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Mörderklima: Klima Krimi
Mörderklima: Klima Krimi
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eBook319 Seiten4 Stunden

Mörderklima: Klima Krimi

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Über dieses E-Book

Der erste deutschsprachige Klimawandel-Krimi, der die wissenschaftlichen Hintergründe aufzeigt.

Die Klimakrise hat ganz Deutschland im Griff. Klimawandelleugner versuchen mit allen Mitteln die Bedeutung des menschengemachten Klimawandels herunterzuspielen und scheuen sich dabei nicht, kriminelle Methoden anzuwenden.
Privatdetektiv Georg von Gleiwitz steht vor seinem bisher schwersten Fall. Der blaublütige Privatdozent muss drei mysteriöse Todesfälle im Elfenbeinturm der Wissenschaft auflösen: Wer hat die Datenbasis des Forschungsverbunds ClimateSave manipuliert? Warum stürzte die Ökonomin Frieda vom Forschungsprototypen eines Windrads in den Tod? Handelte es sich bei der Schlaftablettenüberdosis der Soziologin Barbara um Mord oder Selbstmord? Und: Wollte Professor Meyer durch seine effektvoll in Szene gesetzte Selbststrangulation die Öffentlichkeit wachrütteln, um gegen die gesellschaftliche Klimahysterie vorzugehen?
Von Gleiwitz muss all seine detektivischen Fähigkeiten in die Waagschale werfen, um den Geheimnissen des Falls auf die Schliche zu kommen. Dabei erwartet ihn manch böse Überraschung. Nicht nur die Leugner des Klimawandels bedrängen ihn, sondern auch seine Kollegin Tabea rückt ihm auf die Pelle. Dabei weiß Georg immer noch nicht, was seiner großen Liebe Anna, an der noch immer sein Herz hängt, vor Jahrzehnten zugestoßen ist.
SpracheDeutsch
Herausgebermainbook Verlag
Erscheinungsdatum21. Aug. 2020
ISBN9783947612925
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    Buchvorschau

    Mörderklima - Stefan Schweizer

    Vorstadt

    1.6. Oktober 2020, nahe Bremerhaven

    Oh mein Gott! Wie sollte sie das nur durchstehen, wenn alle guten Geister und die Nerven sie verließen? Ihre Allüren musste sie schleunigst in den Griff kriegen. Aber sie fühlte sich schlecht wie schon lange nicht mehr. Dabei galt es, Stärke zu zeigen. Jetzt, im alles entscheidenden Moment. Aber ihr war die ganze Zeit über nicht wohl. Erpressung war nicht ihr Ding und schon gar nicht diese perfide Art von Erpressung! So was von gemein und niederträchtig. Ihr wurde schwindelig, am liebsten hätte sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Wenn es nur schon vorbei wäre. Sie zupfte an dem edlen, silbernen Hochkaräter herum, den sie von ihrer Großmutter vererbt bekommen hatte. Sie war nervös, zappelig und verspürte starke innere Unruhe. Was sollte sie tun? Es hing zu viel für sie davon ab. Genau betrachtet ging es um Beruf, privates Glück und ihre Zukunft. Also blieb ihr nichts übrig, als es durchzuziehen. Ohne nach links oder rechts zu schauen. Einfach durch und weiter. Sie schauderte vor Kälte und Anspannung, wobei sie den eleganten und komfortablen Burberry-Trenchcoat fester um sich zog. Sie besaß ein Faible für hochwertige Kleidung. Ohne einer bestimmten Stilrichtung anzuhängen. Ihre Garderobe musste teuer, von erlesenem Geschmack sein und was hermachen. Es war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit. 5° Celsius. Vor Kurzem hatte es geregnet. Der Wind pfiff unerbittlich und sie fror wie ein frisch geschorenes Schaf auf einer schottischen Weide, da die feuchte Kälte an ihr hochkroch. Es war heute nicht richtig hell geworden und nun war es am frühen Abend beinahe stockdunkel. Dennoch thronte die verspiegelte und vergoldete Ray-Ban-Sonnenbrille auf ihrem Haupt, die ihr Sicherheit verlieh. Ein goldener Oktober sah anders aus und von Klimaerwärmung war nichts zu spüren. Wer da von globaler Erderwärmung und Gefährdung der Menschheit fabulierte, der sollte sich hierhin stellen und sich seinen Allerwertesten abfrieren. Der Turm ragte wie ein weißer Riese in den Himmel, seine drei Rotorblätter drehten sich schnell. Obwohl kein Ton zu vernehmen war, kam es ihr vor, als ob das Zusammenspiel von Nabe, Rotor und Gondel unheimliche Geräusche verursachte, die wie Ächzen und Wehklagen klangen. Sie erinnerte sich an Berichte über empörte Anwohner*innen, die behaupteten, dass die Windräder Lärm verursachten. Das war umstritten, aber hier herrschte wirklich die Ruhe vor dem Sturm. Mit etwas Fantasie sahen die Rotorblätter aus wie Arme, die anämisch im Kreis ruderten. Wie andere Windkraftanlagen war auch diese auf einem Plateau errichtet worden, damit sie die Windverhältnisse optimal ausnutzen konnte. Bei dieser Kleinwindenergieanlage handelte es sich um den Prototypen eines großen, internationalen Forschungsverbundes. Das Ding war Millionen wert und sollte es sich durchsetzen, winkten immense Gewinne. Der Clou an diesem Windrad war die Aussichtsplattform. Diese Witzfigur von Soziologie-Professor hatte sich doch tatsächlich erdreistet zu behaupten, dass eine Aussichtsplattform auf den Windrädern die soziale Akzeptanz derselben erhöhen würde. Stimmte schon, die meisten Anwohner*innen wollten keine Windkraftanlagen in ihrer Nachbarschaft, da sie die Grundstückspreise senkten – da halfen auch in Aussicht gestellte Kompensationszahlungen nichts. Der Soziologe behauptete, dass es gut wäre, erst einen Prototypen mit der Aussichtsplattform zu bauen und diese dann für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dadurch würden die Anwohner*innen zugleich von einem Nutzen der Windkraftanlage profitieren. Zu vorgerückter Stunde hatte er einmal behauptet, dass es sogar denkbar wäre, eine Bar oder ein Restaurant in das Windrad zu integrieren.

