Kostenrechnung für öffentliche Apotheken: Grundlagen, Methoden und Fallbeispiele
Von Frank Daumann und Lev Esipovich
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Über dieses E-Book
Frank Daumann und Lev Esipovich bieten hierfür das notwendige Handwerkszeug: Sie vermitteln praxisnah und leicht verständlich die Grundlagen der Kostenrechnung und zeigen die Charakteristika der Voll- und Teilkostenrechnung auf.
Zahlreiche Abbildungen und Fallbeispiele helfen beim Verständnis. Durch Kontrollfragen lässt sich das Erlernte auf einfache Art und Weise festigen.
Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende und Praktiker*innen.
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Buchvorschau
Kostenrechnung für öffentliche Apotheken - Frank Daumann
1Einführung
Die Apotheken nehmen eine Schlüsselstellung im deutschen Gesundheitswesen ein, da ihnen „die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung" (§ 1 Abs. 1 ApoG) obliegt. Die Apotheke übt vor diesem Hintergrund die folgenden Aufgaben aus:
die Produktion von Arzneimitteln,
die Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten an die Patienten (Handel) und
die Aufklärung der Patienten über Nebenwirkungen und mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (Beratung).
Daneben vertreibt die Apotheke „apothekenübliche Artikel" wie Nahrungsergänzungsmittel, kosmetische Erzeugnisse und andere Waren mit gesundheitsförderndem Bezug.
Die konstitutive Einbindung der Apotheke in das Gesundheitswesen und ihre Stellung als Handels- und Produktionsbetrieb verorten die Apotheke im Schnittpunkt mehrerer säkularer Einwicklungen:
Die Nutzung von Skaleneffekten und der Fixkostendegression: Diese produktionstechnischen Besonderheiten sowie zunehmende Regulierungen und die Intensivierung des Preiswettbewerbs führen zu einer Konzentration bei der Produktion. Im Bereich der Apotheke wird dies durch ein verstärktes Zurückdrängen des produzierenden Elements deutlich; der Vertrieb von Fertigarzneimitteln überwiegt in der Durchschnittsapotheke die Produktion von Arzneimitteln bei weitem.
Das Internet zieht zum einen eine verstärkte Markttransparenz sowohl für den Kunden bzw. Patienten als auch für den Mitwettbewerber nach sich. D. h., dass sich die Preissetzungsspielräume in den Bereichen, in denen die Preise frei gebildet werden können, sukzessive verengen. Zum anderen ist das Internet das Fundament für neue Geschäftsmodelle, von denen eine Intensivierung des Wettbewerbs insbesondere im Einzelhandel ausgeht. Die Internetapotheke wird damit zu einem omnipräsenten und effektiven Wettbewerber der stationären Apotheke.
Der technische Fortschritt im Gesundheitswesen erweitert die medizinischen Handlungsoptionen erheblich. Dieser Sachverhalt führt zusammen mit der demographischen Entwicklung zu einer zunehmenden Einengung der finanziellen Spielräume im Gesundheitswesen. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf seit Mitte der 1970er-Jahre mit einer Fülle von Kostensenkungsgesetzen reagiert, ohne der Entwicklung Herr werden zu können.
Dies sind die groben Entwicklungstendenzen, mit denen sich der Arzneimittelmarkt und damit die stationäre Apothekenlandschaft konfrontiert sehen. Vor diesem Hintergrund wird es für die stationäre Apotheke zunehmend wichtiger, die Organisation effizient zu gestalten sowie Geschäfts- und Arbeitsprozesse hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit zu prüfen.
Ein effizientes Management der vorhandenen Ressourcen setzt jedoch entsprechende Informationen voraus, die nur eine Kostenrechnung liefern kann: Sie verschafft die notwendige Datengrundlage zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Apotheke, stellt eine verursachungsgerechte Kalkulation der Leistungsangebote sicher und schafft Transparenz über die tatsächlichen Kosten des Produkt- und Leistungsangebots.
Trotz ihrer großen Bedeutung für das Apothekenmanagement ist die Kostenrechnung in vielen Apotheken noch kaum verbreitet. Vielfach begnügen sich Apotheker mit den Informationen, die sie aus dem Jahresabschluss oder aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung im Zusammenhang mit der durch den Steuerberater durchgeführten Buchführung erhalten.
