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Wie leicht hätte es anders kommen können: Bauerntöchter erzählen ihre Geschichte
Wie leicht hätte es anders kommen können: Bauerntöchter erzählen ihre Geschichte
Wie leicht hätte es anders kommen können: Bauerntöchter erzählen ihre Geschichte
eBook235 Seiten3 Stunden

Wie leicht hätte es anders kommen können: Bauerntöchter erzählen ihre Geschichte

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Über dieses E-Book

Dieses Buch ist der dritte Teil der Bauerntöchtergeschichten. Während die ersten beiden Bände "Immer regnet es zur falschen Zeit" und "Gespielt wurde nach Feierabend" die Lebensgeschichten
von Bauerntöchtern aus dem Süden bzw. Norden der alten Bundesländer enthielten, erzählen in Teil 3 nun auch Frauen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind.
Trotz der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme ergeben sich überraschend viele Gemeinsamkeiten. Die Beiträge laden zum Erinnern und Nachdenken ein, wollen Vorbehalte abbauen und
das Leben und die Lebensleistungen der anderen verstehen helfen. So leisten sie einen Beitrag zum Zusammenwachsen von Ost und West im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft.
SpracheDeutsch
HerausgeberLV Buch
Erscheinungsdatum1. Sept. 2013
ISBN9783784390406
Wie leicht hätte es anders kommen können: Bauerntöchter erzählen ihre Geschichte

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    Buchvorschau

    Wie leicht hätte es anders kommen können - LV Buch

    Impressum

    VORWORT

    Drüben

    „Habt ihr es gut gehabt, damit endete mancher Dialog mit meiner Freundin aus Jena – von der einen oder anderen Seite. So schreibt die Agrarbiologin Elke aus Nordrhein-Westfalen über den Erfahrungsaustausch nach der Wiedervereinigung mit einer Frau, die „drüben aufgewachsen war.

    Aus der Idee der Buchprojekte „Immer regnet es zur falschen Zeit und „Gespielt wurde nach Feierabend mit den Lebensgeschichten von Bauerntöchtern aus den alten Bundesländern entstand das Interesse an den Lebenswegen von Bauerntöchtern aus den neuen Bundesländern. Die Nachfrage nach Geschichten von Frauen, die in der DDR der sechziger und siebziger Jahre ihre Kindheit und Jugend verbracht haben, führte zur Idee eines eigenen Bandes. Neben elf Beiträgen dieser „LPG-Generation sind sieben Beiträge aus dem Westen in diesem Buch enthalten. Auch diese Geschichten beginnen alle auf einem Hof: Hier im Westen in der Zeit des beginnenden Strukturwandels – im Osten in der Zeit, als die letzten Höfe in die LPG eingegliedert wurden. In den autobiogra­fischen Erzählungen wird „erlebbar, wie sich diese unterschied­lichen politischen Ausgangsbedingungen auf die Kindheit und Jugend der Autorinnen auswirkten. Auf den Höfen des Westens steht die Arbeitsbelastung in Haus, Stall und auf dem Feld im Mittelpunkt. Um den Wettlauf mit dem „Wachsen oder Weichen des Hofes aufnehmen zu können, war die Mitarbeit aller, die auf den Höfen lebten, notwendig. Im Osten wird von der Mitarbeit der Eltern in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften erzählt und von den zu Hause auf den eigenen Resthöfen fast allgegenwärtigen „Privatwirtschaften. Auch hier wurden viele Hände gebraucht, um mit Nebenerwerbslandwirtschaft die Familie zu versorgen und die LPG-Entlohnung aufzubessern. Trotz der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme ergeben sich überraschend viele Gemeinsamkeiten.

    Mit einem Blick über die ehemalige Grenze in den jeweilig anderen Teil Deutschlands wird in 18 Beiträgen eine Brücke hergestellt. Es werden Bilder aufgezeigt, die man von dem Leben der Menschen hinter der Grenze hatte und die, je nachdem, durch was sie vermittelt wurden, beidseitig mehr oder minder verzerrt waren. Es geht um das Erleben der Wende und den heutigen Einfluss der Wiedervereinigung auf das Leben jeder einzelnen Autorin.

