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Der Seerosencode
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eBook247 Seiten3 Stunden

Der Seerosencode

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Über dieses E-Book

Drei Leichen werden innerhalb weniger Wochen in Berlin gefunden. Was verbindet sie miteinander? Zunächst nicht mehr als die Tatsache, dass alle drei Männer sind. Dann aber auch, dass neben jedem Opfer eine Seerose liegt. Das Team des Berliner LK1 steht vor einem Rätsel. Seine tastenden Ermittlungen führen ins Dickicht der Lebenslügen: Wie weit passe ich mich an, um geliebt und respektiert zu werden? Wo beginnt die Selbstaufgabe? Fragen grundlegender Art, wie sie auch im Alltag der Hauptkommissarin und ihrer beiden Kollegen eine Rolle spielen ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Apr. 2017
ISBN9783897419629
Der Seerosencode

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    Buchvorschau

    Der Seerosencode - Sonja Steinert

    Teich.

    Donnerstag, 10. April

    Das Erste, was ihr ins Auge fiel, war eine cremeweiße Seerose, die wie verloren auf dem Weg lag, kaum größer als die Innenfläche ihrer Hand. Sie spürte Lust, sie anzufassen.

    Der Polizist grüßte und hielt das rot-weiß gestreifte Absperrband hoch, sodass Hauptkommissarin Judith Rabe darunter durchschlüpfen konnte, während sie ihm zunickte. Sie war sofort voll konzentriert auf die Situation, alle ihre Sinne arbeiteten auf Hochtouren. Der Tote lag bäuchlings auf dem Weg, der südöstlich um die Krumme Lanke herumführte.

    »Ein Jogger – steht dort drüben – hat ihn gegen halb sieben gefunden.«

    Judith sah kurz hinüber, wo ihr Kollege Simon Bacher mit dem Mann sprach. Sie vertiefte sich wieder in den Anblick des Toten, dessen Kopf nach rechts gedreht war, der rechte Arm war etwas höher, so als wollte er sein Gesicht berühren, der linke lag, ebenfalls leicht angewinkelt, unter dem Körper. Während das linke Bein durchgestreckt war, lag das rechte angezogen, das Knie berührte die Erde.

    Auf dem Hinterkopf konnte Judith die Spuren von Schlägen erkennen, vermutlich mit einem Ast, denn es gab kleine krümelige Reste von Erde oder Rinde. Der Mann war etwa Mitte vierzig. Er trug einen hellgrauen, teuer aussehenden Anzug, ein schwarzes Hemd, keine Krawatte, schwarze Lederschuhe. Sein rasierter Schädel war leicht beschattet vom nachwachsenden Haar, seine Wangen zeigten dunklen Bartwuchs. Judith streifte Handschuhe über, zog einen Folienbeutel aus der Jackentasche und beugte sich hinunter. Tastete Jacken- und Hosentaschen ab, ließ Schlüssel, Brieftasche, eine geöffnete Packung Papiertaschentücher und ein fingerlanges Schweizermesser in die Tüte fallen und richtete sich wieder auf. Ein knacksendes Geräusch. Sie griff sich ins Kreuz und hielt einen Moment die Luft an.

    »Der Mann, der ihn gefunden hat«, sagte Simon neben ihr mit einer Kopfbewegung in Richtung des Joggers, der jetzt hinüber zur Fischerhüttenstraße ging, »hat niemanden gesehen und nichts angefasst.«

    Judith zog den Personalausweis aus der Brieftasche und hielt ihn so, dass ihr Kollege mitlesen konnte.

    »Ach – kein Handy, kein Autoschlüssel?«, meinte Simon mit Blick auf den Beutel. Judith schüttelte den Kopf. »Nee, nichts. Vielleicht hat der Mörder Handy und Schlüssel mitgenommen. Kann ein missglückter Autoverkauf gewesen sein.«

    Sie schaute um sich, ihr Blick ging zum Wasser und über den Weg, der zwischen See und Wald hindurchführte und normalerweise von Spaziergängern mit und ohne Hund, von Joggern, Radfahrern und Kindergruppen belebt war. »Einen Ast oder Knüppel suchen wir auch noch. Mit so was wurde er niedergeschlagen.«

    Von der Fischerhüttenstraße her kamen ihre Kollegen von der KTU, sie grüßten einander wortlos mit leicht erhobener Hand oder einem kurzen Nicken.

