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Das eingepflanzte Wort der Wahrheit: Struktur und Grundgedanke des Jakobusbriefes
Das eingepflanzte Wort der Wahrheit: Struktur und Grundgedanke des Jakobusbriefes
Das eingepflanzte Wort der Wahrheit: Struktur und Grundgedanke des Jakobusbriefes
eBook435 Seiten5 Stunden

Das eingepflanzte Wort der Wahrheit: Struktur und Grundgedanke des Jakobusbriefes

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Über dieses E-Book

Das vorliegende Buch erkennt im Jakobusbrief eine durchgehende rhetorische Struktur, die einem konsequenten Gedankengang folgt. Dieser eröffnet einen faszinierenden Blick in den Ursprung der menschlichen Existenz: Gott, der Vater der Lichter, ruft einen jeden durch sein Wort der Wahrheit ins Leben, um am Werk seiner Schöpfung mitzuwirken (1,18) und an einem vollkommenen Werk, der "Vollendung des Herrn" (5,11), teilzunehmen. Wer dieses eingepflanzte Wort in rechter Disposition aufnimmt und einstimmt, erkennt darin "das vollkommene Gesetz der Freiheit" (1,25). Freilich kann sich der Mensch auch durch äußere Verlockungen verführen lassen und seine wahre Identität verlieren. Die hier vorgeschlagene Struktur ist ein Schlüssel, um scheinbar unzusammenhängende Argumente und Thesen in eine einsichtige Argumentation zu fügen, die eine bisher viel zu wenig geschätzte philosophisch-theologische Tiefe aufweist. Deshalb wird auch jeweils auf Übereinstimmungen bei Denkern der Vergangenheit und Gegenwart hingewiesen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Sept. 2019
ISBN9783460510777
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    Buchvorschau

    Das eingepflanzte Wort der Wahrheit - Franz Prosinger

    2007).

    1.Ein Blick in die Geschichte der Exegese

    1.1Status quaestionis

    Nachdem F. Mußner das Zeugnis von Luther, Harnack und Dibelius über das völlige Fehlen einer Disposition im Jakobusbrief anführt und das Scheitern bisheriger Lösungsversuche aufzeigt, bekennt er, dass sein Kommentar keine gedankliche Einheit des Briefes sucht, „aus der Überzeugung heraus, dass es keine gibt"¹. Der Verfasser des Briefes wolle den Leser zu einem Christentum der Tat anhalten, das genus litterale wird als paränetische Lehrschrift angegeben².

    Würde es stimmen, dass der Text ein Konglomerat, „eine formlose und bunte Sammlung von Didaskalien, Trostreden, Prophetien, Strafpredigten usw." (Harnack) ist, dass er „wirfft so vnordig eyns yns ander, so dass „kein ordo noch methodus (Luther, WA 7,386 f.) zu erkennen sei, „dass er auf weite Strecken des gedanklichen Zusammenhangs völlig entbehrt" (Dibelius), so müßte man auf ein Verständnis des Textes überhaupt verzichten und könnte höchstens versuchen, die vielen einzelnen disparaten Texte einer formgeschichtlichen Herkunft zuzuweisen. Ein wirklicher Text besteht entweder aus einem Kontext von Sätzen und lässt eine Textstruktur erkennen, oder es handelt sich um ein zufälliges Nebeneinander von verschiedenen Texten.

    Viel hängt von einem ersten Vorverständnis bzw. von einem unvoreingenommenen Zugang ab. Da wohl niemand von uns den Jakobusbrief zum ersten Mal liest, ist ein geduldiges und selbstkritisches Hin- und Hergehen zwischen Vorverständnis und erneuter Begegnung mit dem Text notwendig. Zu achten ist auf das besondere Vokabular (semantisches Netz), die Regeln der antiken Rhetorik und die besondere Sprechsituation, die Hörer- bzw. Leserorientierung, also „den Sitz im Leben. Ziel ist das Erkennen des Gesamtzusammenhangs als ein einheitlicher Text (ein „Gewebe) in einer sinnvollen Struktur (einem „Gebäude"). A. Vanhoye nennt als methodologische Prinzipien zunächst eine vollkommene docilité gegenüber dem Text in seiner konkreten Form³. Was Jakobus als Bereitschaft bezeichnet, gegenüber dem Logos der Wahrheit „schnell zum Hören (1,19) zu sein, gilt auch von zwischenmenschlicher Kommunikation. „Kommunikation sucht die Übereinstimmung in einem munus, sei es von Gott oder einem anderen Menschen aufgegeben. Wo die Vergewisserung durch mündlichen Austausch nicht möglich ist, gilt es den vom Gegenüber formulierten Text bis in seine Einzelheiten ernst zu nehmen und die Gedanken des Autors auf Grund dieser seiner Formulierungen nachzuvollziehen. Das so ermittelte Ergebnis muss sich wiederholt mit allen Widerständigkeiten des Textes konfrontieren und an ihnen bestätigen. Sodann nennt Vanhoye die Berücksichtigung der Relation von Form und Inhalt. Der innere Ausdruck und der äußere Eindruck entsprechen einander wie Leib und Seele. Der Text ist nicht in erster Linie historisch oder psychologisch zu hinterfragen, sondern als bewusste Gestaltung des Autors zu erkennen, der seinen Einsichten eben diesen Ausdruck verliehen hat, worin sie transparent werden sollen. Es geht also nicht um ein geistloses und geisttötendes Kleben am Buchstaben (vgl. 2 Kor 3,6), sondern den Nachvollzug der exakten sprachlichen Differenzierung als Erschließen der geistigen Aussage. Schließlich wies Vanhoye auf die Notwendigkeit hin, angesichts der früheren Versuche von Exegeten die unterschiedlichen Kriterien für die Strukturierung und den Nachvollzug eines Textes miteinander zu kombinieren⁴.

