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k-punk: Ausgewählte Schriften 2004-2016
k-punk: Ausgewählte Schriften 2004-2016
k-punk: Ausgewählte Schriften 2004-2016
eBook991 Seiten14 Stunden

k-punk: Ausgewählte Schriften 2004-2016

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Über dieses E-Book

"Fisher ist der vertrauenswürdigste Navigator in unseren aus den Fugen geratenen Zeiten." David Peace "Die Lektüre von Fishers K-Punk-Blog wird für eine ganze Generation unerlässlich sein." The Guardian Diese umfassende Auswahl versammelt die besten Arbeiten des gefeierten Bloggers, Autors, Herausgebers, politischen Aktivisten und Dozenten Mark Fisher, der 2017 starb. Die Sammlung aus der Zeitspanne 2004-2016 enthält einige der einflussreichsten und brandstiftendsten Äußerungen aus seinem produktiven Blog k-punk, eine Sammlung seiner brillantesten und aufschlussreichsten Besprechungen von Filmen, Fernsehsendungen und neuer Musik, zusammen mit seinen außergewöhnlichen Schriften über Politik, Aktivismus, Prekarität, Hauntologie, psychische Gesundheit und der populären Moderne für zahlreiche Websites und Magazine. Außerdem ist die Einleitung zu seinem geplanten, aber nicht mehr verwirklichten Buch "Acid Communism" enthalten.
SpracheDeutsch
HerausgeberFuego
Erscheinungsdatum12. Feb. 2021
ISBN9783862872374
k-punk: Ausgewählte Schriften 2004-2016

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    Buchvorschau

    k-punk - Mark Fisher

    Coverbild

    Mark Fisher

    k-punk

    Ausgewählte Schriften 2004-2016

    Mit einem Vorwort von Simon Reynolds

    Aus dem Englischen von Robert Zwarg

    FUEGO

    - Über dieses Buch -

    Die meisten Schriften des 2017 verstorbenen Mark Fishers wurden nicht in Büchern, Zeitungen oder akademischen Journalen publiziert, sondern auf seinem Blog k-punk. Hier entwarf und perfektionierte Fisher seine originäre, an der Gegenwart und ihren kulturellen Artefakten orientierten, radikalen und kompromisslosen Theorie. Sowohl ein Roman J.G. Ballards oder Margaret Atwoods, Hollywood-Produktionen wie Batman Begins und Avatar, als auch ein Album von James Blake oder The Cure konnten Fisher gleichermaßen ein Anlass sein, darüber nachzudenken, ob nicht alles ganz anders sein könnte – oder warum es in Zeiten des kapitalistischen Realismus so schwer ist, sich dieses Andere vorstellen. Der Band versammelt eine Auswahl der sich auf Literatur, Musik, Film, Fernsehen und Politik aufspannenden Beiträge, die zwischen 2004 und 2016 mehrheitlich auf k-punk erschienen sind.

    Pressestimmen

    »k-punk ist kein gewöhnliches Sachbuch, es beruht zum Großteil auf Fishers Beiträgen zu seinem gleichnamigen Blog … Das Format ist insofern am ehesten mit Wolfgang Herrndorfs ebenfalls nach dem Suizid des Autors veröffentlichten ›Arbeit und Struktur‹ vergleichbar. Für beide gilt, dass sie sich sehr gut immer wieder zur Hand nehmen lassen und nicht am Stück gelesen werden müssen.« (Johannes Creutzer, konkret)

    »Seine Schriften sind hellsichtig und wie eine Offenbarung, da er mit Literatur, Musik und Kino auf vertrautem Fuß stand und mühelos deren innere Geheimnisse enthüllt.« (VICE)

    »Das Buch sprüht vor Kampfeslust, es erfrischt. Fishers Faible für das Seltsame und Gespenstische, das Mäandern von David Bowie zu The Cure macht einfach Spaß.« (Gerlinde Pölsler, Falter, Wien)

    »Wer sich auf die keinesfalls zur leichten Fünf-Minuten-Lektüre gedachten Kurzessays einlässt, erlebt einen gewaltigen Input, der zugleich zum Mit- und Weiterdenken anregt.« (Frank Schäfer, Good Times)

    »Der beste kulturwissenschaftliche Autor seiner Generation.« (Los Angeles Review of Books)

    Vorwort

    Das Merkwürdige ist, dass ich mit Marks Denken schon vertraut war, lange bevor ich ihn das erste Mal traf. Im Grunde kannte ich ihn, bevor ich von ihm wusste.

    Lass mich das erklären. 1994 schrieb ich einen Artikel für Melody Maker über eine sehr konzeptuelle Band aus Manchester namens D-Generation, bei der Mark spiel­te. Aber am Telefon hatte ich immer nur mit jemandem anderen gesprochen, mit Simon Biddell. Weil mich die Ideen der Band so interessierten, kam es mir nicht mal in den Sinn, meine ganz normale journalistische Arbeit zu machen und zu fragen, wer noch in der Band ist. Gut ein Jahrzehnt später, als er mir schüchtern die Geschichte in einer E-Mail offenbarte, habe ich erfahren, dass ich im Grunde über Mark geschrieben hatte. Und tatsächlich, als ich den vergilbten Artikel wieder gefunden hatte – da waren sie, D-Generation als »Band der Woche« in der »Ad­vance«-Spalte von Melody Maker, Mark genau in der Mitte des Fotos: seine Frisur eine Art Madchester-mäßi­ger Bob, seine Augen, die in äußerster Intensität suchend und unheilvoll den Leser anstarren.

    D-Generation war eine dieser Bands, die Wasser auf die Mühlen der Musikpresse waren, eine Goldgrube für eine bestimmte Art Kritiker: Der konzeptuelle Rahmen war bissig und provokativ, der Sound hing dem Konzept ein bisschen hinterher. Wenn ich den Artikel heute noch einmal lese und seit vielen Jahren einmal wieder D-Gene­rations EP Entropy in the UK höre, stelle ich fasziniert fest, wie viele der Elemente, auf die sich Mark immer wieder beziehen sollten, bereits vorhanden waren. In ge­wisser Weise steht Punk im Mittelpunkt seiner Weltsicht: D-Generation beschreiben ihre Musik als »Techno, der vom Geist des Punks verfolgt wird« (im wahrsten Sinne des Wortes, zum Beipiel in dem Song »The Condition of Muzak«, wo es ein Sample von Johnny Rottens Abschiedsworten am Ende der Show im Winterland 1978 gibt – »Habt ihr manchmal das Gefühl, verarscht zu werden?« – und sein bitteres, höhnisches Lachen dann in ein Riff übergeht). Es gibt die Hass-Liebe zu England: Hass auf die rüstige, kunstlose und antiintellektuelle Seite des Nationalcharakters (in »Rot­ting Hill« wird ein Satz aus der Filmversion von Glück für Jim gesampelt: »Das gute alte England? England war niemals gut!«), Liebe zu jener dunklen, künstlerischen, devianten Tradition, zu der The Fall, Wyndham Lewis und Michael Moorcock gehören (die alle in den Pressematerialien von D-Generation erwähnt werden). Außerdem gibt es einen frühen Beweis für Marks Verach­tung für Retro: Der Song »73/93« nimmt sich das vor, was D-Generation die »Nostalgie-Verschwörung« nennen. Und es gibt sogar flackernde, ektoplasmatische Vor­zeichen der Hauntology, jener Musik-, Denk- und Ge­fühls­strömung des 21. Jahrhunderts, über die Mark so fesselnd geschrieben hat.

