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Die Leute von Napfheim: Schwäbische Erlebnisse
Die Leute von Napfheim: Schwäbische Erlebnisse
Die Leute von Napfheim: Schwäbische Erlebnisse
eBook133 Seiten1 Stunde

Die Leute von Napfheim: Schwäbische Erlebnisse

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Über dieses E-Book

Angeregt durch das neue Heimatmuseum, machen sich am Stammtisch im "Kreuz" der Bürgermeister, Schulmeister Josef und der Finanzbeamte Edwin Gedanken über ihr Dorf einst und jetzt. Auch die schrullige Wirtin trägt ihre kritischen Gedanken über die Männer und das Leben bei. Humorvoll und gespickt mit Anekdoten, entsteht dabei ein vielfältiges Bild einer kleinen schwäbischen Gemeinde, die beim Anpassen an die heutige Zeit so ihre Schwierigkeiten hat …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum13. Dez. 2018
ISBN9783842518025
Die Leute von Napfheim: Schwäbische Erlebnisse

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    Buchvorschau

    Die Leute von Napfheim - Karl Napf

    2017

    Die Leute von Napfheim

    Napfheim ist nur ein kleiner Ort. Vom Weltall aus sieht man es nicht, selbst wenn die Napfheimer alle Lichter in ihren Häusern einschalten würden. Auf den Landkarten ist es verzeichnet, aber es genügt ein Muckenschiss, um es verschwinden zu lassen. Es gibt keine Autobahnabfahrt nach Napfheim und auch kein Hinweisschild auf besondere Sehenswürdigkeiten, wie es in manchen Landschaften nach jedem Kilometer auf ein Schloss oder wenigstens eine Burgruine hinweist. Wer nach Napfheim will, muss dies wirklich wollen und nicht nur spazieren fahren, selbst wenn das Benzin einmal ganz billig sein sollte. Die größte Sehenswürdigkeit in Napfheim sind die Napfheimer selber, was ihnen auch sehr bewusst ist und sie das Leben fröhlicher angehen lässt als andere.

    Im Übrigen liegt Napfheim, wie die Napfheimer selbst zugeben, so dazwischen. Zwischen größeren Städten, zwischen größeren Flüssen und zwischen den großen Gebirgen mit ihrer natürlichen Schönheit. Napfheim ist sich selbst genug, und wer eine Hose oder eine Bluse erwerben will, braucht nicht, falls er nicht ohnehin im Internet kauft, in die Landeshauptstadt zu fahren, sondern kann dies, so er will, sogar fußläufig im nächsten Städtchen tun. Auch wenn alte Beschreibungen von ihrer Region davon sprechen, die Gegend um Napfheim herum sei recht eintönig, haben die Napfheimer dafür kein Verständnis und weisen darauf hin, dass man von ihrem Ort die schönsten Aussichten in die weite Umgebung hat. Wer noch richtig sehen kann, dem wird auch nicht entgehen, dass ihr Dorf im Norden und Osten von herrlichem Laubwald, im Süden und Westen von Streuobstwiesen mit edelsten Sorten umgeben ist, was mindestens zehnmal schöner ist als ein Kranz von Hochhäusern, bei denen der Putz blättert und in denen niemand wohnen will.

    Auch in Napfheim gibt es keinen »Latschareplatz« mehr, an dem sich die Dorfjugend trifft, aber das Milchhäusle blieb noch Jahrzehnte im Betrieb und half bei der realistischen Partnersuche, da das Vermögen potentieller Schwiegereltern schon an der abgegebenen Milchmenge ersichtlich war. In Napfheim kam eine Besonderheit durch die »Dichterhütte« hinzu.

    Am Waldrand mit Blick aufs Dorf hatte ein deutscher Soldat 1945 seinen Rückzug aus dem Krieg beendet und sich »häuslich« in einer kleinen Hütte niedergelassen. Er wurde vor allem von den älteren Mädchen aus dem Dorf besucht. Seinen Besucherinnen widmete er kleine Verse, weshalb in Napfheim für seine Behausung der Name »Dichterhütte« geläufig wurde. Die Verse waren kunstlos, aber dennoch sehr begehrt. So konnte es heißen: »Die Maria ist schön und schlank und hustet nicht mehr, Gott sei Dank!« Oder: »Unsere Victoria wartete hier lang auf ihren Husar, doch der ist nicht gekommen, da hat sie mich genommen.«

    Das wirklich Besondere am Leben in Napfheim ist, dass die Einwohner nicht erst darauf warten, dass in Berlin und Stuttgart zu jedem Problem ausreichend »Hirn ra gschmissa« wird, sondern sie sich selbst etwas einfallen lassen.