    1.2Semantischer Einstieg

    Dass der Text des Jakobusbriefes nicht nur eine aphoristische Sentenzensammlung ist, ein Konglomerat von Weisheitssprüchen mit bloßen Stichwortverbindungen, zeigte H. Frankemölle in seinem Kommentar⁵. Der gehobene Sprachstil ist nicht von anderen Autoren übernommen, sondern zeichnet sich aus durch Individualität, eigene Wortschöpfungen (wie etwa apeírastos in 1,13, oder prosôpolêmptéô in 2,9), viele singuläre Ausdrücke (hápax legómena) und ein besonderes Gespür für Alliterationen und Assonanzen. Der Autor weiß alle Register der Rhetorik zu ziehen und besondere Sätze durch metrischen Sprachrhythmus hervorzuheben (bis hin zu einem Hexameter in 1,17)⁷.

    Frankemölle sieht in Jak 1,2–18 eine Einführung (Exordium), welche alle Themen bereits anschneidet und die Stichworte für den folgenden Text liefert. Auch wenn sich diese Sicht in der hier dargelegten Beurteilung nicht bestätigen wird, so weist doch die von Frankemölle in einer Tabelle von sechs Seiten angegebene Verteilung der Grundbegriffe auf den gesamten Text mit jeweiligen Schwerpunkten auf eine Gesamtdisposition⁸. Die Vermutung liegt nahe, dass in einem stilistisch und argumentativ so differenziert ausgearbeiteten Text nicht nur verschiedene Themen angesprochen werden, sondern ein Grundgedanke in fortlaufender Argumentation entfaltet wird. Dass die vielen Versuche, nach der negativen Beurteilung von Dibelius und Mußner doch eine Gesamtstruktur des Textes zu entdecken, bisher zu keinem überzeugenden Konsens führten, ist kein Grund zur Resignation, sondern Herausforderung zu vertiefter Auseinandersetzung⁹. Ähnlich wie A. Vanhoye die Struktur des Hebräerbriefes analysierte, nachdem er die bisherigen Versuche auf ihre positiven und negativen Aspekte analysiert hatte¹⁰, soll der folgende Einblick in die Literatur zur Struktur des Jakobusbriefes Wegweiser aufsuchen, die sich bewährt haben. Es geht nicht um eine Vollständigkeit, sondern um typische und lehrreiche Beispiele. Dabei können wir auf die Zusammenfassung der bisherigen Arbeiten zur literarischen Struktur des Jakobusbriefes von Taylor aus dem Jahr 2004 zurückgreifen¹¹.

    1.3Das Briefmodell

    Das literarische Genus und die Textstruktur bedingen einander. Der uns vorliegende Text wird als „Jakobusbrief" bezeichnet. Dies ergibt sich aus Jak 1,1, dem Präskript eines Briefes in der griechischen Form: Absender, Adressat und Gruß in einem einzigen Satz (so auch Apg 15,23; 23,26)¹². Dennoch ist die Frage nach dem genus litterale damit noch nicht geklärt.

    Die typische Briefsituation ist eine Kommunikation aus der geographischen Distanz. So erhält Paulus in Ephesus verschiedene Informationen aus der Kirche Gottes in Korinth und geht in einem Brief darauf ein. Die Aneinanderreihung der einzelnen Anliegen kann durchaus überlegt sein und es kann sogar ein den einzelnen Punkten gemeinsames Grundanliegen zum Ausdruck kommen, so dass wir nicht nur ein Konglomerat kasuistischer Einzelfälle vorfinden. Dennoch handelt es sich nicht um die Abhandlung eines einzigen Themas, sondern um das Eingehen auf verschiedene Ereignisse an einem bestimmten Ort.

