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Drachenwelt: Tarnas B300433-A
Drachenwelt: Tarnas B300433-A
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eBook895 Seiten11 Stunden

Drachenwelt: Tarnas B300433-A

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Über dieses E-Book

Dies ist nach den Titeln Sternenflug, Drachenfeuer, Himmelfahrtskommando, Scheideweg, Planetarlandung, Vorauskommando sowie Die Basis die Fortsetzung und zugleich der achte Band der Geschichte um Marc Ewert und die Mission rund um den extrasolaren Planeten Tarnas B300433-A.
In zwei Monaten Bauzeit wurde Azores, die Bodenbasis der Menschen auf der Oberfläche des extrasolaren Planeten namens Tarnas B300433-A, praktisch aus dem Boden gestampft. Mehr als sechstausend Bewohner leben inzwischen in ihr. Große Sperranlagen und moderne Abwehrsysteme sollen die Neuankömmlinge aus dem fernen Sonnensystem vor den zahlreichen Gefahren schützen, die draußen in der extraterrestrischen Welt auf sie lauern. Doch die Menschen müssen sehr rasch erkennen, dass keine Mauer hoch genug ist und kein Abwehrsystem hinreichend ausgeklügelt, um sie vor den Bedrohungen zu schützen, die der Himmelskörper für sie bereithält. Mysteriöse Dinge ereignen sich. Doch woher kommt die Gefahr? Und wer steckt hinter den Vorfällen? Die Bewohner von Azores durchleben eine Zeit voller Angst und kämpfen zugleich darum, hinter das Geheimnis der Vorgänge zu kommen. Als sich die Bedrohung schließlich offenbart, wird eine Gruppe von Frauen und Männern, zu der auch Corporal Marc Ewert gehört, mit dem Auftrag entsandt, ihr zu begegnen. Neue Missionen stehen an. Missionen voller Überraschungen und Gefahren.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Aug. 2021
ISBN9783754382370
Drachenwelt: Tarnas B300433-A
Autor

Peter Schindler

Der Autor wurde 1966 in Ostdeutschland geboren. Nach dem Abschluss der Schule und des Gymnasiums absolvierte er ein vierjähriges Hochschulstudium an der damaligen Offiziershochschule der Landstreitkräfte der Nationalen Volksarmee in Löbau zum Panzerkommandeur und erlangte dabei auch den zivilen Abschluss eines Diplom-Ingenieurpädagogen. Im Anschluss an das Hochschulstudium diente er als Leutnant und führte einen Panzerzug. Nach der Wende und der Deutschen Wiedervereinigung war er als Offizier auf Zeit in den Reihen der Panzertruppe der Bundeswehr tätig. Nach Ablauf seiner Dienstjahre verpflichtete er sich nicht weiter, sondern wechselte ins Zivilleben, wo er viele Jahre für einem großen deutschen Medienkonzern tätig war. Momentan vollzieht er einen beruflichen Wechsel in den Öffentlichen Personennahverkehr als Busfahrer. Peter Schindler ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Er lebt in Thüringen.

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    Buchvorschau

    Drachenwelt - Peter Schindler

    Kapitel 1 – Gigantosaurus

    25. September 2173

    „Azores"-Bodenbasis

    Innerer Stationsbereich / Zentraler Platz

    Corporal Marc Ewert schob den Riemen seines Lasersturmgewehres zurecht und sah sich verstohlen um. Wie die anderen Mitglieder seiner FSU -Gruppe – das FSU stand für „ For Special Use – Zur besonderen Verwendung" – trug er seinen Raumanzug mit dem Oberkörper- und dem Unterleibspanzerschutz, seinen Raumhelm sowie die komplette Bewaffnung und Ausrüstung eines Grenadiers am Mann.

    Auch heute bestand der Job der Gruppe wieder darin, ein Presseteam zu verschiedenen Terminen zu chauffieren und ihm dabei gleichzeitig bewaffneten Schutz zu geben.

    Schutz benötigte man als Mensch auf Tarnas B300433-A eigentlich immer. Innerhalb der schützenden Mauern der Bodenbasis, welcher die Bewohner den Namen Azores gegeben hatten, durfte man sich zwar etwas sicherer fühlen, doch eine reale Gefahr bestand sogar hier.

    Denn der Planet besaß eine äußerst lebhafte Unterwelt, deren Kreaturen dazu neigten, hin und wieder an die Oberfläche zu kriechen, um sich dort umzuschauen. Dies taten sie leider auch im Bereich des Basisgeländes.

    Sehr viel dramatischer stellte sich das Risiko für Leib und Leben jedoch bei Einsätzen außerhalb der Sperranlagen der großen Bodenstation dar. In der Welt auf der anderen Seite der sieben Meter hohen Panzermauer aus Titanstahl war man praktisch Freiwild für ein buntes Sammelsurium extraterrestrischer Lebensformen. Dabei besaßen Letztere beinahe durchweg die unangenehme Eigenheit, sehr viel größer als ein Mensch zu sein.

    Marc Ewert beobachtete das Presseteam.

    Das Problem mit der hübschen Nachrichtenreporterin, ihrem blutjungen Kameramann sowie dem Bild- und Tontechniker war, dass sie fast immer sporadisch entschieden, an welchen Orten es gerade etwas Lohnendes für sie zu filmen gab. Diese Orte mussten sich nicht zwangsläufig innerhalb der Azores-Basis befinden, sondern konnten auch außerhalb ihrer Sperranlagen liegen. Natürlich gab es in Azores momentan genügend Baustellen, auf denen sich etwas tat, sodass sich hier stets eine Berichterstattung sowie eine Videodokumentation lohnten.

    Dies galt auch für die jetzt angesetzte Veranstaltung. Man stand gegenwärtig auf dem Zentralen Platz von Azores und schickte sich an, in feierlichem Rahmen den Grundstein für die erste Parkanlage der Bodenbasis legen.

    Leider zeigte sich auch an diesem 25. September des Jahres 2173 das Wetter mit Dauerregen und einem starken Wind nicht sehr solidarisch mit der geplanten Zeremonie.

    Der Zentrale Platz selbst war gottseidank bereits mit Betonplatten befestigt, sodass das Kommende zumindest nicht in einer Schlammschlacht ausarten würde.

    Zum Schutz vor dem Regen hatte man außerdem transportable Schutzdächer aufgebaut, die im starken Wind heftig knatterten.

    Wenigstens war es halbwegs hell, denn auf dieser Seite des Exoplaneten herrschte gerade Tag. Die Strahlen von Sirius A, der als Stern fünfundzwanzigmal kräftiger leuchtete als die Sonne, drangen zwar nur mühsam durch die Wolkendecke, heizten aber die Luft ordentlich auf.

    So zeigten die Außensensoren von Marcs Anzug gegenwärtig eine Lufttemperatur von knapp dreißig Grad Celsius an. In seinem hermetisch geschlossenen und klimaregulierten Raumanzug spürte der Deutsche die feuchtwarme Schwüle nicht.

    Dies galt auch für die anderen FSU-ler sowie das Presseteam und die Bauarbeiter in ihren zivilen, orangefarbenen Raumanzügen.

    Alle sonstigen Teilnehmer der kleinen Feierstunde kamen dagegen gerade ordentlich ins Schwitzen. Denn sie steckten eben nicht in der wohltemperierten Astronautenbekleidung, sondern in schicken Anzügen und Kostümen oder als Militärangehörige in Stabsdienstuniformen. Man wollte so dem Geschehen etwas mehr Glanz verleihen. Zusätzlich mussten die Betreffenden Sauerstoffnasensonden tragen, um ordentlich atmen zu können.

    Tarnas B300433-A besaß zwar gleich der Erde eine Atmosphäre, in der ein Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch dominierte, doch die Volumenanteile passten nicht. So fiel der Sauerstoffanteil in der Planetenluft mit sechzehn Prozent zu gering aus, während der Kohlendioxidanteil mit vier Prozent deutlich zu hoch lag.

    Man starb in der Tarnas-Atmosphäre als Mensch zwar nicht sofort, bekam den Sauerstoffmangel und den zu hohen CO2-Gehalt aber schon nach kurzer Zeit deutlich zu spüren. Das machte das Tragen eines zusätzlichen Atemhilfsmittels in Form eines Konzentratorgerätes mit Nasensonde verpflichtend notwendig. Die Nasenbrille mit ihrem Versorgungsschlauch und den zwei kleinen Düsen, die man sich in die Nasenlöcher schob, mochte zwar etwas unangenehm beim Tragen sein und zudem auch nicht besonders hübsch aussehen. Sie stellte aber immer noch die weitaus attraktivere Alternative im Vergleich zu einem sperrigen Raumanzug dar.

    Die neue Freiheit, außerhalb eines Gebäudes oder eines Fahrzeuges nicht ständig mit einem Raumanzug umherlaufen zu müssen, galt noch nicht sehr lange. Man besaß sie erst seit etwa dreieinhalb Wochen – seit feststand, dass man durch die letzten Impfungen tatsächlich eine Grundimmunität gegen die Viren und Bakterien des Exoplanten aufgebaut hatte.

    Marc bemerkte, dass sich bei den Teilnehmern der Grundsteinlegung jetzt etwas tat.

    Eine große Frau mit durchtrainiertem Körper, hellem Haar und ebenso hellen Augen rührte sich. Ihre Uniformabzeichen verrieten ihren Dienstgrad, die Schildchen an Brust und Ärmeln ihren Namen sowie ihre Verwendung. Colonel Ragna Solverson leitete als Basiskommandantin die Geschicke von Azores. Sie schob jetzt den Ärmel ihrer Stabsdienstuniform etwas zurück, und warf einen leicht genervten Blick auf die Zeitanzeige ihres Handgelenkcomputers.

    Das geplante kleine Spektakel hatte eigentlich bereits am gestrigen Tag stattfinden sollen. Dann jedoch waren die Bauarbeiter beim Aushub des Loches für den Grundstein auf einen kleinen Hohlraum mit einem beinahe senkrecht in die Tiefe führenden Schacht gestoßen.

    Die Entdeckung stellte an sich nichts Besonderes dar. Denn man wusste längst, dass die gesamte Oberflächenkruste des Exoplaneten löchrig wie ein Schweizer Käse war. Sie wurde in Tiefen zwischen dreißig und siebenhundert Metern von einem gewaltigen Labyrinth aus Höhlensystemen durchzogen – das eine riesige eigene Welt für sich bildete. Wahrscheinlich besaß dieses System globale Dimensionen und reichte sogar noch sehr viel tiefer als nur die bisher gemessenen siebenhundert Meter. Doch so weit nach unten vermochten die meisten Geoscanner der Menschen nicht zu schauen.

