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Werkausgabe Jiří Gruša / Dr. Kokeš: Meister der Jungfrau: Prosa IV
Werkausgabe Jiří Gruša / Dr. Kokeš: Meister der Jungfrau: Prosa IV
Werkausgabe Jiří Gruša / Dr. Kokeš: Meister der Jungfrau: Prosa IV
eBook287 Seiten4 Stunden

Werkausgabe Jiří Gruša / Dr. Kokeš: Meister der Jungfrau: Prosa IV

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Über dieses E-Book

Dieser Ende der Siebzigerjahre entstandene Roman ist Jiří Grušas letztes großes Prosawerk. Es entstand unter den schwierigen Umständen, denen die nicht regimekonformen Schriftsteller zu dieser Zeit unterworfen waren. Ständige Hausdurchsuchungen erforderten immer neue Verstecke für das Manuskript, an ein kontinuierliches Arbeiten war nicht zu denken. So hat dieser Roman etwas Fragmentarisches, oft Sprunghaftes an sich.

Gruša schildert hier durchaus mit biografi schen Anlehnungen die Geschichte Böhmens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Zeit der Habsburger-Monarchie, das Leben in den Garnisonen, die Kuriositäten in den Vergnügungsstätten der Ersten Republik, die Schrecknisse zweier Weltkriege, den Irrsinn der Rassenideologie.

Mit leisen Tönen wird die erste große Liebe beschrieben und immer ist alles verbunden mit der Vergänglichkeit, mit dem Tod, der im Tschechischen weiblich ist.

Jiří Gruša hatte dieses Manuskript bei seiner Ausreise Ende 1980 zu einem Studienaufenthalt in den USA bei sich. Nach seiner Ausbürgerung im Sommer 1981 versuchte er den Text ins Deutsche übersetzen zu lassen. In seinen Augen erfolgreich, in den Augen seiner Verleger nicht. Es erschien nach langem Streiten eine Ausgabe unter dem Titel „Janinka", die Jiří Gruša nie als seinen „Kokeš" akzeptierte.

Die deutschsprachige Leserschaft sieht daher mit Spannung der nunmehr werkgetreuen Übersetzung entgegen.
SpracheDeutsch
HerausgeberWieser Verlag
Erscheinungsdatum10. Jan. 2017
ISBN9783990470718
Werkausgabe Jiří Gruša / Dr. Kokeš: Meister der Jungfrau: Prosa IV

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    Buchvorschau

    Werkausgabe Jiří Gruša / Dr. Kokeš - Jiří Gruša

    2000.

    Hupen

    Es war am Josefsplatz, in der Stadt Prag, da standen Marian Kokeš und der Vater Karel in einer Autoschlange und hatten Rot. Der Vater weinte gerade, Tränen in den Augen wie von einer Schminke, jedoch feierliche, sie tropften auf die Oberschenkel seiner immer maßgeschneiderten Hose und zerflossen dort in Madeira und den übrigen Essensflecken, mit denen sich Karel K. auch bei weniger bedeutenden Gelegenheiten bekleckerte, als es das heutige Mittagessen zur Feier der Habilitation des Dr. Marian Kokeš und seiner »Scheidungen in den Augen des Richters« war. Manchmal sank dem Papa auch ganz von allein der Unterkiefer herab und der Speichel floss heraus, bis der Sohn sich schämte, dies zu sehen, weil ihm war, als ob der Speichel bei ihm selber flösse. Und er drehte sich zu der Frau um, die mit dem Arm voller Chrysanthemen am Wagen vorbeiging, ganz in Schwarz und hinter ihr ein Pudel, schwarz wie sie. Diese Frau, schöner als ihr Hund, trat mit einem Bein vom Bordstein herab, um so auf ihre Ampel zu warten, der schwarze Samt über dem Gesäß gespannt und mit Lippizanerbeinen, aus deren hohem Schritt Marian erkannte, dass er einst in diesem Körper war. -Dreh dich doch zu mir um, damit ich nicht nur durch mein Erstarren sicher werde, befahl er ihr. Doch nur der Hund drehte sich zu ihm um, Augen wie schwarze Johannisbeeren, in der Schnauze eine der Chrysanthemenblüten seines Frauchens.