    Mit sich steigernder Verzweiflung blickte sie an dem über hundert Meter hohen Ungetüm empor und das visuelle Ineinander-Übergreifen der Rotoren und der schnell vorbeiziehenden Wolken verursachten ein heftiges Schwindelgefühl. Also blickte sie auf den Boden, stützte sich am kalten Metall des Turmes ab, spähte umher, konnte aber nichts erkennen. Undenkbar fand sie, dass in solch einem seltsamen Bauwerk eine Bar oder Ähnliches wäre. Schon die provisorische Aussichtsplattform da oben war beileibe abenteuerlich genug …

    Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Jetzt nicht durchdrehen. Wenn du cool bleibst, wird alles gut. Dann kannst du erreichen, was du dir vorgenommen hast. Alles, was das Leben dir zu geben bereit ist.

    Ein Blick auf die für ihren Geschmack viel zu kleine goldene Rolex versetzte sie in Rage.

    19.25 Uhr.

    Ihr Tête-à-Tête war zehn Minuten zu spät. Ein absolutes No-Go. Wenn sie etwas hasste, dann war es Unzuverlässigkeit. Das sollte die Schlampe ihr büßen. Schon alleine für die Unverfrorenheit, dass sie sie hier warten ließ, hatte sie die denkbar schlimmste Strafe verdient. Und wenn sie an die Geschichte von früher dachte, die nachdrücklich ihr Leben geprägt hatte, dann schürte es ihr den Hals zu und es fiel ihr schwer, regelmäßig zu atmen. Das war längst nicht vergessen und vergeben gleich gar nicht. Vernichtung hieß ihre Agenda. Auch wenn sie mit dem Weg dahin nicht einverstanden war und der Plan nicht von ihr stammte. Wie kompliziert das alles war und noch werden konnte.

    Plötzlich hörte sie ein scharfes: „Du wolltest mich also dringend sprechen?"