    Der jetzt entdeckte Hohlraum lag allerdings gerade einmal in fünf Metern Tiefe und war ziemlich klein. Auch der von ihm aus beinahe senkrecht nach unten führende Schacht erwies sich in seinem Durchmesser als eher eng. Beides stellte vermutlich das Werk einer Wurmkreatur dar.

    Würmer gab es auf dem Tarnas in großer Menge. Zusammen mit Wesen, die sich am ehesten noch in die Kategorie Gliederfüßer einordnen ließen, stellten sie die uneingeschränkten Herrscher der Unterwelt dar.

    Ragna Solverson hatte angeordnet, den Hohlraum vollständig zu verfüllen und mit Beton zu versiegeln. Dies war geschehen, sodass der Grundsteinlegung nun nichts mehr im Wege stand. Also beschloss die hochgewachsene Norwegerin, jetzt endlich zur Tat zu schreiten. „Okay, Ladies und Gentlemen. Es ist jetzt gleich schon halb neun. Ich denke, wir sollten die Sache hinter uns bringen, damit die Arbeiter heute noch etwas schaffen." Sie warf einen raschen Blick auf das Presseteam, dessen schwarzhaarige Nachrichtensprecherin ihrem Kameramann gerade klarmachte, worauf er seine Kamera gefälligst zu richten hatte. „Ladies und Gentlemen, vor beinahe genau sechs Wochen befand sich an der Stelle, an der heute Azores im Wachsen begriffen ist, noch absolut nichts, das irgendeinen Wert für uns als zukünftige Planetenbewohner besessen hätte. Als das Vorauskommando mit seinen gepanzerten Planetar-Fahrzeugen hier eintraf, gab es an diesem Ort nur staubigen Boden, durchsetzt mit Felsen und Sand, der sich bei einem Regen, wie wir ihn gerade erleben, in eine Schlammwüste verwandelte. Und nun schauen Sie sich bitte einmal um."

    Einige der Anwesenden taten dies tatsächlich.

    „Wie Sie sehen können, hat sich in den zurückliegenden anderthalb Monaten eine Menge verändert. Mehr als sechstausendzweihundert Menschen fanden inzwischen in den zwanzig Stationsmodulen eine Wohnstatt, die ihnen Schutz und Sicherheit bietet. Eine innere und eine äußere Panzermauer sorgen zusammen mit Bunkeranlagen dafür, dass wir uns im gesamten Lagerbereich halbwegs sicher bewegen können. Wir bauen Kies und Sand für die Betonproduktion ab, pumpen Wasser aus den Tiefen der Planetenkruste und stellten unsere Energieversorgung auf sichere Beine. Wir errichteten auch eine Bioplantagenanlage mit achtzehn großen Gewächshäusern und einhundertsechsundzwanzigtausend Quadratmetern Anbaufläche. Auf unseren Biomassefeldern stehen bereits mehr als eine viertel Million Pflanzen. Und wir befinden uns dabei, befestigte Straßen, Wege und Plätze zu bauen. Hier im Innenbereich der Basis steht das Trassennetz schon kurz vor seiner Fertigstellung. Bald ist der äußere Ringbereich an der Reihe. Damit aber nicht genug. Wir begannen auch damit, die ersten fünf massiven Gebäude zu errichten – vier große Multifunktionshallen für die Produktion von Gütern sowie die Unterbringung von Werkstätten und einer Klinik. Und dann wäre da das absolute Kronjuwel von Azores – unser zukünftiges Zentralgebäude. Sehen Sie nur, wie es dort vorangeht." Die Stationskommandantin wies bei den Worten hinter sich nach Norden.

    Das angesprochene Bauwerk wuchs am nördlichen Rand des Zentralen Platzes in die Höhe. Noch stellte es lediglich eine gewaltige Baustelle dar, auf der hohe Baukräne große Stahl- und Betonteile durch die Luft schwenkten, während gleichzeitig ein Heer aus Arbeitsrobotern und Kettenbodendrohnen damit beschäftigt war, in exakt koordinierten Arbeitsabläufen unablässig immer neue Gebäudemodule zu montieren.

    „Wir schufen in den zurückliegenden Wochen die Grundlagen, um innerhalb der Panzermauern von Azores halbwegs sicher unterzukommen", fuhr Colonel Ragna Jorgen fort. „Doch nun, Damen und Herren, müssen wir unseren Fokus zunehmend auf neue Ziele richten. Wir alle werden in den kommenden zwei Jahren in dieser Basis hier arbeiten und forschen. Und wir werden hier leben. Das bedeutet, wir müssen unsere Arbeits- und Lebensbedigungen verbessern. Auch, wenn Azores in der fremden und durchaus gefährlichen Welt eines extrasolaren Planeten liegt – es soll ein Ort sein, an dem wir uns wohlfühlen. Die ersten Schritte dazu sind bereits vollzogen. In den Stationsmodulen eröffnen bereits die ersten Restaurants, Bars, Geschäfte und Fitnesscenter. Wir besitzen inzwischen sogar ein großes Shopping- und Dienstleistungszentrum. Was uns bisher komplett fehlt, ist ordentliches Pflanzengrün. Seit wir wissen, dass wir uns im Bereich unserer Basis unter bestimmten Voraussetzungen ohne unsere Raumanzüge im Freien bewegen können, ist der Wunsch gewachsen, in Azores eine grüne Oase zu schaffen. Ich rede von einer großen Parkanlage. Wer von Ihnen sehnt sich nicht nach etwas so Irdischem, wie einem echten grünen Rasen mit Bäumen, Sträuchern und Blumen? Unsere Biologen und Genetiker sind seit zwei Wochen emsig damit beschäftigt, irdische Pflanzen genetisch zu modifizieren und an die schwierigen Gegebenheiten des Tarnas anzupassen. In Stationsmodul 18 werden bereits die ersten schnellwachsenden Stecklinge herangezogen. Sie sind bald zum Auspflanzen bereit. Es wird sich zunächst nur um Bäume und Sträucher handeln, die mit den langen Tag- und Nachtphasen des Planeten sowie seinen extremen Temperaturschwankungen gut zurechtkommen. Zu den genetischen Anpassungen gehört übrigens auch, diesen Gewächsen die Fähigkeit zur Fortpflanzung zu nehmen. Wir machen ihre Samen unfruchtbar, um gemäß der Richtlinien der Solaren Union und des Weltraumvertrages aus dem Jahre 1967 einen Eingriff – oder nennen wir es mal eine Verunreinigung – der hiesigen Flora und Fauna zu vermeiden.

    Bis dahin schaffen wir die grundhafte Infrastruktur für die Parkanlagen. Über das Wegesystem mit Wetter- und UVSchutzüberdachung verfügen wir ja schon. Nun geht es darum, die vielen leeren Flächen zwischen ihnen zu gestalten. Auf diese Weise verwandeln wir den gesamten Kernbereich der Azores-Basis in eine Grünzone, die uns sogar als sogenannte ‚grüne Lunge‘ nützlich ist. Laut den Berechnungen unserer Wissenschaftler wird sie den Sauerstoffgehalt im Zentrum unserer Basis um ein bis drei Volumenprozent erhöhen und zeitgleich den schädlichen Kohlendioxidanteil reduzieren. Wenn wir davon ausgehen, dass wir bald auch mit dem Bau der großen Lufttauscher- und Sauerstoffkonzentratoranlagen beginnen, erreichen wir in nicht allzu ferner Zukunft einen Punkt, ab dem wir uns völlig ohne zusätzliche Atemhilfsmittel im Basisbereich bewegen können."

    Da die Sprecherin an dieser Stelle eine kleine Pause einlegte, fühlten sich die Anwesenden zu einem müden Applaus gezwungen.

    „Der Zentralpark stellt aber nur den ersten Schritt zur Begrünung unserer Basis dar. Langfristig wollen wir sämtliche nichtbebauten Flächen in Azores bepflanzen. Der hässliche Staub, der Sand und die öden grauen Felsen, auf die wir gegenwärtig überall blicken, werden weichen. Wir reduzieren so auch die starke Staubbelastung in der Luft, die uns an trockenen Tagen ärgert. Und es wäre auch das Ende der unfreiwilligen Schlammschlachten, denen wir uns bei jedem Regen ausgesetzt sehen. Lassen Sie uns den Grundstein für unseren Zentralpark legen. Die Stationsleiterin machte an dieser Stelle ein Zeichen in Richtung ihres zivilen Stellvertreters. „Mister Rathana, wenn ich dann mal bitten dürfte.

    Ein mittelgroßer Mann mit asiatischen Gesichtszügen und dichtem, schwarzen Haar, das bereits von einer Unzahl grauer Strähnen durchzogen war, trat vor. Er trug eine korossionsfreie, vollständig verschlossene Metallhülse in den Händen, die Dokumente, Pläne und einen Datenspeicher mit beinahe sämtlichen Informationen zu den Geschehnissen seit dem Aufbruch der Menschen von der Erde in Richtung Siriusdoppelsternsystem enthielt.

    Ragna Jorgen nahm dem Kambodschaner die Hülse ab und wog sie einen Moment lang in ihren Händen. Dann hielt sie den Behälter wie eine Trophäe in die Höhe und näherte sich dem ausbetonierten Loch. „Möge dieser Grundstein als Zeitkapsel Jahrhunderte durchleben und überstehen – als ein Zeichen großer Beständigkeit. Die Planung ist Vergangenheit, denn diese Basis errichten wir für die Zukunft und zugleich für die Ewigkeit. Möge der Grundstein ihr und uns für jetzt und alle Zeit Glück und Kraft schenken, den weiteren Weg zu beschreiten. Weitaus spätere Generationen, die in einer fernen Zukunft diese Hülse vielleicht einmal wiederfinden, werden anhand der Zeugnisse und Dokumente vielleicht verstehen, was uns bei unserer großen Mission antrieb. In diesem Behälter finden sich alle unsere Wünsche und Träume wieder, die wir mit Azores und nicht zuletzt mit dem ersten grünen Park in ihrem Zentrum verbinden."

    Nachdem die Hülse mit einem Seil verknüpft war, ließ die Norwegerin sie vorsichtig in das Loch im Fundament hineingleiten.

    Das klappte zunächst ganz gut. Dann jedoch verlor das Seil schlagartig seine Spannung.

    Ragna Solverson sah sich irritiert um und suchte mit ihrem Blick den verantwortlichen Vorarbeiter. Sie entdeckte den kräftigen Mann mit dem leichten Bauchansatz schließlich bei den zuschauenden Bauleuten. „Es geht nicht mehr weiter. Ist der Grund etwa schon erreicht? Wie tief ist der Schacht denn?"

