Medizin als Heilsversprechen: Die überforderte Gesundheit als theologisch-ethisches Problem
Von Herbert Meyer
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Buchvorschau
Medizin als Heilsversprechen - Herbert Meyer
1. Kapitel:
Sehnsucht nach Gesundheit
1.1. Die ganz alltägliche Hoffnung auf Gesundheit – ein religiöses Verlangen?
Die Medizin und ihre Möglichkeiten, Gesundheit zu erhalten und zu stabilisieren, sind in der modernen Gesellschaft Gegenstand vieler Erwartungen. Nicht wenige, die im Gesundheitswesen tätig sind, erleben diese Erwartungshaltung aber auch als eine Überforderung, ja als ein Anspruchsdenken¹. Gerät die Hoffnung auf die Erfolge medizinischen Handelns in die Nähe zu religiöser Sehnsucht?
Beispiele für diese Überhöhung der Erwartungen an Medizin und Gesundheit überhaupt lassen sich jedenfalls schnell finden. Sie reichen bis zur Verbindung zwischen Wellness und Spiritualität.
Um mit einer nüchternen Feststellung und Beschreibung zu beginnen: Niemand wird bezweifeln, dass sich der Mensch nach Gesundheit sehnt. Diese Sehnsucht kommt in recht unterschiedlichen, aber unübersehbaren Phänomenen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft zum Ausdruck.
Wohl kaum ein Geburtstag vergeht, an dem nicht nach allen anderen Wünschen immer wieder der Wunsch angefügt wird: „… und vor allem Gesundheit!". In dem bekannten Kanon, der nicht selten an einem Geburtstag gesungen wird, heißt es:
„Viel Glück und viel Segen auf all’ deinen Wegen;
Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei!"
Hier werden dem gewünschten Glück und dem erhofften Segen die Gesundheit und der Frohsinn/die Freude beigesellt: Sie sollen das Glück und den Segen gleichermaßen konkretisieren und vervollständigen.
Selbst der 3. Johannesbrief im Neuen Testament beginnt mit den Worten:
„Der Älteste an den geliebten Gaius, den ich in Wahrheit liebe. Lieber Bruder, ich wünsche dir in jeder Hinsicht Wohlergehen und Gesundheit, so wie es deiner Seele wohlergeht." (3 Joh 1f)
Es ist in diesem Sinne wohl sicherlich angemessen, von einer Alltäglichkeit der Sehnsucht nach Gesundheit und Heil zu sprechen. Gesundheit wird heute allgemein als das Wichtigste im menschlichen Leben verstanden, nicht selten ist dabei sogar vom „höchsten Gut, das wir überhaupt besitzen", die Rede.²
1.1.1. Gesundheit als aktive Aufgabe
Gesundheit wird aufgrund seiner allgemein hohen Wertschätzung zugleich zu einem Gegenstand moralischer Anstrengung. In den Dimensionen von Ernährung, Erhaltung der Fitness, ja in der Struktur des Gesundheitswesens und der in ihm üblichen Sprache kommt dieser ethische Verpflichtungscharakter ins Spiel. Das Erleben von Krankheit in seiner mittelbaren und unmittelbaren Nähe lässt auch und gerade den gesunden Menschen fragen, wie er seine Gesundheit durch eigenes Tun (oder Unterlassen) erhalten kann. Gemäß dem geläufigen Wort „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts!" versuchen viele, gesund zu bleiben bzw. zu werden.
Durch bewusst gesunde Ernährung, die sich z. B. in der immer größeren Nachfrage nach Bio-Produkten niederschlägt, kommt dieser inhärent ethische Charakter der Gesundheitssehnsucht gegenwärtig vielleicht am pointiertesten zum Ausdruck. Davon zeugt auch das breit gefächerte Angebot im Supermarkt, in dem diese Produkte unübersehbar allen Kunden ins Auge fallen (sollen). Auch die jährliche „Grüne Woche" in Deutschland ist ganz in diesem Sinne bestimmt von Öko- und Bio-Produkten, die u. a. eine gesündere Ernährung versprechen.
