Tiergeschichten: Tiere wie wir
Von Johannes Silveri
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Buchvorschau
Tiergeschichten - Johannes Silveri
Autor
Dugi und Manati
Prolog zu Dugi
Im tiefen Ozean der Wal
zählt zu den Riesen allemal
er lebte da, geraume Zeit
seit einer halben Ewigkeit
Zwar respektiert und sehr pompös
doch etwas machte ihn nervös
– und sprach bei sich:
»Ich zweifle nicht
hoch über mir, da brennt ein Licht
ich bin, obschon es hier sehr flüssig,
des kalten Wassers überdrüssig
Es täte gut, auch den Gedärmen,
sich einmal kräftig aufzuwärmen!«
Der Wunsch, als Vater des Gedanken,
kennt keine hinderlichen Schranken
Nach diesem Schema formt der Geist
den Körper, wie sich stets erweist
und die Natur hierauf die Jungen
des Walfischs, rüstet aus mit Lungen
infolgedessen also wird
der erste Landgang ausgeführt
So mit der Zeit entsteh’n da auch
mit dickem oder dünnem Bauch
erschreckend oder wohlgestaltig
die Tiere, äußerst mannigfaltig
Den Saurier wohl jeder kennt,
der durch die Erdgeschichte rennt
Besonders sind wir angetan
vom Tiger mit dem Säbelzahn…
Obwohl sie alle längst vorbei
gibt’s noch verwandte Kumpanei
Der Stammbaum mag sie gern erwähnen,
weil wir bestückt mit ihren Genen
Das Nilpferd und der Elefant
und auch das Nashorn ist bekannt
Doch gab es wohl vor ihrer Zeit
ein Wesen, das den Schritt bereut
wenn auf dem Land die Erde bebte
und drum zurück zum Wasser strebte
Ihm wuchs nach kurzer Überlegung
die Flosse neu, zwecks Fortbewegung
Die Lungen aber hat’s behalten
und auch die Haut, mit kleinen Falten
Am Lande reifte die Erfahrung
drum dient ihm nur das Gras als Nahrung
trotzdem ist es so à la long
bedroht und heißt bei uns Dugong
Dugong und Manati
Von Mitgefühl zeigt keine Spur
mitunter Mütterchen Natur
vom großen Wal zum kleinsten Worm,
diktiert Funktion die äuß’re Form
Was schön erscheint, was widerlich
bleibt in der Gattung meist für sich
Zuweilen läuft’s aufs selbe raus
wenn alle ähnlich sehen aus
Sodass im Äuß’ren immerhin,
die Konkurrenz bleibt ohne Sinn
Und die Gesellschaft waltet friedlich,
weil alle Kinderchen gleich niedlich
Somit gibt’s keinerlei Extrem –
nur hin und wieder ein Problem!
Es kommt dem Gleichklang bös‘ dazwischen,
wenn sich die Interessen mischen
und »Ordnung« nur ein simples Wort
rasch sind die Harmonien fort
Der Gruppe Liebling, einst ergötzlich
die kalte Schulter spürt er plötzlich
es zählt nur mehr sein äuß’rer Schein…
nach der Funktion, fragt sich kein Schwein!
Wie mancher sich erinnern kann
gab’s die Geschichte von dem Schwan
der, in ein Entennest geboren,
den Selbstwert schließlich ganz verloren,
weil ihm die Bruder – Schwesterschar
vermittelt, dass er hässlich war
Und später erst, dem weißen Schwan
sich die »Geschwister« biedern an
Womit die Fabel deutlich zeigt,
dass Macht der Schönheit zugeneigt
beziehungsweise umgekehrt:
die Schönheit hebt die Macht aufs Pferd
was symbiotisch dann ganz klar
vom Nutzeffekt gesteuert war
Wovon ich aber jetzt berichte
ist eine andere Geschichte
Vielleicht hast du gehört – gelesen
von jenen korpulenten Wesen,
die in der Brake vor den Küsten
ihr »fades« Leben friedlich fristen,
wie etwa hier in diesem Delta
egal, ob wärmer oder kälter
weitab vom »Nahrungssucherzwang«,
der hier nur selten von Belang.
