedenken in allen Kulturregionen unseres Planeten. Diese Suche mündete in mündlich überlieferte Weisheitslehren, die oft sehr viel später textlich erfasst wurden. Diese heiligen Schriften fassen ein vielschichtiges als auch verwirrendes Konglomerat von mündlichen Überlieferungen zusammen. Ihre zum Teil im Dunkel der Vergangenheit versunkenen Autoren hatten kaum den Anspruch, historisch authentisch zu sein. Sie wollten Erfahrungen mit der göttlichen Wesenheit und von ihr offenbartes Wissen dem Menschen vermitteln.

    Im sogenannt westlichen Kulturkreis finden wir dieses Suchen bereits im antiken griechischen Denken verankert, das dank der Vorsokratiker über Sokrates zu Platon und seiner Ideenlehre führte. Beispielsweise versuchte Platon [8] das geistige Selbst „Seele plausibel darzustellen. In letzter Konsequenz meint er, dass das ICH-Bewusstsein, egal, wie man es nennt und betrachtet, nicht aus dem Nichts entsteht, und infolge dessen als unsterblich anzusehen wäre. Wie nachvollziehbar diese Plausibilitätsbetrachtungen aus heutiger Sicht sind, sei dahin gestellt. Aber das Hinterfragen des individuellen, geistigen Selbst „Seele, bewegte nicht nur Gelehrte von der Antike bis in die Gegenwart hinein. Auch heute fragen Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung nach dem, was intuitiv als Seele bezeichnet werden könnte. Man sucht Antworten in der Philosophie, im Meditieren, im Gebet oder in anderen Formen der Andacht. Religiös geprägte Gemüter suchen sie vor allem über eine innere Einkehr. Sie setzen bewusst oder unbewusst voraus, dass die von uns erfahrbare Welt von einer einzig allmächtigen geistigen Wesenheit durchdrungen ist, die sie als, durch unsere sinnlichen Wahrnehmungen verzerrte Reflexion in ihrem geistigen Selbst finden können. Dementsprechend erwarten sie die Welt, wie sie ihnen erscheint, eher intuitiv zu „fühlen und zu erfahren. Besonders in der fernöstlichen Mystik wurden ausgefeilte Techniken entwickelt, um eine effektive Suche nach der Wahrheit über die „innere Welt des eigentlichen, geistigen Selbst und über die „äußere, real existierende Wirklichkeit zu ermöglichen. Sie versuchen, mithilfe von verschiedenen Meditationstechniken ihre Sinneswahrnehmungen zurückzudrängen, ihr geistiges Selbst „Seele zu isolieren und mithilfe dieser „Innenschau den relativen Wahrheitsgehalt der Abbildungen der Welt in ihrem Verstand zu erkennen. Sie versuchen, ihre Seele zu ergründen, - um die in ihrem Geist sich zeigende Illusionen der Wirklichkeiten zu erfassen. Ob, je nach Glaubensrichtung, das forschende Denken, ein Gebet, eine Meditation oder anderes dafür gebraucht wird, ist für die Suche nach der, die letzte Realität darstellenden Wahrheit nur eine Frage der Methode. Diese Betrachtungsweise reicht so weit, dass in der fernöstlichen Mystik (insbesondere im Buddhismus) der Wissenschaftler eher wie eine Art gläubiger Rationalist gesehen wird. Sein forschendes Denken ist nur eine besondere Meditationsform bei der Ergründung der „äußeren Welt.

    Insbesondere in der fernöstlichen Mystik suchen Gläubige, bei der Adaption ihrer sie um - und erfassenden Welt, mit ausgefeilten Methoden (besonders detailreich beschrieben im Buddhismus) nach ihrem geistigen Selbst „Seele". Sie fragen danach, wie sich die Abbildung der Welt in ihrem Bewusst-Sein herausbildet. Sie glauben: Wir sehen die Welt wie durch eine fehlerhaft geschliffene Linse. Dieser Schliff wird durch unsere unvollständigen Kenntnisse, mangelhafte Anschauungen, Vor-Urteile, auf Unwissen basierendes Interpretieren, usw. erzeugt. Nie werden wir, wie in dem jahrtausende altem Wissen gelehrt, eine allerfassende Realität erkennen.

    An dieses prinzipielle Nichterkennen der Gesamtheit des Seienden glauben bewusst oder unbewusst die Gläubigen aller Weltreligionen. Die absolute Wirklichkeit ist niemals von einem individuellen Selbst erfassbar und erfahrbar, sondern wird nur der allerfassenden, geistigen Wesenheit bewusst. Nur sie selbst erkennt ihr Selbst. Im religiösen Denken der monotheistischen Weltreligionen wird SIE als einzig allmächtig, allerfassend und demzufolge als einzig göttlich angesehen. Sie ist, wie von vielen Gläubigen angenommen wird, zwar personal ansprechbare, ist aber konsequenterweise nur als nicht personalisierbare geistige Wesenheit „Gott" zu denken. Um der letzten Realität näher zu kommen, ist es erforderlich nach dem wahren ICH, nach unserem geistigen Selbst, zu forschen. Wir müssen fragen, wie diese mystisch-religiöse Betrachtungsweise helfen könnte, die real existierende Wirklichkeit, die einzig allmächtige, geistige Wesenheit, zu erfahren.

