Manifest für Mensch und Erde: Für einen Aufstand der Gewissen
Von Pierre Rabhi
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Buchvorschau
Manifest für Mensch und Erde - Pierre Rabhi
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Erster Teil
Die Erde
Der Planet gehört uns nicht, wir gehören ihm.
Wir vergehen, er bleibt.
Auf dem Wege
zu einem weltweiten Ernährungstsunami
Mein ganzes Leben lang habe ich meine Energie darauf verwendet, vor der weltweiten Ernährungstragödie zu warnen, die ich aufkommen sah. Parallel dazu habe ich angefangen, zunächst für mich selbst, danach für die ärmsten Bauern, Techniken zu entwickeln, die es der Bevölkerung ermöglichen sollten, die Möglichkeit der Selbstversorgung wieder aufzugreifen, unabhängig von ihrem jeweiligen Lebensumfeld. Leider werden heute alle meine Vorhersagen durch die aktuelle Entwicklung bestätigt, und wie wir gemeinsam mit anderen Pionieren der biologischen Landwirtschaft vorausgesehen haben, erweist sich die ökologische Landwirtschaft als die einzige und unumgängliche Alternative. Es schien mir in diesem Kapitel deshalb nicht nur wesentlich, eine Gesamtschau auf die Katastrophe zu geben, die uns droht, sondern auch auf die Lösungen hinzuweisen, die wir ihr entgegensetzen können; all dies im Lichte von vierzig Jahren Erfahrung und Beobachtung.
Die Welt riskiert, mehr und mehr
dem Hunger ausgesetzt zu sein –
der Westen bleibt davon nicht ausgenommen.
Die Ernährungskrise steht vor der Tür und sorgt bereits für erste Verheerungen. Die Aufstände, vor allem die zu Beginn des Jahres 2008 auf Haiti, in Kamerun, Mexiko, Ägypten und Burkina Faso, beweisen dies. Die Liste der betroffenen Länder ist lang und tragisch. Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) hat circa dreißig Länder benannt, für die das Ansteigen der Nahrungsmittelpreise katastrophale Auswirkungen hat. Bei fast einem Drittel der Länder, die von der Krise betroffen sind, kommen zu dieser Ernährungsnot noch politische und Sicherheitsprobleme wie etwa Bürgerkriege hinzu. Denn für jede Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel um ein Prozent gelangen – wie es die Daten des FIDA (Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung) ausweisen – weitere 16 Millionen Menschen in Ernährungsschieflage. Von heute an bis 2025 könnten 1,2 Milliarden Menschen chronisch an Hunger leiden, d. h. 600 Millionen mehr, als es frühere Annahmen verkündet haben.
Die sogenannten entwickelten Länder werden dabei keinesfalls von der drohenden Nahrungsmittelknappheit verschont. Das können sich heute nur wenige unserer Mitbürger vorstellen, die an den Überfluss einer immer mehr gepanschten und vergifteten Nahrung gewöhnt sind, die schließlich im Mülleimer landet. Die Sicherheit, niemals Mangel zu leiden, wiegt die einzig um den Klimawandel besorgten Menschen in den Schlaf: Wenn der Hochsommer endlich da ist und die Großbrände ausbrechen, ist jedes Jahr erneut die Rede von Gluthitze, Trockenheit, Waldbränden und Wasserknappheit. Sobald die Menschen aus den Ferien in die Städte zu ihrer Arbeit zurückkehren, verstummen diese Reden und alles dreht sich um Überschwemmungen und die eventuelle Strenge des Winters. Doch diese Probleme wirken geradezu lächerlich gering angesichts der Warnsignale eines weltweiten Mangels. Und sämtliche Parameter, die dieses Problem betreffen, sind schon seit Jahren negativ. Zusammengenommen werden sie mittel- und langfristig sehr schwierige Zeiten aufkommen lassen. Und falls keine Entscheidungen gefällt werden, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, wird die Welt noch mehr an Hunger leiden. Diese Problematik, die größte von allen, muss dringend angesprochen werden. Zu wenige unserer Mitbürger sind sich der Erde und ihrer Funktionsweisen bewusst. Zu den Faktoren, deren gemeinsames Auftreten uns in diese Situation gebracht haben, gehören insbesondere:
___die Erosion der Böden durch Wasser, Wind, Entwaldung und unüberlegte landwirtschaftliche Techniken, die die Böden zusammenpressen, devitalisieren und vergiften, mit einem Maschinenpark, der immer schwerer und damit zerstörerischer wird.