    „Zwei Meter etwa", antwortete der Gefragte.

    „Dann stimmt hier etwas nicht, knurrte die Stationskommandantin und blickte in das Loch hinein. „Ich kann die Hülse sehen. Sie hängt in etwa achtzig Zentimetern Tiefe fest. Kann es sein, dass der verdammte Schacht zu eng ist? Sie warf dem Vorarbeiter einen ungnädigen Blick zu.

    Der öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als plötzlich ein heftiger Ruck durch die Schnur ging.

    Solverson, die immer noch festhielt, geriet ins Taumeln. Um nicht umgerissen zu werden, ließ sie das Seil fahren und wich zurück.

    Irgendetwas zog den „Grundstein" jetzt erschreckend rasch in die Tiefe. Die Abwärtsbewegung endete allerdings gleich darauf genauso abrupt, wie sie begonnen hatte. Dann drückte eine unsichtbare Kraft den Metallbehälter wieder nach oben.

    Die Menschen sahen verdattert zu, wie ihr „Grundstein" in der Schachtöffnung erschien und mit Schwung von dieser ausgespuckt wurde. Kurz darauf rollte die Metallhülse scheppernd über den Boden.

    Niemand stoppte sie. Stattdessen wichen die Zuschauer beinahe panisch vor ihr zurück, als könnten sie sich an dem Ding verbrennen.

    An der Schachtöffnung tat sich erneut etwas. Der zum Teil betonierte Boden um sie herum bekam Risse und brach dann schlagartig auf.

    Zwei große, krebsartige Beine schoben sich aus dem Loch hervor, denen viele weitere folgten. Sie hingen allesamt an einem vielfach segmentierten, gepanzerten Körper, der mit seiner rotbraunen Färbung einem dicken, knotigen Stock glich. Die Kreatur – ein extraterrestrischer Gliederfüßer von beinahe zweieinhalb Metern Länge – schob sich nun vollständig aus dem Loch heraus und verhielt, um sich zu orientieren. Am Kopfsegment des Wesens spielten winzige Nesseltentakeln, ringelten sich gleich kleinen Schlangen. Aber es gab auch rötlich glänzende Augenorgane, die starre Blicke in die Umgebung sandten. Und dann war da noch eine Mundöffnung mit gefährlich aussehenden Zangenwerkzeugen. Das Tier setzte sich mit Hilfe seiner vierzehn Beinpaare entschlossen in Bewegung, um Platz für die von unten nachschiebenden Artgenossen zu machen.

    Kurz darauf wurden die hässlichen, gezackten Beine eines weiteren Vertreters dieser seltsamen Spezies sichtbar. Immer neue Tiere folgten, entstiegen dem Loch und begannen zielgerichtet in Richtung der Zweibeiner zu krabbeln.

    Nach einem Moment der Schockstarre kam Bewegung in die anwesenden Menschen. Sie stoben auseinander, ergriffen ihr Heil in der Flucht.

    Die FSU-ler verspürten wohl den gleichen Drang. Doch die Stimme ihrer Kommandantin und Gruppenführerin, ein weiblicher Lieutenant namens Annie Marchand, nagelte sie fest und ließ sie in Stellung gehen.

    Marc hatte sein Lasersturmgewehr jetzt schussbereit in den Händen, wartete jedoch noch ab.

    „Mon dieu, weg da", schrie Annie Marchand und ruderte wild mit den Armen, als könne sie auf diese Weise die wild durcheinanderrennenden Menschen einfach beiseiteschaufeln und ihren Leuten so eine freie Sicht auf die Ziele verschaffen.

    Endlich besaßen die elf Frauen und Männer der kleinen FSUEinheit ein freies Schussfeld.

    Die ersten Laserschüsse blitzten auf. Die roten Lanzen aus kohärentem Licht schlugen in die gepanzerten Körper ein. Das Ganze wurde von einem hässlichen Zischen und Knistern begleitet.

    Die Wesen erwiesen sich als zäh. Obwohl die Faserlaserstrahlen sie regelrecht verschmorten und ihre Körper stellenweise wie Popcorn aufplatzen ließ, krabbelten sie in vielen Fällen einfach weiter. Bei manchen gaben die zahllosen Beine erst nach mehrfachen Treffern nach, wenn ihre Leiber schon regelrecht qualmten.

    „Langsam zurückweichen. Lassen Sie die Viecher nicht an sich heran", befahl Annie Marchand ihren Leuten. Als Französin sprach sie das Standardenglisch eigentlich in einer leicht zwitschernden Weise, die man durchaus süß finden konnte. Im Moment jedoch krächzte sie einfach nur vor Aufregung.

    Ohnehin erwies sich die Warnung als überflüssig. Denn die Zangenwerkzeuge der fremden Kreaturen sahen so scharf und kräftig aus, dass niemand der FSU-ler genügend Vertrauen in die Panzerungseinlagen seiner Raumkombination besaß, um nicht von selbst immer weiter zurückzuweichen.

    Marc gab Schuss um Schuss ab, während er schrittweise rückwärtsging. Dabei beschleunigte er seine Gangart zunehmend, denn die Kreaturen krabbelten immer zügiger auf ihn und die anderen zu. Gleichzeitig wuchs ständig ihre Anzahl, da immer mehr von ihnen aus dem Loch herausquollen.

    Die FSU-Kommandantin erkannte, dass man die Angreifer nicht aufhalten konnte. „Alle Feuer einstellen und sofort zum Fahrzeug", kommandierte sie.

    Die Gruppe gehorchte und hastete jetzt in Richtung ihres großen Zeus-IFV-Kampfwagens, der in etwa fünfzig Metern Entfernung am Rand des Zentralen Platzes parkte. Das wuchtige 206-Tonnen-Gefährt, dessen Titanstahlpanzerung in seiner Schutzwirkung der einer fast meterdicken Stahlwand gleichkam, versprach Sicherheit.

    Leider war im Moment der Kampfstand zur Steuerung des Waffenturmes nicht besetzt, da die Kommandantin es nicht für nötig befunden hatte, die Richtschützin an Bord zurückzulassen. Wozu auch, wo man sich doch mitten im Herzen der eigenen Basis befand, umgeben von gleich zwei hohen Panzermauern?

    Und so rannte Sergeant Marjam Alieva, eine Tschechin mit blonden Haaren, blauen Augen und einem auffallend großen Schmollmund, jetzt keuchend neben Marc her auf das rettende Fahrzeug zu, anstatt ihrer Gruppe Feuerschutz aus der großen 130-Kilowatt-Laserkanone zu geben.

    Als die elf Frauen und Männer den Zeus IFV erreichten, dessen seitliche Schleusenluke sich bereits seufzend herabsenkte, erkannten sie, dass die Kreaturen ihnen plötzlich nicht mehr folgten.

    Obwohl immer noch Tiere aus dem Loch herauskletterten, wogte die Masse der Gliederfüßer jetzt unschlüssig hin und her.

    „Ich glaube, die sind blind wie die Maulwürfe und sehen uns nicht mehr. Sie müssen unsere Spur verloren haben", stieß der Truppführer, ein Lance Corporal namens Armand Renou, keuchend hervor.

    „Ja. Ich denke auch, dass sie uns nicht mehr wahrnehmen", gab ihm die FSU-Kommandantin Recht.

    „Seht nur, sie treten den Rückzug an, rief Private Second Class Robert Ward, ein etwas beleibter Brite, der innerhalb der Gruppe die Funktion eines Sprengstoffexperten ausfüllte. Der hastige Lauf hatte ihn völlig außer Atem kommen lassen, sodass er nur stoßweise reden konnte. „Ja genau, ihr Viecher, verpisst euch, krächzte er hustend.

    Die Kreaturen wandten sich plötzlich wie auf ein unsichtbares Kommando hin in die Gegenrichtung. Sie krabbelten nun wieder auf das Loch zu und begannen Tier für Tier in diesem zu verschwinden. Der Vorgang zog sich hin, doch die große Masse schmolz zusehends zusammen. Dann verschwand schließlich auch das letzte Wesen in dem Schacht.

    Zurück blieben umgestürzte Tische, zerbrochene Flaschen und Gläser sowie verkohlte Kadaver, die zum Teil noch dampften und in vielen Flällen eine klebrige, ölige Körperflüssigkeit absonderten.

    Und inmitten einer solchen ekelig aussehenden Lache lag jetzt die Metallhülse, die als Grundstein in das Betonfundament hatte versenkt werden sollen.

    25. September 2173

    „Azores"-Bodenbasis / Stationsmodul 1

    Wohndeckebene 4 /Unterkunft 1.4.103-L

    Despoina Scala trug ihre langen, dunklen Haare zu einem Kranz geflochten, was ihr schmales Gesicht betonte. Sie besaß als Griechin ein durchaus hübsches Gesicht, empfand die markante gebogene Nase darin jedoch als Makel. Auch ärgerten sie ihre einhundertachtzig Zentimeter Körpergröße. Sie hätte sich als Person selbst gerne etwas kleiner und zierlicher gewünscht. Aber wer konnte sich so etwas schon aussuchen? Im Moment interessierte sie aber weniger das eigene Aussehen als vielmehr das ihres Besuchers. „Du wirkst angespannt, Marc. Der Vorfall bei der Grundsteinlegung ist dir wohl auf den Magen geschlagen?"

    Der Angesprochene verzog leicht das Gesicht. Er war zwar eng mit der Griechin befreundet, fand jedoch, dass die ihre zärtliche Aufmerksamkeit besser an ihren Lebenspartner verschwenden sollte. „Ist Alvaro nicht da, sodass du mich jetzt mit deiner mütterlichen Fürsorge überrennst?"

    „Nein, ist er nicht. Seine Squadron schlägt sich momentan immer noch mit technischen Durchsichten herum, da ausnahmslos alle Multikopter morgen sowie auch in den kommenden Tagen in Einsätze gehen sollen."

    Mist, dachte der Deutsche. Er hatte gehofft, den Hausherrn und Lebenspartner Despoinas Scalas jetzt ebenfalls hier anzutreffen. Denn der war sein mit Abstand bester Freund. Aber der Fluch mit den ständigen Überstunden schlug wieder einmal erbarmungslos zu. Dabei besaßen sie alle ohnehin schon eine 7-Tage-Arbeitswoche.

    „Tja, im Moment wirst du wohl allein mit mir vorliebnehmen müssen, erklärte die Griechin etwas spitz. „Und nun komm endlich rein.

