Der Vatikan: Das Wichtigste über den kleinsten Staat der Welt
Von Jürgen Erbacher
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Jürgen Erbacher
Jürgen Erbacher, geb. 1970, Fernsehjournalist mit langjähriger Rom-Erfahrung, arbeitet beim ZDF in Mainz und in Rom. Er ist einer der besten Vatikan-Kenner Deutschlands und hat zahlreiche erfolgreiche Bücher veröffentlicht.
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Buchvorschau
Der Vatikan - Jürgen Erbacher
Jürgen Erbacher
Der Vatikan
Das Wichtigste über den
kleinsten Staat der Welt
Impressum
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: iStock
E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (Print) 978-3-451-30507-8
ISBN (E-Book) 978-3-451-81120-3
Inhalt
1Vorwort
2Die Geschichte
»Petrus war der erste Papst.«
Die Entwicklung des Papstamtes
»Der Vatikan ist der älteste Staat der Welt.«
Die Geschichte des Vatikanstaats
3Die Organisation
»Der Vatikan und der Heilige Stuhl sind dasselbe.«
Die Organisation des Vatikanstaats
»Der Heilige Stuhl ist ein Verwaltungsmoloch.«
Die Organisation der Kurie
»Im Vatikan haben Laien nichts zu sagen.«
Die Rolle der Laien im Zentrum der katholischen Kirche
»Im Vatikan regiert das Opus Dei.«
Der Heilige Stuhl zwischen Internationalisierung und Seilschaften
»Der Heilige Stuhl ist die reichste Institution der Welt.«
Die Finanzen des Papstes
4Der Papst
»Der Papst kann machen, was er will, weil er unfehlbar ist.«
Wie der Papst seine Entscheidungen trifft
»Der Papst kann nicht zurücktreten.«
Zwei Päpste im Vatikan
»Papst kann nur ein Europäer werden.«
Franziskus, der erste Papst aus Lateinamerika
»Ein Papst hat niemals frei.«
Der Alltag von Franziskus
5Der Global Player
»Der Papst will einen Gottesstaat.«
Wie der Vatikan Politik macht
»Der Vatikan ist für Diplomaten uninteressant.«
Warum Länder eine Botschaft beim Heiligen Stuhl unterhalten
»Der Vatikan ist ein Bremsklotz in der Ökumene.«
Wie der Heilige Stuhl die Einheit der Christen sucht
6Vatikan inside
»Der Papst lebt abgeschottet von der Öffentlichkeit.«
Feiern, Feste und Audienzen mit dem Papst
»Die Schweizergarde ist eine Folkloretruppe.«
Die Sicherheit im Vatikan
»Der Vatikan vertuscht seine dunkle Vergangenheit.«
Wie der Vatikan mit seiner Geschichte umgeht
7Anhang
Glossar
Buchhinweise
Die offiziellen Internetseiten
Feiertage im Vatikan
Bildnachweise
Vorwort
Papst Franziskus will der katholischen Kirche ein neues Gesicht geben. Sie soll an der Seite der Menschen stehen, die Hilfe brauchen, die gesellschaftlich ins Abseits geraten sind oder die unter den ungerechten sozialen Strukturen leiden, ganz gleich welcher Nation oder Religion. Um das zu erreichen, stellt er alte Traditionen infrage und löst damit heftige Diskussionen aus. Innerhalb kürzester Zeit hat er sich nach seiner Wahl im März 2013 zu einer weltweit geachteten moralischen Persönlichkeit entwickelt. Weit über die katholische Kirche hinaus genießt er hohes Ansehen. Das Oberhaupt von weltweit mehr als 1,2 Milliarden Katholiken gehört zu den politischsten Päpsten der jüngeren Kirchengeschichte. Die Kardinäle haben ihn im März 2013 zudem gewählt, damit er den Vatikan reformiert und ein neues Gleichgewicht zwischen der römischen Zentrale der katholischen Kirche und den Kirchen vor Ort herstellt. Beim Versuch, diese Veränderungen umzusetzen, erfährt Franziskus Widerstand.
Welche Macht hat der Papst? Wie sieht sein Alltag aus und wie funktioniert sein Apparat, die Römische Kurie? Das zu verstehen, soll das vorliegende Buch helfen. Es wirft einen Blick hinter die dicken Mauern des Vatikans. 2007 ist bereits eine erste Auflage in der Reihe »Wissen was stimmt« erschienen. Die Ausführungen von damals wurden stark überarbeitet. Denn entgegen dem alten Klischee, dass sich in der katholischen Kirche nichts bewege, hat sich in den zehn Jahren viel verändert. Das hängt natürlich sehr stark mit dem Papstwechsel zusammen, der sich nach dem spektakulären Amtsverzicht Benedikts XVI. vom Februar 2013 vollzogen hat. Die Fragen an Papst und Vatikan sind nahezu dieselben, doch die Antworten sind neu.