    Jenseits dieser Details ist aber auch die Struktur des Zusammentreffens erhellend und paradigmatisch. Da ist ein Musikjournalist (in dem Falle ich), der hungrig nach einer Band mit Ideen sucht, der schließlich eine findet (in diesem Fall, D-Generation) und mit diesen Musikern, die selbst wie Kritiker denken, eine symbolische Allianz eingeht. So funktionierte Mark, wenn es um etwas anderes als Spaltung ging. Seine produktive Zusammenarbeit mit Burial, The Caretaker, Junior Boys und anderen Künstlern war im Grunde eine sich gegenseitig intensivierender Feedbackschleife zwischen dem Musiktheoretiker und dem Musikproduzenten. Die Grenze zwischen beiden Praktiken löste sich auf. Kritiker und Musiker trugen gleichermaßen zum Gesamtbild bei und trieben es in einer Dialektik des Vorstoßes, der Reaktion, des Ausweichens und des Zusammenstoßes voran.

    Mark Fisher ist mit der britischen Musikpresse der Achtziger großgeworden (vor allem New Music Express), später wurde er angetrieben von dem, was in den Neunzigern davon noch übrig war (vor allen Melody Maker und Wire); vielleicht war er der letzte Vertreter einer verschwindenden Gattung: der Musikkritiker als Prophet. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, die avancierteste Kunst zu finden und in ihrem Namen zu missionieren, während man zugleich die Laserstrahlen der Negativität auf alles richtet, wo falsch abgebogen wurde, um Raum zu schaffen für die wahre Musik unserer Zeit. Dieser messianische Musikkritiker lobte nicht nur waffenstark das Neue und Radikale, sondern er stellte die Musik auch vor große Herausforderungen – genauso wie die Hörer und Leser.

    Fisher wurde der beste Musikautor seiner Generation. Aber das ist nur ein Gebiet, auf dem er Erfolg hatte. Brillant schrieb er über alles, was sich in der Nähe der Populärkultur befand: Fernsehen, Science-Fiction, Mainstream-Filme (vor allem die Pulp-Seite des Spektrums – es hat mich immer fasziniert, wie Mark sich irgendwelche Sachen wie 2005 das CGI-Spektakel King Kong ansah, einfach um zu schauen, ob sich zufällig nicht doch etwas retten lässt, etwas, das er für sein Konzept des »Pulp-Modernismus« brauchen kann). Auch über Hochkultur konnte Mark fesselnde Texte schreiben – bildende Kunst, Fotografie, Literatur, Kunstkino. Und er schrieb eindrücklich über Politik, Philosophie, geistige Gesundheit, das Internet und soziale Medien (die Phänomenologie des digitalen Lebens – die spezifischen Effekte der vernetzten Einsamkeit und der abgelenkten Langeweile). Vor allem aber schrieb Mark oft über viele – manchmal alle – diese Dinge zugleich. Er stiftete Verbindungen zwischen weit auseinanderliegenden Feldern, zoomte heran, um aufmerksam ästhetische Details zu betrachten, zoomte heraus, um die größtmögliche Perspektive zu haben, Mark konnte Metaphysik in einer Fernsehserie wie Sapphire & Steel entdecken, psychoanalytische Wahr­heiten in einem Joy-Division-Song, politische Schwingungen im Gewebe eines Burial-Albums oder eines Kubrick-Films. Sein Thema war das menschliche Leben (obwohl er sich selbst weder als Humanist noch als Vitalist verstand). Die Ambition war riesig; der Blick umfassend.

    Das Spannende an Mark Fishers Schriften – auf seinem Blog k-punk, in Zeitschriften wie Wire, FACT, Frieze und New Humanist sowie in seinem Büchern für Zer0 und Repeater – war, dass man das Gefühl hatte, dass er auf einer Reise war: Die Ideen hatten eine Richtung, ein gigantisches Denkgebäude, das im Begriff war, zu entstehen. Man spürte, mit wachsender Ehrfurcht, dass Mark ein System schuf. Außerdem waren seine Arbeiten zwar streng und äußerst belesen, aber nicht akademisch, weder im Hinblick auf sein Publikum noch als Übung um ihrer selbst willen. Die Dringlichkeit seiner Prosa stammte von seinem Glauben, dass Worte wirklich etwas verändern können. Seine Schriften ließen alles bedeutsamer werden, hochaufgeladen mit Sinn. Mark zu lesen war wie ein Rausch. Eine Sucht.

    Nach dem merkwürdigen Nicht-Zusammentreffen mit D-Generation war das erste Mal, dass mir der Name »Mark Fisher« begegnete, eine Autorenzeile in einem der wun­derbar gestalteten Blätter, die das geheimnisvolle We­sen namens Ccru herausgab. Ich erinnere mich nicht mehr, ob sie mir ihre Traktate schickten oder ob ich durch unseren gemeinsamen Freund Kodwo Eshun auf sie stieß. Von Beginn an stachen Marks Texte heraus. Ein Großteil der Texte der Cybernetic Culture Research Uni­ty, einer para­akademischen Organisation, die lose an das philosophische Institut der Warwick University angebunden war, trat absichtlich hermetisch auf, eher wie experimentelle Literatur als akademische Prosa. Auch in Marks Beiträgen winden sich die Worte im Grunde über die Seite, aber der Stil war niemals wissenschaftlich, sondern äußerst luzide. Er mochte natürlich – wie wir alle damals – gnomische Neologismen und Portmanteau-Worte; zwischen all der apokalyptischen Nüchternheit und Dringlichkeit gab es ein ausgreifendes Spiel mit der Sprache. Aber – und das kennzeichnet seine gesamte Karriere als Autor – Mark machte seine Texte nie dichter oder schwerer als notwendig. Mit Leidenschaft verteidigte er den echten Kommunikator, den, der glaubt, dass die Ideen und Themen, um die es geht, einfach zu wichtig sind, um sie zu verdunkeln. Warum Hindernisse für das Verstehen errichten? Ich bin fest davon überzeugt, dass Mark Fisher, trotz seiner zuweilen arkanen und abwegigen Interessen, genau deswegen eine Leserschaft hatte, die weit über die engen Kreise der Forscher und Aka­demiker hinausging. Er sprach niemals von oben herab, sondern lud den Leser immer ein, riss ihn mit sich.

    Getroffen habe ich Mark das erste Mal 1998, als ich die akademische Zeitschrift Lingua Franca überzeugte, mich einen langen Text über Ccru und seine Verbündeten in der abtrünnigen Universität, wie O[rphan] D[rift>], schreiben zu lassen. Im Vergleich zu der verstörenden Eigentümlichkeit ihrer Texte waren Ccru in Person überraschend mild und, na ja, britisch. Aber auch hier stach Mark im Vergleich zu seinen Genossen ein wenig heraus und zwar aufgrund seiner schieren Intensität. Ich erinnere mich daran, wie seine Hände zitterten, während er leidenschaftlich über alles von der Cyberpunk-Ästhetik des Jungle über die Hinfälligkeit des Sozialismus referierte. Obwohl er leise und ruhig sprach, spürte man bereits eine besonderes Vorliebe für das öffentliche Wort, die Aura eines im Entstehen begriffenen Redners.