    Marc gehorchte. Auch, wenn die Einladung via Intercom etwas unerwartet gekommen war, eine Plauderei mit Despoina Scala ging schon in Ordnung. Immerhin waren sie beide befreundet, und es gab über ihre Freundschaft hinaus noch ein paar andere Dinge, die sie miteinander verbanden.

    Sie hatten beide gemeinsam in den Reihen des Space Infantry Corps gedient und gekämpft – die meiste Zeit davon, ohne sich näher zu kennen. Wirklich Bekanntschaft miteinander hatten sie erst in der letzten Phase jenes Kommandounternehmens geschlossen, das sich in seiner Endphase zu einem sehr blutigen Himmelfahrtskommando entwickelt hatte. Zu jenem Zeitpunkt war es zu einer Vereinigung ihrer beider bereits stark dezimierten Gruppen gekommen. Doch es hatte immer neue Verluste gegeben, sodass am Ende nur sie beide übriggeblieben waren. Die letzten sechzig Minuten des blutigen Kommandounternehmens hatten sie so gemeinsamen durchgestanden. Das dabei Erlebte verband sie bis heute.

    Und das in ganz besonderer Weise. Marc, der neben seinen Eltern auch zwei Schwestern auf der Erde zurückgelassen hatte, betrachtete die Griechin inzwischen beinahe als so etwas wie eine dritte Schwester. Vielleicht lag es daran, dass er Despoina Scala während des Kommandounternehmens das Leben gerettet hatte. Oder an dem Gefühl, dass die Griechin umgekehrt in ihm offenbar einen Bruder sah.

    Despoina Scala schob ihren Gast durch den Korridor in Richtung ihres Wohnzimmers durch. Sie nannte gemeinsam mit ihrem argentinischen Lebenspartner eine 136-Quadratmeter-Wohneinheit ihr Eigen.

    Das Quartier befand auf der Backbordrumpfseite des großen Stationsmodules – ziemlich weit vorn, sodass man bei einem Blick aus dem Außenfenster des Wohnzimmers zum Teil auf den weit nach oben gezogenen Außenflügel der vorderen linken Tragfläche blickte. Die Unterkunft war gemütlich eingerichtet, wenn momentan auch nicht besonders aufgeräumt.

    „Willst du ein Bier?, erkundigte sich die Gastgeberin bei ihrem Besucher. „Da Alvaro nicht von dem Gesöff wegkommt, haben wir genügend davon gebunkert. Um es zu besorgen, musste ich nicht einmal mehr unter der Hand meine guten Beziehungen zum Modulmanager spielen lassen. Oben auf dem Wirtschaftsdeck eröffneten heute die ersten beiden Geschäfte. Und bei der Einweihungsfeier des großen Shopping- und Dienstleistungscenters im zentralen Basisbereich heute Nachmittag waren die Presseleute, die du immer so aufopferungsvoll bewachen musst, sicher ebenfalls dabei, wie ich mal annehme. Also dürftest du ebenfalls dort gewesen sein.

    Marc nickte bestätigend.

    „Also, Lebensretter und Freund meines Freundes, soll’s nun ein Bierchen sein, oder nicht?"

    „Saft oder Tee, falls du hast."

    „Mein Gott, bist du angenehm anspruchslos." Die Griechin grinste.

    „Ich nehme nur Rücksicht auf Alvaro. Wenn der spitzbekommt, dass ich ihm seine Bierreserven wegtrinke, will er vielleicht nicht mehr mein Freund sein." Der Deutsche grinste nun ebenfalls und nahm dankend das Glas mit dem Orangensaft entgegen.

    Die Griechin ließ sich auf der Couch nieder und legte ihre lange Seidenjacke ab, sodass eine knallbunte Bluse sowie eine kurze schwarze Stoffhose sichtbar wurden. Sie mochte kräftige Farben. „Bei allen griechischen Göttern, ich bin ja so froh, dass man nun sogar eine ordentliche Einkaufstour unternehmen kann, griff sie den Gesprächsfaden jetzt mit leicht schwärmerischer Miene wieder auf. „Das besitzt irgendwie einen Hauch von Normalität. Denn ansonsten ist ja irgendwie absolut nichts auf diesem Planeten normal. Ich muss da nur an die Grundsteinlegung für den Zentralpark heute morgen denken.

    Dass Despoina bereits von den Geschehnissen wusste, verwunderte Marc nicht. Schließlich arbeitete sie in der Abteilung Bauwesen der Führungs- und Stabskompanie des Grenadierbataillons. In dieser Position besaß sie durchaus tiefe Einblicke in das Baugeschehen von Azores. Und sie wusste stets glänzend über die vielen kleinen und großen Vorkommnisse Bescheid, die sich immer wieder auf den Baustellen abspielten. Auch jetzt zeigte sie sich bestens infomiert. „Colonel Solverson und ihre Veranstaltungsgesellschaft können froh sein, dass eure FSU-Gruppe heute früh zugegen war. Ihr habt vermutlich das Schlimmste verhindert. Jedenfalls wurde niemand gebissen. Es heißt, ihr hättet eine ganze Menge von den Viechern getötet."

    „Ja, einige."

    „Einige? Die Rede ist von vierzig bis fünfzig Kadavern. Die Wissenschaftler freuten sich jedenfalls über das viele neue Material. Sie lieferten sogar schon erste Untersuchungsergebnisse ab. Sie sind der Meinung, dass es sich um eine Art Parasiten handelt."

    „Das wären dann aber ziemlich große Parasiten, erwiderte Marc ungläubig. „Einige von den Dingern müssen mehr als zwei Meter lang gewesen sein. Wie groß darf ich mir dann erst die Kreatur vorstellen, die sie als Wirt benutzen.

    Despoina zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, an Wirtsorganismen von ausreichender Größe mangelt es auf diesem Planeten nicht. Wobei diese Parasiten nicht unbedingt direkt in ihren Wirten leben, sondern wohl eher einfach nur mit ihnen. Sie begleiten sie vermutlich und warten geduldig auf ihre Chance, sie in irgendeiner Form piesacken zu können. Die Biologen vermuten, dass sie sich möglicherweise gern am Kot ihrer Wirtstiere vergreifen oder – und das ist nach der Ekelversion die fiese Erklärungsvariante – sie fressen deren Nachwuchs."

    „Großer Gott."

    „Ja, klingt alles nicht sehr sympathisch."

    „Was wollten die Viecher dann aber auf der Baustelle? Auf der findet man doch weder schmackhafte Kackhaufen, noch leckere Babykreaturen."

    „Vielleicht narrten die Erschütterungen der Arbeitsmaschinen sie", erklärte die Griechin schulterzuckend.

    „Und nun?"

    „Das Loch wurde bereits mit Beton vollständig verfüllt und zugemauert. Colonel Solverson ist eine sture Frau, die sich von ein paar hässlichen Kreaturen noch lange nicht ans Bein pinkeln lässt. Sie nahm die Grundsteinlegung später ohne großes Brimbamborium vor. Das heißt, die Hülse ist nun erfolgreich im Beton versenkt, und die Arbeiten an den Parkanlagen gehen planmäßig weiter. Die Zeremonie der Grundsteinlegung inklusive der Rede unserer Basiskommandantin wurde bis zum Erscheinen der Kreaturen erfolgreich für die Nachwelt aufgezeichnet. Den Teil, ab dem es dann aus dem Ruder lief, schnitt man einfach heraus. Was vielleicht ganz gut so ist. Denn einen besonders intelligenten Eindruck dürfte wohl niemand der Anwesenden bei der Sache hinterlassen haben. Ich fürchte, darin muss ich dich und deine FSU-Gruppe einschließen."

    Marc winkte ab. „Damit kann ich leben."

    Despoina nickte. Sie hatte nichts anderes erwartet und wandte sich gedanklich einem anderen Thema zu. „Wir haben ja noch so viel vor in der Basis", erklärte sie und bekam auf einmal ganz glänzende Augen in ihrer aufkommenden Begeisterung. „Azores wird langfristig sehr grün werden. Sehr viel grüner, als die ursprünglichen Planungen auf der Erde dies jemals für die Basis vorsahen."

    „Seit wann ist Colonel Solverson denn plötzlich so umweltbewusst eingestellt? Das sieht ihr irgendwie gar nicht ähnlich", fand Marc. „Sie klang heute morgen in ihrer Rede zur Grundsteinlegung schon so seltsam, als sie davon faselte, dass wir uns als Menschen in Azores wohlfühlen sollen. Ganz neue Töne sind das. Hast du eigentlich schon mal ihr Dienstbüro gesehen? Gegen das besitzt ja sogar die Ödnis dort draußen in der Planetenebene mehr Gemütlichkeit."

    Despoina Scala gluckste. „Nein, nach ihrem Umweltbewusstsein wird sie wohl noch ein bisschen weitersuchen müssen. Und dabei meiner Einschätzung nach erfolglos bleiben. Sie denkt vielmehr einfach nur praktisch. Ihr geht es allein darum, mehr Sauerstoff in die Luft im Basisbereich zu bringen und gleichzeitig den Kohlendioxidanteil zu reduzieren."

    „Ich nehme an, sie glaubt, wir werden dann als fleißige Bienchen noch schneller und härter arbeiten", überlegte Marc säuerlich.

    „Schon möglich. Ich finde aber schon, dass sich ihre und unsere Interessen bezüglich einer Begrünung der Basis ausnahmsweise mal miteinander decken. Und es gibt noch weitere Neuigkeiten. Heute wurde in der Basisverwaltung eine Planung ausgebuddelt, die nur für den absoluten Idealfall vorgesehen war, dass man auf dem Tarnas ohne Atemgerät und Raumanzug umherlaufen kann. Es geht um ein Freiluftschwimmbad. Die Basisverwaltung will es nun doch bauen. Das Baumaterial dafür ist vorhanden und wird Anfang Oktober zusammen mit den Teilen für die beiden Turnhallen sowie das Hallenbad hier heruntergebracht. Das bedeutet, Azores bekommt ein richtiges Freibad mit Sandstrand, Liegewiese und dem ganzen anderen Drum und Dran. Stell dir das nur mal vor. Ich denke, gerade du solltest dich darüber freuen."

    Damit lag sie richtig. Marc hatte in seiner Kindheit und Jugend sehr aktiv Schwimmsport betrieben. Es mochte inzwischen Jahre zurückliegen, doch seine Liebe fürs Schwimmen war ihm nie abhandengekommen. Gegenwärtig bot die Basis diesbezüglich allerdings exakt null Möglichkeiten.