    Und dann geriet es in Bewegung, dann brachen auch all die Hupen aus hinter dem Rücken von Marian Kokeš, unauslöschlich und schrill, -fahr, zischte er den Vater an, dann aber sah er wieder den Glanz seines Speichels, der vom Mundwinkel rinnt und von dort zu den Madeiraflecken, weg vom Weiß, das seine Augen überschwemmte und sein graugrünes Gesicht so leer machte, dass kein Getöse es übertönen konnte, nicht einmal die Autos, als sie von hinten um den Wagen herumzufahren begannen, nicht einmal das Rufen, mit dem Marian Hilfe herbeirief.

    Und so fiel der Vater auf den Sohn. Er schlug mit dem Kopf gegen das Glas, hinter dem Gesichter starrten, Fressen und Schnauzen, verwischt und nutzlos, mein Gott. Und der Sohn fuhr los, blinkte und lärmte mit seiner Hupe bis zu Dr. Štět, der befürchtete, es sei zu spät, der aber trotzdem anordnete, den Körper in den Saal und auf den Tisch zu tragen.

    Es war im Krankenhaus am Ufer des Flusses, eine der Schwestern sagte, -das hat keinen Sinn, aber Štět dachte, -wir versuchen das noch mal, und ordnete den Elektroschock an.

    Der Körper bewegte sich.

    Und auch Marian – zuerst nur zu dem Ort, an dem es geschehen war, zum Josefsplatz. Das Tor des Kapuzinerklosters gähnte ihm entgegen und die Flammen zu Füßen des hl. Judas Thaddäus waren kalt wie Eiszapfen. Kokeš schien es, hierher sei die Frau mit dem Hund gegangen, es stand dort aber nur ein Enzephalitiker, der hier mit Gummiband für Unterhosen bettelte. Er hält sie hin, denn er verkauft sie unter dem Thaddäus, doch wer nimmt etwas aus so einer Hand! Sie bezahlen, um sie nicht berühren zu müssen.

    Wie Marian. Ach, er ekelt sich sehr, doch plötzlich hält er ein Kärtchen in der Hand, dreht sich um und weint. Als ob erst jetzt die Angst zuschnappt, dass er sterblich ist und dass er das auch spürt.

    Er ist aus der Frucht heraus geschält, in der er es sich bisher wohl sein ließ. Er hatte z. B. X! (Zeichen für diese Sache), ein gewisses Annalinchen, und zwar um 19.45. Und vorher hatte er um 17.19 den Vater in den Zug nach Ch. zu setzen. Und er hatte ebenfalls … nein, er muss Robus empfangen. Im Büro auf dem Viehmarkt. Er bearbeitet hier durchweg viehische Sachen und dieser Genosse beabsichtigt hier seine Nastenka zu lassen, Magda Smotláková, so ist sie geboren. Nastenka nannte er sie, als er russisch-rutschig in ihr war, als sie ihm zwei Falkensöhne ausbrütete. Jetzt nennt er sie aber überhaupt nicht direkt, sondern unterschreibt eine Vollmacht für Dr. Kokeš, dem er vorschreibt, dafür Sorge zu tragen, dass diese Lieblinge in Quarantäne geschickt werden, -nun also, sagt er dem Doktor, als ob er ihn in die örtliche Abdeckerei schickt, der Stuhl unter Robus knarrt, verschluckt vom Fleisch seines Hinterns, der Tisch rumpelt, -Doktorchen, was also, sie denunziert mich, wissen Sie, die eigene Frau schreibt über mich Denunziationen, mit welchem Recht, so fragt dieser Robus auf dem Viehmarkt den Advocatus Diaboli, Dr. Kokeš. Er, Robus, glaubt nicht, dass er zu denen gehören dürfe, die denunziert werdenk ö n n e n, eigentlich hat er in dieser Richtung seine Sicherheit, die einzige, die er hat, und er regt sich bloß auf, weil Nasta es überhaupt gewagt hat, -mach ihr die Hölle heiß, bettelt sein Specknacken, mach Kleinholz aus ihr, und Marian atmet mit seiner schmalen Nase den Duft dieses Wunsches ein, saugt seine Glut ein und mit einem zustimmenden, stillen Lächeln beginnt er den Satz Federhalter auf seinem Schreibtisch zu ordnen, als ob er schon tranchieren wolle.

