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HUNTER: Thriller
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eBook722 Seiten10 Stunden

HUNTER: Thriller

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Über dieses E-Book

Ein Mann. Ein Wolf. Und eine mysteriöse, gefährliche Kreatur.
"Beste Unterhaltung." - Publishers Weekly
Mit seinen Roman HUNTER setzte James Byron Huggins seinem großen Idol Sylvester Stallone ein Denkmal und schrieb ihm die Rolle des titelgebenden Helden auf den Leib, der in der rauen Wildnis Alaskas eine mordgierige Kreatur aufspüren soll. Lange Zeit wurde sogar erwogen, den Roman als Basis für einen fünften Rambo-Film zu verwenden – am Ende verwarf man diese Idee jedoch zugunsten einer weniger fantastischen Handlung.
Nach aktuellen Informationen plant Sylvester Stallone jedoch James Byron Huggins' Roman mit seiner Produktionsfirma Balboa Productions nun als eigenständigen Film auf die große Leinwand zu bringen.
Nathaniel Hunter gilt als der beste Jäger und Fährtensucher der Welt. Als eine unbekannte, mysteriöse Kreatur eine blutige Spur durch die unwirtliche Wildnis Alaskas hinter sich herzieht, wendet sich das Militär hilfesuchend an ihn. Er soll das Monstrum finden und zur Strecke bringen.
Doch als die Kreatur sich den ersten bewohnten Ortschaften nähert, wird Hunter schnell klar, dass es sich hier um kein gewöhnliches Tier handelt. Diese Bestie ist schneller und kräftiger als jedes Tier, das er bislang aufspüren musste, und sie scheint den Blutdurst und die Instinkte der gefährlichsten Raubtiere aller Zeiten in sich zu vereinen – und eine auf beängstigende Weise beinahe menschliche Intelligenz zu besitzen.
Eine Kreatur, die sich vielleicht nicht mehr aufhalten lässt …
HUNTER ist nicht nur eine Verbeugung vor Sylvester Stallone, einem der charismatischsten Actionhelden der Achtzigerjahre, sondern auch ein Roman, der den Geist der Abenteuer- und Actionfilme aus dieser Zeit wieder aufleben lässt. Eine atemlos spannende Mixtur aus RAMBO und PREDATOR, die seit Jahren darauf wartet, sich ins filmische Lebenswerk Sylvester Stallones einzureihen.
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum21. März 2024
ISBN9783958354197
HUNTER: Thriller

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    Buchvorschau

    HUNTER - James Byron Huggins

    Prolog

    »Der Junge wird in vier Stunden sterben.«

    Die Worte waren kaum zu hören. Zu laut war das Röhren des tieffliegenden Helikopters, der über den dunkler werdenden Himmel schoss, bevor er in den Wolken verschwand. Als er über die Baumwipfel donnerte, die die Lichtung umgaben, wirbelte er einen eisigen Lufthauch auf. Der füllige Mann warf die Zigarre zu Boden und trat sie verärgert aus.

    »Sheriff Cahill«, bellte das Funkgerät im Streifenwagen. Er drehte sich um und starrte geradeaus, das kantige Gesicht im eisigen Winterwind verkniffen. Durchs Autofenster griff er nach dem Mikro. »Hier Cahill.«

    Die Stimme am anderen Ende klang vorsichtig. »Sheriff, Freiwillige, die den Wanderpfad absuchen, haben kein Lebenszeichen von dem Jungen entdeckt. Und die Nationalgarde ist bis zum Cedar-Pass ausgeschwärmt, aber sie haben auch nichts gefunden.«

    Cahill verzog das Gesicht. »Hören Sie«, grummelte er. »Wir haben vier Stunden, bis es dunkel wird. Wenn wir den Jungen bis dahin nicht gefunden haben, wird er erfrieren. Der Wetterbericht sagt, dass heftige Schneefälle aufziehen. Wie viele Vögel haben wir in der Luft?«

    »Sechs.« Das Rauschen in der Leitung wurde lauter. »Aber es ist schwer, durch die Bäume etwas zu erkennen, die Wolkendecke ist zu dicht und nimmt uns das Licht.«

    Cahill fluchte und lehnte sich gegen den Wagen, der sich durch sein Gewicht leicht zur Seite neigte. »Alle sollen in Bewegung bleiben«, sage er. »Wir hören nicht auf, auch nicht, wenn es dunkel wird. Und wenn uns kalt wird, dann denken Sie mal dran, wie sich ein vierjähriger Junge da draußen fühlt.«

    Ein schwarzer Pick-up-Truck hielt neben ihm und Cahill warf das Mikro des Funkgeräts auf den Sitz. Er drehte sich um, als das Geräusch der Kiesel verstummt war, die unter den Reifen knirschten, und schaute überrascht, als ein Mann, gefolgt von einem großen, schwarzen Wolf, aus dem Auto stieg. Der Mann umrundete die Front des Wagens und sah Cahill an.

    »Was gibt’s, Frank?«, fragte er.

    Der riesige Wolf drehte den mächtigen Kopf in Richtung Waldrand.

    Cahill war offenbar verblüfft und brauchte einen Moment, um zu antworten. »Verdammt, Hunter, ich dachte, du wärst mal wieder in der Weltgeschichte unterwegs.«

    »Ich bin vor ein paar Stunden zurückgekommen.« Hunter bückte sich, um die hohen Mokassins neu zu schnüren, die er über ausgebleichten Jeans trug. Sein Hemd war aus braunem, abgetragenem Leder. »Sag mir, was du für mich hast, Frank.«

    Cahill ging einen Schritt auf ihn zu, hatte sich offenbar wieder gefangen. »Also, Hunter, wir haben einen vierjährigen Jungen, der sich irgendwo da draußen verlaufen hat, und der so gut wie tot ist, sobald es dunkel wird, wenn wir ihn nicht bis dahin finden. Ich hab ein paar Deputys, dreihundert Freiwillige und tausend Mann von der Nationalgarde da draußen auf dem nördlichen Bergkamm. Wir haben Hunde auf die Spur angesetzt und sechs Vögel in der Luft. Aber wir finden keine Spur von ihm. Der Junge ist wie vom Erdboden verschluckt.«

    Hunter bewegte sich zielstrebig und mit fast beängstigender Geschwindigkeit, als er ein tragbares Funkgerät aus Cahills Streifenwagen schnappte und rasch an den Gürtel schnallte. Seine Stimme war kalt: »Wo wurde der Junge zuletzt gesehen?«

    »Dort.« Cahill streckte den kräftigen Arm aus. Er klang nervös. »In der Nähe des Gipfels. Er war nur eine Minute unbeobachtet, und die Eltern sagen, er ist einfach zwischen den Bäumen verschwunden.«

    »Was hatte er an?« Hunter steckte Nahrung und ein Notfallset in eine Ledertasche, die er über der Schulter hängen hatte. Eine Feldflasche trug er in einem Lederetui am Gürtel.

    »Ein rotes Hemd, blaue Jacke, alte Jeans und Tennisschuhe«, antwortete Cahill. »Für den Tag war er warm genug angezogen, aber er wird die Nacht nicht durchhalten.«

    Hunter warf sich einen Mantel über die Schultern. Dieser war aus Leder gefertigt und merkwürdig geschnitten, reichte ihm halb über die Oberschenkel. Zwei Kapuzen, die über die Schultern fielen, sahen aus, als sei eine dafür gedacht, den Kopf vor dem Wind zu schützen, während die andere den Regen vom Rücken abhielt. Cahill, der sich schon immer darüber gewundert hatte, wusste, dass Hunter ihn selbst gemacht hatte.

    »Waren schon die Hunde an der Spur dran?«, fragte Hunter.

    »Ja, Hunde. Freiwillige. Jeder, der verdammt noch mal bei der Suche geholfen hat.«

    »Sag ihnen, sie sollen bleiben, wo sie sind.« Hunter runzelte die Stirn, als er in den schnell dunkler werdenden Wald blickte. »Die Spuren sind schon genug versaut.«

    Er sah den riesigen Wolf an.

    »Ghost«, sagte er.

    Mit urwüchsiger Kraft – eine furchterregende, animalische Stärke, die durch ein einziges Wort erweckt worden war – drehte sich der gewaltige Wolf um, die enormen Muskeln spannten sich unter dem schweren, schwarzen Fell. Der riesige Kopf, breit wie ein Amboss, senkte sich zu Boden, während er zum Waldrand trabte.

    »Hey, Hunter«, rief Cahill hinter ihm her. Seine Stimme klang ein wenig nervös. »Glaubst du wirklich, du hast eine Chance? Ich meine, wo doch die Spuren schon so verwischt worden sind?«

    Hunter zögerte. Sein grimmiger Blick – die Augen hatten einen seltsamen blauen Farbton – zeigte eine Entschlossenheit, die noch eisiger wirkte, als die frostige Brise, die über sie hinwegfegte.

