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20.000 Meilen unterm Meer
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20.000 Meilen unterm Meer
eBook245 Seiten3 Stunden

20.000 Meilen unterm Meer

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Über dieses E-Book

Welches Seeungeheuer treibt 1866/67 sein Unwesen und bringt reihenweise Schiffe zum Kentern? Oder ist es womöglich ein Unterwasserfahrzeug? Professor Pierre Aronnax, ein versierter Meeresforscher, soll es herausfinden und sticht mit seinem Diener Conseil an Bord der US-Flotte "Abraham Lincoln" im Nordpazifik in See. Doch anstatt auf einen Narwal zu treffen, stellt sich das Ungeheuer als U-Boot heraus, und Aronnax und sein Begleiter werden von der Besatzung und dem geheimnisvollen Kapitän Nemo festgehalten... Eine Untersee-Weltreise beginnt!-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum14. Sept. 2020
ISBN9788726642865
20.000 Meilen unterm Meer
Autor

Victor Hugo

Victor Marie Hugo (1802–1885) was a French poet, novelist, and dramatist of the Romantic movement and is considered one of the greatest French writers. Hugo’s best-known works are the novels Les Misérables, 1862, and The Hunchbak of Notre-Dame, 1831, both of which have had several adaptations for stage and screen.

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    Buchvorschau

    20.000 Meilen unterm Meer - Victor Hugo

    Jules Verne

    20.000 Meilen unterm Meer

    Das geheimnisvolle Unterwasserschiff

    erkundet die Merkwürdigkeiten fremder Meere

    Saga

    20.000 Meilen unterm Meer

    Original:

    Vingt mille lieues sous les mers

    Coverbild/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 1869-1870, 2020 Jules Verne und SAGA Egmont

    All rights reserved

    ISBN: 9788726642865

    1. Ebook-Auflage, 2020

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

    SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

    – a part of Egmont www.egmont.com

    Erstes Kapitel

    Es muß wohl ein Einhorn sein

    Meine Zeitgenossen werden sich noch deutlich jener merkwürdigen Naturerscheinungen erinnern, über die im Jahre 1866 so überstürzende Gerüchte umliefen. Besonders die Bevölkerung der Hafenstädte wurde damals beunruhigt, und bei allen Seeleuten, bei den Kaufleuten und Reedern, den Schiffsherren, Patronen und Kapitänen in Europa und in Amerika gab es viel Aufruhr. Die Offiziere der Kriegsmarine und die Staatsregierungen aller Staaten widmeten der Sache ein besonderes Interesse.

    Die Berichte lauteten dahin, daß einzelne Schiffe seit einiger Zeit einem unerklärlichen und nicht genau zu beschreibenden Gegenstand begegneten: spindelförmig, lang, zuweilen phosphoreszierend und unendlich viel größer und geschwinder als ein Walfisch.

    Überall war das Ungeheuer Tagesgespräch; in den Cafés, in den Journalen, ja sogar in den Theatern. Die Enten bekamen eine hübsche Gelegenheit, Eier in allen Farben zu legen. Die Journale gaben in Abbildungen alle riesenmäßigen Phantasiebilder zum Besten, vom weißen Walfisch, dem erschrecklichen „Moby-Dick" der Hyperboreerländer bis zum maßlosen Kraken, der mit seinen Fühlhörnern ein Fahrzeug von fünfhundert Tonnen umwickeln und in den Abgrund des Ozeans hinabziehen kann.

    Am 13. April 1867 fuhr die „Scotia unter 15° 12’ Länge und 45° 37’ Breite, bei ruhigem Meer und günstigem Wind mit einer Schnelligkeit von dreizehn Knoten und vollkommen regelmäßiger Radbewegung. Am Abend, als die Passagiere eben im großen Salon bei der Tafel saßen, verspürte man einen kaum merkbaren Stoß. Er schien so leicht, daß kein Mensch an Bord beunruhigt wurde, bis die Leute des Schiffsraumes mit Geschrei aufs Verdeck stürzten: „Wir gehen unter!