    Aber er macht sich nur eine weitere Notiz, mit spitzem Bleistift streicht er im Kalender »Die Sohnesdankbarkeit im Spiegel des Rechts«, einen für 11.15 geplanten Vortrag mit einer Kokeš-typischen hochtrabenden Einleitung über Eskimos, denen gegen Ende des Winters die Vorräte ausgehen, sodass sie ihre alten Männer und Frauen dem Frost aussetzen müssen, damit er sie zu einem angeblich sehr gemütlichen Tod erwärme, -sehen Sie, eifert Dr. Marianus, -die Beziehung der Kinder zu den Eltern, meine Freunde, das ist der Spiegel unserer Kultur, und es ist ein Jammer, wenn darüber statt des Dichters ein Jurist sprechen muss!

    Nur dass Dr. Kokeš auf seinem Plateau vom eigenen Erzeuger dem Frost ausgesetzt, irgendwo zu stottern beginnt; der übersichtliche Lunedi, Montag, Lunes, angestrichen in seinem Lederkalender, stellt sich quer und vom Bahnsteig 3 fährt der Zug Nr. 0048 ohne Karel Kokeš ab, obwohl es wirklich nachweisbar 17.20 ist. Doch Dr. Kokeš – entgegen dem ursprünglichen Plan – weint zu dieser Zeit. Deswegen geht weit nach 20 Uhr Annalinchen oder Anna Linke, Studentin der Hohen Karls-Schule, aber nur so als ob, denn im Hauptberuf ist sie die Zärtlichkeit, ein wenig nervös in dem Appartement umher, das ihr Kokeš irgendwie besorgt hat, und weil sie nicht anders kann, wählt sie eine andere Nummer.

    -Linchen, und das mir, gerade jetzt, wo ich traurig bin, weil ich sterblich bin, sagt Marian und nimmt sich vor, von seiner Trauer Aufzeichnungen zu machen, weil er die Manie hat, jedes nur mögliche seiner Gefühle aufzuzeichnen, d. h., er schreibt:

    Die schwarze Frau und der Hund

    Sie war der Tod, das ist klar, kombiniert wie ein Zentaur, aber ein weiblicher, aus einer Frau die Stute, nämlich Edith Talancová, die mir auf dem Gymnasium Deutschunterricht gab, und aus der zweiten die Frau, nämlich Janinka, die tot ist. Ich ging Janinka entgegen zum Grünen Baum, ich war fünfzehn Jahre alt und ein Zwanzigtonner fuhr in Richtung Hrádek an mir vorbei, auf dieser Straße zwischen Ch. und Hrádek, über die Beton nach Ráječek gefahren wurde, damit dort die Talsperre sei, die da jetzt ist. Janinka stand unter dem Grünen Baum, unter dieser Linde, die mit ihrem Laub noch die Fuhrleute beschattete, zu mir wehte der Dieselgestank des Lasters herüber, dass ich lieber gar nicht Atem holte, damit ich ihn nicht schlucken musste, und derart uneingeatmet sah ich die ausgeleierte Achse des Wagens, von der sich das rechte und riesige Rad löste, und Janinka, die mit dem Rücken zu ihm und zu mir stand, d. h. abgewandt, sie schaute in das Tal des Todes, breit quetschte, bevor ich wieder Luft bekam. Und Cimbál begann zu klagen, Janinkas Pudel, er begann als Erster so menschlich zu klagen, dass ich mir fast ungehörig vorkam. So war ich Witwer, auf den der Betonbrei aus dem gekippten Laster zufloss wie ein großes, graues Exkrement, wie eine große, bleierne Wolke, die vorher am Himmel war und die sich jetzt losgerissen hatte auf die Erde und Janinka lag entzweigebrochen wie die Blumen, die ich für sie, anstatt sie zu pflücken, mit dem Luftgewehr geschossen hatte und die in ihrer Richtung kippten, d. h. sich vor ihr neigten, ich stand bei uns im Garten und brüllte: noch diese Blüte, und die Tulpe neigte sich mit ihrem Hut vor Janinka, erwies ihr die Ehre, und es war noch, als ob sie zärtlich auf den sagenhaft präzisen Schützen hinwies. So also entzweigebrochen liegt sie mit dem Mund voller Blut jetzt vor mir. Auch der Fahrer stürzt aus dem Führerhaus und bringt, worauf wir sie legen sollen, das Rollbrett, auf dem er liegt, wenn er unter den Wagen muss … während ich inzwischen meine Lippen auf Janinkas Mund gepresst habe, und ihr Blut fließt in meinen Mund, jedoch kein Atem, keine Seele, die ich für eine Weile schlucken, dem Körper zurückgeben könnte, damit er wieder lebendig werde, und er war sterblich mit meinem zusammen, o Herr … schieß diese Blume nicht nur, weil ich an ihr gerochen habe, denn sie wird auch tot mein sein.