Auf Fluss und Meeresboden grünen
die Pflanzen für die »Mähmaschinen«
zufriedenstellend in der Menge,
weitab von einer Nachschubenge
Ein jeder kennt, so wie ich glaub‘
dieses Gerät, das saugt den Staub
ein Ventilator dreht sich schnell
und schlürft den Staub auf der Stell‘
Der dann bei einigen Modellen
in Beuteln, welche mächtig schwellen
– wenn sich der Konstrukteur nicht irrt –
mit Druck hineingeblasen wird!
Was soll, so fragt man lauernd – weich
der wenig passende Vergleich,
denn der Zusammenhang fehlt leider hier
ist der Staubsauger doch kein Tier?
– Das stimmt! Jedoch nicht das Gerät
ist’s, worauf der Vergleich hinspäht
Es ist der Beutel, der da quillt
dem unser Augenmerk jetzt gilt
Bewusstes Tier, ein Augenschmaus
sieht grad so wie ein Beutel aus
Auch fügt sich Form hier der Funktion
(das meinten wir am Anfang schon)
und Schönheit ist nur relativ
egal ob groß, ob krumm, ob schief
klein, groß, dick, dünn, kurz oder lang
nur wichtig im Zusammenhang
Wenn sie das Gruppenleben schützt,
weil sie der Arterhaltung nützt
und die Natur sorgt für Verpflegung
nach diesbezüglicher Erregung
und erst wenn diese abgekühlt
erscheint ein scharf gestelltes Bild
Wobei hier klarzustellen ist:
Schönheit wächst nur auf eig’nem Mist
Zum Beispiel hat der Mutter Sohn
beim ersten Schrei den Status schon
in seiner Eltern Sangsverein
der köstlichste Tenor zu sein
um, wenig später dann, als Hüne
(sie im Parkett, er auf der Bühne)
die Bretter, die die Welt bedeuten
bedeutsam auf und ab zu schreiten…
Und so auch hier! Zwar nicht »besungen«
doch freundlich murmelnd, weil gelungen
betrachtet, da er rund und strong,
den kleinen Sohn, Mutter Dugong!
Der gleich, von Hemmung keine Spur,
dem Rufe folgend der Natur
des Lebens unverschämte Lust
genießt von Mutter Dugongs Brust
Daran ist nichts, was andre stört,
weil es bei Dugongs so gehört
Zur Reifung der Entwicklungsphase
steigt Mutters Duft in Dugi’s Nase
so dass, während er Nahrung kriegt
auch weiß, dass er goldrichtig liegt
Denn auch der Nachwuchs der Dugong
entwickelt breit sich erst – dann long
Der Mutter Flosse er entfleucht
erst wenn das zehnte Jahr erreicht
um dann, als Jüngling sanft entlassen
gemischt in Gruppen, ruhig zu grasen
Im immergrünen Wassergarten
die nächsten Jahre abzuwarten
bis dann ein Wesen, das nicht männlich
signalisiert; »Wir sind uns ähnlich!«
Und damit zu erkennen gibt:
Wer gleicher ist, ist auch beliebt
Nun grast man lang im gleichen Takt
plötzlich, von Leidenschaft gepackt
(nach fünf, sechs Jahren oder mehr
ruft Eins das Andere sich her
und spricht, für Dugongs fast fanatisch)
»Ich glaub‘, du bist mir sehr sympathisch!«
»Lass uns im Kelpenwald verschwinden
– und alles Weit’re wird sich finden!«
So weit ist dieses vorgeseh’n…
erst gilt das Seegras abzumäh‘n
in Richtung auf den Kelpenwald,
der sicher hundert Jahre alt
Ein Duschvorhang der Wasserwelt,
der ständig schwankend niederfällt
geschmückt mit Blättern – Bändern bunten…
doch nicht von oben, sondern unten!
Wenn also hier was niederfällt
versteht sich’s, auf den Kopf gestellt
In diesen Wald verdrücken sich
die Dugong und – Dugongerich
Auch Mutter Dugong hatte hier,
vor Jahr und Tag »avec plaisir«,
hat wiederholt den Wald besucht
im Hinblick auf die Leibesfrucht,
die sich als »Nabel« ihrer Welt
auch brav und pünktlich eingestellt
und früh erkannt, als Phänomen…
groß war der Jubel »Ach wie schön!«
Der kleine Bengel pausebäckig,
die Faltenwülste glatt und speckig
Die Haut, so schimmernd graugrün – braun
für Dugongs prächtig anzuschau‘n
(wobei, was nicht als Mangel galt,
ein wenig rosafarben – alt!)