    Augenblicklich bemächtigte sich der Passagiere eine ungeheure Panik; aber Kapitän Anderson konnte sie beruhigen. Tatsächlich konnte die Gefahr nicht bedeutend werden, da die „Scotia" durch wasserdichte Verschläge in sieben Abteilungen geteilt war, so daß sie leicht einem Eindringen des Wassers standhalten konnte. Der Kapitän begab sich sofort in den Schiffsraum und stellte fest, daß das Wasser in das fünfte Gefach durch ein beträchtliches Leck eindrang. Zum Glück befanden sich die Kessel nicht darin, sonst wären die Feuer mit einem Male ausgelöscht worden.

    Der Kapitän ließ sogleich halten, ein Matrose tauchte unter, um den Schaden zu untersuchen, und es fand sich ein zwei Meter breites Loch im Kiel. So konnte die Scotia nur mit halber Schnelligkeit weiterfahren und kam um drei Tage verspätet in Liverpool an.

    Bei der Ausbesserung stellte man einen regelmäßigen Riß in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks fest. Der Bruch des Eisenblechs zeigte, daß der durchbohrende Gegenstand ausnehmend hart gewesen sein mußte; auch mußte er, nachdem er mit enormer Gewalt eingedrungen war, sich wieder durch eigene Bewegung, in unerklärbarer Weise herausgezogen haben.

    Dieses Ereignis setzte die öffentliche Meinung in leidenschaftliche Erregung. Von nun an wurden Unfälle zur See, deren Ursache man nicht kannte, auf Rechnung des Ungeheuers gesetzt, und dem phantastischen Tier wurden alle Schiffbrüche dieser Art zugeschrieben.

    Da nun, mit Recht oder Unrecht, die Beschuldigung sich erhob, daß der Verkehr in gefährlicher Weise gestört sei, so verlangte das Publikum aufs entschiedenste, die Meere endlich um jeden Preis von dem fürchterlichen Ungetüm zu befreien.

    Zur Zeit dieser Ereignisse kam ich von einer wissenschaftlichen Untersuchungsreise, der mich die französische Regierung als Professor der Naturgeschichte zugeteilt hatte, aus Nebraska in den Vereinigten Staaten zurück. Gegen Ende März kam ich nach sechsmonatigem Aufenthalt in Nebraska mit kostbaren Sammlungen in New York an, und meine Abreise nach Frankreich war auf Anfang Mai festgesetzt. Ich beschäftigte mich eben damit, inzwischen meine mineralogischen, botanischen und zoologischen Schätze zu ordnen, als sich der Unfall der „Scotia" ereignete.

    Bei meiner Ankunft in New York war dieses Ereignis hochaktuell. Die Hypothese einer schwimmenden Insel, einer unerreichbaren Klippe, die von einigen urteilslosen Köpfen aufgebracht worden war, hatte man bereits aufgegeben. Wie sollte denn auch solch eine Klippe, sofern sie nicht eine Maschine im Leib hatte, so reißend schnell die Stelle wechseln?

    Ebenso wurde der Gedanke an einen umherschwimmenden Schiffsrumpf aus dem gleichen Grunde aufgegeben.

    Es blieben also noch zwei mögliche Lösungen der Frage, die beide Anhänger fanden: Die einen hielten den Gegenstand für ein Ungeheuer von kolossaler Kraft; die anderen für ein unterseeisches Fahrzeug von außerordentlicher Beweglichkeit.

    Man erwies mir die Ehre, mich über die fragliche Erscheinung zu befragen. Ich hatte in Frankreich einen zweibändigen Quartanten unter dem Titel: „Die Geheimnisse der großen unterseeischen Tiefe erscheinen lassen. Dieses besonders von der gelehrten Welt gut aufgenommene Buch machte aus mir einen Spezialisten in diesem noch ziemlich unbekannten Gebiet der Naturwissenschaft. Bald mußte ich, aufs Äußerste gedrängt, mich kategorisch erklären. Und der „ehrenwerte Pierre Arronax, Professor am Museum zu Paris, wurde sogar vom New-York-Harald öffentlich aufgefordert, irgendeine Ansicht über die Sache zu formulieren.