    Danach waren Mark und ich Autoren für die post-Rave Musiktheoriewebsite Hyperdub, die das frühere Ccru-Mitglied Steve Goodman, aka Kode9, gegründet hatte. Freunde wurden wir erst, als sich Mark 2003 mit k-punk in die Blogosphäre warf, ein paar Monate nachdem ich Blissblog begonnen hatte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit rekonstituierte sich online so etwas wie ein Äquivalent zu der alten Musikkritikszene. Zumindest dachte ich das: Das ist der Musikjournalismus im Exil, eine Wiedererweckung all seiner besten, früheren Momente, die man in den noch existierenden Zeitschriften vermisste (also die Überbleibsel von NME und Monatsmagazine wie Q). Alles natürlich, außer bezahlt zu werden. Aber tatsächlich erwachte in der Bloggerszene der frühen 2000ern die allumfassende Perspektive des Musikjournalismus der goldenen Jahre – als Musik einen herausgehobenen Status genoss, aber Film, Fernsehen und Politik mit hineinspielten – auf wundersame und unerwartete Weise zu neuem Leben.

    »Es ging nicht nur um Musik und auch in Musik geht es nicht nur um Musik«, so formulierte es Mark, wenn er darüber schrieb, was NME für ihn bedeutete, als er als Arbeiterklassenjunge mit einem beschränkten Zugang zur Hochkultur aufwuchs. »Es war ein Medium, das einen fordert.« Dasselbe galt für die Blogosphäre, dessen Bevölkerung aus Autodidakten, unabhängigen Forschern, desillusionierten Akademikern (wie Mark) und vereinzelten Sonderlingen Theorien entwarfen und die Texte be­rühmter Denker nach Begriffen und analytischen Werk­zeugen plünderten, um sie zu missbrauchen. Als Entschädigung dafür, dass man nicht von seinen Onlinetiraden und Schwärmereien leben konnte, bot die Blogosphäre außergewöhnliche Kräfte: unglaubliche schnel­le Reaktionen, flexible Formate (man konnte lange und dichte Texte posten oder kurze Denkgranaten) und die Möglichkeit, den Text durch Bilder, Songs und Videos zu illustrieren. Das Wichtigste war jedoch, dass es eine interaktive und kollektive Veranstaltung war, von der es in der Musikpresse nur eine Ahnung gab (durch Leserbriefe, Autoren, die jede Woche untereinander stritten und die regelmäßige Aufnahme von Querulanten aus den hitzigen Fanzines). Die Blogosphäre war ein echtes Netzwerk.

    Mit seiner sprudelnden Leidenschaft wurde k-punk bald zu einer entscheidenden Schnittstelle. Mark war ein Dynamo, niemals um eine Provokation verlegen, voll von Ideen, mit denen man sich auseinandersetzen musste. Er wurde zur Kultfigur. Ein Katalysator. Außerdem war er der perfekte Gastgeber, der eine salon-ähnliche Energie in den Kommentarspalten von k-punk versprühte, wo er Debatten initiierte und Streit schlichtete, wenn es mal bissig wurde (was unvermeidlich geschah). In diesem freundschaftlich-aufsätzigen Geist wurde dann das Internetforum Dissensus von Mark und Matthew Ingram gegründet (dessen Blog Woebot eine unserer anderen Schnittstellen war). In gewissem Sinne war Mark in diesen Diskussionen am meisten in seinem Element: Er stritt, manchmal stimmte er zu, immer nahm er die Argumente seiner Gesprächspartner auf, um die Diskussion voranzubringen. Ein paar seiner treffendsten Einsichten und Formulierungen entstanden aus diesem Für-und-Wider: Juwelen, die man schwer aus dem diskursiven Dickicht, in dem sie geboren wurden, lösen kann, zahllose kurze Dialoge und Interaktionen, in denen sein Denken am spielerischsten und lebendigsten zur Geltung kam.

    Während dieser ganzen Zeit in den frühen 2000ern be­fand ich mich in einer angenehm verwirrenden Situation: Jemand, den ich beeinflusst hatte, wurde zu jemandem, der mich beeinflusste. Es lag eine gewisse nervöse Spannung darin, jeden Morgen den Computer anzuschalten, um zu sehen, welchen Fehde-Handschuh Mark in die Diskussion geworfen hatte – man hatte auf jeden Fall das Gefühl, mithalten zu müssen. Wir traten oft, obwohl weit voneinander entfernt, als eine Art Duo auf (zwischen uns lagen fünf Stunden, Mark war in London und ich in New York). Einer von uns kommentierte, was der andere geschrieben hatte. Es war ein sich gegenseitig ergänzendes und ausnehmend höfliches Verhältnis, wie ein Ball, den man hin und her spielt, obwohl wir ziemlich regelmäßig nicht einer Meinung waren. Andere beteiligten sich; es ging in alle Richtungen und jeder konnte mitmachen.

    Trotz aller Kooperation herrschte in der Blogosphäre, und besonders in dem Dialog zwischen Mark und mir, eine gewisse Konkurrenz. (Was ohne Zweifel bei vielen Autoren in ganz verschiedenen Bereichen der Fall ist). Für mich war es eine ungewöhnliche Erfahrung, überflügelt und übertroffen zu werden und mich deswegen immer wieder steigern zu müssen. In einigen unserer Diskussionen hatte Mark den Vorteil, die Dinge drastischer, mehr Schwarz-Weiß zu sehen, während ich die Grautöne betonte oder anerkannte, dass die Gegenposition nicht vollkommen falsch war. Im wahren Leben mag das eine Tugend sein, aber im Schreiben mildert es deine Attacke.

    Mark hatte größere Ressourcen der »Nichtung« – sein Begriff für den gnadenlos Zug des Kritikers oder des Künstlers, andere Herangehensweise abzulehnen und sie auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. (Diese Abschätzigkeit war ein Merkmal seiner Autorenpersona, aber ich sollte hinzufügen, dass er als Mensch großzügig und offen war.) Der Improvisationsmusiker John Butcher hat diese Haltung aus der Perspektive des Künstlers in einem Interview mit Wire 2008 so beschrieben:

    »Diese Musik befindet sich in Gegnerschaft zu anderer Musik. Sie koexistiert nicht friedlich mit allen anderen. Die Tatsache, dass ich mich dafür entschieden habe, im­pliziert, dass ich nicht wertschätze, was du da machst. Meine Praxis stellt deine Praxis infrage. Das ist es, was unser musikalisches Denken und unsere Entscheidungen antreibt.«

    Für Fisher und Butcher war die »Gegnerschaft« das Wahrzeichen der Ernsthaftigkeit, ein Zeichen, dass etwas auf dem Spiel steht und Differenzen es wert sind, ausgetragen zu werden. Es ist vor allem diese negative Fähigkeit – die Willensstärke, zu diskreditieren und zu verwerfen –, die Musik und Kultur dazu bringt, sich vorwärts zu bewegen, anstatt in halbseidener Toleranz und Anything-Goes-Attitüde zu verharren. Wenn Musik eine Form der »aktiven Kritik« ist, dann ist Musikkritik eine Art klangloser Beitrag zur Musik.