___die immer schneller voranschreitende Versalzung der Böden überall auf dem Planeten.
___die Zerstörung der natürlichen Stoffwechsel der bebaubaren Böden durch die Agrochemie, mit Konsequenzen, die sich unmittelbar einstellen: Vergiftung der Gewässer und der natürlichen Umgebung mit unmittelbaren Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit.
___der unglaubliche Verlust der Vielfalt von Flora und Fauna (der Wildtiere wie auch der Haustiere), jenem 10 000 bis 12 000 Jahre unversehrt weitergegebenen elementaren Erbe der Menschheit, eine fabelhafte Zeit der landwirtschaftlichen Arbeit.
___die unwissend vorgenommenen genetischen Veränderungen, die Patentierung und Privatisierung des Lebendigen, was die Völker ihres jahrtausendealten Erbes beraubt, um sie von nicht reproduzierbarem Saatgut abhängig zu machen, dessen negative Folgen für Gesundheit und Umwelt durch streng wissenschaftliche Tests bewiesen wurden. (Man lese zu diesem Thema vor allem die sorgfältig dokumentierte Studie von Marie-Dominique Robin: Mit Gift und Genen. Wie der Biotech-Konzern Monsanto unsere Welt verändert.)
___die Eliminierung der Bauern, die auf der Erde insgesamt für eine abwechslungsreiche Nahrung gesorgt haben; statt ihrer haben wir nun Makrostrukturen in der Produktion, mit ständigen Transformationsprozessen und unendlich weiten Transportwegen, was die Abhängigkeit der Bevölkerung von einem zufallsbedingten und willkürlichen System beträchtlich vergrößert hat. Schon die kleinste Störung in der Transportkette oder der Produktion hat heute unmittelbare Einbußen bei den Vorräten zur Folge, deren Anlage dem Prinzip des »Just in time« und nicht dem der Vorsorge an Lebensmitteln gehorcht.
___der »Biotreibstoff«-Wahnsinn, der drauf und dran ist, aus der nährenden Erde, deren wunderbare Macht darin besteht, der Menschheit die Nahrung zu liefern, eine bloße Lieferantin von Brennstoff zu machen, um den Mobilitätswahn um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Im Übrigen haben die Verknappung und der hohe Preis des Benzins einen fatalen Einfluss auf die Produktion und schädigen vor allem die Landwirtschaft der Dritten Welt. Man muss sich nur die Gleichung anschauen: Drei Tonnen Erdöl werden gebraucht, damit man eine Tonne Dünger erhält.
___der zu hohe Konsum tierischen Proteins nach dem Verhältnis: zwölf pflanzliche Proteine auf ein tierisches Protein. Gemäß der FAO werden heute dreißig Prozent des bebaubaren Ackerbodens der Welt für Tiernahrung genutzt, zum großen Teil für europäisches und amerikanisches Vieh, wodurch große Teile der hungernden Bevölkerung von verfügbaren Ackerflächen abgeschnitten werden. Zudem gilt – welche Ernährung auch immer gewählt wird (vegetarisch oder nicht): Die Lebensumstände, die den Tieren zugemutet werden, die als Maschinen zur Protein-Produktion gelten, sind wahrhaft unerträglich. Sie sind einer Gesellschaft unwürdig, die sich als entwickelt begreift. Erfahrungen mit Tieren, die in frischer Luft und auf frischem Gras groß geworden sind, haben ganz klar und für jeden ersichtlich gezeigt, dass auf diese Art tierisches Protein von weit höherer Qualität produziert