    Die Beiträge laden zum Erinnern und Nachdenken ein. Sie fordern auf zum „Schau mal hin, so war das bei uns, so haben wir das erlebt und empfunden!" Sie wollen Vorbehalte abbauen und das Leben und die Lebensleistungen der anderen verstehen helfen. Sie sollen einen Beitrag leisten zum Zusammenwachsen von Ost und West im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft.

    Von Herzen danke ich allen, die mich beim Entstehen dieses Buches unterstützt haben, all denen, die mir geholfen haben, die Autorinnen zu finden. Ganz besonders danke ich den Frauen, die sich auf dieses Buchprojekt eingelassen und sich die Zeit genommen haben, mit großem Engagement diese autobiografischen Beiträge zu verfassen. Ich danke ihnen für die Geduld und das Vertrauen, mit der sie meine Fragen bearbeitet und damit einen Einblick in ihr Leben gegeben haben. Mit ihrer Offenheit haben sie dieses Buch erst ermöglicht und damit eine Epoche deutscher Geschichte mit persönlichem Erleben begreifbar gemacht.

    Juni 2005

    Ulrike Siegel

    „Geprägt vom Leben in der Landwirtschaft und voller Idealismus wollte ich die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern."

    Ich war immer stolz, eine Bauerntochter zu sein

    Oder wie es zu DDR-Zeiten hieß: „Soziale Herkunft – Genossenschaftsbauer". Ich war nicht eine von vielen, ein Arbeiterkind, sondern eine der wenigen, ein Bauernkind. Auf unserem Hof lebten drei Generationen in einem Haushalt: die Mutter meines Vaters, meine Eltern, mein Bruder und ich.

    Als Kind war die Landwirtschaft für mich ein großer Spielplatz. Wir sind immer und überall dabei gewesen. Gern erinnere ich mich an das frühmorgendliche Futterholen mit dem Vater. Nach dem Kindergarten gingen wir mit auf das Feld oder blieben bei unserer Oma auf dem Hof. Frauen aus dem Dorf halfen auf dem Feld mit und verdienten so ein wenig Geld dazu. Wir mussten nicht mitarbeiten und konnten so die Fantasie spielen lassen. Welch ein Spaß, mit Kartoffelmännchen und -tieren zu spielen. Oft wurden diese noch Monate aufgehoben. Nach getaner Arbeit, meistens gegen 17.00 Uhr, die Kirchenglocken hatten es verkündet, lief ich mit meiner Mutter durch ein kleines Wäldchen nach Hause. Ich höre heute noch diese Stille, das Zwitschern der Vögel und sehe die Sonne durch die Bäume glitzern. Nach der Feldarbeit gingen die Eltern in den Stall. Am interes­santesten waren für uns die neugeborenen Kälber und Ferkel. Im Sommer dressierten wir kleine Katzen oder spielten mit den Kindern aus dem Dorf. Im Winter bauten wir Buden im Stroh und in der Scheune oder fuhren Schlitten und Ski, wenn es das Wetter zuließ. Auf unserem Hof waren meist viele Kinder, Jungen und Mädchen, groß und klein ganz gemischt.