    Hunter drehte sich um.

    Er verschwand in der Wildnis.

    Der Winter beschwor einen stärker werdenden Wind, während der Schnee über den kleinen Körper hinweg wehte. Und er spürte die Dunkelheit.

    So kalt …

    Der Junge weinte, umklammerte den eigenen Körper und wünschte sich verzweifelt an einen anderen Ort, einen warmen Ort. Während er heulte, zitterte er und schaukelte auf dem schneebedeckten Boden mit klappernden Zähnen vor und zurück. Er konnte nirgendwohin und nichts tun, als zu weinen.

    Er wünschte sich, jemand würde ihn finden.

    Tief im Wald bewegte sich Hunter wie ein menschlicher Tiger, bückte sich, um den Boden mit schneller Wachsamkeit zu inspizieren. In der Ferne hinter sich hörte er den Helikopter der Nationalgarde, dessen Pilot ihn ziellos und zunehmend verzweifelt hin und her steuerte.

    Er schenkte ihm keine Aufmerksamkeit und bewegte sich schnell voran, wohlwissend, dass Cahill recht hatte. Der Junge würde in der Nacht umkommen, wahrscheinlich innerhalb weniger Stunden. Dann schob Hunter einen Stamm beiseite, unter dem das Kind hindurchgekrochen war, bückte sich und studierte den Boden erneut.

    Der Junge war nach rechts, links und wieder nach rechts gelaufen – so wie es Kinder nun mal frustrierenderweise taten. Deswegen war ein Kind weit schwerer zu verfolgen als ein erwachsener Mann. Ein Mann bewegte sich normalerweise schnell in gerader Linie. Aber ein Kind wanderte ziellos umher, hatte kein Gespür für eine bestimmte Richtung und ließ sich von Kleinigkeiten ablenken.

    Außerdem erkannte Hunter an den schleifenden Spuren, dass der Junge gefährlich erschöpft war. Und während die Kälte seinen Kreislauf verlangsamte, würde er noch desorientierter werden.

    Hunter beugte sich nach unten und las die winzigen, fast nicht erkennbaren Spuren. Hätte der Junge mehr gewogen, wäre es einfacher gewesen. Aber der Junge war so leicht, die Abdrücke so undeutlich, dass er aufpassen musste, sie im schnell verblassenden Licht nicht zu übersehen. Dann hob er das Gesicht in Richtung der untergehenden Sonne und runzelte die Stirn, stellte sich vor, wie sich wohl der Junge fühlte, ängstlich und verirrt und allein in der harschen Wildnis.

    Hunters Blick wurde grimmiger.

    Nein, Junge, du wirst nicht sterben …

    Er hatte eine Stunde gebraucht, um die Spuren zu finden, die von den Suchtrupps verwischt worden waren. Dann, nachdem er ihnen eine weitere Stunde gefolgt war, sah er, wo der Suchtrupp die Spur des Jungen verloren hatte. Und die letzten zwei Stunden hatte sich Hunter gnadenlos angetrieben, sich keine Pause gegönnt.

    Er wusste, er war nahe dran, genauso, wie er wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Er glaubte nicht, dass das Kind viel weiter gekommen war, denn die Spuren – die Abdrücke, die von winzigen Schuhen hinterlassen worden waren – hatten sich immer langsamer dahingeschleppt, ein gefährliches Anzeichen der Erschöpfung. Er sah, dass der Junge sich öfter ausruhte.

    Im Rennen gegen die untergehende Sonne bewegte sich Hunter noch schneller, bückte sich und suchte, sah die Bewegungen des Kindes immer besser voraus, denn er hatte so viele Kinder verfolgt, und wusste recht genau, wie sie sich bewegten. Er hob den Blick, betrachtete einen nahegelegenen Hang und las die nahezu unsichtbaren Spuren, wo der Junge die Anhöhe erklommen hatte. Hunter versuchte die Bewegungen des Jungen vorauszuahnen und suchte nach dem Pfad, den ein Kind nehmen würde.

    Beinahe sofort sah er einen Durchbruch in der Anhöhe – einen Lichtschein – und wusste, dass es die wahrscheinlichste Richtung war. Er bewegte sich erneut schnell voran und stellte sicher, dass er nicht den schwächsten Abdruck übersah, denn er hatte keine Zeit für Umwege. Als er sich der Anhöhe näherte, sah er, an welcher Stelle der Junge gefallen war und er blieb stehen, schaute nach unten. Fast wäre er losgerannt, aber eiserne Disziplin gab ihm die Geduld, den Boden zu studieren und auf Nummer sicher zu gehen.

    Dort …

    Er mustere die kleinen Abdrücke genau und sah, dass sie auf der rechten Seite schleppender wurden. Der Junge war wieder ziellos nach links vom Weg abgekommen. Er folgte den Spuren und ignorierte die brutale Kälte, die ihn einhüllte.

    Ghost trabte locker neben ihm her und Hunter bewegte sich gebückt weiter; schnell, aber vorsichtig, immer aufmerksam, denn er wusste, das Kind konnte jederzeit von seinem Pfad abweichen. Den Sonnenuntergang mit den letzten purpurroten Strahlen würdigte er keines Blickes, während er die Anhöhe entlanglief.

    Die rastlose, stundenlange Hast und außergewöhnliche Konzentration, um die fast unsichtbaren Spuren zu erkennen, forderten ihren Tribut. Aber Hunter wusste, alles hing von diesem Augenblick ab. Es waren nur Minuten, bis es dunkel wurde, und er war ebenfalls nur Minuten von dem Jungen entfernt. Aber er musste das Kind vor Einbruch der Dunkelheit finden, denn selbst er konnte in der Finsternis keine Spuren mehr lesen.

    Ich werde dich nicht sterben lassen, mein Junge …

    Ich werde dich nicht sterben lassen …

    Etwas Riesiges, Dunkles und Furchteinflößendes erschien plötzlich auf dem schattigen Granithang vor ihm. Der Junge sah nach oben und erblickte … einen Mann?

    Einen Mann und … einen Wolf?

    Der Junge sah, wie die schwarzen Augen des Tieres ihn durchdringend anstarrten, sah die leicht entblößten Fänge, die selbst im Mondlicht weiß glänzten, und verspürte neue Angst.

    Dann ließen sich der Mann und der Wolf geräuschlos vom Felsen nach unten gleiten und beugten sich über ihn. Der Mann redete ihm beruhigend zu, während der riesige Wolf eine warme Schnauze gegen seine Wange drückte, ihn zum Lachen brachte. Der Junge hob eine zitternde Hand und berührte die warme, dichte Mähne.

    Ohne ein weiteres Wort wickelte ihn der Mann sanft in seinen Mantel und hob ihn vom unbarmherzigen Boden. Sie bewegten sich durch die Bäume, während der Wind rauschte – die schattigen Blätter und Zweige wischten über ihm dahin, aber berührten ihn nie, denn der Mann hielt ihn mit starken Armen an sich gepresst.

    Ihm wurde wieder warm, er hob die Arme, fühlte die Kraft des Mannes und wusste, dass er sicher war.

    »Bei Gott.« Cahill schüttelte den Kopf. »Ich hätte nie gedacht, dass du das hinkriegst, Hunter.«

    Von Zweigen aufgeschürft und mit blauen Flecken, nippte Hunter einen Moment schweigend an seinem Kaffee, lehnte sich auf Cahills Schreibtisch. Er sah in den Becher, während er redete.

    »Geht es dem Jungen gut?«

    »Ja.« Cahill erhob sich von seinem Stuhl und goss sich eine weitere Tasse ein. Massig, mit breiter Brust und den Armen eines Schmieds, bewegte sich der Sheriff mit der kantigen Grazie eines Schwergewichtsboxers.

    »Der Doc sagt, er ist dehydriert und steht unter Schock, aber sie haben ihn schon ins Warme gebracht. Er hat keine Erfrierungen.« Cahill setzte sich und lehnte sich nach hinten, nahm einen langsamen Schluck. »Die Eltern haben angerufen. Sie wollten sich bei dir bedanken.«

    Hunter nippte am Kaffee. »Sag ihnen, ich bin froh, dass es ihrem Jungen gut geht.«

    Cahill schwieg eine Weile und studierte das Gesicht des Mannes, der vor ihm stand.