    Auch der Römerbrief ist eine Kommunikation aus der Distanz und will auf einen künftigen Besuch des Apostels vorbereiten. Aber hier geht es Paulus darum, „sein Evangelium" schon im Voraus schriftlich und grundsätzlich zu erläutern. Das Corpus des Briefes enthält eine sorgfältig ausgearbeitete, nach den klassischen Regeln der Rhetorik gegliederte Abhandlung¹³. Anders der „Hebräerbrief": durch ein kurzes postscriptum (día brachéôn) wird eine „Trostrede mit Grüßen im Stil des Apostels Paulus versandt (Hebr 13,22–25). Die Rede selbst stammt nicht vom Autor des Absenders, der auf den aus dem Gefängnis entlassenen Timotheus hinweist, wobei der Autor der versandten Rede zuletzt um das Gebet bat, doch bald freigelassen zu werden (Hebr 13,19.23, jeweils mit „rascher [táchion]). Die Rede selbst zeigt ansonsten keinerlei Briefsituation, erweist sich vielmehr als ein sorgfältig strukturierer Diskurs über das Priestertum Christi¹⁴. Man könnte auch eine Gedichtsammlung in einem Brief senden: „Lieber Freund, ich sende Dir meine jüngsten Gedichte: …, und am Ende hinzufügen: „Alles Gute, Dein … – deshalb ist die Gedichtsammlung doch eine Gedichtsammlung und kein Brief.

    So muss auch der Text des Jakobusbriefes noch auf sein literarisches Genus hin untersucht werden, ohne das Präskript außer acht zu lassen. Der Adressat sind die „zwölf Stämme in der Diaspora. Dies könnte eine Anspielung auf die Diasporabriefe der jüdischen Tradition sein (Jer 29,1–23; Bar 6,1–72). Freilich finden wir dort die typische Situation der geographischen Distanz zu den Adressaten, den Verbannten in Babylon, die sich in einer vom Absender unterschiedenen Lage befinden. Eine andere Diasporasituation findet sich im Neuen Testament. Petrus schreibt an die „Fremdlinge oder „Zugereisten" der Diaspora in Pontus, Galatien etc. (1 Petr 1,1), die doch in ihrer angestammten Heimat leben. Sie sind aber durch ihre Auserwählung den eigenen Landsleuten entfremdet und leben nun in der Fremde (1 Petr 1,17 paroikía ¹⁵): sie haben ihre patría, ihr Bürgerrecht, nicht mehr auf Erden, sondern im Himmel (Eph 3,15)¹⁶. Der Absender befindet sich in derselben existentiellen Lage wie die Adressaten und die Diasporasituation ist nicht geographisch bedingt.

    Im Unterschied zum Ersten Petrusbrief nennt Jakobus nicht einzelne Länder oder Provinzen als Bestimmungsort, sondern die „zwölf Stämme in der Diaspora". Damit wird auf das neue, von Gott auserwählte Gottesvolk gewiesen (vgl. Mt 19,28 par; Offb 7,5–8; 21,12). Ebenso wie im Ersten Petrusbrief ist die Auserwählung des Gottesvolkes aus den Völkern der Heiden die eigentliche Diasporasituation. Ob das Präskript des Jakobusbriefes eine fiktive oder eine wahre Briefsituation einleitet, muss zunächst offenbleiben.

    Man hat darauf hingewiesen, dass Jak 5,7–20 die Ansprache beschließt (peroratio) und die typischen Elemente eines Briefschlusses enthält: Aufruf zur Bewährung, die Themen Krankheit, Tod und Leben, ein eschatologischer Ausblick und ein Hinweis auf das Schwören. Dabei räumt auch Frankemölle ein, dass der eigentlich gattungsgemäße Wunsch am Schluss des Briefes fehlt, und meint, diese gattungsgemäße Leerstelle sei sicherlich gewollt, da „für Jakobus … nicht die Gattung, sondern das Thema vorherrschend ist"¹⁷. Dennoch ist für Frankemölle der gesamte Text ein Brief: die Einführung (praescriptum) sei „ein ganz eindeutiges Eröffnungssignal für die literarische Gattung Brief¹⁸. Da die Forschungsergebnisse zur hellenistischen Epistolographie ergeben, „dass der antike Brief keine einheitliche Struktur besaß (ebd.), kann nach Frankemölle ein Prolog 1,2–18 die Stichworte liefern, die im Verlauf des Briefes (in freier Reihenfolge) amplifiziert werden:

    1,1Praescriptum

    Man sieht, dass die Stichworte aus dem 1. Kapitel in freier Reihenfolge amplifiziert werden, eine durchgehende Einteilung liegt nicht vor¹⁹.

    Ähnlich sieht M. Klein²⁰ im ersten Kapitel zwei ganz allgemein formulierte Themenankündigungen (propositiones) (1,2–18 und 19–27), die dann in sieben Mahnreden, in einer argumentatio von 2,1 bis 5,6, entfaltet werden: 2,1–13 erste Mahnrede über das Ansehen der Person; 2,14–26 zweite Mahnrede über Glaube und Werke; 3,1–12 dritte Mahnrede über die Gefährlichkeit der Zunge; 3,13–18 vierte Mahnrede über wahre und falsche Weisheit; 4,1–12 fünfte Mahnrede über Kampf und Streit und ihre Ursache; 4,13 – 5,6: sechste und siebte (Doppel-) Mahnrede über das Streben nach Besitz. Es folgt eine peroratio 5,7–11 als Reprise des ersten Themas und ein Briefschluss 5,12–20. Klein selbst bestätigt: „Die Reihenfolge der einzelnen Mahnreden etwa erscheint weiterhin als willkürlich und lässt keinen kontinuierlichen Gedankenfortschritt erkennen"²¹. Damit fällt Klein in die Tradition von Dibelius zurück. Interessant ist dagegen seine Beobachtung der unterschiedlichen Adressaten in den verschiedenen Mahnreden: 1. Gesamtgemeinde; 2. Gegner der Gemeinde; 3. Gesamtgemeinde; 4. Gegner der Gemeinde; 5. Gesamtgemeinde; 6. und 7. soziale Gruppen innerhalb und außerhalb der Gemeinde²². Diese abwechselnde Anrede trifft bis 3,12 tatsächlich zu. Warum 3,13–18 dann aber als Folge der „schönen" Abwechslung und anschließend 4,1–12 an die Gesamtgemeinde bzw. an die Gegner der Gemeinde gerichtet sein soll, ist nicht ersichtlich. Die Einteilung der Abschnitte ab 4,1 ist nicht mehr so eindeutig und wird von den Autoren unterschiedlich angegeben.