    Ich drücke meinen Mund auf ihren, wie ich mich danach gesehnt hatte, als sie lebte, und wie ich das manchmal auch getan hatte, wenn sie besonders nachgiebig war. Ich bin bis zum Ersticken voll von ihrem Blut, es trocknet vom Hals abwärts und unter dem Hemd, und der Fahrer sagt mir: -Leg sie hierhin!, er meint die Rollbahre, auf der die Körper in den Verbrennungsofen geschoben werden können, wo es schon raucht, -mit ihr ist es aus, spricht er, doch auch er zittert über einer so schönen Leiche und deckt sie mit einer riesigen zerknüllten Plastikfolie zu, die er unter dem Sitz hervorzog.

    Das ist das Oberteil meiner Zentaurin, während zum Unterteil mich der Hund führte, der schwarze Cimbál, der vom Grünen Baum ab schon hinter mir her schritt wie hinter einem Witwer, d. h. auch wie hinter seinem Herrn. Das Tor öffnete meine Großmutter Therese-Odette und sie sagte mir, dass ich das Tier nicht hätte nehmen sollen.

    -Warum, sagte ich.

    -Weil das ein Hund immer in Trauer ist.

    -Aber das ist Cimbál, ein fröhlicher Hund.

    -Das kann er nicht sein, sagte sie, -in ihm ist etwas besonders Aufmerksames. Gott tröste dich, Marian.

    Ich hatte diese Therese-Odette gern. Sie hielt zu mir, weil sie meinte, ich würde überhaupt ein besserer Mensch, was bei ihr Dragonerleutnant bedeutete, der, der sie vor sechzig Jahren Großvater überlassen hatte, obwohl sie Schönheitskönigin war. Jedoch habe ich nicht auf sie gehört, was Cimbál betraf, sondern schlief mit ihm an den Beinen ein (ich schlief nur ganz kurz, wie wenn die Sicherungen herausfliegen, aber dann müssen die Lampen wieder brennen), d. h., wir sind sofort wieder wach, ich und der Hund; und wir weinten um Janinka, er mit heraushängender Zunge, hechelnd und tränend, ich glotzte auf den Fleck von einer grünen Blattlaus, die ich absichtlich breitgequetscht hatte, als sie aus dem Garten hereingeflogen kam. Dann schrieb ich ein Gedicht auf den Tod Janinkas. Eigentlich habe ich es nur zu Ende geschrieben, weil ich die erste Strophe schon vorher hatte.

    Janinka, du weist mich nicht mehr ab,

    du bist starr geworden …

    auch meine Geste ragt,

    ist wie des Engels Hand erstorben,

    der deinen Marmor begießt

    mit Regen voller Ruß,

    du aber weißt nichts davon

    und stehst wie du musst.