    Eine große Veränderung für das ganze Leben der Familie war der Eintritt in die LPG. Meine Eltern waren 1972 die letzten Bauern, die dem LPG Typ 3 beitraten. Jetzt gingen beide in einen Schweinestall arbeiten. Sie hatten geteilte Arbeitszeit, früh und nachmittags. Meine Oma betreute bis zu ihrer Rente Jungvieh in unserem ehemaligen Kuhstall. Jetzt konnten auch wir in Urlaub fahren. Um den Hof zu erhalten, reichte der Lohn der Eltern nicht aus. Es wurden noch Schweine und ein bis zwei Bullen gemästet. Der Verkauf hat sich gelohnt und mit dem Geld wurde der Hof schrittweise modernisiert, wurden die größeren Reparaturen und Umbauten durchgeführt. In der ehemaligen DDR wurde viel Wert auf qualifizierte Arbeitskräfte gelegt. Da meine Mutter (nur) Facharbeiter für Rinderzucht war, jetzt aber im Schweinestall arbeitete, qualifizierte sie sich noch zum Facharbeiter für Schweinezucht. Wir Kinder waren stolz darauf. Als selbstständiger Landwirt hatte mein Vater in den sechziger Jahren die Fachschule absolviert. Aus Erzählungen meiner Eltern weiß ich heute, dass der Schritt in die LPG nicht so reibungslos vonstatten ging, wie es uns dargestellt wurde. Das waren aber die Probleme der Eltern, mit denen wir als Kinder nicht belastet wurden. Wir wurden im Sinne des Staates erzogen. Die Generation unserer Eltern hat ihren Wohlstand in der DDR geschaffen.

    Trotz vieler Arbeit der Eltern gab es auch immer Zeit für uns Kinder. Von klein auf lernten wir: „Viele Hände machen der Arbeit ein Ende." So wurde gemeinsam geschafft, dann gab es auch wieder Zeit zum Spielen, zum Feiern oder für Ausflüge. Dieses Denken prägt mich bis heute.

    Die Schulzeit war eine unbeschwerte Zeit, keiner brauchte sich um die Zukunft Sorgen zu machen. Es war ständig etwas los. Ich war aktives Mitglied in den Kinder- und Jugendorganisationen. Mir gefiel es, für nachmittags Veranstaltungen mitzuorganisieren und durchzuführen. Die meisten Kinder im Dorf gingen von der ersten bis zur zehnten Klasse in die gleiche Schule. Man kannte sich und auch die schulischen Leistungen. Die besten Schüler wurden am Schuljahresende mit einer Urkunde öffentlich ausgezeichnet oder auch mal mit einer Reise belohnt. Ich finde es schade, dass das Streben nach guten schulischen Leistungen heute nicht mehr so gefordert wird. Die Selbstzufriedenheit mit mittelmäßigen Leistungen und Ergebnissen, wo durchaus auch bessere zu erzielen wären, finde ich unerträglich. Förderung der leistungsschwachen Schüler steht für mich im krassen Widerspruch zu den Forderungen an die „normalen" Schüler.

    Die Klassen hatten oft einen guten Zusammenhalt und ein Teil unternahm nach der Schule noch etwas gemeinsam. Nicht selten ging fast eine ganze Klasse in die Tanzschule und zu Disco- oder Tanzveranstaltungen. Man traf sich und hatte immer viel Spaß. Da keiner wirklich arm war und sich alle das leisten konnten, was sie wollten und brauchten, spielten materielle Dinge keine große Rolle. So war das Kinogehen o. Ä. nie eine Frage des „Sich-leisten-Könnens, sondern nur eine Frage des „Lust-Habens. Es war selbstverständlich, dass man mit fünfzehn Jahren seinen Mopedführerschein hatte und auch ein Moped. So waren wir frühzeitig relativ mobil und unabhängig von den Eltern.

    Nach der Schule nahm ich eine dreijährige landwirtschaftliche Lehre auf, welche gleichzeitig das Abitur ermöglichte. Geprägt vom Leben in der Landwirtschaft und voller Idealismus wollte ich die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern, die Arbeit, vor allem die Handarbeit in den Ställen und auf den Feldern, reduzieren. Mit solchen Idealen und Flausen im Kopf absolvierte ich nach der Lehre erfolgreich ein vierjähriges landwirtschaftliches Studium. Die schönsten Erlebnisse hatten wir während dieser Zeit bei den Einsätzen als Erntehelfer oder den Praktika in verschiedenen LPGs. Wir wurden als Gäste behandelt. Die Küchenfrauen sorgten für das leibliche Wohl und die Verantwortlichen der Betriebe zeigten uns mit viel Stolz ihren Betrieb und auch die Sehenswürdigkeiten ihrer Heimat.