    Der Schreck fuhr ihr in alle Glieder. Die Stimme kam aus dem Off, überraschte sie in ihrer Gedankenwelt und langsam begriff sie, dass sich ihre Kontrahentin von hinten angeschlichen hatte. Sie musste durchatmen, Kontrolle gewinnen und Sicherheit ausstrahlen. Nicht ganz einfach. Sie überlegte sich, ob sie ihr eine runterhauen sollte, entschied sich aber lieber dafür, die Augen zu schließen und sich eine grüne Wiese vorzustellen. Als sie sie wieder öffnete, lächelte die Tonne boshaft und von oben herab. Aber dieses dümmliche Grinsen würde ihr vergehen, wenn sie alles auf den Tisch gepackt hatte. Schon alleine ihr Aussehen war das Letzte. Sie war mindestens zwanzig Kilogramm zu schwer und ihre adipöse Erscheinung wirkte wie ein gigantischer Schutzwall. Wie manche Männer so etwas mögen konnten, war ihr ein Rätsel. Das hatte mit weiblichen Rundungen und Reizen nichts mehr zu tun. Das war pures Fett und sah fehl am Platz aus. Ihr Gesicht war bestenfalls ein pausbäckiges, dumm drein glotzendes Mondgesicht. Und dann diese furchtbare Kleidung. Ohne Geschmack und Stil. Eine visuelle Katastrophe, die ‚Tritt mich, ich bin hässlich, dumm und fett!‘ schrie. Alle Kleidung in kackbraun – immerhin ging sie mit den Jahreszeiten, hihihi. Bequeme Öko-Treter, bestimmt von Hess Natur oder solch einem Ich-bin-ein-guter-und- verantwortungsvoller-Mensch-Laden, darüber eine feine Stoffhose, die sicherlich nicht günstig gewesen war, aber wie ein Kartoffelsack im Zeltformat wirkte. Die Allwetterjacke verstärkte den Eindruck einer Alternativen-Fair-Trade-Trulla, was durch das elegante Seidentuch, das sie wie einen Schal um den verfetteten Hals gewickelt hatte, konterkariert wurde. Alles sah degoutant aus und passte nicht zusammen. Das Make-up verstärkte den negativen Eindruck. Zum Glück konnte sie die Schminke nicht genau erkennen, denn bei so viel ökologischer Korrektheit und schottischer Sparsamkeit am falschen Fleck wäre ihr vermutlich noch übler geworden. Es passte nichts zusammen und herauskam ein belangloses Sammelsurium, das wie beliebig hin geklatscht wirkte. Und dann wagte sie in ihrer bodenlosen Dummdreistigkeit den Mund aufzumachen und sie blöd von der Seite anzuquatschen, anstatt ihr den nötigen Respekt zu zollen.

    „Findest du es nicht ein wenig melodramatisch, sich ausgerechnet hier zu treffen? Am frühen Abend und ganz alleine? Nicht einmal in mein Büro wolltest du kommen. Möchtest du Feldstudien betreiben oder sicher gehen, dass niemand unser Gespräch mithört? Ist es wirklich so dringlich und geheimnisvoll? Oder machst du dich mal wieder wichtig? Viel heiße Luft um Nichts? Das ist es doch immer gewesen. Ganz viel heiße Luft um Nichts. Nicht wahr?"

    Die dumme Kuh gackerte selbstverliebt los und gluckste ein wenig. Schluss damit! Es war an der Zeit, andere Seiten aufzuziehen und die Initiative zu gewinnen.

    „Hallo meine Süße. Gut siehst du aus. Beinahe wie früher. Nur, dass die viele Schokolade und die unzähligen Bio-Fertiggerichte dich etwas unförmig haben werden lassen. Man sollte auch von dem Bio-Kram nicht mehr als zwei Mahlzeiten am Abend essen. Und Fett bleibt nun einmal Fett, ob biologisch oder konventionell hergestellt. Aber darum geht es nicht. Was ich dir zu sagen habe, wird dein Leben grundlegend verändern."

    Ein klein wenig verlor die Fassade der adipösen Mitvierzigerin an Selbstsicherheit. Treffer! Ha, das verlieh ihr Auftrieb.

    „Deine berufliche Existenz hängt von mir ab. Das macht dir doch hoffentlich keine Angst. Oder etwa doch?"

    Jetzt genoss sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

    Ihre Überlegenheit war auf einen Schlag verschwunden. Stattdessen breiteten sich Fragezeichen, Zweifel und Angst auf ihrem Gesicht aus. Wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie diesen Augenblick für die Ewigkeit auf Zelluloid gebannt. Oder in einem Gemälde.