    Ich machte mich daran. Ich sprach, weil ich nicht mehr schweigen konnte.

    Bis auf weitere Informationen handelte es sich meiner Vermutung nach um ein See-Einhorn von kolossalen Dimensionen, das mit einem wirklichen Sporn bewaffnet ist, wie ihn die Panzerfregatten haben, denen es etwa an Umfang und Bewegungskraft gleich käme.

    Das Meer ist gerade das beste Element, der einzige Ort, wo solche Riesen — neben denen die Elefanten und Rhinozerosse nur Zwerge sind — entstehen und sich entwickeln können! Die Massen des Ozeans enthalten die größten Gattungen bekannter Seesäugetiere, und vielleicht bergen sie in ihren Tiefen noch manche Mollusken und Schaltiere von erschrecklichem Aussehen. Vormals, in der Urzeit, waren die Landtiere, Vierfüßler, Reptilien und Vögel von riesenhafter Form. Warum sollte nicht das Meer, das sich unveränderlich gleich bleibt, in seinen unbekannten Tiefen noch solche Überreste eines anderen Zeitalters bewahrt haben? Warum sollte es nicht in seinem Schoße die letzten Arten solcher Riesengattungen bergen?

    Doch wenden wir uns aus dem Reiche der Phantasie der bösen Wirklichkeit zu. Die öffentliche Meinung sprach sich damals ohne Widerspruch für die Existenz eines wunderhaften Riesentieres aus.

    Aber sofern die einen nur eine wissenschaftliche Aufgabe darin erkannten, wollten die anderen, mehr positiven Geister, zumal in Amerika und England, das Meer von dem furchtbaren Ungeheuer säubern, um den überseeischen Verkehr zu sichern. Die industriellen und Handelsblätter behandelten die Frage hauptsächlich von diesem Gesichtspunkt aus; alle den Assekuranz-Gesellschaften ergebenen Blätter waren darin einer Meinung.

    Nachdem die öffentliche Meinung sich ausgesprochen, erklärten sich die Vereinigten Staaten zuerst. Man traf in New York Vorkehrungen für eine Expedition zur Verfolgung des Narwals. Eine schnellsegelnde Fregatte, „Abraham Lincoln", wurde instand gesetzt, unverzüglich in See zu stechen. Dem Kommandanten Farragut wurden die Arsenale geöffnet, und er betrieb eifrigst die Ausrüstung des Schiffes.

    Nun aber, wie das meistens geschieht, gerade von dem Moment an, da man entschlossen war, das Ungeheuer zu verfolgen, war es nicht mehr zu sehen. Zwei Monate lang hörte man nicht mehr von ihm reden. Es schien, als habe das Einhorn Kunde von diesem Komplott bekommen. Man hätte zuviel davon gesprochen, vor allem über das Kabel, scherzte man; der schlaue Fuchs habe einige Telegramme aufgefangen und mache sich nun ihren Inhalt Zunutze.

    Als daher die Fregatte für eine weite Bahrt gerüstet und mit allen notwendigen Maschinen versehen war, wußte man nicht, wohin die Fahrt zu richten sei. Endlich verlautete, ein Dampfer von der Linie S. Franzisko in Kalifornien nach Schanghai habe das Tier drei Wochen zuvor in den nördlichen Gewässern des Stillen Ozeans gesichtet.

    Es entstand wieder hellste Aufregung. Man ließ dem Kommandanten Farragut kaum vierundzwanzig Stunden Frist. Seine Vorräte waren eingeschifft, Kohlen in Überfluß, kein Mann der Besatzung fehlte an seinem Platz; man brauchte nur zu heizen, auszulaufen! Nicht einmal einen halben Tag Verzögerung hätte man ihm verziehen! Zudem war der Kommandant selbst voll Eifer.