    Während die Kriminaltechniker mit der Untersuchung des Fundorts begannen, startete Judith den weißen Mégane und Simon gab telefonisch die Daten des Toten, erste Fotos und was sie sonst noch an Informationen hatten, an Olaf Lehnert, ihren Teamkollegen im LK1 in der Keithstraße, durch.

    »Stübbenstraße. Sagt dir das was?«, fragte Judith, während sie in die Clayallee einbog.

    Simon schrieb mit. »Verstanden.« Während er seine Notizen überflog, ließ er das Handy in die Jackentasche gleiten. »Na, Schöneberg, Nähe Bayerischer Platz. Also, Hartmut Wilhelmi, Doktor der Biologie, arbeitet im Botanischen Garten, ist verheiratet mit Katja Schönau, Journalistin, keine Kinder.«

    »Zuerst in die Wohnung, danach in den Botanischen Garten?« Trotz des Verkehrs wären sie sicherlich noch vor acht Uhr am Bayerischen Platz. Simon nickte.

    »Die Seerose«, begann Judith. Ich hätte sie so gerne angefasst.

    »Die ist unsere Direktverbindung zum Botanischen Garten, oder?«, meinte Simon. Er fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht und gähnte.

    »Müde?« Judith wusste, dass ihr jüngerer Kollege sich durchaus auch mal eine Nacht mitten in der Woche um die Ohren schlug. Simon antwortete nicht. Judith wunderte sich über seine ungewohnte Schweigsamkeit. »Hier schon links?« Ohne seine Antwort abzuwarten, war sie bereits abgebogen. Sie fuhren langsam an der Stübbenstraße 18 vorbei, parkten dann eine Ecke weiter und gingen zurück. Das Haus, in dem Wilhelmis Wohnung lag, war einer der typischen Berliner Altbauten aus der Zeit um 1900. Die Fassade war geschmackvoll restauriert und wirkte mit ihren dezenten Reliefs und Ornamenten, den feinziselierten schmiedeeisernen Balkongittern und der zweiflügeligen Eingangstür mit blauem und rotem Überfangglas ziemlich nobel. Auf ihr Klingeln erfolgte keine Reaktion.

    Sie warteten. Simon trat einen Schritt zurück und schaute an der Fassade des Hauses hoch. Im zweiten Stock links stand ein Fenster offen. Er klingelte, kurz darauf summte der Türöffner. Hintereinander stiegen sie die mit einem hellen Sisalläufer belegte Treppe hoch, die ebenso wie das Treppenhaus in einem warmen Rotbraun gestrichen war. In der offenen Tür im zweiten Stock stand ein alter Herr, der ihnen freundlich entgegenschaute.

    »Hauptkommissarin Rabe von der Berliner Kripo«, stellte Judith sich vor und hielt ihrem Gegenüber den Dienstausweis vors Gesicht, »und das ist Kommissar Bacher. Wir möchten zu Frau Schönau. Wissen Sie vielleicht, ob sie das Haus schon verlassen hat?«

    »Ernst Bruck mein Name«, der Herr neigte leicht den Kopf, nachdem er Judiths Dienstausweis in Augenschein genommen hatte. »Jetzt wo Sie mich fragen – sie ist gestern Abend fortgegangen, noch bevor er wieder zurück war von der Arbeit. Und heute Morgen habe ich weder sie noch ihn gehört oder gesehen. Eigentlich komisch.«