Am Anfang steht der Blick in die 2000-jährige Geschichte der katholischen Kirche. Sie ist ein wichtiger Schlüssel, um das Geheimnis Vatikan zu verstehen. Im ersten Kapitel geht es um die Entwicklung des Papsttums und die Geschichte des Kirchenstaats. Im zweiten Teil steht die Organisation des Vatikanstaats und des Heiligen Stuhls als Verwaltung der katholischen Weltkirche im Mittelpunkt. Es geht um die Menschen, die dort arbeiten, und die Frage der Finanzen. Beim Papst laufen alle Fäden zusammen. Er ist das irdische Oberhaupt der katholischen Kirche und der Souverän des Vatikanstaats. Wie er seine Entscheidungen trifft, wie sein Alltag aussieht und wie er überhaupt ins Amt kommt, sind die Themen des dritten Teils, inklusive der Frage, wie das Miteinander der beiden Päpste im Vatikan funktioniert. Die katholische Kirche ist der älteste Global Player. Welche politische Macht der Papst heute hat, wird im vierten Teil untersucht, bevor abschließend der Blick noch einmal in den Vatikan geht auf den Spuren der Sicherheitsdienste des Papstes und der »geheimen« Archive im kleinsten Staat der Welt. Ein wenig Servicecharakter hat das Kapitel über die Feiern und Audienzen des Papstes. Wer den Pontifex treffen möchte, findet hier Hinweise zu seinen öffentlichen Auftritten.
Rom, 1. November 2016
Die Geschichte
»Petrus war der erste Papst.«
Die Entwicklung des Papstamtes
Papst Franziskus ist der 265. Nachfolger des Apostels Petrus. Er ist aber nicht der 266. Papst. Das Papstamt, wie es heute existiert, ist das Ergebnis eines Jahrhunderte andauernden Entwicklungsprozesses. Dieser ist noch nicht abgeschlossen. Franziskus hat wie seine beiden Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. mit Blick auf die Ökumene dazu aufgerufen, sich Gedanken darüber zu machen, wie das Papstamt so ausgeübt werden kann, dass es kein Hindernis mehr für die Einheit der christlichen Kirchen ist.
In vielen Büchern über das Papsttum gibt es eine Liste der Päpste – angefangen von Petrus bis zum amtierenden Pontifex Franziskus. Entsprechend finden die Besucher der römischen Basilika Sankt Paul vor den Mauern in den Seitenschiffen Mosaikmedaillons mit Abbildungen der Nachfolger des Apostels. Allerdings müssen diese Listen mit Vorsicht betrachtet werden, zumindest was die Zeit bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts anbetrifft. Denn die früheste bekannte Bischofsliste für Rom erstellte Irenäus von Lyon gegen Ende des 2. Jahrhunderts.
Die Gemeinde in Rom hat wie alle frühchristlichen Gemeinden bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts eine kollegiale Leitung. Es gibt eine Gemeindeversammlung, der verschiedene Personen vorstehen können. Es muss nicht immer ein Bischof (episkopos) sein, sondern auch Presbyter und Diakone übernehmen die Leitung. Erst langsam entwickelt sich die Gemeindeleitung hin zu einer monepiskopalen Struktur, also der Leitung durch einen Bischof. Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen gab es bereits in der kollegialen Struktur oft einen Sprecher, dessen Funktion sich verfestigte. Zum anderen wurde durch verschiedene Fehlentwicklungen (z. B. Montanismus) in der Lehre ein Amt in der Gemeinde notwendig, das den Glauben authentisch auslegt. Dies wird durch den Bischof in besonderer Weise gewährleistet, da bereits in der Alten Kirche die Meinung vorherrschte, dass der Bischof in der Nachfolge der Apostel, in der sogenannten »apostolischen Sukzession«, steht und damit besondere Autorität besitzt.
Montanismus: altkirchliche Bewegung im 2. Jahrhundert, die glaubte, Offenbarungen des Heiligen Geistes zu empfangen.
Was das Verhältnis der Gemeinden untereinander betrifft, ist die frühe Kirche dezentral verfasst. Es stehen gleichberechtigte und selbstständige Ortskirchen nebeneinander. Größere Probleme werden auf regionalen Synoden besprochen und zu lösen versucht. Die Bischöfe tragen gemeinsam die Verantwortung für die gesamte Kirche. Man spricht auch vom Communio-Charakter der Gesamtkirche. Rom war folglich eine Bischofsstadt unter vielen. Eine Vorrangstellung vor allen anderen entwickelt sich erst langsam. Bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts heben sich vor allem die Bischofssitze gegenüber den anderen ab, die sich auf einen Apostel zurückführen. Jerusalem, Alexandria, Antiochien und Rom bekommen so eine gewisse Sonderstellung. In wichtigen Fragen suchen Bischöfe den Rat dieser Gemeinden, die durch ihre apostolische Gründung im Ruf stehen, die Tradition in besonderer Weise zu wahren. Bei dieser Profilierung der Apostelkirchen kommt Rom eine besondere Stellung zu, denn es ist die einzige Apostelkirche im Westen, während es im Osten drei, später mit Konstantinopel sogar vier gibt. Rom beruft sich zudem auf zwei Apostel. Der Tradition nach waren sowohl Petrus als auch Paulus dort. Sie sind zwar nicht die Gemeindegründer, aber ihre Anwesenheit wird nach und nach als Grund für die besondere Autorität des römischen Bischofsstuhls angegeben. Die Missionierung Nordafrikas, Galliens und anderer europäischer Gebiete geht von Rom aus. Die neu entstehenden Ortskirchen haben in der Gemeinde der alten Reichshauptstadt ihren Bezugspunkt. In Rom selbst entsteht nach der Verlagerung der Reichshauptstadt nach Konstantinopel 330 ein Machtvakuum, das nach und nach der römische Bischof ausfüllt.