Da sich keine Werke identifizieren lassen, die sich mit den Besonderheiten der Kostenrechnung von Apotheken auseinandersetzen, soll das vorliegende Buch diese Lücke schließen und die Einsatzmöglichkeiten der Kostenrechnung in Apotheken umfangreich und detailliert erläutern. Dabei wird das Konzept der Kostenrechnung Schritt für Schritt entwickelt, sodass der Leser auf diese Weise einen detaillierten Einblick in die kostenrechnerischen Grundlagen sowie spezifischen Instrumente bekommt, die in der Apotheke angewandt werden können.
Insbesondere hat dieses Buch die folgenden Ziele: Es soll
einen verständlichen Einblick in die Grundprinzipien der Kostenrechnung und Kostensteuerung geben,
die einschlägigen Begrifflichkeiten vermitteln,
die theoretischen Grundzusammenhänge erläutern,
die Verwertbarkeit des Instrumentariums für die Apotheke aufzeigen sowie
Ansatzpunkte für die Lösung individueller Problemlagen vermitteln.
2Die öffentliche Apotheke und ihre Rahmenbedingungen
Die öffentliche Apotheke agiert auf einem Markt, der sich durch eine Vielzahl von Regulierungen auszeichnet. Dazu gehören zuvorderst die folgenden gesetzlichen Normen:
Gesetz über das Apothekenwesen (Apothekengesetz – ApoG)
Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung – ApBetrO)
Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV)
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG)
Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz – ChemG)
Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz – BtMG)
Dabei zeichnet sich der Handlungsspielraum der öffentlichen Apotheke durch die folgenden wesentlichen Charakteristika aus:
Niederlassungsfreiheit: Die öffentliche Apotheke unterliegt nicht einer räumlichen Niederlassungsbeschränkung wie dies etwa bei ambulant tätigen Ärzten der Fall sein kann.
Öffentliche Aufgabe (§1 Abs. 1 ApoG): Die Apotheke erfüllt eine öffentliche Aufgabe, nämlich die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln.
Fremdbesitzverbot (§ 2 Abs. 1 i. V. m. §§ 7 und 8 ApoG): Die Apotheke muss durch einen oder mehrere Apotheker betrieben werden.
Persönliche Leitung (§ 7 ApoG): Der Apotheker ist verpflichtet, die Apotheke persönlich zu leiten. Er kann also beispielsweise keinen Fremdgeschäftsführer mit dieser Aufgabe betrauen.
Eingeschränktes Mehrbesitzverbot (§ 1 Abs. 2 ApoG): Der Apotheker kann neben seiner Hauptapotheke maximal drei Filialapotheken betreiben, die wiederum in räumlicher Nähe der Hauptapotheke liegen müssen (§ 2 Abs. 4 (2) ApoG). Die Etablierung von Apothekenketten, wie sie beispielsweise aus den USA und dem Vereinigten Königreich bekannt sind, ist also mit dieser Regelung – zumindest bis dato – nicht vereinbar.
Eingeschränkte Rechtsformwahl (§ 8 ApoG): Betreibt der Apotheker die Apotheke allein, ist diese in Form eines Einzelunternehmens zu führen. Mehrere Apotheker können eine Apotheke als BGB-Gesellschaft oder als oHG betreiben. Insbesondere sind haftungsbeschränkende Rechtsformen für die Apotheke nicht gestattet.
Durch die Apothekenbetriebsordnung werden Vorgaben bezüglich der Ausstattung der Apotheke, der Lagerhaltung, des Personals und des Labors konstituiert. Weiterhin beinhalten das Arzneimittel-, das Chemikalien- und das Betäubungsmittelgesetz umfangreiche Vorgaben hinsichtlich der Handhabung von Arzneimitteln und Reagenzien.
Das Arzneimittelgesetz systematisiert zudem das Hauptprodukt der Apotheke. So wird zwischen den folgenden Arzneimittelkategorien unterschieden:
Apothekenpflichtige Arzneimittel: Für diese Arzneimittel besteht eine Vertriebswegebindung über die Apotheke. Dabei können wiederum verschreibungspflichtige (§ 48 AMG) – sog. Rx-Präparate – und nicht verschreibungspflichtige (einfache apothekenpflichtige) Arzneimittel – sog. OTC-Präparate – unterschieden werden.
Freiverkäufliche Arzneimittel: Diese Arzneimittel unterliegen nicht der Apothekenbindung. Ihr Verkauf an Verbraucher ist jedoch ebenfalls reguliert (§ 50 AMG).