    »Wieso komisch?«

    »Na ja, ich bin doch oft schon vor sechse wach und meistens bis Mitternacht, ich kann doch nicht mehr so lange schlafen, und dann höre ich natürlich, wer durchs Treppenhaus geht. Ich erkenne schon an den Schritten, wer von den Nachbarn das ist, das können Sie mir glauben. Ja, und den Herrn Wilhelmi, den habe ich gestern Morgen früh um halb acht die Treppe hinuntergehen hören, wie immer. Aber gestern kam er nicht wie sonst meistens gegen sieben nach Hause. Vielleicht kam er ja erst spät in der Nacht. Aber heute Morgen, wie gesagt, da habe ich keinen von beiden gehört. Schon komisch.«

    »Wo arbeitet denn Frau Schönau, können Sie uns das sagen?«

    »Na ja, die Frau Schönau, die schreibt für den Tagesspiegel, die ist viel unterwegs, ja und der Herr Wilhelmi, der ist Botaniker und hat den ganzen Tag Pflanzen um sich. So ein schöner Arbeitsplatz!« Herr Bruck lachte mit blitzenden Augen hinter den starken Gläsern seiner Brille. »Der ist auch viel unterwegs. Aber warum wollen Sie das denn alles wissen?«

    »Das können wir Ihnen leider nicht sagen«, lächelte Judith verbindlich. »Vielen Dank jedenfalls.«

    Herr Bruck nickte und schloss langsam seine Wohnungstür.

    Eine knappe halbe Stunde später standen Judith und Simon vor dem Mitarbeitereingang des Botanischen Gartens, wiesen sich aus und ließen sich den Weg zum Büro des Direktors erklären.

    Im Sekretariat von Professor Aschersleben, der jeden Moment erwartet wurde, blätterten sie bei einem Kaffee mit Keks in den auf dem Tisch liegenden Broschüren.

    Es war einige Jahre her, dass Judith zum ersten und bisher einzigen Mal den Garten besucht hatte, zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Hanna und deren Tochter Fanny. Die an gläserne Kirchenschiffe erinnernde Jugendstil-Architektur der Gewächshäuser hatte sie ebenso fasziniert wie die verschiedenen Landschaftsgärten – sie erinnerte sich vor allem an den »Kaukasus« – im weitläufigen Park. Der Anlass für den Besuch damals war eine Hausaufgabe, die Fanny für den Biologie-Unterricht erledigen sollte und die sie auch gewissenhaft ausführte. Aber was genau war das noch mal gewesen? Hanna jedenfalls, die auf sämtlichen Fensterbrettern alle möglichen Arten von Kräutern zog und sie für Tees und beim Kochen verwendete, war zielstrebig zum Apothekergarten marschiert und Fanny peilte geradenwegs ihren Zielort an. Judith hingegen ließ sich von Landschaft zu Landschaft treiben, verlor sich hier und dort im Anblick einer üppigen Blütenpracht oder eines wild wuchernden Strauchs und stand lange vor den Seerosen, von denen etwas Anziehendes ausging, ein In-sich-Ruhen und zugleich eine leichte Beweglichkeit. Solchermaßen versunken, fühlte Judith sich heftig gestört, als Hanna und Fanny sie mit lautem, fröhlichem Geplauder überfielen. Sie hatten gesehen, was sie sehen wollten, und wollten nun ins Café. Was, so fragte Judith sich heute, hatte sie eigentlich abgehalten, zu sagen, geht schon mal vor, ich komme nach, und noch eine Weile in Ruhe den Anblick der Seerosen zu genießen? Das war typisch für sie, sich einfach mitziehen zu lassen, ihre eigenen Bedürfnisse selbstverständlich zurückzustellen. So wichtig war das doch nicht, redete sie sich bei solchen Gelegenheiten selbst zu, darauf muss ich doch jetzt nicht bestehen, das gibt nur Stress.

    Simon berichtete leise von seinem Telefonat eben mit Olaf. Frau Schönau war für eine Reportage nach München geflogen, würde wie geplant gegen fünfzehn Uhr dreißig wieder in Berlin sein und von Tegel aus direkt in die Keithstraße kommen.