    Ein solcher Engel stand über Janinkas Grabstein aus Granit, ein trauernder Engel, die rechte Hand in auf Brusthöhe gehoben in der Haltung: Schweigt! Pst! Aber ich schrieb noch mehr Strophen von hinten in mein deutsches Vokabelheft für die Stunden bei Edith Talancová, die mir dann aufgab, für sie zu übersetzen: Siehst du den schwarzen Hund in Saat und Stoppel streifen, weil mein Cimbál wieder von zu Hause weggelaufen war (es genügte, dass er nur auf den Hof kam, dann sprang er auch über das Tor, obwohl ich alle Löcher sorgfältig mit Draht zugemacht hatte) und er setzte sich vor dem Gymnasium in den gegenüberliegenden Park, in den man von den Klassenräumen aus sehen konnte … Saat und Stoppel wusste ich nicht, und so musste ich mir die Wörter aufschreiben und ich musste der Talancová auch die Aufsätze aus der B tragen. Ich trug sie auf den Armen etwa einen halben Schritt vor ihr, Cimbál wieder voran, und sie sagte: »Der Kreis wird eng, schon ist er nah.«

    Und zu Haus in der Küche noch:

    »Sie war also deine Freundin.«

    Sie meinte Janinka, sie wusste das, weil ich als schwarzer Bräutigam beim Begräbnis war, zum weißen Sarg ein schwarzer Bräutigam.

    -Und du bist ein Dichter.

    -Ja, sagte ich, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich eine Lehrerin belügen könnte.

    Meine Stimme war furchtsam, aber auch neugierig.

    -Warte, ging sie zum Fenster, dort blühte eine Reseda, sie riss ihre Blüte ab und steckte sie in den Aufschlag meines schwarzen Bräutigamsakkos.

    -So steht dir das!

    Aufs Neue setzte ich zum Gedicht an, ich spürte, dass etwas geschehen wird, doch wusste ich dessen richtigen Namen nicht.

    Auch meine Geste ragt,

    ist wie des Engels Hand erstorben,

    sagte ich der Küche mit der weißen Kredenz und der Resedablüte, während die Hand Edith Talancovás von meinem Knie zu der Stelle fuhr, die mich von Janinka entfernt hatte und nun beabsichtigte, mich mit einer völlig fremden Frau zu verbinden, aus der Uhr hinter Edith sprang ein Kuckuck heraus, verneigte sich sechsmal genau dahin, wohin ich gern geguckt hätte, wenn ich es bloß gewagt hätte. Aber ich, Tränen. Sie flossen nach innen, damit die Talancová sie nicht sieht, dort drinnen aber angenehme Wärme, ein Geschmeidigwerden, wie wenn das Fieber aufhört und mir wieder wohl ist, auch wenn ich schwach geworden war, dass ich hätte fliegen können. Ich trat aus ihrem Haus auf die Straße, neben der sich ein Graben entlangzog, und erleichtert wie ich war, sprang ich im Zickzack darüber, bis es mit mir einbrach, ich verschwand in einem Loch und über mir wieder der Hund.

    Er glotzte und hechelte.

    Und das ist das Unterteil der Zentaurin: der Hintern ein wenig eckig, aber hoch angesetzt und sanft. Die V. unzerstörbar, gleichfalls etwas höher, und vornehme Beine.

    Aber bevor er die Zentaurin traf, war Kokeš Dr. Unsterblich, ein Englein im Gewande mit Palmzweig und einem Stern auf der Stirn … A. D. 1949 in der Waldeslust, die zwar auf eifriges Treiben des Papas aufgehört hatte, den Kokeš zu gehören, aber noch wurde dort gespielt, noch sang dort auch Marian mit seinem Kindersopran und schwebte angeschnallt über der Grotte von Bethlehem. Der Zuschauerraum war voller Augen, feucht glänzender Augäpfel.

    -Ach, ist das ein schönes Kind, sagte eine sanfte Dame neben Marians Mutter, ohne zu wissen, wessen Sohn der Engel ist.