    Festzuhalten ist, dass sich die Einteilung der Abschnitte 2,1–13; 2,14–26; 3,1–12 und 3,13–18 mit derjenigen bei Frankemölle deckt: sie ergibt sich aus inhaltlichen Gründen. Freilich hat diese „konzeptuelle Methode"²³ den Nachteil, ohne den Leitfaden einer durch den Autor selbst angegebenen Struktur auf ein Vorverständnis zu rekurrieren, dessen Übereinstimmung mit der Intention des Autors nur vermutet werden kann. Die Beziehung auf Hinweise in 1,2–18 bzw. in 1,2–18 und 19–27 als Stichwortlieferant lässt eventuell Vorzugsgedanken des Autors erkennen, aber keine Disposition und spezifische Aussageabsicht. So schließt Frankemölle nur aus dem Wortfeld von 1,2 ff. das „klare Thema: Die angeredeten Christen sollen nicht gespalten/unbeständig sein, sondern vollkommen/ganz"²⁴. Dagegen ist M. Klein der durchgehende Bezug auf das „vollkommene Werk" (érgon téleion) in 1,4 aufgefallen, so dass er seiner Arbeit zum Jakobusbrief den Titel gab: „Ein vollkommenes Werk – allerdings mit dem Untertitel: „Vollkommenheit, Gesetz und Gericht als theologische Themen des Jakobusbriefes. Dass mit 1,4 eine Linie eröffnet wird, die über 1,12 bis hin zu 5,11 verläuft, weist M. Klein unter „3.2.3 ‚Vollkommenheit‘ und ‚Vollendung‘ im weiteren Verlauf des Jakobusbriefes nach²⁵. Dabei verweist der eschatologische Aspekt des „vollkommenen Werkes auf den „Lebenskranz" (stéphanos tês zôês) in 1,12 voraus (3.2.3.1) und die Herrenvollendung (télos kyríou) ist darauf zurückbezogen (3.2.3.7): „Das télos kyríou würde dann auch dem stéphanos tês zôês von 1,12 genau entsprechen"²⁶. Würde man diese Spur konsequenter verfolgen, könnte man ein bloßes Briefmodell mit einer Einleitung als bloßem Stichwortlieferanten zugunsten eines rhetorischen Modells überwinden.

    Auch L. T. Johnson sieht im Ancor Bible Commentary des Jakobusbriefes aus dem Jahr 1996 nur allgemeine hellenistische Themen und Gemeinplätze (tópoi), wobei wiederum das Kapitel 1 der Schlüssel zur „Struktur" sein soll. Insgesamt handelt demgemäß der Brief vom Gegensatz der Freundschaft zur Welt und zu Gott. Zwei Arten von Wirklichkeit und von Verhalten sind nach Johnson in 1,2–27 angegeben und werden in 2,1 – 5,18 in 7 Abschnitten mit 17 verschiedenen Begriffen ausgeführt. Nur in 2,1–26 erkennt Johnson eine Diatribe, die sich mit einem imaginären Gegner in rhetorischen Fragen auseinadersetzt²⁷.

    P. H. Davids sieht ebenfalls eine zweiteilige Einleitung (1,2–11 und 12–27): Prüfung, Weisheit, Reichtum; und: Prüfung, Rede, Tat. Nach einem Summarium und Übergang in 1,26–27 würden diese sehr allgemein gefassten Themen dann in freier Reihenfolge entfaltet: Reichtum in 2,1–16; Weisheit 3,1 – 4,12; Prüfung 4,13 – 5,6. Am Schluss folgt eine eschatologische Ermahnung (5,7–11) und der Briefschluss (5,12–20). Als Alternative wird angegeben: 2,1–26: Armut und Hochherzigkeit; 3,1 – 4,12: Sprache; 4,13 – 5,6: Reichtum; 5,6–20: Konklusion²⁸.

    T. Penner erkennt das Aufgreifen von 1,2–4 in 1,12. So lässt er nach dem Briefgruß die Eröffnung in 1,12 enden, worauf das Corpus des Briefes von 1,13 bis 4,5 folgt. Danach sieht er eine Konklusion von 4,6 – 5,12 und den Briefschluss 5,13–20²⁹. Eigenartigerweise sah er nicht, dass die Linie von 1,2–4 über 1,12 in 5,11 einen Abschluss findet.

