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Läufer sind sexy: Neue Laufabenteuer und die schönste Nebensache der Welt
Läufer sind sexy: Neue Laufabenteuer und die schönste Nebensache der Welt
Läufer sind sexy: Neue Laufabenteuer und die schönste Nebensache der Welt
eBook261 Seiten3 Stunden

Läufer sind sexy: Neue Laufabenteuer und die schönste Nebensache der Welt

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Über dieses E-Book

Joe Kelbel berichtet in diesem Buch von 20 Ultraläufen weltweit - wie immer auf seine eigene, unnachahmliche Art und Weise.
Spätestens unter der Finisherdusche begreifen weibliche und männliche Läufer, dass sie unwiderstehlich sind. Schwarze Fußnägel, wunde Innenschenkel oder marathonal bedingte, ängstlich versteckte Körpergebiete sind Merkmale ausgeprägten Überlebens- und Balzverhaltens. Joe Kelbel muss es wissen. Nach über 400 Marathon- und Ultraläufen bietet er uns einzigartige Einblicke in die Welt des Ultralaufens, die noch von archaischen Pheromonen dominiert wird.
Wer denkt, der Laufsport sei langweilig und trocken, dem gehen nach der Lektüre dieses Buches nicht nur die Augen auf.
SpracheDeutsch
Herausgebermainbook Verlag
Erscheinungsdatum19. Juli 2019
ISBN9783947612611
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    Buchvorschau

    Läufer sind sexy - Joe Kelbel

    Buch.

    2005 Grizzly Marathon: Skurrile Wild-West Show

    Montana, irgendwo zwischen dem Glacier und dem Yellowstone Nationalpark liegt unterhalb der Rocky Mountains Front die Kleinstadt Choteau, benannt nach Jean Pierre Chouteau aus St. Louis, der schon als 15-Jähriger regen Pelzhandel mit den Indianern und hier seine nördlichste Pelzstation betrieb. Büffel gibt es nicht mehr, aber Grizzlybären.

    Die City Hall ist gleichzeitig das Rathaus und jeden ersten und dritten Dienstag im Monat geöffnet. Dort ist die Startnummernausgabe. 227 Läufer sind gemeldet, das nutzen die Einheimischen um Stickereien, Taschen aus Stachelschweinborsten und eingekochte Marmelade zu verkaufen. Die kleine Deutschlandfahne auf meinem Hemd wirft die Frage auf, ob ich aus Kansas sei.

    Mich treibt eher die Frage um, ob ich denn am Startplatz übernachten kann oder ob man dort von Grizzlybären verspeist wird, denn bei meinem letzten Trainingslauf wurde ich von Polizeistreifen von der Straße gezogen, laufen sei verboten, das würde den Jagdinstinkt der Bären wecken. „Well, the course will be well-monitored for runner‘s safety" sagt man mir, was ich so verstehe, dass hinter jedem Bären ein Ranger mit Knarre läuft.

    70 Kilometer oberhalb von Choteau, am Fuße der Rockies ist der Startort mit einer USA-Flagge und sieben mobilen Klohäuschen gekennzeichnet. Ich parke mein Wohnmobil zehn Meter von der Startlinie entfernt, aber in geruchssichererem Abstand zu den Facilities. Bei Karl May gab es immer Bärentatze, ich packe drei T-Bone-Steaks auf den Grill.

    Auf der steinigen Wiese zelten zwei Läufer. Matthew und Zac kommen gerade aus dem Irakkrieg zurück, sprühen vor Kraft und Patriotismus. Sie sehen aus wie Bodybuilder, die gerade aus dem Säurebad kommen.

    Warum Deutschland nicht zur coalition of the willing gehören würde? Ich antworte, dass Chancellor Schröder sie doch unterstützen würde, und ich einen Kühlschrank mit eiskaltem Bier hätte. Prompt demonstriere ich meine Kampfbereitschaft mit der Öffnung meiner fünften Bierdose, während die beiden Jungs sich für den morgigen Wettkampf mit Liegestützen und Klimmzügen am Startbogen warm machen.

    Die Glutsonne geht alsbald hinter den Rocky Mountains unter, es wird empfindlich kalt. Die tapferen Irakkrieger verschwinden in ihr warmes Zelt. Genieße ich halt alleine den Blick über die sanft abfallende Prärie, die in rotgoldenen Farben glüht. Die wellige Prärie hier ist nicht mit kurzem Gras bewachsen, hier wächst die Rutenhirse, Sorte Heavy Metal, und die ist schon mal einen Meter hoch und Lieblingsspeise der Büffel. Wo das Land flacher wird, dort wo die endlosen Weizenfelder sind, dort erahne ich den Missouri, auf dem Lewis und Clark 1805 hinauffuhren und das Land kartographierten.

