Es waren einmal Banker: Warum das moderne Finanzsystem gescheitert ist
Von Leonhard Fischer und Arno Balzer
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Buchvorschau
Es waren einmal Banker - Leonhard Fischer
Es war einmal
1. DAS »SATURDAY NIGHT MASSACRE«
Belgrad, Dienstag, 2. Oktober 1979. Mehr als 6 000 Bankiers und Finanziers, Minister und Spitzenbeamte kommen in der Hauptstadt Jugoslawiens zum Herbsttreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zusammen. Die Konferenz ist eine Erstaufführung. Zum ersten Mal trifft sich die gesamte internationale Finanzgemeinde in einem kommunistischen Land.
Jugoslawiens Regierungschef Josip Broz Tito hat das Land mit allem, was seine Variante der Planwirtschaft hergibt, auf die hochkarätigen Besucher aus aller Welt vorbereitet: Er hat ein neues Flughafen-Terminal errichten lassen, die Hotelkette Intercontinental hat in weniger als einem Jahr eine Fünf-Sterne-Herberge hochgezogen. Alle besseren Hotels im Umkreis von rund 100 Kilometern um Belgrad sind für die hochkarätigen und devisenbringenden Gäste reserviert. Und weil auch das nicht reicht, dürfen Privatleute Quartiere vermieten, ein Doppelzimmer für bis zu 350 Dollar die Nacht. Eine deutsche Bank bucht gar eine komplette Villa im Nobelvorort Dedinje, wo auch Präsident Tito residiert, für 36.000 Dollar.
Große Sorgen bringt die US-Delegation mit. Die wirtschaftliche Lage in den Vereinigten Staaten ist zu dieser Zeit angespannt, die Stimmung frustrierend. Wirtschaftswachstum können die Experten fast nur noch mit der Lupe ausmachen, Inflation dagegen umso leichter. Die Teuerungsrate liegt bei über zehn Prozent, Tendenz steigend. Kurz vor der IWF-Tagung melden die Statistiker einen Anstieg der Erzeugerpreise um 17 Prozent, der größte Zuwachs seit fünf Jahren. Und der Dollar schmiert um vier Prozent gegenüber der D-Mark ab, ausgerechnet kurz vor einem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt, für das Paul A. Volcker, der neue Chef der amerikanischen Zentralbank, auf dem Flug von Washington nach Belgrad einen Zwischenstopp in Hamburg einlegt.
Direkt nach dem Antrittsbesuch bei Schmidt geht es weiter nach Jugoslawien, und die Probleme fliegen mit. Am meisten Angst macht der Carter-Administration die wieder anziehende Arbeitslosenrate. Im Weißen Haus ist es abgemachte Sache, dass die Zentralbank im Herbst die Zinsen senken wird, ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl kann sich die Regierung keine noch schwächere Wirtschaft leisten.
Volcker dagegen nimmt die anschwellende Teuerungswelle als persönliche Herausforderung. Erst wenige Wochen zuvor hat Präsident Jimmy Carter den Harvard-Absolventen zum Chairman des Federal Reserve Boards (Fed) ernannt, wie die Zentralbank offiziell heißt. Bei seiner Anhörung vor dem Kongress hat Volcker klargemacht, was Inflation für ihn bedeute: Sie sei »Staatsfeind Nummer eins«. Und die Nervosität der Märkte verstärkt seine Sorgen noch.
Eine Rede seines Vorvorgängers Arthur Burns zum Auftakt des IWF-Treffens in Belgrad steigert die Nervosität bei Investoren, aber auch bei Notenbankern. Burns hat gesagt, es sei eine Illusion zu glauben, die Zentralbanken können die Lohn-Preis-Spirale beenden. Im Klartext hieße das: Die Zentralbanker glauben selbst nicht mehr daran, dass sie die Inflation erfolgreich bekämpfen können. Einen Tag später springt der Goldpreis um vier Prozent nach oben.
Volcker hält es jetzt nicht mehr in Belgrad. Er fliegt vorzeitig zurück nach Washington, um dort die Arbeiten am sogenannten Axilrod-Sternlight-Memorandum fertigzustellen. Eine Taskforce, geleitet von den Fed-Experten Stephen Axilrod und Peter Sternlight, soll in seinem Auftrag ein neues geldpolitisches Konzept zur Inflationsbekämpfung ausarbeiten.
Volckers vorzeitige Abreise aus Belgrad verschärft die Nervosität an den Märkten. Die Angst vor einer galoppierenden Inflation geht um, der Goldpreis springt noch einmal nach oben, diesmal sogar um sechs Prozent.