    -Wirklich ein schöner Junge, sagte Dr. Medl, ein Homo, von dem das wieder die Mutter nicht wusste. Doch sie weinte über dieses Lob von den Sesseln neun und elf zehn Tränen, die zwischen zwei Zäunen zitterten wie zehn Zicklein, die wie zehn Zicklein zwischen zwei Zäunen zitterten, sicher war das so, denn die Eintrittskarte mit der Sesselnummer hat Frau Božena Kokešová an diesem Haarteil festgesteckt und für ewig in der Biedermeierkommode des Kokeš-Geschlechts aufbewahrt.

    Gloria in excelsis Deo, sang dieser Kokeš, weil ihm der Körper nichts meldete vom Schweben und Schwimmen, das ihn nun als Hr. Doktor in sich aufnimmt und verschluckt, sondern »es war« noch Schweben in seiner ganzen reinen Körperlichkeit. Er hatte eine Stimme wie ein Kanarienzeisig, so konnte er singen: cantus firmus, ein fester Gesang auch im Sänger, der nicht auf den heutigen Puddingbeinen stand. Sie klatschten ihm Beifall, die Hände flatterten, Kokeš verbeugte sich vor ihnen in seiner Unsterblichkeit, und der Stern auf seiner Stirn warf einen Glanz in den Saal wie der Spiegel des Ohrenarztes. Nur Sterbliche, wie z. B. ein gewisser Ing. Matolin, waren neidisch, auch wenn sie die Hauptrollen im Märtyrer Laurentius oder im Tröster der Aussätzigen spielten und taten, als ob sie gern sterben, trotzdem schielten sie nach dem Engel, der so leicht und klein mit nichts sich besonders beschäftigte, sondern nur den Ruhm in der Höhe verkündete und in den Saal winkte, auch mit seinen menschlichen Händen, denn er hatte seine Mutter erblickt, wie sie ihm auch zuwinkt und klatscht … sie klatscht und sie klatschen, weil klar ist, dass dieses Flattern der Hände und dieser rauschende Ton doch ihm gelten, -au, was machen Sie da, Herr Matolin, Sie haben durch meine Engelssandalen gestochen.

    Der Herr des Schwertes Matolin aber sagt,

    -Bürschchen, reiß das Maul nicht so auf, du bist hier nicht im Nationaltheater, aber dann vereinigt sich die herausgetretene Träne mit denen der Mutter, der Saal, beidseitig auseinanderlaufend, wölbt sich und zieht sich in Kristalle auseinander und siehe, es ist schön. Und es ist auch süß, denn Therese-Odette und diese Mama B. Kokešová warten auf den Engel bei den Schauspielergarderoben mit einer Schachtel von Klaban-Pralinen der Marke EGO Brustkaramellen und alle Arten von fein Kandiertem und die Frauen füttern diesen Engel und erzählen ihm von der Schokolade, die sie zu essen pflegten, als es sie noch gab vor dem Krieg, und sie versprechen ihm, mal muss der Tag doch sicher kommen, nämlich der Schokoladentag ohne den Geruch nach Gemüse, Schlacke oder Asche, sie erzählen dem Engel von diesem Tag, sie versüßen sich diesen Engel, sagen zu ihm »Erfolg«, d. h. ein Wort, das er sich merkt in dieser Kombination:

    ad a) Herabfliegen ex excelsis

    ad b) Schmerz im Fuß, von einem Schwert gestochen

    ad c) Klabans fein kandierte Früchte.

    -Ja, spricht Therese-Odette, das kenne ich auch, erst ist es süß, dann wird’s im Mund so sauer wie ein Drops. Aber bitte … weil es schön ist, wenn etwas den Leuten gefällt, dass man es selber fühlt und es einem selbst gefällt. Ich hatte ein weißes Kleid an und sagte die Fürbitte am Kreuz auf als das schönste Mädchen, weil die Fürbitte immer von der Schönsten gesprochen wird … Das Kleid hatte ich selbst genäht und ich ging zum Kreuz und dort sagte ich das auf und dann vor der Gastwirtschaft, vor dem Grünen Baum. Dann wurde getanzt.

    -Was wurde getanzt?