Aber darüber hinaus gilt umfassend im Blick auf die Verwendung des Begriffs Gesundheit: Sehnsucht, persönliche Anstrengung, ja öffentliches Bewusstsein verbinden sich miteinander. Krankenkassen nennen sich bewusst Gesundheitskasse (AOK), und aus Krankenpflegern sind inzwischen Gesundheitspfleger geworden.
Auf der Suche, Sehnsucht und Verlangen nach Gesundheit und Wohlbefinden zu verwirklichen, werden heute – führt man diese Beobachtungen weiter – die unterschiedlichsten Angebote gemacht, die Gesundheit und Wohlbefinden versprechen: Fitness-Studios, deren Nutzung heute für viele fest zum wöchentlichen Terminplan gehört – und dies nicht selten sogar mehrmals in der Woche –, werben dafür, durch körperliche Betätigung etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Sieben Tage in der Woche wird – gelegentlich hinter überdimensional großen „Schau-Fenstern" – der Blick von Passanten auf die Nutzer der FitnessGeräte gelenkt, um bei möglichst vielen Menschen Interesse an deren Nutzung für das eigene Wohlbefinden zu wecken.
Wellness wird in diesem Kontext folgerichtig als optimales Wohlbefinden beschrieben. 1990 wurde in der Logik dieser Tendenzen in Deutschland die Europäische Wellnessunion (EWU) gegründet. So verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren Wellnessanlagen (mit nicht nur verheißungsvollen Namen, sondern gleichermaßen) mit verheißungsvollen Angeboten wie Pilze aus dem Boden schossen.
Der Sinn dieser Anstrengungen ist dabei offensichtlich: Der vom Alltagsstress geplagte Mensch ist eingeladen, durch Wellness, gesundheitsfördernde Kuren, durch Bäder, Massagen, Licht-, Stein-, Geruchstherapien u. v. m. die Einheit von Körper, Geist und Seele wiederherzustellen.³
Die Besucherzahlen in den Thüringer Thermen – um Beispiele aus dem konkreten Umfeld des Autors dieser Studie zu nennen – bestätigen dieses Verlangen, wobei die Einrichtungen in ihren stets neuen Angeboten nicht einfallslos sind.
In der Kristall-Therme in Bad Klosterlausnitz findet sich ein „Sinnespfad (2012), auf dem man durch das Beschreiten mittels einer „natürlichen Fußreflexzonenmassage
sein Bewusstsein erweitern soll. Dort heißt es zum Beispiel:
„Der Kristall-Sinnespfad mit den Stationen Granitsteine, Rindenmulch, Kalk-Kieselsteine und Tannenzapfen:
Der Sinnespfad mit unseren verschiedenen Stationen ist eine natürliche Fußreflexzonenmassage. Alle Organe und Körperteile haben auf der Fußsohle feste Punkte, mit deren Anregung durch ‚Massage‘ diese positiv angeregt sowie günstig beeinflusst werden. Es wird der gesamte Körper mit all seinen Organen und Sinnen durch gesetzte Reize stimuliert und die Selbstheilungskräfte Ihres Körpers aktiviert.
Durch das Begehen des Sinnespfades werden die sensorischen Fähigkeiten trainiert und die Durchblutung in den Füßen angeregt. Erweitern Sie Ihr Bewusstsein bei einem Rundgang durch unseren Sinnespfad.
Wir wünschen Ihnen viel Freude dabei!
Bleiben Sie gesund!
Ihr Kristall-Team!
Kristall-Therme
Genuss pur"⁴
Die Toskana-Therme in Bad Sulza⁵ wirbt an ihrem Eingang (2012) mit dem unübersehbaren Slogan:
„Verschenken Sie Glück und Gesundheit".