    „Na schön. Jetzt erzähle mal etwas von dir, verlangte Despoina. „Alvaro sagt, dass in den nächsten Tagen zahlreiche Erkundungsflüge anstehen. Colonel Solverson scheint mit ihren Versprechungen gegenüber der wissenschaftlichen Abteilung, abseits des Basisbaus endlich auch mal dem Planeten mehr Aufmerksamkeit schenken zu wollen, echt ernstzumachen. Geht es für euch ebenfalls hinaus?

    „Ja. Falls bei den Erkundungen interessante Entdeckungen gemacht werden, will das Nachrichtenteam diese auf keinen Fall verpassen. Nalani Kapua besitzt den Ehrgeiz, überall dabeizusein. Und da meine Gruppe nun mal darauf aufpassen muss, dass sie und ihre Leute dabei am Leben bleiben, werden wir sie wohl zwangsläufig begleiten müssen."

    Bei der Angesprochenen handelte es sich um eine Nachrichtenreporterin des Basissenders Azores News. Die FSU-Gruppe war schon seit der Vorhutmission dauerhaft für ihren und den Schutz ihres aus einem Kameramann sowie einem Bild- und Tontechniker bestehenden Team abgestellt.

    „Was für Einsätze sind denn geplant?"

    „Die Wissenschaftler wünschen sich noch sehr viel mehr Daten über die Tarnas-Titanen. Das heißt, es wird wohl noch einmal einen Einsatz in das Gebiet geben, in dem wir den Gigantosaurus entdeckten. Und dann ist da noch die Suche nach diesem mysteriösen Riesenreptil, von dem die Aufkärer sprachen. Seit Miss Kapua davon hörte, lässt sie der Gedanke daran nicht mehr los. Und bei den Biologen rennt sie mit ihrem Interesse natürlich offene Türen ein. Seit dem ersten Bericht über das Vieh will es unbedingt jeder einmal zu Gesicht bekommen. Aber ich will ehrlich sein – ich zähle mich nicht dazu."

    Despoina schmunzelte, sagte aber nichts.

    Marc fuhr fort: „Die dritte Sache, die nicht nur das Presseteam sehr stark beschäftigt, ist dieser gewaltige Schatten von einem unbekannten Flugobjekt, den wir beim Besuch des dritten Landepunktes der Bodensonden entdeckten."

    Die Sache, die der Deutsche meinte, lag fünfzehn Tage zurück. Man hatte am 10. September den bisher längsten Erkundungsflug in der noch sehr jungen Geschichte der Bodenbasis unternommen. Dabei war man mit einem Sphinx-Multikopter mehr als eintausendachthundert Kilometer weit nach Süden in jene gewaltige Planetenebene hineingeflogen, welche die Menschen wegen ihrer Lage auf der nördlichen Halbkugel von Tarnas B300433-A als Nordatlanische Ebene bezeichneten, und in deren Zentrum auch die Azores-Basis lag.

    Ziel des Einsatzes war es gewesen, ein geheimnisvolles Ereignis aufzuklären. Weit vor der Landung des Vorauskommandos und damit der ersten Menschen auf dem Tarnas hatte das Raumschiff Independence Hornet-Raumflugdrohnen als Bodensonden zur Planetenoberfläche hinabgeschickt. Bei der dritten Landeoperation war auf mysteriöse Weise der Funkkontakt zur Flugdrohne und einem von ihr ausgesetzten Phobos-Erkundungsrover abgebrochen. Die Erkundung hatte Licht in die mysteriöse Sache bringen sollen, am Ende aber nur zu noch mehr Fragen geführt.

    Man wusste zwar nun, dass die Hornet zerstört war – und man durfte dies wohl auch getrost vom Phobos annehmen – doch wer sich an den beiden Geräten vergangen hatte, blieb weiterhin ungeklärt. Allerdings hatten die Teilnehmer während ihres Einsatzes im dichten Nebel ein großes Flugobjekt ausgemacht, es aber leider nicht näher identifizieren können. Seitdem wurde heftig darüber spekuliert, ob man dort draußen in der Ebene vielleicht einem monströsen Flugwesen begegnet war.

    Eine andere Version gab sich weniger spektakulär, war dafür aber umso unangenehmer. Als die Solare Union mit ihren beiden Raumschiffen Antares und Independence im Siriussystem eingetroffen war, hatte sie feststellen müssen, dass sie nicht den ersten Vertreter der Menschheit im Doppelsternsystem darstellte. Ein mächtiges Industriesydikat namens Draconis war ihr zuvorgekommen. Es hatte das Auftauchen der beiden Solaren Unionsschiffe sofort als lästige Konkurrenz im Wettlauf um die Erkundung des Siriussystems und des Exoplaneten Tarnas B300433-A wahrgenommen und einen kleinen Krieg von Zaun gebrochen. Es war zu einer großen Raumschlacht sowie zu Kampfhandlungen auf der Oberfläche eines großen Asteroiden gekommen. Beide Ereignisse hatten die Solaren Unionseinheiten für sich entscheiden können.

    Was aber nicht hieß, dass das Draconis-Kartell besiegt war. Man hatte nie sein Basisraumschiff finden können. Dabei wusste man, dass Letzteres sich in einer Umlaufbahn um den Tarnas befunden haben musste und sogar einen Abstieg tief in das System der fünf orbitalen Asteroidengürtel hinein gewagt hatte. Noch immer herrschte Unklarheit darüber, ob das Industriekartell auch direkt auf der Planetenoberfläche gelandet war, und sich nun möglicherweise Truppen von ihm hier unten aufhielten. Man musste durchaus damit rechnen. Und es schuf leider ein Gefahrenszenario, das ständig wie ein Damokleschwert über allem schwebte, was die Menschen auf dem Tarnas taten.

    So verdüsterte sich bei den Worten des Deutschen jetzt auch das Gesicht von Despoina Scala. „Ja, dieses mächtig große Ding in der Luft, das ihr da saht, wirft immer noch Fragen auf und beschäftigt alle. Es gibt Überlegungen, noch einmal in dieses Gebiet zu fliegen. Ich weiß nicht, ob das wirklich klug ist. Denn, wenn es keine Flugkreatur war, sondern wir es wirklich mit Draconis zu tun haben, machen wir das Kartell auf diese Weise nur auf uns aufmerksam. Und das kann nicht unser Ziel sein. Auch Aiyana sprach mehrfach davon. Seit Colonel Solverson sie zur Chefkoordinatorin sämtlicher Erkundungsunternehmungen machte, lässt sie die Sache nicht los."

    Marc zuckte unmerklich zusammen. Der leichte Stich, den er soeben verspürt hatte, galt nicht der Sache mit dem großen unbekannten Flugobjekt, sondern dem Namen, den die Griechin gerade so selbstverständlich in den Mund genommen hatte.

    Captain Aiyana Rayen, Kommandeurin der Aufklärungssquadron Puma in Azores, war nicht nur Despoinas beste Freundin. Sie stellte auch die Frau dar, an die der Deutsche sein Herz verloren hatte. Die US-Amerikanerin mit den langen, schwarzen und stets etwas ungebändigten Haaren besaß so ziemlich alle Attribute, die Marc Ewert an einer Frau gefielen. Ihre Schönheit, ihre Intelligenz, ihre ganze Art, wie sie redete oder etwas tat – all diese Dinge übten einen atemlosen Zauber auf den Corporal aus.

    Und doch stand fest, dass der Deutsche die Frau seiner Träume niemals erreichen und für sich gewinnen konnte. Denn sie war bereits vergeben, verlobt mit einem anderen Mann.

    Dass der Kerl sie die interstellare Reise ins Siriussystem hatte allein antreten lassen und die beiden auf diese Weise viele Jahre voneinander getrennt sein würden, tat augenscheinlich nichts zur Sache. Aiyana Rayen liebte diesen Captain Shannon Scott offenbar trotzdem. Jedenfalls behauptete sie das. Wobei es keine Rolle spielte, ob sie aus wahrer Liebe, reinem Prinzip oder einfach nur aus einem festen Glauben an Treue und Eheversprechen an der Beziehung festhielt. Mit ihrer Entscheidung hatte sie Tatsachen geschaffen, an denen Marc nicht vorbeikam.

    Dabei mochte die Kundschafterin den Deutschen. Das zumindest war ihr Geständnis an ihn gewesen. Aus diesem Grund hatte sie auch darauf plädiert, wenigstens eine Freundschaft miteinander zu unterhalten.

    Doch Marc Ewert kam mit der Rolle eines platonischen Freundes nicht wirklich gut klar. Er hatte es zwar versucht, aber dabei einige Peinlichkeiten erlebt, die bewiesen, dass die Sache so nicht funktionierte. Nicht bei dieser Frau und nicht bei den Gefühlen, die er für sie hegte. Seitdem gingen sie sich mehr oder weniger aus dem Weg, was sich aber wegen der gemeinsamen Freunde und der nicht auszuschließenden Begegnungen während des Dienstes manchmal recht schwierig gestaltete.

    Marc fühlte plötzlich den Blick Despoina Scalas auf sich gerichtet. Verdammter Trottel, reiß dich zusammen, dachte er und biss sich auf die Lippen, als er sich seines eigenen Minenspiels bewusst wurde.

    Die Griechin unterdrückte ein Seufzen. Ihr war tatsächlich nicht entgangen, wie sich ein schmerzlicher Zug in das Gesicht des Deutschen gestohlen hatte, bevor es dann finster geworden war. Sie kannte auch den Grund. Dabei stellte sich ihr auch jetzt wieder die Frage, weshalb die ganze Situation überhaupt so kompliziert und verfahren war. Eigentlich musste es nicht so sein. Manchmal begriff sie ihre Freundin sowie einige von deren Entscheidungen nicht und fragte sich, weshalb die sich das Leben überhaupt so schwer machte. Auf der anderen Seite bewunderte sie Aiyana Rayen für ihren Mut und ihre Entschlossenheit, an etwas festzuhalten, das andere längst aufgegeben hätten. Es zeugte auf der einen Seite von Charakter, stellte zugleich aber auch eine große Schwäche dar.

    Despoina Scala war sehr froh, dass sie mit ihrem Partner Alvaro Soto einen so großen Glücksgriff gelandet hatte. Mit dem Argentinier liefen die Dinge auf sehr unkomplizierte Weise einfach nur gut. Geichzeitig empfand sie Mitgefühl mit Marc Ewert, dem allein sie es verdankte, noch im Diesseits zu weilen. Eines war ihr allerdings bewusst – sie besaß nicht die Macht, etwas an der ganzen Misere zwischen ihrer besten Freundin und dem Freund ihres Lebenspartners zu ändern.