    Die Beachtung der nach „innen gerichteten Sichtweisen ist auch den rational-materialistischen Denkweisen nicht fremd. Sie ist nicht nur eine Angelegenheit des mystisch-religiösen Denkens. Das, in unserem Verstand abgebildete Naturgeschehen ist immer ein Modell der Wirklichkeit, das die Art der Beobachtung sowie die Beobachtungsresultate bestimmt. Um eine wirklichkeitsnahe Interpretation des beobachteten Geschehens zu ermöglichen, ist es notwendig die Rolle des beobachtenden, geistigen Selbst, die Beobachterrolle, zu hinterfragen. Denn es gibt immer eine gegenseitige Beeinflussung aller sich „sehenden Objekte im Sein. Jedes Seiende wechselwirkt mit anderem - ist Beobachtetes als auch Beobachter zugleich. Insbesondere bei Lebensformen, die nach ein „Verständnis der betrachteten Ereignisse suchen, zum Beispiel beim Menschen, spielen die Vorstellungen des Beobachters, seine Vor-Urteile vom Geschehen, das heißt, die in seinem „Geist liegenden theoretischen Modellvorstellungen, eine dominante Rolle bei der Art der Betrachtung sowie bei der Interpretation der Beobachtungsresultate. Es ist unumgänglich, die Wechselwirkung seiner „inneren, geistigen Welt mit der beobachteten, „äußeren Welt zu verstehen.

    Das ist ein komplexer Wirkzusammenhang – der meistens sehr reflexhaft beachtet wird, im wissenschaftlichen Beobachtungsprozess jedoch streng durchdacht wird. Wir bilden über unsere sinnliche Wahrnehmung die „äußere Welt auf eine „innere, geistige Welt unter zwei sich für gewöhnlich überlappen Gesichtspunkten ab.

    Bewerten wir beispielsweise ein Gedicht, das als gegenständliche Realität der „äußeren Welt vorliegt, so bauen sich zwei Betrachtungsweisen in uns auf: zum einen die Betrachtung des materiellen Trägers der Information und zum anderen die Fokussierung auf die Information im Gedicht selbst. (Beides ist wesensverschieden, aber sich ergänzend und immer zusammengehörend.) Analysieren wir die Drucktechnik, den medialen Träger, usw., des Gedichts, werden wir kaum die Schönheit der vom Leser (Beobachter) empfundenen Gefühlswelt, die „innere, geistige Welt, die Information, nachempfinden bzw. verstehen. Die Art der textlichen Codierung, also Grammatik, Versmaß, etc., ist eigentlich nur eine Art „Schriftkunde eines, die „äußere Welt beschreibenden Code – und transportiert nur die Lyrik der äußeren Welt.

    Allgemein gesagt: Wir nähern uns einem Verständnis der Dinge und Abläufe im Sein erst an, wenn wir die Schriftkunde in der Naturbeschreibung, die in den Naturwissenschaften die Mathematik ist, nur als codierten Text begreifen und die „Lyrik der Natur, die sich in den mathematischen Abbildungen offenbart, empfinden – was eher als ein intuitives Erkennen der Welt zu sehen ist. Manch einem Forscher wird es so ergehen, wenn er zum Beispiel die Schönheit der die Raum-Zeit beschreibenden „Allgemeinen Relativitätstheorie oder die kunstvolle Darstellung der Quantentheorie empfindet und die Ausstrahlung der kunstvoll zusammengefügten Natur des Seienden in der „physikalischen" Lyrik genießt.

    Oder auf andere Weise anschaulich geschildert: Betrachten wir beispielsweise die Suche von Physikern nach einer mathematischen Systembeschreibung der Welt als Ganzes, der Gesamtheit aller Dinge im Sein, so stellen wir fest, dass es auf die Konstruktion einer Semantik, einer Art „Grammatik, einer die Welt beschreibenden Schrift hinausläuft. Die Formeln und Theorien der Physik verkörpern beispielsweise diese „Schriftkunde. Ein „Schriftgelehrter, der die Welt gut beschreibt, muss sie allerdings noch lange nicht „Verstehen. Die Naturbeschreibung im Rahmen einer Schriftkunde kann, den Worten von Werner Heisenberg folgend [9], von faszinierender Schönheit sein und kann dort, wo sie sich noch nicht experimentell überprüfen lässt und aus reinem Denken entspringt, von Kunst kaum zu unterscheiden sein. Erst wenn wir diese Kunst in der Darstellung der Natur, die in der Physik hauptsächlich eine mathematische Schriftkunde ist, empfinden, nähert sich unser geistiges Selbst der Wahrheit über die Natur – sind die „inneren, geistigen Projektionen geeignet genährte Abbilder der „äußeren Wirklichkeit. Erst wenn wir die Lyrik in dieser Naturdarstellung spüren, fangen wir an, einen Seinsinn zu erahnen. In der fernöstlichen Denkweise würde man sagen: „Wir empfinden das Tao in der Naturwissenschaft".