In ihrem Flyer bezeichnet die Kette der Toskana Thermen in Bad Sulza (Thüringen), Bad Orb (Hessen) und Bad Schandau (Sachsen) einen Thermenbesuch mit einer individuellen Behandlung sogar als eine „nachhaltige Investition in Gesundheit und Wohlergehen. Durch eine empfohlene „Indian Head Massage
wird eine „Balance zwischen Körper und Geist versprochen, die ein „Gefühl von Harmonie und Wohlbefinden
erzeugt. Eine „Klangmassage verheißt eine einmalige Wirkung, indem durch das direkte Auflegen und Anschlagen von verschiedenen Klangschalen auf dem Körper Klangwellen den Körper durchströmen, der dadurch eine sanfte Zellmassage erfährt; die einzelnen Körperbereiche werden mit ihnen entsprechenden Klängen bedacht, wodurch der Körper zu seiner ursprünglichen harmonischen Frequenz zurückfinden soll. Eine Reiki-Behandlung verspricht, die heilende, universelle Energie durch Handauflegen in den Körper einfließen zu lassen. Sie wird als sehr alte Heilkunst beschrieben, die „universale Lebenskraft
bedeutet. Durch Auflegen der Hände werde hier heilende Kraft weitergeleitet; Reiki wirke auf allen Ebenen „reinigend und heilend", und Körper, Geist und Seele kommen ins Gleichgewicht.⁶
1.1.2. An der Schwelle zum religiösen Heilsverlangen? Die qualitative Vertiefung der Erwartung an Heilung und Heil
Es ergeben sich interessanterweise – und das ist hier wichtig – aus dieser irgendwie „ganzheitlichen Ausweitung der alltäglichen Sehnsucht nach Gesundheit Dimensionen gewissermaßen „transzendenter
Qualität, welche das moderne Verständnis von Heilung in diesen Entwicklungen begleiten kann. Oder vorsichtiger ausgedrückt: Gesundheit und ganzheitliche Lebensqualität, körperliche und emotionale Bedürfnisse, somatische und spirituelle Seiten menschlichen Heilseins rücken zusammen. Stichworte wie „Glück und Gesundheit, „Balance zwischen Körper und Geist
, „Gefühl von Harmonie und Wohlbefinden, „ursprüngliche harmonische Frequenz
, „heilende universelle Energie, „universelle Lebenskraft
, „heilende Kräfte, „reinigende und heilende Wirkung
, „Gleichgewicht von Geist und Seele" wirken attraktiv und vielversprechend für die meisten Menschen, zumal sie in ihrer so überaus ideenreichen Verwendung nicht nur körperliche Gesundheit, sondern Heil versprechen.
So scheint heute Gesundheit dem Menschen als letztes und endgültiges Ziel vor Augen zu stehen. Es ist folgerichtig, dass viele meinen, für die Gesundheit alles tun zu müssen. Manfred Lütz weist im Sinne dieser Dynamik mit der Behauptung „Gesund ist, wer nicht ausreichend untersucht wurde" auf eine Überlegung von Rudolf Gross hin, demzufolge
„[d]ie Praxis zeige, dass die Zahl der krankhaften Werte mit der Zahl der Untersuchungen zusammenhänge. Macht man bei jedem Menschen 5 Untersuchungen, sind vielleicht noch mehr als 95 % gesund. Bei 20 Untersuchungen sind es nur noch 36 % und bei 100 Untersuchungen ist mutmaßlich jeder Mensch krank. Da jeder krankhafte Wert weitere Kontrolluntersuchungen nach sich zieht, gibt es ab einem bestimmten Punkt kein Halten mehr. Daraus folgt: Gesund ist, wer nicht ausreichend untersucht wurde."⁷
Das heißt, der sich vertiefende, sich in seinen ganzheitlichen Aspekten differenzierende Blick auf Gesundheit und Heilsein führt auch zu einer „mikrokosmischen" Sensibilität in diesem Bereich – zu einer qualitativen Vertiefung der Erwartung an Überwindung der Beeinträchtigung durch Krankheit, fehlender Balance und Belastungen. Die Sehnsucht des Menschen, gesund zu sein und gerne wissen zu wollen, wie er dies erreichen kann, erklärt vielleicht so manchen Arzttermin, der unter Umständen gar nicht nötig wäre.
Mit dem Rückgang existenzieller körperlicher, seelischer und sozialer Bedrohungen geraten heute – auch das ist eine weitere, ergänzende Beobachtung – zunehmend milde Erkrankungen, Befindlichkeitsstörungen und Symptome in das Zentrum der Aufmerksamkeit von Betroffenen und des gesundheitsindustriellen Komplexes. In dieser Entwicklung liegt vielleicht auch der Grund, warum Naturheiler und Heilpraktiker zunehmend eine Rolle auf dem Feld der Erwartungen bezüglich der Gesundheit und des Wohlbefindens des Einzelnen spielen.