    26. Sepember 2173

    Schwerer Planetar-Kampfwagen Zeuss IFV „Queen-Bravo-4"

    „Azores"-Bodenbasis / Östlicher Äußerer Stationsringbereich

    Der vierachsige Zeus IFV der FSU -Gruppe setzte sich in Bewegung und bog auf die Ringstraße ein, die parallel zur inneren 7-Meter-Sperrmauer verlief. Das IFV in der Typbezeichnung stand für Infantry Fighting Vehicle , was übersetzt „Infanteriekampffahrzeug" bedeutete.

    Tatsächlich jedoch war der Schützenpanzerwagen mit der Rufkennung Queen-Bravo-4 sehr viel mehr als das. Er zählte mit seinen zweihundertsechs Tonnen Einsatzgewicht sowie seiner Größe, die einem kleinen Wohnhaus Kokurrenz machen konnte, zur Klasse der sogenannten Planetar-Fahrzeuge. Als solches ermöglichte er einer maximal achtzehnköpfigen Besatzung über zwölf Tage hinweg ein Überleben unter den widrigsten Bedingungen. Hierfür besaß er Lebenserhaltungssysteme, Frischwassertanks, Nahrungsbunker und sogar eine Sanitärzelle mit Toilette, Waschbecken und Dusche. Sehr viel wichtiger aber noch – er schützte seine Insassen vor giftiger, ätzender oder schlicht nicht vorhandener Atmosphäre, vor extremer Hitze und klirrender Kälte, vor Unwettern und Kampfeinwirkung, aber auch vor der Gewalt, die von extraterrestrischen Kreaturen ausging.

    Der Zeus IFV der FSU-Gruppe hatte sich diesbezüglich schon mehrfach bewehren müssen und sah dementsprechend mitgenommen aus. Die wärme- und radarabweisende Spezialbeschichtung seiner Panzerung sah inzwischen reichlich abgenutzt aus und wies unzählige Wunden auf – Kratzer von den Krallen aggressiver Kreaturen, Dellen von Treffern großer Felsbrocken, Korossionsfraß von aggressiven Säureverbindungen sowie Spuren der Einwirkung von Schmutz, Schlamm, Sand, Eishagel, Regen, extremer Hitze und starker Kälte.

    Die elf Frauen und Männer im Inneren des Fahrzeuges machten sich über das Aussehen ihres rollenden Hauses aus Titanstahl allerdings schon lange keine Gedanken mehr. Sie bewegte eher die Frage, was ihnen dieser Tag bringen würde.

    Man kam soeben von der Baustelle einer der Fußgängerhochbrücken. Bei Letzteren handelte es sich um Gehwegröhren, die auf zwanzig Meter hohen Gittergerüstpfeilern ruhten und als ausgeklügeltes Hochwegenetz sämtliche wichtigen Gebäude und Anlagen im Innenbereich Azores miteinander verbanden. Nun begannen sie wie die Triebe einer Pflanze an zahlreichen Stellen über die innere Panzermauer hinweg in die äußeren Ringbereiche von Azores hinauszuwachsen.

    Der Zeus IFV bog von der mittleren Ringtrasse ab und durchquerte das östliche Innentor.

    Kurz darauf endete die betonierte Fahrbahn. Das Straßennetz der Basis war erst zu einem Drittel fertiggestellt. Daher ging es jetzt auf unbefestigtem Boden weiter.

    In beinahe sämtlichen Außenringbereichen von Azores mussten sich Fahrzeuge, Maschinen und Menschen noch durch Staub, Schlamm, Sand oder Geröll wühlen, wenn sie hier unterwegs waren.

    Die starken Fahrscheinwerfer des Kampfwagens bohrten Löcher in die Dunkelheit. Obwohl es für die Menschen nach ihrer Zeitrechnung gerade einmal neun Uhr morgens war, hatte vor zwei Stunden die neue Planetennacht begonnen. Sie würde sehr lange bleiben – mehr als fünfunddreißig Stunden. Dabei brachte sie nicht nur Finsternis mit, sondern auch zunehmend eisige Kälte. Und vielleicht noch einige andere unschöne Dinge. So machten sich manche Tarnas-Kreaturen jetzt auf die Jagd. Wenn die Menschen nicht aufpassten, konnten auch sie zu deren Beute werden.

    Voraus wurden Lichter und schließlich ein ganzer Straßenbauzug sichtbar, der aus verschiedenen Baufahrzeugen bestand, die von Samson-Robotern und Kettenarbeitsdrohnen umwimmelt wurden.

    Marc Ewert, der den großen Planetar-Schützenpanzerwagen als Fahrer steuerte, wich dem Pulk der Baufahrzeuge in südlicher Richtung aus.

    Die acht breiten Ballonreifen des Kampfwagens pflügten gleich darauf durch große Pfützen und Schlammfelder, die immer noch ein Überbleibsel des erst in den letzten Stunden zuendegegangenen Regens bildeten. Scharfkantige Brocken aus schwarzer Vulkanschlacke wirbelten hoch und schlugen knallend gegen den gepanzerten Unterboden des Zeus.

    Im Fahrzeug sah und hörte man davon nichts. Allerdings nahmen alle das Schaukeln sowie das Aufseufzen der Federungssysteme wahr, als das schwere Fahrzeug über ein Hindernis hinwegwalzte.

    „Mon dieu, was war das eben? Was haben wir da gerade überrollt, Corporal?", wollte Annie Marchand alarmiert von ihrem Fahrer wissen, nachdem sie gerade noch gedöst hatte.

    „Einen großen, toten Wurm, Ma’am, antwortete Marc ungerührt. „Wir waren allerdings nicht die ersten. Irgendjemand hat das Vieh schon lange vor uns plattgemacht. Und den Spuren nach zu urteilen, sind in den zurückliegenden Stunden bereits ‘ne Menge Fahrzeuge drübergerollt.

    „Also, das ist doch…" Die FSU-Kommandantin verschluckte sich.

    Nalani Kapua, die zusammen mit ihrem Kameramann auf den beiden Passagiersitzen saß, die sich an der Cockpitrückwand befanden, rührte sich. „Sollten wir nicht der Basisüberwachungszentrale Bescheid sagen, damit der Kadaver geborgen wird? Die Wissenschaftler würden sich über ihn freuen."

    „Das bezweifle ich, Ma’am, erwiderte Marc. „Dafür ist er schon zu stark zerfahren. Wahrscheinlich stellt das auch den Grund dar, weshalb sich bisher noch niemand um ihn gekümmert hat. Aber ich denke, seine Artgenossen werden sich schon bald seiner annehmen. Sobald der Straßenbauzug noch ein Stück weiter vorangekommen ist und auf diese Weise nicht mehr stört, werden andere Würmer hochkommen und das Aufräumen erledigen. Marc nahm schmunzelnd wahr, wie sich die Richtschützin auf seine Worte hin angewidert schüttelte. Die Tschechin besaß eine ziemlich niedrige Ekelschwelle.

    Tatsächlich waren die Menschen vom Tarnas inzwischen einiges gewöhnt. Immer, wenn es stark regnete, drängte es die Unterweltbewohner des Planeten verstärkt an die Oberfläche. Und dabei machten sie auch vor dem Bereich innerhalb der Basis nicht halt.

    „Dann sollten wir wohl weiter unser Ziel ansteuern", empfahl die Nachrichtenreporterin. Sie klang erleichtert, denn mit dem zermatschten Kadaver wollte sie sich auch nicht abgeben. Außerdem war man zu einem Termin unterwegs, der keinen zeitlichen Aufschub duldete.

    Heute am Morgen hatten im östlichen Außenringbereich von Azores die Arbeiten für vier große Lagerhallen begonnen. Man brauchte die Gebäude, um tausende Tonnen an Material unterzubringen. Schon jetzt existierten in der Basis fünfzig Containerlagerplätze, bei denen man trotz ausgefeilter elektronischer Bestandslisten durchaus schon mal die Übersicht verlor. Zudem gestaltete sich das Bringen und Abholen von Fracht in den engen Schluchten zwischen den hohen Containerstapeln sehr schwierig.

    Und dann war da noch der Umstand, dass längst nicht alles Material, das die täglich eintreffenden Raumtransportgruppen vom Raumschiff herunter auf den Planetenboden brachten, sich in Containern lagern ließ oder ganz und gar ohne schützenden Behälter einfach so im Freien. Für manche Dinge brauchte man trockene, vollklimatisierte Hallen. Und diese waren nun im Entstehen.

    Allerdings interessierte sich das Presseteam im Moment nicht für die eigentlichen Baumaßnahmen. Die hatten nämlich noch gar nicht begonnen, da momentan noch die Schachtarbeiten für die Gebäudefundamente liefen. Es ging vielmehr um einen Fund, den eines der Bauteams gemeldet hatte. Es war anzunehmen, dass es sich einmal mehr um irgendeine neuartige Wurmkreatur handelte, die der Regen an die Oberfläche gelockt hatte. Eigentlich sorgte das bei kaum einem Bewohner von Azores noch für Aufregung. Doch Nalani Kapua und ihre Leute wollten sich die Sache trotzdem ansehen. Die Reporterin mit dem gebräunten Teint, den dunklen Samtaugen, den langen lackschwarzen Haaren und den asiatisch-hawaiianischen Vorfahren war nicht nur eine sehr schöne Frau, sondern besaß auch einen gewissen Riecher dafür, wenn sich irgendwo spektakuläre Dinge anbahnten, über die es sich zu berichten lohnte.

    Der Schützenpanzerwagen rollte durch das Dunkel, das in diesem noch weitgehend unbebauten Teil des Basisaußenrings ziemlich undurchdringlich wirkte. Aufgrund der dichten Bewölkung sorgten im Moment nicht einmal die allgegenwärtigen Polarlichter und die Lichtreflexionen der orbitalen Asteroidenbänder für einen fahlen Schimmer.

    In den vollstabilisierten Lichtkegeln der Frontscheinwerfer glänzten große Schlammpfützen, durch die man ganz bestimmt nicht zu Fuß hindurchwaten wollte.

    In nordöstlicher Richtung wurde endlich der helle Schein großer Flutlichtanlagen sichtbar.

    „Wir sind richtig. Das dort vorn muss es sein, erklärte Annie Marchand nach einem Blick auf die Navigationskarte ihres linken Kommandantenbildschirms. „Es handelt sich um vier dicht beieinanderliegende Baustellen. Wir müssen zur nordöstlichen, denn von dort wurde der Fund gemeldet. Sie markierte für ihren Kampfwagenpiloten das Fahrziel.

    Im Schein der Baustellenbeleuchtungen zeigten sich jetzt die Konturen riesiger Fahrzeugbagger und Meteor-Schüttgut-Transporter. Die meisten befanden sich in Aktion. Sie wühlten sich emsig in den Planetenboden hinein und hoben Baugruben von jeweils die Größe eines Fußballfeldes aus.

