Wir Christen – wann endlich vereint?: Ökumenische Perspektiven für heute und morgen
Von Kurt Kardinal Koch und Robert Biel
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Über dieses E-Book
Im Gespräch mit dem Theologen Robert Biel bezieht der in diesen Fragen federführende römische Kurienkardinal prononciert Stellung. Ein neuer »Thesenanschlag« – ökumenisch und ganz ohne Hammer.
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Buchvorschau
Wir Christen – wann endlich vereint? - Kurt Kardinal Koch
Der holprige Weg der Ökumene
Herr Kardinal, man sagt über Sie, dass Sie Ihren derzeitigen Job als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen sehr mögen. Sie zeigen sich dankbar, der Kirche in einem so wichtigen Anliegen wie der Ökumene dienen zu können. Doch wenn Sie auf die erste Periode Ihrer Amtszeit blicken, beschleicht Sie da nicht manchmal doch das Gefühl, an eine Sisyphusarbeit geraten zu sein?
Ich würde in diesem Zusammenhang nicht von Sisyphusarbeit sprechen. Ich benutze einen anderen Vergleich. Ich vergleiche die ökumenische Bewegung gern mit einer Reise im Flugzeug. Der Start auf der Piste wirkt ungeheuer rasant – bis man in der Luft ist. Aber wenn man in der Luft dann auf 10.000 Meter Höhe ist, hat man den Eindruck, es bewegt sich eigentlich nichts mehr. Und trotzdem leben alle Passagiere in der klaren Hoffnung, dass das Flugzeug landen wird.
Der rasante Start auf der Piste war in der Katholischen Kirche das Zweite Vatikanische Konzil. Das Konzil hat dem ökumenischen Dialog jene Schubkraft verliehen, ohne die wir heute nicht dort wären, wo wir sind.
Kirchliche Uhren ticken oft anders als säkulare. Für die kirchlichen Verhältnisse sind Sie in Ihrer Stellung und Verantwortung noch immer relativ jung. Den Steuerknüppel der »Ökumene Airlines« haben Sie zu einem Zeitpunkt in die Hand genommen, zu dem Piloten in der Regel bereits pensioniert werden. Nach inzwischen sechs Jahren Dienst daher meine Frage an Sie: Herr Kapitän, wo befinden wir uns momentan?
Ich denke, ich bin nicht der Pilot. Pilot ist ein anderer. Wir stehen sozusagen als »Begleitpersonal« in seinem Dienst. Momentan bewegt sich das Flugzeug in der Luft, wobei alle gewiss sein dürfen, dass es eines Tages sicher landen wird, und zwar deshalb, weil der eigentliche Pilot der Ökumene der Heilige Geist ist. Er hat diese Reise gewollt und wird diese Reise auch in die Zukunft führen. Für mich ist daher nicht entscheidend, was ich während meiner begrenzten Amtszeit noch alles erlebe. Ich bin tief überzeugt, dass ich die Einheit der Kirche erleben werde – ich weiß nur noch nicht, ob auf Erden oder vom Jenseits her. Hier hilft mir immer die wunderbare Gestalt des Moses. Er hat das Volk durch die Wüste ins Gelobte Land geführt. Er selbst aber hat das Gelobte Land nur von ferne sehen und es nicht betreten können. Dennoch ist er nie auf die absurde Idee gekommen, die Reise aufzugeben, weil er persönlich dieses Land nicht mehr erreichen würde, sondern war dennoch bereit, Menschen auf dem Weg dorthin zu begleiten. Deshalb kann niemand in der Ökumene mehr sein als Moses. Trotz aller Mühen ist Ökumene in Wahrheit gerade keine Sisyphusarbeit, sondern ein Mosesdienst. Es ist eine christliche Grundhaltung, das Volk durch die Wüste zu führen, auch wenn man selbst das Gelobte Land im Verlauf der eigenen Lebenszeit nicht mit erreicht.
Ich habe meinen Dienst für die Ökumene aufgenommen im klaren Bewusstsein, dass nicht ich der »Ökumeneminister« der Katholischen Kirche bin, sondern dass der eigentliche Ökumeneminister der Heilige Geist ist. Die Einheit können wir nicht machen. Wir können auch nicht über das Datum und die Art und Weise verfügen. Die Einheit ist ein Geschenk, und wir müssen für dieses Geschenk offen sein.
Wir müssen auch ganz klar sagen: Wir haben das Ziel noch nicht erreicht: Das Ziel der sichtbaren Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in den Ämtern. Die große Schwierigkeit besteht heute darin, dass wir uns in vielen Fragen einig geworden sind, aber keine gemeinsame Vorstellung haben, was eigentlich das Ziel der Ökumene sein soll.
Die katholische Kirche hält am ursprünglichen Ziel der Ökumene – der sichtbaren Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in den Ämtern – fest. Nicht wenige der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften haben diese Vorstellung aufgegeben und sehen das Ziel der Ökumene nur noch in der gegenseitigen Anerkennung all der verschiedenen kirchlichen Realitäten als »Kirchen«. Und als die Summe all dieser kirchlichen Wirklichkeiten wird dann die eine Kirche aufgefasst – was natürlich eine sehr schwierige Vorstellung für uns Katholiken ist.
Deshalb müssen wir uns neu Rechenschaft darüber ablegen, wohin die Reise gehen soll. Denn, wenn man kein gemeinsames Ziel mehr vor Augen hat, kann es geschehen, dass man in verschiedene Richtungen weitergeht und nachher entdecken muss, dass man sich noch weiter voneinander entfernt hat. Solche schmerzlichen Erfahrungen gibt es.
Eine Rückbesinnung auf das Ziel der ökumenischen Reise ist für mich heute die wichtigste Herausforderung. Dazu kommt eine zweite große Herausforderung: Wir haben weltweit ein massives Anwachsen evangelikaler und pentekostaler Bewegungen zu verzeichnen; diese machen zusammengenommen heute zahlenmäßig die zweitgrößte Gemeinschaft innerhalb der Christenheit nach der katholischen Kirche aus. Man muss also von einer Pentekostalisierung des Christentums oder von einer vierten Gestalt des Christentums reden – neben der katholischen, der orthodoxen und der protestantischen. Diese Bewegungen führen natürlich zu ganz anderen ökumenischen Tagesordnungen und Agenden. Deshalb werden diese neuen ökumenischen Partner das Gesicht der Ökumene sehr verändern. Und das ist vielleicht eine der größten Herausforderungen, vor denen wir heute stehen.
Lähmungserscheinungen – und wie sie zu überwinden sind
Wenn wir auf die Diskussionen und die Abstimmung der Konzilsväter für die Ökumene zurückschauen, dann scheint es, dass wir inzwischen zunehmend weniger ökumenisch sind. Das Konzilsdekret über die Ökumene wurde fast einstimmig angenommen, während es heute viele gibt, die von der Ökumene überhaupt nicht mehr begeistert sind, weil sie sich Sorgen machen, dass wir im ökumenischen Dialog die eigene Identität verlieren. Geht der Ökumene also die Puste aus?
Das ist etwas, was ich immer wieder höre: die Befürchtung, dass die Ökumene die eigene kirchliche Identität gefährde. Ausgehend von meiner eigenen Erfahrung kann ich dazu nur sagen: Das Gegenteil ist wahr, weil man gerade in der Begegnung mit anderen christlichen Kirchen die eigene Kirche mit neuen Augen sieht. Es gibt ein altes Sprichwort, das heißt: Wer nur England kennt, kennt England