Die alternative Medizin befindet sich in einem solchen Ausmaß auf dem Vormarsch, dass in Europa bei steigender Tendenz jährlich etwa ein Drittel der Bevölkerung auf irgendeine Art und Weise diese Medizin in Anspruch nimmt;⁸ damit verbunden ist auch ein vermehrter Konsum von sogenannten Nahrungsergänzungsmitteln.
Kann man so – auch heute noch oder wieder – mit Platon formulieren: „Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit"⁹?
1.1.3. Eine tatsächlich religiöse Tiefe der Sehnsucht?
Aus theologischer Perspektive drängt sich jedenfalls – und damit wird der Fokus der hier vorgelegten Untersuchung berührt – angesichts dieser Phänomene gegenwärtiger Erwartungen an Gesundheit, Medizin, Wellness und Heilpraxis die Frage auf, ob darin nicht eine nicht zu verdrängende „religiöse" Tiefe menschlicher Sehnsucht zum Ausdruck kommt – und zwar mitten in der modernen Gesellschaft, die sich als säkularisiert und von gläubigen Interpretationen weitgehend befreit versteht. In den Spitzen der ganzheitlichen, quantitativen und qualitativen Vertiefung von Sehnsucht und Erwartung an Gesundheit und Medizin könnte sich die genuin religiöse Hoffnung auf eine transzendente Geborgenheit in Krankheit und Bedrohung zum Ausdruck bringen. Ohne diese Beschreibung schon zu sehr theologisch anspruchsvoll füllen zu wollen, lässt es sich vielleicht im Sinne eines ersten Vorverständnisses dieser Untersuchung so formulieren: Sehnt sich der kranke Mensch zunächst nach Gesundheit, so gibt sich offensichtlich sogar der gesunde Mensch mit seinem Wohlbefinden nicht zufrieden. Wer kann schon von sich selbst sagen, er fühle sich vollkommen wohl? Und selbst der, der darum zu beneiden ist, wird eine Sehnsucht nach mehr verspüren, ganz gleich wie unterschiedlich er dieses „Mehr" beschreibt oder auch gerade nicht beschreiben kann.
Man könnte in diesem Sinne noch einmal eine Beobachtung aus der gegenwärtigen Alltagswelt herausstreichen: „Heilfasten" wird von immer mehr Menschen praktiziert, die als Voraussetzung für dieses (oft gemeinsame) Unternehmen gesund sein müssen. Drückt sich schon in dieser Voraussetzung eine Sehnsucht nach mehr als nur Gesundheit aus? Über unterschiedlich lange Zeitabschnitte begibt man sich ja gemeinsam auf einen Weg, der – wie der Name sagt – nicht nur Gesundheit, sondern Heil verspricht. Und auch hier steht noch einmal diese Beobachtung der Konvergenz zwischen körperlichen und spirituellen Anliegen in Frage: Anziehend und verheißungsvoll klingen in jedem Fall für die meisten Menschen Worte wie „ganzheitlich oder „Selbstheilungskräfte
. Körperliches und seelisches Wohlergehen sollen zusammengeführt werden. Fasten in Verbindung mit Meditation und Reflexion versprechen ganz offensichtlich mehr als nur (körperliche) Gesundheit.
Auf der Ebene anthropologischer Grundannahmen formuliert könnte dies heißen: Diese Sehnsucht nach mehr (als nur Gesundheit) scheint den Menschen auszuzeichnen, wobei er sicher den Inhalt seiner Sehnsucht nicht immer in Worte fassen kann. Heilfasten scheint ein Weg zu sein, dieser nur schwer fassbaren Sehnsucht auf die Spur zu kommen.