    Um drei Uhr morgens wird es laut, als wäre jetzt auch in Montana Krieg. Grelle Scheinwerfer erhellen das Startgebiet. Männern mit roten und grünen Laserschwertern fuchteln in der Luft herum, als wolle ein F-16-Geschwader vor meinem Wohnmobil landen. Doch die Männer in leuchtenden Westen weisen nur dicke Allradautos an sich korrekt an meinem Fahrzeug auszurichten.

    Da jeder Läufer von drei bis vier Wagen mit Freunden und Familienmitgliedern begleitet wird, gleicht diese Szene tatsächlich der Ankunft eines überfälligen Kampfgeschwaders auf einem Flugzeugträger. Vor den Klohäuschen bilden sich meterlange Warteschlangen und eine ungewöhnlich große Anzahl kläffender Kleinstköter kackt vor die Wohnzimmertür meines Recreation Vehicles. Im Zelt der Irakkämpfer jedoch bleibt es ruhig, die sind so einen Auflauf wohl gewohnt.

    Um 6:25 Uhr begebe ich mich mit einer Bierdose bewaffnet an die Startlinie. Eigentlich habe ich übergewichtige Menschen erwartet, doch die meisten sind völlig ausgehungert, aber mit dem neuesten Läufer-Schnickschnack in den Farben der Saison ausgestattet.

    Die amerikanische Flagge ist riesig, hängt fast zum Boden. Darunter eine Digitalanzeige, denke es geht jetzt los, denn wir sind überfällig. Links zwei Lastwagenanhänger ohne Wände, rechts die unglaublich vielen Fans, da springt ein Pastor gekonnt auf einen der Anhänger und hält eine Rede. „Our father who art in heaven, hallowed be thy name…" OK. Jetzt geht’s los. Nein.

    „Auf, dass Gott unseren Soldaten im Irak und unseren Läufern hier beim Marathon die Kraft gibt, den Kampf fortzuführen". Training wäre besser gewesen, also ich zurück zum Kühlschrank, das scheint eine längere Rede zu werden. Als ich eine Hymne höre, springe ich wieder raus, doch es ist wohl nur die Hymne von Montana. Es folgt die Hymne der USA. Alle Läufer halten ihre rechte Hand aufs Herz, ich die Bierdose vor meinem Bauch. Geht es jetzt los?

    Der Chef des Laufes hält noch eine Rede auf einem der Anhänger, während die Läufer mit den Tränen der Vaterlandsliebe kämpfen. Dann lässt er sich ein Maschinengewehr geben und feuert wie wild in den Morgenhimmel. Ich glaube, es geht los!

    Panik! Halbmarathonläufer, die sich vorne eingereiht haben, laufen zurück auf die Startlinie, wo Full Marathon steht. Ich quetsche mich in Gegenrichtung. Nach 40 Metern die Brücke über den Rose River, der in den Yellowstone River führt. Ich laufe links über die Steinbrücke, Halbmarathonläufer kommen mir entgegen, sie sollten rechts laufen. Zwei Typen im Khaki-Anzug, schwerem Gepäck und Halbmarathonnummer versperren mir den Weg. Matthew und Zac brauchen Anweisung: „Get back and fight!" Machen die auch. Sofort habe ich freien Blick hinunter in die Prärie, etwa 30 grellbunte Läufer vor mir. Wow, das könnte heute lustig werden!

    In dem Moment überholt mich ein Kanarienvogel in quietschgrüner halblanger Hose, schwarzen Shorts drüber und roten Socken. Rosa, langärmliges Hemd, weiße Handschuhe. Die Handinnenflächen dreht er feminin nach oben. Die Unterschenkel und Knie sind mit einem Wirrwarr aus blauem und rotem Tape verklebt. Weiße Bandagen dekorieren seine Knie. Es ist die Auferstehung vom Mosi, der mit einem Kabel, nicht mit Tape erdrosselt wurde.