    Drei Stunden, bevor der „Abraham Lincoln" von Brooklyn abfuhr, erhielt ich folgendes Billett:

    Herrn Arronax, Professor am Museum zu Paris,

    5 Avenue Hotel

    New York.

    Mein Herr!

    Wenn Sie sich der Expedition des „Abraham Lincoln" anschließen wollen, wird die Regierung der Vereinigten Staaten erfreut sein, daß Frankreich durch Sie an dieser Unternehmung sich beteilige. Der Kommandant Farragut hält eine Kabine zu Ihrer Verfügung bereit.

    Ergebenst der Ihrige

    J. B. Hobsen,

    Sekretär der Marine.

    Drei Sekunden vor Ankunft des Briefes von J. B. Hobsen dachte ich ebensowenig das Einhorn zu verfolgen, als die nordwestliche Durchfahrt zu versuchen. Drei Sekunden nachdem ich den Brief des bekannten Sekretärs der Marine gelesen, begriff ich endlich, daß das einzige, wahre Ziel meines Lebens darin bestehe, das beunruhigende Ungeheuer zu verjagen und die Welt von ihm zu befreien.

    Aber ich kam eben von einer mühevollen Reise zurück und sehnte mich erschöpft nach Ruhe. Ich wollte nur meine Heimat wiedersehen, meine Freunde, meine kleine Wohnung im Jardin des Plantes, meine kostbaren Sammlungen! Aber nun konnte nichts mich zurückhalten: Ich vergaß Ermüdung, Freunde, Sammlungen und nahm ohne weiteres Bedenken das Anerbieten der amerikanischen Regierung an.

    ‚Übrigens’, so dachte ich, ‚führt ja jeder Weg nach Europa zurück, und das Einhorn wird wohl so liebenswürdig sein, mich nach den Küsten Frankreichs zu locken! Dieses respektable Tier wird sich sicher in den Gewässern Europas — zu meinem persönlichen Vergnügen — fangen lassen — und ich will dem naturhistorischen Museum mindestens einen halben Meter von seiner elfenbeinernen Hellebarde mitbringen’.

    Einstweilen aber mußte ich den Narwal im Norden des Stillen Ozeans suchen; das hieß etwa das gleiche, wie für die Rückkehr nach Frankreich den Weg zu den Antipoden einschlagen.

    „Conseil!" rief ich ungeduldig.

    Conseil war mein Diener. Ein ergebener Bursche, der mich auf allen meinen Reisen begleitete; ein braver Flamländer, den ich liebgewonnen hatte und der mir’s vergalt; phlegmatisch von Natur, ordentlich aus Grundsatz, dienstbeflissen aus Gewohnheit, ließ er sich durch keine Überraschung irremachen; mit geschickten Händen zu jedem Dienst geeignet, war er niemals mit seinem Rat zudringlich.

    Durch den Verkehr mit den Gelehrten unserer kleinen Welt des Jardin des Plantes hatte Conseil es dazu gebracht, daß er viel wußte. Ich hatte in ihm geradezu einen Spezialisten, der, sehr bewandert in der naturhistorischen Einteilung, mit der Gewandtheit eines Seiltänzers die ganze Stufenleiter der Verzweigungen, Gruppen, Klassen, Unterabteilungen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Untergattungen, Arten und Varietäten auf und ab lief. Aber hier lag auch schon die Grenze seines Wissens. Klassifizieren war sein Lebenselement, mehr aber verstand er nicht. Dehn in der Praxis hätte er nicht einmal einen Pottfisch von einem Walfisch unterscheiden können! Und doch, was für ein braver, tüchtiger Mensch!

    „Mein Herr ruft mich?" Conseil trat ein.

    „Ja, mein Junge. Mach dich fertig und hilf mir! In zwei Stunden reisen wir ab."

    „Wie es dem Herrn beliebt." Conseil war nicht aus der Fassung zu bringen.

    „Jeder Augenblick ist kostbar, also packe in meinen Koffer alles, Kleider, Hemden, Strümpfe, so viele du nur kannst, und rasch! Rasch!"