    -Der Zittertanz, der Zittertanz, sagte sie und Marian sah eine Sülze, wie sie zittert. Es kam ihm lächerlich vor. Sehr. Aber es stimmte, dass diese Therese-Odette Schönheitskönigin war und dass ein Dragonerleutnant, genannt Daphnis, an sie herantrat und mit ihr den Walzer »Der Halley’sche Komet« tanzte und sie dabei fragte, ob sie ihn zusammen tanzen könnten im Café YOKOHAMA im fernen Prag, wo ein echter Chinese das Tablett trägt, ob sie ihren werten Namen verrät, denn unmittelbar nach einem solchen Flüstern wird er sie glücklich machen, damit sie nicht irgendwo in einem Büro versauern müsse und ihre lieblichen Lippen nicht irgendwelche trockenen Ziffern murmelten & ihre hübschen Zähnchen nicht irgendwelche Bleistiftstiele kauen müssten … so war es in Thereses Unsterblichkeit, sie erinnert sich daran und wenn sie den Enkel mit Klabans kandierten Früchten füttert, hört sie die Musikanten von damals und ist sich sicher, dass sie den »Halley’schen Kometen« spielen.

    Während Dr. Kokeš seinen Neider Matolin als Aussätzigen sieht und ihm das wünscht, in des Doktors Vision jedoch kommt kein Tröster, den Ing. Matolin gesund zu machen, sondern die Plastikfurunkel, die er sich vor der Vorstellung so sorgfältig und so hässlich wie möglich angeklebt hatte, und die Marian ursprünglich eigentlich bewundert hatte, fressen sich ihm nun wirklich ins Gesicht, bis er so hässlich ist, dass man sich auch im Leprosorium von ihm wegsetzt.

    -Das ist ein schrecklicher Kerl, Mama, er stützte sich mit seinem Schwert auf meinen Fuß und ich winkte dir gerade zu.

    -Das galt mir?, schluchzt B. Kokešová.

    -Aber sicher, sagt Dr. Kokeš, -wem denn sonst?

    Oder er ist noch unsterblicher (wieder dieser Dr. K.), weil er schweben kann. Er zog das Rochett aus und entschloss sich, in Böhmen Dichter zu sein. Er hörte vom Chor der hl. Barbara, wie drei Begräbniswitwen, heute sogar ohne zu meckern, von einer Laute zu singen anfingen.

    Nun kann ich nicht mehr länger schweigen

    die Laute nehme ich zur Hand

    die Liebe lässt mich nicht mehr länger schweigen

    und heftig drängt’s mich zum Gesang

    -So eine Laute schnapp ich mir, sagte Dr. Kokeš und erhob sich, zuerst flog er nur ein ganz kleines bisschen, aber direkt hinter der Venhoda’schen Bäckerei, als er sich versichert hatte, dass er sich in der Höhe von etwa dreißig Zentimetern über dem Bordstein fließend bewegt, blieb er schon oben und schob sich an den blühenden Akazien vorbei. Sie dufteten, es wurde Abend. Die Laute waren das Abendgeläut und das Rauschen, das die Blätter mit der matten Seiten nach oben kehrte. Kokeš sah sich um und hörte das C der Glocke, das irdische Gebimmel des Herrn Hemele, dort am Glockenturm aus Trägern, der nach dem Luftangriff anstelle des eichenen steht, den die Luftwelle so heftig auseinanderriss, dass die Splitter die Hühner mordeten, die vor dem Luftangriff davonrasten, und die alte kupferne Glocke schmatzte gleich einem Apfel, der geteilt wird. Diese ist nur mehr aus Gusseisen. Wenn jemand stirbt, ist Gusseisen die Totenglocke und Hemele der Totenglöckner. Er klebt die Todesanzeigen an, bindet das wippende Seil los und droht mit dem Tod. Oder er läutet zum Frühling. Zum Frühlingsfrühfliegen, mit der Prothese an das Gärtchen vor Odettes Kreuz neben dem Glockenturm gestützt, verfolgt er das Schweben Marians und läutet ihm dazu; -wenn er so fliegt, könnte er mir auch mein Bein zurückgeben.

    Er meint sein eigentliches, anstelle dessen er einen Huf hat.

    -Liebchen, sagt er zu dem Jungen,

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