    Um meine Gedanken zu ordnen und meinen Kopf frei­zu­kriegen, bevor ich diesen Text schreibe, bin ich spa­zieren gegangen. Es lag etwas Englisches in diesem hellen und schönen Februarmorgen in Südkalifornien – ein stürmischer Wind trieb riesige Wolken über den Himmel, das wattene Weiß durchbrochen von hellen Sonnenstrahlen, so dass irgendwie diese eigentümliche Qualität entstand, die ich mit den wechselhaften Tagen in Großbritannien verbinde. Ich hätte Mark gern Los Angeles gezeigt, ein paar andere Seiten der Stadt (Mark hatte ein paar feststehende Vorstellung von L.A., die mehrheitlich aus Baudrillards Amerika und Michael Manns Heat stammten). Und ich hätte mir sehr gern Suffolk zeigen lassen, diese Küstenregion, die Mark so sehr liebte.

    Die Zeit jedoch, die wir tatsächlich physisch miteinander verbracht haben, war schmerzhaft kurz. Es ist gut möglich, dass wir uns weniger als zehn Mal getroffen haben. Die meiste Zeit, die wir uns kannten, haben Mark und ich auf unterschiedlichen Kontinenten gelebt. Das stiftete eine gewisse Reinheit in unserer Freundschaft, die im Grunde nur auf dem geschriebenen Wort beruhte: Es gab viel Kontakt über E-Mails, Debatten auf Blogs oder Internetforen … aber wir haben selten zusammen Zeit verbracht.

    Das bedeutet, dass dieser Text nur ein unvollständiges Portrait von Mark sein kann, sowohl als öffentliche Figur wie als Mensch. Wir kannten uns hauptsächlich als vir­tuelle Kollegen und inoffizielle Kollaborateure (wir haben niemals etwas zusammen geschrieben, aber in verschiedenen Diskussionen haben wir eine Einheitsfront gebildet, beispielsweise bezüglich des Hardcore-Kon­tinu­ums, der Hauntology und der Retro-Kritik). Vor allem kannte ich ihn als Leser. (Auch hier war es irritierend, von jemandem Fan zu sein, der einmal ein Fan von mir war). Aber ich weiß, dass es noch viele andere Mark Fishers gab. Mark der Lehrer, Mark der Sohn, Ehemann und Vater. Ich habe ihn fast ausschließlich in den verzweigten Terrains des Diskurses getroffen – des häufig recht hitzigen Diskurses – und ihn recht selten im Alltag getroffen. Ich hätte sehr gern die anderen Marks kennengelernt – Mark, wie er spielt, wie er lacht, sich entspannt, Zeit mit seiner Familie verbringt.

    Das letzte Mal, dass ich Mark persönlich getroffen habe, war im September 2012, bei dem Musikfestival Incubate im niederländischen Tilburg. Das Thema des Festivals war Do-it-yourself. Ich hielt die Keynote und diskutierte verschiedene Aspekte der DIY-Ideologie und fragte mich, ob sich dieses kulturelle Ideal nicht vielleicht über­lebt hat. Mark war als nächster dran und entschied sich spontan, seinen Vortrag zu ändern und stattdessen frei zu reden und anzuschließen an dem, worüber ich gesprochen hatte. Es war wie in den alten Blogzeiten, außer dass es diesmal in Echtzeit und in einem echten Raum geschah. Während ich einen Text abgelesen hatte, vermischt mit der einen oder anderen improvisierten Bemerkung, sprach Mark ohne Manuskript, schöpfte aus dem formi­dablen Arsenal seines Kopfes, formulierte neue Gedan­ken und stiftete elektrisierende Verbindungen. Sein Auf­tritt war typisch für seine Kollegialität und seine geistige Beweglichkeit. Später verglich es Mark mit einem Stand-up-Programm – er fügte hinzu, dass es ein Problem sei, dass Institutionen und Individuen begannen, seine Vorträge auf Video aufzunehmen und sie bei YouTube hochzuladen, da die Leute so zu vertraut mit seinem Material werden. Ich glaube jedoch nicht, dass das jemals ein Problem war: Mark war eine unerschöpfliche Quelle der Ein­sichten und des Überblicks, er sprudelte vor neuen Wahrnehmungen und originellen Formulierungen, einprägsamen Maximen und treffenden Aphorismen. Er hatte immer noch etwas zu sagen.

    Aber dann hatte Mark keine Zeit mehr.

    Ich spüre seine Abwesenheit als Freund, als Genosse, aber vor allem als Leser. Es gibt viele Tage, an denen ich mich frage, was Mark über dieses oder jenes wohl gesagt hätte. Mir war nicht klar, wie abhängig ich von den Überraschungen und Herausforderungen war, die Mark mir unregelmäßig bereitet: der Reiz und Funke seines Schreibens, die Klarheit, die er in so gut wie alles bringen konnte. Mir fehlt Marks Geist. Es fühlt sich einsam an.

    Simon Reynolds, 2018

    Warum K?¹

    1. Warum ich das Blog begonnen habe? Weil es mir als ein Raum erschien – der einzige Raum –, in dem sich eine Art Diskussionskultur erhalten kann, die einst in Musikzeitschriften und Kunstschulen begann, die aber inzwischen so gut wie ausgestorben ist, was meines Erachtens nach schreckliche kulturelle und politische Folgen hat. Mein Interesse an Theorie entstand fast ausschließlich wegen Autoren wie Ian Penman und Simon Reynolds, deswegen gab es für mich schon immer eine enge Verbindung zwischen Theorie und Pop/Film. Ich will keine rührseligen Geschichten erzählen, aber für jemanden mit meinem Hintergrund konnte dieses Interesse kaum irgendwo anders herkommen.

    2. Aus diesen Gründe hatte ich immer ein, ähm, schwieriges Verhältnis zur Universität. So wie ich Theorie verstanden habe – nämlich vor allem vor dem Hintergrund der Popkultur – wurde sie in der Universität eigentlich verabscheut. Fast immer, wenn ich mit der Akademie zu tun hatte, war das eine im wörtlichen – und klinischen – Sinne deprimierende Erfahrung.

    3. Ccru hat sich unter schwierigen Bedingungen als eine Art Schnittstelle für Popkultur und Theorie gebildet. Die ganze Idee einer Pulp-Theorie bzw. von Theorie-Literatur war/ist eine Art und Weise, Theorie durch popkulturelle Formen hindurch, nicht »darüber«, zu betreiben. Nick Land war hier die entscheidende Figur, insofern als er einige Zeit lang eine Stellung »innerhalb« eines philosophischen Instituts besetzen konnte, während er sich intensiv den Verbindungen nach außen widmete. Kodwo Eshun ist jemand, der diese Verbindungen in die andere Richtung stiftete – aus der Popkultur IN abstruse Theorie hinein. Was wir jedoch alle teilten, war die Ansicht, dass beispielsweise eine Musik wie Jungle bereits in sich enorm theoretisch ist; es brauchte keine Akademiker, um sie zu beurteilen oder darüber zu dozieren – die Rolle des Theoretikers ist die des Verstärkers.