    »Ihr Mann ist tot und sie macht ihren Job!« Simon schüttelte den Kopf. »Mannomann.«

    »Ach«, meinte Judith süffisant, »du bist doch sonst kein Anhänger leidenschaftlicher Verhältnisse, du hast es doch selbst lieber etwas unverbindlicher, oder?«

    Simon ignorierte ihren Einwurf, legte den Zeigefinger auf eine Seite der Broschüre, die er in der anderen Hand hielt, und flüsterte: »Mann, hier arbeiten über hundertzehn Leute und dann noch bis zu dreißig Saisonkräfte! Wenn wir die jetzt alle befragen müssen, das dauert ja Wochen!«

    Professor Aschersleben war schockiert, als er vom gewaltsamen Tod Dr. Wilhelmis hörte. Wilhelmi war Leiter der Abteilung für Biodiversitätsforschung, einer von insgesamt vier Abteilungen des Botanischen Gartens. Aschersleben konnte sich nicht vorstellen, dass Wilhelmis wissenschaftliche Arbeit etwas mit seinem Tod zu tun haben sollte, wirkte jedoch höchst alarmiert, als Simon Bacher ihm ein Handyfoto der bei dem Toten gefundenen Seerose zeigte. Er nannte sie bei ihrem botanischen Namen und war sich sicher, dass Seerosengewächse dieser Art auch im Botanischen Garten beheimatet waren. Er räumte allerdings ein, dass man gerade diese verbreitete Sorte – sie war nach Walter Pagels, einem US-amerikanischen Wasserpflanzenforscher benannt und 2006 Seerose des Jahres gewesen – natürlich auch in Gartencentern kaufen oder über das Internet beziehen könnte. Zur definitiven Klärung der Herkunft der gefundenen Pflanze verwies er die Ermittler an Frau Dr. Sonntag, Seerosenspezialistin und Kollegin von Herrn Dr. Wilhelmi, die ihnen im Übrigen auch dessen Arbeitsplatz zeigen könnte.

    Bis auf eine sehr kurze Mittagspause, die sie im Café des Botanischen Gartens verbrachten, waren Rabe und Bacher damit beschäftigt, sich einen Überblick zu verschaffen über diesen Kosmos für sich. Das Büro des getöteten Biologen lag im Gebäude des Botanischen Museums, wo sich auch die Forschungslaboratorien und einige Sammlungen wie das Herbarium befanden. Es gab nur wenige persönliche Dinge in diesem hohen Raum, dessen Fenster vom zweiten Stock des historischen Baus aus einen weiten Blick in den Garten bot. Einige großformatige Fotos, auf denen ein fröhlicher braungebrannter Dr. Wilhelmi inmitten wild wuchernder Pflanzen oder urwaldartigen Grüns zu sehen war, waren zweifellos während seiner Forschungsreisen entstanden. Sein Spezialgebiet waren bestimmte Pflanzenarten in Südamerika, vor allem in Amazonien. Die Regale waren mit Ordnern, Büchern und sauber geschichteten Stapeln bedruckter Blätter übersichtlich gefüllt. Vor manchen Buchrücken lagen kleine farbige Steine, getrocknete Pflanzen und kunsthandwerklich gestaltete Figürchen, farbenfroh bemalt. Die Ermittler fanden keinen Kalender, möglicherweise hatte Dr. Wilhelmi seinen Kalender im bisher nicht aufgefundenen Handy oder im PC geführt. Sie überließen Wilhelmis Büro den KTU-Kollegen, die inzwischen eingetroffen waren.