    Nach meinem Studienabschluss arbeitete ich beim Landwirtschaftsamt. Mit selbst verdientem Geld konnte ich mir nun eine eigene Wohnung einrichten. Ich lebte in der Stadt und lernte die Vorteile des Stadtlebens kennen. Abends, nach Dienstschluss, einfach noch durch die Stadt zu bummeln, ins Kino um die Ecke zu gehen, ohne vorher mit dem Auto weit fahren zu müssen, überhaupt das Angebot der Stadt habe ich genossen. Als ich meinen Mann, einen Bauernsohn, kennen lernte und er mich fragte, ob ich mit ihm auf dem Hof seiner Eltern leben würde, sagte ich trotzdem, ohne zu zögern, „Ja". Bisher war ich mit allen gut ausgekommen. Das Leben in Generationen kannte ich. Wir hatten eine eigene abgeschlossene Wohnung, würden nach unseren Vorstellungen unsere Arbeit und unser Leben gestalten können, was sollte da noch schief gehen?

    Nach der Hochzeit stellte sich bald heraus, dass auch Bauernfamilien ganz unterschiedlich leben. Was wusste ich von Aberglauben oder von Nachbarn, die aufgrund alter Geschichten nicht gegrüßt werden? Plötzlich lebte ich in völliger Zurückgezogenheit – ohne Nachbarn und Freunde. Die Schuld dafür suchte ich allein bei mir. Diese Situation verunsicherte mich so sehr, dass ich mit keinem darüber redete. Selbstverständlich durfte ich auch weder den Kinderwagen ausfahren noch mit anderen aus dem Ort reden. Wenn ich es dennoch tat, gab es jedes Mal einen großen Familienkrach. Es war ein tiefer Einschnitt in meinem Leben. Statt Wärme und Geborgenheit in der neuen Familie zu finden, wie ich es von zu Hause gewohnt war, war ich nur die geduldete Schwiegertochter.

    In dieser Situation kam die Wende. Kritisch sah ich die Berichte von der Prager Botschaft und den Montagsdemonstrationen im Fernsehen. Ich konnte diese Menschen nicht verstehen. Die DDR war meine Heimat. Ich hatte Arbeit, ein gutes Auskommen und Wohlstand. Mir war es nicht wichtig, Westgeld zu haben oder in jedes Land reisen zu können. Am schlimmsten fand ich die Wendehälse. Heute roter Genosse und morgen Kämpfer für Demokratie und Freiheit. Wenn man nur genug eigene Vorteile hatte und vielleicht mit klugem Gerede auch noch Geld verdienen konnte. Die meisten wirklich Betroffenen, welche Nachteile durch die Stasi hatten, schweigen auch heute noch.

    Die friedliche Revolution brachte die Wende für alle. Es war eine Aufbruchstimmung, als ob ein ganzes Volk ins Schlaraffenland einziehen würde. Niemand konnte sich dem entziehen. Auch wir setzten uns mit Kind und Kegel ins Auto und holten uns das Begrüßungsgeld ab. Ich werde nie vergessen, wie wir ohne Ziel losfuhren und abends, es war schon dunkel, in Nürnberg ankamen. Nie werde ich den ersten Blick auf den Christkindlesmarkt vergessen. Welch ein Lichterglanz im Vergleich zu unseren bescheidenen Weihnachtsmärkten! Natürlich gab es auch warnende Stimmen, aber wer wollte diese jetzt noch hören? Angesichts des Glanzes der vermeintlich unendlichen neuen Möglichkeiten? Auch wir ließen uns von der Euphorie anstecken. 1990 gründeten wir eine kleine Firma für den Vertrieb von Feinkostsalaten und Kartoffelprodukten, welche kleinere Geschäfte und vor allem Fleischereien belieferte. Anfangs lieferten wir die Ware mit dem Autoanhänger aus und fanden reißenden Absatz. Es hat unglaublichen Spaß gemacht und wir kamen jeden Tag zufrieden nach Hause. Schrittweise griffen auch die bundesdeutschen Gesetze hier im Osten. Um das Lebensmittelhygienegesetz mit seinen Verordnungen zu erfüllen, mussten wir ein Kühlfahrzeug für den Transport und eine Kühlzelle zur Lagerung der Ware anschaffen. Mit den Supermärkten kam der Umsatzrückgang und schrittweise das Aus für unsere Firma. Als mithelfende Ehefrau und Mutter von drei kleinen Kindern blieb nicht viel Zeit, nach Möglichkeiten für mich zu suchen, es musste immer die tägliche Arbeit geschafft werden. Ich war ein Jahr arbeitssuchend. Es war eine schwere Zeit für mich. Ich hatte studiert und auf dem Arbeitsamt wurde immer gesagt, ich sei nicht vermittelbar.