    Wir sollten also akzeptieren, dass es für das Erkennen der Wirklichkeit um und in uns förderlich ist, zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen zu pflegen: Erstens, die Sichtweise auf die innere Welt in unserem geistigen Selbst und zweitens, die Perspektive auf die äußere Wirklichkeit. Akzeptieren wir beide, so ist es gewinnbringend den Betrachtungen von Max Planck [2] folgend, das Spannungsfeld zwischen den mystisch-religiösen und den rational-materialistischen Denkweisen dadurch aufzulösen, indem wir fragen: „Welche grundsätzlichen mystischen Erfahrungen in unserem Selbst werden den Gläubigen ermöglicht und was für Glaubenssätze sind für eine echte Religiosität notwendig. Und andererseits: „Auf was für eine Weise erkennen und aus was für Grundannahmen folgern wir die Gesetze, die uns die Naturwissenschaft lehrt. Und schlussendlich: Welche grundsätzlichen Annahmen gelten in beiden Denkweisen als unantastbar und wahr – und nicht beweisbar.

    2.2 Zur mystisch erfahrbaren Wirklichkeit

    Ereignisse im Sein, die wir mithilfe von Naturgesetze beschreiben und voraussagen können, gelten als verstanden. Wir denken dabei an Gesetze von der Art: Immer wenn dies geschieht, so passiert jenes. Oder genauer: Gegen einen Widerstand wird eine Wirkung durch eine Ursache erzeugt. Diese Sichtweise dehnen wir intuitiv auf alle Prozesse im Sein aus. Sind wir nicht in der Lage, Vorgänge im Sein mit Naturgesetzen zu beschreiben, betrachten wir sie entweder als noch nicht verstanden oder prinzipiell nicht verstehbar. Letzteres betrifft beispielsweise scheinbar ursachenlos ablaufende Wirkungen. Diese vermeintlich „objektiv zufällig stattfindende Ereignisse werden prompt als „unnatürlich, gesetzlos, vielleicht sogar mystisch, empfunden. Derartige, willkürlich erscheinende Vorgänge wirken auf viele Menschen wie ein „Wunder und scheinen auf faszinierende Weise einen geheimnisvollen, mystischen Aspekt zu besitzen. Andere wiederum meinen, da sie an die prinzipielle Erkennbarkeit der Welt glauben, also annehmen, dass alles Seiende, jedes Ding im Sein, grundsätzlich Naturgesetzen folgt, dass Unverstandenes ausschließlich auf Unwissenheit zurückzuführen ist. Ebendeshalb kann „Ursachenloses bzw. „objektiv Zufälliges" prinzipiell nicht existieren und die hierdurch provozierten, mystischen Betrachtungsweisen haben nichts mit einer Wirklichkeit zu tun.

    Objektiv zufällige Naturvorgänge werden dagegen in zahlreichen Fällen beobachtet! Sie wirken wie „Schöpfungsakte", wie ursachenlose Erzeugungen. Und sie begegnen uns, ohne das wir sie als Besonderheit wahrnehmen.

    Beispielsweise scheint das beobachtbare Universum in einem objektiv zufälligen, höchst unwahrscheinlichen Erzeugungsprozess entstanden zu sein. Unsere Welt dürfte eigentlich nicht existieren.

    Oder betrachten wir ein weiteres Beispiel. Wir beobachten, dass die Hälfte der anfänglichen Menge einer radioaktiven Substanz nach der sogenannten „Halbwertszeit in andersartige Elemente zerfällt. Das bedeutet, wir bemerken in zahlreichen Messungen, dass die Hälfte des betrachteten Materials in dieser Halbwertzeit zerfallen ist. Allerdings wissen wir nicht, wann dies ein einzelnes Atom durchführt. Wir können, wie es sich zurzeit darstellt, prinzipiell nicht voraussagen, wann der Zerfall stattfindet. Der Zerfallsvorgang scheint ursachenlos, objektiv zufällig, einzutreten. Wir wissen nur, mit welcher Wahrscheinlichkeit er stattfinden könnte. Zum Beispiel zerfällt das radioaktive Cäsium „137Cs, das bei Atomwaffenversuchen und beim Reaktorunfall in Tschernobyl entstand, nach ca. 30 Jahren zur Hälfte seiner anfänglichen Menge. Wann das einzelne Cäsiumatom zerfällt, ist nicht verstanden, nicht voraussagbar. Es scheint kein, die Ursache für diesen objektiv zufälligen Zerfall des einzelnen Atoms bzw. Atomkerns erfassendes Naturgesetz zu geben. Wenn wir nach dem „Warum in den elementaren Prozessen fragen, so erhalten wir prinzipiell nur ein „Wahrscheinlich zur Antwort.