    In weiteren Büros auf demselben Flur trafen sie Kolleginnen und Kollegen des Ermordeten an, darunter auch Frau Dr. Sonntag, die die Seerose auf dem Foto ebenfalls sogleich als Sorte »Walter Pagels« identifizierte und den Ermittlern anbot, ihnen das Becken in einem der Gewächshäuser zu zeigen, in dem diese Seerose zusammen mit anderen wuchs und blühte – während sie im Gartenteich erst gut vier Wochen später zur Blüte ansetzte, dann aber bis in den Herbst immer wieder neue cremeweiße Blüten hervorbrachte, die so groß wie ihre grünen Blätter waren. Dr. Martina Sonntag war eine zierliche, fast magere dunkelhaarige Frau um die fünfzig, die sich als sehr zurückhaltend erwies. Über den toten Kollegen äußerte sie sich mit Wertschätzung und Respekt. Er sei ein leidenschaftlicher Forscher gewesen, systematisch und kreativ, reiste gerne, veröffentlichte viel und hielt Vorträge auf internationalen wissenschaftlichen Tagungen. Wie er als Chef so gewesen sei? Eigentlich ganz in Ordnung. So oder ähnlich ausweichend waren die Antworten auf diese Frage alle ausgefallen.

    Das Seerosenbecken, in dem auch die kleine weiße »Walter Pagels« schwamm, befand sich in einem der weitläufigen Gewächshäuser. Hätte es jemand darauf angelegt, eine Seerose abzubrechen und in der Kleidung versteckt mitzunehmen, wäre es ein Leichtes gewesen, registrierte Judith.

    Während der Fahrt von Lichterfelde nach Tiergarten in die Dienststelle hingen sie ihren Gedanken nach. Nach den stundenlangen Befragungen hatten beide keine Lust zu reden. Judith konzentrierte sich ganz aufs Fahren. Das war manchmal wie eine Meditation. So wie jetzt.

    Die Unruhe in der Keithstraße, Schritte und Rufe in den Gängen, klingelnde Telefone, Gesprächsfetzen aus offenen Türen, geschäftige Routine – all das prallte Judith entgegen, als sie die Glastür zum Flur des LK1 aufstieß. Aus der Tür ihres gemeinsamen Büros trat Olaf Lehnert in den Flur und hob grüßend die Hand.

    »Hallo Olaf«, murmelte Judith und lächelte. Hauptkommissar Lehnert war irgendwie das, was sie sich unter einem Fels in der Brandung vorstellte. Er war groß und ziemlich kräftig und mit einer bedächtigen Art ausgestattet, die – das war gut für Verhöre wie auch für ihre Fallanalysen – aber auch unerwartet schnelle Reaktionen und scharfsinnige Einwürfe einschloss.

    »Sie ist schon hier«, er wies mit einer Hand in Richtung des Vernehmungsraums neben ihrem Büro.

    »Okay. Lass uns noch kurz auf Simon warten, der holt Kaffee.«

    »Und, was habt ihr rausgefunden?«

    »Viel gehört, viel gesehen, viele Möglichkeiten, aber wir haben nichts in der Hand. Die wichtigen Infos hat Simon dir ja durchgegeben. Mal hören, was die Schönau zu sagen hat.«

    Simon kam eilig den Flur entlang und balancierte vier Kaffeebecher auf einem kleinen Tablett. Kurzes Nicken, dann betraten alle drei den Vernehmungsraum. Katja Schönau saß aufrecht auf dem Stuhl, etwas zurückgelehnt. Ihr dezent geschminktes Gesicht, umrahmt von schulterlangem blondem Haar, ließ keine Regung erkennen. Olaf stellte Judith und Simon kurz vor.

    Während er sie befragte, beobachtete Judith ihre Reaktionen.

    »Und das war also nicht weiter ungewöhnlich, dass Sie Ihren Mann nicht mehr gesprochen haben vor dem Abflug nach München?«

    »Nein, überhaupt nicht. Ich schreibe für verschiedene Redaktionen. Es kommt häufig vor, dass ich auch mal kurzfristig für ein Interview oder eine Reportage verreise, meistens bin ich dann anderntags zurück. Hartmut wusste, dass ich an dem Abend nach München fliege. Wozu hätte ich ihn also noch anrufen sollen?«

    »Was hatte Ihr Mann denn an diesem Mittwochabend vor? Haben Sie darüber gesprochen?« Olafs Stimme war ruhig und sachlich.