Washington, Samstag, 6. Oktober 1979. Urlaubsstimmung in den USA. Am darauffolgenden Montag ist Columbus Day, ein gesetzlicher Feiertag in den meisten Bundesstaaten. Viele Menschen nutzen das verlängerte Wochenende für einen Trip aufs Land, die Städte sind wie leer gefegt.
Nur im Eccles Building, der Zentrale der amerikanischen Notenbank, herrscht angespannte Betriebsamkeit. Paul Volcker, ihr Chef, hat die Mitglieder des Federal Open Market Committee, vergleichbar dem Zentralbankrat der Bundesbank und damit das wichtigste Entscheidungsgremium für die Geldpolitik, zu einer außerplanmäßigen und streng vertraulichen Sitzung nach Washington gebeten.
In einer Telefonkonferenz am Vortag hat der Fed-Chairman die Mitglieder des Gremiums eingeschworen: Das Treffen, bei dem über das neue geldpolitische Memorandum gesprochen und über Maßnahmen entschieden werden solle, sei höchst vertraulich, jede Indiskretion müsse unbedingt vermieden werden. Er empfiehlt seinen Fed-Kollegen, so konspirativ wie möglich in die Hauptstadt zu reisen und in unterschiedlichen Hotels abzusteigen. »Paul Volcker klang bei der Telefonkonferenz wie James Bond«, schreibt später ein Bloomberg-Redakteur.
Alle Konferenzteilnehmer halten dicht. Umso überraschter sind die Journalisten, als sie am Samstag zu einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in die Zentrale des Federal Reserve Board gerufen werden. Der Chef des Washingtoner Büros des Fernsehsenders CBS fragt noch in der Presseabteilung der Fed nach, ob er das einzige TV-Team, das ihm an diesem verlängerten Wochenende zur Verfügung stehe, tatsächlich zu Volckers Pressekonferenz schicken solle oder ob es vielleicht nicht doch Aufnahmen vom Besuch Papst Johannes Pauls II. drehen könne. Die Antwort des Sprechers: An die Pressekonferenz der Fed werde sich der Journalist noch erinnern, wenn der Papst schon längst abgereist sei.
Das ist nicht übertrieben. Vor mehr als 50 Reportern, viele von ihnen in Freizeitkleidung, verkündet Volcker eine Kampfansage an die Inflation: Die US-Notenbank erhöht den Diskontsatz – den Zins, zu dem Banken sich Geld bei ihr beschaffen können. Doch diese Erhöhung, wenn auch unerwartet, ist nicht das wirkliche Hauptereignis dieses denkwürdigen Abends. Volcker führt über Nacht die Geldmengensteuerung und damit den sogenannten Monetarismus als neues Maß aller Dinge für die Fed ein.
Die Monetaristen gehen davon aus, dass Inflation – simpel ausgedrückt – das Ergebnis von zu viel Geld ist und die Hauptaufgabe einer Zentralbank darin besteht, dafür zu sorgen, dass die Geldmenge nicht stärker zunimmt als das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft. Volckers Theorieschwenk kommt einer Revolution gleich. Zu dieser Zeit kann man sich die kapitalistische Welt eigentlich nur noch mit reichlich Inflation vorstellen. Sein Mut zur geldpolitischen Wende könnte auch heutigen Notenbankern als Vorbild dienen. Schließlich riskiert der Fed-Chef Ärger an allen Fronten, mit der Politik, mit den Märkten, mit allen, weil er von seinem Ziel, die Inflation zu bekämpfen, zutiefst überzeugt ist. Dagegen erscheinen die Zentralbanken heute eher wie ein Reparaturbetrieb für die Fehlleistungen der Märkte und der Politik.
Volckers Ankündigung geht als »Saturday Night Massacre« in die Wirtschaftsgeschichte ein. Die martialische Formulierung trifft durchaus zu, denn der Fed-Chef lässt die kurzfristigen Zinsen auf astronomische 20 Prozent steigen und schickt die Börsen auf Talfahrt. Der Dow-Jones-Index stürzt in vier Wochen von knapp 900 Punkten auf unter 800. Die Rendite dreimonatiger Staatsanleihen steigt von rund acht Prozent Ende September 1979 auf 12,5 Prozent zum Jahresende. Prominentestes Opfer wird eine Milliarden-Dollar-Anleihe, die der amerikanische Computerkonzern IBM einen Tag vor Volckers Pressekonferenz offeriert hat. Die meisten der beteiligten 225 Emissionsbanken haben noch nicht große Pakete an Kunden verkauft; die Zinserhöhung fügt ihnen zum Teil heftige Verluste zu. Lediglich die Investmentbank Salomon Brothers, von der später noch zu lesen sein wird, hat bereits so gut wie alle ihre Anleihen