    4. Der Begriff k-punk kam aus den Zusammenhängen von Ccru. »K« war der libidinös bevorzugte Ersatz für das in Kalifornien oder bei Wired so beliebte »cyber« (das Wort Kybernetik geht auf das griechische Wort kyber zurück). Ccru verstand Cyberpunk nicht als (früher einmal angesagtes) Literaturgenre, sondern als distributive kulturelle Tendenz, die durch neue Technologien ermöglicht wird. In ähnlicher Weise meint »Punk« keinen Musikstil, sondern ein Zusammentreffen jenseits legitimer bzw. legitimierter Räume: Fanzines waren wichtiger als die Musik, insofern als sie eine ganze Reihe anderer, ansteckender Aktivitäten hervorbrachten, die das Bedürfnis nach einer zentralisierten Kontrolle zerstörten.

    5. Die Entwicklung billiger und leicht verfügbarer Musiksoftware, das Internet und Blogs, all das bedeutet, dass es eine nie dagewesene Punk-Infrastruktur gibt. Alles, was fehlt, ist der Wille und die Überzeugung, dass etwas, das in einem nicht autorisierten oder nicht legitimen Rahmen entsteht genauso wichtig – oder wichtiger sein kann, als was über offizielle Kanäle kommt.

    6. Seit dem Punk der 1970er hat dieser Wille stark abgenommen. Die Verfügbarkeit bestimmter Produktionsmittel scheint sich parallel zu einer kompensatorischen Behauptung der spektakulären Macht entwickelt zu haben.

    7. Bezüglich der Universität: Universitäten haben nicht nur alle, die mit Ccru in Verbindung standen, ausgeschlossen oder mindestens marginalisiert, sondern auch viele, die in Warwick angebunden waren. Steve »Hyperdub« Goodman und Luciana Parisi sind beide Ccru-Agenten, denen es, entgegen aller Erwartung, gelungen ist, an der Universität unterzukommen. Aber die meisten von uns wurden in Positionen außerhalb der Akademie gedrängt. Vielleicht aufgrund der Tatsache, dass sie nicht integriert (»gekauft«) wurden, haben viele Teile des Warwick-Rhizoms weiterhin enge Verbindungen und eine große Unabhängigkeit unterhalten. Ein großer Teil des theoretischen Rahmens von k-punk wurde in Zusammenarbeit mit Nina Power, Alberto Toscano und Ray Brassier entwickelt (Brassier war der Mitorganisator der NoiseTheoryNoise-Konferenz an der Middlesex University letztes Jahr[2004]). Die zunehmende Beliebtheit von Philosophen wie Žižek oder Badiou bedeutet, dass es nun eine unerwartete, wenn auch wilde und flüchtige Unterstützung innerhalb der Universität gibt.

    8. Ich lehre Philosophie, Religionswissenschaft und kritisches Denken am Orpington College. Das College ist ein Weiterbildungsinstitut, was bedeutet, dass ein Großteil der Studenten zwischen 16 und 19 Jahren alt sind. Es ist eine schwere und herausfordernde Arbeit, im Großen und Ganzen sind die Studenten hervorragend und weit mehr daran interessiert zu diskutieren als an der Universität. Ich glaube also überhaupt nicht, dass eine solche Stelle weniger wert ist als ein »richtiger« Universitätsjob.

    Teil 1

    Methoden des Träumens:

    Bücher

    Bücher-Meme²

    1) Wie viele Bücher besitzt du?

    Das kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall kann ich sie nicht mehr zählen und weiß nicht, wie ich es schätzen soll.

    2) Was war das letzte Buch, das du gekauft hast?

    The Sex-Appeal of the Inorganic von Mario Perniola.

    3) Was war das letzte Buch, das du gelesen hast?

    Zu Ende gelesen: Michael Bracewells England is Mine – es war enttäuschend und frustrierend. Hier und da gibt es kluge Einsichten, aber der ganze Aufbau des Buches ändert sich von Kapitel zu Kapitel; einmal ist das Narrativ historisch, ein anderes Mal regional. Man hat ständig das Gefühl, dass gleich etwas passiert oder dass man diesen Moment verpasst hat. Ich glaube, Bracewell hätte ein besser fokussiertes Thema gutgetan, weshalb ich mich trotzdem auf das noch in diesem Jahr [2001] erscheinende Buch über Roxy freue. (Englischer Literatur wird viel zu viel Bedeutung beigemessen: auf keinen Fall werde ich mich jemals zum Beispiel für Mr. D.H. Langeweile interessieren.)

    Noch nicht zu Ende gelesen: Houellebecqs Elementarteilchen. Kein Wunder, dass Žižek das Buch gefällt. Gibt es eine schonungslosere Kritik des öden Hippie-Hedo­nis­mus und seines erbärmlichen Nachlebens im New-Age-Zen-Bullshit?

    4) Fünf Bücher, die mir viel bedeuten.

    Ich hasse diese Fragebögen, in denen es um den besten Film, das beste Buch oder die beste Platte geht und bei denen das neueste Ding jeweils ganz oben steht, weshalb ich mir erlaubt habe, Bücher auszuwählen, die mir schon seit mindestens zehn Jahren etwas bedeuten.

    Kafka: Der Prozess, Das Schloss

    Ist es möglich, später im Leben die Wirkung von Büchern, Platten und Filmen zu reproduzieren, die sie hatten, als man zwischen 14 und 17 war? Die schlimmsten Jahre meines Erwachsenenlebens waren diejenigen, in denen mir aus dem Blick geriet, was ich einst in den Seiten von Joyce, Dostojewski, Beckett oder Selby fand … jeden dieser Autoren hätte ich wählen können, aber ich habe mich für Kafka entschieden, weil er mein engster und beständigster Begleiter war.

    Kafka habe ich das erste Mal über eine Anthologie bei Penguin namens The Novels of Franz Kafka kennengelernt, die mir meine Eltern, die sehr wenig über Literatur wussten, zu Weihnachten schenkten, weil sie dachten, dass es »irgendwie zu mir passen könnte«. Und das tat es.

    Schwer zu sagen, wie ich damals den Text zuerst gelesen habe. Ich weiß nicht mehr, ob er mir gefallen oder mich frustriert hat. Immerhin ist Kafka kein Schriftsteller, der einen überfällt. Er nimmt langsam und subtil von dir Besitz. Ich kann mir vorstellen, dass ich damals einen direkteren Ausdruck existenzieller Entfremdung gesucht und erwartet habe. Aber davon gab es nicht viel bei Kafka. Seine Welt war keine des metaphysischen Auftrumpfens, sondern eine verwahrloste Höhle, in der nicht die heroische Entfremdung, sondern schleichende Scham re­giert. Physische Gewalt spielt fast keine Rolle bei Kafka – es ist die ständig drohende Möglichkeit gesellschaftlicher Scham, die seine verwickelten Nicht-Hand­lungen antreibt.

