Was ist verrückt? Was ist normal?: Die universelle Norm als Maßstab
Von Lothar Höhn
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Über dieses E-Book
Lothar Höhn
Von 1973 bis 2004 Vollzeitlehrer an einem Gymnasium in Frankreich, danach bis 2011 Teilzeitlehrer an einem Schweizer Gymnasium und schriftstellerische Tätigkeit. 1983 Promotion. Interessengebiete: Philosophie, Psychologie, Theologie, Politik.
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Buchvorschau
Was ist verrückt? Was ist normal? - Lothar Höhn
Nachwort
Verehrter Leser!
Seit unseren ersten Erdentagen nehmen wir mit unseren Sinnesorganen eine « verrückte Welt" in uns auf. Trotzdem fällt es einem schwer, sich an sie völlig zu gewöhnen, weil wir uns mit unserem Verstand und in unserer Phantasiewelt eine bessere - ja vielleicht sogar eine heile Welt vorstellen können. Doch warum haben so viele die Hoffnung darauf aufgegeben?
Flüchtige Blicke in die Vergangenheit und Gegenwart genügen, um die Zukunft ebenfalls schwarz zu malen. Warum sollte es auch auf einmal mit der Menschheit bergauf gehen? Versuche einzelner Denker, die Menschheit zum Guten zu führen – Versuche friedliebender Organisationen und religiöser Einrichtungen auf diesem Planeten etwas Paradiesisches zu schaffen - sind gescheitert. Alles scheint in den verschiedensten menschlichen Bereichen aus den Fugen geraten zu sein. Wir wissen nicht so recht, was links und rechts, oben und unten, vorn und hinten, richtig und falsch, gut und böse beziehungsweise schlecht ist. In den Medien wird uns eine Welt voller Spannungen und Gewalttaten geschildert.
Inmitten dieser Auseinandersetzung vom Guten und Schlechten, vom „Normalen und „Verrückten
habe ich als Individuum meinen Platz. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich, ohne nachzudenken, ohne den Trieb, der mich zur Vernunft leiten will, zu folgen, wie ein Spielball einmal auf diese dann wieder auf jene Seite geworfen, in diesem Spannungsfeld hin und hergezogen. Wer hätte sich nicht von Zeit zu Zeit bei Aussprüchen ertappt, die man am liebsten vermieden hätte? Wer greift sich nicht hin und wieder an den Kopf und möchte laut ausrufen: „Wie dumm bin ich nur gewesen! Hätte ich nur anders reagiert! Wie viel Unsinn – oft mit tragischen Folgen – wird so täglich fabriziert! Kann ich dem ausweichen? – Und was ist „verrückt
und „normal? Ziehen wir alle die Trennungslinie an derselben Stelle? Sehen wir die Welt mit gleichen Augen und nehmen wir sie mit denselben Empfindungen wahr? Könnten Andere, die sich mit diesem Thema beschäftigen, zu anderen – ja sogar zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen? Oder gibt es eine „universelle Norm
, die von allen denkenden Erdbewohnern akzeptiert werden müsste, selbst wenn sie sich in ihrem täglichen Leben nicht an sie halten würden? Unser Erkenntnistrieb wird uns dabei helfen, sie mit Hilfe des Verstandes aufzuspüren. Sollten wir sie finden, könnte sie uns als Orientierungsbasis dienen, „Verrücktheiten" im menschlichen und zwischenmenschlichen Bereich zu entdecken.
Hier soll keine Moralpredigt gehalten werden; denn wer würde gern so etwas lesen, außer vielleicht diejenigen, die von sich momentan noch denken, alle ethisch-moralischen Werte in sich zu haben und dementsprechend zu reden und zu handeln; aber wer bin ich, der es sich wagen könnte über andere herzuziehen und über sie eventuell gar zu richten, nachdem ich weiß, dass ich unter anderen Voraussetzungen beziehungsweise Gegebenheiten jeder x-beliebige Mensch hätte werden können? So gibt es hier kein „du sollst nicht! und „du darfst nicht!