    Nach dem Tod meines Schwiegervaters übernahm ich seinen Landwirtschaftsbetrieb im Nebenerwerb. Mein Mann arbeitet als Außendienstmitarbeiter für eine Landmaschinenfirma. Einen Bauernhof zu führen war ein Kindheitstraum. Ich habe den Stall zu einem Laufstall umgebaut und halte Mutterkühe. Es schien die ideale Lösung, Beruf und Familie zu verbinden – jedoch fehlt oft die Zeit Freundschaften zu pflegen – sowie zum Familieneinkommen beitragen zu können. Doch die Einnahmen in der Landwirtschaft gehen immer weiter zurück und die Ausgaben steigen. So gibt es für meinen Landwirtschaftsbetrieb nur eine Chance, wenn sich die Möglichkeit bietet zu vergrößern. Ich arbeite auch heute noch gern in der Landwirtschaft. Es ist die Natur, die verschiedenen Tiererlebnisse und der Hauch von Romantik, beim Weideaustrieb das Picknick mit der ganzen Familie. Für mich als Landwirtin ist Natur aber auch die natürliche Aufzucht der Tiere, der verantwortungsvolle Umgang mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie Landschaftspflege. Als

    Helfer in der Not, vor allem in der Erntezeit, haben sich meine Eltern erwiesen. Während meine Mutter alle Fäden im Haushalt in der Hand hält, können wir, mein Mann, mein Vater und ich, uns voll auf das Silieren von Gras oder Mais oder auf die Heuernte konzentrieren.

    Derzeit besuche ich noch einmal die Schule, um den Abschluss als Fachagrarwirt für Direktvermarktung zu ­erlangen. Da alle Teilnehmer aus der Landwirtschaft sind, ist es ein guter Ort, um auch manche Erfahrung auszutauschen und immer wieder zu erkennen, dass man mit seinen Problemen nicht alleine ist. Ich hoffe so sehr, dass es mir gelingt mit der Direktvermarktung eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen, um damit eine Chance zu haben, auch in Zukunft von der Landwirtschaft leben zu können.

    Auch 14 Jahre nach der Wende ist unser vereinigtes Deutschland noch nicht Heimat für mich geworden. Vieles ist fremd geblieben.

    „Das gleichmäßige Geräusch der Pulsation beim Betrieb der Melkanlage hat etwas Beruhigendes an sich. Fast wie das Rauschen des Meeres ..."

    Alles hatte einen Namen

    Beim Melken bin ich gerne allein. Ich mag es, alleine im Melkstand zu stehen, kann dabei gut meinen Gedanken nachgehen. Das gleichmäßige Geräusch der Pulsation beim Betrieb der Melkanlage hat etwas Beruhigendes an sich. Fast wie das Rauschen des Meeres ... Es entspannt mich vom Alltag, selbst bei der Arbeit.

    Man könnte fast meinen, ich würde schon lange Zeit meines Lebens hier verbringen, in diesem Milchviehbetrieb in Niedersachsen. Aber ...