    „Ich möchte dir etwas zeigen, setzte sie nach und schloss die schwere Sicherheitstüre auf, die in das Innere des Windrads führte. „Dazu müssen wir nach oben, fügte sie hinzu und zeigte auf den steilen Aufstieg, der aus einer einfachen Metallleiter bestand.

    Jetzt bebte sie vor Freude, da sie pure Panik bei der ihr seit Jahren verhassten Person spürte. Diese Vibes verschafften ihr ein unvergleichliches High. Oh, es war so unbeschreiblich schön, Macht zu besitzen und einen anderen Menschen zu zerstören.

    „Nach dir, bitte!, zirpte sie mit ihrer süßesten Stimme. „Es wird nicht lange dauern.

    Voller Vorfreude stellte sie sich das Erstaunen vor, wenn sie die Bomben platzen lassen würde. Das hatte nicht nur etwas mit dem Beruf zu tun, sondern lag im zutiefst persönlichen Bereich … Das Glück, das sie bei dieser Vorstellung verspürte, bedeutete ihr inzwischen beinahe alles.

    Jetzt, da sie auf der Plattform angelangt war, war sie erstaunt, wie schlecht alles abgesichert war. Es machte einen gewaltigen Unterschied aus, über Dinge in der Theorie zu schreiben und sie dann Realiter zu sehen. Auf der anderen Seite waren Ingenieure und Konstrukteure für die Herstellung des Produkts verantwortlich, während sie sich um die ökonomischen Aspekte kümmerte. Bei ihr ging es um andere, aber nicht minder wichtige Fragen, als die der Stabilität und Funktionalität. Das die Gondel bis zur Nabe umzäunende Außengeländer ging ihr zwar bis knapp über die Hüfte, bestand aber nur aus zwei Drahtseilen. Der Abstand zwischen den Seilen war abenteuerlich groß. Natürlich würde die Sicherung bei dem Windkraftrad ganz anders aussehen, sollte es in Serie hergestellt werden. Wenn sich schließlich Anwohner*innen und Tourist*innen auf die Plattform begaben, um die sie umgebende Natur zu bestaunen und eventuell sogar noch ein Getränk zu konsumieren, dann mussten besser schützende Geländer her. Windkrafträder mit Aussichtsplattform gab es bisher nur ganz selten in der Welt und ein solches wie hier noch nirgends sonst. Das konnte sich aber bald ändern, glaubte man den neuen Forschungsergebnissen. Die integrierte Aussichtsplattform zu besseren Akzeptanzzwecken war ein Novum und sollte die deutsche Energiewende entscheidend voranbringen. Die Aussichtsplattform an sich war zwar nicht neu, aber die Konzeption sah ja vor, dass diese ein wesentliches Element der Windkraftanlage sei, um deren soziale Akzeptanz zu fördern. Wie ein Mantra hatten die Sozialwissenschaftler den einfachen Gedanken erklärt: Wenn die Menschen erst die wunderbare Aussicht von dem Windrad entdeckten, so der Gelehrte der Gesellschaftswissenschaften, dann wären sie in der Lage, es als wichtigen Bestandteil ihrer natürlichen Umgebung anzusehen. Natürlich war die hiesige Plattform ein Provisorium. So etwas wäre für den öffentlichen Zugang äußerst riskant. Aber den am Projekt beteiligten Wissenschaftler*innen traute man offensichtlich zu, dass sie nicht Gefahr liefen, zwischen den Stahlseilen in die Tiefe zu stürzen. Als knallharte Ökonomin hielt sie den sozialen Aspekt der Akzeptanz für übertrieben, unnötig und viel zu kostspielig. Aber so war das mit inter- und transdisziplinären Wissenschaftsprojekten eben. Jeder noch so kleine und häufig unnötige Wunsch musste berücksichtigt werden.