    Muskulös und mit einer wilden Mähne schwarzer Haare, die ihm knapp bis auf die Schultern reichte, wirkte Hunter, als stamme er aus einem anderen, primitiveren Zeitalter. Seine Augen lagen unter niedrigen, kantigen Brauen, von den Jahren in der Wildnis braun gebrannt. Die Wangen waren knochig und erhoben sich über einem Mund, der wirkte, wie der einer grimmigen Bronzestatue. Die breiten Schultern, die kräftige Brust und die dicken Arme zeugten von großer Kraft, aber Cahill war bereits früher aufgefallen, dass Hunter eine Stärke zu besitzen schien, die man nicht am Körperbau ablesen konnte. Er hatte schon länger den Verdacht, dass Hunter absichtlich verbarg, worin seine wichtigste, größte und wahre Stärke bestand. Er hatte sich immer gefragt, wieso bei ihm so viel im Verborgenen lag.

    Cahill sagte: »Mit Menschen hast du es nicht so, oder, Hunter?«

    Er wartete. Hunter antwortete nicht.

    Cahill fuhr fort: »Aber du riskierst dein Leben, ebendiese Menschen zu finden, wenn wir schon tausend Leute den Wald durchsuchen lassen, die keine Chance haben.« Cahill schien Hunters Schweigen nicht zu irritieren. »Wie letztes Jahr, als du das Pärchen gefunden hast, das sich unterhalb des Sipsey verlaufen hatte. Du hast sie vier Tage verfolgt, ohne Essen, ohne Unterschlupf.« Er schnaufte. »Die hatten Glück. Und du auch. Die Fährte zu verfolgen, hat dich fast das Leben gekostet.«

    Hunter seufzte und zog zustimmend die Brauen hoch. »Sobald man eine Fährte gefunden hat, ist es am besten, keine Pause zu machen. Je zielstrebiger man ist, desto besser stehen die Chancen.« Er hielt inne. »Aber du hast recht. Das war anstrengend. Genau wie dieses Mal. Der kleine Kerl ist ziellos herumgeirrt.«

    Cahill nickte nachdenklich. »Also, wohin geht’s jetzt?«

    »In die Mandschurei.«

    Cahill lachte laut. »Die Mandschurei! Wozu?«

    »Das Tipler-Institut will, dass ich einen sibirischen Tiger einfange.« Hunter schüttelte den Kopf. »Sie sind ziemlich selten, aber eine Expedition hat kürzlich einen gesehen.« Er zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht, dass er dort ist, aber es wäre möglich. Ich werde es rausfinden, wenn ich dabei nicht ins Gras beiße.«

    Cahill lächelte. »Der alte Doc Tipler lebt also noch.« Dann wurde sein Lächeln dünner und verschwand. »Weißt du, mein Junge, ich habe gehört, ein Tiger ist das Fieseste, was einem auf vier Pfoten über den Weg laufen kann. Schlimmer als ein Grizzly. Und sie benehmen sich auch ein wenig wie ein Grizzly. Die schleichen sich an.«

    Hunter lächelte. »Ja, sibirische Tiger sind die besten Jäger der Welt. Sie machen kein Geräusch, bis sie sich in Bewegung setzen, und sie attackieren immer aus dem Hinterhalt. Ich hab schon mal einen gefangen, aber ich glaube, dieses Mal wird es anders laufen.«

    »Was ist denn daran anders?«

    »Allein die Entfernung.« Hunter stellte den Kaffee auf den Schreibtisch und streckte die Arme. »Wegen des dichten Blattwerks ist die Entfernung für einen Schuss begrenzt. Vielleicht zehn, zwölf Meter.«

    »Glaubst du, du kannst gegen den Wind so nahe an einen Tiger herankommen?«

    »Ich nehme an, das muss ich wohl herausfinden.« Hunters Gesichtsausdruck wirkte zufrieden und entspannt, während er redete. Er stand auf, griff nach der Tür, und Cahill hätte schwören können, dass er den Mann leise lachen hören konnte, als er hinausging.

    Er bewegte sich durch die Nacht, fühlte sich Zuhause in der Dunkelheit.

    Der kalte Wind teilte sich um seinen Körper, brachte die Blautannen, Birken und Fichten ringsum zum Schwanken. Er blieb stehen, atmete langsam und rhythmisch. Erinnerungen strömten auf ihn ein. Er wusste, das Moos unter seinen Füßen gab es hier schon seit tausend Jahren. Der Duft eines Dutzends verschiedenster Pflanzen stieg auf und begrüßte ihn. Er kannte sie alle. Die Rinde eines Baumes in der Nähe stillte Schmerzen, und die Wurzel der Pflanze da drüben konnte seinen Magen füllen. Er kannte ihre Geheimnisse, wusste, wie man sie verwendet, auch wenn es nur als Nahrung war. Und dabei war das nicht mehr das Land, das er gekannt hatte, sondern weit davon entfernt. Er konnte hier überleben.

    Und er konnte weit mehr tun, als überleben.

    Die Wache näherte sich dem Tor.

    Es war Zeit.

    Er wusste, dass er sich bewegen musste, bevor der Hund seine Anwesenheit roch. Ein Jagdinstinkt, klarer als der menschliche Verstand, reiner als jeder Zweck, zog ihn voran.

    Seine menschliche Intelligenz hatte die Oberhand, aber sie wurde verstärkt durch die Instinkte, die durch die fantastische Evolution seines Körpers entstanden waren. Gebückt bewegte er sich mit leisen Schritten voran und tauchte wie ein Gespenst aus der dunklen moosbewachsenen Stille und der Finsternis auf, trat ins Licht eines fahlen Mondes und näherte sich dem Tor fast unbemerkt. Erst im letzten Moment drehte sich ein Wachmann um, sah den phantomhaften Umriss aus der Dunkelheit heraus schreckliche Gestalt annehmen – ein mehr als angsteinflößender Anblick – und schrie ungläubig auf, bevor er herumwirbelte, um das Gewehr durchzuladen.

    Es war zu spät.

    Ein einziger schrecklicher Hieb riss der ersten Wache den Kopf von den Schultern, und die zweite klauenbewehrte Pranke riss dem zweiten Wachmann die Lunge heraus, bevor Hundegeheul vom Zaun erklang. Knurrend drehte sich das Biest um und sah den Schäferhund mit einer Raserei voranstürmen, die jedes menschliche Maß überstieg.

    Eine Klauenhand beschrieb einen Bogen durch die Luft, riss dem Tier das Herz heraus und wirbelte den leblosen Körper zur Seite. Es geschah mühelos, erforderte keinen Aufwand – so leicht war es – und er machte einen Satz nach vorn, um dem Gegner den Rest zu geben, wobei er dem panischen Schuss auswich, den der letzte Wachmann abfeuerte. Er schlug erneut zu.

    Es war schnell vorbei.

    Knurrend stand er über dem dampfenden, roten Schnee und drehte sich um, starrte hasserfüllt die schweren Metalltüren an, die die Einrichtung sicherten. Er stapfte vorwärts, und als er brüllend das Tor erreichte, warf er die enormen Arme in die Luft, ließ sie auf den Stahl herabsausen, wobei er mit einem Donnern die Hälften des Tores zertrennte.

    Die Nachtaugen verengten sich sofort vor dem Licht und er sah eine Menge weiß gekleideter Menschen, die schrien und rannten, rannten und schrien. Er schlug zu, wieder und wieder, während er durch sie hindurchpflügte, um zu töten, zu töten …

    Und zu töten …

    Kapitel 1

    »Fiese kleine Biester, oder nicht?«

    Die Worte, unheilschwanger, kamen von einem grauhaarigen alten Mann in einem weißen Laborkittel. Er saß geduldig da, beobachtete den Schwarm roter Wanderameisen, manche so groß wie sein Daumen, die das angriffen, was er mitleidlos in das Terrarium geworfen hatte. Die Ameisen überwältigten die Ratte in Sekunden, töteten sie augenblicklich mit ihrem Gift und verzehrten sie dann. Nach drei Minuten war nur ein abgenagtes Skelett übrig.