Parallel dazu entwickelt sich bis zum 5. Jahrhundert, der Amtszeit Leos des Großen (440 – 461), eine theologische Begründung der Vorrangstellung des Bischofs von Rom. Christus selbst habe Petrus zum ersten unter den Aposteln gemacht, daher auch der Titel des Apostelfürsten. Diese herausragende Position lebe nun im Bischof von Rom als Nachfolger des Petrus fort.
Grundlage für diese Deutung ist eine Stelle im Matthäusevangelium. Dort sagt Jesus zu Petrus: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.« (Mt 16,18.19)
Es gelingt dem römischen Bischof allerdings nicht, seine Primatsansprüche, die Ende des 4. Jahrhunderts voll ausgebildet sind, auch gegenüber den Gemeinden im Osten durchzusetzen. Im Westen braucht es noch Jahrhunderte, bis die Theorie des päpstlichen Primats sich auch in der Praxis durchsetzen kann.
In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts taucht zum ersten Mal der Begriff »Papst« (griech. πάπας; lat. papa; Vater) als Bezeichnung für den Bischof von Rom auf. Der Titel wird ursprünglich im griechischen Bereich für Äbte und Bischöfe verwendet. Seit dem 5. Jahrhundert trägt ihn im Westen nur noch der Bischof von Rom, im Osten sind es die Patriarchen. Mit Gregor dem Großen (590 – 604) wird er als ausschließliche Amtsbezeichnung für den Bischof von Rom festgeschrieben. Nur die koptische Kirche behält den Titel Papst für ihr Oberhaupt bei. Sie hatte sich bereits nach dem Konzil von Chalkedon 451 wegen theologischer Differenzen von der lateinischen Kirche getrennt. Im 11. Jahrhundert kommt die Bezeichnung »Papsttum« für die Institution auf.
Im Mittelalter gerät das Papstamt in unruhiges Fahrwasser. Römische Adelshäuser streiten sich um die Besetzung der Kathedra Petri. Könige und Kaiser versuchen Einfluss zu nehmen auf die Kirche. Der Investiturstreit im 11. Jahrhundert und die Bulle »Unam sanctam«, mit der Bonifaz VIII. 1302 die päpstliche Universalherrschaft auch in weltlichen Angelegenheiten durchzusetzen suchte, gehören ebenso in diese Zeit wie das Exil von Avignon und das darauf folgende Abendländische Schisma. Von 1309 bis 1377 sind die Päpste in der südfranzösischen Stadt Avignon. Dort stehen sie unter dem Einfluss des französischen Königs. Nach dem Tod Gregors XI. 1378, der auf Drängen der heiligen Katharina von Siena wieder nach Rom zurückgekehrt war, kommt es zum Streit in der Kurie. Französische Kardinäle erkennen die Wahl Urbans VI. nicht an und wählen in Avignon den Gegenpapst Clemens VII. Erst auf dem Konzil von Konstanz 1417 kann der Streit beigelegt werden.
Investiturstreit: Streit zwischen weltlichen und geistlichen Machthabern um die Einsetzung von Priestern.
Der Beginn der Neuzeit ist für das Papsttum mit einem neuen schmerzlichen Konflikt verbunden. Mit der Reformation verliert die katholische Kirche ab Ende 1517 einen großen Teil ihres Einflusses in Nord-, Mittel- und Osteuropa. In der Gegenreformation gelingt es der römischen Kirche, ihre Hierarchie zu stärken, den Machtverlust kann das aber nicht ausgleichen. Zumal mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert der Einfluss des Papsttums auch in katholischen Ländern immer mehr zurückgeht. Als dann auch noch der Kirchenstaat zunehmend schrumpft und mit dem Einmarsch italienischer Truppen in Rom 1870 ganz von der Weltkarte verschwindet, scheint das Papsttum am Ende, ohne jede politische Bedeutung. Doch unter dem Eindruck der schwindenden äußeren Macht erfährt es eine innerkirchliche Stärkung.