Als Sonderheit hervorgehoben
kein Hindernis den Tag zu loben,
der Rosa auch im Morgenrot
da diese Art ernsthaft bedroht!
Sogar der Vater kommt vorbei
zu seh’n, wess‘ Typ der Knabe sei
und gibt, weil man ihn so nicht kennt
recht aufgeräumt und eloquent
zu diesem Sohn den Kommentar:
»Als Vater bin ich wunderbar!«
Um also gleich in großen Zügen
das nächste Seegrasfeld zu pflügen
Zu Wolken hoch den Sand zu blasen
war pflichtgemäß jetzt aufzufassen
Als Zeichen wär’s am Land der Rauch:
»Der Klapperstorch war bei mir auch!«
Jetzt galt es kräftig sich zu stopfen,
um jenes derbe Schulterklopfen
des hocherfreuten Freundeskreises
(ein jeder von uns Vätern weiß es…)
wenn Lobesreden sich gestalten
in Würde dankbar auszuhalten
Zur Rührung stellt sich ein der Stolz
ein Dugong ist auch nicht aus Holz
So weit, so gut! – Im Delta steht
die Zeit, die nur rundum vergeht
Da kostet’s manchem Kopf und Kragen
in Schlachten – sinnlos nur geschlagen
sowohl am Land als auch im Meer,
doch dringt die Kunde nicht hier her
Strategisch ist das Delta nichtig
und daher friedvoll, weil nicht wichtig
Da Sand und Gras nicht von Bedeutung,
beschließt des Generalstabs Leitung,
nach Dienst »privat« in weißen Stutzen,
das Delta, »für den Sport« zu nutzen
Zu diesem Zwecke wird platziert
ein Kahn, der erst gekapert wird…
und dann, mit lustigem »Hurra«,
schleppt man ihn ab und ankert da
als würde hier der Feind vermutet
wobei ein Witzbold nochmal tutet
Dann wird es still. Sanft auf dem See
schaukelt der leere Kahn im Weh
der Altersflecken, die da rosten –
dann blitzt es einmal kurz im Osten
und noch, bevor die Stille bricht
zeigt sich das hässliche Gesicht
des Hasses – und mit ihm das Grauen
zerreißt den Kahn mit tausend Klauen
Na Prost! Der Schuss hat gut gesessen
Ist’s höchste Zeit für’s Abendessen
Bei einem Glas mit rotem Wein
(er mag noch von dem Kutter sein)
beginnt alsbald das Schulterklopfen
(zum Fisch gibt’s Bier aus Malz und Hopfen)
Wie flach ist manchem diese Welt,
wenn sie kein guter Geist erhellt
Der Rätsel Lösung scheint ihm leicht,
denn nur soweit sein Auge reicht
hat Wahrnehmung für ihn Bedeutung
sein Horizont ist seine Zeitung
die kaut er kurz, schluckt und verdaut,
was irgendwer statt seiner schaut
So auch in diesem »Übungsfall«
Ein gelber Blitz, ein dumpfer Knall
des Führungsstabes Selbstzweckpläne
die rechnen sich in der Fontäne
Im Kaderbunker heißt’s nur kuhl:
»Erfolgreich über Linie Null!«
Erwünschtes hat man gut geseh’n
Der Treffer war besonders schön
ein Gruß noch, militärisch knapp,
dann rückt des Chor gemächlich ab
Ganz ruhig ist jetzt das Wasser wieder
sobald der Hochstrahl fiel hernieder
war Sand und Gras, nur brauner Schmutz
für Kleingetier nicht länger Schutz
wer da noch schwamm in dieser Brühe,
der hatte mit der Durchsicht Mühe…
Der Sprengsatz hat die Seetangwiesen
gleich mit dem Grund hinweggerissen
Statt ihrer gähnt ein tiefes Loch
drinn‘ liegt ein Teil vom Schiffswrack noch:
das Heck. Der Name ist zu seh‘n
und auch das Bett vom Kapitän
Jetzt nur noch ein verbog’nes Eisen,
das Schiff hat Gundula geheißen
Der Rest von dem Gespensterbild
wird morgen erst an Land gespült
Jedoch, was kümmert uns der Kahn
da siedeln später Muscheln an
die manchmal mies in ihrer Art
doch glatt und glänzend, ohne Bart
Für Fische ist das Wrack ein Riff
grad richtig. Nicht zu seicht – zu tief