    „Und des Herrn Sammlungen?" Conseil überlegte alles.

    „Später wollen wir uns damit wieder befassen."

    „Wie? Die Archiotherium, Hyracotherium, Oreodon, die Cheropatamus und andere Gerippe meines Herrn?"

    „Man soll sie im Hotel aufheben!"

    „Und der lebendige Babirussa meines Herrn?"

    „Man soll ihn in meiner Abwesenheit füttern, Übrigens werde ich Auftrag geben, unsere Menagerie nach Frankreich zu befördern."

    „Wir kehren also nicht zurück nach Paris?" fragte Conseil.

    „Ja . . . gewiß . . ., ich wich seinen Fragen aus, „aber auf einem Umweg.

    „Wie es meinem Herrn beliebt."

    „Ja! Ein kleiner Umweg, das ist alles. Wir fahren mit auf dem ‚Abraham Lincoln’!"

    „Wie es meinem Herrn beliebt." Conseil blieb seelenruhig.

    „Du weißt, lieber Freund, es handelt sich um das Ungeheuer . . . den famosen Narwal . . . Wir werden die Meere von ihm befreien! . . . Ein ehrenvoller, aber auch gefahrvoller Auftrag! Diese Tiere können sehr üble Laune haben! Aber trotzdem, wollen wir gehen?"

    „Was mein Herr tut, das tue auch ich." Es klang so selbstverständlich.

    Nach einer Viertelstunde waren unsere Koffer fertig, und ich war sicher, daß nichts fehlte, denn der Junge verstand Hemden und Kleider ebenso gut zu ordnen wie Vögel und Säugetiere. Noch ordnete ich im Kontor meine Rechnungen, gab Auftrag, meine Kisten mit ausgebalgten Tieren und getrockneten Pflanzen nach Paris zu schicken, und eröffnete dem Barbirussa einen hinlänglichen Kredit. Darauf stieg ich in Conseils Begleitung in einen Wagen, und nach einigen Minuten waren wir am Kai, wo der „Abraham Lincoln" schwarze Rauchsäulen emporwirbelte.

    Unser Gepäck wurde gleich aufs Verdeck der Fregatte gebracht, ich selbst eilte an Bord und fragte nach dem Kommandanten Farragut. Ein Matrose führte mich aufs Vorderdeck zu einem Offizier von stattlichem Aussehen, der mir die Hand reichte.

    „Herr Pierre Arronax?" redete er mich an.

    „Der bin ich. Kommandant Farragut?"

    „In eigener Person. Seien Sie willkommen, Herr Professor. Ihre Kabine wartet schon auf Sie."

    Kommandant Farragut war ein tüchtiger Seemann. Er fühlte sich eins mit seinem Schiff, war seine Seele. Über das Seeungeheuer hegte er nicht den mindesten Zweifel, und er gestattete auch nicht, daß an Bord seines Schiffes über die Existenz des Tieres disputiert wurde. Er glaubte daran wie an einen Glaubensartikel. Das Ungeheuer existierte, und er hatte geschworen, die Meere von dem Untier zu befreien. Punktum! Entweder der Kommandant Farragut würde den Narwal töten oder der Narwal den Kommandanten. Ein Drittes gab’s für ihn nicht.

    Die Mannschaft brannte darauf, mit dem Einhorn zusammenzutreffen, die Harpune zu werfen, es an Bord zu ziehen und es zu zerhauen. Sie beobachtete achtsam die Meeresfläche, Übrigens sprach der Kommandant Farragut von einer Summe von zweitausend Dollars, die er ausgesetzt habe — Schiffsjunge, Matrose oder Offizier — wer das Tier signalisierte, sollte sie bekommen. Man kann sich denken, wie alles an Bord der „Abraham Lincoln" die Augen anstrengte.

    Kömmandant Farragut hatte sein Schiff mit allem notwendigen Werkzeug versehen, um das Riesentier zu fischen. Wir besaßen alles: von der mit der Hand geworfenen Harpune angefangen bis auf die explodierenden Kugeln der Geschütze.