    Regen diese merkwürdigen, objektiv zufälligen Ereignisse mystische Denkansätze an? Hier ist ganz gewiss Vorsicht angesagt!

    Ein nicht nur im mystischen Denken sich aufdrängender Gedanke scheint der zu sein, dass die Gesamtheit der Ereignisse in Raum und Zeit, die allgewaltige kosmische Realität aller Objekte im Sein, beim objektiv zufälligen Verhalten irgendwie mitwirkt. Denn die von der vergangenen und der gegenwärtigen Forschergemeinde entwickelten Naturmodelle werden in sogenannten „isolierten Systemen betrachtet. (Vergleich beispielsweise Kap. 2 in [10].) Das bedeutet, es werden die meisten Experimente und Beobachtungsvorgänge in einer vom Rest der Welt „künstlichen Isolation (je nach Fragestellung), getrennt von den kosmischen Einwirkungen, behandelt. Eine immer vorhandene Wirkung der Gesamtheit des Kosmos auf die Beobachtungsvorgänge sieht man in dem betrachteten Ereignis als vernachlässigbar an. Zum Beispiel wird bei der Betrachtung elementarer Prozesse in der Mikrowelt der Quanten die den Raum und die Zeit krümmende Gravitation als nicht relevant weggelassen. (Diese gravitative Wirkung ist tatsächlich um viele Größenordnungen geringer als die beobachteten elementaren Kräfte der Quantenwelt – aber sie bestimmt die Struktur des Kosmos.) Bloß, diese außerordentlich erfolgreiche und bewährte Herangehensweise kann zu Fehlern, Widersprüchen oder zur Beobachtung von scheinbar seltsamen Phänomenen, zum Beispiel objektiv zufälliger Ereignisse, führen. Und diese könnten immer dann zu erwarten sein, wenn, im Gegensatz zur Annahme der Isolation der untersuchten Vorgänge, der gesamte Kosmos in seiner Wirkung doch wesentlich sein könnte. Beispielsweise wird, wie schon erwähnt, bei der Betrachtung der fundamentalen Bausteine der Materie die, die Raum-Zeit Geometrie beschreibende Gravitation vernachlässigt. Ihre korrekte Mitnahme scheiterte bisher. Ebenso erscheinen in dem überaus erfolgreichen Standardmodell für die elementaren Bauteile der Materie (Modell für die, die Mikrophysik aufbauenden Quanten) für sehr hohe und sehr niedrige Energien sinnlose Ergebnisse und Erklärungen. Es bricht hier geradezu zusammen und wird nur durch geniale Rechentricks handhabbar. Die Modelle für die Bausteine der uns bekannten Materie, die unter der Annahme einer Isolation vom Rest des Kosmos entwickelt wurden, scheinen mit den realistischen raum-zeitlichen Strukturen unserer Welt nicht zusammen zu passen bzw. liefern eben seltsamste Phänomene. Jedoch ist uns gerade mal ein Bruchteil der Materie bekannt, ca. 4,6 %, die Quelle der für uns beobachtbaren Raum-Zeit ist und im Standardmodell darstellbar ist, bzw. eine schlüssige Berücksichtigung findet. Von den restlichen, die Geometrie des für uns denkbaren Kosmos aufspannenden 95,4 % nennt man den anziehenden, Raumspannung erzeugenden Anteil sinnigerweise dunkle Materie (ca. 23 %) und den abstoßenden, Raumdruck bewirkenden Teil dunkle Energie (ca. 72,4 %).

    Es gibt Forscher, die meinen, dass unser Wissen einfach unvollständig ist und uns bisher verborgene Vorgänge gefunden werden müssten, die alle Objekte im Sein erfassen und ein einzig allmächtiges Wirkungsprinzip für das gesamte Netzwerk von Naturgesetzen im Kosmos begründen. Dies führt in Konsequenz zu der mutigen, recht spekulativen Annahme, dass ein „Weltgesetz, eine „Weltformel, ein „Dharma" des Seins, eine Theorie für ALLES gefunden werden müsste.

    Das Wirken des kosmischen Seins ist nach „Innen gerichtet, da nichts „Äußeres definierbar ist. Es wird, in der mystisch-religiösen Denkweise, als „immer währender Wandel zwischen sich gegenseitig Ausschließendem, aber notwendig Zusammengehörendem, alle Dinge im Sein Erfassendem, gedacht. Das Sein entfaltet, da einzig allmächtig und deswegen an keine Gesetze gebunden, für das Seiende „ursachenlose bzw. „gesetzlos erscheinende Wirkungen nach „Innen. Würde es, entgegen der, im mystisch-religiösen und im rational-materialistischen Denken gemachten Annahme, als an Naturgesetze gefesselt betrachtet werden, gäbe es „Äußeres, das ihn bedingt. Es bestände ein Grund, der ihn gegen einen Widerstand erwirkt bzw. erzeugt. Der Kosmos ist aber die Gesamtheit allen Geschehens der Dinge im Sein, er ist einmalig, ist die Ganzheit der raum-zeitlichen Existenzen; er umfasst sämtliche Zustandsalternativen alles Seienden, ist raum-zeitlos. Es existiert infolgedessen nichts „Äußeres! Er kann also nicht durch irgendetwas bedingt sein, - entfaltet folglich objektiv zufällige Wirkungen nach „Innen– ist umgangssprachlich beschrieben „einzig allmächtig. Das Wirken des kosmischen Seins verursacht auf allen Größenordnungen Effekte, die von uns als nicht beweisbare, durch Gesetze begründbare, jedoch durch unzählige Erfahrungen als wahr bestätigte Fundamentalannahmen bzw. Axiome, geglaubt werden.