    Über eine rein konzeptuelle Methode kommt der Kommentar von Blomberg/Kamell³⁰ zu einer Einteilung, die sich ohne Beachtung rhetorischer Indizien einem rhetorischen Modell annähert. Nach den Eingangsgrüßen I (1,1) und einem Abschluß V (5,19–20) finden sich demnach 4 Abschnitte, welche dieselben drei Themen jeweils neu behandeln:

    II (1,2–11) A 1,2–4 Prüfungen; B 1,5–8 Weisheit; C 1,9–11 Reiche – Arme.

    III(1,12–27) A 1,12–18 Prüfungen; B 1,19–26 Weisheit; C 1,27 „thesis" [!].

    IV (2,1 – 5,18) A 2,1–26 arm – reich; B 3,1 – 4,12 Weisheit und Reden; C 4,13 – 5,18 Versuchungen. Die thematischen Zuweisungen verdanken sich zwar oft eher der „schönen Parallele – etwa 1,19–26 als „Weisheit – aber die Unterabschnitte halten sich an die allgemein anerkannten Abgrenzungen.

    Das Briefmodell erlaubt also eine relativ freie Aneinanderreihung von verschiedenen Themen, die dem Absender am Herzen liegen. Diese können durchaus von einem Grundanliegen und einer einheitlichen Sicht ausgehen, auch über mehrere Abschnitte hinweg eine rhetorische Struktur integrieren, sind aber nicht als eine durchgehende Abhandlung eines einzigen Themas konzipiert. Die unterschiedlichen Einteilungen durch die Vertreter des Briefmodells können bei dieser Konzeption hingenommen werden. Ob dies aber dem vorliegenden Text gerecht wird, muss sich allererst erweisen.

    1.4Das rhetorische Modell

    Einen ganz anderen Anspruch erhebt der Text, falls es sich um eine Rede nach den klassischen Regeln der antiken Rhetorik handelt³¹. Die Kunst der Rhetorik erlaubt dem Hörer bzw. Leser, dem Anliegen und Gedankengang des Rhetors zu folgen, ohne dass das Thema allzu plump und oberflächlich angekündigt wäre, etwa in dem Stil: „Ich behandle das folgende Thema …, und zwar in drei Abschnitten: erstens …, zweitens …, drittens … Ich beginne mit erstens: …". Die kunstvolle Rede ist keine technisch nüchterne Anweisung. Die Rhetorik erlaubt durchaus Varianten und folgt nicht einem uniformierten Schema, aber es gibt Grundregeln und Indikatoren, die dem geübten Hörer einen sicheren Leitfaden bieten.

    Grundsätzlich will der Redner in einem exordium die Aufmerksamkeit des Lesers, womöglich mit einer captatio benevolentiae, vom allgemeinen zu einem besonderen Thema lenken³². Es gilt die Regel: propositio versus finem exordii. Die propositio, den eigentlichen Themenvorschlag, herauszuhören ist von entscheidender Bedeutung. Ohne das Thema allzu platt anzukündigen, sollte die propositio ausreichend hervorgehoben sein. Dies kann durch eine besondere Alliteration geschehen, wie das keklêronómeken ónoma in Hebr 1,4 als Abschluss eines feierlichen Einleitungssatzes (1,1–4)³³, oder durch das Wiederaufgreifen des zuletzt genannten Elementes, wie in Hebr 2,17–18 und 3,1–2: der barmherzige und glaubwürdige Hohepriester – der Hohepriester, glaubwürdig. Das zunächst genannte Adjektiv „barmherzig" wird dann ab 4,15 dargelegt. Auch im Jakobusbrief werden wir diese Kunstform erkennen. Vanhoye nennt dies motcrochet oder parola gancio, also eine unmittelbar aufgegriffene Stichwortverbindung³⁴.

    Nach dem exordium mit der propositio kann eine narratio oder auch ein exemplum eingefügt werden, um den Sitz im Leben zu konkretisieren. Ansonsten folgt die expositio oder argumentatio. Vor allem in den biblischen Texten ist nach den grundsätzlichen Darlegungen auch jeweils eine exhortatio angefügt, um die praktischen Konsequenzen für den Hörer vor Augen zu führen bzw. ans Herz zu legen. Eine Rede will nicht nur informativ, sondern auch performativ sein. Der Wechsel von Indikativ und Imperativ ist ein wichtiges Strukturmerkmal³⁵. Die Rede wird abgeschlossen durch eine peroratio, welche das Ergebnis noch einmal feierlich zusammenfasst. Ein klassisches Beispiel ist Hebr 13,20–21. Sollte ein postscriptum folgen, so gehört dies nicht mehr zur eigentlichen Rede.