Die Arzneimittelpreisverordnung schränkt den Einsatz des Aktionsparameters Preis für die Apotheke erheblich ein: Während im OTC-Bereich und bei freiverkäuflichen Arzneimitteln der Preis durch die Apotheke frei gesetzt werden kann, unterliegen verschreibungspflichtige Arzneimittel einer Preisbindung der zweiten Hand. Bei Fertigarzneimitteln erfolgt auf dem Herstellerabgabepreis inkl. Großhandelszuschlag (= Apothekeneinkaufspreis) auf Ebene der Apotheke ein 3 %-iger Zuschlag sowie eine fixe Pauschale von 8,35 Euro und ein zusätzlicher Betrag von 0,21 Euro zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes. Auf diesen Netto-Apothekenverkaufspreis wird die MwSt i. H. v. 19 % aufgeschlagen, woraus sich der Brutto-Apothekenverkaufspreis ergibt. Bei Arzneimitteln, die an Patienten der Gesetzlichen Krankenkassen abgegeben werden, wird eine gesetzliche Zuzahlung der Versicherten erhoben (10 % auf den Brutto-Apothekenverkaufspreis, jedoch mindestens 5 Euro und höchstens 10 Euro) und den Kassen ein Apothekenabschlag von 1,77 Euro gewährt. Bei Rezepturen wird auf den Apothekeneinkaufspreis für die Stoffe (Wirkstoff, Grundlage etc.) und die Verpackung ein Festzuschlag von 90 % erhoben. Dazu wird ein Rezepturzuschlag für die Herstellung (für Tees und Lösungen bis 300 Gramm 3,50 Euro, für Salben bis 200 Gramm 6 Euro und für Kapseln bis 12 Stück 8 Euro) und ein Fixentgelt von 8,50 Euro addiert. Auf diesen Netto-Taxpreis wird wiederum die MwSt i. H. v. 19 % aufgeschlagen, sodass sich der Brutto-Taxpreis ergibt. Der GKV-Patient hat hier ebenfalls eine Zuzahlung von 10 % (in den o. g. Grenzen) zu leisten. Zudem erhalten die Gesetzlichen Krankenkassen wiederum einen Apothekenabschlag von 1,77 Euro. Beim Vorliegen von Rabattverträgen zwischen den Krankenkassen und den Arzneimittelherstellern kann es zu Durchbrechungen dieses Preisbildungsschemas kommen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist schließlich, dass der Bewerbung von Arzneimitteln durch die Apotheke enge Grenzen gesetzt sind. So darf die Apotheke nicht für verschreibungspflichtige Arzneimittel werben. Werbung ist hingegen für die Arzneimittel des OTC-Bereichs gestattet.
Von besonderer Bedeutung ist die Einbindung der Apotheke in das Gesundheitswesen. Unabhängig davon, ob der Patient privat oder gesetzlich versichert ist, bedarf er, um aus der Apotheke verschreibungspflichtige Medikamente zu erhalten, eines Rezepts, das i. d. R. der Arzt ausstellt. D. h., der Arzt ist eine Art Gatekeeper für den Rx-Bereich. Der Apotheker hat in diesem Bereich kaum Möglichkeiten, die Nachfrage selbst zu stimulieren. Die finanzielle Abwicklung verläuft bei einem privat versicherten Patienten aufgrund des Kostenerstattungsprinzips direkt, d. h., das entsprechende Arzneimittel muss vom Patienten i. d. R. sofort bezahlt werden. Das GKV-System basiert hingegen auf dem Sachleistungsprinzip, das freilich verwässert wurde: Der gesetzlich versicherte Patient wird allenfalls mit einer Zuzahlung konfrontiert, insofern er nicht davon befreit ist. Den Großteil des Preises erhält der Apotheker direkt von der Gesetzlichen Krankenkasse.
Zum Ende des Jahres 2018 existierten in der Bundesrepublik Deutschland 19.423 öffentliche Apotheken, von denen 14.882 als Haupt- bzw. als Einzelapotheke und 4.541 als Filialen geführt wurden (ABDA, 2019). Dabei zeigte sich in den letzten zehn Jahren ein rückläufiger Trend (Anzahl der öffentlichen Apotheken im Jahre 2008: 21.602). Das Gesamtmarktvolumen, das durch öffentliche Apotheken bedient wird, hatte 2018 eine Größenordnung von 50,76 Mrd. Euro netto.