    Die Sonne geht auf, es wird schnell warm. Meile sieben: Kurve rechts, heiße Sonne links. Hier beginnt die gravel road, keine Straße, sondern eine Kiesgrube, die einst der Ur-Missouri geschaffen hat. Mein leichter Lauf wird zur Katastrophe, jeder Schritt eine Qual. Erste Steigung von 1300 auf 1600 Höhenmeter. Ich liebe den Blick über die weiten Ebenen. Die Lunge schmerzt, der Kies bohrt sich in die Sohlen, die Gelenke brennen.

    Zwei Tage später habe ich Kathleen zu ihren Eltern gefahren

    „Good job!" rufen die Farmerstöchter, was ich sexuell verstehe

    Eine blonde Läuferin in Tenniskleidung, deren Arsch die Vakuumtoilette im Airbus 800 luftdicht verschließen würde, reduziert ihr Gewicht, indem sie ihren Hintern über das gelbe Gras senkt. Ich stelle mir vor, wie die Crew des Airbusses nach der Landung die Dame vom Vakuumklo hebelt.

    Dann überhole ich einen kleinen, dicken Italienischstämmigen mit nacktem Oberkörper, dessen v-förmige Fettfalten seinen schwarz behaarten Rücken in sechs Abschnitte unterteilen. Ein seltsamer High-School-Footballspieler im Dress der Denver Broncos fühlt sich mit seinen überdimensionierten Schulterschockern als Held. Ein schlaksiger Hüftschwinger stellt sein Skrotum in weißen Lauftights genüsslich zur Schau.

    Wende. Sonne von hinten. Erhabener Blick nach unten in die goldene Ebene. Ich zähle 20 Läufer vor mir. Eiskalter Schauer auf meinem Rücken, denn die kriege ich auch noch!

    Wieso der Mosi jetzt vor mir ist? Der Hüftschwinger überholt mich: „Only 10 miles to go", dann bleibt er stehen, ich rieche, dass seine atmungsaktive Jacke nicht mehr atmet. Als ich bei Meile 16 den Mosi überhole, fällt mir auf, dass er seine quietschgrünen Tights nicht mehr anhat, auch sämtliche Bandagen und Tapes sind verschwunden, ist er jetzt geheilt? Nein, er hat seine Zubehörteilchen im Dixiklo entsorgt, erzählt er mir stolz.

    Meile 17: Sehr, sehr steil geht es bergauf. Ein starker Wind aus den Bergen bremst mich zusätzlich. Eine Gruppe von sieben Farmerstöchtern pusht mich nach oben: „Good job, go ahead". Wahrscheinlich ist dieser Spruch Titel des örtlichen Pornofilms und ich stelle mir vor, wie ich aus Gewohnheit das Haar der sieben Farmerstöchter streicheln würde.

    Meile 18 hat es in sich. Wie eine Skisprungschanze ragt der Weg vor mir auf. Von oben kommen mir drei Läufer entgegen, ich bin auf Platz vier. Die Lungen schmerzen höllisch, der Gegenwind aus den Bergen wird unerträglich, schlimmer als vor drei Jahren beim Windmarathon in Frankfurt. Ein Skelett in Laufkleidung liegt auf dem Boden „Super Die"…noch 100 Meter steil bergauf bis zum Wendepunkt bei Meile 19… und dann stehe ich oben auf dem Tafelberg, ich könnt heulen vor Freude, muss aber meine Platzierung verteidigen.

    Ein drei Meter großer Plüsch-Grizzly drückt mir eine Medaille in die Hand, das ist eine Kontrollmarke. Ich dreh mich um, laufe mit riesigen Schritten abwärts. Komme jetzt wieder an den sieben Farmerstöchtern vorbei. Die große Blonde hat es mir angetan, ein süßes Dingelchen namens Kathleen. „Meet me after the race, my RV is just beside the startbanner."

    Läufer laufen mir bergauf entgegen, gratulieren mir, klatschen, jubeln, ich bin immer noch auf Platz vier! Linkswende, Versorgungsstation, blaue, weiße Getränke und Bananen in der quietschgrünen Farbe, die Mosi anscheinend so gern hat.

    Dann sehe ich den High-School-Footballspieler mit seinen überdimensionalen Schulterpolstern vor mir. Hä? Den hatte ich doch schon überholt.

    Auf den nächsten 6 Meilen brausen Pick-ups an mir vorbei. Die Ladeflächen voll mit Läufern: Mosi, der Hüftschwinger, der Italiener mit dem behaarten Rücken, alle jubeln mir zu von der Ladefläche aus zu. Nur die Tennisspielerin mit dem Breitarsch hängt über der Ladefläche und kotzt. Im Staub der Autos komme ich als Vierter ins Ziel. Make Amerika great again!