    Sie erinnerte sich, vor Kurzem selbst in einem Forschungsbericht geschrieben zu haben, dass es sich bei der Windkraftanlage um einen vielversprechenden, sprich lukrativen, Prototypen handelte, an dem einige Riesen der Energiewirtschaft brennend interessiert waren, was vor allem mit technischen Neuerungen bei der Stromproduktion zusammenhing. Bis das Ding aber Produktionsreife erlangte und die fette Kohle brachte, vergingen einige Jahre. Und dann gab es ja noch Leute wie ihre Feindin, die nach der gesellschaftlichen Akzeptanz eines solchen technischen Geräts fragten. Als ob es nichts Sinnvolleres zu tun gäbe. Ach, wie einfach es wäre, jemanden hier in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Das wäre eindeutig simpler, als das volle Programm durchzuziehen. Auf der anderen Seite würde diese Vorgehensweise ihrer Feindin die unsäglichen Leiden und Qualen ersparen, die sie feinsinnig und detailliert ersonnen hatte. Also, wieso nur hegte sie solch düstere Gedanken, die sie um den Ertrag ihrer mühsamen Arbeit bringen würden? Weil ihr bitterkalt war? Weil sie außer Atem war – wegen der vielen Stufen? Weil sie ihre neuen Stiefeletten ruiniert hatte? Weil sie nicht wusste, wie die andere reagieren würde? Vielleicht war ihr ja alles gleichgültig und sie nahm es anders auf als geplant? Nein, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Denn in ihren Plänen hatte sie jede feine Nuance bedacht. Also, wenn sie es bei rechtem Licht besah …

    2.21. September 2020, Potsdam, Berliner Vorstadt

    Draußen stürmte es heftig, die düsteren Wolken zogen hastig über das Firmament. Noch regnete es nicht. Georg überlegte scharf und legte seinen Kopf vertrauensvoll in seine beiden langgliedrigen, aber feinen Hände, die sich samtweich anfühlten. Ein Blick aus dem hohen, beinahe bis zum antiquierten Kirschbaumparkettboden reichenden Fenster zeigte ihm, wie schön und behaglich es drinnen war. Die pompös angelegte Gartenanlage befand sich im Dunklen, während Bäume, Sträucher und andere Pflanzen vom Wind wie Spielzeug hin und her geschüttelt wurden. Lediglich der mit Wappen und Adligen aus vergangener Zeit verzierte Marmorbrunnen in der Mitte der Kiesauffahrt, die sich irgendwo im Nichts verlor, zeigte sich von den Wetterkapriolen unbeeindruckt.

    Georg massierte sich sanft mit seinen Fingerspitzen die hohen, edlen Wangenknocken, um die Anspannung ein wenig zu lösen. Das seinem Mund entweichende, eher banale und nichtssagende „Uff!" stand ein wenig im Kontrast zu seiner exquisit gekleideten Person, die sowohl einem ersten, als auch einem zweiten Blick standhielt.

    Aller Anfang ist ja bekanntlich schwer, aber dieser hier hatte es ganz besonders in sich. Er presste die vollen, aber fein geschwungenen Lippen entschlossen aufeinander und seine hellblauen Augen funkelten vor Energie und Lebensfreude. Sorgfältig wägte er die Worte ab und spielte mehrere Satz-Varianten im Geiste durch. Aber er war nicht recht zufrieden. Keine der Möglichkeiten schien ihm für sein Vorhaben gut genug zu sein. Wie musste der erste, perfekte Satz eines wissenschaftlichen Aufsatzes aussehen? Eigentlich ein einfaches Unterfangen, denn er musste so eindrücklich und so wahr wie möglich sein. Das sagte sich leicht, war aber schwer zu realisieren. Lamentieren half nicht, denn das war sein Job, der ihm Freude bereitete und ihn erfüllte.

    Der Klimawandel bildet eine universale, die Menschheitsgeschichte begleitende Konstante, welche das Dasein und das Zusammenleben der Menschen seit jeher geprägt und sogar bestimmt hat.

    Ihm war aus seiner Lebenserfahrung heraus klar, dass es bei einer wissenschaftlichen Abhandlung nie bei einem einzigen Versuch eines ersten Satzes blieb. Der ihm jetzt vorliegende Satz traf zwar den Kern der Sache, aber er war dennoch nicht völlig zufrieden.