    Dr. Angus Tipler drückte den Knopf der Stoppuhr und sah nach unten. »Ja«, murmelte er, »absolut unbarmherzig.«

    Er wandte sich den anderen im Labor des Tipler-Instituts zu, der führenden kryptozoologischen Forschungseinrichtung weltweit. Sein Gesichtsausdruck wirkte entsetzt. »Was sollen wir mit denen machen?«, fragte er sich selbst. »Sie töten mit Gift, noch lange bevor sie ihre Opfer zerteilen.« Er sah wieder zurück. »Ja, und deswegen müssen wir eine Art … Serum entwickeln, und wenn auch nur, damit uns die Leute nicht ständig auf die Nerven gehen. Hat irgendjemand das Molekulargewicht des Giftes berechnet?«

    Eine Frau beugte sich über ein gewaltiges Elektronenmikroskop in der Mitte des Raumes und murmelte: »Noch nicht, Doktor. Ich brauche noch eine Minute.«

    Dr. Tipler sagte nichts, während er sich wieder dem Terrarium zuwandte, in dem die Ameisen sicher – sehr sicher – eingeschlossen waren. Der Rest des Labors war buchstäblich mit jedem giftigen Tier der Welt gefüllt – Insekten, Säugetieren und Reptilien. Es gab schwarze Skorpione, indische Kobras, Kreuzottern und Steinfische, braune Einsiedlerspinnen und die tödliche Sydney-Trichternetzspinne, die gefährlichste Spinne der Welt. Ein einziger Biss des winzigen Tieres, der fast nicht zu spüren war, konnte einen erwachsenen Mann innerhalb eines Tages töten. Tipler selbst hatte das Gegengift kreiert.

    »Es scheint, dass dieses Gift neuromuskulär wirkt«, sagte er mit kratziger, harscher Stimme in ein Aufnahmegerät. Er gab dem Techniker, der die grausige Episode aufgezeichnet hatte, mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er verschwinden sollte. »Das Gift, egal wo es injiziert wurde, scheint sich im Wirbelkanal auszubreiten und überwindet damit den Pons Varolii, um die unwillkürliche Atmung der Medulla oblongata zu hemmen. Wenn wir nun die …«

    »Dr. Tipler?«

    Tipler zog die buschigen weißen Augenbrauen hoch, als er sich umdrehte, und sah die junge Wissenschaftlerin mit den langen schwarzen Haaren. Die asiatische Frau war sichtlich nervös, weil sie ihn störte, obwohl sie wusste, dass der alte Mann den Ruf hatte, sehr geduldig zu sein.

    »Ja, Gina?« Seine Stimme war sanft. »Was ist los?«

    »Es sind ein paar Herren hier, um Sie zu sehen, Sir.«

    Tipler lachte und winkte ab, als er sich wieder umdrehte. »Es sind immer irgendwelche Herren da, um mich zu sehen, meine Liebe. Sagen Sie ihnen, sie müssen warten. Die Kantine sollte immer noch offen sein. Die servieren ein exzellentes Brathähnchen. Das empfehle ich am liebsten.«

    »Ich glaube nicht, dass die Herren warten wollen, Sir.« Sie trat näher und senkte die Stimme. Ihre Augen weiteten sich. »Es sind drei und sie tragen Uniformen.«

    Tipler lachte kurz und bellend. »Uniformen! Was für Uniformen?«

    »Von der Army, Sir.«

    Tipler lachte wieder und schüttelte den Kopf, als er aufstand. »Okay, Gina. Helfen Sie Rebecca dabei, das Molekulargewicht dieses Giftes zu bestimmen. Und, wenn Sie so freundlich wären, extrahieren Sie das Gift von … sagen wir fünfzig dieser infernalischen Kreaturen. Betäuben Sie sie einfach mit Chloroform und benutzen Sie die Elektroschockmethode – dieselbe Prozedur, die wir bei den Schwarzen Witwen verwenden.« Er nahm mit einem Seufzen die Brille ab und stand auf. »Und ich werde mich um diese ungeduldigen Männer in Uniformen kümmern.«

    »Ja, Sir. Sie warten im Beobachtungsraum.«

    »Danke, meine Liebe.«

    Als er die drei Männer sah, blieb Tipler stehen. Man hatte ihm oft genug gesagt, dass er auf den ersten Blick nicht viel Eindruck machte, also hatte er keinerlei Illusionen. Er war 72 Jahre alt, klein und dick, mit breiten Augenbrauen und schlohweißem Haar, das von der Stirn aus glatt nach hinten gekämmt war. Aber er wusste, dass seine Augen, blau, wie das Wasser der Arktis, ihn von anderen Männern abhoben, wegen ihrer beeindruckenden Farbe und der genauso imposanten Intelligenz, die daraus sprach. Und auch deswegen, weil sie blitzschnell zum Herz eines Problems vordringen konnten. Und es war diese schnelle Auffassungsgabe, eine Mischung aus Wissenschaft und Intuition, die ihn zum besten Paläontologen und Kryptozoologen der Welt machte.

    Die Kryptozoologie war selbst ein relativ unbekanntes biologisches Forschungsgebiet. Weniger als ein Dutzend renommierte Wissenschaftler auf der Welt widmeten sich ihr mit solcher Hingabe. Und wenige Wissenschaftler wussten, dass überhaupt jemand sich damit beschäftigte. Aber es war im Grunde ein systematisches und äußerst strenges Forschungsgebiet, das darauf abzielte, herauszufinden, ob bestimmte Spezies, die als ausgestorben galten, noch auf dem Planeten vorkamen.

    Tipler hatte schon in verschiedenen Phasen seiner Karriere enorme Erfolge erzielt und 1983 in den Anden in Chile die letzten überlebenden Atacama-Kondore entdeckt. Später eine Spezies, die als der Blinde Steinfisch identifiziert wurde. Der Fisch, der in tiefen Wassern lebt, wurde für ausgestorben gehalten, seit dem Paläolithikum, aber Tipler hatte eine Theorie aufgestellt, dass sie immer noch in dem nach Süden fließenden Ostgrönlandstrom existierten, der direkt dem arktischen Meer entspringt. Er vermutete außerdem, dass der Fisch näher am Polarkreis lebte, geschützt von den weitläufigen Polkappen. Aber fehlende Finanzierung hatte eine weitere Erforschung verhindert.

    Seine erstaunlichen Entdeckungen hatten ihm allerdings eine bescheidene, weltweite Bekanntheit eingebracht, die wiederum die Aufmerksamkeit einiger reicher Philanthropen weckte, die der Meinung waren, sein einzigartiges Non-Profit-Unternehmen sei es wert, gefördert zu werden. Also hatte er mit enormer Finanzierung und einer großen, besser ausgebildeten Belegschaft, das Tipler-Institut gegründet. Nun, ein Jahrzehnt später, war er weltweit anerkannt als der führende Experte für unbekannte Spezies und deren Aussterben oder Überleben. In seiner Karriere hatte er sich intensiv mit tödlichen Schlangen, Fischen und Spinnen beschäftigt, und zu seiner Überraschung festgestellt, dass er mit erstaunlichem Talent die molekularen Charakteristiken der verschiedenen Gifte bestimmen konnte.

    Gifte zu erforschen war zu Beginn schlicht eine Möglichkeit gewesen, den wenigen medizinischen Instituten zu helfen, die bereits überfordert waren, die vielen neuen Giftstoffe zu analysieren. Aber er arbeitete erfolgreich mit den Centers for Disease Control zusammen und schloss sich diesen Bemühungen an, indem er in den vergangenen zehn Jahren über ein Dutzend wirksamer Gegengifte synthetisiert hatte. Er empfand das nicht als Ablenkung von seiner Arbeit. Auch wenn er als Autor, Redner und Forscher begehrt war, bestand sein größtes Vergnügen darin, einfach der biologischen Forschung nachzugehen.

    Ab und zu jedoch hatten Behörden außerhalb des akademischen Betriebs seine Hilfe gesucht. Und er hatte gern geholfen. Einmal hatte die Central Intelligence Agency ihn um etwas gebeten, was ihre eigenen Wissenschaftler nicht hinbekamen: Ein Gegenmittel für ein tödliches Gift zu finden, das von Ländern in Nahost eingesetzt wurde. Tipler hatte Erfolg, aber danach nichts mehr davon gehört. Und zuletzt hatte die U.S. Army ihn nachdrücklich darum gebeten, eine Substanz zu identifizieren, die aus ihrem eigenen Abwehrarsenal der biologischen Kriegsführung stammte und Soldaten kampfunfähig machte. Auch dabei war Tipler erfolgreich gewesen und die Synthese des Serums wurde modifiziert. Wieder hatte er danach nichts mehr davon gehört. Aber er wusste, dass sie wiederkommen würden, so wie sie es gerade getan hatten.

    Ein dünnes Lächeln zerknitterte sein kantiges Gesicht.

    Vor ihm stand, das wusste er aus seinen Tagen als Infanterist im Zweiten Weltkrieg, ein Lieutenant Colonel der Army, dessen Rang er am silbernen Eichenlaub auf der Uniform erkannte. Da war noch ein weiterer Mann in Uniform, ein Major, und ein unbekannter Regierungsvertreter in Zivilkleidung. Aber wie immer war es der Mann in zivil, der Tiplers Aufmerksamkeit erregte, denn er war an derlei Täuschungsmanöver gewöhnt. Tipler begrüßte die Gruppe, während der Mann im Hintergrund sich lautlos eine Zigarette anzündete und sich setzte.