    Am meisten trägt aber zu ihrem Selbstbewusstsein bei, dass sie für ein Dorf in einem großen Land sich eine beachtliche Freiheit bewahrt haben. Zwar gelten die Männer in der Gemeinde nicht nur aus der Sicht ihrer Frauen eher als mittelprächtig, was in Anbetracht ihrer heute nicht mehr gefragten Qualifikation für Schippe und Schaufel, Pflug und Schraubstock und der überholten handwerklichen Fertigkeiten bis hin zur doppelten Buchführung aber schon recht bemerkenswert ist. Der Siegeszug der Frauen war, seit die rechtlichen Schranken durch das Grundgesetz gefallen waren, auch in Napfheim auf allen Gebieten triumphal, und seit der Digitalismus aufgekommen ist, weiß ohnehin niemand, wer der Partner auf der anderen Seite ist. Trotz ihrer Überlegenheit haben sich die Napfheimerinnen noch alte Ideale bewahrt: Sie sehen gut aus und sind im Vergleich zu ihren Männern sehr belastbar, das heißt, sie werden mit Kindern und der Küche gut fertig und üben oft noch einen Beruf aus. Das gute Aussehen und vor allem die schönen schwarzen Haare verdanken sie der Sage nach einem südfranzösischen Kriegsgefangenen, der nach der Schlacht von Sedan 1870 einem Bauern in Napfheim zugeteilt wurde und wertvolle Komponenten in das Erbgut der Napfheimer eingebracht haben soll. Im Übrigen sind die Frauen in diesem bewunderungswürdigen Ort klug genug, ihre Überlegenheit die Männer nicht spüren zu lassen, was zur Harmonie in den Familien sehr beiträgt.

    Die ersten zarten Bande zwischen den Geschlechtern entstanden wie erwähnt in Napfheim und anderen ländlichen Gemeinden oft schon im Milchhäusle des Dorfes. Das Wunder der körperlichen Liebe war der Landjugend meist auch ohne spezifische Filme und Produkte von Beate Uhse vertraut, gibt es doch den Typ des Stadtneurotikers, wie ihn Woody Allen verkörperte und er auf jedem städtischen Gymnasium zu finden ist, auf dem Land selten oder nie. Auch spielt »das Sach«, das heißt das Vermögen des potenziellen Partners, eine weit größere Rolle als in Städten und bewahrt vor amourösen Fehlplanungen. Auch der kirchliche Einfluss, der früher zu manchen Verklemmungen führte, ist überall zurückgegangen, so dass einer »normalen« Entwicklung der Napfheimer Jugend auf diesem lebenswichtigen Gebiet an sich nichts im Wege steht.

    Eine Klasse für sich sind die Napfheimer, die zum »Ortsadel« zählen. Diese gehören zwar nicht blutsmäßig zum Adel, wohl aber zu den einflussreichsten Bürgern, die schon lange im Dorf leben und so viele Verwandte in der Gemeinde haben, dass ihnen bei jeder Kommunalwahl ohne Wahlkampf ein Platz im Gemeinderat sicher ist.

    Eine der Grundwahrheiten des Zusammenlebens nicht nur in Napfheim ist, dass man einen Menschen hierzulande nicht abschließend beurteilen sollte, bevor man sein Grundbuch gesehen hat. Macht man diesen Test beim Ortsadel, stellt man fest, dass ihm mehr als der halbe Ort gehört, da sich Erbschaften stets auf die gleichen Familien verteilten. Bei Eheschließungen wird deshalb auch streng darauf geachtet, dass die Grundbücher gleichwertig sind.

    Der Ortsadel stellte auch über lange Zeit die Vertreter der »Dreifaltigkeit« im Dorf, wozu traditionell der Pfarrer, der Bürgermeister und der Schulleiter gehörten. In vielen Gemeinden gibt es schon lange keinen eigenen katholischen Pfarrer mehr, während in Napfheim noch ein junger idealistischer Priester sich um das geistig-religiöse Wohl der Napfheimer kümmert. Aus Nachbardörfern hörte man aber schon mit leichtem Entsetzen, dass persönlich äußerst liebenswürdige Pfarrer aus Uganda oder Indien eingesetzt werden, die von der Mehrheit der Kirchenbesucher, den alten Menschen, akustisch nicht verstanden würden, weshalb diese dann irgendwann resignierend wegbleiben. Der Napfheimer Pfarrer hingegen spricht »lautreines Schwäbisch«, und seine Predigten werden wegen ihres mitreißenden Schwunges gelobt.