    Die von uns beobachtbaren Naturgesetze folgen aus den von uns, aus zahllosen Erfahrungen geschlussfolgerten Fundamentalprinzipien bzw. Axiome, die von uns, vom Rest des Kosmos „isolierten Individuen, als wahr aber nicht beweisbar geglaubt werden. Beispielsweise, dass kräftefreie Bewegungen von Objekten entlang eines kürzesten Wegs in der Raum-Zeit ablaufen, wird - bis jetzt - als solch ein Fundamentalprinzip angenommen. Man ist versucht die Verallgemeinerung, „Ein ursachenloser Zustandswandel des Seienden führt zu einem minimal benachbarten Zustand in Raum seiner Zustandsalternativen, zu postulieren. Oder beispielsweise zählen als fundamentale Prinzipien auch die zwei Postulate, aus denen das Theoriegebäude der Quantenmechanik ableitbar ist: 1. Jedes physikalische System trägt eine endliche Menge an, für anderes bedeutsame Information (relevante Information) über sich (Körnung der Mikrowelt). 2. über ein physikalisches System lässt sich stets neue Information gewinnen (Unbestimmtheit der Information). (Siehe beispielsweise in [11], Kap. 12.)

    Es drängt sich die Auffassung auf, dass bei den Fundamentalprinzipien irgendwie die Gesamtheit des kosmischen Seins mitwirkt. Da keine individuelle Existenz in der Lage ist, den Kosmos als Ganzes zu erfassen, müssen diese Prinzipien als wahr geglaubt werden, trotzdem sie grundsätzlich nicht beweisbar sind. Natürlich wird die Forschung immer mal wieder eine Verallgemeinerung in ein „höheres" Prinzip finden. Das ändert nichts daran, dass diese Fundamentalprinzipien uns objektiv zufällig erscheinen. Die fernöstliche Mystik generiert auf faszinierende Weise dafür ein intuitives Verständnis.

    Nicht selten wird Mystik mit Magie verwoben und damit missverständlich verwendet. Trotzdem es keinen allgemeinen Konsens zum Begriff „Mystik gibt, sollte eine scharfe Trennung in den Bedeutungen von Mystik mit Magie erfolgen. Auf jeden Fall hat die Mystik nichts mit der irrealen, der unwirklichen Natur von Magie gemein. Magie gehört in das Reich der Märchen und Sagen. In ihnen tauchen Gegenstände und Wesen auf, die über geheimnisvolle Kräfte verfügen, die mittels fantastischer Rituale geweckt werden - und die keiner vernünftigen, geschweige denn einer strengen naturwissenschaftlichen Betrachtung standhalten. Der Glaube an diese Magie wächst aus dem machtvollen Unwissen über die reale Natur, die Wirklichkeit, um und in uns - und ist, ganz im Sinne eines Lehrsatzes von Konfuzius „Denken ohne Wissen ist gefährlich, verderblich.

    Andererseits hat der Begriff der Magie noch eine umgangssprachliche Bedeutung. Beispielsweise empfinden wir die Wirkung von Kunstwerken oder das Bild von Landschaften im Nebel, durchwoben mit geheimnisvollen Wurzelgestalten, die uns die Fantasie vorgaukelt, als „magisch". Die Magie des Eindrucks von Dingen, die unsere Empfindsamkeit berühren, kann zwar die Sinne verzaubern, nicht aber die materielle Wirklichkeit. Trotzdem ruhen in dieser Fantastik oft genug Weisheiten und Metapher zu Konfliktsituationen in unserer realen Welt.

    Im Wirkungsspektrum dieser Magie-Kultur tummeln sich leider auch Gestalten, die bewusst pure Scharlatanerie betreiben. Diese, angeblich „magisch Begabten haben eines gemeinsam: Die von ihnen „geweckten, magischen Phänomene halten keiner rationalen Betrachtung stand. Sie praktizieren, ob gewollt oder ungewollt, ein absurdes bis schmutziges Geschäft mit gutgläubigen Menschen.

    Die nicht an eine Naturgesetzlichkeit gebundene Magie wird von den großen monotheistischen Weltreligionen, beispielsweise vom Christentum und vom Islam, verurteilt.