Keinem soll unterstellt werden – die Mörderin ihres Kindes eingeschlossen – absichtlich „verrückt" sein zu wollen, absichtlich das Gute zu bekämpfen und das Böse oder Schlechte zu fördern. Deshalb soll hier auch keiner verdammt oder verurteilt werden. Ohne zu moralisieren könnten diese Ausführungen hier und da jedoch mithelfen, zu normalisieren. Mit Statistiken und vielen Zahlen möchte ich mich nicht herumplagen; sie sind an Jahreszahlen gebunden und dem schnellen Wechsel unterworfen.
Einer Illusion dürften wir uns hingeben, wenn wir erwarten, die gesamte Menschheit – ohne Ausnahme – wäre vom „Verrücktsein" zu heilen. Wir könnten jedoch eine enorme Besserung erwarten, wenn dem erkannten Übel an die Wurzel gegangen würde.
Jedenfalls wollen wir keine Schwarzseher sein, sondern getrost und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Selbst wenn sich alle um uns herum sehr „verrückt verhielten, wer oder was könnte Sie oder mich daran hindern, zu etwas Paradiesischem in sich selbst zu gelangen und wenigstens im eigenen Wirkungsbereich möglichst „normgerecht
zu reagieren? Ein nach der „universellen Norm hin ausgerichtetes Leben könnte bestimmt dazu dienen, ein glücklicheres Leben zu führen. Wer wäre dafür zu jung oder zu alt? Doch niemand, der denken kann! Und gehöre ich zum „Abschaum der Menschheit
, so weiß ich dennoch, ich bin kein hoffnungsloser Fall; denn solange jemand merkt, etwas könnte besser und schöner sein, solange sich jemand nach dem „Normalen" und Guten sehnt, besteht Aussicht auf ein besseres Leben. Wer könnte da ausgeschlossen werden?
Wenn es mit dem hier Dargebotenen gelingt, ein wenig Friedensforschung im Kleinen und Großen zu betreiben – wenn es mithilft, Verfeindete anzuregen, sich wieder zu versöhnen und zerbrochene Freundschaften zu flicken – wenn es einem Lebensmüden ermutigt, weiterzuleben und ein sinnvolles Leben zu führen – wenn es mit verhindern hilft, Gemeinschaften in Brüche gehen zu lassen, sind diese Gedanken nicht umsonst dargelegt worden. Geben wir uns selbst nicht auf! Fassen wir neuen Mut! Eine positive Sehens- und Lebensweise wird Ihnen und mir helfen, Schwierigkeiten zu überwinden und das Leben besser zu meistern!
Gibt es Normales und Verrücktes?
Ein Situationsbericht
Meine Hände blättern in einem Band, in dem die Höhepunkte des 20. Jahrhunderts in Wort und Bild dargestellt werden. Kriegsschauplätze, Ermordete von Bekannten und Unbekannten, Bilder des Grauens und des Entsetzens! Ganz selten erblicke ich etwas, was ermutigen könnte. Ich halte inne und denke – „verrückte Welt! Meine Gedanken versuchen dieser Welt zu entfliehen und sich in eine Welt zu begeben, in der es „Verrücktheiten
gar nicht gibt – ja gar nicht geben kann. Ich wünsche auf einmal, auf einem Planeten zu leben, wo Vertrauen, Friede, Eintracht herrschen, wo Liebe die Bewohner verbindet – in einer Welt ohne Zank, Streit, Neid und Eifersucht, da wo Staatsgrenzen, Nationalismus, Rassendiskriminierung, Feindschaft und Völkerhass nicht einmal in den Bereich der Sagen und Märchen gehören – auf einer Weltkugel, auf der keiner um das nackte Leben bangen muss, wo Morde und sonstige Verbrechen nicht vorkommen, wo keiner Haustüren, Geldschränke und Autos zu verschließen braucht – in einer Welt, wo jeder die Meinung des Anderen respektiert und in einer toleranten Haltung freundschaftliche Gespräche führt. – Ein unerfüllbarer Traum einer heilen Welt? Eine Utopie? Ein frommes Wunschbild?
Plötzlich beschleicht mich ein Gefühl der Zufriedenheit. Mir wird klar, dass ich eigentlich froh sein kann, nicht während des Ersten Weltkrieges gelebt und vom Zweiten so gut wie nichts mitbekommen zu haben. Mir ist das Kämpfen und Sterben in Kriegsgebieten bis jetzt erspart geblieben. In meinem Herzen hege ich die Hoffnung, dass die Periode des Friedens anhalten möge!