    Neben der propositio sind die Inklusionen ein wesentlicher Indikator für die Struktur der Rede. Beginn und Ende eines Abschnitts und damit eines Gedankengangs werden durch ein Stichwort oder eine Reihe von Stichworten markiert. Freilich ist nicht jede Wortwiederholung, und wäre es auch ein wichtiges Wort, eine Inklusion. So erwies sich die Wiederholung des „Wortes Gottes" in Hebr 1,3 (rhêma) und 4,12 (lógos toû theoû) als Inklusion für einen ersten großen Abschnitts zum Thema „Wort Gottes" als Irrtum. Ergänzend zu einer eventuellen Stichwortverbindung und Inklusion muss auch das typische Vokabular des jeweiligen Abschnitts untersucht werden. Die frühere konzeptuelle Methode, die sich direkt auf den Inhalt der einzelnen Sätze konzentrierte, soll durch die Berücksichtigung der formalen Struktur vor subjektiver Vereinnahmung bewahrt werden, aber auch die formalen Kriterien bedürfen der Bestätigung durch das Material des verwendeten Vokabulars. So kam Vanhoye nach einem Überblick über die bisherige Forschung mit ihren positiven Erkenntnissen und einseitigen Ergebnissen zur Methode der sich ergänzenden und bestätigenden Vielfalt der Kriterien³⁶.

    Schon lange vor dem vernichtenden Urteil von Dibelius über die Zusammenhanglosigkeit des Jakobusbriefes wurden einzelne Strukturmerkmale entdeckt. Bereits im Jahr 1850 wies E. Pfeiffer auf Jak 1,19, wo drei Elemente erwähnt werden, die in den folgenden Kapiteln entfaltet werden: „schnell zum Hören in 1,21 – 2,26, „langsam zum Reden in 3,1–12 und „langsam zum Zorn" in 3,13 – 4,12³⁷. Freilich beginnt der Text nicht in 1,19. Wenn der Hörer bzw. Leser nicht mit dem ersten Satz der Rede in das Thema eingeführt wird, so haben wir keine nachvollziehbare Struktur, sondern ein Puzzlespiel. Außerdem erfordert die genauere Analyse von 1,20–26 eine Differenzierung. Vor allem ist darauf hinzuweisen, dass das letztgenannte Element „langsam zum Zorn" in klassischer Weise zunächst in 1,20 aufgegriffen wird. Aber eben dies zeigt, dass die genannten drei Elemente für die Struktur des Textes bedeutend sein können.

    Mit mehr linguistischem Aufwand, aber einem noch ungenaueren Ergebnis sieht Ekstrom den Vers 1,19 in umgekehrter Reihenfolge aufgegriffen in zwei Teilen: 1,21 – 3,18 und 4,1–17. Demnach wären 1,1–18 und 5,1–20 ein Rahmen um 1,19 – 4,17³⁸. R. Wall sieht nach einer allgemeinen Einleitung 1,2–4.5–8.9–11.12–15 und 16–18 in 1,19 das Programm für die gesamte Struktur und verteilt die drei Elemente ähnlich wie Pfeiffer auf die Abschnitte a 1,22 – 2,26; b 3,1–18; c 4,1 – 5,6³⁹.

    Anfang und Schluß sind bei E. Baasland⁴⁰ besser integriert: 1,2–15 exordium; 1,16–18 transitio; 1, 19–27 propositio; 2,1 – 5,6 argumentatio und confirmatio; 5,7–20 peroratio. Auch er sieht in den drei Elementen in 1,19 das eigentliche Thema der Rede. Freilich ist einzuwenden, dass diesem Vers nicht nur eine Einleitung vorausgeht, sondern eine sehr differenzierte Darlegung grundsätzlicher Zusammenhänge (1,13–18). Jedenfalls ist mehreren Exegeten die Aufzählung der drei Elemente in 1,19 als Strukturmerkmal aufgefallen.

    Eine detailliertere Analyse finden wir schon im Jahr 1904 bei Cladder⁴¹: er sieht in 3,17 die zentrale Aussage, dass die „reine Weisheit friedfertig, voll Barmherzigkeit und unparteiisch ist (a’, b’, c’). Dies würde als Inklusion die „reine Religion in 1,27 aufgreifen, auch dort mit drei Aspekten (a, b, c): die Zunge zügeln, die Waisen besuchen und sich unbefleckt bewahren vor der Welt. Dazwischen stünden die entsprechenden Ausführungen im Corpus der Rede (CBA):

    Aber auch hier setzt die Analyse nicht am Beginn der Rede ein. 1,1–8 wäre nur eine allgemein gefasste Einleitung, die mit den Themen Gebet und Ausdauer dem Schluss in 5,7–20 entsprächen. 1,9–25 würde die Einleitung fortsetzen, wobei in den Versen 19–25 Programm und Struktur angeben wäre. Eine Inklusion von „reiner Religion und „reiner Weisheit in 1,26–27 und 3,17 wäre dem Hörer bzw. Erstleser ohne besondere Textanalyse wohl kaum aufgefallen. 2,14–26 behandelt nicht eigentlich die Werke der Barmherzigkeit, sondern das Verhältnis von Glaube und Werken. Ab 3,13 überschneiden sich bei Cladder die Arrangements mit einer neuen Einheit 3,13 – 4,8. Auch hier entsteht eher der Eindruck eines Puzzlespiels als eines durchgehenden Leitfadens. Ab 4,13 bis 5,6 würde sich Jakobus dann gegen diejenigen wenden, welche die Entscheidung von 1,9–25 ablehnten⁴². Die Gefahr, eine Inklusion zu „entdecken" und dann den Rest wie in ein Prokrustesbett einzupassen, wird offenkundig.