    Die sich an eine Rationalität bindende Mystik setzt voraus, dass eine geistige, einzig allmächtige, als göttlich verehrte, absolute Wirklichkeit existiert, - die wiederholt personal erfahrbar ist. In den monotheistischen, abrahamitischen Religionen wird sie dezidiert mit dem einzig allmächtigen, allerfassenden „Gott" gleichgesetzt. In der fernöstlichen Mystik existieren detailliertere Interpretationen der absoluten Wirklichkeit. Zum Beispiel weicht der Buddhismus oder das chinesische Denken einem direkten Gottesbegriff eher aus. Dort sieht man das allerfassende, kosmische Sein als Manifestation der einzig allmächtigen Wesenheit, an. Keinerlei individuelles Wesen, kein Mensch besitzt ein Anteil dieser Allmacht oder kann sie vertreten – wäre dem so, hätte Gott ja nicht die Allmächtigkeit, da er sie ja teilen müsste.

    Magie und Mystik sind also zwei grundverschiedene, sich ausschließende Dinge! Magie sucht jenseits jeglicher Realität. Mystik sucht diesseits der Realität. Da nun aber keine einheitliche Definition zum Begriff der Mystik existiert, nennen wir Mystik nur im Zusammenhang mit religiösen und spirituellen Erfahrungen, wie sie in den Weltreligionen beschrieben werden.

    In der Mystik der monotheistischen Weltreligionen wird an die Existenz der einzig göttlichen Wesenheit geglaubt. SIE wird, je nach kulturhistorischen Hintergrund, in verschiedenen Manifestationen verehrt. In letzter Konsequenz sieht man SIE als „letzte Wahrheit, als die, die Gesamtheit aller Zustandsalternativen sämtlicher Dinge erfassende, absolute Wirklichkeit. Diese Gotteswirklichkeit ist für alle Objekte im Sein, für das Seiende, eine nicht personalisierbare Wesenheit. SIE ist eine sogenannte emergente Wesenheit. SIE ist als Ganzheit nicht identifizierbar. Trotzdem wird SIE von zahlreichen Gläubigen personifiziert. Das verführt aber dazu, individuelles Fühlen, Denken, also letztlich menschliches statt göttliches Verhalten zu erwarten – was Vorwürfe provoziert: „Warum lässt ‚Du‘ dies oder jenes zu?

    Das ist verständlich, da der Mensch dazu neigt, intuitiv eine individualisierbare Dinglichkeit zu suchen. Das erschwert die Betrachtung komplexer Gesamtheiten, wie beispielsweise das Verhaltens von Menschengemeinschaften. Es hemmt erst recht den Versuch, die Wirkungen der nicht personalisierbaren göttlichen Wirklichkeit zu verstehen.

    Das Zusammenfügen von Elementen zu einem System führt oft zu völlig neuen, zu emergenten Systemeigenschaften. Diese Eigenschaften erscheinen den Systemelementen als nicht individuell verortbar, als nicht „personalisierbar". Sie teilen sich ihnen unter Informationsverlusten mit – was beispielsweise in den Naturwissenschaften ein wohlbekannter Vorgang ist. Auch die Gläubigen erfahren das Wirken der emergenten Wesenheit nur Aspekthaft. Es ist ihnen nicht möglich, das Agieren der göttlichen Wirklichkeit zu erfassen, in ihre individuellen Denkschemata einzuordnen und dort zu bewerten.

    Gewiss wird das Wirken eines emergenten Natursystems, wenn wir Teil des Systems sind, auf unsere menschliche Bewusstseinsebene „runter" projiziert. Dabei bildet sich grundsätzlich ein Informationsverlust aus. Wir bilden das uns erfassende Natursystem nicht in seiner Ganzheit in unserem Bewusstsein ab. (Zum Beispiel nehmen wir das Verhalten der Menschengemeinschaft nicht als Ganzes wahr, sondern nur über ein subjektiv empfundenes Umfeld, eine uns berührende Kontaktgemeinschaft.) Die Projektionen der Wirklichkeit in unserem Bewusstsein sind darum prinzipiell Illusionen über die Wirklichkeit. Viele, die diese Illusionen bewusst oder unbewusst erfahren, nehmen Zuflucht in mystische Denkweisen. Sie glauben, dass sie Hinweise auf die verlorene Information liefern könnten.

    Der fernöstlichen Mystik ist dies nicht fremd. Im Hinduismus ist das eine uralte Erkenntnis. Dort wird festgestellt: Solange wir die unendliche Zahl der Formen unserer Wahrnehmungen und ihre Abbildungen im Selbst, die „Lila" genannt werden, mit der Realität verwechseln, stehen wir unter dem Einfluss einer Täuschung, die Maya heißt. Dies bedeutet nicht, dass die Welt eine Täuschung ist, sondern die Wiedergabe von ihr in unserem Bewusstsein ist es. Die Abbilder sind Illusionen! Das besagt, unsere Weltbilder für die objektive, letzte Wirklichkeit zu halten, ist eine Illusion, ist Maya. Diese Weltabbilder sind brauchbare Näherungen! Auch in dem von Platon überlieferten, berühmten Höhlengleichnis wird dieser Sachverhalt gelehrt. Wir alle müssen - selbst in einfachen Lebenslagen - nach der Wahrheit hinter den Illusionen der Wirklichkeit suchen. Das gilt prinzipiell für unsere Beobachtungen und Naturbeschreibungen bzw. Weltbilder!