    »Dr. Tipler, ich bin Lieutenant Colonel Bob Maddox«, sagte der kleine, grauhaarige Mann betont. »Das ist Major Preston Westcott. Und das« – der Colonel machte eine vage Geste – »ist Mr. Dixon. Er ist ein Vertreter des Innenministeriums.«

    Tipler lächelte, als er den Colonel betrachtete; der Offizier strahlte unhinterfragbare Autorität aus, als würde sein Selbstwert von seinem Rang abhängen. Seine Orden waren hochglanzpoliert, sodass sie auch einem Zivilisten sofort ins Auge sprangen. Er hatte ein pummeliges Gesicht und sein Bauch spannte den Uniformstoff. Er hielte die Hände bei seiner kleinen Ansprache hinter dem Rücken. »Danke, dass Sie uns so kurzfristig empfangen, Herr Doktor. Ich versichere Ihnen, wir werden Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.«

    Etwas in seiner Stimme ließ Dr. Tipler ahnen, dass er bei der Sache keine Wahl hatte, aber er ließ sich nichts anmerken, als er sich an einen Tisch direkt gegenüber dem mysteriösen Mr. Dixon setzte. »Oh, ich bin immer bereit, dem Militär zu helfen, Colonel«, sagte er mit abgewogener Höflichkeit. »Ich habe sogar, wie Sie vermutlich wissen, gerade eine Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam der Army abgeschlossen, bei der es um neue Strategien zum Überleben in der Arktis ging. Also fahren Sie bitte fort.«

    Maddox hatte offensichtlich das Sagen, so schien es Tipler, und Westcott war nur anwesend, um bezeugen zu können, dass das Meeting stattgefunden hatte, oder um geistig ein paar Notizen zu machen. Ihm war noch nicht klar, wozu Dixon dabei war.

    »Das ist einer der Gründe, wieso wir hier sind – Ihre Erfahrungen in der Arktis. Uns ist zudem klar, dass Sie der weltweit führende Experte für Kryptozoologie sind.« Maddox lief vor dem Tisch auf und ab. »Also hatten wir gehofft, Sie könnten uns bei einer bestimmten … Situation weiterhelfen.«

    Tipler entschied sich fürs Erste, das Spiel mitzuspielen. Er würdigte Mr. Dixon keines Blickes. »Vielleicht«, antwortete er nonchalant.

    Maddox ging eindeutig mit Fingerspitzengefühl vor. »Herr Doktor, wir würden Ihnen gern einige Fragen stellen, in Bezug auf ein bestimmtes Raubtier, das man am Polarkreis findet. Im Besonderen eine Spezies, die in Zentral-Alaska und dem Norden vorkommt.« Er machte beinahe behutsam einen Schritt nach vorn. »Vor Kurzem haben wir mehrere Mitglieder einer Eliteeinheit beim Training bei Tierangriffen verloren. Sie wurden getötet. Und wir wollen wissen, was für ein Tier es war.«

    Tipler hörte zu, ohne eine Miene zu verziehen.

    »Bestimmt«, sagte er schließlich, »können Ihnen die offiziellen Wildhüter mehr helfen, als ein alter Knacker wie ich. Und ich bin mir nicht sicher, inwieweit mein Ruf als Kryptozoologe damit zu tun hat. Kryptozoologie ist das Fachgebiet, das sich mit Tieren beschäftigt, die man lange für ausgestorben hielt, die es in Wahrheit aber nicht sind. So wie einige der maritimen Reptilien, die auf einem japanischen Fischerboot, der Zuiyo Mam, an einer Leine angebissen haben, die 300 Meter in den Pazifik reichte, 1977 in der Nähe von Christchurch, Neuseeland. Oder«, konnte Tipler sich nicht verkneifen hinzuzufügen, »vielleicht wie das Monster unbekannten Ursprungs, das die U.S.S Stern Anfang der 1980er-Jahre angriff und das Sonarsystem lahmlegte, indem es hunderte Zähne in den Stahl bohrte. Das wurde von einer Abteilung der Navy dokumentiert und das Schiff vom Naval Oceans Center untersucht. Sie kamen zu der faszinierenden Schlussfolgerung, dass der Schaden am Sonar durch den Angriff eines großen, unbekannten, im Ozean lebenden Tieres verursacht wurde.«

    Maddox schwieg. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Ja, Doktor. Diese Vorfälle sind uns bekannt. Das ist mit Sicherheit eine Bestätigung, dass da … mehr dran ist. Aber wir sind nicht wegen dieser Fälle hier.«

    »Davon bin ich ausgegangen.« Tipler lächelte. »Also, sollen wir zum Grund Ihres Besuchs kommen? Ich stecke bis zum Hals in Arbeit.«

    Bedächtig, fast ängstlich, legte Maddox eine Reihe gruseliger, großer Farbfotos auf den Tisch. Tipler rückte behutsam die Brille zurecht und lehnte sich auf breiten Händen über den Tisch, um sie genauer zu betrachten. Er war so konzentriert, dass es wirkte, als wäre er nach wenigen Sekunden gar nicht mehr richtig anwesend.

    Der alte Mann gab keinen Ton von sich, als er die Fotos studierte, aber mit jedem Bild vertieften sich die Falten auf seiner Stirn. Er schürzte leicht die Lippen, betrachtete eins ums andere noch ausgiebiger, kehrte dann oft zum ersten zurück und inspizierte sie erneut. Schließlich hob er ein einzelnes Foto hoch und hielt es sich direkt vor die Nase, um es sich ganz genau anzusehen. »Colonel«, sagte er und ließ den Blick langsam über die verstümmelten Leichen schweifen. »Dieses Wunden, das war alles dieselbe Kreatur?«

    Die Antwort kam ohne Zögern. »Ja.«

    »Sind Sie da sicher?«

    »Ja, Doktor, wir sind sicher.«

    »Und wie können Sie da sicher sein? In der Wissenschaft gelten sehr strikte Kriterien für diese Sicherheit

    Maddox verzog leicht das Gesicht. »Es gab verschwommene Videoaufnahmen. Man konnte nicht viel erkennen, aber wenigstens einen Blick darauf erhaschen, was immer es auch war. Die Spezies ließ sich nicht bestimmen. Und, unabhängig von dem, was ich vorher sagte, können wir, äh, nicht absolut sicher sein, ob es eines oder zwei davon waren. Nur die Indizien, abgesehen von einigen dieser Fotos, scheinen darauf hinzuweisen.«

    Ohne zu antworten, schob Tipler mehrere der Bilder von massakrierten Soldaten hin und her, bis er das detailreichste und schrecklichste gefunden hatte. Er legte eine Hand darauf und berührte das Abbild der Verletzungen so behutsam, als würden die Soldaten selbst vor ihm liegen. Schließlich murmelte er: »Das ist nicht das Werk eines Ursus arctos horribilis

    Maddox bemühte sich eindeutig, geduldig zu sein. »Könnten Sie etwas genauer sein, Doktor?«

    »Das ist nicht das Werk eines … eines Grizzlys.« Tipler starrte erneut auf das Foto, das er aufgehoben hatte, eine Nahaufnahme von Spuren, die über festen Sand verliefen. Die länglichen Fußabdrücke liefen in gerader Linie über einen Uferabschnitt und verschwanden in der Ferne, aber einige waren bis zu einem Meter seitlich versetzt. Die Spuren verliefen also nicht völlig hintereinander, auch wenn die Kreatur eindeutig geradeaus gerannt war. Im Flusslauf lagen mehrere große Felsen verstreut.

    »Nun …«, fuhr der alte Mann aufrichtig verwirrt fort, »das ist allerdings merkwürdig.«

    »Was?«, fragte Maddox.

    »Dass die Spuren unterbrochen sind.«

    »Das haben unsere Spurenleser auch gesagt, Doktor. Ich meine, trotz der Kameras wollen wir darüber mehr wissen. Glauben Sie, es könnten zwei gewesen sein?«

    Tipler überlegte eine ganze Weile. »Ich bin kein Experte im Spurenlesen, Colonel Maddox. Das kann ich nicht sagen. Aber ich glaube nicht, dass zwei Kreaturen an dieser … dieser Katastrophe beteiligt waren.«

    »Wie erklären Sie dann, dass manche der Spuren so weit von den anderen entfernt sind?«

    »Wie gesagt, Sir, das kann ich nicht erklären.«

    Maddox konzentrierte sich. »Sind Sie sicher, dass es nicht das Werk eines Grizzlys war, Doktor? Oder vielleicht ein Eisbär? Ein Tiger eventuell?«

    »Nein, das war kein Grizzly und auch kein Braunbär«, erklärte der Professor mit leiser Stimme. »Zum einen hat ein Grizzly fünf Krallen. Und was auch immer das angerichtet hat, hatte vier dominante Klauen und eine kleinere. Aber der Pfotenabdruck ist eindeutig … humanoid. Und das«, er machte eine Pause, »ist verdammt merkwürdig.« Lange Stille. »Nein, Gentlemen, das war keine Bärenart. Vielleicht hätte ein Tiger ein so blutiges Gemetzel anrichten können, aber die Spuren sind … einfach … sie erscheinen schlicht zu menschlich. Viel zu menschlich.«

    »Aber es kann doch eindeutig kein Mensch so etwas angerichtet haben, Doktor.« Es war das erste Mal, dass Dixon das Wort ergriffen hatte.