    Geboren und aufgewachsen bin ich in einem kleinen Ort in Sachsen. Meine Eltern bewirtschafteten dort einen kleinen Dreiseitenhof mit neun Hektar Land, sechs Milchkühen, vier Jungtieren und fünfzehn Schweinen. Jedenfalls bis zum so genannten „sozialistischen Frühling. Anfang 1960 mussten auch sie dem Druck nachgeben und in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) eintreten. Sie waren mit bei den letzten, die zum staatlich verordneten „Ich zum Wir übergingen. Eine andere Wahl blieb ihnen nicht, wollten sie nicht total isoliert werden. Mittel und Wege gab es genug, um sie unter Druck zu setzen oder gefügig zu machen.

    Als Mitglieder einer LPG Typ 1 wurde ihnen erst einmal das Land weggenommen und ging in die gemeinsame Bewirtschaftung. 25 Ar Ackerland blieben ihnen noch für den eigenen Bedarf als „individuelles Eigentum". Alles hatte einen Namen ...

    Das Vieh konnten sie noch behalten, mussten dafür aber ein „Soll" (z. B. an Milch, Eiern usw.) abliefern. Was über dieses Soll hinausging, gehörte ihnen. Seit dieser Zeit arbeitete mein Vater als Traktorist in der LPG. Dabei fuhr er meist einen LKW. Meine Mutter war im Gemüsefeldbau beschäftigt.

    1961 wurde mein Bruder geboren, vier Jahre später dann ich. Als ich sieben Jahre alt war, wurden meinen Eltern auch die Kühe weggenommen und in die LPG „zwangseingebracht. Daran kann ich mich aber nicht erinnern. Ich glaube auch nicht, dass meine Eltern mit uns Kindern darüber gesprochen haben. Seit dieser Zeit hatten meine Eltern nur noch ein paar Schweine, Hühner, Enten und Kaninchen. Diese waren für den eigenen Bedarf gedacht, aber auch, um sie abzuliefern und damit den geringen Lohn, den sie für ihre Arbeit in der LPG erhielten, aufzubessern. In unserem Dorf gab es eine Annahmestelle, in der wöchentlich die Eier und monatlich Kaninchen abgeliefert werden konnten. Meine Aufgabe bestand meist darin, die Eier der Woche zu säubern, mit unserer Liefernummer zu beschriften und abzugeben. Die Schweine wurden immer schön fett gefüttert und jedes Jahr ließen meine Eltern eines für uns schlachten. Dieses Schlachten mochte ich überhaupt nicht. Der Geruch von frischem Fleisch erzeugte in mir immer einen Ekel. Geschlachtet wurde bei uns im Waschhaus. Ich erinnere mich noch genau, dass ich – selbst als alles schon vorbei war – noch die Augen zumachte und luftanhaltend durchs Waschhaus ging, um ins dahinter gelegene Bad zu gelangen. Oder ich zog es sogar vor, drei Tage unser „Plumpsklo draußen zu benutzen. Einmal machte mir unser Schlachter den Ringelschwanz mit einer Sicherheitsnadel an der Hose fest. Wie ich ihn dafür verachtete. Seitdem machte ich einen großen Bogen um ihn.

    Mit unserem Vieh und der kleinen verbliebenen Außenwirtschaft hatte ich nicht viel im Sinn. Wir mussten zwar auch beim Stroheinfahren, Kartoffellegen und -roden mithelfen, aber ich zeigte daran kein wirkliches Interesse. Ich denke, es lag an der staatlich verordneten „Zwangskollektivierung. Sind nicht mit dem Eintritt in die LPG die Wurzeln meiner Eltern gekappt worden? Verloren sie nicht damit ihren Ausgangspunkt als „freie Bauern? Was sie das gekostet hat, haben sie nie erzählt. Gefühle und Empfindungen zu zeigen und auszudrücken gab es in unserer Familie nicht. So konnte

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