    Der schon erwähnte T. Penner fixiert sich zusammen mit L. Alonso-Schökel auf eine Inklusion durch das seltene Wort antitássetai in 4,7 und 5,6. Die Quelle dieses Wortes fände sich in Spr 3,34 und die dortige Aussage wäre entfaltet in der doppelten Aussage in 4,7–10: Gott gibt dem Demütigen Gnade; und in 4,13 – 5,6: Gott widersteht dem Hochmütigen⁴³. Aber dass der Autor das Wort antitássetai in 5,6 noch einmal aufgreift, bedeutet noch nicht eine markierende Inklusion von 4,7 bis 5,6. Zudem weist das Vokabular und der besondere Gedanke auf verschiedene Einheiten innerhalb der Abschnitte von 4,1–12 und 4,13 – 5,6. Ob 4,13–17 und 5,1–6 einen oder zwei Abschnitte bilden, muss noch genauer analysiert werden.

    M. E. Taylor bietet in seiner Zusammenfassung der Studien zur Struktur einen eigenen Vorschlag⁴⁴, den er dann im Jahr 2006 in einer Monographie ausführte⁴⁵. Auf der Suche nach Inklusionen entdeckt er die Beziehung von 1,2–4 zu 1,12 und von 1,12 zu 1,25. Die zentrale propositio sieht er in 1,12. Allerdings hat Taylor nicht die doch sehr klare Beziehung zu 5,11 gesehen. Dagegen sieht auch er mit Alonso-Schökel und Penner eine Inklusion von 4,6 zu 5,6. Für Taylor ist 1,2–25 eine allgemeine Einleitung mit eschatologischer Orientierung. Diese zweifelhafte Qualifizierung erlaubt ihm eine Parallelsetzung zu 5,7–20 als umfassende Inklusion. Interessant ist seine Bezeichnung von 2,1–16 als „opening essay", was einer narratio entspricht. Der somit eingegrenzte zentrale Text 2,14 – 5,6 wird auch hier in einer Art von kompliziertem Puzzlespiel in sich überschneidende Abschnitte zugeordnet, die dem ursprünglichen Hörer bzw. Leser ohne eine Analyse am Computer sicher nicht auffallen konnte. Demnach stünde 2,13–14 parallel mit 4,11–12 und 4,6 mit 5,6 als sich überlappende Inklusionen rund um Zitate aus dem Alten Testament. Aus der Erkenntnis einer propositio in 1,12 wurde kein Gewinn gezogen: diese stünde mitten in einer allgemeinen Einleitung 1,2–25 und die Entfaltung des angegebenen Themas wird nicht einsichtig gemacht. Zwar greift die Seligpreisung in 1,25 diejenige von 1,12 auf, aber die sich an die Themenankündigung anschließende Darlegung in 1,13–18 mit der Stichwortverbindung „Versuchung" wurde von Taylor nicht als solche erkannt.

    Eine beeindruckende Struktur nach den Gesetzen der antiken Rhetorik schlägt W. H. Wuellner vor⁴⁶. Er definiert die Abschnitte der Rede auf Grund der Medienwahl, der Gattungswahl, der Argumentationswahl, der sprachlichen und stilistischen Wirkmittel. In 1,2–12 sieht er das exordium mit einer narratio. Dem entspräche am Ende eine peroratio von 5,7–20. Die argumentatio reicht von 1,13 bis 5,6 in sechs Abschnitten, abgegrenzt nach Sprechsituation, Textwahl und Länge: 1,13–27; 2,1–13; 2,14–26; 3,1–18; 4,1–12; 4,13 – 5,6.

    So ergibt sich folgende Übersicht:

    Auch hier bestätigt sich die Beurteilung von 1,12 als propositio, hervorgehoben durch die aufgreifende Inklusion zu 1,4. Aber auch Wuellner hat nicht gesehen, dass diese Linie von 1,4 über 1,12 in 5,11 zu einem feierlichen Abschluss kommt. Die drei in 1,19 angegebenen Elemente hat Wuellner nur in 2,14–26 wiederentdeckt. Hier sollte man die Idee Pfeiffers aufgreifen, um nicht nur sechs Abschnitte aneinanderzureihen, sondern als konsequente Applikation zu gliedern.

    Zuletzt sei noch die linguistische Textanalyse von Oda Wischmeyer vorgestellt⁴⁸. Sie sieht nach der salutatio „an eine fiktive, besser literarische Leserschaft, „eine durchgehende Rede an die ‚Brüder‘ im paränetischen Imperativ der 2. Person Plural, in die begründende und erläuternde längere und kürzere Aussagesätze bzw. Satzfolgen eingeschaltet sind⁴⁹. Folglich werden die imperativischen Anreden als „Obertext, die indikativischen Begründungen als „Untertext bezeichnet. Insgesamt handelte es sich nach Wischmeyer um eine „literarische Ansprache oder Mahnrede, in der die 2. Person Plural leitend ist"⁵⁰.