    Man denke an die jämmerlichen Szenen in Der Prozess, als K. auf der Suche nach dem Gericht in einem Bürogebäude an jede einzelne Tür klopft, mit der erbärmlichen Ausrede, er sei ein »Zimmermaler«? Kafkas Genialität besteht darin, diese Absurdität zu banalisieren: Überraschenderweise und entgegen unserer Erwartung findet die Anhörung von K. tatsächlich in einem der Zimmer des Hauses statt. Natürlich. Und warum ist er zu spät? Je absurder K. die Dinge erscheinen, umso mehr schämt er sich, dass er die Abläufe des Gerichts oder des Schlosses nicht versteht. Die bürokratischen Verwicklungen erscheinen ihm lächerlich und frustrieren ihn, doch das liegt daran, dass er sie noch »nicht verstanden« hat. Oder die Komik der Anfangsszenen in Das Schloss, ein Roman, der weniger den Totalitarismus als die Wirklichkeit des Call Centers vorwegnimmt, wo K. erzählt wird, dass das Telefon »so etwa wie ein Musikautomat« funktioniert. Was für ein Idiot muss er sein, dass er bei einem Anruf an jemandes Schreibtisch erwartet, dass sie antworten? Ist er so naiv?

    Kein Wunder, dass Alan Bennett, der Laureat der Scham, ein glühender Bewunderer von Franz Kafka ist. Sowohl Bennett als auch Kafka wissen, dass, egal wie absurd ihre Rituale, Verlautbarungen und Kleidung auch sein mögen, die herrschende Klasse nicht zu beschämen ist; und zwar nicht deswegen, weil es einen besonderen Code gibt, den nur sie versteht – es gibt gerade keinen Code –, sondern weil, was auch immer sie tun, in Ordnung ist, weil SIE es tun. Und umgekehrt, wenn man nicht Teil der Schickeria ist, dann wird nichts, was man tut, JEMALS genügen; man ist a priori schuldig.

    Atwood: Katzenauge

    Vor einer Weile fragte mich Luke, was ein Beispiel für »kalte rationalistische« Literatur wäre. Atwood, der der Ruf anhaftet, kalte Romane zu schreiben, wäre eine naheliegende Antwort, doch in Wahrheit ist so ziemlich jede Literatur kalt und rationalistisch. Warum? Weil sie uns erlaubt, uns selbst als Ketten von Ursache und Wirkung zu sehen und dadurch paradoxerweise den einzig verfügbaren Maßstab der Freiheit liefert. (Selbst Wordsworth, der Spinoza bewunderte, nennt als den Ursprung der Poesie ein »Gefühl, dessen man sich in Ruhe erinnert«, also gerade nicht rohe Emotion, die in irgendeiner dionysischen Ejakulation zum Ausdruck kommt.)

    Katzenauge ist nicht mein Lieblingsbuch von Atwood – das wäre der schonungslose Roman Der lange Traum – aber es ist das Buch, das mir am meisten bedeutet. Ich kann mich nicht mal mehr an die ganze Handlung erinnern; aber was ich niemals vergessen werde, sind Atwoods schrecklich anschaulichen Schilderungen der Hobbes’schen Grausamkeit von »Freundschaften« unter Teenagern. Sie laufen hinter dir, damit sie über deine Schuhe lästern können und die Art wie du läufst … sie sind schlimmer als deine schlimmsten Feinde. Die langen Tage, der Frühstückstoast, der in deinem Mund zu Pappe wird, die Angespanntheit, die so stechend und konstant ist, dass man vergisst, dass sie da ist und sie nicht mal mehr bemerkt.

    Sind die wichtigsten Jahre die der frühen Kindheit oder die der frühen Jugend? Als ich Katzenauge mit Anfang 20 las, war das wie eine Art Selbstanalyse, ein Ausweg aus der Geschichte der Misanthropie, der unterdrückten Wut und des kosmischen Gefühls der Unzulänglichkeit, die mich während meiner Teenagerzeit begleiteten. Atwoods eisige Analyse zeigt wunderbar, dass die Demütigungen jener Jahre ein struktureller Effekt der Beziehungen unter Teenagern waren und nichts, was nur mir selbst passierte.

    Spinoza: Ethik

    Mit Spinoza ändert sich alles, aber langsam. Es gibt kein »Damaskuserlebnis« bei der Konversion zu Spinoza, sondern einen stetigen und unerbittlichen Abbau früherer Annahmen. Wie bei jeder guten Philosophie ist die Lektüre Spinozas wie das Videoband in dem Film Videodrome: man denkt, man spielt es ab, aber eigentlich spielt es dich ab und sorgt für eine langsam Veränderung deines Denkens und deiner Wahrnehmung.

    Auf Spinoza wurde ich während meines Studiums aufmerksam, aber richtig gelesen habe ich ihn erst in Warwick, unter dem Eindruck von Deleuze. In einem Lesekreis quälten wir uns über ein Jahr mit der Ethik. Hier war eine abschreckend abstrakte und doch unmittelbar praktische Philosophie, die sowohl auf kosmische Größe wie auf das kleinste Detail der Psyche abgestimmt war. War es die »unmögliche« Vereinigung von Strukturanalyse und Existenzialismus?

    Ballard: Die Schreckensgalerie

    Während Spinoza und Kafka ihre Wirkung langsam entfalteten, war der Eindruck, den Ballard auf mich machte, plötzlich. Sofort verband er sich mit einem von Mediensignalen gesättigten Unbewussten.

    Im Grunde lag das daran, dass ich Ballard schon kannte, lange bevor ich etwas von ihm las: nämlich durch Joy Division (wenngleich eher in Hannetts Sound als in den Texten; das Lied »The Atrocity Exhibition«, mit seinem qualvollen Flehen, könnte nicht weiter von Ballards leidenschaftsloser Nüchternheit entfernt sein), bei Foxx und Ultravox, bei Cabaret Voltaire und Magazine.

    Paradiese der Sonne ist sein bester Katastrophenroman, ein überflutetes London, das als eine literarisierte, surrealistische Landschaft von einem Conrad der letzten Tage kühl beobachtet wird; aber es ist Die Schreckensgalerie, das unverzichtbar ist. Mehr als das bekanntere Werk Crash bietet Die Schreckensgalerie das begriffliche und methodische Werkzeug, um sich dem aus seinen eigenen Materialien zusammengestellten 20. Jahrhundert zu nähern. Der Roman ist streng modernistisch, macht keine Zugeständnisse in der Handlung oder bei den Figuren und wirkt eher wie eine fiktive Skulptur statt wie eine Geschichte, eine zwanghaft wiederholte Reihe von Mustern.

    Ja, Ballard wurde inzwischen in die Literaturkritik aufgenommen und ist zu einem Elder Statesman geworden, aber vergessen wir nicht, wie sehr sich sein Hintergrund von dem eines klassischen Ox-Bridge-Gelehrten unterscheidet. Ballard hat England aus den Fesseln seines eigenen Kanons befreit, gerettet vor den »ehrwürdigen« humanistischen Gewissheiten und der Schläfrigkeit der Sonntagsbeilage.