    Georg blickte ein wenig unglücklich auf den gigantischen Computer-Bildschirm. Wenn er nicht etwas mit seinem teuren Füllfederhalter handschriftlich festhielt, arbeitete er ausschließlich hier. Die kleinen Laptop-Bildschirme verabscheute er, denn er war der Meinung, dass die Schreibutensilien einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Qualität des Geschriebenen besaßen. Er kniff die Augen zusammen. Aus kulturgeschichtlicher und kulturwissenschaftlicher Perspektive gab es am Wahrheitsgehalt des Satzes nicht das Geringste zu deuteln. Aber dennoch setzte er sich mit einem solchen Entree sofort der Gefahr aus, in die Ecke derjenigen gestellt zu werden, die die Bedeutung des Klimawandels herunterspielen. Nichts lag ihm ferner als die Bedrohung, die vom Klimawandel ausging, zu relativieren. Der heutige, vom Menschen verursachte Klimawandel stellte eine der größten Herausforderungen für die Menschheit dar – ja für viele Menschen hing sogar das Überleben davon ab, wie dieser Klimawandelt vor sich ging. Das stand außer Frage. Dennoch, sein Satz war wahr, ohne Wenn und Aber. Doch die Klemme, in der er steckte, löste sich nicht auf. Eine verzwickte Situation und das bereits zu Beginn seines kleinen Werks. Das konnte ja noch heiter werden.

    Zerstreut roch er am großen Kristall-Burgunderkelch, in dem eine dunkelrote, beinahe schon schwarze Flüssigkeit das dezente Licht des alten Kronleuchters reflektierte. Leichte Schlieren am inneren Rand des edlen Gefäßes bildeten verwobene Muster. Georg nahm das wunderbare Bouquet des apulischen Primitivo einer hoch geachteten italienischen Kellerei nur unterschwellig wahr: Sauerkirsche, Zwetschge, Brombeere, Vanille, Tabak, Leder, Unterholz und ein leichter Hauch mediterraner Kräuter.

    Zum vollendeten, ambitionierten Weingenuss gehörten für Georg die Wahrnehmungen und Empfindungen des Auges, der Nase und des Gaumens. Aber im Moment war er zu belegt, um seine Sinneswahrnehmung voll zu entfalten. Ohne einen Schluck zu kosten, setzte er das Weinglas wieder ab und schrieb:

    Obwohl der Klimawandel die Menschen vieler Epochen vor große Herausforderungen gestellt hat, bedeutet der heutige, anthropogen verursachte Klimawandel eine Gefahr, wie sie bis dato für unsere Spezies noch nie existierte.

    Georg verabscheute unkultivierte Sitten und dennoch konnte er sich ein leises „Verflixt und zugenäht!" nicht verkneifen. Eine Kehrtwende um hundertachtzig Grad im zweiten Satz? Dadurch tat er sich keinen Gefallen, denn so räumte er in seinem kulturgeschichtlichen Aufsatz dem aktuellen Problem des menschlich verursachten Klimawandels eine Bedeutung ein, die dieser nicht besaß.

    Die Bedeutung des heutigen Klimawandels zu untersuchen, wollte er dann doch lieber den Naturwissenschaftlern, Soziologen und Juristen überlassen. Oh, wie ihm diese einfach strukturierten Disziplinen und ihre Vertreter zuwider waren … Idealerweise sollte er erst am Ende des Aufsatzes den Bezug zur Gegenwart herstellen und dabei auf die mit dem Klimawandel verbundenen Gefahren hinweisen, wobei er mit Bewunderung an die junge schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg dachte, die es in ihren Reden in einfachen Worten verstand, zum Kern der Sache vorzudringen. Er nahm einen Schluck Wein und balancierte das edle Rebengewächs im Mund, damit die Aromen-Intensität zur Entfaltung kommen konnte.

    Der Aufsatz für ein angesehenes Fachjournal mit hohem Impact-Faktor erwies sich als Herkules-Aufgabe, hatten sich schon die Vorarbeiten als mühsam erwiesen. Er musste schließlich alles selbst erledigen, da er weder über eine Sekretärin noch über Mitarbeiter oder studentische Hilfskräfte verfügte. Doch Herausforderungen wie diese gaben ihm eine tiefe innere Befriedigung. Da er alles alleine auf die Beine stellte, hatte er die Gewissheit, dass alles passte, sauber erarbeitet war und jedem kritischen Blick standhielt. Seine wissenschaftliche Reputation bedeutete ihm viel, und es gab nur eine Sache, der er noch mehr Bedeutung zumaß …

    Wenn nur dieser knifflige Anfang nicht wäre. Sobald dieser gelungen war, würde sich der Rest von selbst schreiben, dessen war er sicher. Beethovens Fünfte ertönte leise, bis sie schließlich laut vernehmbar war – das Telefon!