    Ich nehme eine Dusche in meinem Recreation Van, da klopft es an der Tür. Unwillig packe ich ein Handtuch, das seit Wochen nicht gewaschen wurde um meine schlanken Hüften. Es ist Kathleen, sie trinkt Bier und mag gegrilltes Fleisch. Sie sagt, sie sei eine Amische, und im Moment auf Rumspringa, wie die Amisch das freie Leben nennen, bevor sie sich entscheiden, in der Gemeinschaft zu bleiben oder auszutreten. Ihr schwäbisch-schweizer Deutsch ist nicht gerade verständlich. Wörter wie Urlaub, Ferien, Bussi, Pariser oder Tschüss versteht sie nicht, oft wechseln wir ins Englische. Aber gut sieht sie aus mit ihren geflochtenen blonden Haaren unter weißem Häubchen. In zwei Tagen wird sie sich sicherlich entscheiden, aus der Gemeinschaft auszutreten.

    2009 Untertage Marathon: Willkommen in der Hölle!

    Sondershausen, Thüringen: Vor 250 Millionen Jahren lag Sondershausen am Nil. Na gut, hätte es Sondershausen da schon gegeben. Damals war dort ein flaches Meer und die Welt stand vor dem größten Massenaussterben. 95 Prozent der Meeresbewohner und 66 Prozent der Landbewohner machten die Fliege, ich nicht. Das Wasser des Meeres verdunstete, die Konzentration an Salzen erhöhte sich, lagerte sich am Meeresboden ab, jedes Jahr zehn Zentimeter. Etwa 1,5 Kilometer dick sind nun die Salzschichten unter Sondershausen.

    Kalisalz ist eine Mischung verschiedener Salze. Durch Veredelungsverfahren gewinnt man den Mineralstoff Kalium. Justus von Liebig war Deutschlands erster Dopingchemiker: Er raffte 1840, dass das Zeug bei Pflanzen die Photosynthese intensiviert, die Umwandlung von Zucker in Stärke und den Aufbau von Eiweißen beschleunigt. Also wurde gewühlt, man wollte ja große Kartoffeln. Die Jungs von Sondershausen haben unter ihrer Stadt Löcher von insgesamt 220 Kilometer Länge gebuddelt, mehrere Lagen, 400 bis 1500 Meter tief, für dicke Kartoffeln und Möhren, die Ferkel.

    An diesem Wochenende sind die Unterkünfte teuer. Ich teile mir mit E. das Zimmer. Sie wohnt in L., ich kenne sie von einem Lauf in M., wo ich hinter ihren Zöpfen hergelaufen bin. Wir hatten zusammen geduscht, was sie wohl schwer beeindruckt hatte, jedenfalls sagte sie mir, sie würde mich schon seit vielen Marathons kennen.

    Es ist noch dunkel, als ich schlaftrunken im Grubengebäude, in der Schachtstraße 20 ankomme. Die Grubenglocke schlägt fünfmal, Signal für die Einfahrt. Von unten aus dem tiefen Schacht, weht ein warmer Atem. Wie soll ich mich bei diesen Doppeldeutigkeiten auf den Lauf konzentrieren?

    Ziemlich beklemmendes Gefühl in der Enge des Käfigliftes. Je 24 Läufer, 700 Meter freischwebend über dem Abgrund. Ein Bergmann schreit: „Noch zwei, los, los, wir haben keine Zeit! Helm auf!". Helm mag ich nicht. Dann klatscht ein schwerer, speckiger Ledervorhang gegen das Kabinengitter. Es ist die gleiche Art Leder, die die Männer im Schlachthof tragen, wo ich das rohe Futter für die Jagdhunde kaufte.

    Es ruckelt, dann saust die Kabine wie im Freefall-Tower des Phantasialandes in die Tiefe. Es ist dunkel, unheimliche Stille. Ich fasse mir an die Nase, presse dagegen, um in die Ohren Druckausgleich zu bekommen.

    Der Aufzug rattert gleichmäßig, die Anspannung löst sich. Jemand hat eine Taschenlampe an die Decke des Lifts montiert, für Freizeitsportler halt. Vier Minuten später wird der fiese Ledervorhang aufgerissen: Die Wächter der Tiefe empfangen uns: „Willkommen in der Hölle! Willkommen in der Tiefe von 700 Metern."