    Auf einer der vier Baustellen tat sich jedoch nichts. Dort standen die Fahrzeuge und Maschinen still.

    Und genau dorthin lenkte Marc Ewert jetzt auf Geheiß seiner Kommandantin den Zeus IFV.

    „Wir handeln nach dem gängigen Prozedere, das izwischen alle hinreichend kennen dürften, bestimmte Annie Marchand über den Bordfunk. „Es sitzen mit Ausnahme von Sergeant Alieva, die am Waffenkontrollpult bleibt, alle ab. Lance Corporal Renou, Sie beziehen mit Ihrem Trupp Sicherungsstellungen rund ums Fahrzeug und passen schön auf, dass uns im Notfall keine Kreatur den Zugang zur Seitenschleuse versperrt. Ich nehme Corporal Ewert mit und begleite das Presseteam zu den Bauleuten. Ausführung.

    Kurze Zeit später folgte Marc seiner Kommandantin, der Reporterin und deren Kameramann in Richtung der riesigen Baugrube. Unter den Sohlen seiner Anzugstiefel schmatzte Schlamm, der so stark saugte, dass man kaum die Füße aus ihm herausbekam. Der Deutsche fragte sich unwillkürlich, wie man bei so einem miesen Bodenzustand Erdarbeiten durchführen konnte. Er wusste allerdings auch die Antwort.

    Es spielte keine Rolle, welche Widrigkeiten der Planet den Erbauern der Basis zumutete, die Tätigkeiten ruhten deshalb nicht. Man folgte einem sehr knapp bemessenen Zeitplan, der unbedingt einzuhalten war, damit alle automatischen Arbeitsabläufe nahtlos ineinandergreifen konnten.

    Verzögerungen durfte es nicht geben. Und traten sie doch auf, mussten sie durch die Bauteams in furchtbar zähem Ringen wieder ausgebügelt werden. Meist geschah dies durch den geradezu inflationären Einsatz von Überstunden.

    Da die Autobagger und Planetar-Transporter auf dieser Baustelle momentan nur nutzlos herumstanden, durften sich die hier beschäftigten Menschen schon mal auf eine kleine Extraschicht einrichten.

    Lediglich in einiger Distanz zur Baugrube herrschte Bewegung. Dort entluden große Kranfahrzeuge Baumaterial, während Scharen von Robotern und Arbeitsdrohnen bereits damit beschäftigt waren, Gebäudemodule für die Montage vorzubereiten.

    Am südlichen Rand des bereits ausgeschachteten Bereiches standen Bauarbeiter in orangefarbenen Raumanzügen beisammen, die sich jetzt den Neuankömmlingen zudrehten und ihnen ungeduldig entgegensahen.

    Ihr Chef, ein Araber mit einem kohlscharzen Bart und dem Namen Naaji el-Kassem, wirkte sichtlich ungehalten. „Na endlich kreuzt mal jemand hier auf, ereiferte er sich wütend und ruderte dabei wild mit den Armen. „Die von der Überwachungszentrale meinten nach unserer Meldung, dass sich jemand besser mal unseren Fund anschauen sollte, bevor wir ihn recyceln. Nun allerdings warten wir schon seit einer geschlagenen halben Stunde darauf, dass sich jemand blicken lässt. Sind Sie jetzt diejenigen, die darüber entscheiden, ob wir hier weitermachen dürfen?

    „Nein. Tut mir leid, Mister el-Kassem. Wen die Basisverwaltung hinausschickt, weiß ich nicht. Aber wenn Sie uns zeigen, was Sie gefunden haben, kann ich Ihnen vielleicht einen Tipp geben, auf wie viel Wartezeit Sie sich noch einstellen müssen."

    Naaji el-Kassem stieß in seiner arabischen Heimatsprache einen saftigen Fluch aus, denn er sah sich schon Überstunden machen. „Wenn es nach meinen Leuten und mir ginge, würden wir das Ding einfach zerstampfen oder schreddern, und gut wär’s. Das machen wir nämlich gegenwärtig auch mit dem Wurmviehzeugs, das uns beim Buddeln immer wieder belästigt. Aber wir werden ganz gut mit dem ganzen Gesocks fertig. Was die Grenadiere", er wies zu den beiden dreiachsigen Thor-IFVSchützenpanzerwagen am Rand der Baugrube hinüber, „mit den Lasergeschützen ihrer Kampfagen nicht wegbrutzeln, drücken wir mit den großen Baggerschaufeln einfach platt und räumen es dann aus dem Weg. Schauen Sie nur mal. Wir sind darin inzwischen schon richtig gut." Er zeigte auf einen großen Haufen in der Grube. Den konnte man im ersten Moment für zusammengeschobenen Schlamm halten. Wenn man aber genau hinsah, erkannte man, dass er in Wirklichkeit aus aufgetürmten, zermalmten Wurmleibern bestand.

    Nalani Kapua und Annie Marchand betrachteten mit deutlicher Abscheu in den Gesichtern den Berg aus Kadavern. Für den Stolz des Bauleiters auf das Massaker fehlte ihnen das Verständnis. Doch sie verzichteten darauf, dies laut zu äußern, da sie Naaji el-Kassem schon von einer früheren Begebenheit her kannten.

    Während des Baus der Außenmauer unter der Leitung des Arabers waren zwei Bauarbeiter durch einen großen Theropoden getötet worden, was zu einem Streik unter den Bauleuten geführt hatte. Naaji el-Kassem hatte sich damals ziemlich cholerisch gebärdet.

    Als ihr junger Kameramann jetzt Anstalten machte, sein Aufnahmegerät auf den Berg aus zerquetschten Tierleichen zu richtenie, knurrte die Reporterin: „Untersteh dich, Mateo."

    Mateo Smolej, der mit gerade einmal neunzehn Jahren noch sehr jung war, gehorchte. Er gehörte dem Presseteam erst seit vier Wochen an und ersetzte derzeit den eigentlichen Kameramann, der bei einer blutigen Auseinandersetzung mit einem Echsenrudel im Steinbruch von Azores schwer verletzt worden war. Der Slovene hatte im zurückliegenden Monat seines Einsatzes inzwischen einige Erfahrung gesammelt. Manchmal aber fehlte ihm dann doch noch der Blick dafür, was für die Nachwelt wirklich erhaltenswert war, und was an unschönen Szenen man lieber aussparte.

    Nalani Kapua wandte sich wieder dem Bauleiter zu. „Um einen Wurm geht es also nicht. Um was für einen Fund handelt es sich dann, Mister el-Kassem?"

    Der Gefragte gab ein zorniges Schnauben von sich, atmete aber dann tief durch, um sich zu beruhigen. „Kommen Sie mit. Ich zeige es Ihnen. Das Ding liegt noch in der Grube."

    Nalani Kapua und ihr Kameramann gehorchten.

    Der FSU-Kommandantin und ihrem Fahrer blieb nichts anderes übrig, als sich ihnen anzuschließen.

    Über eine Leiter kletterten sie in die knapp zwei Meter tiefe Baugrube hinein.

    Unten angekommen, nahm Marc das Sturmgewehr schussbereit in die Hand. Er fühlte sich auf einmal gar nicht mehr wohl in seiner Haut.

    Naaji el-Kassem schien diese Empfindung nicht zu teilen, denn er stapfte entschlossen durch den Matsch in Richtung eines großen fünfachsigen Titan-Baggerfahrzeuges.

    Direkt neben der Baggerschaufel, die so groß war, dass ein Mensch sich ganz bequem in sie hineinstellen konnte, ragte ein grauweißer Buckel aus dem Boden heraus.

    Marc hielt ihn im ersten Moment für einen großen Brocken aus hellem Mineralgestein. Im Näherkommen erkannte er jedoch, was es wirklich war.

    Nalani Kapua dämmerte es ebenfalls. „Mein Gott, das ist ja ein Schädel", entfuhr es ihr überrascht.

    Naaji el-Kassem warf die Arme in einer abschätzigen Geste hoch. „Und wenn schon. Ist doch nur ein wertloser, alter Knochen. Wen interessiert’s?"

    Die Nachrichtenreporterin umrundete den beinernen Kopf, von dem nur das Schädeldach aus dem weichen Boden herausragte. „Der ist definitiv von einer Echse. Und zwar von einer ziemlich großen Echse. Er dürfte geschätzt fast drei Meter lang sein."

    Den Baustellenleiter beeindruckte das überhaupt nicht. „Na und? Selbst, wenn das Ding zehn Meter lang wäre, ist es einfach nur ein Störfaktor und muss hier schnellstens weg. Dazu werden wir es wohl tatsächlich ausbuddeln müssen. Denn mit der Baggerschaufel ließ es sich leider nicht zerbröseln, wie das so wunderbar bei den Würmern funktionierte."

    Nalani Kapua schnappte nach Luft. „Grundgütiger, das haben Sie doch nicht wirklich versucht, Mister el-Kassem?"

    Der Araber grinste an dieser Stelle. „Ich persönlich nicht, Miss. Aber die Crew vom Baggerfahrzeug schon. Funktionierte nur leider nicht. Das Ding ist so verflucht stabil, als sei es aus Hartbeton."

    „Die Knochen der Tarnas-Kreaturen besitzen einen hohen Anteil an härtenden Mineralen, der sie viel widerstandsfähiger macht, als es Ihre oder meine Knochen sind. Wäre es anders, dann gäbe es auf diesem Planeten hier mit seiner erhöhten Schwerkraft auch nicht so verteufelt große Wesen, wie dieses Geschöpf hier einst eines war, erläuterte die Nachrichtenmoderatorin und wies auf den großen Schädel. „Sehen Sie, hinzu kommt hier noch, dass der Kopf wahrscheinlich schon sehr lange an dieser Stelle im Boden liegt und bereits versteinert sein könnte.

    „Ja ja, das ist ja alles super interessant, brummte Naaji el-Kassem wegwerfend. „Aber dürfen wir das Ding jetzt ausbuddeln und entsorgen, oder nicht?

    „Ausbuddeln lassen wird man es Sie möglicherweise schon. Zumindest unter entsprechender Anleitung. Das mit dem Entsorgen ziehe ich dagegen mal in Zweifel, erklärte die Nachrichtenreporterin. „Es könnte sich um ein Fossil handeln, sodass sich die Paläontologen sehr wahrscheinlich dafür interessieren werden. Und falls es jüngeren Datums ist, schauen es sich garantiert die Astrobiologen an. Ich fürchte, Sie müssen sich noch auf ein bisschen Wartezeit einstellen, Sir.