Die abendlichen Tagesnachrichten bringen mich wieder ganz zur Erde zurück. Schlagzeigen vermelden ein Attentat, bei dem es zahlreiche Tote und Verletzte gab, Banküberfall, Straßenkrawalle, Autos wurden während der Nacht in Brand gesteckt, Geiselnahme ... Das kurze, hoffnungsvolle Aufatmen verwandelt sich in ein tiefes Mitgefühl mit den Opfern und den Leidtragenden. Ich versuche die Vergangenheit zu begreifen und die Gegenwart zu fassen. Ich denke über die Welt nach, in der ich lebe, über die Gesellschaft, über mich. Dabei wird mir deutlich – ich selbst bin ein Teil dieser „verrückten Welt; denn sie hat mein Denken und Fühlen geprägt. Hat das „Verrücktsein
vielleicht alle Menschen erfasst, den Einen mehr als den Anderen? Wie viel „Verrücktes steckt in mir? Wie könnte ich davon befreit werden? Wer oder was ist „verrückt oder „normal
. Wo befindet sich die Trennungslinie? Könnte es sein, dass ich von Kindheit an etwas als „normal in mir aufgenommen und akzeptiert habe, was sich bei einer jetzigen genaueren Überprüfung als „nicht normal
, d.h. als „verrückt" erweist? Fragen über Fragen.
Auf der Normsuche
Wenn in dieser Darstellung das Adjektiv „verrückt auftaucht, wird es im ureigensten Sinn, in seiner vollen Bedeutung gebraucht. Es kommt vom Verb „verrücken
. Das bedeutet, etwas befindet sich nicht am rechten Platz, da wo es hingehört, irgendetwas stimmt nicht, ist nicht in Ordnung – ist verkehrt. Sinnverwandte Wörter wie wahnsinnig, unsinnig, unvernünftig, vernunftwidrig, töricht, normwidrig, unnormal werden ebenfalls dafür angeführt.
Als „normal wird dagegen etwas bezeichnet, was der „Norm
entspricht, was mit dem Maßstab übereinstimmt, etwas wie es sein soll – wie es sich gehört, was vernünftig ist.
Ich verstehe sehr schnell, dass auch die ethisch-moralischen Begriffe wie „gut und „böse
etwas damit zu tun haben. Aber ab welchem Grenzwert kann ich Gedanken, Worte und Taten als „gut oder „böse
einstufen? Gibt es überhaupt Gutes und Böses? Stimmt es vielleicht doch, was Shakespeare in seinem „Hamlet ihn behaupten lässt, „there is nothing either good or bad, but thinking makes it so
(nichts ist weder gut noch böse, nur das Denken macht es so). Der Niederländer Spinoza, der im 17. Jahrhundert lebte, ließ sich von der bereits im Altertum weit verbreiteten Theorie inspirieren und meinte, wir wünschten nicht etwas, weil es gut sei, sondern es sei gut, weil wir es uns wünschten. Dabei ergibt sich jedoch die Frage, ob ich mir nicht etwas wünschen könnte, was sich bei einer Realisierung des Wunsches als „böse bzw. als „schlecht
– als völlig negativ für mich erweist. In diesem Fall verbärge sich das Gute eher in dem, was ich hätte wünschen sollen - in dem, was wünschenswert oder vorzuziehen gewesen wäre.
Andere meinen, wir erführen aus dem metaphysischen Raum - aus dem religiösen oder aus dem mystischen Bereich, was „gut und „böse
zu nennen sei. So finden wir in allen Religionen Hinweise hierfür. Bei einem Vergleich der verschiedenen religiösen Dogmen, die etwas damit zu tun haben, erkenne ich aber hier und da so manches Widersprüchliche, was wohl mit den verschiedenen Gottes-und Menschenbildern zusammenhängt, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte konzipiert haben.