    Die Bergleute genießen sichtlich unsere ängstlichen, orientierungslosen Dackelblicke. Man scheucht uns auf die offene Ladefläche eines Lasters, als seien wir Kriegsgefangene: „Dawei, Dawei!" Unsicheres Lächeln, bei 30 Grad im Dezember. Wir haben den tiefsten Marathon der Welt vor uns.

    Der Fahrer braust los. Er macht sich einen Spaß daraus, uns zu erschrecken, indem er haarscharf an den Wänden vorbeifährt. Vielleicht sind die Kratzer an den Wänden von den Lastwagen, hoffentlich von den Bohrmaschinen. In Kurven fährt er ohne zu bremsen. Es gibt nicht nur Kurven, es gibt auch steile Anstiege und starkes Gefälle, der Fahrer gibt mit seinen Fahrkünsten an. Plötzlich springt die Ladefläche hoch, es gibt hier wohl Bremsschwellen. „Oh, das war wohl schon ein Läufer" rufe ich in die verklemmte Runde, ein Kalauer, der mir böse Blicke einbringt. Das Wissen 700 Meter Gestein über sich zu haben ist zu bedrückend.

    Auch ich habe bei einem Marathon gerne die volle Kontrolle über mein Schicksal, aber hier bin ich abhängig von Leuten, die das Terrain kennen. Aber die Leute sind netter als im Westen, lockerer. So locker wie die Frontscheibe, durch die man kaum etwas sehen kann. Es lohnt sich nicht Wasser für die Scheibenwischer nachzufüllen, die salzige Luft zieht sogar das Wasser aus dem Kühler.

    Wir dürfen von der Ladefläche runter. Zeit, um in die Runde zu schauen. Mit unseren Fahrradhelmen sehen wir genauso lächerlich aus wie Rudolf Scharping, als er vom Rad geflogen ist. Wenn ein Salzbergwerk so sicher ist, dass man Atommüll lagern kann, warum müssen wir dann mit diesen lächerlichen Helmen laufen? Die Stollen sind beleuchtet, oft sind es nur vereinzelte Birnen, die an dünnen Drähten herabhängen. Was passiert, wenn jemand den Schalter ausmacht? Gut, dass wir Stirnlampen haben, aber reichen die Batterien, um den Ausgang zu finden?

    Das Start- und Zielgelände ist das infrastrukturelle Zentrum. Hier sind zahlreiche Bierzeltgarnituren aufgestellt, an denen sich die Läufer umziehen. „Mephistos Zeche" ist eine bunt erleuchtete Bar mit Imbiss, wo ich mir gegen die Aufregung erstmal mein tiefstes Bier der Welt bestelle. Es gibt einen imposanten Konzertsaal, Kegelbahn, Trausaal, Festsaal, Sanitätsstation und eine Kirche.

    Die Blaskapelle der Bergleute hebt die drückende Stimmung. Immer diese Doppeldeutigkeiten. Die Stollenmusiker sehen prächtig aus mit ihren Papphüten, auf denen rotweiße Hühnerfedern wippen. Weit dringt der Schall in die zahlreichen Stollen, die wir zögerlich erkundigen. Man traut sich nicht tief hinein, testet aber schon mal den Laufuntergrund, der im Halbdunkeln nicht abschätzbar ist.

    Ein großer Plan bildet den Streckenverlauf ab: Der 10,6 Kilometer lange Laufkurs ist achtförmig und berührt sich am Bauch. Countdown. Wir legen los. Der Puls schießt augenblicklich in die Höhe, es geht nochmals 400 Meter steil aufwärts. Dann Stopp. Es gibt einen zweiten Start, denn die 400 Meter sollen nicht mitzählen. Die Poleposition habe ich schon mal nicht. Die, die vorhin bei der Musik noch getanzt und gelacht haben, scheinen sich nun zu konzentrieren. Drei, zwei, eins, wieder los.

    Der Boden ist eigenartig. Was wie glattes Eis aussieht, ist griffiges Salz. Wo feiner Salzstaub liegt, kann es glatt sein. Manchmal sind schwarze, gläserne Stellen zu sehen, manchmal rote trübe, je nachdem ob Ton oder Eisen im Salz enthalten ist.

    Mit Conny und Jörg vor dem Autofriedhof aus der DDR-Zeit

    Treffen sich zwei Rosinen. Sagt die eine: „Warum hast du denn ne Lampe auf dem Kopf? Sagt die andere: „Ich muss noch in den Stollen.

    Gleich

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