    Tipler hob die Augen und blickte über den Rand der Gleitsichtbrille. »Ich würde mich nicht festlegen, bevor ich die notwendigen Informationen habe, um das zweifelsfrei sagen zu können, Mr. Dixon.« Er lächelte. »Das ist eine Sache der Wissenschaft.«

    Dixon lehnte sich zurück und rauchte schweigend.

    Die Armeeoffiziellen beugten sich vor, als Tipler ein Vergrößerungsglas aus der Tasche zog und das Foto genauer studierte. Schließlich senkte er es zusammen mit der Lupe, aber starrte immer noch vor sich hin. Seine Stimme war ruhig. »Diese Spuren … wie weit sind Ihre Männer ihnen gefolgt, Gentlemen?«

    »Wieso?«, wollte Maddox wissen.

    »Weil sie nicht schränken.«

    »Schränken?«, fragte der Colonel. »Was soll das heißen?«

    »Sie … sie sind nicht auf einer Linie.« Der Wissenschaftler gestikulierte. »Ein Tiger, das einzige Tier auf Erden, das mit solcher Heftigkeit hätte zuschlagen können, schränkt, wenn es geht oder rennt. Das heißt, beide Tatzen auf der linken Seite sind in einer Linie und die auf der rechten. Es sollten immer zwei Pfotenabdrücke nahe beieinander sein, in einer geraden Linie, linke Seite und rechte Seite. Und es sind ebenso eindeutig keine Spuren eines Grizzlys, auch wenn sie von der Größe passen würden.«

    »Ja«, sagte Maddox. »Unsere Spurenleser beim Militär haben uns das auch schon gesagt. Sie haben die Spur verloren, als sie in höheres Gelände führte. Sie sagten, niemand kann einer Spur über Felsen folgen. Das Tier schien zu wissen, dass es gejagt wird.«

    »Die meisten Kreaturen sind intelligenter, als wir glauben, Colonel«, erwiderte Tipler und warf einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu Dixon, der nichts sagte und rauchte. »Nein«, fügte Tipler schließlich hinzu. »Es war kein Tiger. Die Heftigkeit der Attacke würde zu einem Tiger passen, aber es ist nicht katzen- oder hundeartig. Und auch keine große Bärenart. Nein. Was das auch angerichtet hat … es ist bipedisch.«

    Sie warteten, aber der alte Mann steckte nur die Brille wieder in die Tasche seines Laborkittels. Dann legte er die Finger zusammen, trommelte die Fingerspitzen gegeneinander und überließ es ihnen, das Gespräch fortzuführen.

    »Bipedisch?«, fragte Dixon, ohne freundlich zu klingen. »Bedeutet das, was ich denke, dass es bedeutet?«

    »Vermutlich.« Tipler lächelte. »Es bedeutet, was immer Ihre Männer getötet hat, läuft auf zwei Beinen, Mr. Dixon.«

    »Das ist absurd.« Dixon lehnte sich wieder zurück. »Menschen sind die einzigen Kreaturen, die aufrecht gehen, Doktor. Was meinen Sie, von wem die Spuren stammen? Bigfoot? Das Ding muss geschränkt haben, wie Sie sagten. Die Spuren sind nur zu schwierig zu lesen.«

    »Schwierig, ja«, meinte Tipler mit finsterer Miene. »Aber nicht unmöglich. Haben Sie mich deswegen aufgesucht? Weil Ihre Männer Ihnen bereits gesagt haben, dass sie keine Kreatur kennen, die das getan haben könnte? Und nun wollen Sie gern wissen, ob es vielleicht eine unentdeckte Spezies gibt?«

    »Um ehrlich zu sein, der Gedanke kam uns«, entgegnete Maddox. »Und lassen Sie mich hinzufügen, dass die Situation ernst ist, Doktor. Wir haben tote Soldaten in der Nähe einer gesicherten Einrichtung und wir wollen wissen, wie die gestorben sind. Wir wollen wissen, warum sie gestorben sind.«

    Tipler überflog die grausigen Fotos. »Ich kann Ihnen keine Antwort geben, Gentlemen«, sagte er schließlich. »Es gab Spezies von Tieren, bei denen man angenommen hat, sie seien seit hunderttausenden Jahren ausgestorben, und dennoch finden wir Hinweise, dass sie nach wie vor existieren. Aber dieser Pfoten- oder Fußabdruck kommt mir nicht bekannt vor.« Er machte eine Pause und entfernte sich ein Stück von ihnen, bevor er sich umdrehte. »Um Ihre Fragen zu beantworten – um auch nur den Versuch zu unternehmen –, bräuchten wir eine wissenschaftliche Expedition, Speichelproben, Blutproben, Gipsabdrücke der Spuren, Haarproben, Videoaufzeichnungen. Wenn Sie bereit wären, eine Expedi…«

    »Das können wir nicht machen.« Dixon stand auf. »Es gibt Faktoren, die diese Option ausschließen. Wir wollten nur Ihren besten Erklärungsversuch hören, Doktor.« Er machte eine Pause, um es wirken zu lassen. »Das wollen wir immer noch.«

    Tipler erwiderte seinen Blick.

    »Meine Vermutung, Mr. Dixon, ist, was immer das angerichtet hat, verfügt über die Stärke eines Grizzlys, die Schnelligkeit eines sibirischen Tigers und wahrscheinlich auch dessen Fähigkeit, sich anzuschleichen. Und das ist der geschickteste Jäger auf Erden. Wenn es außerdem der ersten Verfolgung durch Ihr Militär entkommen ist, dann gehe ich sicher davon aus, dass es ungewöhnlich intelligent ist.«

    »Also?«, fragte Maddox und versuchte dabei, eine gewisse Autorität auszustrahlen. »Was glauben Sie, was es ist? Geben Sie Ihren besten Tipp ab.«

    Tipler seufzte erneut und sah sich eines der Fotos von den Abdrücken an. »Der beste Tipp sind diese Spuren, Mr. Dixon. Aber ich verstehe nicht, wieso einige davon« – er zeigte auf mehrere – »so weit links von den anderen sind. Ich wüsste nicht, was der Grund sein könnte.«

    Sie tauschten Blicke aus, als der alte Mann sie nacheinander ansah. Einen Moment später begannen sie wortlos ihre Unterlagen zusammenzupacken.

    »Werden Sie dieses Biest jagen?«, fragte der Wissenschaftler interessiert.

    »Ja«, erwiderte Maddox bestimmt. »Das werden wir.«

    »Dann schlage ich vor, dass Sie einen Mann suchen, der möglicherweise seine Spuren verfolgen kann«, sagte Tipler.

    Er zögerte, als lägen wissenschaftliche Leidenschaft und persönliche Loyalität mit etwas anderem, verborgenem im Wettstreit, und starrte das Foto an.

    »Ich kenne einen Mann«, sagte er leise, »der das könnte. Wenn es irgendwer hinbekommt, dann er. Aber ich weiß nicht, ob er mit Ihnen zusammenarbeiten würde. Er hat seine eigenen … Beweggründe.«

    Maddox machte einen Schritt nach vorn. »Wer ist es?«

    Tipler sah mit gerunzelten Brauen leicht zur Seite.

    »Sein Name«, sagte er schließlich, »ist Nathaniel Hunter.«

    Kapitel 2

    Die Brise im Sonnenuntergang trug den süßen Geruch von Berglorbeer. Nathaniel Hunter leerte den schlichten Lederbeutel auf dem Tisch aus. Die Tür zur Hütte war weit geöffnet und ließ den grünen Klang rauschenden Wassers herein. Aber es war nicht das Geräusch, sondern die plötzliche Stille, die ihn aufblicken ließ.

    Wo eben das geschwätzige Gezwitscher der Vögel erklang, die rund um sein Heim in den Wäldern lebten, war es plötzlich unnatürlich still. Er drehte sich, um zur Tür zu sehen, lauschte und hörte einen Wagen, der langsam den einspurigen, unbefestigten Weg herauffuhr. Er war noch eine Meile entfernt.

    Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis sie ankamen. Er erwartete sie auf der Veranda in den alten Jeans, dem Lederhemd und kniehohen Mokassins.

    Einer der Truppe – ein korpulenter Army Colonel – sprach als Erster. Aber es war der Mann im Hintergrund, in Zivilkleidung, der Hunters mürrische Aufmerksamkeit erregte. Er blieb still, aber nicht weit entfernt. Er trug einen Anzug, den man sofort wieder vergaß, und eine dunkle Sonnenbrille, damit man ihm nicht in die Augen schauen konnte. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt und folgte den anderen, wie ein Lehrer, der sicherstellte, dass seine Schüler die übertragene Arbeit auch erledigten. Es war deutlich, wer hier das Sagen hatte.

    »Ich bin Lieutenant Colonel Maddox von der United States Army«, sagte der Mann in Uniform. »Wir würden gern mit Nathaniel Hunter sprechen, wenn es möglich wäre.«

    »Ich bin Hunter«, sagte er mit tiefer Stimme.

    »Nun.« Der Colonel trat mit einem einnehmenden Lächeln vor.

    »Wir hätten gern Ihre Meinung zu ein paar Fotos gehört, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Wenn das ein Problem ist, können wir natürlich ein etwas förmlicheres Treffen vereinbaren.«

    Hunter brauchte eine Weile, bevor er sich der Tür zuwandte und sie hereinwinkte. »Treten Sie ein«, sagte er.

    Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie ihre Erzählung von Blut und Tod im Schnee beendet hatten. Dann legten sie eine Reihe an Fotos auf den klobigen Holztisch der Hütte. Sie wollten seinen besten Tipp hören, was der Killer war, und wissen, ob es mehr als einen gab. Hunter beugte sich über die Fotografien und studierte sie einen Moment. Seine Augen verengten sich, während er die Spuren sowie das Terrain betrachtete.

    Maddox meinte: »Wir wollen wissen, wieso diese Abdrücke so weit von den anderen weg sind.«

    »Wind«, entgegnete Hunter nur.

    Er hörte den Mann, der sich als Maddox vorgestellte hatte, einen Schritt nach vorn machen. »Entschuldigen Sie, aber sagten Sie Wind

    »Ja.« Hunter hatte mit seiner Verwirrung gerechnet. »Diese Spuren daneben verliefen zuerst in einer Linie mit den anderen. Aber der Wind hat sie Zentimeter um Zentimeter verweht. Die anderen Spuren wurden nicht bewegt, weil sie von der nordöstlichen Brise durch diesen Felsen abgeschirmt waren.«

    Maddox wirkte erstaunt. »Wind kann das verursacht haben?«

    Hunter zeigte auf die Spuren. »Diejenigen an der Seite waren zuerst hier, wie die anderen. Sie können die Lücke sehen, die zurückblieb, als sie bewegt wurden. Der Wind hat sie dahin geweht, wo sie jetzt sind.« Er zuckte die Achseln und gab das Foto Maddox. »Das ist ein normales Phänomen auf Sand wie hier. Wollten Sie das wissen?«

    »Oh«, entgegnete Maddox. »Oh, eigentlich, nein. Wir wollten …«

    Eine plötzliche Veränderung der Atmosphäre in der Hütte ließ ihn verstummen. Es war, als wäre der Raum sofort von einer urwüchsigen Kraft erfüllt, etwas zutiefst Wildes. Hunter sah, wie Maddox leicht den Kopf drehte. Er lächelte fast über den verwirrten Ausdruck auf Dixons Gesicht, als er merkte, was hinter ihm war. Langsam schaffte es Dixon, nur mit einer Bewegung des Kopfes, steif nach unten zu sehen. Hunter sah, wie plötzlich Schweiß auf seiner Stirn glänzte.

    Massiv und bedrohlich stand Ghost weniger als einen halben Meter hinter Dixon und Maddox, etwas seitlich von ihnen. Der riesige Wolf war fast komplett schwarz und hatte nur an den Flanken ein wenig graues Fell.

    Ghosts pechschwarze Augen schienen von einem urwüchsigen und raubtierhaften Glühen erfüllt. Schwarze Krallen klickten auf dem Holzboden, als er einen einzigen Schritt nach vorn machte, den Kopf tief über dem Boden, um dann wieder reglos stehenzubleiben. Ghosts unheimliche Stille schien beängstigender als ein Knurren.

    Hunter ließ sie nur einen Augenblick leiden. Mit einem schmalen Lächeln schnippte er mit den Fingern.

    »Ghost«, sagte er.

    Der Wolf glitt harmlos durch die Männer und setzte sich neben Hunter.

    Dieser fragte höflich: »Was wollten Sie sagen, Colonel?«

    Maddox hatte Probleme, ein Wort herauszubekommen. »Ich, äh, ich wollte sagen, dass … äh, wir wollten, dass Sie uns mit … mit … etwas helfen.«

    Hunter lächelte über die zitternde Stimme und bemerkte, dass Major Westcott die Fäuste geballt hatte. Alle schwitzten und Maddox’ Gesicht war blass und wurde mit jedem Augenblick bleicher. Er wusste, das würde den ganzen Tag dauern, wenn Ghost im Raum war. Er sah nach unten und redete so leise, dass keiner der anderen verstand, was er sagte.

    »Raus.«

    Der Wolf bewegte sich mit einer schockierend animalischen Kraft durch die drei Männer hindurch. Dann erreichte er die Tür und verschwand beängstigend lautlos und anmutig. Die Luft vibrierte vor Wildheit, Kraft und seinem Geruch, als er verschwunden war. Aber Hunter wusste, dass Ghost in der Nähe blieb, genau wie er wusste, dass sie den Wolf nicht mehr zu Gesicht bekamen – nie mehr –, außer er wollte es.

    »Meine Güte«, flüsterte Maddox, als er ein Taschentuch hervorkramte und sich das Gesicht abwischte. »Ist das … ist das Ihr Hund?«

    »Es ist ein Wolf.«

    »Ja … ja, natürlich.« Der Colonel warf einen nervösen Blick in Richtung Tür und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Aber … aber was macht er?«

    Hunter sah ihn an, verkniff sich ein Lachen. Es gab keinen Grund, sich über sie lustig zu machen, selbst unfreiwillig. Sie lebten nicht in seiner Welt, obwohl er es geschafft hatte, in ihrer Welt sowohl wohlhabend als auch respektiert zu werden. Er fügte hinzu: »Er macht, was immer er will, nehme ich an. Er kommt und geht.«

    »Ich meine, gehört er Ihnen?«, fügte Maddox hinzu. »Ist er abgerichtet? Kommt er immer einfach so und geht wieder?« Alle drei Männer hatten sich neu positioniert, damit sie die Tür im Auge behalten konnten.

    Hunter zuckte leicht mit den Achseln. »Nein, er ist nicht abgerichtet, Colonel. Und er gehört niemandem. Er kommt, wann er will. Und geht, wann er will.«

    »Aber … wie viel wiegt das Vieh?«, fragte Maddox. »Ich wusste nicht, dass Wölfe so … so groß werden können.«

    »Das kommt auf die Abstammung an«, antwortete Hunter und packte weiter seine Sachen aus. »Die meisten männlichen Wölfe werden um die 45 Kilo schwer. Ghost wiegt etwa 65, mehr oder weniger. Er wird aber nicht viel größer.«

    Maddox begann sich langsam wieder zu erholen und Hunter versuchte die Sache zu beschleunigen. Er wusste, sie redeten immer noch um den heißen Brei herum. Behutsam fuhr er fort. »Also Gentlemen, wenn Sie bereit sind, zu reden, dann können wir vielleicht darüber sprechen, wieso Sie mich sehen wollten. Was wollen Sie?«

    Maddox straffte sich und machte einen Schritt nach vorn. Er zeigte auf die Fotos der abgeschlachteten Soldaten.