    »Ich weiß es nicht, nein, er hat nichts gesagt, ich habe einfach angenommen, dass er nach der Arbeit nach Hause geht. Manchmal hat er auch länger gearbeitet, wenn irgendeine Veröffentlichung anstand oder er noch einen Artikel zu Ende schreiben wollte. Dafür hat er ja in seinem Büro alles Nötige. Zu Hause hat er eigentlich nicht gearbeitet, na ja, außer sich mal was zu lesen mitgebracht.«

    »Wir haben bei Ihrem Mann weder ein Handy noch einen Autoschlüssel gefunden. Haben Sie dafür eine Erklärung?«

    »Sein Handy hat er eigentlich immer dabei. Vielleicht hat er es in seinem Büro liegen lassen. Ein Auto haben wir nicht. Hartmut fährt mit der U-Bahn und ich meistens auch oder ich nehme auch mal ein Taxi.«

    »Was könnte Ihr Mann an der Krummen Lanke gewollt haben? Soweit wir wissen, hat er sein Büro in der Zeit zwischen zwanzig und einundzwanzig Uhr verlassen. Kurz vor einundzwanzig Uhr brannte jedenfalls dort kein Licht mehr, und Viertel vor acht hat eine Kollegin noch mit ihm telefoniert.«

    Schönau senkte den Kopf und schaute auf ihre Hände, die zusammengefaltet in ihrem Schoß lagen.

    »Keine Ahnung.« Sie schaute hoch und schüttelte den Kopf. »Ich kann es Ihnen nicht sagen.«

    »Wie lange sind Sie verheiratet? Wie lief Ihre Ehe?« fragte Olaf weiter.

    »Wir sind seit sieben, nein acht Jahren verheiratet. Wir – ja, wie soll ich sagen, wir führen eine ganz normale Ehe. Wie das halt so ist, wenn beide berufstätig sind, viel unterwegs und so.«

    Judith hörte dem Satz hinterher. Er wirkte auf sie wie eine rasselnd heruntergelassene Jalousie. Sie wechselte einen raschen Blick mit Olaf und glaubte zu erkennen, dass auch er diese Allerweltsformulierung zu glatt und nichtssagend fand.

    »Was hat Sie beide denn zusammengebracht, was hat Sie verbunden?« schaltete sich Judith in die Vernehmung ein.

    Katja Schönau schaute die Ermittlerin an. Dann zog ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht, das wieder verschwand, noch ehe es ihre Augen erreicht hatte.

    »Kennengelernt haben wir uns auf dem Rückflug von Rio de Janeiro nach Berlin. Da saßen wir nebeneinander und kamen ins Gespräch und wie das halt so ist …«

    »Gab es andere Beziehungen neben Ihrer Ehe? Affären?« fragte Judith weiter.

    Alle drei Ermittler nahmen das leichte Zögern wahr, das Schönaus Kopfschütteln vorausging.

    »Frau Schönau«, übernahm Olaf wieder die Befragung, »wir müssen Sie leider auch zu so profanen Dingen wie Ehevertrag und Vermögenswerten fragen. Besitzen Sie Wohneigentum, gibt es Lebensversicherungen, haben Sie oder Ihr Mann geerbt?«

    Die Vernehmung zog sich hin, ohne dass sich ein greifbarer Anhaltspunkt ergab. Kein Motiv weit und breit. Judith ging, noch ehe das Gespräch beendet war. Sie würden sich ohnehin morgen über die Ergebnisse dieses Tages austauschen.

    Auf dem Weg in die Dessauer Straße kaufte Judith fürs Abendessen ein – sie hatten Besuch von Hannas Schwester Bettina aus Augsburg und Judith hatte versprochen, heute Abend zu kochen. Das Umschalten vom »Arbeitsmodus« in den »Privatmodus«, wie sie es nannte, fiel ihr heute besonders schwer. Etwas stimmte nicht mit der Beziehung von Wilhelmi und Schönau. Katja Schönau verbarg etwas. Judith spürte das so deutlich, als sei da etwas mit Händen zu greifen. Sie wusste, dass sie sich auf ihre Intuition verlassen konnte.

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