    Die Schwäche des Pfarrers ist der Religionsunterricht, für den er weder ausgebildet noch geeignet ist, was bei vielen Pfarrern so ist. Seine vornehm zurückhaltende Art wird gern von den Kindern und Lehrern als Schwäche empfunden, so dass auch an der Napfheimer Schule der Satz gilt, der größte Lärm ist immer da, wo der Pfarrer unterrichtet.

    Die Napfheimer sind dennoch stolz auf ihren jungen Pfarrer, der noch dem selten gewordenen Typ des »geistlichen Herrn« entspricht.

    In allen praktischen Fragen der Seelsorge kann er sich auf seinen Diakon verlassen, der sich trotz seiner Belastung im Beruf der langjährigen Ausbildung zum Diakon unterzogen hat und ein seltenes Beispiel von Gesundheit und Schaffenskraft darstellt. Er dürfte auch einer der wenigen kirchlichen Würdenträger sein, die freiwillig zur Bundeswehr gegangen sind und dort bei den Fallschirmjägern gedient haben, was er damit kommentiert, kein Theologe im weiten Umkreis sei dem Himmel schon so nahe gewesen wie er.

    Konsequent beherzigt er das biblische Gebot, das Evangelium nicht nur zu verkünden, sondern auch danach zu leben.

    »Auch in Napfheim«, beklagt er sich oft, »gibt es Menschen, die zu einer selbstständigen Lebensführung durch Krankheit, Alter, finanzielle und seelische Verarmung nicht mehr in der Lage sind.« Er habe den Eindruck, dass die Zahl dieser wahrhaft mühseligen und beladenen Mitmenschen immer größer werde, aber gleichwohl von den Medien und der Politik nie beachtet werde.

    Man könne diese Menschen zwar mit Hartz IV am Leben halten und mit Hunderten von Fernsehsendern unterhalten, was ihnen fehle, sei das, was man im Schwäbischen »die Ansprache« nennt, eine Aufgabe in der Familie und das Gespräch mit Nachbarn oder im Verein, was selbst in Dörfern oft nicht mehr möglich ist. Wenig Erfolg hat er, wenn er trotz negativer Erfahrung den Suchtkranken helfen will, ihr Leben einigermaßen zu meistern, was ihn viel Zeit kostet. Diese sind aber oft psychisch und physisch so abgebaut, dass sie keine Energie mehr haben, ihr Leben zu ändern, und er ihnen nur das Gefühl geben kann, dass er sie als Mensch annimmt. Bei diesen Versuchen, Menschen zu einem doch noch sinnvollen und nicht ausschließlich unglücklichen Leben zu verhelfen, muss er sich eingestehen, dass er auch über die Religion keinerlei Zugang zu ihnen findet. Eines wurde ihm dabei aber deutlich: Alle Süchtigen haben im Grunde Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt, einer gerechteren und menschlicheren, die jeden Menschen in seiner Art gelten lässt, nicht nur die »Harten«, sondern auch die zarter Besaiteten, Schwachen und Kranken, die gerade die Robusten und Starken oft verachten.

    Im Dorf nennt man ihn »Don Camillo« oder auch den »Kanalarbeiter Gottes«, was er als Ehrentitel trägt, und er hat auch genug Humor, wenn seine Gutmütigkeit einmal ausgenützt wird, wie von einem jungen Mann, der nachts um zwei klingelte, um Geld bei ihm für den Zigarettenautomaten zu wechseln.

    Manchmal wird er auch offen verspottet, was er, ohne sich aufzuregen, mit den Worten beantwortet: »Ich werde für Sie beten.«

    Eine große Freude bereitete ihm andererseits eine Muslima, die ihm einen Topf mit Pudding mit den Worten überreichte: »Du guter Mensch, nie schimpfen auf Muslim.«

    Um mehr Zeit füreinander zu haben und besser zusammenrücken zu können, haben die Napfheimer beschlossen, für alle verbindlich den Montag zum fernsehfreien Tag zu erklären. Zwar war in den siebziger Jahren sogar ein Bundeskanzler damit gescheitert, von Staats wegen einen fernsehfreien Tag einzuführen.

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