    Nach dieser Analyse ist das Fazit einleuchtend, dass „der Verfasser von 1,2 an eine Rede, nicht einen Brief schreibt"⁵¹. Allerdings sollte der stilistische Rahmen nicht mit dem Inhalt verwechselt werden. Logischer wäre es ja, wenn der Imperativ aus dem Indikativ folgen würde und nicht umgekehrt. Dass sich dann am Ende insgesamt eine „Mahnrede" ergibt – wie auch beim sogenannten Hebräerbrief, der im postscriptum als „Trostrede" bezeichnet wird (lógos tês paraklêseôs Hebr 13,22) – widerspricht nicht der grundlegenden Bedeutung der lehrmäßigen Ausführungen. Auch den Hebräerbrief wollte man einzig auf Grund des Kriteriums des wechselnden genus litterale von exhortatio und expositio strukturieren. Vanhoye referiert die Vorschläge von Gyllenberg und Büchsel⁵². Er bemerkt dazu kritisch, dass zum Beispiel trotz des einleitenden Imperativs in 3,1 „Beginnt nun zu betrachten!" der Abschnitt 3,1–6 eine lehrmäßige expositio darstellt und dass das ganze Kapitel 11, die Vorbilder des Glaubens, trotz fehlender Imperative ein exhortatio sein kann. So sollte auch die Analyse von O. Wischmeyer kritisch hinterfragt werden. Nach ihr ist 1,2–6a eine imperativische Rede, nur 1,6b wäre eine Begründung. Dieses hat zwar ein begründendes „denn" (gár), ist aber eigentlich nur eine mahnende Erinnerung. Dagegen enthält doch 1,3–4 nach dem überraschenden Imperativ in 1,2 „erachtet als jegliche Freude! eine grundsätzliche Aussage, die es zu erkennen gilt („erkennend, dass …, gignôskontes hóti), und die bereits einen besonderen Inhalt vorstellt, den der Autor auch erläutern sollte.

    So müssten auch die in einer Tabelle⁵³ als „Imperativische Rede dominierend aufgezählten Teile differenziert werden: unter diesem Titel folgt nach 1,2–4 ebenfalls 1,5–8 als Obersatz, worin 6b als Begründung und Vers 8 als Lehrsatz untergeordnet sind. Auch wenn man hier nicht eigentlich von einem Lehrsatz sprechen kann, so zeigt sich doch, dass die besonderen Qualifikationen innerhalb einer Mahnrede „seelisch gespalten (dípsychos) und „bestandlos" (akatástatos) in den folgenden Ausführungen eine wichtige Rolle spielen. Immerhin hat Wischmeyer deutlich hervorgehoben, dass 1,12 nach der Mahnrede von 1,9–11 ein „Eigener Lehrsatz (Makarismus) ist. Dennoch wird auch dieser Satz unter die „deutlich selbständigen Subtexte, entweder im Satzumfang oder als kürzere oder längere Argumentation eingereiht⁵⁴. Die folgenden eingehenden Analysen von 1,13–15 und 1,16–18 werden ganz zu Unrecht als „von imperativischer Rede dominiert subsummiert, mit der Bemerkung: „darin 13b ff. Begründung der Lehre und „darin 17 f. Lehrsätze. Der eingeschobene Imperativ in Vers 16 kann mit dem Imperativ „bedenkt! in Hebr 3,1 verglichen werden: er mahnt zur Aufmerksamkeit auf die Darlegungen einer besonderen Lehre (expositio). Die Einleitung mit „Brüder in 1,16–18 und 1,19–21, wozu es heißt „darin 17 f. Lehrsätze und „darin 20 Lehrsatz erweist diese Lehrsätze durchaus nicht als von imperativischer Rede dominiert. Freilich handelt es sich ab Vers 19 deutlich um eine praktische Konsequenz („es sei aber jeder Mensch …, aber die besondere Lehre der Geburt aus dem eingepflanzten Logos wird in den Versen 21.23.25 in geradezu philosophischen Gedanken weiter entfaltet. Die weiteren Ausführungen in 2,14–17 und 18–26 werden in der Tabelle dann doch als „selbständige Argumentation mit Lehrsatz (V. 17) anerkannt, obwohl „mit ‚Brüder‘ eingeleitet; und: „selbständige Argumentation mit Lehrsätzen (V. 24.26). Die Ausführungen in 2,14–26 sind ja tatsächlich von solch theologiegeschichtlicher Brisanz, dass die Qualifizierung des ganzen Textes als „literarische Ansprache oder Mahnrede, in der die 2. Person Plural leitend ist⁵⁵ nicht überzeugt. Die differenzierte Analyse der Kapitel 3 und 4 mit ihrem stark appellativem Charakter widerspricht dem nicht. Immerhin finden sich auch dort tiefgreifende Aussagen über das Wesen der Weisheit (3,17) und die Einwohnung des Gottesgeistes

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