    Greil Marcus: Lipstick Traces

    Ich habe bereits darüber geschrieben, wie wichtig das Buch für mich ist. Ich las es, als ich gerade mit dem Studium fertig war, ich hatte keinen Plan und die Zukunft stürzte gerade in einem – zum Scheitern verurteilten – Versuch, sich in das ökonomische Realitätsprinzip Thatchers einzufügen, zusammen. Marcus’ dichtes Netz an Verbindungen bot einen Ausweg. Es war die Beschreibung eines transhistorischen Ereignisses, ein Ausbruch von Anabaptisten, Situationisten, Dadaisten, Surrealisten und Punks. Ein solches Ereignis war genau das Gegenteil des großen Spektakels der 1980er Jahre, den arrangierten und organisierten Nicht-Ereignissen, die sich im globalen Fernsehen abspielten, mit Live Aid im Epizentrum. Was Marcus beschrieb, war flüchtig und geheim, auch wenn es – notwendigerweise – von einer beachtlichen Kollektivität gekennzeichnet war. Lipstick Traces war sich sicher, dass Pop nur dann Bedeutung haben kann, wenn er aufhört »nur Musik« zu sein, wenn Politik in ihm nachhallt, die nichts mit kapitalistischem Parlamentarismus zu tun hat und mit Philosophie jenseits der Universität.

    Am besten liest man Lipstick Traces selbst als Teil eines textuellen Rhizoms, das nach mehr als einem Jahrzehnt die Wirkung von Punk auszuloten versucht. Ähnliches gilt auch für das Vague-Magazin (wenn man nach einer der wichtigsten Quellen für die Cyberpunk-Theorie im Stile des CCRU-Kollektivs sucht, sollte man Mark Downhams Artikel in Vague lesen) und Jon Savages England’s Dreaming. (Bis Richard Wisemans Rip it up erscheint, ist diese Liste natürlich unvollständig.)

    Warum ich Ronald Reagan ficken möchte³

    Auf dem Parteitag der Republikaner 1980 in San Francisco kopierte und verteilte eine Gruppe Prankster einen Auszug aus Die Schreckensgalerie mit dem Titel Warum ich Ronald Reagan ficken möchte⁴, ohne eine Quellenangabe und dafür mit dem Emblem der Republikanischen Partei. »Man hat mir erzählt«, berichtet Ballard, »dass man es als das akzeptierte, was es zu sein schien, nämlich ein psychologisches Positionspapier zur unterschwelligen Anziehungskraft des Kandidaten, die irgendein Think Tank in Auftrag gegeben hat.«⁵

    Was sagt uns dieser neo-dadaistische Akt der Möchtegern-Subversion? In gewissem Sinne handelt es sich wirklich um eine perfekte Aktion. Aber in anderer Hinsicht zeigt der Streich auch, dass Subversion heute un­mög­lich ist. Das Schicksal einer ganzen Tradition der spielerischen Intervention – von den Dadaisten über die Surrealisten und Situationisten – scheint sich in der Schwebe zu befinden. Wo einst die Dadaisten und ihre Erben davon träumen konnten, die Bühne zu stürmen und das, was der offenkundig sehr zu dieser Tradition gehörende Burroughs das »Realitätsstudio« nennt, mit Logikbomben zu stören, da gibt es heute keine Bühne mehr – keine Kulisse, wie Baudrillard sagen würde. Und das aus zwei Gründen: Erstens, weil das Irrationale und Unlogische im Grenzgebiet des Hyperkapitals weniger unterdrückt, als vielmehr absorbiert wird, und zweitens, weil der Unterschied zwischen Bühne und Wirklichkeit von einer gelassen-inklusiven Fiktionsschleife abgelöst wurde. Reagans Karriere übertrifft jeden Versuch ihrer Karikierung und zeigt die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen dem Realen und seinen Simulationen. Für Baudrillard sind es gerade die Angriffe auf die »Wirklichkeit« durch Gruppen wie die Surrealisten, die das Reale am Leben erhalten (indem sie ihm eine fabelhafte Traumwelt liefern, die vermeintlich absolut anders ist, aber letztlich mit der Alltagswelt des Realen unter einer Decke steckt). »Der Surrealismus ist noch solidarisch mit dem Realismus, den er verachtet, doch er verdoppelt schon durch sein Eindringen in das Imaginäre.«⁶ Wo sich die Simulakra zur dritten (und vierten) Ordnung aufschwingen, verströmt die schwindelerregende Hyperrealität eine banalisierende, kühl-halluzinogene Atmosphäre, die alle Wirklichkeit in der Simulation absorbiert. Fiktion ist überall – und wird dadurch gewissermaßen als besondere Kategorie ausgelöscht. Während Reagans Rolle als »Schauspieler-Präsident« früher einmal tatsächlich »neu« war, hat seine anschließende Karriere, in der Momente der Filmgeschichte mit Reagans Rollen in bestimmten Filmen zusammenmontiert wurden – und zwar durch seine eigene lückenhafte Erinnerung sowie durch Medienberichte – das Spielerische lächerlich gemacht.

    Dass die republikanischen Delegierten den Text Warum ich Ronald Reagan ficken möchte offenkundig als echt akzeptierten, ist zugleich schockierend und eigentümlich vorhersagbar, und tatsächlich zeugen beide Reaktionen von der Kraft Ballardscher Literatur, die aber ebenso wenig in seiner Fähigkeit gründet, die bestehende Wirklichkeit mimetisch zu reflektieren, wie darin, sie phantasievoll zu transzendieren. Vielmehr kreiert Ballard, in den Worten Iain Hamilton-Grants einen »Realismus der Hyperrealität«, eine homöopathische Teilnahme an der medieninduzierten Kybernetisierung der Wirklichkeit im Spätkapitalismus. Der Schock entsteht, wenn wir uns die (scheinbar) radikale Abweichung von Ballards Text vor Augen führen. Warum ich Ronald Reagan ficken möchte ist, wie vieles in Die Schreckensgalerie, vor allem gegen Ende des Romans, der Bericht eines Zuschauerexperiments über die Resonanz auf Medieneindrücke.

    »Ronald Reagan und das konzeptuale Autounglück. An paretischen Patienten wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, in denen Ronald Reagan in einer Reihe von simulierten Autounfällen erschien – z.B. Massenkarambolagen, Frontalzusammenstößen usw. Dabei zeigten die Patienten ein starkes Interesse an imaginären Anschlägen auf das Leben des Präsidenten und eine deutlich polymorphe Fixierung auf Windschutzscheiben und rückwärtige Wagenpartien. Das Image des Präsidentschaftskandidaten löste starke erotische Phantasien von anal-sadistischem Charakter aus.«

    Doch diesem Schock steht ein Gefühl der Vorhersagbarkeit entgegen, das durch die coole Eleganz von Ballards Simulationen entsteht. Der technische Stil seiner Sprache – die Unpersönlichkeit und der Mangel an Emotionalität – neutralisiert oder normalisiert das vermeintlich unzumutbare Material. Handelt es sich bei dieser Simulation der Operationen von Hyperkontrollagenturen um Satire oder machen ihre Aktivitäten – und das ganze kulturelle Feld, zu dem sie gehören – Satire überhaupt unmöglich? Was ist eigentlich das Verhältnis zwischen Simulation und Satire? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Ballards Text mit anderen, wirklich »satirischen« Texten vergleichen. Doch zuvor sollten wir uns kurz Jamesons Kommentar zur Ablösung der Parodie durch den Pastiche in Erinnerung rufen.