    Er warf einen Blick auf die mit einem silbernen Armband und blauem Gehäuse versehene Patek Philippe. Kurz vor 22.00 Uhr. Wer konnte das sein? Eine Kollegin oder ein Kollege? Um diese Uhrzeit eher unwahrscheinlich. Eine Studierende, die fachlich weder ein noch aus wusste oder ihm ihr Herz ausschütten wollte? Wäre nicht das erste Mal. Trotz seiner hehren wissenschaftlichen Aura und seines mitunter distanziert-spröden Umgangs mit Studierenden außerhalb des Hörsaals, übte er aufgrund seines Aussehens und Charismas eine nicht zu unterschätzende Faszination auf die weibliche Hörerschaft aus. Oder war es Tabea? Aber sie hatten vereinbart, dass sie sich erst meldete, wenn sie wieder zurückgekehrt war …

    Er eilte über die sachte knirschenden Holzbohlen zum Festnetzanschluss, der aus dem letzten Jahrtausend zu stammen schien.

    „Georg Graf von Gleiwitz", meldete er sich mit einer angenehm klingenden, tiefen Stimme, die nichts von der Spannung Preis gab, wer am anderen Ende der Leitung zu erwarten war.

    Einen Augenblick lang herrschte Stille im Äther. Dann vernahm er leises, aber aufgeregtes Schnaufen.

    „Georg?"

    Die weibliche Stimme kam ihm trotz der schlechten Verbindung bekannt vor.

    „Georg, bist du das?"

    Er war nicht sicher, wem die Stimme gehörte. Bevor er den Fehler machte, sich mit einer Studentin auf Du und Du zu stellen, fragte er lieber nach.

    „Frieda", wurde er aufgeklärt.

    Frieda? Wenn er doch nur drauf käme … Frieda? War das die kleine, ein wenig abwesend wirkende Blondine, die ihn immer mit offenem Mund und dumpfen, wässrigen blauen Augen aus der ersten Reihe anstarrte, während er sich über die schwierigsten Fragen der Menschheits- und Kulturgeschichte erging?

    Nein …

    „Von Fritsch."

    Frieda von Fritsch! Aber klar! Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Eine seiner Mitstreiterinnen vor unzähligen Jahren. Gemeinsam waren sie aufgebrochen, um die Welt der Wissenschaft im Sturm zu erobern und nun hatte sie die Realität eingeholt und ihnen die allzu glänzenden Illusionen geraubt.

    „Ich muss mit dir reden, Georg!"

    Die Worte waren schwer zu verstehen und Georg wusste nicht recht, ob es an der schlechten Verbindung lag oder ob Frieda zu aufgeregt war, um deutlich zu sprechen. Dem stünde ja nichts im Wege, gab er sich zurückhaltend.

    Doch Frieda hauchte ein gepresstes „dringend, persönlich und unter vier Augen" in den Hörer.

    „Hat das nicht noch ein wenig Zeit?, versuchte er sich ein wenig Luft zu verschaffen. „Kommende Woche würde es mir am Wochenende gut passen.

    Friedas Entgegnung war eindeutig: „Sofort! Ich bin einem Skandal auf der Spur, der die Wissenschaft in ihren Grundfesten erschüttern wird."

    3.6. Oktober 2020, nahe Bremerhaven

    Es fiel ihr nicht leicht, die steilen Treppen hochzusteigen, was sich an ihrer heftigen Atmung zeigte. Sie spürte jeden einzelnen Chips, von den unzähligen Schokoladeneisen ganz zu schweigen, die sie abends gerne vor dem Fernseher genoss, während sie Filme über die Natur und Tiere oder noch lieber Lifestyle-Sendungen anschaute und Menschen bewunderte, mit denen sie nie Kontakt haben würde. Aber sie konnte ohne diese kleinen Schwächen einfach nicht sein. Denn dann wäre ihr Leben gänzlich ohne Freude und damit sinn- und zwecklos. Schon traurig, wenn es so weit mit einem gekommen war, aber diese kleinen Sünden gaben ihr Kraft und Energie, die Strapazen des Alltags auszuhalten. Die Metallstufen ragten hoch in ein dunkles Nichts und der Steigungswinkel war abenteuerlich. Sie keuchte und schnaufte wie eine alte Dampflokomotive. So etwas konnte nicht einmal Fitness-Freaks Spaß machen, von Schreibtischtäterinnen wie ihr ganz zu schweigen.

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