    Das in unserem Bewusstsein überhaupt exzellente Abbilder der objektiven Realität entstehen können, ist das eigentliche Naturwunder. Einstein meinte sinngemäß: „Nicht der Kosmos sei das Wunder, sondern das Wunder ist das, wenn auch unvollständige Bild des Kosmos in unserem Kopf."

    Viele Menschen neigen dazu, die von ihnen gemachten Beobachtungen, die nicht in ein rational-materialistisches Weltbild zu passen scheinen, als seltsame, unnatürliche Phänomene zu empfinden.

    Diese Phänomene werden dann oft instinktiv mit der Präsenz geistiger Mächte in Verbindung gebracht. Jene diffuse Spiritualität muss die Naturgesetze beachten, sonst besteht die Gefahr, dass sie in Richtung irrationaler Magie und Esoterik abgleitet. Der überwiegende Teil der Gläubigen scheint davon auszugehen, dass die spirituelle bzw. mystisch-religiöse Auseinandersetzung mit der Natur beim Verstehen des Naturgeschehens hilfreich sein kann. So vereinfacht und unscharf dieser Zugewinn an Verständnis sein mag, es ermöglicht dem „Nicht-Fachmann" mit der immer komplizierter und komplexer werdenden Welt, mit den immens wachsenden Erkenntnissen über die Natur und den oft seltsam erscheinenden Weltbildern der Forschergemeinde wenigstens teilweise zurechtzukommen. Darum ist es hilfreich, wenn Wissenschaftler versuchen, auf allgemein verständliche Art die rational-materialistischen Sichtweisen mit mystisch-religiösen Denkweisen vergleichend zusammenzubringen.

    Zum Beispiel verglich Capra [3] die fernöstliche, mystisch erfahrbare Wirklichkeit mit den Erkenntnissen der physikalischen Forschung. Er deutet eine Konvergenz von Naturwissenschaft und fernöstlicher Mystik an. Oder beispielsweise Mathias Schreiber, der Auffassungen zur Seele und ihrer Unsterblichkeit - besonders in Bezug auf gegenwärtiges Wissen - auf erfrischend kompakte Weise zusammenfasste [13].

    Es ist schwierig, nicht nur eine verstehende Sicht auf die Dinge im Sein zu suchen, sondern zugleich die Rolle unseres Selbst in diesem Prozess zu begreifen. Das Verständnis der Wirkung des Selbst, des gefühlten ICH’s als Beobachter, in der uns um- und erfassenden Welt ist, in der sich mehr und mehr globalisierenden Wissens- und Informationsgesellschaft, von wachsender Bedeutung. Da das individuelle Wissen über die Dinge im Sein aus der sinnlichen Beobachtung und deren Transformation in die Weltbilder unseres geistigen Selbst folgt, ist eine „Innenschau auf diesen Beobachtungsprozess von dominanter Wichtigkeit. Die Beobachterrolle erkennende „Innenschau spielt im mystischen Denken, insbesondere in der fernöstlichen Mystik, eine zentrale Rolle. Besonders der Buddhismus lehrt ausgefeilte Wege für die, das geistige Selbst suchende Meditation – sodass er wie eine Art psychotherapeutisch wirkende „Religion" zu betrachten ist.

    In der Physik spielt das Beobachterkonzept eine zentrale Rolle. Jede Beobachtung eines Objekts ist mit einer Wechselwirkung zwischen dem Beobachter und dem beobachteten Objekt verbunden. Sie verändert den Zustand des beobachteten Objekts und den des Beobachters. Es ist dabei egal, ob eine Person oder ein anderes Objekte beobachtet. Beobachtungen sind immer mit einem Informationsaustausch kombiniert, der Zustandsveränderungen der Beteiligten zur Folge hat – die bei dem Einem sehr klein und bei dem Anderen sehr groß sein kann. Beispielsweise, wenn wir den Ort eines elementaren Teilchens, etwa eines Elektrons, feststellen wollen, scheint uns der ausgesendete, von uns provozierte Lichtblitz des Elektrons, seinen Ort zu verraten, aber da es sich durch den „Rückstoß beim Lichtblitz bewegt, hat es diesen Ort dann gar nicht mehr. Wir Beobachter haben uns durch den Empfang des Lichtblitzes vernachlässigbar verändert, das Elektron aber erheblich, da es zu einem neuen, unbekannten Ort, sprang. Dieses Prinzip der „Unbestimmbarkeit der Elementarteilchenphysik ist verallgemeinerbar, ist prinzipieller Natur. Beobachten wir beispielsweise einen anderen Menschen, so wird das seine objektive, körperliche und geistige Realität kaum verändern. Sein Abbild in unserem Verstand ist nur eine Illusion, die von unserer Beobachtungsweise, unseren Voreinstellungen, usw., abhängt. Es variiert von Beobachtung zu Beobachtung, denn sein wahrgenommenes Abbild löst in uns irgendeine Einstellung zu ihm aus, verändert unser geistiges Selbst und wandelt unsere Beobachtungseinstellung – was irgendeine, vielleicht sogar erhebliche Bedeutung für uns hat. Das aus sinnlichen Wahrnehmungen sich entwickelnde Abbild der uns um – und erfassenden Natur beeinflusst unser geistiges Selbst und damit die Art der Beobachtung, was wiederum ein sich veränderndes Abbild der Natur in uns zur Folge hat.