Spätestens seit der Zeit der Aufklärung sprechen Denker von der natürlichen Auffassung vom „Guten und „Bösen
unabhängig von jeglicher Religion. So haben viele im „Gewissen die Instanz gesehen, die uns diesbezüglich Auskunft gäbe. Wir handelten nach diesem Gesetz, wenn unsere Worte und Taten mit dem Gewissen übereinstimmen würden. Dieses „moralische Gesetz in uns
sei absolut, ihm zu gehorchen, sei unsere Pflicht. Erfahrungsgemäß kann jedoch das „Gewissen über verschiedene Inhalte verfügen, je nachdem, was von einem als wahr und richtig erkannt worden ist. Es „schlägt
dann, wenn das Verhalten nicht mit dem Inhalt, das heißt, mit dem erkannten und angenommenen „Maßstab übereinstimmt. So wird ein „Faschist
, der sich aus bestimmten Gründen mit der „faschistischen Moralnorm identifiziert, bei manchen Taten ein „ruhiges Gewissen
haben, wobei Andere aufgrund ihres „Gewissens nur den Kopf schütteln und sich abfragen, wie Menschen überhaupt solche Gräueltaten vollbringen können. In diesem Zusammenhang denke ich auch an Terroristen, die eine Welt nach ihren Vorstellungen gestalten wollen und mit einem „ruhigen Gewissen
ihre Gewaltmaßnahmen rechtfertigen und gutheißen. Kannibalen werden sogar gemäß ihrer Sitten und Gebräuche ihre menschliche Beute mit großem Genuss und ohne „Gewissensbisse" verzehrt haben.
Da es auch innerhalb der Religionen verschiedene Auffassungen gibt und sie mir keinen einheitlichen, eindeutigen ethisch-moralischen „Wertmaßstab anbieten und ich mich auch nicht auf das „Gewissen
als „Maßstab verlassen kann, wer oder was sagt mir dann, was „verrückt
oder „normal, „positiv
oder „negativ, „sittlich vertretbar
oder „sittlich nicht zu rechtfertigen" ist?
So könnte es doch durchaus sein, dass es keine „universelle Norm gibt, die von allen Denkenden akzeptiert werden müsste und dass eine Suche danach vergebens ist. Schließlich wandeln sich Sitten und Gebräuche und damit auch die menschlichen Vorstellungen von Ethik und Moral. Deshalb gibt es Verhaltensweisen, die früher als „verrückt
galten und heute als „normal angesehen werden oder die einst als „normal
bezeichnet wurden und heute den Stempel „verrückt erhalten. Die staatlichen Gesetze werden deshalb gewöhnlich den neuesten Erkenntnissen oder den von den meisten akzeptierten Vorstellungen über Moral und Ethik angepasst. Wer sich mit den Konstitutionen der verschiedenen Länder befasst und sie miteinander vergleicht oder die Gesetzbücher der verschiedenen Jahrhunderte des eigenen Landes mit den heutigen kompariert, konstatiert hier und da erhebliche Unterschiede. Selbst wenn ähnliche Formulierungen auftreten, muss noch lange nicht dasselbe darunter verstanden werden. In einer kommunistischen Gesellschaftsordnung wird vor allem von der Regierungsseite unter Freiheit und Gerechtigkeit etwas anderes verstanden als in kapitalistischen Ländern. Wer könnte sich hier zum Richter aufwerfen? Oder gibt es doch eine „universelle Norm
, die keinen Wandlungen unterworfen ist, die keine verschiedenen Interpretationen zulässt, die über alle religiösen, kulturellen, sozialen Verhaltensnormen steht, eine „Norm, welcher jedermann zustimmen müsste, der auf die „Normsuche
gegangen ist? Existiert das, was als „normal" betrachtet werden kann, absolut gesehen, an dem wir unser Denken und Verhalten zu messen haben und worauf wir bei jeglicher Gesetzesaufstellung zurückgreifen können, sollten, müssten – eigentlich müssen?
Ein großer Teil der Bevölkerung wird bei einer oberflächlichen Betrachtung hauptsächlich demjenigen das Attribut „normal zugestehen, der durch sein Verhalten der Gesellschaft keinerlei Schwierigkeiten bereitet, der wie die meisten wohnt, wie der größte Teil denkt - vielleicht auch glaubt, sich wie die meisten kleidet. Falls jemand aus der Reihe tanzt, wird er verlacht oder wir vernehmen Ausdrücke wie „bei ihm (ihr) stimmt etwas nicht
, oder „er (sie) hat ja nicht alle Tassen im Schrank".
In der