Dabei macht der Arzneimittelumsatz am Gesamtumsatz etwa 90 % aus (45,87 Mrd. Euro). Der Rest fällt auf das apothekenübliche Ergänzungssortiment (4,88 Mrd. Euro). Vom Arzneimittelumsatz wird ein Großteil (41,04 Mrd. Euro) mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erzielt.
Abb. 1: Umsatzstruktur öffentlicher Apotheken im Jahre 2018.
Quelle: ABDA (2019).
Eine zunehmende Veränderung der Vertriebsstruktur tritt durch den Versandhandel auf, der zwar im Rx-Bereich umsatzmäßig bislang etwa 1 % ausmacht, aber im OTC-Bereich bereits 15 % überschritten hat. Dabei verfügen rund 2.900 Apotheken auch über eine Versandhandelserlaubnis und sind sowohl auf dem stationären als auch auf dem Versandhandelssegment präsent.
3Rechnungswesen in der öffentlichen Apotheke
Eine Apotheke ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das Arzneimittel herstellt, Arzneimittel und apothekenübliche Artikel vertreibt und Beratungsdienstleistungen anbietet. In der Apotheke werden zur Bereitstellung dieses Angebots Produktionsfaktoren verbraucht oder in Anspruch genommen, wofür Kosten anfallen, und durch den Absatz der Produkte und der Erbringung der Leistungen Erlöse erzielt. Ein effizientes Management der Apotheke ist daher auf Informationen der Kostenrechnung angewiesen, die für die Planung, Organisation und Überwachung der Produktionsprozesse sowie für die Kalkulation der einschlägigen Produkte und Leistungen notwendig sind.
In diesem Kapitel soll nun das interne vom externen Rechnungswesen der Apotheke anhand der Zwecke und Adressaten abgegrenzt werden. Anschließend werden die Funktionen der Kostenrechnung in der Apotheke beleuchtet.
3.1Externes und internes Rechnungswesen in der Apotheke
Ausgangspunkt der Beschäftigung mit der Kostenrechnung in der Apotheke stellt die Überlegung nach dem Ziel der Informationsübermittlung dar. In Bezug darauf unterscheidet die Literatur traditionell zwischen dem externen und dem internen betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen, wobei die Kostenrechnung dem internen Rechnungswesen zugeordnet wird (siehe Abbildung 2). Bei der Unterscheidung zwischen „extern und „intern
werden klassischerweise der Adressatenkreis und die damit verbundenen Aufgaben des jeweiligen Rechnungswesens angesprochen. Im Folgenden werden die beiden Rechnungswesensarten anhand ihrer Aufgaben und Adressaten in der Apotheke voneinander abgegrenzt.
Abb. 2: Rechnungswesen in der öffentlichen Apotheke.
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Sigloch, 2011, S. 2.
3.1.1Externes Rechnungswesen
Unter dem externen Rechnungswesen versteht man die nach gesetzlicher Maßgabe zu erstellenden Rechnungen. Das klassische externe Rechnungswesen setzt sich dabei aus drei wesentlichen Bestandteilen zusammen (siehe Abbildung 2):
Buchführung
Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und ggf. Anhang)
Inventar
Die Buchführung dient der Erfassung der Geschäftsvorfälle. Dabei unterscheidet man zwischen einfacher Buchführung, bei der nur die zahlungswirksamen Einnahmen und Ausgaben ohne Gegenkonten verbucht werden und die für die Erstellung einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung ausreicht, und doppelter Buchführung, bei der bei jedem Geschäftsvorfall mindestens zwei Konten angesprochen werden und die die Voraussetzung für die Erstellung eines Jahresabschlusses darstellt. Das Inventar ist ein vollständiges, detailliertes art-, mengen- und wertmäßiges Verzeichnis aller Vermögensgegenstände und der Schulden (siehe § 240 Abs. 1 HGB), das durch körperliche Bestandsaufnahme (Inventur) erstellt wird.
Das externe Rechnungswesen richtet sich, wie der Name schon sagt, in der Regel an externe Adressaten – klassischerweise an das Finanzamt. Im Hinblick auf Apotheken können jedoch weitere Adressaten hinzukommen wie beispielsweise die Lieferanten (z. B. der Pharmagroßhandel) und die Kreditgeber usw. (siehe Abbildung 3). Im Folgenden werden die relevanten gesetzlichen Vorschriften in Bezug auf die möglichen Aufzeichnungspflichten sowie weitere Aufgaben der Finanzbuchhaltung erläutert.