    Wir müssen uns daran erinnern, dass unsere Fragen an die Welt nur Fragen an die, in unserem geistigen Selbst existierenden Abbildungen der Wirklichkeit sind. Nur Abbilder der Realität treiben den Verstand eines jeden. Nur diese Welt-Bilder können Fragen auslösen und Beobachtungen provozieren. Stellen wir aufgrund unscharfer Weltbilder die falschen Anfragen, so werden wir falsche Antworten erhalten. Das heißt, wir müssen uns darüber im Klaren sein und erkennen, wie Fragen, die doch aus den im geistigen Selbst liegenden Weltbild resultieren, zu einer Annäherung dieses „gedachten Weltbildes an die objektive physikalische Realität führen können. Hier bietet sich ein Ausflug in die mystisch-religiöse Denkweise der Weltreligionen an. Denn in ihr spielt ja diese notwendige „Innenschau mithilfe einer „Meditationskultur eine zentrale Rolle. Während einer Meditation bewegt sich das denkende Wesen wie ein Astronaut durch die tiefen Schichten des Bewusstseins und versucht zu ergründen, wie die „äußere Welt in unserem Selbst gespiegelt wird. Es treibt ihn Neugier und Zweifel an die in unserem geistigen Selbst wahrgenommene und gespiegelte „äußere" Welt, - Zweifel an die Illusion einer objektiven physikalischen Realität. Aber nicht die objektive, physikalische Realität ist eine Illusion, sonder ihre Abbildung in unserem Verstand.

    Was provoziert diesen Zweifel an die illusionären, geistigen Projektionen der uns umgebenden „äußeren" Natur? Welche Beobachtungen belasten unser Vorstellungsvermögen, so das wir voller Zweifel den Welt-Bildern in uns misstrauen? Nicht wenige Naturphänomene erweisen sich als seltsam und führen uns an die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass sie Interpretationen sind, die aus den geistigen Konstrukten in uns hervorgehen, die wir auf den Grund von Illusionen über die real existierende, objektive Wirklichkeit errichten. Das provoziert dann manchmal die Versuchung, sich in mystisch-religiöse Denkweisen zu begeben?

    Beispielsweise beobachteten Astronomen in den Zentren von Galaxien, einschließlich unserer eigenen Sterneninsel, der Milchstraße, gigantische Gebilde, die Millionen bis Milliarden Sonnenmassen enthalten, die Sterne zerreißen und verschlingen. In ihrer Nähe ist die Schwerkraft derart gewaltig, dass selbst Licht verschluckt wird. Man nennt sie deshalb „Schwarze Löcher. Man „sieht sie nicht und bemerkt sie nur über die Bewegung und die Strahlung der aufgeheizten, abstürzenden Materie. Im Zentrum dieser monströsen Objekte sind der Raum und die Zeit derart verzerrt und verkrümmt, das der Raum sowie die Zeit dort aufzureißen scheint. Diese „Risse treten als sogenannte Singularitäten, das heißt, unendlich große Phänomene in den Lösungen der die Raum-Zeit beschreibenden Gleichungen der „Allgemeinen Relativitätstheorie (entwickelt von Einstein), auf. Sie sind bisher im Rahmen eines konsistenten Verständnisses der Raum-Zeit und der uns bekannten Materie nicht verstanden, scheinen „Illusionen" der Wirklichkeit zu sein. Sollten diese sogenannten Singularitäten nicht durch Raum-Zeitmodelle für unsere Welt beseitigbar sein, so deuten sie die Existenz, absurder Risse in Raum und Zeit an. Sie sind nicht einmal exotische Seltenheiten und scheinen in viel größerer Zahl zu existieren, als früher geglaubt.

    Was „um Gotteswillen" bedeuten diese seltsamen Phänomene? Was ist ein Riss im Raum - und schlimmer - in der Zeit? Und was ist Zeit, die eher einen thermodynamischen Hintergrund zu besitzen scheint und in der wir nur vorwärts und nie rückwärts schreiten können?

    Ein anderes Beispiel aus der Welt der kleinsten Objekte, den Quantenobjekten, ist genauso bizarr. Diese Mikroteilchen

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