    Es fehlte also dem „Abraham Lincoln" nicht an Mordmitteln. Aber er besaß noch mehr, den Harpunierkönig Ned-Land.

    Ned-Land war ein Kanadier von seltener Handfertigkeit, der seinesgleichen in dem gefährlichen Handwerk nicht hatte. Er besaß Gewandtheit und Kaltblütigkeit, Kühnheit und List in besonders hohem Grad, und ein Walfisch mußte schon recht tückisch, ein Pottfisch besonders listig sein, um seiner Harpune zu entrinnen.

    Ned-Land war etwa vierzig Jahre alt, hochgewachsen — über sechs englische Fuß — äußerst kräftig, wenig mitteilsam, manchmal heftig und, wenn man ihn reizte, leicht zornig. Er fiel unbedingt auf.

    Kommandant Farragut hatte klug getan, diesen Mann für sein Schiff zu gewinnen, der allein mit Auge und Arm die ganze Mannschaft aufwog.

    Zweites Kapitel

    Auf gut Glück

    Die Fahrt des „Abraham Lincoln" verlief lange ohne jeden Zwischenfall. Er durchfuhr alle nördlichen Meeresstriche des Stillen Ozeans, lief die signalisierten Walfische an, kreuzte in raschen Wendungen hin und her, ließ keinen Punkt von Japan bis zur amerikanischen Küste undurchsucht. Aber es gab nichts, nichts als das unermeßliche, öde Meer! Nichts, was einem riesenhaften Narwal, einem unterseeischen Inselchen, einer schweifenden Klippe noch sonst etwas Übernatürlichem geglichen hätte.

    Da trat ein Rückschlag ein. Die Entmutigung machte zuerst einer Ungläubigkeit Platz. Es entstand an Bord eine Stimmung, die aus drei Zehntel Scham und sieben Zehntel Zorn bestand. Wie war man doch „einfältig, sich für eine Chimäre gewinnen zu lassen". Jeder dachte nur mehr in den Stunden der Mahlzeit oder des Schlafes daran, die so sinnlos geopferte Zeit wieder nachzuholen.

    So verfiel man von einem Extrem ins andere. Die wärmsten Verfechter der Unternehmung wurden nun zu den ärgsten Schmähern. Die Reaktion befiel alles, vom untern Schiffsraum bis zum Salon der Offiziere, und wäre nicht der Kommandant Farragut so hartnäckig gewesen, so hätte sich die Fregatte wieder entschieden nach Süden gewendet.

    In diesem Sinne machte man dem Kommandanten Vorstellungen. Der aber hielt wacker stand. Die Matrosen verhehlten nicht ihre Unzufriedenheit, und der Dienst litt darunter. Ich will nicht sagen, daß an Bord ein Aufruhr entstand, aber der Kommandant Farragut fand doch, nachdem er geraume Zeit widerstanden, sich veranlaßt, wie einst Kolumbus, drei Tage Geduld zu verlangen. Wenn im Verlauf von drei Tagen das Ungeheuer sich nicht zeigte, sollte der „Abraham Lincoln" die Heimkehr nach den europäischen Meeren antreten.

    Dieses Versprechen wurde am 2. November gegeben. Es hatte zunächst zur Folge, daß der Mut der Mannschaft sich wieder hob. Der Ozean wurde wieder gründlich beobachtet; die Fernrohre kamen wieder in Tätigkeit. Es war wie eine letzte Herausforderung an den Riesen-Narwal.

    Während der nächsten zwei Tage hielt sich der „Abraham Lincoln bei schwachem Dampf. Man gab sich alle Mühe, die Aufmerksamkeit des Tieres, falls es sich in dieser Gegend befände, zu erregen. Es wurden ungeheure Stücke Speck am Schleppseil ausgeworfen — zur großen Befriedigung der Haifische. Die Boote fuhren in allen Richtungen um den „Abraham Lincoln, während er aufbraßte, und ließen keinen Punkt undurchsucht. Aber der Abend des 4. November kam heran,

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