Hier aber kommt die einzigartige Beziehung zwischen den Begrifflichkeiten „Gesundheit und „Heil
– sie wird die vorliegende Untersuchung signifikant beschäftigen! – in einer ersten Wahrnehmung in den Blick. Der Ausspruch: „Der Gesunde hat viele Wünsche, der Kranke nur einen! wird meist nur auf den kranken Menschen bezogen, der sich (als einzigem Wunsch) nach Gesundheit sehnt. So verständlich das (vielleicht) ist, so zielt dieser Ausspruch doch auch auf die vielen Wünsche und Sehnsüchte, die der gesunde (aber letztlich wohl jeder, auch der kranke) Mensch hat. Was in der Krankheit zum einzigen Ziel wird, die „Gesundheit
, das scheint in der Gesundheit zum Inbegriff einer irgendwie ebenso unbedingt erhofften Integrität zu werden, welche diese zugleich unbestimmt überschreitet – zum „Heil".
Auf diesem Hintergrund lässt sich vielleicht vorläufig festhalten: „Heil" ist sicher eine Umschreibung dessen, was weit über den Zustand der Gesundheit hinausgeht und wonach sich sowohl der kranke als auch der gesunde Mensch sehnen kann. Gewiss scheint dabei zu sein, dass „Heil nicht mit „Gesundheit
gleichgesetzt werden darf, was möglicherweise, aber eben missverständlicherweise der Begriff „Heilung" als der Weg von der Krankheit zur Gesundheit nahelegen könnte.
Oder in einer Art unmittelbaren, negativen Heuristik ausgedrückt: Würde man Heil mit Gesundheit identifizieren, dann hätte der vermeintlich gesunde Mensch keine Sehnsucht mehr nach Heil und bliebe zudem vor jeder „Unheilserfahrung bewahrt; nur der kranke Mensch „wüsste
dann noch, was Sehnsucht nach Heil bedeutet.
Auch hier kann, wenn man so will, noch einmal die Analyse der Alltagssprache behilflich sein, um ein erstes Problembewusstsein, ja Vorverständnis abzusichern: Wenn die Sprache den Menschen verrät, dann gilt: „Heilfroh kann sowohl ein gesunder als auch ein kranker Mensch sein, genauso wie der Mensch in beiden gesundheitlichen Situationen „Heilserlebnisse
und „Heilserfahrungen, aber auch „Unheilserlebnisse
und „Unheilserfahrungen" haben kann.
Die Sehnsucht des Menschen nach Heil als etwas, das weit mehr als Gesundheit ist, kommt in diesem Sinne offensichtlich in unzähligen und vielfältigen Werken in Literatur, Musik, Theater, Malerei etc. zum Ausdruck. Etwas pointiert gesagt: Der Traum von einer „heilen Welt scheint „in dieser Welt
nie ausgeträumt werden zu können.
1.1.4. Die gegenwärtige (theologisch-)ethische Bewertung: Die These von der Gesundheit als Ersatzreligion
Die Fülle der Aspekte, die mit dieser Beziehung zwischen Gesundheit und Sehnsucht nach Heil verbunden sind, lässt sich hier im einleitenden Blick auf das alltägliche Lebensgefühl nur andeuten. In Bezug auf die moraltheologischen Fragestellungen aber bleibt ein letzter Hinweis: Auch wenn die Unterscheidung zwischen Heilung und Heil im allgemeinen Bewusstsein der Gegenwart in diesem Sinne präsent ist, wertet eine (theologisch-)ethische Analyse die gegenwärtigen Tendenzen schließlich sogar als eine Entwicklung, in der die Wünsche an die Gesundheit die Rolle einer „Ersatzreligion"¹⁰ einnehmen würden.
Ludger Honnefelder setzt etwa in diesem Sinne beim Sprachgebrauch des Wortes Gesundheit an und geht sodann der Frage nach, als welches Gut denn eigentlich Gesundheit zu verstehen ist. Dabei verweist er zunächst auf Nietzsche, der die Gesundheit für undefinierbar hält, aber auch auf Aristoteles, bei dem das Wort „gesund ein Paradebeispiel für ein Wort mit vielfacher Bedeutung ist, das auf einen ursprünglichen Sinn verweist. Und er rekurriert auf Platon, bei dem „Gesundheit
als „Harmonie von Leib und Seele verstanden wird, weswegen jener auch die sittliche Tugend als „Gesundheit der Seele
bestimmen