    Der Bauleiter griff sich in einer Geste des Entsetzens an den Raumhelm und zerbiss dabei einen Fluch. Dann allerdings nahm er die Hände wieder herunter und fragte unerwartet nüchtern: „Okay, wieso buddeln wir das Ding dann nicht schon mal aus und schaffen es aus der Grube heraus, damit meine Leute und ich hier weitermachen können?"

    „Ich denke nicht, dass die Wissenschaftler damit einverstanden wären, Mister el-Kassem. Davon abgesehen, dass Ihre Leute beim Ausgraben vielleicht nicht behutsam genug vorgehen, könnte am Schädel auch noch ein ganzes Skelett dranhängen. Wobei sich das mit einem Georadarscanner ziemlich leicht überprüfen ließe. Eigentlich müssten Sie so Gerät auf der Baustelle haben."

    „Klar haben wir hier so’n Ding, knurrte der Araber unwirsch und tippte sich an den Helm, um den Funk zu aktivieren. „Irina, bist du da? Okay, sehr gut. Schnapp dir den tragbaren Georadar und beweg deinen Hintern hier herunter in die Grube zu uns. Und halt dich ran. Wir warten.

    Minuten später tauchte die Bauarbeiterin mit dem Gewünschten auf.

    „Her mit dem Ding." Naaji el-Kassem riss seiner Kollegin in seinem Ärger das Gerät fast aus den Händen. Nachdem er den Scanner kalibriert hatte, setzte er sich in Bewegung und begann den Boden zu sondieren.

    Kurze Zeit später stand fest, dass tatsächlich die vollständigen Gebeine eines ganzen Tieres unter ihnen im Boden lagen.

    Der Araber konnte sich für diese Entdeckung absolut nicht erwärmen. „Noch mehr Mist, den wir jetzt ausbuddeln müssen. Das wird ja immer besser", erregte er sich.

    Nalani Kapua ignorierte ihn und betrachtete stattdessen aufmerksam das Display des Georadars. Nachdem sie die Anzeige noch ein Stück weiter herausgezoomt hatte, sodass sie die Knochen jetzt in ihrer genauen Lage zueinander erkennen konnte, stieß sie einen Pfiff aus. „Wow, die Kreatur liegt noch genau so da, wie sie einmal starb, nämlich auf dem Bauch."

    Annie Marchand und Marc warfen nun ebenfalls voller Neugier Blicke auf die Bildschirmanzeige, auf der jetzt Größenangaben erschienen.

    Das Gerät bezifferte die Länge des Skeletts mit zirka sechsunddreißig Metern. Obwohl das durchaus beeindruckend war, stellte es für Tarnas-Verhältnisse nur Mittelmaß dar.

    „Von dem Vieh ist noch ganz schön viel übrig, stellte die Französin fest. „Den hässlichen grauweißen Würmern, die wir inzwischen kennen – ich meine jene, die so gerne Knochen fressen – scheint es entgangen zu sein.

    „Vielleicht betrachten wir uns hier ja ein uraltes Fossil, und die Knochenfresserwürmer gab es zu der Zeit noch gar nicht, als es starb. Obwohl das Siriussystem mit gerade einmal zweihundertvierzig Millionen Jahren noch ein unglaubliches junges System ist, existiert auf dem Tarnas schon höherentwickeltes Leben. Das bedeutet, die Evolution legt hier eine absolut atemberaubende Geschwindigkeit an den Tag. Es wäre also durchaus eine mögliche Deutung. Nalani Kapua betrachtete nach ihren Worten den Boden um den Fund herum. „Allerdings gäbe es auch noch eine andere Erklärung. Wie es aussieht, liegt das Vieh in einer Blase aus vulkanischem Tuffgestein. Vielleicht kamen die Knochenfresserwürmer deshalb nicht an seine Knochen heran oder nahmen den Kadaver deshalb seinerzeit schlicht nicht wahr.

    „Was mag das für ein Tier gewesen sein? Ich erkenne da ganz klar sechs Beine. Somit war es wohl ein Sauropode."

    „Ich weiß nicht, murmelte die Reporterin verunsichert. „Irgendetwas stimmt mit dem Vieh nicht. Die Sauropoden, die wir bisher zu Gesicht bekamen, erinnerten mich mit ihren unförmigen Leibern immer an fette, bauchige Bierfässer. Dieses Wesen hier dagegen ist schlank. Und schauen Sie sich nur mal das mittlere Extremitätenpaar an, Annie. Es sitzt direkt hinter den Vorderbeinen und zugleich ein ganzes Stück schräg oberhalb von diesen. Außerdem benutzt es für sein Drehgelenk die gleiche Schulter. Und dann die Länge der Knochen. Die sind wesentlich schmaler, aber dafür mehr als doppelt so lang, wie die Ober- und Unterschenkelknochen der vier anderen Beine.

    „Ja, das muss ein sehr seltsames Wesen gewesen sein, pflichtete Annie Marchand der Hawaiianerin bei, nachdem sie sich die Kreatur bildlich ausgemalt hatte. „Ein vierbeiniges Echsenwesen, dem zwei lange Arme aus dem Rücken herausragen. Was sich die Natur wohl dabei gedacht hat? Aber wer weiß, vielleicht betrachten wir uns hier ja eine Missgeburt.

    Während Naaji el-Kassem gleich Marc Ewert dem Zwiegespräch der beiden Frauen gefolgt war, hatte sein Gesicht einen zutiefst finsteren Ausdruck angenommen. „Dieses ganze wissenschaftliche Gequatsche zwischen Ihnen beiden ist ja so was von unerträglich und auch überflüssig. Natürlich ist das Ding eine Missgeburt. Und das nicht nur, weil es tatsächlich ein bisschen behindert aussieht. Das Mistvieh boykottiert die Arbeit von meinem Team und mir. Und das, verdammt noch mal, tut es, obwohl es wahrscheinlich schon tausend Jahre tot ist."

    27. Sepember 2173

    „Azores"-Bodenbasis

    Äußerer Stationsbereich / Kreuzung östliche Außenringtrasse

    Der gesamte 27. September wurde nicht nur vollständig von der Dunkelheit der Tarnas -Nacht beherrscht, sondern auch von einem Sturm, der überfallartig über die Bodenbasis und die sie umgebende Ebene hergefallen war. In der Atmosphäre des Planeten, die zwanzig Prozent mehr Dichte besaß, als die der Erde, machte sich schon ein leichter Windhauch sehr viel deutlicher bemerkbar, als auf dem Heimatplaneten der Menschheit. Dies galt erst recht für die starken Böen, die gegenwärtig über das Land fegten.

    Tiefhängende, schwarze Wolken trieben mit hoher Geschwindigkeit über den Himmel. Sie bildeten eine zerklüftete Landschaft mit starken Auswüchsen nach unten, sodass sie wie ein umgekehrtes Abbild der Ebene unter sich mit ihren hohen Felstürmen wirkten. Wenn man den grauen Wasserdampfgebilden beim Dahinjagen zusah, bekam man Angst, sie könnten die Planetenoberfläche streifen und sie dabei aufschlitzen.

    Marc Ewert stemmte sich gegen eine Böe, die ihn mit großer Wucht und einem unheilvollen Heulen traf. Dann sah er zur etwa vierhundert Meter entfernten Baustelle von Multifunktionshalle 2 hinüber, wo gerade ein riesiges Wandsegment am Haken eines Baukrans trotz der zusätzlichen Sicherungstrossen zu schwingen begann, als sei es nur ein Blatt Papier.

    Eigentlich hätte man die Arbeiten unterbrechen müssen. Aber das wollte niemand, da es nur zusätzliche Überstunden mit sich brachte.

    Dabei verursachte der Sturm auch an anderen Stellen und bei sehr viel größeren Objekten Probleme. So stand dem Deutschen immer noch sehr deutlich das Bild vor Augen, wie die erste Maschine der heutigen Raumtransportgruppe durch die Wolkendecke gebrochen war.

    Die schwere Starmaster-Raumfähre hatte trotz ihrer anderthalbtausend Tonnen Masse getorkelt, als sei sie beschwipst. Aufgrund der starken seitlichen Scherwinde war die vierköpfige Cockpitcrew nicht in der Lage gewesen, die Maschine waagerecht und mit allen drei Fahrwerken gleichzeitig auf den Boden zu bringen.

    Der Koloss war ziemlich brutal auf dem betonierten Landefeld aufgeschlagen. Zum Glück hatten sich keine Passagiere an Bord befunden. Und den sechshundert Tonnen Fracht an Bord der Maschine war der heftige Stoß egal gewesen.

    „Beim Barte des Propheten, so ein verdammtes Mistwetter", schimpfte Private First Class Samit Kirmani, ein dünner, sehniger Pakistani, der in der FSU-Gruppe die Funktion des Panzerabwehrschützen einnahm. Er wischte mit seinen behandschuhten Händen über den nassen Raketenwerfer. Eine Böe hatte ihm das Ding von der Schulter gerissen und es beinahe im Dreck landen lassen.

    Die Nässe auf der Waffe kam nicht etwa als Regen von oben, sondern stammte von einer nahen Pfütze, deren Wasser der Wind immer wieder in Richtung der FSU-ler peitschte.

    Die Gruppe von Annie Marchand hätte sich viel lieber in ihren schweren Zeus-IFV-Schützenpanzerwagen zurückgezogen, in dem es warm, trocken und behaglich war.

    Doch das Presseteam bildete sich nun mal ein, ausgerechnet jetzt das Treiben an der Straßenbaustelle filmen zu müssen. Leider durfte man es dabei nicht allein lassen, da es eben auch innerhalb der Basisgrenzen keine einhundertprozentige Sicherheit gab.

    Gerade eben wurden die letzten noch fehlenden Meter der östlichen Verbindungsstraße zur äußeren Ringtrasse geschlossen. Eine große Straßenbaumaschine auf breiten Gleiskettenlaufwerken walzte in Schrittgeschwindigkeit durch das ausgefräste Straßenbett. Von einem vorausfahrenden schweren Meteor-Sattelzug ständig mit zähflüssiger Asphaltbetonmasse gefüttert, goss es hinter sich die zukünftige Fahrtrasse aus.

    Samit Kirmani, der von seinen Gruppenmitgliedern wegen seines dürren Körperbaus meist als „Backpflaume tituliert wurde, beobachtete den Vorgang mit scheelem Blick. „Man, irgendwie sieht das echt unappetitlich aus. Als hätte die Maschine Durchfall und müsste ständig scheißen. Was meinst du dazu, Corporal?

    Marc meinte nichts dazu, denn

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