    »Wir wollen wissen«, sagte Maddox mit festerer Stimme, »was für eine Kreatur das getan haben könnte. Welches Raubtier könnte durch ein ganzes Platoon marschieren und solch schwer bewaffnete Männer töten?«

    Hunter runzelte leicht die Stirn, sah die Fotos durch und schüttelte schließlich den Kopf. »Vielleicht ein Grizzly«, murmelte er mit wenig Überzeugung in der Stimme. »Aber ich habe meine Zweifel.«

    »Wieso bezweifeln Sie es?«

    »Weil ein Grizzly normalerweise seine Opfer zerfleischt«, antwortete Hunter mit mehr Überzeugung in der Stimme. »Er wird wieder und wieder zubeißen, einem die Kopfhaut, das Gesicht abreißen. Aber was immer das getan hat, tötete mit ein oder zwei Hieben.« Er zeigte auf ein Foto. »Dieser Mann wurde mit einem Schlag getötet. Was immer das getan hat, griff nicht aus Angst oder Wut an.« Er hielt inne und seine Augen verengten sich. »Was das getan hat … hatte einen Grund.«

    »Aber welches Tier würde … ich meine, welches Tier könnte so etwas aus einem bestimmten Grund tun?«

    Hunter schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

    »Aber sind Sie nicht Experte für …?«

    »Colonel«, fiel ihm Hunter ins Wort, »ich betrachte mich nicht als Experten auf irgendeinem Gebiet. Ich tue eben, was ich tue, auf die bestmögliche Weise. Und ich glaube nicht, dass ich Ihnen helfen kann. Ich kann Ihnen nicht sagen, was Ihre Männer getötet hat.« Er wartete. Alle waren von stoischem Schweigen erfasst. »Ich kann Ihnen jedoch sagen, was Ihre Männer tötete, tat es nicht aus Hunger. Auch nicht zur Selbstverteidigung. Und nicht zur Verteidigung des Reviers.«

    »So wie es ein Tiger getan hätte?«

    »Das war kein Tiger.«

    »Wie können Sie da sicher sein?« Maddox wirkte verwirrt. »Haben Sie nicht eben gesagt, Sie sind nicht sicher, was das getan hat.«

    »Weil diese Männer auf ebenem Grund angegriffen wurden, auf freier Fläche.« Hunter war entspannt und seiner Sache sicher. »Tiger tun so etwas nicht. Sie greifen von erhöhter Position oder aus dem Hinterhalt an. Ein Tiger bringt sich nie in eine Lage, in der er die Beute jagen muss. Tiger jagen nicht.«

    »Tiger jagen der Beute nicht hinterher? Wieso?«

    Hunter zuckte die Achseln und nahm weitere Ausrüstung aus seinem Rucksack. »Das weiß keiner. Möglicherweise Instinkt. Vielleicht, weil sie so schwer sind. Aber wenn einen ein Tiger nicht mit drei oder vier Sprüngen erwischt, dann entkommt man ihm vermutlich.«

    Ihm kam eine Idee und er zeigte auf eines der etwas unscharfen Bilder. »Sehen Sie diese Spuren?«, fuhr er fort. »Dieses … Ding … hat sich schnell bewegt und in gerader Linie. Es ist als … ich weiß nicht recht … als hätte es versucht, etwas zu erreichen.« Durch seine eigene Idee neugieriger geworden, sortierte Hunter einige der Fotos und brachte sie auf dem Tisch in eine neue Reihenfolge. »Sehen Sie das? All diese Männer wurden nacheinander umgebracht. Es hat sich durch sie hindurchbewegt, schnell getötet, und ist dann zum nächsten weiter, während es seinen Weg in der gleichen Richtung fortsetzte.« Er schwieg eine ganze Weile. Als er wieder sprach, tat er es mit tonloser Stimme. »Ich bin mir nicht sicher, dass das ein Tier war.«

    Dixon machte langsam einen Schritt nach vorn, beinahe vorsichtig. »Mr. Hunter, das muss ein Tier gewesen sein. Das kann doch zweifellos kein Mensch getan haben.«

    »Glauben Sie, was Sie wollen.« Hunter wirkte unbeeindruckt. »Aber ich habe noch nie ein Tier gesehen, das auf diese Weise getötet hat. Tiere haben Gründe, wie Angst oder Wut oder Verteidigung, wenn sie töten. Und darauf gibt es hier keinen Hinweis. Zumindest keinen, den ich sehen kann. Es hat niemanden zerfleischt, was auf Wut deuten würde. Es hat nicht gefressen. Es hat einfach nur getötet und sich dann das nächste Opfer vorgenommen.« Mit einem leisen, erschöpften Seufzer stand er auf. »Sie wollten meine Einschätzung hören, Gentlemen. Das ist sie.«

    »Was ist mit den Spuren?«, beharrte Dixon. »Sind Sie sicher, dass es keine Bärenspuren sind?«

    »Nein, das ist keine Bärenspur. Nicht mal nahe dran. Das können Ihnen Ihre eigenen Leute auch sagen.« Hunter starrte ihn an. »Wenn ich mich irgendwie festlegen müsste, würde ich sagen, es sind menschliche Spuren.«

    Dixon blinzelte. »Haben Sie jemals ein Tier solche Spuren hinterlassen sehen?«

    »Nein.«

    »Nie?«

    »Nein.«

    Dixon schien leicht aufgebracht, warf aber einen schnellen Blick in Richtung Tür. »Sehen Sie, Mr. Hunter. Uns wurde gesagt, dass Sie ein Experte im Spurenlesen sind. Und bitte sagen Sie mir nicht, das wären Sie nicht. Wir haben Sie überprüft.«

    Hunter lachte leise.

    »Ja, das tun wir bei jedem«, fuhr Dixon fort, als hätte er den Gesichtsausdruck schon tausende Male gesehen. »Nathaniel Hunter. Aufgewachsen in der Wildnis Wyomings. Ihr Vater ist gestorben, bevor Sie geboren wurden, und ein alter Trapper und eine indianische Frau vom Stamm der Sioux haben Sie aufgezogen. Der Trapper hat Ihnen bereits als Kind beigebracht, Spuren zu lesen, und Sie sollen angeblich der beste Fährtensucher weltweit sein. Eine Art Legende. Man sagt, Sie können einen Geist im Nebel verfolgen, und Sie wurden schon von der Polizei eingesetzt, um Kinder in der Wildnis zu finden, wenn alle anderen versagt hatten. Und Sie haben Tiere aufgestöbert, die so kurz vor der Ausrottung stehen, dass es nur noch eine Handvoll davon gibt. Dann, als Sie 20 waren, haben Sie am Amazonas eine Baumart entdeckt, die eine bessere Behandlung von Hirnhautentzündung ermöglicht. Sie haben die Entdeckung für etwa 20 Millionen an ein Pharmaunternehmen verkauft. Und seitdem haben Sie noch ein weiteres Dutzend Pflanzen entdeckt, die gegen verschiedene Viruserkrankungen helfen. Ja, und ich weiß auch, dass diese alte Hütte nicht Ihre einzige Behausung ist. Sie besitzen ein Penthouse in New York, gefüllt mit Kunst und alten Büchern im Wert von etwa 20 Millionen Dollar, eine Wohnung in Paris, die so vollgestopft ist mit seltenen Artefakten, wie das Smithsonian. Sie können reisen, wohin Sie wollen; tun, was Sie wollen. Sie sind der Hauptgeldgeber des Tipler-Instituts.« Dixon schüttelte den Kopf. »Sie stecken voller Überraschungen, Hunter. Sie haben all die Kohle und geben kaum einen Cent für sich selbst aus. All die Luxusapartments sind leer und Sie verbringen den Großteil Ihrer Zeit hier in dieser alten Hütte.« Er schnaubte. »Sie haben viele Facetten, okay, aber worüber sich alle einig zu sein scheinen, ist, dass Sie eine Art Wildnisguru sind. Also haben Sie sicher einen Verdacht, was das sein könnte. Auch, wenn es nur eine Vermutung ist.«

    Hunter sah Dixon in die Augen und gab sich wenig Mühe, dabei freundlich auszusehen. »Ich habe die Bilder bereits untersucht«, sagte er. »Die Spuren sehen vage nach einem Bären aus, aber sie sind zu sehr verwischt und verweht, also kann man es schwer sagen. Und das Ding läuft auf zwei Beinen, demnach bewegt es sich nicht wie ein Bär, der entweder rennt, galoppiert oder geht. Das Ding hier, was immer es auch sein mag, wiegt vermutlich über hundert Kilo und ist rechtshändig. Es sieht häufig nach rechts und macht alle 15 Meter eine Pause. Es läuft vornübergebeugt, wenn es sich bewegt, als würde es schleichen. Und wenn es sich dreht, dann auf beiden Füßen gleichzeitig. Beim Töten schlägt es von rechts nach links und legt sein Gewicht auf das linke Vorderbein, wie ein Boxer.«

    Verblüffte Stille.

    Maddox war der Erste, der die Stimme wiederfand. »Das können Sie alles aus diesen Fotos herauslesen?«

    Hunter nickte.

    »Aber … wie?«

    Hunter wedelte mit der Hand in Richtung der Bilder. »Genau hinsehen, Verschleifung und Verdichtung, Abrollspuren, Muster, Winkel der Spuren zur Laufrichtung, Krümmung. Einfache Dinge, Colonel.«

    »Aber unsere Spurenleser … konnten uns das nicht

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