    Dies ist nicht der Ort, um sich eingehend den Unterschieden von Parodie und Satire zu widmen; wir gehen von der Annahme aus, dass, worin auch immer diese Unterschiede bestehen, es genügend Gemeinsamkeiten gibt, um in Jamesons Analyse behandelt zu werden. Die Parodie hängt, so Jameson, von einer ganzen Reihe modernistischer Quellen ab, die allerdings alle versiegt sind: das individuelle Subjekt, dessen »persönlicher«, idiosynkratischen Stil, wie Jameson ironisch bemerkt, seine Imi­tation überhaupt erst möglich machte; ein starkes histo­ri­sches Bewusstsein, das als sein notwendiges Gegenstück das Vertrauen in wirklich zeitgenössische Formen des Ausdrucks besitzt; und eine Verpflichtung auf ein kollektives Projekt, die das Schreiben motiviert und ihm ein politisches Ziel gibt. Mit deren Verschwinden, so legt Jameson nahe, verschwindet auch der Raum der Parodie. Der individuelle Stil macht einem »Spielfeld einer stilistischen und diskursiven Heterogenität ohne Norm« Platz, so wie auch der Glauben an den Fortschritt und an die Möglichkeit, neue Zeiten in neuen Begriffen zu beschreiben verfällt, um durch die »Imitation toter Stile« ersetzt zu werden, »der Rede durch all die Masken und Stimmen, die im imaginären Museum einer neuen weltweiten Kultur lagern«. Der »neue Analphabetismus« des Spätkapitalismus verweist wiederum auf »Abwesenheit eines großen, kollektiven Ziels.« Das Ergebnis einer solchen tiefenlosen Erfahrung ist, laut Jameson, die Gegenwart der Vergangenheit überall zur selben Zeit und ein Schwinden des historischen Bewusstseins; wir leben in einer »geschichtslosen Welt« die zugleich unfähig ist, irgendetwas anderes als eine neu aufgewärmte Version der Vergangenheit darzustellen. Der Pastiche tritt an die Stelle der Parodie:

    »In dieser Situation findet die Parodie, verstanden als parodistischer Umgang mit einem Original, kein Betätigungsfeld mehr. Sie hat sich überlebt, und die seltsam neue Erscheinung des Pastiche, die Imitationskunst, nimmt langsam ihren Platz ein. Pastiche und Parodie sind Imitationen einer eigentümlichen Maske, Sprechen in einer toten Sprache.«

    Entgegen Jamesons eigener Aussagen über Ballard⁹, besteht ein wichtiger Unterschied zwischen Ballards Text und dem Pastiche in der Abwesenheit jeglicher »Nostalgie« oder eines »nostalgischen Modus« – die in anderen postmodernen Texten ständig präsent sind, wie Jameson zeigt. Tatsächlich machen die textlichen Innovationen Ballards – wie man im Seitenlayout von Die Schreckensgalerie sieht – zu einer Art Anomalie in Jamesons Analyse; in diesem Sinne scheint Ballard eher zum Modernismus, wie Jameson ihn versteht, zu gehören. In anderer Hinsicht jedoch – besonders bezüglich des Verfalls von individueller Subjektivität und dem Scheitern kollektiven politischen Handelns – ist Ballard emblematisch für Jamesons Postmoderne. Anders als der Pastiche imitiert Ballard jedoch keinen »persönlichen oder einzigartig idiosynkratischen Stil«. Der Stil, den Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte imitiert – ein Stil, der dem gesamten Roman eigen ist – besteht gerade im Fehlen jeder Einzigartigkeit: Wenn es irgendwelche Idiosynkrasien gibt, dann gehören sie zum Register der (pseudo-)wissenschaftlichen Reportage, nicht zur Persönlichkeit eines individuellen Subjekts. Die Tatsache, dass der Text von einer politischen Führungspersönlichkeit handelt, weist auf die Abwesenheit einer expliziten – und wenn es um Satire oder Parodie geht, impliziten – politischen Teleologie in Ballards Schriften hin. In diesem Sinn ist Warum ich Ronald Reagan ficken möchte anders als Jamesons Pastiche, »frei von den Hintergedanken der Paro­die«.

    Darin unterscheidet sich Ballards Text von einem klassischen Stück Satire wie Jonathan Swifts Ein bescheidener Vorschlag. Ein bescheidener Vorschlag ist ein paradigmatischer Fall dessen, was Joyce »kinetische« Kunst genannt hat, eine Kunst, die unter spezifischen politischen und kulturellen Umständen entstanden ist und ein bestimmtes Ziel im Blick hat, nämlich das Publikum zum Handeln zu bringen. Swifts politische Motive – seine vernichtende Kritik an einigen grausamen englischen Reaktionen auf die Hungersnot in Irland – zeichnen sich durch einen bestimmten stilistischen und thematischen Exzess aus (ein Exzess, der einigen Lesern von Swifts Text vollkommen entgangen ist, die ihn vielmehr für bare Münzen nahmen). Ballards Text hingegen, der auch unter spezifischen soziokulturellen Umständen entstanden ist, ist gekennzeichnet von Flachheit. Darin geht er (sogar) einen Schritt über Burroughs hinaus. Denn trotz ihres sprachlichen Einfallsreichtums bleiben Burroughs’ humorvolle »Routinen« wie die vom »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner«¹⁰ durch ihre Übertreibung und ihre klare politische Agenda vollständig in der klassischen Tradition der Satire: Indem Burroughs eine Reihe exzessive Tropen verwendet, verspottet er die amoralische Haltung der amerikanischen Technologiewelt. Im Gegensatz dazu »fehlt« Ballards Texten ein Plan für die Leser oder den von Jameson beschriebenen »Hin­tergedanken«; der parodierende Text beruhte immer auf der Wichtigkeit des Parodisten dahinter, dessen implizit angezeigten Haltungen und Meinungen, Warum ich Ronald Reagan ficken möchte hingegen ist so kalt und anonym wie der Text, den er imitiert. Während wir Burroughs über den »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner« und den absurden Exzess der Wissenschaftler lachen hören können, ist die Reaktion Ballards auf die Wissenschaftler, die er imitiert, unlesbar. Was möchte »Ballard«, das der Leser fühlt: Abscheu? Amüsement? Es bleibt unklar und ist auch, wie Baudrillard mit Blick auf Crash¹¹ gesagt hat, irgendwie unaufrichtig von Ballard, dass er seine Texte – durch einleitende Bemerkungen – übercodiert und mit all dem traditionellen Ballast der »Warnung« versieht, dem sie sich selbst offenkundig entziehen. Die Haltung, die Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte annimmt, ist nicht die der (satirischen) Übertreibung, sondern eine Art (simulierte) Extrapolation. Schon

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